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MEDICAL
Class . 41 . 4.05
Book
C.53.
V 2.4
Acc.
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Centralblatt
fttr
allgemeine Gresundheitspiege.
Organ
des Niederrheinischen Vereins fttr öffentliche Gesundheitspflege.
Heraasgegeben
von
Dr. Lent, Dr. Stubben, Dr. Kruse,
Geh. Sanitätsrat, Prof, in Cöln. Ober- und Geh. Banrat in Berlin, a. o. Prof, der Hygiene in Bonn.
Vierundzwanzigster Jahrgang.
Mit lt Abbildungen.
Bonn,
Verlag von Martin Hager.
1905.
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Inhalt.
614.05
V- x. f
Originalarbeiten.
Die Cölner Kläranlage. Von Stadtbaurat Steuernagel . . . .
Hygienische Neuigkeiten von der Weltausstellung in St. Louis. Von
Dr. med. Gustav Heim.
Bericht über die am 29. Oktober 1904 in M.-Gladbach in der Kaiser-
Friedrich-Halle stattgehabten General-Versammlung des Nieder-
rheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, erstattet
vom Geheimen Sanitätsrat Prof. Dr. Lent in Cöln . , . . .
1. Geschäftsbericht.
2. Erster Vortrag: Über Schwimmhallen und Brausebäder.
Von Stadtbaurat Schultze in Bonn.
3. Zweiter Vortrag: Wie ist den Schädigungen, welche die
Fleisch Versorgung der Städte durch die Freizügigkeit des
Fleisches erleidet, am wirksamsten zu begegnen? Von
Schlachthofdirektor Haffner in Düren.
4. Dritter Vortrag: Inwieweit bedarf die schulärztliche Ein¬
richtung noch der Erweiterung? Von Schularzt Dr. med.
Max Schulte in Cöln.
Hebamme und Säuglingsernährung. Von Dr. Paul Selter, Kinder¬
arzt u. dirig. Arzt des Säuglingsheimes Solingen-Haan . . . .
Zur Verhütung der Übertragung von Infektionskrankheiten durch
Trinkbecher in den Schulen. Von Dr. Hugo Laser, Schularzt
in Königsberg i. Pr.
Ist ein Einfluss des Rheins auf die Brunnen der Wasserwerke der
Stadt Cöln zu konstatieren? Von Dr. Bärenfänger in Cöln
Bericht über die 29. Versammlung des Deutschen Vereins für öffent¬
liche Gesundheitspflege in Danzig vom 14. —17. Sept. 1904.
Von Dr. Pröbsting in Cöln.
Säuglingssterblichkeit und ihre Bekämpfung. Ein Beitrag von Dr.
Schlegtendal, Regierungs- und Medizinalrat in Aachen . .
Wohnungsfrage und Volkskrankheiten. Nachtrag zu dem Bericht
über den I. allg. Wohnungskongress in Frankfurt a. M. (Schil-
ling-Cöln).
Staubversengung bezw. Zersetzung auf Heizkörpern. Von Herbst,
städt. Heizungsingenieur in Cöln.
III. Jahresbericht der Heilstätte Holsterhausen bei Werden-Ruhr
für 1904. Erstattet von Dr. med. F. Köhler, Chefarzt . . .
XIV. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter - Wohlfahrts - Ein¬
richtungen am 5. u. 6. Juni 1905 in Hamm-W. (Aus dem offi¬
ziellen Bericht).
Bericht über die 6. Jahresversammlung des allgemeinen deutschen
Vereins für Schulgesundheitspflege in Stuttgart vom 14. und
15. Juni 1905. Von Dr. Jos. Boden in Cöln.
Das preussische Gesetz, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krank¬
heiten. Von Landesrat Schmedding (Münster), Mitglied des
Hauses der Abgeordneten.
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Zweiter Jahresbericht (1904) des Versorgungshauses für Mütter und
Säuglinge zu Solingen-Haan. (Leiter Dr. Paul Selter, Solingen.)
Zugleich ein Beitrag zur Hygiene des Keuchhustens und des
Ammenwesens von Dr. Walther Nebel, ehern. Assistenzarzt.
(Mit 2 Belegungsplänen). t .309
Über den Umfang der Säuglingssterblichkeit in der Stadt Dortmund.
(Studie aus dem städtischen Statistischen Amt.) Von Dr. August
Busch. Mit 6 Abbildungen.333
Bericht über die 30. Versammlung des Deutschen Vereins für Öffent¬
liche Gesundheitspflege in Mannheim vom 13.—16. September
1905. Von Dr. Pröbsting in Cöln.360
Kleinere Mitteilungen.
Bekämpfung der Kindersterblichkeit im Reg.-Bez. Aachen .... 54
Das Säuglingsheim zu Dresden. 60
Der erste Allgemeine Deutsche Wohnungskongress. 65
Die öffentliche Gesundheitspflege in Gelsenkirchen. 68
Die Beziehungen zwischen Schulbank und Klassenraum (J. St.) . 126
Zur Beseitigung des Strassenkehrichts und der Hausabfälle (J. St.) 128
Gesundheitsstatistik im Grossherzogtum Hessen (Kruse) . . . . 166
Grossstadthöfe (Encke-Cöln).167
Der Verein zur Bekämpfung der Volkskrankheiten im Ruhrkohlen¬
gebiet .169
Hygienisches Weihwasserbecken (Heim) ..170
X. Internationaler Kongress gegen den Alkoholismus.171
Dreissigste Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Ge¬
sundheitspflege .171
Anstellung eines ärztlichen Beigeordneten in Cöln.267
Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege.267
Die Walderholungsstätte der Stadt M.-Gladbach. Mit 2 Abbildungen
(Schaefer).394
Zur Müllbeseitigung. Mit Abbildung (Poppe-Kirchberg i. Sachsen) 398
Literat urbericht.
Nickel, Die Gesundheitspflege auf dem Lande (Schneider-Arns-
berg). 74
von Lindheim, Saluti aegrorum. Aufgabe und Bedeutung der
Krankenpflege im modernen Staat (H och haus -Cöln) .... 75
Hecker, Verleihanstalten von Gegenständen zur Krankenpflege
(Schneider-Arnsberg). 76
Hoffmann, Ein neues Klär verfahren für städtische Abwässer mit
gleichzeitiger Fettgewinnung (Grosse-Bohle-Cöln) .... 76
Tja den, Hygienisch-bakteriologische Untersuchungsstellen in den
Städten (Grosse-Bohle-Cöln). 77
Hey mann, Statistische und ethnographische Beiträge zur Frage
über die Beziehungen zwischen Säuglingsernährung und Lungen¬
schwindsucht (Weischer-Rosbach a. d. Sieg). 77
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Speck, Die Beziehung der Säuglingsernährung zur Entstehung der
Lungentuberkulose (Weiseher-Rosbach a. d. Sieg). 78
Grub er, Tuberkulose und Wohnungsnot (Weiseher-Rosbach
a. d. Sieg). 79
Noetel, Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker
(Weise her-Rosbach a. d. Sieg). 79
. Pfeiffer, 20. Jahresbericht über die Fortschritte und Leistungen
auf dem Gebiete der Hygiene (Nauck-Hattingen).131
Prausnitz, Grundzüge der Hygiene (N au ck-Hattingen) . . . . 131
Senator u. Kamin er, Krankheiten und Ehe (Schn ei der-Breslau) 132
Weber, Die Verhütung des frühen Alters (Pelman).134
Hoff mann, Berufswahl und Nervenleiden (Pelman).134
Kowalewski, Studien zur Psychologie des Pessimismus (Pelman) 135
Ruth Br&, Staatskinder oder Mutterrecht (S eit er-Solingen) . . . 136
Fürst, Die Gesundheitspflege der Mädchen vor und nach der Schul¬
zeit (Blumberger-Cöln).136
Berger, Die Schularztfrage für höhere Lehranstalten (Selter-
Solingen) .137
Stadelmann, Schwachbeanlagte Kinder, ihre Förderung und Be¬
handlung (Branden berg-Cöln).137
Twistei, Wasser-, Luft- und Kraft Versorgung kleiner Städte
(Schultze-Bonn).137
Nussbaum, Die Schutzmittel gegen aufsteigende Feuchtigkeit und
Schlagregen (Schultze-Bonn).139
Schlegtendal u. Peren, Der Unterleibstyphus und seine Be¬
kämpfung (Schlegten dal-Aachen).139
Pi stör, Die Verbreitung des Typhus in Preussen während des Jahr¬
zehnts 1892—1901 (Naue k-Hattingen).143
Gärtner, Leitfaden der Hygiene (Bliesener-Berlin).172
Schottelius, Bakterien, Infektionskrankheiten und deren Be¬
kämpfung (Bliesener-Berlin).172
v. ßaumgarten u. Tangl, Jahresbericht über die Fortschritte in
der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen umfassend
Bakterien, Pilze und Protozoen (Bleibtreu-Cöln).173
Anweisungen des Bundesrats nebst den preussischen Ausführungs¬
bestimmungen zur Bekämpfung des Aussatzes, der Cholera, des
Fleckfiebers, der Pest, der Pocken (Schneider-Breslau) . . . 173
Kluczenko, Das französische Gesetz vom 15.Februar 1902 betreffend
die Förderung der öffentlichen Gesundheit (Bliesener-Berlin) 174
Bloch, Die hygienischen Fortschritte der Stadt Beuthen (Ober¬
schlesien) innerhalb des letzten Dezenniums (Nauck-Hattingen) 176
Schniening, Krieg und Frieden (Graessner-Cöln).177
Bauer, Der Zug nach der Stadt u. die Stadterweiterung (J.Stübben) 177
Haase, Gesundheitswidrige Wohnungen (J. St.).178
Nussbauin, Der Hof des Wohnhauses (Grosse-Bohle-Cöln) . . 178
Ficker, Über die Aufnahme von Bakterien durch den Respirations¬
apparat (Mastbaum-Cöln).179
Lehmann, Experimentelle Studien über den Einfluss technisch und
hygienisch wichtiger Gase und Dämpfe auf den Organismus
(Mastbaum-Cöln). 179
Stich, Eine neue Methode zur Bestimmung des Luftstaubes und
ihre Verwendung zur Prüfung eines neuen Wasserspreng-
apparates (Nauck-Hattingen).180
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Herghaus, Der „Vacuumreiniger“, ein Apparat zur staubfreien
Reinigung- der Wohnr&ume (Mastba um-Cöln).
Kisskalt, Eine neue Methode zur Bestimmung der sichtbaren Ver¬
unreinigung von Fluss- und Abwasser (Grosse-Bo hie-Cöln) .
Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheits¬
pflege (Doutrelepont-Cöln).
Kotelmann, Schulgesundheitspflege (Brehmer-Solingen) . . .
Wevgandt, Beitrag zur Lehre von den psychischen Epidemien
(Pelm an).
Müller, Mein System (Cramer-Cöln).
Vierordt, Die Säuglingsabteilung, Säuglingsambulanz und Milch¬
küche der Luisen-Heilanstalt (Kinderklinik) zu Heidelberg (N e-
b e 1-Solingen-Haan).
Aigre, La „Goutte de lait“ et les „Cousultations de nourrissons“
de Boulogne-sur Mer (Schneider-Breslau).
Albrand, Die Kostordnung an Heil- und Pflegeanstalten (Bleib-
treu-Cöln).
Long-P reu sse, Praktische Anleitung zur Trichinenschau (Küh nau)
Mosnv, La nocivitE des huitres et l’insalubrite des Etablissements
ostrEicoles (Schneider-Breslau).
Bö hm er t u. Me inert, Die Alkoholfrage (Fuchs-Cöln).
Czaplewski, Über Versuche mit einer hygienischen Geschirrspül¬
maschine (Nauck-Hattingen) . .
Lewaschew, Über Vorrichtungen zur raschen Entwicklung von
Formalindämpfen zur Desinfektion (Czaplewski-Cöln) . . .
Lewaschew, Über die Gefahr, welche einige zur Entwickelung
von Formalindämpfen vorgeschlagenen Apparate bieten (Cza¬
ple wski-Cöln) .
Brun8, Versuche zur Frage der Desinfektion bei Ankylostomiasis
(Bliesener-Berlin).
Tenholt, Über Anchvlostomiasis mit besonderer Berücksichtigung
der Loosschen Lehre über die Einwanderung der Larven durch
die Haut (Bliesener-Berlin).
Martin i,Sy niptome,Wesen u. Behandlung d. Malaria (Blei b tr eu-Cöln)
Recueil des actes officiels et documents, interessant 1’hygiEne pu¬
blique (Creutz-Eupen).
Müller, Vorlesungen über Infektion und Immunität (Kr.) ....
Sperling, Gesundheit und Lebensglück. Ärztlicher Ratgeber für
Gesunde und Kranke (Dreyer-Cöln).
Weise, Militär- und Volkshygiene (Grässuer-Cöln).
Schmidt, Physiologie der Leibesübungen (Kr.).
Wolf, Die Einwirkung verunreinigter Flüsse auf das im Ufergebiet
derselben sich bewegende Grundwasser (Czaplewski-Cöln)
Schubert, Das Schularztwesen in Deutschland (Bermbach-Cöln)
Bauer, Schulgesundheitspflege (Bermba ch-Cöln).
Brandeis, Beiträge zur Erzieliungshygieue (Siegert-Cöln) . . .
Meder. Das Säuglingskrankenhaus als wichtiger Faktor zur wirk¬
samen Bekämpfung der hohen Säuglingssterblichkeit (Siegert-
Cöln).
Manchot, Die Milchküche der St. Gertrud-Gemeindepflege in Ham¬
burg (Siegert-Cöln)..
Eberths, Ein Beitrag zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit
(Selter Solingen)..
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Wesen er, Die Resultate der prophylaktischen Impfung mit Diph¬
therieheilserum im städtischen Mariahilf-Krnnkenhaus zu Aacheu
(Dreyer-Cöln).281
Roepke u. Huss, Untersuchungen über die Möglichkeit der Über¬
tragung von Krankheitserregern durch den gemeinsamen Abend¬
mahlskelch nebst Bemerkungen über die Wahrscheinlichkeit
solcher Übertragung und Vorschlägen zu ihrer Vermeidung
(Dreyer-Cöln).282
Vogel, Die wehrpflichtige Jugend Bayerns (Graessner-Cöln) . . 321
Abelsdorff, Die Wehrfähigkeit zweier Generationen mit Rücksicht
auf Herkunft und Beruf (Graessner-Cöln).321
Rommel, Zur Leistungsfähigkeit der weiblichen Brustdrüse (Die-
trich-Cöln).322
Kümmel, Die progressive Zahnkaries in Schule und Heer und die
zahnhygienischen Aufgaben der Sanitätsbehörden im Interesse
der Volkswirtschaft (Graessner-Cöln).323
Runge, Der Krebs der Gebärmutter (Dietrich-Cöln).323
A. Wolpert und H. Wolpert, Die Heizung (Herbst-Cöln) . . . 324
Heim, Der Reinheitszustand künstlicher und natürlicher Mineral¬
wässer (Grosse-B oh le-Cöln) .325
Renk, Untersuchungen u. Gutachten, betreffend den Einfluss der Stadt
Dresden auf die Beschaffenheit der Elbe [Grosse-Bohle*Cöln) 326
Kochschinieder, Wärmetechnische Ausnutzung und Vergasung
der Abfallstoffe (Gr osse-B oh le-Cöln).326
Renk, Die Verwendung schwefligsaurer Salze zur angeblichen Kon¬
servierung von Fleisch (Grosse-Bohle-Cöln).327
Kirstein, Leitfaden für Desinfektoren in Frage und Antwort
(Grosse-Bohle-Cöln).327
Vivaldi u. Rodella, Die Austerninfektionen (Gr osse-Bohle-Cöln) 328
Dörfler, Zur Verhütung des Puerperalfiebers (Dietrich-Cöln) . . 328
Schürer von Waldheim, Ignaz Philipp Semmelweis, sein Leben
und Wirken (Dietrich-Cöln).32b
Brennecke, Reform des Hebammenwesens oder Reform der ge¬
burtshilflichen Ordnung? (Dietrich-Cöln).330
Weyl, Zur Geschichte der sozialen Hygiene (Herbst-Barmen) . . 400
Weyl, Assanierung (Herbst-Barmen).401
Schmedding, Die Gesetze betreffend Bekämpfung ansteckender
Krankheiten (Sch.) ..402
Weyl, Die Abwehr gemeingefährl. Krankheiten (H er bst-Barmen) 403
Nussbaum, Auf welche Weise lässt sich rasche Austrocknung und
dauernde Trockenerhaltung der Gebäude erzielen? (Schultze-
Bonn). 404
Krüss, Beleuchtungsmesser (Selter-Bonn).405
Schneider, Zur Schulbankfrage (Selter-Bonn).406
Seiffert, Säuglingssterblichkeit, Volkskonstitution und National¬
vermögen (Spiegel-Solingen-Haan).406
v. Oh len, Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit durch öffent¬
liche Organe und private Wohltätigkeit mittels Beschaffung
einwandfreier Kindermilch unter spezieller Berücksichtigung
Hamburger Verhältnisse (Mastbaum-Cöln).407
Seligmann, Das Verhalten der Kuhmilch zu fuchsinschwefliger
Säure und ein Nachweis des Fonnalins in der Milch (Mast¬
baum-Cöln) . d07
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Beerwald und Brauer, Das Turnen im Hause (Cramer*Cöln) . 408
Hermann, Handbuch der Bewegungsspiele für Mädchen (Cramer-
Cöln) .408
Marcinowski, Im Kampf um gesunde Nerven (Kühlwetter) . . 408
Schüle, Über die Frage des Heiratens von früher Geisteskranken
(Fuchs-Cöln).411
Stier, Die Bedeutung der Nerven- und Geisteskrankheiten in der
Armee im Lichte der Sanitätsstatistik (Graessner-Cöln) . . . 414
Grotjahn, Der Alkoholismus (Her bst-Barmen).414
v. Schnitzer, Beiträge z. Zahnfrage in der Armee (Graessner-Cöln) 415
Engels, Einige Versuche zur Wohnungsdesinfektion für stationären
und transportablen Gebrauch (Selter-Bonn).416
Prinzing*, Die Verbreitung der Tuberkulose in den europäischen
Staaten (Mastbaum-Cöln).416
Brault, Contribution k l’Etude de la Tuberculose chez les Indi-
genes, Musulmans d’Algerie (Weiseher-Rosbach/Sieg) . . . 417
Thorn, Betrachtungen und Beiträge zur Frage der Tuberkulose¬
ansteckung unter Eheleuten (Weischer-Rosbach/Sieg) . . . 417
B o eg, Über erbliche Disposition z. Lungenphthisis ((M a s t b au m-Cöln) 418
Huss, Die desinfektorische Wirkung des Formalins auf tuberkel¬
bazillenhaltigen Lungenaaswurf (Seiter-Bonn).418
Lembke, Eine Typhusepidemie im Kreise Kreuznach (Selter-Bonn) 410
Richter, Etwas über „Typhushäuser“ u. „Typhushöfe“ (Selter-Bonn) 410
Friedel, Typhushäuser (Selter-Bonn).420
Richter, Erwiderung (Se 1 ter -Bonn). 420*
Dührssen. Influenza und Handkuss (Krautwig-Cöln) .... 421
Georgii, Über die vermeidbaren Impfschäden (Seit er-Bonn) . . 421
Hermanides, Bekämpfung der ansteckenden Geschlechtskrank¬
heiten als Volksseuche (Zinsser-Cöln).422
Bett mann, Die ärztliche Überwachung der Prostituierten (Zinsser-
Cöln) . 423
Grosse, Schutzmittel gegen Geschlechtskrankheiten (Zinsser-Cöln) 423
Kirchner, Die Verbreitung der Lepra in Deutschland und den
deutschen Schutzgebieten (Bleib t reu-Cöln).424
Di e min ge r, Beiträge zur Bekämpfung der Ankylostomiasis (Bleib-
treu-Cöln).424
Schaudinn, Über die Einwanderung der Ankylostomalarven von
der Haut aus (Bruns-Gelsenkirchen).425
Thorn, Vorschläge zur Besserung der Frühdiagnose des Krebses
im Regierungsbezirk Magdeburg (Weischer-Rosbach/Sieg) . 425
Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen Bücher etc. 80
144. 198. 284. 331. 426
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4 1 -
Die Cölner Kläranlage.
Von
Stadtbaurat Steuernagel.
Wie bereits in dem Aufsatz „Die Sedimentierung der suspen¬
dierten organischen Substanzen des Kanalwassers und ihr Einfluss
auf die mechanische Klärung in Flachbecken“ im Jahrgang J903
dieser Zeitschrift mitgeteilt, war nach längeren Verhandlungen derStadt
Cöln durch Ministerialerlass aufgegeben worden, ihre Kanalwässer vor
Einleitung in den Rhein einem gründlichen Reinigungsverfahren zu
unterziehen. Die Reinigung sollte auf mechanischem Wege in Sedi-
mentierbecken erfolgen und war nach damaligem Stande der Wissen¬
schaft vorgeschrieben worden, dass sämtliches abfliessende Wasser
Siebe passieren muss, um alle treibenden Körper abzufangen, sowie
dass, um ein ausreichendes Absetzen der suspendierten Stoffe zu
erreichen, die Durchflussgeschwindigkeit in den Becken nicht mehr
als 4 mm betragen darf.
Für Ausführung der Siebanlage wurde von der Stadt Cöln um
Ausstand gebeten, da vorerst die Menge und Beschaffenheit der
Schwimm- und Schwebestoffe beim Cölner Kanalwasser festgestellt
werden sollte, da diese bei den Abwässern der einzelnen Städte
erfahrungsmässig recht verschieden ist.
Bezüglich der Klärgeschwindigkeit erhoben sich gegen das
Mass von 4 mm, welches etwa 10 Becken von 8 m Breite, 2 m mittlerer
Tiefe und 45 m Länge erfordert hätte, bedeutende Bedenken, zumal
über den Kläreffekt bei verschiedener Durchflussgeschwindigkeit
damals noch keine eingehenden Untersuchungen Vorlagen. Nach¬
dem auch Professor Dr. Carl Fraenkel in einem Gutachten der Auf¬
fassung der Stadt Cöln beigetreten war und sich dahin ausgesprochen
hatte, dass bei den Cölner Vorflutverhältnissen mindestens 50 °/ 0 der sus¬
pendierten organischen Stoffe abgefangen werden müssten, erklärte
sich die Königl. Regierung damit einverstanden, dass vorläufig nur
eines der in Aussicht genommenen Klärbecken angelegt und an
demselben systematisch Versuche über den Kläreffekt bei verschiedener
Geschwindigkeit ausgeführt würden.
Centralblatt f. all*. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 1
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Nachdem das Probeklärbecken erbaut 1 ), sind unter der Ober¬
leitung des Verfassers eine Reibe von Untersuchungen teils chemischer
Natur von Herrn Dr. Grosse-Bohle, teils technischer Natur voi
Herrn Ingenieur Schaefer vom Tiefbauamt ausgeführt worden. Als
wichtigste Ergebnisse sind die folgenden zu verzeichnen:
Beschaffenheit der Cölner Kanalwässer.
Dieselben enthalten verhältnismässig wenig suspendierte Sub¬
stanzen. Während beispielsweise die Menge derselben im Liter be¬
trägt: in Paris 1515 mg, in Frankfurt 1300 mg, in London 614 mg,
in Danzig 600 mg, in Berlin 1084 mg, in Breslau 405 mg, in Halle
594 mg, in Dortmund 430 mg, beträgt dieselbe in Cöln nur 303 mg.
Die Cölner Kanalwässer können daher als verhältnismässig
nur wenig verunreinigt bezeichnet werden.
Die Schwankungen der Verunreinigung waren während der
einzelnen Tageszeiten ziemlich bemerkbar. Es waren an suspen¬
dierten organischen Substanzen in dem durch Siebe grob vorge¬
reinigten Wasser im Liter enthalten: in den Morgenwässern 311 mg,
den Abendwässern 219 mg und in den Nachtwässern nur 56 mg,
Nach den Versuchen enthalten die geklärten Tageswässer durch¬
schnittlich noch 88 mg an suspendierten Stoffen.
Hieraus darf der Schluss gezogen werden, dass es keinen
Zweck hat die Nachtwässer durch die Kläranlage zu schicken,
sondern dass es sich vielmehr empfiehlt, dieselben direkt in den Rhein
abzuleiten.
Der Kläreffekt bei verschiedener Durchfluss¬
geschwindigkeit im Klärbecken.
Die hierüber vorgenommenen Untersuchungen sind im Jahr
gang 1903 d. Bl. ausführlich beschrieben wordeu und wird darauf
verwiesen. Es mögen hier nun die Hauptergebnisse kurz angeführt
werden, welche in nachstehender Tabelle zusammengestellt sind:
Durchfluss¬
geschwindig¬
keit
Abnahme der suspendierten organischen Bestandteile in %
nach der
Klärung
mit Abzug der
Nachstunden J
1 desgl. nach Abzug der
[ nach 12 Stunden nicht
sedimentierten Stoffe
4 mm
70,90
72,31
88,30
20 ,
68,09
69,08
88,06
40 .
57,90
58,90
80,29
77 ”
41,00
42,00
66,27
l ) Vergl. Zeichnung im Jahrgang 1903, S. 270 d. Bl.
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3
Man ersieht hieraus in erster Linie, dass der Kläreffekt im
Cölner Becken ein sehr günstiger ist. Es wird dieses der Becken¬
form zugeschrieben, welche zu Anfang des Beckens einen Schlamm¬
sumpf und nach dem Ablauf zu eine steigende Beckensohle auf¬
weist. Der Kläreffekt zwischen 4 mm und 20 mm Durchfluss-
geschwindigkeit schwankt nur wenig, er differiert nur um 72,31
—69,08=3,23 °/ 0 , während letztere Geschwindigkeit das fünffache
der ersteren beträgt. Bei der zehnfachen Geschwindigkeit, also bei
40 mm ist der Kläreffekt nur um 72,31—58,90= 13,41 °/ 0 geringer.
Da die Durcbflussgeschwindigkcit in umgekehrtem Verhältnis zu
dem erforderlichen Beckenquerschnitt steht, so sieht man, welche
Ersparnis eintritt wenn man mit grossen Geschwindigkeiten
arbeiten kann, weil die Querschnitte bezw. die Becken alsdann
entsprechend kleiner werden. Nach dem Fraenkelschen Gutachten
war eine Mindestleistung von 50 °/ 0 der organischen suspendierten
Stoffe verlaugt worden. Da bei einer Durchflussgeschwindigkeit
von 40 mm im Cölner Becken noch ein Kläreffekt von 58,90 °/ 0 er¬
zielt wird, so reicht also das „eine“ Probebecken selbst bei mehr¬
tägigem Betriebe vollständig zur Klärung aus, zumal hierbei die
Wirkung der provisorischen Siebanlage noch nicht in Rechnung
gesetzt ist.
Da ferner während der sechs Nachtstunden das Kanalwasser
ohne Schaden direkt nach dem Rhein geführt werden soll, so kann
während dieser Zeit die Beckenreiuigung vorgenoramen werden und
ist somit vorläufig auch kein zwingender Grund für Anlage eines
Reservebeckens vorhanden.
DieMenge und Beschaffenheit des bei verschiedener
Du rchf lussgeschwindigkeit gewonnenen Klärschlammes.
Es ergaben sich auf 1000 cbm Kanalwasser an dünnflüssigem Schlamm
bei 4 mm Durchflussgeschwindigkeit etwa 4,04 cbm
v ,, ,, ,, 2,4 < ,,
v dO ,, ,, ,, 1,84 ,,
Bezüglich des Wassergehaltes und der Trockensubstanz:
Wasser in °/ 0 Trockensubstanz in °/ 0
bei 4 mm Durchflussgeschw. 95,57 4,43
„ 20 „ „ 92,87 7,13
„ 40 „ „ 91,34 8,66.
Hieraus geht hervor, dass erstens die Schlammmenge, ohne
wesentliche Erhöhung des Kläreffekts, bei kleinerer Durchfluss¬
geschwindigkeit sich sehr vermehrt und dass zweitens der Schlamm
einen viel höheren Wassergehalt hat wie bei Klärung mit grosser
Geschwindigkeit. Es sind dieses Faktoren, welche für den Betrieb
der Anlage, und die Drainierung und Unterbringung des Schlammes
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4
und damit auch für die Höhe der Betriebskosten von allergrösster
Bedeutung sind. Es ist also auch nach dieser Richtung hin unter
allen Umständen eine grosse Geschwindigkeit, selbst unter Berücksich¬
tigung der kleinen Einbusse im Kläreffekt, einer kleinen Geschwindig¬
keit vorzuziehen.
Rh ein wasser unter Buchung en:
Es liegen hierfür die nachstehenden Ergebnisse vor:
1. Es beträgt die Wassermenge des Rheins bei dem abnorm
niedern Stand von 1,00 m Cöl. Pegel pro Sekunde 783 cbm.
2. Die durchschnittliche Kanalwassermenge pro Sekunde 0,637 cbm.
3. Somit das Yerdtinnungsverhältnis des Kanalwassers zum Rbein-
0,637 1
wasser 783 - 123() -
4.
Der Gesamtrückstand
für Rheinw.
für Kanalw,
im Mittel der Versuche
im
Liter
274 mg
1195 mg
5.
die ges. susp. Substanzen
r>
TI
35 „
305 „
6.
„ „ gelösten „
TI
TI
239 „
892 ,,
7.
„ org. suspend. „
TI
7J
3,5 „
215 B
8.
„ „ gelösten „
T)
n
40,5 „
230 „
Es berechnet sich aus diesen Zahlen, wenn man den „abnorm
niedern 41 Rheinstand von 1.00 m Cöln P. und die für „Mittelwasser 4 ^
gefundenen Werte zugrunde legt:
9.
Der Gesamtrtickstand pro
Sekunde
für Rheinw.
für Kanalw.
274.1000.783 ]
1000.1000 ~~ i
214,54 kg
0,76 kg.
1195.1000.0,637
1000.1000
10.
Die ges. susp. Substanzen pro Sekunde
27,40 „
0,193 „
11.
„ „ gelösten „
1J
77
187,14 „
0,568 „
12.
„ „org. susp. „
TI
77
2,74 „
0,137 „
13.
„ „ org. gel. „
71
77
31,73 „
0,147 „
Nach Egger, Notizblatt des Vereins für Erdkunde 1885, Heft 6
u. s. w. führt der Rhein bei „Hochwasser“ 249,0 mg Schwebestoffe
und 246,0 mg gelöste Stoffe, zusammen also 495 mg.
Nach Salomon, Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und
öffentliches Sanitätswesen 1901, 21, Supplement enthielt der Rhein
bei gemitteltem Niederwasser bei Koblenz durchschnittlich 53,0 mg
an suspendierten Substanzen.
Die Hauptresultate dieser Berechnungen sind in nachstehender
Tabelle übersichtlich zusammengestellt:
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5
! Mengen pro Sekunde in kg
Verunreinigungs¬
verhältnis
Rhein-
und Kanalwasser
Ges.
j Stoffe
1
Gel.
Stoffe
Susp.
Stoffe
Org.
susp.
Stoffe
1 Ges.
| Stoffe
Susp.
Stoffe
Org.
susp.
Stoffe
l
Kanalwasser....
0,76
0,568
0,193
1
0,137
1/837
1/3300
1/4652
.Rheinwasser.
Rheinw. nach Ein¬
leitung des Kanal¬
214,54
187,14
27.40
2,74
1/3649
1/28571
1/285710
wassers .
Rbeinniederwasser
215,30
187,71
27,59
2,88
1/3637
1/28400
1/272124
nach Salomon....
Rheinhochwasser
—
—
41,50
—
—
1/18868
—
nach Egger.
387,59
192,62
194,97
—
i 1/2020
1/4016
—
Unter Verunreinigungsverhältnis ist dabei das Verhältnis der
Menge der in dem Wasser enthaltenen betreffenden Stoffe zur
Wassermenge verstanden.
Aus vorstehenden Angaben ersieht man in erster Linie unter 3,
dass das Verdüunungsverhältnis von V1230 e ^ n ausserordentlich
günstiges ist. Ferner geht daraus hervor, dass die im Kanalwasser ent¬
haltenen Mengen an verunreinigenden Substanzen (0,76—0,568—0,193
und 0,137 kg) zu den im normalen .Rheinwasser bereits vor find liehen'
Stoffen (214,54—187,14—27,40 und 2,74 kg) geradezu verschwindend
gering sind, sowie dass bei steigendem Rhein, welcher fast immer
durch Regenfälle verursacht wird, insbesondere aber bei Hochwasser
(387,59—192,62 und 194,97 kg) noch eine ganz bedeutend höhere
Verunreinigung eintritt. Wenn auch der Gehalt an gelösten Stoffen
auf das Liter berechnet, sich ziemlich gleich bleibt, so weisen nach
den vorgenommenen Untersuchungen die suspendierten Stoffe doch
Schwankungen von 14 bis 81 mg oder pro Sekunde von 10,96 bis
63,42 kg auf, wogegen die im Kanalwasser berechnete Menge von
0,193 kg verschwindend klein ist.
Das Verunreinigungsverhältnis bezüglich der Gesamtstoffe steigt
nach der Einleitung der Kanalwässer von 1 / 8649 auf i l 56S1 ; die Steige¬
rung ist also verschwindend gering. Es darf somit wohl der Schluss
gezogen werden, dass durch die Einleitung der „ungeklärten“ Cölner
Kanalwässer in den Strom keine nennenswerte Verschlechterung des
Wassers eintritt und, dass die dadurch bewirkte Verunreinigung
gegen diejenige, welche durch Regenfälle verursacht wird, erheblich
zurticktritt.
Mit Rücksicht darauf, dass die Verhältnisse nach der beab¬
sichtigten Klärung der Kanalwässer noch erheblich günstiger werden,
liegen m. E. die Bedenken einer Einleitung der Cölner Kanalwässer
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6
in den Rhein weniger in der chemischen Verunreinigung des letzteren
durch die eingeftihrten Schmutzstoffe und der Gefahr einer schädlichen
Sedimentierung, als vielmehr in der physikalischen Beschaffenheit
eines Teiles derselben, nämlich der Schwimm- und Schwebestoffe.
Diese bilden meistens die gröberen Stoffe, haben ein festes Gefüge
und fallen dadurch weniger leicht und rasch der Zersetzung anheim
als die fein zerteilten suspendierten Stoffe. Sie schwimmen auf der
Oberfläche oder doch in der Nähe derselben und können daher
auf ihrem langen Wege, welchen sie zu Wasser zurücklegen, an
das Land getrieben werden und unter Umständen belästigende An-
landungen an flachen Uferstelleu herbeiführen. M. E. ist es daher
Ptlicht der Gemeinde, diesem Übelstande auf alle Fälle vorzubeugen,
zumal dieses durch geeignete Siebvorrichtungen, ohne Hervorrufung
gesundheitlicher Bedenken, mit erschwingbaren Mitteln zu ermög¬
lichen ist.
Die Reinigung der Siebe und die Beseitigung der Schmutz
Stoffe wird sich möglichst auf automatischem Wege vollziehen müssen.
Das Quantum der abgefangenen Siebstoffe wird kleiner sein als
dasjenige des verwässerten Klärbeckenschlammes und es wird da¬
bei vor allen Dingen erreicht, dass die Stoffe nicht verwässert
sind, dadurch viel weniger schnell der Zersetzung anheimfallen, ein
geringeres Volumen bieten und sich leichter transportfähig erweisen,
so dass nicht nur finanzielle, sondern auch wesentlich gesundheitliche
Vorteile erzielt werden. M. E. wird daher auch fürCöln eine Sieb-
anlage mit 3 mm Gitterabstand unter Fortfall der Klärbeckenreini
gung vollständig ausreichen.
Vorstehende Ergebnisse sind von mir in einem umfangreichen
Berichte zusammengefasst und derselbe mit einer grossen Reihe
Tabellen über die Versuchsergebnisse sowie den nötigen Plänen ver¬
sehen worden. Dieser Bericht ist auf Anordnung der Königlichen
Regierung der Königlichen Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasser¬
versorgung und Abwässerbeseitiguug zu Berlin zur gutachtlichen
Äusserung zugestellt worden, ln dem Gutachten derselben erklärte
sich die Anstalt im allgemeinen mit den Ausführungen einverstanden.
Einige Unklarheiten und kleine Unvollständigkeiten des Berichtes,
worauf die Prüfungsanstalt aufmerksam machte und wofür ich
derselben besten Dank sage, sind nachträglich noch ergänzt worden.
Der Bericht nebst allen Anlagen ist in ganzer Ausführlichkeit
in den Mitteilungen der Königlichen Prüfungsanstalt für Wasserver¬
sorgung und Abwässerbeseitigung Heft 4 von 1894 veröffentlicht
worden. Derselbe ist sodann der Staatsregierung mit nachstehendem
Anträge unterbreitet worden:
„Unter Aufgabe der Beekenklärung wird beantragt, für Cöln
eine Reinigung zuzulassen, welche nach Abscheidung der groben
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7
Sinkstoffe eine Entfernung der Schwimm- und Schwebestoffe bis zu
3 mm Grösse durch geeignete Siebanlagen erreicht und bis zur Aus¬
führung dieser, die heute bestehende provisorische Siebanlage mit
einem Klärbecken] mit der Massgabe zum definitiven Betriebe zuzu
lassen, dass die Kanalwässer während der sechs Nachtstunden direkt
nach dem Rhein abgelassen werden können, um während dieser Zeit
eine Reinigung des Beckens zu ermöglichen.“
Durch Erlass des Herrn Regierungspräsidenten ist mit Ermächti¬
gung der betreffenden Herren Minister der Stadt eröffnet worden,
dass mit Bezug auf den Bericht und die darin zum Ausdruck gelangten
Ausführungen der Stadt die einstweilige Genehmigung ihrer Anträge
unter der Voraussetzung erteilt wird, dass der Betrieb der Kläranlage
und die Einwirkung der Kanalwässer auf den Rhein einer fort¬
dauernden hygienisch sachverständigen Beaufsichtigung unterstellt und
die Ergebnisse regelmässigmitgeteilt werden. Auch wird noch besonders
darauf hingewiesen, dass die Stadt verpflichtet ist, falls sich infolge
einer etwaigen unzureichenden Wirkung der Reinigungseinrichtungen
Missstände ergeben, die zur Abstellung erforderlichen Massnahmen
nach der Bestimmung der Aufsichtsbehörde auszuftihren.
Die Stadt Cöln kann mit dem Ausgang der seit langen Jahren
schwebenden Klärfrage zufrieden sein, denn dank den Fortschritten
der Wissenschaft, welche von den Staatsbehörden in vollem Masse bei
den Verhandlungen gewürdigt wurden, sind derselben durch die
Verringerung der ursprünglich nötig gewesenen zehn Klärbecken
auf ein Becken, sowohl an Bau- wie auch Betriebskosten ganz
namhafte Beträge erspart geblieben.
Bis zum nächsten Sommer wird die Siebanlage, für welche
die Mittel schon bereit gestellt sind, beendet und damit die Klärung
der Cölner Kanalwässer geregelt sein.
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Hygienische Neuigkeiten
von der Weltausstellung in St. Louis.
Von
Dr. med. Gustav Heim.
Nur Deutschland hat in St Louis eine Hygiene-Ausstellung*
geschaffen, welche diesen Namen verdient. Dieselbe wurde ver¬
anstaltet vom Kaiserlichen Gesundheitsamte zum grossem
Teil aus Modellen, Zeichnungen und Statistiken, welche deutsche
Städte nebst Erläuterung geschickt hatten, und im Palast der freien
Künste untergebracht. Doch hat sie noch Erweiterung erfahren, eben¬
falls durch das Gesundheitsamt, durch eine Sammelausstellung für
Seuchenbekämpfung (Bakteriologie und experimentelle Therapie)
in der grossartigen medizinischen Abteilung der vom preussischen
Ministerium veranstalteten Unterrichtsausstellung und durch ein
Laboratorium für Untersuchung von Lebensmitteln und Gebrauchs¬
gegenständen im Landwirtschaftsgebäude.
Der emsigen Tätigkeit des Herrn Regierungsrates Dr. med.
Breger vom Reichsgesundheitsamt gelang es, die zahlreichen Karten,
Bilder und Modelle zwischen dem von grünem Weinlaub umrankten
und von goldigen schweren Fruchtkolben gekrönten blauen Gebälk
zu einem eindruckvollen Gesamtbilde zu vereinigen. In dem an
jeder Längsseite von zwei kleineren Abschlägen flankierten Haupt¬
saal wurden zum Ruhm deutscher Wissenschaft die Brouzebüsten
des grossen Bakteriologen Robert Koch und des Altmeisters der
Hygiene Max v. Pettenkofer auf gestellt.
Durch die Ausstellung hat man den Amerikanern, die in vielen
hygienischen Einrichtungen noch sehr im Rückstände sind, Auf¬
schluss gegeben über Wasserversorgung, Kanalisation, Strassen-
reinigung, Vernichtung von Tierkadavern, Desinfektion, Lungen¬
heilstätten, Bäder, Volksbelehrung über Gesundheitspflege, ferner
über Krankheits- und Sterblichkeitsverhältnisse Deutschlands durch
mannigfache geometrische Körper aus Holz, die entweder durch
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9
ihre Grösse oder durch aufgeklebte farbige Streifen die statistischen
Zahlen vorstellen. Bemerkenswerte Neuheiten seien im folgenden
mitgeteilt.
Sterilisierung des Wassers durch Ozon zum Ersätze der
Filtration bei Wasserleitungen hat die Firma Siemens & Halske
(Berlin) als ganz neue Methode vorgeführt. Die Anlage besteht
hauptsächlich aus einer Maschinenhalle mit Dampfmaschinen, elek¬
trischen Maschinen, Wasserpumpen und Gebläsen, dem Ozon-
apparatenraum mit den beiden Batterien von je 24 Ozonapparaten,
in welchen das Ozon durch elektrische Entladungen aus dem Sauer¬
stoff der Luft gebildet wird, und dem Sterilisationsraum. Dieser
enthält zwei Reihen von je vier Sterilisationstürmen, in welchen das
nach unten rieselnde Wasser durch innige Berührung mit der nach
oben streichenden Ozonluft gereinigt und sterilisiert wird und dann
einem Sammelbassin zufliesst. Nach übereinstimmendem Gutachten
Sachverständiger vernichtet das Ozon sämtliche etwa im Wasser
vorhandenen Keime des Typhus, der Cholera und der Ruhr und
vermindert die harmlosen Wasserbakterien mehr als andere Wasser¬
werke. In Wiesbaden, Schierstein und Paderborn hat dieses Ver¬
fahren bereits Anwendung gefunden.
Ein tragbarer Wassersterilisator.
In manchen Fällen, z. B. bei Truppenexpeditionen, besonders
in den Tropen, wobei oft nur ganz unreines Wasser zur Verfügung
steht, kann der tragbare Wassersterilisator von Rietschel und
Henneberg (Berlin-Dresden) zur Bereitung keimfreien Wassers
zum Trinken oder zu chirurgischen Zwecken von grossem Werte
sein. In einem Sterisilierkessel mit Feuerungsvorrichtung wird das
Wasser durch Erhitzen auf 105° sterilisiert, dann durch Filtration
geklärt und in einem Kühler abgekühlt, aus dem es etwa 3° wärmer
hervorgeht, als es den Apparat betreten hat. Schon nach */ 4 Stunde
ist das erste kalte Trinkwasser fertig. Der Apparat wiegt 45 kg,
kann leicht von zwei Leuten ganz oder geteilt getragen werden
und liefert etwa 70 1 Wasser iu der Stunde.
Doppelfiltration
hat Bremen durch Modell und Zeichuung demonstriert. Ist ein
Filter von der Schlammschicht, deren Bildung zur genügenden
Feinheit der Filtratiou nötig war, gereinigt oder mit neuem Sand
gefüllt worden, so ist bekanntlich das durchgelaufene Wasser bis
zur Bildung einer solchen neuen Schicht unbrauchbar. In Bremen
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10
wird daun der Ablauf eines solchen Filters zum Reinwasserkeller
gesperrt, und durch einem Heber, welcher vorher durch eine auf
ihm angebrachte Strahlpumpe mittels Druckwassers luftleer gemacht
wurde, fliesst nun das Wasser von jenem Filter zunächst auf eines
der benachbarten, noch eine Schlammschicht tragenden, welches so
vorübergehend als Nachfilter dient. Weil man also das erste Filtrat
nicht unbenutzt ablaufen zu lassen braucht, werden so erhebliche
Ersparnisse erzielt. Auch bei Hochwasser wird diese Doppelfiltration
benutzt, indem bei Beginn des Anschwellens die Filter mit geringeren
Druckhöhen, als die voraussichtlich schlechter arbeitenden, zu Nach¬
filtern gemacht werden.
Doppelberieselung der Rieselfeder
ist als neuester Fortschritt der Ausnutzung und Reinigung des
Kanalinhaltes erschienen. Da das auf den Feldern abfiltrierte Wasser
noch Stickstoff und Kohlenstoff, welche für Pflanzenernährung be¬
sonders wichtig sind, aufgelöst enthält, wird es aus dem Sammel
graben über ein zweites ebenfalls drainiertes Feld, meist eine Wiese,
geschickt und dann erst in den Fluss entlassen.
Apparate für Abdeckereien.
ln den Abdeckereien werden bekanntlich an ansteckenden
Krankheiten gestorbene Tiere und mit Infektionsstoff behaftete
Organe kranker Tiere in eisernen Zylindern durch hochgespannten
heissen Dampf desinfiziert und ganz zerstört, wobei Fett, Leimstoff,
Tiermehl und Dünger gewonnen werden, welche, wie z. B. in
Dresden, die Kosten des Betriebes und die Amortisation des Anlage¬
kapitals decken. Um zu vermeiden, dass jene Produkte beim Ein¬
fuhren in den horizontalen Zylinder, wobei z. B. Blut umherspritzen
kann oder Teile auf den Boden fallen können, wiederum infiziert
werden, hat die Aktien-M asch inen bau-Anstalt vormals Venuleth
& Ellenberger in Darmstadt den Zylinder in die Wand ein¬
gebaut, welche den Apparatenraum von dem Schlachtraum trennt,
so dass die Kadaver in letzterem in den Zylinder geschoben werden,
ohne mit ersterem, in welchem die Produkte aus dem Zylinder
gelangen, in Berührung zu kommen. Aus gleichem Grunde ist im
Schlachtraum eine Grube angebracht zum Sammeln des beim
Schlachten gebrauchten Spülwassers, welches durch ein Rohr eben¬
falls durch jene Wand in den Verdampfer geleitet und in diesem
durch Eindampfen unschädlich gemacht wird. Damit der Zer¬
störungs-Prozess der Kadaver ohne Unterbrechung weiter gehen
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11
kann, findet das Trocknen des Breies nicht in demselben Zylinder,,
sondern in besonderem Apparat statt, wodurch angeblich in derselben
Zeit das doppelte Rohmaterial verarbeitet und die Arbeitsdauer auf
die Hälfte reduziert wird. Weil nach Versuchen im tierphysio¬
logischen Institut der kgl. landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin
die Leimbrühe des Futtermehls (Tiermehls) überreizende
Wirkung auf die Verdauungsorgane der Tiere haben soll,
kann in diesem Apparate dasselbe ohne Leimbrühe verarbeitet
werden. Der aus den Rückständen mit der Leimbrühe gewonnene
Dünger ist wertvoll. Er kostet 8—11 Mk. für 100 kg und
enthält 9°/ 0 Stickstoff, 2°/ 0 Phosphorsäure, 2°/ 0 Kali. Der Kohleu-
verbrauch wird dadurch erheblich reduziert, dass der durch Ein¬
dampfen des Spülwassers (s. o.) und Eindickung der Leimbrühe
gewonnene Dampf zum Kochen, Trocknen und Absaugen der Gase
gebraucht wird und der kondensierte Dampf (Kondeuswasser) wieder
in den Dampfkessel geführt wird. Der Dampfverlust ist so
gering, dass bei manchen Chargen überhaupt kein Zusatzwasser
und bei ununterbrochenem Betriebe solches nur einige Male täglich
notwendig ist. Die schwersten Grossviehkadaver können unzerteilt
verarbeitet werden.
Für kleine Abdeckereien liefern Rietschel & Henneberg
(Berlin) einen einfachen und billigen Apparat (System Bertoldi).
Die Tierteile werden in einem, durch Deckel geschlossenen Kessel
ohne Druck gekocht, die übel riechenden Gase durch ein Rohr
unter den Rost der Feuerung geleitet, wo sie verbrannt werden und
dann durch den Rauchfang abziehen. Das abgeschiedene Fett wird
durch eingelassenes Wasser nach oben gedrängt und fliesst durch
einen Hahn ab.
R. A. Hartmann (Berlin) hat Heizmaterial dadurch erspart,
dass er keinen Dampf auf die Kadaverteile leitet, sondern durch
Erhitzung in geschlossenem Kessel deren Eigenwasser zu ihrer
Zerlegung in Dampf verwandelt, also nach dem Prinzip des
Papinschen Topfes.
In die Wand gemauerter Desinfektionsapparat.
0. Schimmel & Co. in Chemnitz haben den horizontalen
Zylinder des Desinfektionsapparates in die Wand, welche
zwei Zimmer trennt, eingemauert. In einem Zimmer werden die
Gegenstände in den Zylinder geschoben, darin durch heissen Dampf
desinfiziert und dann in das andere Zimmer ausgeladen. So ist
verhindert, dass dieselben gleich nach der Desinfektion wieder
infiziert werden.
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12
Papiertaschentücher, verbrennbare Spnckfläschen
und Spucknäpfe aus Pappe hat Flügge (Breslau) ausgestellt und
auch Anleitung zur Anfertigung derselben nebst vier Blechschablonen
gegeben.
Schulzahnärzte.
Eine kleine Broschüre des Privatdozenten Dr. Jessen in
Strassburg berichtet über Gründung einer Zahnpoliklinik für
Elementarschuler in einem Gebäude der dortigen Universität,
zu deren Einrichtung 1902 der Gemeinderat 2500 Mk., ferner
2400 Mk. für einen Assistenten und 150 Mk. für Heizung, Be¬
leuchtung und Wasser bewilligt hat.
Ein gesundes Gebiss hatten: ' Von allen Zähnen waren krank:
von 4000 Schulk. nur 104 ( bei den Knaben 30,55°/ o
u. zwar „ 2000 Knaben „ 62 „ „ Mädchen 31,97°/ 0
„ 2000 Mädchen „ 42 I
Es wurden (15. Okt. 1902—1. Aug. 1903)
im I. Jahre: im II. Jahre:
untersucht . 5343 2451 Kinder
behandelt . . 2666 1744 „
mit .... 699 1911 Füllungen
und .... 2912 2066 Extraktionen
Im zweiten Zeitraum, wo die Einrichtung vervollständigt und
der Andrang weniger gross war, hat sich also die konservative
Behandlung ganz bedeutend vermehrt. Jessen hatte ausser Zahn¬
ärzten für die Schule auch solche für das Heer ver¬
langt. Hier wären sie noch wichtiger, da die Soldaten an Stelle
ihrer faulen Zähne nicht, wie die Kinder, wieder neue bekommen.
Zu den bekannten mannigfachen Nachteilen schlechter Gebisse
möchte ich noch die Möglichkeit anführen, dass bei starken chro¬
nischen Fäulnisprozessen in der Mundhöhle Giftstoffe (Ptomaine)
durch Einatmung und durch Aufsaugung in Mund und Magen ins
Blut gelangen und die Gesundheit in verschiedener Art schädigen.
Milchverbrauch in deutschen Städten.
Aus einigen Tabellen und Karten habe ich darüber folgendes
zusammengestellt:
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13
pro
Stadt-
i
Zufuhr durch
in
Kopf
im ganzen
Pro¬
duktion wagen
Bahn Schiff
Freiburg i.
Augsburg
Br.
181,2
178,7
%
%
7o
°/o
Lübeck
168,1
Frankfurt a. M.
162,9
1902: 50 169 000
8,7
33,1
58,2
Stuttgart
156,7
1901: 28 835 000
5,7
46,6
47,7
Hamburg
137,5
1902: 103 000 000
4,5
39,9
44,4
11,£
München
131,1
„ 66 969 000
7,1
33,9
59,0
Bremen
125,0
s 23 615 000
55,6
18,6
25,8
Bonn
U20.9
„ 6 409 000
37,6
50,3
12,1
Mainz
110,4
„ 9 775 000
0,6
35,8
63,6
Posen
108,5
13 125 000
4,9
79,5
15,6
Düsseldorf
108,2
Berlin
106,5
1903: 255 664 000
17,4
10.2
72,4
Dresden
105,9
1902: 55 704 000
3,3
25,4
70,6
0,7
Königsberg
102,6
Köln
102,0
„ 41975 000
88,9
34,0
33,1
2,6
Dortmund
98,3
Breslau
97,3
1903: 44 074 000
2,4
69,9
07 7
Münster i. W.
92,4
Elberfeld
90,4
1901: 15 535 000
24,4
49,6
26,0
Gera
86,9
1902: 4 086 000
1,7
47,2
51,1
Mülheim a.
Rhein
81,3
i
Magdeburg
80,2
1903: 19 097 000
9,5
25,0
65,5
Essen
73,3
1902: 13 703 000
5,0
49,7
45,4
Duisburg
Mylowitz i.
O.-S.
71.3
55.4
i i
Demgemäss bestehen im Milchkonsum unter den deutschen
Städten erstaunliche Unterschiede, indem einige durch¬
schnittlich pro Kopf fast das 2—3 fache davon verbrauchen
als andere. Dass dies nicht immer in der Wohlhabenheit der Be¬
völkerung begründet ist, beweist Cöln, welches sich eines tüchtigen
Mittelstandes erfreut und das vornehme Bonn, welches doch gewiss
weniger Arme hat als Hamburg. Auch der Stand der Viehzucht
und Landesgewohnheiten, wie Zubereitung von Speisen, spielen eine
Rolle. Auffallend ist die fast gänzlich fortfallende Zufuhr durch
Schiff und die grosse Verschiedenheit der Stadtproduktionen.
Während Bremen 55,6 °/ 0 , Cöln 33,9 °/ 0 und Berlin 17,4 °/ 0 seines
Milchkonsums selbst erzeugt, produziert das kleine Gera nur 1,7 °/ 0
und Mainz 0,6 °/ 0 also fast gar keine Milch. In Berlin geschieht
die Stadtproduktion der Milch vorwiegend durch die Meierei von
Bolle, die grösste Deutschlands.
Kehrapparat fürs Haus mit Staubfänger.
Bissels Ideal Sweeper, welchen eine amerikanische
Firma ausstellte, ist eine sehr praktische Erfindung zur staubfreien
trocknen Reinigung des Fussbodens, namentlich, wenn derselbe mit
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14
Teppich belegt ist. Er ist ein auf Rädchen bewegliches Kästchen,
welches oben den in einem Charnier beweglichen „Besenstiel“, unten
in einem Ausschnitt eine Bürstenwalze trägt. Längs dieser ist es
beiderseitig offen, so dass der Staub durch die Bürste hinein¬
geschleudert wird. Durch einfachen Mechanismus öffnen sich unten
Klappen, durch welche der Staub als zusammenhängende Masse
herausfällt. In dem Hotel, wo ich wohnte, sah ich den Apparat
gut funktionieren.
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Bericht
über die am 29. Oktober 1904 in M.-Gladbach
in der Kaiser - Friedrich - Halle stattgehabten
General-Versammlung des Niederrheinischen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege,
erstattet vom
Geheimen Sanitätsrat Prof. Dr. Lent in Cöln.
Der Vorsitzende, Landesrat Dr. Brandts, eröffnet die gut
besuchte Versammlung, begrüsste dieselbe und dankte für die
freundliche Einladung der Stadt und für ihre Gastfreundschaft, und
erteilte dem Herrn Oberbürgermeister Piecq das Wort. Derselbe
sprach dem Verein den Dank der Stadt aus, dass er zum Ort seiner
Beratungen M.-Gladbach gewählt habe. Die Stadt habe bis jetzt
mehrere Wohlfahrtseinrichtungen geschaffen, die die Anwesenden
zu besichtigen Gelegenheit haben werden. Zur allgemeinen Be¬
sichtigung sei die Kaiser-Friedrichs-Halle in welcher wir teigen, die
Badeanstalt, Milchsterilisierungsanstalt, Nahrungsmitteluntersuchungs-
amt empfohlen; die Badeanstalt sei in fünf Minuten mit der Strassen-
bahn zn erreichen; die übrigen vorgenannten Anstalten liegen in
unmittelbarer Nähe der Badeanstalt. Alsdann Besichtigung nach
Wahl, zu der sich Führer gern zur Verfügung stellten. Er wünschte,
dass die Beratungen von den besten Erfolgen begleitet sein mögen.
Der Vorsitzende dankte für die freundlichen Begrüssungsworte
und empfahl die möglichste Kürze der auf die später folgenden Vor¬
träge sich etwa entspinnenden Debatten, um dadurch die nötige Zeit
für die Besichtigungen der verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen zu
gewinnen.
Der ständige Geschäftsführer Geh. Rat. Prof. Dr. Lent trägt
folgendes vor:
Bei dem Umfange und der Wichtigkeit der heutigen Tages¬
ordnung und bei der liebenswürdigen Einladung des Herrn Ober¬
bürgermeisters zu mehrfachen Besichtigungen werde ich mir erlauben,
nur wenige Bemerkungen aus dem Geschäftsbericht zu machen.
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16
Leider ist unsere Mitgliederzahl für das Jahr 1903 wieder
um etwa 70 Mitglieder zurtickgegangen und es ist meine Pflicht, die
Herren Geschäftsführer und Sie alle, m. H., zu bitten, für einen aus¬
gleichenden Zuwachs des Einzelmitgliederbestandes dringend z»
bitten. Die Stadt- und Landgemeinden 82, bezw. 29 sind uns treu
geblieben.
Die Verteilung der Mitglieder auf die Regierungsbezirke un¬
serer westlichen Provinzen ist folgende:
Regierungs¬
bezirk
IHQj
Stadt¬
gemeinden
Land¬
gemeinden
1902
1903
1902
1903
Minden.
23
20
2
2
_
Münster ....
22
19
2
2
—
Arnsberg...
182
174
19
19
7
7
Düsseldorf .
496
467
36
36
15
15
Abg. Gemeinde Beeck
eingemeindet
Zugang Gemeinde
Hohenemmerieh
Aachen ....
74
70
5
5
—
—
Cöln.
282
264
8
8
3
3
Koblenz....
70
69
6
6
2
2
Trier.
37
34
2
2
2
1
Abgang Püttlingen
Kassel.
6
5
i
1
—
—
Wiesbaden .
28
25
i j
1
—
—
Auswärtige.
20
25
I
—
—
Zusammen
1240
1172
82
82
29
28
1901
1311
1900
1358
1899
1416
1898
1490
i
Das Central bl att für allgemeine Gesundheitspflege ist regel¬
mässig erschienen und hat eine Fülle anregender Aufsätze und Be¬
richte gebracht.
Die Bibliothek hat fortlaufende Vermehrung erfahren; eine
neue Folge des Katalogs macht sich notwendig.
Dem Verein zur Gründung einer Nervenheilstätte
haben wir die Summe von 500 Mk. zugesandt.
Auf den verschiedenen hygienischen Kongressen haben wir
uns vertreten lassen, so auf der 28. Versammlung des deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Dresden durch Herrn
Dr. Pröbsting. Auf dem 1. internat. Kongress für Schulhygiene
in Nürnberg hat Herr Schularzt Dr. Schulte-Cöln uns Bericht
erstattet. Auf der 6. Generalversammlung des Rheinischen Vereins
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17
zur Förderung des Arbeiter-Wohnungswesens vertrat uns Herr
I)r. Pröbsting.
Ich darf jetzt wohl sofort den Kassenbericht anschliessen, den
unser Herr Schatzmeister mir übergeben hat. Derselbe lautet:
Die Kechnungsrevisoren Herren Dr. med. Schneider, Schrörs
und Kramer-Crefeld haben den Kassenabschluss für 1903 geprüft
und mit den Belägen stimmend gefunden.
Der Kassenbestand betrug Ende 1903 . . Mk. 21 103,40
Derjenige Ende 1902 .„ 21 795,81
Der Reservefonds hat sich daher um . . . Mk. 692,41
gegen das Vorjahr verringert. Dieser Betrag ist ein Teil der ausser
gewöhnlichen Ausgabe durch Bewilligung von 500 Mk. Beitrag zur
Errichtung von Nervenheilstätten in der Rheinprovinz und 100 Mk.
für das R. Virchow-Denkmal.
Der Etat für 1903 wurde in der Generalversammlung vom
11. Oktober 1902 wie folgt festgestellt:
a) Einnahme an Beiträgen etc.Mk. 10 000,—
b) Zuschuss aus dem Reservefonds ... „ 1 500,—
Summa Mk. 11 500.—
Die Einnahmen betrugen.Mk. 9 835,67
verausgabt wurden.„ 10 528,08
mithin obige Mehrausgabe von.Mk. 692,41
oder nach Anrechnung des bewilligten Zuschusses
aus dem Reservefonds von.Mk. 1 500,—
eine Minderausgabe von.Mk. 807,59
Die Ausgaben, auf die verschiedenen Titel verteilt, betrugen
ira Berichtsjahre:
a) Bibliothek
nach dem Anschläge.Mk. 1000,—
verausgabt.„ 914,59
weniger Mk. 85,41
b) Bureaukosten
nach dem Anschläge.Mk. 700,—
verausgabt.„ 690,40
weniger Mk. 9,60
c) Geschäftsunkosten
nach dem Anschläge.Mk. 400,—
verausgabt.„ 352,59
weniger Mk. 47,41
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 2
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18
d)
Druck statistischer Formulare
nach dem Anschläge . . .
....
Mk.
100,—
verausgabt.
. . . .
40,50
weniger
Mk.
59,50
e)
Druck des Centralblattes
nach dem Anschläge . . .
....
Mk. 8000,—
verausgabt.
. . . .
r >
7870,—
weniger
Mk.
130,—
n
ausserordentliche Ausgaben
nach dem Anschläge . . .
....
Mk.
800,—
verausgabt.
. . .
71
659,35
weniger
Mk.
140,05
Deii Etat für 1905 erlaube ich mir vorzuschlagen:
I. E i n n a h m e n :
a) Beiträge etc.Mk. 9 600,—
b) Zuschuss aus dem Reservefonds „ 1 000,—
Summa Mk. 10 600,—
1[. Ausgabe n:
a) Bibliothek.Mk. 1 000,—
b) Bureau koste n.„ 700,—
c) Geschäftsunkosten.„ 400,—
d) Druck statistischer Formulare . „ 100,—
c) Druck des Centralblattes . . „ 8 000,-
f) Ausserordentliche Ausgaben . „ 400,—
Summa Mk. 10 600,—
Das Wort zu diesem Bericht wird nicht verlangt; die Ent¬
lastung zur Rechnung für 1908 wird erteilt und der Etat für 1905
genehmigt.
An Stelle der ausscheidenden Mitglieder und für die Bildung
des Vorstandes überhaupt, werden vorgeschlagen die Herren:
Landesrat Dr. Brandts, die Oberbürgermeister Wippermann und
Pi ecq (Verwaltungsfach), Stadtbaurat Sc hu 11ze, S t euernage 1,
Winchenbach (Baufach), Pröbsting, lvruse und Selter (Ärzte¬
schaft).
Der Vorsitzende konstatiert die Annahme des Vorschlages.
Als Rechmingsrevisoren für das Jahr 1905 werden die bis¬
herigen Herren Dr. Dr. Schneider, Clären und Schrörs in
Crefeld durch Zuruf wiedergewählt.
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19
Geheimrat Dr. Le nt teilte sodann mit, dass in den letzten
Jahren die Vergiftungen durch Pilze stark zugenommen haben. Das
kaiserliche Gesundheitsamt hat sich infolgedessen veranlasst gesehen,
^in Pilzmerkblatt herauszugeben, um das Volk über essbare und
giftige Pilze aufzuklären. Es ist die weiteste Verbreitung dieses
Merkblattes zu wünschen. Der Verein habe sich eine Anzahl dieser
Blätter verschafft, dieselben werden unter die Anwesenden verteilt.
Professor Dr. Kr u se kommt auf das im Vorjahre in Anregung
gebrachte Preisausschreiben betreffend eine Abhaudlung über die
beste Säuglings-Ernährung zurück und beantragt iu Gemeinschaft
-mit Dr. Selter dieses Preisausschreiben zu veranlassen. Es wurde
beschlossen, diese Angelegenheit dem Vorstände zur Erledigung zu
überweisen.
Über Schwimmhallen und Brausebäder.
Vortrag des Stadtbaurats Schultze-Bonn.
Aus unscheinbarem Samenkorn ist die öffentliche Gesundheits¬
pflege seit 30 Jahren zu einem mächtigen Baum erwachsen, der
weitverzweigt unser ganzes Land überschattet, der seiner Früchte
reiche Fülle glcichmässig jedem unserer Bürger, dem reichen, wie
dem armen austeilt, dessen fernere Pflege, dessen Blühen und Ge¬
deihen eine unschätzbare Gewähr für die kraftvolle Fortentwicklung
und den Fortbestand unseres Volkes bildet. Stetig haben sich seit¬
dem die Aufgaben der Gesundheitspflege, nachdem sie alle Ver¬
hältnisse des Lebens durchdrungen haben, verbreitert und vertieft:
iius dem grossen allgemeinen Kreise schieden sich mit der Zeit
Unterabteilungen aus, die unter besonderer Pflege einzelner Zweige
des grossen Baumes nun mit vermehrter Arbeit, mit erhöhtem Inter¬
esse und mit grösseren Mitteln sichtbare und in die Augen springende
Fortschritte auf ihren Sondergebieten zu erringen suchen. Das Ge¬
biet der Körperpflege und der Körperreinigung durch das Bad
wurde bis vor kurzem im Wesentlichen in den Gesamtvereinen für
öffentliche Gesundheitspflege behandelt. Seit einigen Jahren haben
mehrere Vereinigungen diesem Soudergebiet eingehende Fürsorge
gewidmet, in erster Linie die seit fünf Jahren bestehende Gesell¬
schaft für Volksbäder, welche hervorgerufen durch die Tatkraft
des um die Sache des öffentlichen Badewesens hochverdienten
Prof. Lassar in regem Meinungsaustausch, sowie durch Veröffent¬
lichungen, Preisausschreiben und Wanderversammlungen eifrig be¬
strebt ist, die Verbreitung der Körperpflege durch Bäder im Lande
zu fördern und zu verallgemeinern.
Auf dem gleichen Gebiete ist gerade unser Niederrheinischer
Verein seit dem Beginn seines Bestehens hervorragend tätig gc-
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20
wesen. Es ist seiner Wirksamkeit und Mithtilfe doch zweifellos
zu verdanken, dass nach der Statistik des Dr. Hirschberg vom
Jahre 1900 der fünfte Teil aller damals in Preussen bestehenden
Schwimmbassins allein auf den Reg.-Bez. Düsseldorf entfiel, und
dass die Zahl dieser grösseren Stadtbäder seit jener Zeit in der
Rheinprovinz erfreulicherweise in weiterer rascher Steigerung be¬
griffen ist.
Aber auch dem Brausebade hat unser Verein seit langen
Jahren seine Aufmerksamkeit zugewendet: er ist bereits vor zwölf
Jahren bestrebt gewesen, durch Bekanntgabe von Bauausführungen
und Betriebsergebnissen solcher Bäder, mit deren Sammlung der
Verfasser beauftragt war, für ihre Verbreitung und Einbürgerung
zu sorgen, so dass nach der gleichen Statistik von 1900 auch hierin
der Reg.-Bez. Düsseldorf an der Spitze stand und eine um mehr
als das Doppelte höhere Zahl von Brausebädern als irgend ein
anderer Reg.-Bez. Preussens besass.
So haben sich denn doch bedeutendere Erfahrungen über
Zweckmässigkeit, Anlage und Betrieb beider Arten von Bädern in
unserm rheinischen Bezirk herausgestellt, und es ist von gewissem
Interesse, diese mit den Anschauungen und Zielen, welche die
deutsche Gesellschaft für Volksbäder verfolgt, zu vergleichen. Wenn¬
gleich nicht in Sondervereinen erörtert, haben doch alle einschlägi¬
gen Fragen in vielen unserer städtischen Körperschaften recht häufig
eingehende und sachgemässe Behandlung gefunden.
Bei der Übersicht der Veröffentlichungen jener Gesellschaft
drängt sich die Beobachtung auf, dass bei hoher Wertschätzung
der Brausebäder, und obgleich es auch nicht an warmen Befür¬
wortungen der Schwimmbäder gefehlt hat, doch sich fast von An¬
fang an in ihrem Schosse gegen die Schaffung von bedeckten
Schwimmhallen Bedenken, Zweifel und Widerstand schliesslich fast
bis zur förmlichen Ablehnung erhoben haben. Wiederholt machte
u. a. Baurat Herzberg auf die Notwendigkeit einer Individual¬
statistik für die Hallenschwimmbäder aufmerksam, aus welcher zu
ersehen sei, ob nicht die teuren Schwimmhallen — lediglich von
einer kleinen Zahl von Besuchern sehr häufig benutzt — so zu einer
Vergnügungsanstalt einzelner junger Leute würden, für welche die
Aufwendung öffentlicher Mittel ungerechtfertigt sei. Man solle daher
mit der Anlage von Schwimmbädern, besonders in den grossen
Städten noch so lange warten, bis die Ergebnisse dieser Statistik
einmal bekannt seien.
Auch Professor Lassar scheint dem Schwimmbade nur geringe
Neigung entgegen zu bringen.
Er rät in seinen Vorträgen über die Bäderfrage u. a. der
Stadt Kiel das Brausebad ohne Schwimmbad als das einzig richtige
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>9391
— 21 —
System für ein Volksbad an, er meint bei gleicher Gelegenheit in
Hamm, man solle auf ein grosses Schwimmbassin ganz verzichten,
über dessen Wert in gedeckten Hallen man sehr geteilter Meinung
sei, er spricht in Danzig von den Schwimmbädern als Luxusbedtirf-
nissen höchster Art, vou den prachtvollen und monumentalen Bauten,
die sie erfordern. Am entschiedensten kommt Stadtbaurat Peters
(Magdeburg) in seinem diesjährigen Vortrage in Kassel: Brause¬
oder Schwimmbad? — einige Worte über die Ziele unserer Ge¬
sellschaft — fast zur Ablehnung der Schwimmhallen mit folgenden
Schlusssätzen :
1. Die aus kommunalen Mitteln zu errichtenden Badeanstalten
sollen in erster Linie nur für Brausebäder, allenfalls mit Wannen¬
bädern versehen, eingerichtet sein.
2. Die Herstellung kostspieliger Hallenbäder bleibt besser der
Privatindustrie — abgesehen von grossen leistungsfähigen Gemeinden
und Aktiengesellschaften — überlassen.
3. Es ist unzweifelhaft, dass die auf solche Weise für Brause¬
bäder aufgewendeten öffentlichen Mittel am meisten der badebedürf-
tigen Bevölkerung zugute kommen.
4. Für die Verwaltung der Städte sind Schwimmbäder keine
unbedingte Notwendigkeit, jedoch wünschenswert; wohl aber sind
Brausebäder im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege unent¬
behrlich! Darum haben wir uns weise auf solche beschränkt und
tun gut daran.“
Mit diesen Sätzen werden unsere 22 niederrheinischen Städte,
die sich bei zum Teil recht kleiner Einwohnerzahl schon mit
Schwimmhallen versorgt haben, beinahe auf die Verschwenderliste
gesetzt, und es fehlt nun nur noch seitens der Aufsichtsbehörde
einer der jetzt in aller Munde befindlichen Eingriffe in die städtische
Selbstverwaltung, um uns in unnützen Ausgaben Zügel anzulegen.
Mag man immerhin den Einfluss solcher einseitigen Darlegungen
nicht überschätzen, so sind doch auch mehrfache deutliche An¬
zeichen vorhanden und in den Versammlungen zum Ausdruck ge¬
kommen, dass dies unter der Autorität einer solchen Gesellschaft
stehende Vorgehen keineswegs vorteilhaft für die Sache der Körper¬
pflege gewesen ist, indem gute Vorsätze Grösseres zu leisten unter
den kleineren Vorschlägen verkümmert sind.
Es dürfte daher, wenn ich auch wohl weiss, dass ich vielen
meiner rheinischen Mitbürger dam?t Neue» sa^en kann,ydQc^
von allgemeinerem Interesse sein, den Weft und die Zweckmässig¬
keit der verschiedenen Badeformen ausg^ffend ven deu bei uns im
Allgemeinen anerkannten Gesichtspunkten r Vergleichsweise^ ^nochmals
7.vl erörtern, um zu einer unbefangenen Wttrdi’gdng'beider,* und zu
der Überzeugung zu gelangen, dass beide* in verschiedener Weise
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dem gleichen Zwecke dienend sich gegenseitig zu helfen und zu¬
ergänzen, nicht aber zu bekämpfen haben.
Als erster und wichtigster Gesichtspunkt in dieser Frage muss
selbstverständlich der hygienische Wert der Schwimm- und
Brausebäder erachtet werden.
Das Brausebad ist ein Reinigungs- und Erfrischungsbad, welche«
die Hautnerven durch die auffallenden Wasserstrahlen in wohltuender
Weise erregt und seinem vorstehend begrenzten Zwecken in bester
Weise zu dienen vermag. Allerdings geschieht der Gebrauch des
Bades in geschlossener Zelle, und es gibt Fachmänner, die das
wirkliche Erfolgen der Körperreinigung in jedem Falle bezweifeln.
Die Benutzung von Brause und Waschbecken ist aber auch die
Voraussetzung der Benutzung des Schwimmbades; eine Schwimm¬
halle ohne dieses Zubehör ist geradezu als unzulässig zu bezeichnen.
Die Körperreinigung geschieht hier öffentlich und unter Über¬
wachung der Bademeister und der Badenden. Der gesundheitliche
Wert des Schwimmens selbst ist in der ärztlichen Literatur wieder¬
holt unter genauer Darlegung der physiologischen Vorgänge in der
eingehendsten Weise erörtert worden, es ist gekennzeichnet als treff¬
liches Mittel der Abhärtung, als mächtigster Erreger der wichtigsten
Lebeusorgane, an Herz, Atmung und Nerven, als ein körperliches
Erziehungsmittel der Jugend, das von keinem anderen übertroffen
wird. Besonders für die weibliche Jugend, der es an anderweitiger
zweckmässiger Gelegenheit zur Körperübung fehlt, sei das Schwimm¬
bad eine der vorzüglichsten Übungsstätten für die körperliche Ent¬
wicklung. Schwimmen und Tauchen fördern Mut, Beherztheit, Aus¬
dauer und Willenskraft, sie seien Bundesgenossen der Volkswohl¬
fahrt und Wehrkraft. Diesen zahlreichen medizinisch häufig ein¬
gehend begründeten Zeugnissen der Ärzte, die das Schwimmbad
als die Krone aller Bäder bezeichnen, weiss ich widersprechende
Äusserungen kaum entgegenzustellen. Um so wunderlicher, wenn
der ärztliche Vorsitzende der Gesellschaft für Volksbäder vom
Schwimmbad als einem „Luxusbedürfnisse höchster Art“ spricht,
dessen Erbauung in den reicheren Bezirken durch die Interessenten,,
die Liebhaber, die dafür begeisterten Personen erfolgen möge.
Die vor einigen Jahren mehrfach erörterte Frage einer An¬
steckungsgefahr in Schwimmbassins hat m. W. zu der Überzeugung
geführt, dass diese Gefahr.bpi. sorgfältigem Betriebe, bei ordnungs-
Kcfuig-öti^ iuid s}i(3nrn'stäpnr]iger Überwachung so gering,
• wie lit ii*gefld*eiIier*rneiiscWicl!en Einrichtung nur möglich ist. Pein-
liehe Onfhkng .•al>Vj’ isMtlie Voraussetzung nicht nur für das Ge¬
deihen derXsVhWnhmbätlcV, sondern jeder öffentlichen, besonders
jeder hygfel\S?cAeKj ^fiA’ichtung, z. B. der Krankenhäuser, Heil-
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- 23 —
glätten und vieler anderen, soll sich nicht ihr Segen in das Gegen¬
teil umvvandeln.
Neben dem hygienischen ist es ohne Zweifel auch der soziale
Wert der mit Schwimmhallen versehenen Stadtbäder gewesen, der auf
ihre Errichtung in unseren Städten von Einfluss war. Unzweifel¬
haft hat die Forderung der ausschliesslichen Errichtung von Volks¬
bädern hauptsächlich den Zweck, den Unbemittelten billige Bade¬
gelegenheit zu gewähren. Der Name der Volksbäder ist in diesem
Sinne den Brausebädern im Besonderen beigelegt, obgleich sich
nirgends herausgestellt hat, dass das Schwimmbad in gedeckten
Hallen für das Badebedürfnis grösserer Volksinassen etwa ungeeignet
sei: hat man doch in Cöln, Frankfurt, Hannover und Berlin gerade
auch Volksschwimmhallen zum besonderen Gebrauche der ärmeren
Volksklassen errichtet. Ich muss hier auf den beschämenden Miss¬
brauch aufmerksam machen, den wir mit Wörtern, wie Volk und
Arbeiter in Zusammensetzungen, wie Volksbad u. a. unbewusst
treiben, indem wir eine unbestimmt begrenzte Masse der ärmeren
Bevölkerung in Gegensatz zu den bürgerlichen, den gebildeten
und wohlhabenden Kreisen setzen, gleich als ob die letzteren gar
nicht mehr zum deutschen Volke gehörten und als ob auf die ehren¬
volle Bezeichnung eines Arbeiters nur die Handarbeiter Anspruch
hätten. Für diese unbedacht und künstlich in Gegensatz zu uns
gebrachten Volksmassen suchen wir dann besondere Wohlfahrts¬
einrichtungen zu schaffen, die ihnen ausschliesslich zu Gute kommen
sollen und trennen dadurch weiter die Unbemittelten und Lohn¬
arbeiter von den wohlhabenden Klassen, während alle unsere Mass¬
nahmen dahin zielen sollten, die öffentlichen Einrichtungen einer
Stadt so zu schaffen, dass alle Bürger in gleicher Weise an ihnen
Teil haben können. Die Erfahrung hat nun aber gelehrt, dass der
grösste Teil des Mittelstandes: die Gewerbtreibenden, Geschäfts¬
leute, die studierende Jugend u. a. sich im eigenen Hause keine
genügenden Badeeiurichtungen beschaffen kann, während ihnen das
Volks-Brausebad, welches nur von sog. kleinen Leuten aufgesucht
wird, nicht genügt, dass sie aber die besten und regelmässigsten
Besucher der Stadtbäder und Schwimmhallen sind und die Ertrags¬
fähigkeit dieser gemeinnützigen Anstalten zu sichern vermögen.
Unsere rheinischen Stadtgemeinden handelten daher ganz recht
daran, wenn sie bei Errichtung ihrer Badeanstalten in erster Linie
für die Gesamtheit ihrer Bürger sorgten, indem sie in ihren Schwimm¬
hallen dem Reichen, wie dem Armen das bieten, was sie sich im
eigenen Hause nicht leisten können, indem sie ferner die Orte der
öffentlichen Gesundheitspflege auch räumlich eindrucksvoll und er¬
hebend auf die Besucher wirken lassen und diese Stätten nicht
auf den Charakter reiner Bedürfnisanstalten beschränken.
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24
Für die Benutzung dieser Einrichtungen mag dann von den
Wohlhabenden höheres, von den Minderbemittelten geringeres Ent¬
gelt genommen werden, hierin hat sich ja eine genügend entwickelte
Praxis gebildet, welche die verschiedensten Anpassungen nach den
Eigentümlichkeiten der einzelnen Stadt möglich macht.
Wie schon erwähnt, hat man in einzelnen Städten besondere
Volksschwimmhallen erbaut, die zum Teil für den Massenbesuch
und einen volksmässigen Gebrauch besonders eingerichtet sind.
Hierzu gehört z. B. der Ersatz getrennter Auskleidezellen durch ge¬
meinsame offene Räume mit Bänken und kleinen Kleiderschränken.
Da muss sich also der etwa das Volksbad besuchende unbemittelte
Student offen neben dem von beschmutzender Arbeit kommenden Tage¬
löhner entkleiden, beide ihre ungelüfteten Kleider in das enge
Schränkchen schliessen. Noch peinlicher wird das Verfahren, wenn
es in gleicher Weise dem weiblichen Gesehlechte zugemutet wird.
Hier scheint mir das Volkstümliche bis zur Verletzung der Selbst¬
achtung der Besucher auf die Spitze getrieben und die Forderung
nach Einrichtungen, die allen Besuchern und allen Bürgern der
Stadt in gleicher Weise genügen können, erneut begründet. Nur
für Schüler sollte man die gemeinsamen Auskleideplätze in den
Schwimmhallen beibehalten.
Stets wird gegen die Schwimmhallen der Vorwurf ihres hohen
Preises, die Notwendigkeit für ihre Zwecke prachtvolle und monumen¬
tale Bauten zu schaffen, der angebliche Luxus ihrer Einzelheiten
wiederholt. Nun ist ja zunächst der Begriff dessen, was billig
und teuer ist, durchaus von den Verhältnissen jedes Einzelnen und
jedes Gemeinwesens abhängig und danach verschieden zu beurteilen.
Es kann wohl in der einen Stadt das ein Luxus sein, was einer
andern als würdige Ausstattung gilt. Die absolute Höhe der Bau¬
summe kann hier keinen zutreffenden Massstab abgeben. Selbst
der Erbauer des grössten deutschen Bades, des Müllerschen Volks¬
bades in München, nennt in seinem Bericht die 1650000 Mk. be¬
tragenden Kosten seines Werkes eine bescheidene Summe im Ver¬
gleich zur Grösse des Gebäudes und seinen hervorragenden bade¬
technischen Einrichtungen. Im allgemeinen erfordern alle Bade¬
anlagen wegen der steten vereinten Angriffe von Wasser und Wärme
eine durchaus gediegene Herstellung und nur der technische oder
Bade-Fachmann wird im Einzelnen ein zutreffendes Urteil darüber
haben, ob eine Einzelheit luxuriös ist oder nicht. Wer die tatsäch¬
lichen Kosten der verschiedenen Schwimmbäder fachmännisch nach
der Grösse und Ausstattung der Anstalten geprüft hat, wird sich
der Erkenntnis nicht verschlüsselt können, dass unsere Stadtbau¬
meister sich recht oft bei Wahrung von Zweckmässigkeit und Ge¬
diegenheit als wahre Meister in der Beschränkung gezeigt und damit
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25
der Sache der Gesundheitspflege mehr gedient haben als durch un¬
nötigen Kunstluxus und Ersparnisse am Notwendigen zu Gunsten
eines schönen Scheins.
Warum aber zeigt man denn gerade in der Gesellschaft für
Volksbäder so grosse Bedenken, ausreichende Mittel für Zwecke der
Körperpflege von den Städten zu fordern? Wir bauen Stadthallen,
Stadttheater, Museen, Bibliotheken, aufwandreiche Verwaltungs¬
gebäude und manches andere, was ebenso viel oder wenig Ertrag
bringt wie Schwimmhallen. Bei Einsicht von dem Nutzen öffent¬
licher Gesundheitspflege, bei gutem Willen und Beschränkung auf
das Zweckmässige und Notwendige lassen sich der Allgemeinheit
dienende öffentliche Badeanstalten recht wohl in die Zahl der¬
jenigen Anlagen einreihen, welche eine Stadt pflichtmässig für das
Wohl ihrer Bürger herzustellen hat. Längst hat eine ganze Reihe
unserer rheinischen Städte durch die Tat bewiesen, dass selbst für
kleinere Gemeinwesen von weniger als 10000 Einwohnern ein Stadt¬
bad mit Schwimmhalle keine unerschwinglichen Opfer fordert und
dankbar sei dabei besonders des Umstandes gedacht, dass der Ge¬
meinsinn und die werktätige Mithülfe der Bürger gerade bei diesen
Anstalten sich durch Beteiligung an der Schaffung der Mittel und
durch Schenkungen glänzend betätigt hat. Wenn dabei von anderer
Seite immer wieder die Frage der Rentabilität und der finanziellen
Ergebnisse solcher Anstalten in den Vordergrund gerückt wird, so
haben unsere rheinischen Stadtverwaltungen und Vertretungen darauf
die Antwort gegeben, dass Badeanstalteu als Wohlfahrts- und Ge¬
meinnützigkeitsanstalten, nicht als Erwerbsunternehmungen zu be¬
trachten seien. Man begnüge sich für den Anfang mit Deckung
der Betriebs- und Unterhaltungskosten und suche durch Anregung
zur häufigen Benutzung das Erträgnis im Laufe der Zeit zu bessern
und zu erhöhen.
Wer nun gar unsere 22 niederrheinischen Städte, welche
Schwimmbäder errichtet haben, etwa alle für grosse leistungsfähige
Gemeinden hält, die den Stadtgemeinden anderer Landesteile finanziell
so glänzend gegenüberständen, um sich Luxusausgaben für öffent¬
liche Badeanstalten zu gestatten, der irrt sehr: es ist lediglich die
höhere Auffassung von den Aufgaben der öffentlichen Gesundheits¬
pflege, die unsere Massnahmen bestimmt hat.
Wenn ich mich nun nach der kurzen Besprechung dessen,
was mir zur Zeit aus dem grossen Gebiete der Schwimmbäder er¬
wähnenswert erschien, den Brausebädern zu wende, so verkenne
ich den überaus grossen Dienst nicht, den ihre Erfindung und Ver¬
breitung der Sache der Körperflege und öffentlichen Gesundheits¬
pflege geleistet hat. Wir sehen jetzt auf eine zwanzigjährige Er¬
fahrung mit ihrem Betriebe zurück; manche auf sie gesetzte Hoff-
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ming hat sich als zu weitgehend erwiesen, manches andere Gebiet
dagegen haben sie erobert, dessen Besitznahme ihnen nicht an der
Wiege gesungen war. Der Hauptvorzug der Brausebäder besteht
in ihrer Kleinheit und Einfachheit, in ihrer Fähigkeit der Dezen¬
tralisation und ihrer leichten Verbindung mit anderen Baulich¬
keiten. An Orten und in Stadtgegenden, wo das Schwimmbad
keinerlei Aussicht auf Erfolg hat, ist das Brausebad in Verbindung
mit Wannenbädern der Pionier der Gesundheitspflege und die ge¬
eignete Aushtilfe als öffentliches Bad; fast in noch höherem Masse
ist es geeignet, sich als Zubehör allen möglichen Arbeitsbetrieben,
Wohn- und Sammelstätten der Menschen anzuschmiegen und hat
darin wohl seine Haupterfolge erzielt und seine beste Aussicht auf
ferneres segensreiches Gedeihen in der Zukunft. Als Kasernen-
und Schulbad, als Fabrikbad, als Reinigungsbad in zahlreichen
öffentlichen Betrieben: auf Bahnhöfen, in Gasanstalten, Schlacht¬
höfen, Asylen, Feuerwehrgebäuden, Arbeiterkolonien sollte es mit
allen Kräften gefördert und vermehrt werden. Hier kommen die
Vorzüge des geringen Raumgebrauchs, des billigen Betriebes, der
raschen Abfertigung in vollem Masse zur Geltung. In einer Reihe
von Arbeitsbetrieben, besonders solchen, welche mit erheblicherer
Beschmutzung des Körpers verbunden sind, liesse sich der Gebrauch
des Brausebades noch stark verallgemeinern, wenn die Arbeiter, wie
in den Bergwerksbetrieben, die Gewohnheit annähmen, besondere
Arbeitskleidung anzulegen und nach Feierabend beim Kleiderwechsel
das Brausebad so zu nehmen, dass es nur mit ganz unerheblichem
Zeitverlust verbunden wäre. Fast unbegrenzt ist die Verbindungs-
tähigkeit der Brausebäder mit anderen Bauanlagen: Turnhallen und
Feuerwehrgebäude, Desinfektionsanstalten und Strassenreinigungs-
anlagen, Volksbüchereien, Bedürfnisanstalten u. a. sind mit ihnen
eine mehr oder minder glückliche Ehe eingegangen.
Aber eines haben die Brausebäder noch nirgends vermocht
und werden sic nicht vermögen: nämlich das allgemeine Bade¬
bedürfnis einer grösseren Stadt in einer allen Bürgern genügenden
Weise ausschliesslich zu befriedigen. Die Brausebäder sind bei um¬
fangreicheren Anlagen in grösserer Häufung ihrer engen Zellen höchst
unübersichtlich: die Besucher drängen sich in die Gänge, um leere
Zellen zu suchen, die Zahl der Wartenden steigt oft in beängstigen¬
der Weise und macht es schwer, Ordnung zu halten. iStadtbaurat
Peters gibt in seinen eingehenden Vorträgen über die Brausebäder
die zweckmässige Zahl der in einer Anstalt zu vereinigenden
Brausezellen auf 25—30 an. Stellen Sie jetzt die Aufgabe, dass
in einer Grossstadt die Losung: „Jedem Deutschen wöchentlich ein
Bad“ ausschliesslich mit Brausebädern erfüllt werden solle, so würde
Berlin etwa auch — wie es in Tokio der Fall ist — 800 Bade-
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anstalteil erhalten müssen. Mein Yorstellungsvermögen reicht vor¬
läufig: nicht aus, mir bei unseren Kulturverhältnissen diesen Zustand
in allen Folgen und Einzelheiten auszudenken.
Die Brausebäder mit ihren zahlreichen engen Ein/clzellen be¬
sitzen ferner den grossen Nachteil, dass es recht schwierig ist, ge¬
nügende Tagesbeleuchtung für jede Zelle zu beschaffen. Die Er¬
örterungen darüber, ob Oberlicht oder hohes Seitenlicht vorzuziehen
sei, zeigten, dass beide Beleuchtungsarten Mängel haben, oft ist
aber keine von beiden in genügender Weise zu schaffen.
Auch das ist ein Nachteil des Brausebades gegen das Schwimm¬
bad, dass es von dem einzelnen Besucher allein in enger Zelle ge¬
nommen wird, während in der Schwimmhalle der ganze Badevorgang
offen unter Ueberwachung stattfindet. Von verschiedenen
Seiten ist darauf hingewiesen worden, dass in den Brausebädern
Unfug getrieben wird, dass cs weder medizinisch, noch finanziell
zu rechtfertigen sei, wenn, wie es tatsächlich geschieht, ein Besucher
20 Minuten lang das warme und heisse Wasser über sich herab¬
rieseln lässt. Ja Dr. Waldschmidt (Charlottenburg) behauptet, das«
wegen dieser Verschwendung von warmem Wasser die Brausebäder
sich in der dortigen Anstalt teurer als die Wannenbäder stellten.
Dass bei alledem auch noch nicht einmal immer der Erfolg der
Reinigung des Körpers sicher gewährleistet ist, wurde schon vorher
erwähnt.
Besondere Freunde der Brausebäder glauben diese noch da¬
durch vervollkommnen zu sollen, dass das Brausebaden nicht auf
die Oberbrause beschränkt bleibt, sondern es müssten gleichzeitig
Seiten- und Unterbrausen gehen. Nun eine derartige Einrichtung
erweckt gelegentlich auf einer Gewerbeausstellung einiges Interesse,
bei ihrer Preisgabe in die geschlossenen Brausezellen zur allgemeinen
Benutzung würden sowohl der vermehrte Verbrauch von warmem
Wasser, wie die durch Unfug an allen Ventilen erwachsenden In¬
stallationskosten einen wesentlichen Teil zur Vermehrung der Be¬
triebskosten beitragen.
Oft hat sich das Brausebad für Stadtverwaltungen, weiche¬
grösseren Ausgaben für öffentliche Gesundheitspflege gleichgültig
gegenüberstehen, als ein bequemes und billiges Auskunftsmittel er¬
wiesen. Man schien mit Schaffung von ein bis zwei sogenannten
Volksbädern für die Sache etwas getan zu haben und wies darauf¬
hin weiter gehende Ansprüche zurück. So wirkte es manchmal
geradezu als Hinderungsgrund für eine ausreichendere Versorgung
der Bürgerschaft mit Bädern.
M. H. Die Förderung der Körperpflege und der Volksgesund¬
heit durch die Entwicklung allgemein volkstümlicher Bäder ist ein
weitgestecktes und grosses Ziel, von dessen Erreichung wir nocli
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recht fern sind. Aber grosse Ziele können nicht durch kleine,
sondern nur durch grosse Mittel erreicht werden: der Kern der
Lösung kann nach den Erfahrungen unserer rheinischen Städte
doch nur in der Schaffung zweckmässiger Stadtbäder mit Schwimm¬
hallen zum Nutzen und Gebrauch für die gesamte Bürgerschaft
liegen, denen sich aushtilfsweise peripherisch und zwischen ein¬
geordnet so viele Brausebäder anschliessen mögen, wie es eben das
Bedürfnis erfordert. In den Verhandlungen der Deutschen Gesell¬
schaft für Volksbäder ist für das Verhältnis der Schwimmhallen
zu den Brausebädern wiederholt der Vergleich des von Booten um¬
ringten Seeschiffs herangezogen worden. Ich möchte diesen Ver¬
gleich erweitern: die Badeanstalten sind gleichsam die Kriegsfahr¬
zeuge im Kampfe gegen Volkskrankheiten und für Volkswohlfahrt.
Aber wie es keinem Staate heut einfällt, seine Kriegsflotte ledig¬
lich aus Torpedobooten zu bilden, sondern jeder die Gewähr des
Sieges in erster Linie in der Zahl seiner Schlachtschiffe sucht, so
sollten auch wir deu Erfolg unserer Bestrebungen für die öffent¬
liche Gesundheitspflege in erster Linie in den, den Bedürfnissen
aller Bürger dienenden Stadtbädern mit Schwimmhalle suchen,
denen die Brausebäder nach Kräften Beihülfe leisten mögen.
Fürchten Sie nicht, dass wir mit unseren Bestrebungen die öfters
zitierten Thermen des Diocletian und Caracalla erreichen und über¬
treffen werden. Wer die Grossartigkeit dieser unsere grössten
modernen Bäder um das Vierzigfache übertreffenden Werke der
Alten nach Zahl und Mass näher studiert hat, der weiss, dass
wir gegenüber diesen Riesen an Tatkraft und Mitteln mit allen
unseren angeblich so monumentalen und luxuriösen Schwimmhallen
nur winzige Zwerge sind und bleiben werden. Wenn aber die
ganze Entwicklung unseres öffentlichen Badewesens nun in der
dürftigsten Form des Brausebades ihren Höhepunkt und ihr Ende
finden sollte, so würde mir das iin Interesse der deutschen Kultur
doch tief bedauerlich erscheinen.
Um nun noch ein Wort über die von Baurat Herzberg an¬
geregte interessante Individualstatistik zu verlieren, so ist der Ge¬
danke, den Nutzen einer öffentlichen Anstalt hiernach zu bemessen,
gewiss neu und es läge kein Grund vor, seine Anwendung auf
Badeanstalten zu beschränken. Es würden sich auch Theater,
Museen, Konzerthäuser, selbst Kirchen und vieles andere für solche
nützliche Ermittelungen eignen und vielleicht könnte man dann mit
<ler Zeit zu der Überzeugung kommen, dass neben den Schwimm¬
hallen je nach dem Ausfall der Statistik auch noch manches An¬
dere zu entbehren sei. Vorläufig aber sollten wir, denen die Aus¬
breitung der öffentlichen Gesundheitspflege und die Verallgemeine¬
rung der Körperpflege am Herzen liegt, nicht auf den Ausfall dieser
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29
Statistik warten, sondern dafür sorgen, dass die Zahl der schlimmen
Menschen, die durch häufiges Baden die Besuchsziffern unserer
Badeanstalten in die Höhe treiben, sich immer mehr vermehrt und
vergrössert; wir sollten nicht die jetzigen, von allen Seiten als un¬
vollkommen anerkannten Zustände dazu benutzen, mn uns dessen,
was wir glücklich haben, auch noch zu entäussern. In fast allen
rheinischen Schwimmhallen haben sieh die Besucherziffern im Laufe
von 10 Jahren verdoppelt; es ist nicht abzusehen, weshalb sie nicht
einer weiteren bedeutenden Steigerung fähig sein sollten. —
Möge jede deutsche Stadt daran gehen, die Frage einer zweck¬
mässigen Versorgung ihrer Einwohnerschaft mit Bädern erneut zu
prüfen und möge sie sich ein Programm machen, wie sie plan-
mässig mit Rücksicht auf das Ziel, jedem ihrer Bürger mindestens
wöchentlich ein Bad zu gewähren, je nach ihrer Eigenart jetzt und
in Zukunft diese Frage zu lösen vermag. Gute Lösungen können
nur für jeden einzelnen Fall passend und individuell gefunden
werden: die Verschiedenheit unserer Städte nach dem Beruf und
der Leistungsfähigkeit ihrer Bewohner, nach ihren Ansiedlungs¬
und mauchen anderen Verhältnissen müssen zweckentsprechende
Berücksichtigung finden. Vor allem aber möge das Interesse der
Bewohner an der Körperpflege durch alle Mittel zu lebhafter Teil¬
nahme erweckt werden. Der Zusammenschluss der Badefreunde in
Schwimmvereinen, die Veranstaltung gemeinsamer Übungen und
gelegentlicher Schaustellungen haben manche schönen Erfolge in
unserem Rheinlande aufzuweisen; die Einführung des Schwimm¬
unterrichts als notwendiger Teil der Jugcndbildung steht uns als
erstrebenswertes Ziel noch in Aussicht. Mögen Lehre und Erziehung
unserer Jugend besonders die Überzeugung beibringen, dass die
jährliche Ausgabe von drei Milliarden Mark, die unser Volk jetzt
für die innere Befeuchtung des Körpers mit Alkohol leistet, viel
besser für das äussere Baden und manche andere nützliche Kultur¬
aufgaben erfolgen könnte, dann hätten wir Mittel genug für eine
vortreffliche Ausgestaltung der Körperpflege. Nicht Schwimmhallen
oder Brausebäder, sondern Schwimmhallen und Brausebäder sei
und bleibe die Losung unserer rheinischen und aller deutschen
Stadtgemeinden; möge jede dieser Badeformen an ihrem Ort, wie
sie dem öffentlichen Wohle am besten zu dienen vermag, zu ihrer
vollen Geltung gelangen. —
Der Vorsitzende dankt dem Redner für den Vortrag. Eine
Diskussion über den Vortrag wird nicht beliebt, aber es wird durch
den Vorsitzenden festgestellt, dass die Versammlung den Ansichten
des Redners in allen Punkten zustimmt.
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30
Wie ist den Schädigungen, welche die Fleischversorgung der
Städte durch die Freizügigkeit des Fleisches erleidet, am
wirksamsten zu begegnen?
Vortrag des Schlachthofdirektors Haffner in Düren.
Meine Herren! Der Verein für öffentliche Gesundheitspflege
hat schon im Jahre 1880, als über das Schlaehtliofgesetz vom
Jahre 1881 beraten wurde, durch eine Petition an die Regierung
um Beschränkung der Einfuhr von Fleisch in die Städte sein Inter¬
esse an der Fleischschaugesetzgebung bekundet. Es ist erfreulich,
■dass er auch bei Schaffung des neuen Gesetzes wieder auf dem
Plane erschienen ist, um an der Regelung der Fleichversorgung der
^Städte mitzuwirken, ln dieser Absicht hat im vorigen Monat in
Danzig der „Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege u nach
■einem Referate des Herrn Oberbürgermeisters Oehleis-Halberstadt
gegen den Gesetzentwurf, der die schrankenlose Freizügigkeit des
Fleisches herbeiführen sollte, Stellung genommen. Leider ist das
Vorgehen dieses Vereins wie die zahlreichen von anderer Seite ver¬
buchten Vorstösse gegen den Entwurf ohne Erfolg geblieben. Der¬
selbe ist unter dem Namen „Abänderungsgesetz zum Preussischen
Ausführungsgesetze am 23. Sept. 1904, Gesetz geworden. Heute
kann uns daher nur noch die Frage beschäftigen: Wie ist den
►Schädigungen, welche die Fleischversorgung der Städte durch die
Freizügigkeit des Fleisches erleidet, am wirksamsten zu begegnen?
Da viele Herren anwesend sind, welche der Sache ferner
.stehen, wird es nötig sein, dass ich wenigstens mit ganz kurzen
Worten darlege, in welcher Weise sieh durch das Abänderungs¬
gesetz die Sachlage zu Ungunsten der Städte verändert hat und
worin die beregten Schädigungen bestehen.
Bisher konnten die Städte für alles eingeführte frische Fleisch
auf Grund des Schlachtgesetzes durch Gemeindebeschluss einen Be¬
schauzwang in unbeschränktem Umfange auordnen. Das Preus-
sische Allsführungsgesetz beschränkte nun das Recht das Fleisch
nachzuuntersuehen, soweit tierzärztlich voruntersuchtes Fleisch in
Frage kam, auf die Feststellung, ob das Fleisch nachträglich
verdorben ist, liess aber noch die Möglichkeit offen, einen Beschau¬
zwang anzuordnen. Diese letzte Möglichkeit endlich, eine geordnete
Kontrolle auszuüben, beseitigt das Abänderungsgesetz.
Tierärztlich voruntersuchtes Fleisch kann also jetzt ohne
weiteres überall hingebracht werden, auf Märkte, in Gastwirt¬
schaften, in Metzgereien etc., ohne dass cs zur Nachuntersuchung
vorgelegt werden müsste. Eine Untersuchung auf Verdorbensein
ist zwar noch möglich, aber nur an den Verkaufsstellen und der
Einbringer braucht diese Untersuchung nicht abzuwarten.
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Trotzdem wird behauptet, von einer sanitären Gefahr für die
Städte könne nicht die Rede sein, da ja das Fleisch tierärztlich
voruntersucht sei, cs müssten denn die Tierärzte der ländlichen
Fleischbeschau ihre Pflicht grob vernachlässigen, was doch in dieser
Allgemeinheit nicht behauptet werden könne.
M. H. Es ist wohl zweifellos, dass die Tierärzte auf dem
Lande ebenso bestrebt sein werden, ihre Pflicht zu tun wie die
städtischen Tierärzte. Dennoch gibt es aber draussen keine voll¬
wertige Fleischbeschau, weil dort fast alles fehlt, was in den
modernen Schlachthäusern erst eine einwandfreie Fleischbeschau
ermöglicht.
Es fehlt an ausreichender Beleuchtung, an Kühlhäusern, um
verdächtiges Fleisch zur Beobachtung aufzubewahren, an Laboratorien,
um cs gründlich zu untersuchen, au Aufsicht, um Schmuggeleien
und Unterschiebungen zu verhindern und vielem anderen. Der Wert
-der Lebendbeschau ist grösstenteils illusorisch, weil zwischen ihr
uud der Fleischbeschau zwei Tage liegen können etc. Dazu kommt,
dass gerade auf dem Lande verhältnismässig viel Notschlachtungen
vorgenommen werden, deren Fleisch besonders beim Mangel ge-
•eigneter Aufbewahrungsräume schnellem Verderben ausgesetzt ist.
Deren Fleisch in die Städte hineinzubekommen war ja der einzige
Zweck des ganzen Gesetzes.
Der Gefahren für die Städte sind also mancherlei:
1. können bei dem eingebrachtcn Fleische infolge der mangel¬
haften Einrichtungen auf dem Lande erhebliche Mängel übersehen
worden sein,
2. kann es nachträglich verdorben sein und
3. kann es überhaupt gar nicht untersucht sein.
Denn die Hauptgefahr liegt ja gerade darin, dass die Frei¬
zügigkeit des einen Fleisches den Schmuggel mit allem möglichen
anderen Fleisch nach sich zieht, weil es technisch unmöglich ist,
eine wirksame Kontrolle über das eine Fleisch auszuüben, wenn
das andere ohne jede Schranke passieren darf.
Dieser Gefahr gilt es in allererster Linie zu begegnen, denn
unter ihr werden die Städte am schwersten zu leiden haben, wenn
es nicht gelingen sollte, Mittel zu ihrer Abwehr zu finden.
Herr Sclilachtliofdircktor Külmau-Cöln schlug daher auf der
Versammlung des Vereins preussischer Schlachthoftierärzte vor, auf
Drund des Gesetzes über die Polizeiverwaltung eine allgemeine
Stempelkontrolle einzurichten. Es muss versucht werden, auf Grund
dieses Gesetzes durch Polizeiverordnung zu bestimmen, dass alles
eiugeführte frische Fleisch, bevor es feilgeboten werden darf, an
einer Zentralstelle vorgelegt werden muss, damit festgestellt werde,
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ob es überhaupt tierärztlich voruntersucht ist, also Freizügigkeit
geniesst, oder nicht.
Dem Sinne des Abänderungsgesetzes widerspricht eine der¬
artige, durch Polizeiorgane auszuübende, reine Stempelkontrolle
zweifellos nicht. Dennoch ist es fraglich, ob dieser Weg gangbar
ist, auf jeden Fall ist er ungewöhnlich; denn in der Regel wird
die polizeiliche Kontrolle in der Weise ausgeübt, dass der Polizei¬
beamte zur Verkaufsstelle der Ware geht, hier soll die Ware zu
ihm kommen.
Da indes hierdurch die einzige Möglichkeit gegeben ist, grobe
Missbräuche des Gesetzes zu verhindern, muss der Versuch wenigstens
gemacht werden. Es empfiehlt sich daher, möglichst bald Polizei¬
verordnungen obigen Sinnes zu erlassen bezw. ihren Erlass, so
weit staatliche Polizei in Frage kommt, zu erwirken. Es ist an-
zuuehmen, dass die Regierung dem Bestreben der Städte, die durch
das Gesetz zweifellos geschaffenen Schwierigkeiten wenigstens in
dem Rahmen des Gesetzes zu halten, nicht absolut ablehnend gegen¬
überstehen wird. Um eine einheitliche Regelung herbeizuftthren,
wäre es wünschenswert, dass von Seiten der Städte ein entsprechen¬
der Antrag an die zuständigen Ministerien gerichtet würde, wie es
auch vom Vereine preussiscber Schlachthoftierärzte in Berlin be¬
schlossen worden ist. Die dort gefasste Resolution lautet:
„Der Verein preussiscber Schlachthoftierärzte beschliesst in
der heutigen Versammlung, den Herrn Minister des Innern und den
Herrn Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu bitten,
die ihnen nachgeordneten Behörden anzuweisen, im Wege der Polizei¬
verordnung Massregeln zu treffen, die in Gemeinden mit öffentlichen
Schlachthäusern eine wirksame Kontrolle darüber ermöglichen, dass
alles eingeführte frische Fleisch, bevor es feilgeboten oder in Gast*
und Speisewirtschaften zubereitet wird, an bestimmten Stellen vor¬
gelegt wird, um festzustellen, ob es amtlich tierärztlich untersucht
ist oder nicht.“
Diese Stempel-Kontrolle würde wenigstens eine gewisse Aus¬
siebung des eingeführten Fleisches ermöglichen. Wir wären in der
Lage, undeutlich gestempeltes und unvorschriftsmässig eingebrachtes
Fleisch von vorn herein zurückzuweisen. Auch Stempelfälschungen
könnten hier schon entdeckt werden. Dass dies von grossem Wert
ist, beweist der Umstand, dass aus letzter Zeit schon zwei Stempel¬
fälschungen bekannt sind.
In den Polizeiverordnungen aber über diese Stempelkontrolle
hinauszugehen, wie es verschiedentlich beabsichtigt sein soll, halte
ich nicht für zulässig. Es ist beispielsweise versucht worden, den
Beschauzwang, den das Gesetz durch Gemeindebeschluss anzuordnen
verbietet, durch Polizeiverordnung wieder einzuführen. Die Gesetz-
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Widrigkeit einer solchen Polizeiverordnung scheint mir, abgesehen von
anderen Gründen, aus dem Wortlaute des § 20, Abs. 2 des Reichs¬
gesetzes hervorzugehen, welcher lautet: Landesgesetzliche Vor¬
schriften, nach denen der Beschauzwang innerhalb der Gemeinde
angeordnet werden kann, bleiben unberührt etc. Hieraus geht her¬
vor, dass andere Vorschriften über den Beschauzwang, soweit sie
vorhanden waren, aufgehoben sind lrzw. wo sie erlassen werden,
ungesetzlich sind. Ebenso halte ich es für verkehrt, andere Dinge
mit dieser Stempelkontrolle zu verquicken, z. B. die Erhebung von
Gebühren für das Unterbringen des Fleisches an dem Orte, an
dem die Kontrolle stattfinden soll, was ich von der Versammlung
vorschlagen hörte. Diese Dinge könnten nur dazu dienen, die
ganze Sache von vorn herein zu Falle zu bringen. Wir müssen
vorläufig froh sein, wenn es überhaupt gelingt, die Stempelkontrolle
zu erreichen.
Neben der Einführung dieser Stempelkontrolle müssen die Städte
natürlich die Bestimmungen des Schlachthofgesetzes, welche durch
die neuere Gesetzgebung nicht berührt werden, aufrecht erhalten
und mit aller Strenge ilurchftthren. Hierzu gehört zunächst die
Aufrechterhaltung aller Verkehrsbeschränkungen für nicht tierärzt¬
lich voruntersuchtes Fleisch. Insbesondere muss für dieses die
Bestimmung beibehalten werden, dass es nur in grösseren Stücken,
Vierteln, Hälften etc. eingeführt werden darf.
Ferner muss bestimmt werden, dass alles eingeführte frische
Fleisch an den Verkaufsstellen gesondert feilgeboten werden muss.
Diese Bestimmung war schon früher in den meisten Schlachthof¬
satzungen vorhanden, es wurde aber auf ihre Befolgung nicht allzu
streng gesehen, weil doch nur Fleisch feilgeboten werden durfte,
das auf dem städtischen Schauamte naehuntersneht worden war.
Heute bietet uns diese Bestimmung die einzige Möglichkeit, die
noch zulässige Untersuchung auf Verdorbensein an den Verkaufs¬
stellen auszuüben, gleichzeitig aber ermöglicht sie uns zu erfahren,
welche Metzger überhaupt Fleisch einführen und diese cv. einer
besonderen Kontrolle zu unterwerfen. Ihre Durchführung ist daher
jetzt von grosser Wichtigkeit. Es kann auch verlangt werden,
dass an der Verkaufsstelle für eiugeftihrtes Fleisch ein Schild mit
entsprechender Bezeichnung angebracht wird.
Nicht zulässig ist es dagegen, dies auch für die Transportmittel,
Wagen, Körbe etc. zu verlangen, weil das Umhertragen kein Feil¬
bieten ist. Es liegen hierüber aus letzter Zeit mehrere Kaunner-
gerichtsentscheidungen vor.
Wo städtische Markthallen vorhanden sind, wird es jetzt auch
angebracht sein, von der Bestimmung Gebrauch zu machen, dass
Centralblatt f. all*?. Gesundheitspflege. XXIV. Jahr?. 3
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in ihnen nur im Schlachthof ausgeschlachtetes Fleisch feilgebotcn
werden darf.
Hierbei möchte ich gleich empfehlen, auch von städtischen
Kühlhäusern eingeführtes Fleisch allgemein auszuschlicssen. Wo
dies aus besonderen Gründen nicht wünschenswert ist, wird e»
wenigstens angebracht sein, für das Unterbringen des eingeftihrten
Fleisches im Kühlbause besondere Gebühren zu erheben.
Die weitere noch zulässige Verkehrsbeschränkung, dass Metzger
und Fleischhändler des Gemeindebezirkes Fleisch von auswärts
nicht feilbieten dürfen, das sie innerhalb eines gewissen Umkreises
selbst geschlachtet haben oder haben schlachten lassen, hat heute
wesentlich an Wert verloren. Früher durfte das Fleisch nur in
grösseren Stücken eingebracht werden, es konnte die Vorlegung
der Eingeweide verlangt und es konnten Gebühren erhoben werden.
Durch diese Erschwerungen wurde die Einfuhr in gebührenden
Grenzen gehalten, es wurde daher der Mangel, der in dem Wort¬
laute der Bestimmung liegt, nicht empfunden. Was heisst denn
selbst schlachten oder schlachten lassen? Meiner Ansicht nach
kann nach dieser Bestimmung der Metzgei* heute fast unbegrenzte
Menge von Fleisch einführen, ev. seinen ganzen Bedarf von aus¬
wärts decken, wenn es nur tierärztlich voruntersucht ist, ohne dass
wir ilnn etwas anhaben köunen.
Hierin liegt natürlich eine ausserordentlich hohe Gefahr. Die
Metzger sind dadurch in die Lage versetzt, einen Schlachthof zu
boykottieren, wie es ans fiskalischen Rücksichten schon an ver¬
schiedenen Stellen versucht worden sein soll, und ev. einen Ein¬
fluss auf die Verwaltung zu gewinnen, den man bisher im Interesse
einer unabhängigen Fleischbeschau immer möglichst zu beschränken
bestrebt war.
Auf jeden Fall ist aus Vorstehendem ersichtlich, dass trotz
Anwendung aller zulässigen Massregeln die Einfuhr von Fleisch,
für dessen tadellose Beschaffenheit nur verhältnismässig wenig
Garantien gegeben sind und dessen Prüfung nur an den Verkaufsstellen
möglich ist, noch einen recht erheblichen Umfang aunehmen kann.
Es wird daher das Hauptgewicht aller Schutzmassregeln auf
eine möglichst häufige und gründliche Kontrolle dieser Verkaufs¬
stätten gelegt werden müssen. Die Bestände auf den Flcischmärktcn
müssen unbedingt an jedem Verkaufstage nutersucht werden und
es muss eine ständige Kontrolle der Läden der Metzger eingerichtet
werden, welche Fleisch von auswärts einführen.
Zweckmässig sind mit diesen Kontrollen besondere Polizei¬
beamte zu betrauen und diese womöglich wenigstens so weit in der
Fleischbeschau auszubilden, dass sie imstande sind, die wichtigsten
Merkmale des Verdorbenseins zu erkennen.
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Auch die Zuziehung der städtischen Tierärzte zu diesen Re¬
visionen dürfte angebracht sein.
Leider ist jedoch auch der Nutzen dieser Revisionen nur eiu
beschränkter. Gerade verdächtiges Fleisch werden die Metzger
nicht in den Laden hängen, sondern das bleibt hinten in den Vor¬
rats- und Betriebsräumen und in diese Räume dürfen wir nicht
hinein. Das Nahrungsmittelgesetz gestattet nur eine Revision der Ver¬
kaufslokale.
Dieser Umstand wurde schon früher als ein schwerer Mangel
empfunden, aber es fehlte an der besonderen Veranlassung, einen
Umschwung herbeizuführen. Ich glaube, dass heute eine besondere
Veranlassung durch das erleichterte Einschmuggeln von verdächtigem
Fleische gegeben und dass jetzt der geeignete Zeitpunkt ist, eine
Remedur anzustreben. Jeder derartige Vorstoss wird natürlich von
den Gewerbetreibenden als ein Eingriff in die Freiheit des Gewerbes
heftig bekämpft. Die Freiheit des Gewerbes ist jedoch nicht die
Freiheit, den Konsumenten zu betrügen.
Zum mindesten vom Nahrungsmittelfabrikanten muss der Kon¬
sument verlangen können, dass er seinen Betrieb so führt, dass er
keine Kontrolle zu fürchten hat. Dass dies heute noch nicht der
Fall list, beweisen die skandalösen Zustände, die in zahlreichen
Fällen bei zufälligen Revisionen aufgedeckt wurden. Wenn ich
nicht irre, war es in einer Stadt des Rheinlandes, wo bei einer grossen
Zahl von Metzgereien festgestellt wurde, dass die Geschlechtsteile
mit zur Wurst verarbeitet worden waren. In zahlreichen anderen
Fällen wurde hochgradig verdorbenes Fleisch vorgefunden, gar
nicht zu reden von der unglaublichen Unsauberkeit, die in vielen
Betrieben konstatiert wurde. Besonders interessant waren in dieser
Hinsicht ja die erst jüngst in den Vororten von Berlin aufgedeckten
skandalösen Zustände, von denen man vergeblich eine Einwirkung
auf die gesetzgebenden Faktoren erwartet hatte. Eine Kontrolle ist
gerade bei den Fleischereien besonders notwendig, weil inan bei der
fertigen Fleisch wäre in der Regel nicht wie bei anderen Waren,
bei Wein, Butter etc., imstande ist, nachträglich Verfälschungen
oder Verarbeitung ungeeigneten Materiales nachzuweisen.
Es empfiehlt sich daher dringend, eine Erweiterung der Be¬
fugnisse der Fleischschaubeamten in obigem Sinne anzustreben.
Diese Erweiterung der Fleischbeschau kann natürlich nicht
ohne weiteres von den Städten angeordnet werden, sondern sic
muss durch Landesgesetz geregelt werden, wie es in Süddeutsch¬
land schon geschehen ist. Dort haben die Fleischbeschauer nicht
nur das Recht, sämtliche Betriebsräume zur Vornahme von Revi¬
sionen zu betreten, sondern sogar die Pflicht, in gewissen Zwischen¬
räumen solche vorzunehmen.
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Ein gewisser Erfolg in dieser Beziehung könnte jedoch viel¬
leicht auch heute schon dadurch erzielt werden, dass den städtische»
Gesundheitskoraraissionen, die auf Grund besonderer Bestimmungen
Zutritt zu diesen Räumen haben, bei Revisionen von Schlächtereien
städtische Tierärzte beigegeben würden.
Als eine weitere Massregel gegen die üblen Folgen des Ge¬
setzes wurde verschiedentlich ein Appell an das Publikum empfohlen.
Da es beim Kaufe des eingeführten Fleisches keine Gewähr für
tadellose Beschaffenheit hat, soll es nur Fleisch kaufen, das die
städtische Kontrolle passiert hat. Herr Stadtdirektor Tramm in
Hannover, glaube ich, hat auch die Bildung von Konsumenten¬
vereinigungen empfohlen. Wo die Einfuhr von Fleisch einen zu
grossen Umfang annehmen sollte, und der Bestand des Schlacht¬
hofes in Frage gestellt wird, wird die Bildung derartiger Ver¬
einigungen sich gewiss mit Erfolg durchsetzen lassen.
Ebenso wird es vielleicht, wie vorgeschlagen worden ist, in
einigen Städten möglich sein, die Metzgerinnungen zum Verzicht
auf die Einfuhr zu bewegen, denn je mehr eingeführt wird, desto
mehr müssen auf der anderen Seite die Schlachtgebühren erhöht
werden.
Alle unsere Massregeln werden aber nicht imstande sein, dem
Städten das wieder zu geben, was sie gehabt haben.
Das Mindeste, das ihnen belassen werden musste, war die Be¬
rechtigung, einen Beschauzwang für alles eingeführte Fleisch an¬
zuordnen. Wenn dieses nur noch auf Verdorbensein nachuntersucht
werden sollte und hierfür keine Gebühren erhoben werden durften,
so war den agrarischen Wünschen gewiss in weitestem Umfange
Genüge getau, was darüber war, das war vom Übel.
Das Ziel unserer Bestrebungen muss die Wiederaufhebung des
Abänderungsgesetzes sein. Es empfiehlt sich daher, weiter Material
gegen das Gesetz zu sammeln, wie es vom statistischen Amt der Stadt
Magdeburg geschehen ist, das alle Fälle zusammengestellt hat, in
denen bereits voruntersuchtes Fleisch nachträglich beanstandet werden,
musste. Es empfiehlt sich aber meiner Ansicht nach ganz besonders,
auch alle die Fälle zu sammeln und ihren Ursachen nachzuforschen, in
denen tatsächlich Gesundheitsschädiguugen durch Genuss von Fleisch
kranker Tiere oder verdorbener Fleisehwaren erfolgt sind. Bisher
werden immer nur die Massen Vergiftungen registriert. Für unsere
Frage wird aber auch die Kenntnis der weniger schweren Fälle,,
die, wie ich glaube, viel häufiger sind, als man im allgemeinen
annimmt, von Interesse sein.
Eine solche Statistik würde am besten geeignet sein, uns über
die Zweckmässigkeit unserer Massregel und die Notwendigkeit,
weiterer Massregeln für die Zukunft zu unterrichten. —
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37
An diesen Vortrag, der ebenfalls mit lebhaftem Beifall auf¬
genommen wurde, schloss sich eine längere Erörterung, an welcher
^ich die Herren Schlachthofdirektor Ktihnau-Cöln, Beigeordneter
Lchwald-Duisburg, Bürgermeister Stern in Viersen, Bürgermeister
Klotz in Düren, Beigeordneter Weber in Essen, Oberbürgermeister
Becker in Cüln, Beigeordneter Ottermann in Düsseldorf beteiligten.
Der erstere hielt eine Stempelkontrolle für undurchführbar.
Er empfahl namentlich die für Süddeutschland und Sachsen bereits
bestehende ausserordentliche Fleichbeschau zu erstreben, wodurch
es ermöglicht werde, nicht nur die Verkaufsräume der Metzger,
sondern auch die Fabrikationsräume zu inspizieren.
Andere Redner empfahlen für die schärfere Kontrolle eine
Kommission zu bilden, auch höhere Marktgebühr für dieses Fleisch
einzuftthren u. s. w.
Bürgermeister Stern-Viersen hält den Erlass einer Polizei-Ver¬
ordnung, nach welcher eingeführtes Fleisch aus dem Grunde bei
der Einführung in die Stadt einer nochmaligen Untersuchung unter¬
worfen werden dürfe, weil dasselbe erfahrungsgemäss auf dem oft
weiten Transport zur Stadt, und bei heisser Jahreszeit verdorben
sein könne, aber die Attestierung eines Tierarztes und die Stem¬
pelung enthalte, für gesetzlich zulässig. Er habe eine solche
Polizei-Verordnung, die der Genehmigung der Königlichen Regierung
bedürfe, ausgearbeitet und der Königlichen Regierung in Düssel¬
dorf zur Genehmigung unterbreitet. Herr Stern teilt die wenige
Tage nach der Versammlung von der Königlichen Regierung ge¬
nehmigte Polizei-Verordnung dem ständigen Geschäftsführer des
Vereins mit. Dieselbe hat folgenden Wortlaut:
Polizei-Verordnung.
Auf Grund der §§ 5 und 6 des Gesetzes über die Polizei-
verwaltuug vom 11. März 1850 und des § 5 des Preussischen Ge¬
setzes vom 28. Juni 1902 betr. Ausführung des Schlachtvieh- und
Fleischbeschaugesetzes wird für den Umfang der Stadtgeraeindo
Viersen folgende Polizei Verordnung erlassen:
§ 1. Von auswärts nach Viersen eingeführtes frisches Fleisch,
welches einer amtlichen Untersuchung durch approbierte Tierärzte
nach Massgabe der §§ 8 bis 16 des Reichsgesetzes, betr. die Schlacht¬
vieh- und Fleischbeschau vom 3. Juni 1900 unterlegen hat, muss,
bevor es hier in den Verkehr gelangt, einer nochmaligen amtlichen
Untersuchung zu dem Zwecke unterworfen werden, um festzustellen,
-ob das Fleisch inzwischen verdorben ist oder sonst eine gesund¬
heitsschädliche Veränderung seiner Beschaffenheit erlitten hat.
Eine nochmalige Untersuchung auf Trichinen findet nicht statt.
§ 2. Die Untersuchung erfolgt kostenfrei im städtischen
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Schlachthofe durch den von der Stadt als Schlachthofdirektor an-
gestellten Tierarzt.
§ 3. Für die Beförderung des im § 1 bezeichneteu Fleischen
sind folgende Strassen zu benutzen: a) Von Venlo-Grefrath-Süchteln:
Süchtelnerstrasse, Rektoratstrasse, Gerberstrasse, b) von Venlo-
Dülken: Dttlkenerstrasse, Altermarkt, Goetersstrasse, Gerberstrasse,
c) Von Neuss-M.-Gladbach: Gladbacherstrasse, Neumarkt, grosse
Bruchstrasse, Bahnhofstrasse, Gerberstrasse, d) Von Krefeld: Kre-
felderstrasse, Kanalstrasse, Gerberstrasse.
Das mit der Eisenbahn oder Post ankommende Fleisch ist auf
dem nächsten Wege zum Schlachthofe zu bringen.
§ f). Von auswärts nach Viersen eingeführtes frisches Fleisch,
das nicht einer amtlichen Untersuchung durch approbierte Tierärzte
unterlegen hat, unterliegt wie bisher der Untersuchung nach dem
Gemeindebeschluss vom 9. März 1896; die auf Grund desselben
erlassenen Bestimmungen bleiben unverändert.
§ 5. Zuwiderhandlungen gegen diese Polizeiverordnung wer¬
den mit einer Geldbusse von 1 bis 9 Mk. belegt, an deren Stelle im
Unvermögensfalle verhältnismässige Haft tritt.
§ 6. Gegenwärtige Polizeiverordnung tritt sofort in Kraft.
Viersen, den 3. November 1904.
Die Polizei Verwaltung. Der Bürgermeister Stern.
Hiernach empfiehlt es sich, dem Beispiel der Stadt Viersen in
den Schlachthofgemeinden zu folgen, wo es notwendig erscheint.
Oberbürgermeister Beeker-Cöln bemerkt, das Gesetz gehe von dem
idealen Standpunkte aus, dass die Fleischbeschau auf dem Lande
ebensogut wie in den Städten sei. Würde die Untersuchung in der
Tat ebenso gründlich sein, so hätte die vollständige Freizügigkeit des
Fleisches eine gewisse Berechtigung. Die Verhältnisse lägen aber
anders; die ganze Fleischkontrolle sei auf dem Lande erst seit ver¬
hältnismässig kurzer Zeit eingeführt. Bevor sie sich auch durchaus
zuverlässig gestalten werden, würde man in den Städten manche
Unzuträglichkeiten haben. Im Übrigen könne man über den jetzigen
Zustand wohl klagen, aber man müsse ihn auch ertragen lernen.
Im preussischen Staate habe sich noch immer herausgestellt, dass,
wenn schwere Missstände entständen, auch eine Abänderung
erfolge.
Sodann wurde noch empfohlen, alle aus dem Gesetz sich er¬
gebenden Missstände genau zu beobachten und zu registrieren, da¬
mit solche für etwa nötig werdende Abänderungsanträge verwertet
werden können.
Schliesslich wurden folgenden Schlusssätzen zum Vortrage
des Herrn Schlachthofdirektors Haff ne r im allgemeinen zugestimmt,.
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ohne dass eine Diskussion der meisten Thesen stattfand und un¬
beschadet des Ergebnisses, welches die beantragte Viersener Polizei-
Verordnung haben werde:
„Das unter dem 23. September 1904 veröffentlichte Ab¬
änderungsgesetz zum Preussisehen Ausführungsgesetze vom 28. Juni
1902 hebt die Vorschriften in Art. I §2 Nr. 2 und 3 des Schlacht¬
hofgesetzes, soweit tierärztlich voruntersuchtes Fleisch in Frage
kommt, auf, und spricht damit die schrankenlose Freizügigkeit dieses
Fleisches aus. Es bedeutet daher für die Städte mit öffentlichen
Schlachthäusern einen schweren sanitären Rückschritt.
Um den hierdueh der Volksernährung drohenden Gefahren zu
begegnen, muss in erster Linie dafür gesorgt werden, dass die
Schädigungen wenigstens sicher in dem Rahmen des obigen Gesetzes
bleiben, d. h., dass nicht auch anderes Fleisch ohne Nachuntersuchung
eingeschmuggelt wird. Dies lässt sich nur erreichen durch Ein¬
führung einer allgemeinen Stempelkontrolle in der Art, dass auf
Grund des Gesetzes über die Polizeiverwaltung angeordnet wird,
dass alles eingeführte frische Fleisch nicht eher feilgeboten oder
zubereitet werden darf, bevor es an einer bestimmten Stelle
vorgelegt worden ist zur Feststellung, ob es überhaupt tierärztlich
untersucht und gestempelt worden ist oder nicht. Dem Sinne des
Ausführungsgesetzes widerspricht eine derartige durch Polizeiorgane
auszuübende Stempelkontrolle durchaus nicht.
Ferner müssen die nach § 2 Nr. 4, 5 und 6 des Sehlacht¬
hofgesetzes noch zulässigen Bestimmungen aufrecht erhalten und
streng durchgeführt werden,
1. dass alles eingeführte frische Fleisch an* den Verkaufsstellen
gesondert feilzubieten ist,
2. dass es von städtischen Verkaufshallen ausgeschlossen bleibt,
3. dass einheimische Metzger das Fleisch von Schlachtvieh, das sie
ausserhalb des Gemeindebezirkes, aber innerhalb eines gewissen
Umkreises selbst geschlachtet haben oder haben schlachten
lassen, nicht feilbieten dürfen.
Von städtischen Kühlhäusern ist eingeführtes frisches Fleisch
ebenfalls auszusehliessen.
Weiter muss die polizeiliche Kontrolle des ganzen Fleisch¬
verkehres bedeutend verschärft werden. Zweckmässig sind hiermit
besondere in der Fleischbeschau auszubildende Polizeibeamtc zu
betrauen. Wo es möglich ist, empfiehlt sich die Mitwirkung der
städtischen Tierärzte.
Das Nahrungsraittelgesetz lässt bisher nur eine Revision der
Verkaufsräume zu. Liessen indes schon früher die skandalösen
Zustände, die in zahlreichen Fällen bei zufälligen Revisionen der
Betriebswerkstätten zu Tage traten, dies als einen Mangel des
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Gesetzes erkennen, so macht es heute das erleichterte Einschmuggeln
von Fleisch doppelt erforderlich darauf hinzuwirken, dass die
Fleischbeschau nicht auf die Untersuchungen im Schlachthofe und
gelegentliche Ladenrevisionen beschränkt bleibt, sondern dass auch
die Untersuchung des zur Wurstfabrikation verwendeten Materiales
in den Fleischereien sowie die Kontrolle dieser letzteren selbst in
ihren Bereich gezogen werden.
Neben diesen Massregeln ist es zweckmässig, das Publikum
darauf hinzuweisen, dass es beim Kaufe des von auswärts ein¬
geführten Fleisches eine volle Gewähr dafür, dass es einwandsfreie
Ware erhält, niemals haben kanu, dass es sich daher empfiehlt,
nur Fleisch zu kaufen, das die städtische Kontrolle passiert hat.
In einzelnen Städten wird es auch möglich sein, die Metzger
selbst durch den Hinweis auf ihr eigenes Interesse zum Verzicht
auf die Einfuhr von auswärts oder zur freiwilligen Vorlegung des
eingeführten Fleisches zu bewegen.
Um schliesslich über die Notwendigkeit dieser und weiterer
Massregeln für die Zukunft Material zu erhalten, empfiehlt es sich
festzustellen, ob und in welchem Umfange Erkrankungen — wenn
auch leichter oder vorübergehender Natur —, die auf den Genuss
von Fleisch kranker Tiere oder verdorbenen Fleisches zurtickzuführen
sind, beobachtet werden, alle bekannt werdenden Fälle dieser Art
zu sammeln, sowie überhaupt dieser Frage mehr Aufmerksamkeit
zuzuwenden als bisher.
Es folgt der 3. Vortrag:
Inwieweit bedarf die schulärztliche Einrichtung noch
der Erweiterung.
Von Schularzt Dr. med. Max Schulte-Cöln.
Seitdem man in Deutschland dem Drängen der Hygieniker
und nicht weniger dem Drange der Verhältnisse gehorchend das
System der sogen. Schulärzte in einer Reihe von Städten eingeführt
hat, will die Frage nach der zweckmässigsten Art dieser Einrichtung
nicht mehr von der Tagesordnung verschwinden. — Wir sind in
Deutschland in diesem Punkte von dem Prinzip ausgegangen, nicht
dem Beispiele ausserdeutscher Städte oder Länder zu folgen, obschon
dort manch durchgreifendere Institutionen bestehen, sondern selbst
die Probe zu machen und nach dem Vorgänge von Wiesbaden
(1896) analoge je nach den örtlichen Verhältnissen modifizierte
Einrichtungen zu schaffen, in dem Gedanken, weitere Erfahrungen
zu sammeln, um schliesslich an der bewährtesten Form festzuhalten
bezw. an den bestehenden so lange zu verbessern, bis das Brauchbarste
herausgebildet ist. Halten Sie dies im Auge und bedenken Sie,
dass seit Einführung des Wiesbadener Systems noch nicht ein
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Dezennium verflossen ist, dass ferner eine ganze Reihe von Städten
noch keine Schulärzte kennt, andere, z. II. Bremen, sich zuwartend
verhalten, um erst einmal zu sehen, wie anderwärts der Karren
läuft, so werden Sie verstehen, einmal, dass die gesammelten Er¬
fahrungen zumal im Hinblick auf die Kürze der Zeit noch nicht
abgeschlossen sein können, dass es aber weiterhin Pflicht der Be¬
teiligten und Sachverständigen ist, eine kritische Würdigung der
Angelegenheit nicht ad calendas graecas zu vertagen.
Es fehlt denn auch nicht an einer Reihe vergleichender Ab¬
handlungen, welche teils die historische Entwickelung der Schul¬
arztfrage zum Gegenstand haben, teils sich mit den verschiedenen
Institutionen und Instruktionen der in Betracht kommenden deutschen
Städte beschäftigen. «Poetter, Schubert, Wex in der Zeitschrift
für Schulgesundheitspflege u. a.) Wichtiger jedoch m. E. wäre
es, an der Hand der Erfahrungen das Feld der z. Z. bestehenden
Einrichtung allmählich zu begrenzen, alles Schematische zu beseitigen
und so etwas möglichst Abgerundetes, Einheitliches herauszuschälen,
-das wirklichen Anspruch auf Zweckmässigkeit hätte, ohne dass ihm
der Staub des grünen Tisches allzusehr anhafte. Und selbst wenn
wir eines Tages dieser Aufgabe enthoben würden dadurch, dass
-der Staat — wie in Sachsen-Meiningen — die Sache zu der seinigen
machte und ihr eine Spitze im Ministerium gäbe, so wären doch
derartige Reflexionen nicht ganz zwecklos, da durch dieselben
immerhin eine nicht umgängliche Vorarbeit geleistet wäre.
Für diejenigen Orte, welche z. Z. eine kommunale Einrichtung
des Schularztsystems haben, wird übrigens die staatliche Hülfe so¬
bald wohl nicht in Frage kommen, während man unbedingt zugeben
muss, dass für das Land eine Lösung der Schularztfrage auf
anderer als staatlicher Basis überhaupt nicht möglich ist wegen
<ler eigenartigen hier nicht näher zu erörternden Verhältnisse. Dass
aber der Gedanke der staatlichen Regelung bereits die Geister in
weitem Masse zu beschäftigen beginnt, ersehen Sie aus den Leit¬
sätzen, welche Leubuseher, einer der Hauptvertreter der schul¬
hygienischen Bestrebungen, für den 1. Internationalen Schulhygiene¬
kongress zu Nürnberg 1904 zu Beginn dieses Frühjahrs aufstellte.
Seine Thesen lauten:
1. „Die Schularzteinrichtung ist das beste Mittel, Schädigungen,
die ans dem Schulbesuche entspringen, nach Möglichkeit zu
mildern und zu beseitigen. Der Staat, der den Schulzwang
fordert, hat als oberste Schulbehörde deshalb die Verpflichtung,
Schulärzte für alle Schulen, höhere, mittlere und Volksschulen,
städtische und Dorfschulen anzustellen.
2. Das Interesse, welches der Staat an der Schularztorganisation
hat, beruht nicht auf der Feststellung und Besserung der
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Gesundheitsverhältnissc der Schuljugend allein, sondern auch
auf der Möglichkeit, durch die schulärztlichen Untersuchungen
Kenntnisse von den Rückwirkungen und Wechselbeziehungen
zwischen den Wohnungs-, Erwerbs- und Ernährungsverhält¬
nissen der Gesamtbevölkerung und den Krankheiten der
Schüler zu erlangen.
3. Durch eine staatliche Organisation der Schularzteinrichtung
wird die Möglichkeit durchgreifender Verbesserungen auf
dem ganzen Gebiete der Schulhygiene und insbesondere auch
auf dem Gebiete der Unterrichtshygiene gegeben/
Dieselben oder ähnliche Ansichten werden von vielen berufenen
Schulhygienikern vertreten. — Wir werden indes gut tun, nicht
solange zu warten, bis Hülfe vom Staate kommt, sondern werden
am besten gehen, — und dieser Weg ist uns ja z. Z. unbedingt
vorgeschrieben — wenn wir das einmal bestehende sogen. Wies¬
badener System auszubauen suchen.
Was fordert nun dieses System?
1. Ärztliche Untersuchung aller neu aufgenommenen Schüler,
2. Ausstellung und Führung eines Personalbogens für jedes Kind.
3. Abhaltung von Sprechstunden in der Schule.
4. Hygienische Revision und Überwachung der Schüler und
der Schulräuine.
5. Verpflichtung zur Abhaltung kurzer Vorträge über Schul¬
hygiene in den Lehrerversammlungen.
Ich stelle dem gegenüber die einschlägigen Verordnungen
eines ausserdcutschen Staatswesens. Die Tätigkeit der Schulärzte
in Bulgarien (ich habe mit Willen dieses sonst nicht an der Spitze
der Zivilisation marschierende Ländchen gewählt), deren Prinzipien
nicdergelegt sind in der Broschüre „Les medeeins scolaires en
Bulgarie u von Prof. Dr. J. Sehischmanow-Sophia umfasst folgende
Punkte:
1. de surveiller les bätiments, mobiliers et Materials des eeoles;
2. de veiller ä l’etat sanitaire des eleves et de prendre des
mesures contre les nmladies infectieuses et epidemiques:
3. de faire certains mensurations anthropologiques:
4. de faire des Conferences aux instituteurs sur lhygiene scolaire,
les premiers secours, la medecine populaire;
5. de donner aux eleves des notions sur l anthropologie, la
Physiologie, l hygiene generale et scolaire et
6. de donner un rapport annuel sur tont ce qui a etc fait pour
ces divers Services pendant l annee scolaire.
Ein Vergleich der beiden vorliegenden Aufstellungen scheint
zunächst keine wesentlichen Verschiedenheiten zu ergeben; jedoeU
bei näherem Zusehen erscheint der graduelle und prinzipielle Unter-
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— 43 —
schied. Denn abgesehen davon, dass es sieh in dem einen Falle
(Bulgarien) um eine staatliche, in dem anderen (Wiesbadener
System) um eine kommunale Regelung handelt, tritt eine ganze
Reihe unterschiedlicher Merkmale zutage, die ich kurz zusamrnen-
fasse, um Ihnen ein Bild davon zu geben, aut* wie verschiedenen
Geleisen sich unsere Bestrebungen und diejenigen anderer Völker
bewegen, zugleich um Sie von der Bescheidenheit unserer Zustände
zu überzeugen und ein gewisses Relief für etwaige Vorschläge und
Forderungen zu schaffen.
1. Bulgarien hat Schulärzte für alle, auch die mittleren und
höheren Schulen.
2. Die Ärzte sind vorgebildete Spezialschulärzte bzw. -ärztinnen
nur mit dieser Funktion unter dem Titel Professeurs mcdecins
bezw. Professeurs doctoresses, eingeordnet dem Lehrkörper, teil¬
nehmend an dessen Beratungen und avancierend wie die Pro¬
fessoren der sogen. Mittelschulen (Gymnasien, Realgymnasien etc.).
3. Die Schulärzte haben Sitz und Stimme in den Kom¬
missionen zur Auswahl des Ortes der Gebäude; sie haben ihre
Ratschläge zu erteilen bezüglich Einrichtung der Schulgebäude,
z. B. der Wasserversorgung, Heizung, Ventilation, Schulhofanlage etc.
4. Die Schülerkontrolle wird ausgeübt:
a) durch Führung von Personalbogen, ähnlich wie bei uns.
b) durch Belehrung und Unterricht. Es stehen dem Arzte
allgemeine Prüfungen zu über Hygiene, welche zu verschärfen sind
im Falle von Epidemieen. Im einzelnen erstreckt sich der sanitäre
Unterricht auf 1. allgemeine und Schulhygiene, Anthropologie und
Physiologie; 2. die Lehre von den Symptomen ansteckender Krank¬
heiten; 3. Ratschläge bezüglich Reinlichkeit und guter Führung an
die einzelnen Schüler.
c) durch Abhaltung von Sprechstunden. Dieselben finden in
einem besonders eingerichteten Saale statt, welcher ausgerüstet ist
mit den nötigen Instrumenten, Medikamenten für dringende Fälle,
unter anderen mit Dynamometer, Desinfektionsmitteln, Verband¬
stoffen, einem Apparat zur Bestimmung des Kohlensäuregehaltes
der Luft, Hygrometer, Thermometer etc. etc.
d) Bei ansteckenden Krankheiten hat der Schularzt für Iso¬
lierung und Desinfektion zu sorgen. Letztere kann sich erstrecken
auf die Gebäudeteile, die Schüler selbst und deren Unterrichts¬
materialien.
e) Dem Schularzt liegt die Überwachung der Entwickelung
der Schuljugend in physischer, intellektueller und moralischer Be¬
ziehung ob. Der Schularzt nimmt teil an den gemeinsamen Aus¬
flügen und wohnt den Kommissionen zur Ausarbeitung der Schul-
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Programme bei. Er gibt seine Ratschläge bezüglich Schtiler-
bestrafungen.
f) Der Schularzt behandelt die armen Schüler in der Scliul-
sprechstunde ohne Entgelt, ebenso in deren Hause, wo dies er¬
forderlich. Nahrung und Medikamente werden durch die
Schulkasse fcaisse seolaire) zur Verfügung gestellt.
Der Schularzt hat die Impfung nicht geimpfter Schüler vor¬
zunehmen.
5. Dort wo mehrere Schulärzte sich befinden, müssen dieselben
einmal im Monat zu einer Besprechung zusammentreten unter Be¬
teiligung der Stadt-, Kreis- oder Bezirksärzte. Die Beschlüsse
dieser Versammlungen werden an die Direktoren unter der Be¬
zeichnung: Desiderata eingereicht. Die Rechte und Pflichten dieser
Beratungen werden durch eine spezielle Instruktion geregelt.
M. H. Wir haben hier eine bis ins einzelne ausgearbeitete
Institution vor uns, der wir in der Tat unsere Anerkennung nicht
versagen können, und wenn auch die Ungleichheit der in Betracht
kommenden Verhältnisse eine Adoptierung eines solchen Systems
nicht gestattet, so lässt sich doch schon allein in bezug auf die
Frage der „Durchführbarkeit“ aus demselben eine Reihe wertvoller
Gesichtspunkte ableiten, wenn wir die Hauptunterscheidungsfragen
herausgreifen und auf unser System anzuweuden suchen. Diese
aber umfassen m. E. vorzüglich folgende Punkte:
Schularzt und schulärztliche Vorbildung; Schülerbchandlung;
Spezialisten als Schulärzte;
Schulärztliche Organisierung; einheitliche Regelung des schul¬
ärztlichen Dienstes, sowie Ausdehnung desselben auf Mittel- und
eventuell höhere Schulen.
I.
Die Frage „Wer wird Schularzt?“ wäre wohl leicht zu be¬
antworten, wenn es sich bei dem schulärztlichen Amte nur um die
Behandlung oder Feststellung von Schülererkrankungen handelte
oder doch wesentlich um diese. Der „praktische Arzt“ als solcher
wäre dann eben der geborene Anwart auf die schulärztliche Stellung.
Da aber nun in den sogen. „Dienstordnungen“ eine Reihe von Ver¬
pflichtungen übernommen wird, welche das Gebiet praktisch ärztlicher
Ausbildung nur lose berühren, so ist die Forderung einer speziellen
Ausbildung nicht von der Hand zu weisen. Schon die rein soma¬
tischen, physiologischen wie pathologischen Verhältnisse der Schul¬
jugend haben eine Menge Eigentümlichkeiten, welche das Schulkind
auch für den Arzt zu etwas Besonderem, Speziellem stempeln.
Zieht man aber erst die psychologischen und pädagogischen Gebiete,
ferner die Materien der Unterrichtshygiene, die speziell pathologischen
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Verhältnisse für die Hilfsschulen, Stotterer, Krüppel, weiterhin die
weitverzweigte Gebäudehygiene in Betracht, so wird die Forderung
einer gewissen Schulung und Vorbildung der praktischen Schulärzte
auf um so fruchtbareren Boden fallen. So wie die Dinge z. Z. in
manchen Städten Deutschlands liegen, darf man wohl behaupten,
dass im Grunde nur wenig mehr erreicht ist, als zu einer Zeit, da
der schulhygienische Dienst ausschliesslich im Nebenanite von be¬
amteten, Armenärzten oder ähnlichen Ärztekategorien ausgeübt wurde*
Vor allem dürfte folgender Gesichtspunkt hier leitend sein. Soll
man dem Schularzt eine wirklich positive eingreifendere Tätigkeit
anvertrauen, so muss die anstellende Behörde denselben als einen
Fachmann sui generis betrachten können, mit andern Worten der
Schularzt muss in seinem Fache Autorität beanspruchen und abuötigen*
Dies kann er aber nur, wenn er mit speziellen Kenntnissen ausgerüstet
ist. Das eine ist eben die notwendige Voraussetzung des anderen*
Nur dann werden aber auch wichtige und wichtigste Funktionen
des Schularztes nicht mehr allein auf dem Papiere stehen, noch
werden ihm ganze Gebiete der Schulhygiene verschlossen bleiben
und wird man seine Tätigkeit in der Gebäudehygiene nicht mehr
auf eine Einladung zur Besichtigung fertiggestellter Schulneubauten
beschränken.
Die Übermittlung der einschlägigen Kenntnisse könnte erfolgen
sowohl durch entsprechende Kurse in der Schulhygiene während
des Universitätsstudiums oder auf dem Wege ärztlicher Fortbildung y )
oder, was wohl am zweekentspechendsten wäre, auf beide Arten;
und Anregungen in dieser Hinsicht von seiten der leitenden Stellen
würden wohl Lehrer und Schüler auf den Plan bringen.
Es liegt nun auf der Hand, dass auch eine entsprechende
Vorbildung nicht ohne weiteres den Arzt in den Stand setzt, das
weite Feld der Schulhygiene dauernd zu beherrschen; denn es
handelt sich ja für unser System um eine nebenamtliche Tätig¬
keit, und zwar bei Männern, deren verfügbare Zeit grösstenteils
durch eine mühevolle Praxis absorbiert wird. Daher empfiehlt sich
für grössere Kommunen neben dem aus praktischen Ärzten zu
bildenden Kollegium die Schaffung einer spezialschulärztlichen
Stellung.
M. H. Ich bin nicht der Vater dieses Gedankens; vielmehr
ist ein solcher bereits hier und da aufgetaucht, ohne jedoch je zur
Tat geworden zu sein; und dennoch wird jedem praktizierenden
Schularzt das Bedürfnis schon gekommen sein, seine Erfahrungen
1) Die Ungarische Regierung lässt jährlich 3 monatliche Kurse ab¬
halten, an welchen sich diejenigen zu beteiligen haben, welche Schulärzte
werden wollen.
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und Beobachtungen und damit seine Vorschläge und Forderungen
an einer Stelle niederzulegen, von wo aus sie gesichtet und wohl¬
abgewogen weitergereicht werden, nicht um in „wohlwollende Er¬
wägung gezogen 44 sondern um mit Nachdruck geltend gemacht zu
werden. Dass aber eine Behörde sich mit einer Reihe von Schul¬
ärzten zumal im Hinblick auf die oft weit divergierenden Ansichten
benehmen soll, halte ich für kleinere Vorschläge zwar nicht für
undurchführbar, bei wichtigeren Neuerungen für kaum zu ermöglichen
und bei prinzipiellen Forderungen (z. B. Lehrplanänderungen) für
gänzlich undenkbar. Man wird, wie so häufig, alle hören und
keinem folgen, und der so notwendige Einfluss des ärztlichen Ele¬
mentes wird für die zukünftige Regelung der wichtigsten Fragen
ausgeschaltet bleiben.
Das Bedürfnis einer schulärztlichen Spitze hat in manchen
grösseren Städten bereits Ausdruck gefunden durch die Wahl eines
sogen, „ältesten 14 oder „ersten 44 Schularztes — um den „Schulober¬
arzt 44 ist man bisher fürsorglich herumgegangen, um nicht zu all
den Oberärzten auch noch neue zu schaffen — oder auch durch
die Creierung eines vorhandenen „Stadtarztes 44 zum Vorsitzenden der
Schulärzte. Solcherlei Einrichtungen bleiben vielleicht vorläufig
als Übergangsstadium überall da erstrebenswert, wo bisher der Zu¬
sammenhang unter den Schulärzten völlig fehlte, dienen aber offen¬
bar mehr der Organisation der Schulärzte an sich als dem so not¬
wendigen Fortbau der Schulhygiene und dem Einfluss des ärztlichen
Elementes auf die letztere, ohne unserem Gedanken nahe zu kom¬
men, dass alle Fäden in der Hand eines S pezial s ch ulhygieni-
kers zusammenlaufen sollten, der sein Amt nicht als Nebenamt be¬
kleidet, sondern das Gebiet der Schulhygiene beherrscht, in direktem
Verkehr mit der leitenden Behörde steht, Sitz und Stimme in den
Sehuldeputationen hat und der daneben die Ausbildung oder Fort¬
bildung neuer Schulärzte sich angelegen sein Hesse *).
Man hat sich nun dort, wo die Frage sog. Schuloberärzte
auftanchte, bereits damit beschäftigt, denselben als besondere Funk¬
tion die Unterrichts und Gebätidehygiene zu übertragen; man hat
auch, das Fell des Bären verkaufend, ehe man den Bär erlegt hat,
Amts-, Bezirks-, Stadtärzte als die geeignetsten Sachwalter bezeichnet.
1) unbeschadet der Tätigkeit der Dozenten der Hygiene auf den
Universitäten, welche zunächst für die Studierenden der Medizin in Be¬
tracht kämen, während die obigen Spezialschulärzte die Ausbildung prak¬
tizierender Ärzte zu leiten hätten.
Wenn die Vorlesungen, welche Prof. Gärtner in Jena während einer
Reihe von Jahren über Schulhygiene- hielt, schliesslich wegen mangelnder
Beteiligung eingestellt werden mussten, so ist dies erklärlich, da eine
entsprechende Vorbildung z. Z. nicht gefordert war.
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Zu letzterer Ansicht möchte ich jedoch bemerken, dass selbstredend
auch die genannten, aber nicht allein oder vorzüglich oder weil
sie in beamteter Stellung sind, in Betracht zu ziehen wären, sondern
dass nur die spezielle Fachkenntnis hier ausschlaggebend sein
-dürfte.
Ich wende mich nun zu der V rage, ob die Zahl der bestellten
Schulärzte den an sie gestellten Anforderungen genügt. Wenn man
die von Wex-Lübeek in der Zeitschrift für Schul-Gesundheitspflege
1903 (Heft 12) veröffentlichte Tabelle zu Rate zieht, so ergibt sich,
dass ausserordentliche Unterschiede je nach den einzelnen Städten
vorliegen. Es gibt Städte, in denen auf den einzelnen Schularzt
4000 Kinder entfallen. Als niedrigste Angabe wird eine zu ver¬
sorgende Anzahl von 900 Kindern für jeden Schularzt aufgeführt.
Das Mittel ergibt 2400. Wir kennen jedoch auch aus den nächst-
liegenden Vergleichungen solche Schularztstellen, für welche das
angeführte Mittel bedeutend überschritten wird. Dass natürlich da¬
bei der Überblick über das ganze sehr erschwert ist, ein wirkliches
„zu Hause sein w in den anvertrauten Systemen aber fast unmöglich
wird, bedarf wohl keiner besonderen Beweisführung. Der Schul¬
arzt sollte mit Ruhe seiner Tätigkeit nachgehen können, so dass
er neben seiner ärztlieheu Praxis Zeit genug findet, da, wo es not
tut, seine Schutzbefohlenen Schulkinder gründlich und zugleich
freudig zu untersuchen. Überlastung aber und Abmüdung verdirbt
Lust und Liebe zur Sache und stellt damit ein gutes Teil des zu
hoffenden Erfolges in Frage. Wie können aber vollends Unter¬
suchungen z. B. auf ansteckende Erkrankungen, die jedesmal nach
<Ien grösseren Ferien anzustellen sind und deren Wichtigkeit ausser
Frage steht, bei einem Schülermatcrial von 2000 und darüber in
dem vorgeschriebenen Termin gewissenhaft und mit Erfolg betrieben
werden? — Es ist natürlich schwer, das Gebiet der Leistungsfähigkeit
des einzelnen mathematisch abgrenzen zu wollen, aber soviel hat
die Erfahrung doch schon bis jetzt gelehrt, dass selbst bei den
jetzigen Anforderungen die Arbeit beginnt stürmisch zu werden,
wenn die Grenze von 1500 Überwiesenen wesentlich überschritten
wird, und dabei ist zu bedenken, dass die schulärztlichen Leistungen
sich doch nach oben und nicht nach unten entwickeln sollen, dass
insbesondere mehr zu verlangen ist in der Untersuchung von Auge
und Ohr, mehr auch in der Fürsorge für die Stotterer, Krüppel
u. dgl. Durchaus gerechtfertigt erscheint deshalb die Forderung,
dass auf einen praktizierenden Schularzt nicht mehr als
1500 Kinder entfallen sollen. (Leubuscher u. a.)
Erleichtern würde man übrigens die schulärztliche Tätigkeit,
auch abgesehen von der Reduzierung der Schülerzahl, wenn man
von dem hier und da befolgten System ablassen wollte, den Ärzten
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möglichst entfernte Reviere anzuweisen. Schafft man doch dadurch
künstliche Verhältnisse, welche auf dem Lande so sehr zu beklagen
sind und dort eines der Haupthindernisse für die Einführung des
Schularztes bilden. Man hat den angedeuteten Modus geglaubt aus
weiser Rücksicht gegen die ortsansässigen praktischen Ärzte ein¬
führen zu sollen, dabei aber augenscheinlich zu wenig geltend ge¬
macht, dass die Tätigkeit der Schulärzte in der Hauptsache eine
überwachende ist. Dort aber, wo in der Tat Behandlung unum¬
gänglich, kann es sich nur um die armen und ärmsten der Schüler
handeln, eine Klientel, die für privatärztliche Tätigkeit mit Hono¬
rierung überhaupt nicht in Betracht kommt. In Berlin ist man
denn auch über derartige Strohhalme nicht gestolpert und verbindet
so mit dem Angenehmem das unschätzbar Nützliche, dass der Arzt
als Kenner seines Reviers bessere Einsicht in die hygienischen
Verhältnisse des Hauses und der Familie erhält, eine Einsicht,.
die zur Erkennung und Abstellung so mancher Schäden den Schlüssel
bietet.
II.
M. H. Der schulärztliche Dienst ist ein Überwachungsdienst:
irgend eine Form der Behandlung steht dem Schulärzte
nicht zu.
So lautete der Grundsatz bei Einführung unseres Systems,
und dieser Grundsatz gilt auch heute noch bei der Mehrzahl der
Schulhygieniker als Axiom. Und dennoch ist derselbe sowohl theo¬
retischen Erwägungen gegenüber als zufolge praktischer Über¬
schreitungen bedenklich ins Wanken geraten. Besonders Lieben¬
mann (Budapest, und Richter (Remscheid) waren es, welche auf
dem 1. Internationalen Schulhygienekongress energisch für Behand¬
lung erkrankter Schüler bezw. Schülerinnen eintraten, ohne frei¬
lich mit ihren Ansichten besonders Schule gemacht zu haben, viel¬
leicht aus dem Grunde, weil die Forderung der Schülerbehandlung
ganz allgemein, ohne die nötige präzise Abgrenzung, gestellt wurde*
Liebermann fordert die Behandlung, ausgehend von dem Grund¬
sätze, dass der Staat, der das Kind in die Schule zwinge, aueli
die Pflicht habe, für Abstellung aller gesundheitlichen Schädigungen
Fürsorge zu treffen, welche der Jugend durch die Schule erwüchsen.
Nun ist bekannt, dass wir Schulärzte schon seit langem und mit
wahrem Eifer den theoretischen Kampf kämpfen gegen eine Reihe
der erbittertsten Feinde unserer Schuljugend, mit manchem bemerkens¬
werten Erfolge zwar, im grossen aber, um mit statistischem Material
die Stadtarchive zu beglücken.
Ich greife nur zwei der nächstliegendeu Sehulplagen heraus,
die in den Volksschulen geradezu bedenklich verbreitete Pediculosis
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und die Zalmkaries. Mit Ratschlägen, mündlichen und gedruckten,
rücken wir diesen Übeln zu Leibe, um immer wieder das Längst¬
bekannte zu konstatieren, dass es eben eine ganze Anzahl von
Kindern gibt, welche daran leiden. Freilich, steter Tropfen höhlt
den Stein; aber die schier unglaubliche Gleichgiltigkeit und Wursch¬
tigkeit (sit venia verbo) gewisser Volksschichten, die in ihren Alltags¬
sorgen Kopf lind Zähne, Reinlichkeit und Körperpflege für Lappalien
halten, verhindert jeden nachhaltigen Erfolg. Will man hier etwas
erreichen, so muss man dem Volke die Wohltaten der Hygiene
anfnötigen oder wenigstens auf dem Präsentierteller bieten. Zürich
stellte denn auch eine besondere Pflegerin für die mit Pediculosis
behafteten Schulkinder an und Darmstadt und Strassbnrg besitzen
bereits ihre Schnl-Zahnkliniken. Hier haben wir also schon Schüler¬
behandlung im eigentlichen Sinne, offenbar hervorgegangen aus
der Erfahrung, dass man ohne eine solche nichts wesentliches er¬
reicht. Was aber dem Kopf und den Zähnen recht ist, dürfte
den Augen billig sein. Dass eine grosse Anzahl von Schulkindern
an Refraktionsanomalieen, katarrhalischen Prozessen der Bindehaut,
der Lidränder, entzündlichen Veränderungen der Hornhaut leidet,
ist eine bekannte Tatsache. Ebenso ist bekannt, dass eine Reihe
von Schülern, durch den Schularzt auf ihr Leiden aufmerksam
gemacht, bei einem Arzte wenn auch oft nach langem Zögern und
auf Umwegen mancherlei Art Hülfe sucht und findet. Unbekannt
darf aber nicht bleiben, dass ein grosser Teil mit Erkrankungen
oft schwerster Art (ich erinnere nur an die Mittelohreiterungen >
hülflos bleibt, entweder durch Vernachlässigung oder Leichtsinn
der Eltern oder auch infolge absoluter Notlage. Der Weg zum
Armenarzt ist nicht immer gangbar und wird erfahrungsgemäss von
vielen auch notorisch Armen verschmäht. Ich könnte weiter gehen
und an die vielen Veränderungen in Hals, Nase, Rachen, Ohr er¬
innern, um mit ähnlichen Erfahrungen aufzuwarten.
Man hat nun diese Lücke in der hygienischen Versorgung
der Schulkinder wohl eingesehen, sowohl seitens der Pädagogen
als der Ärzte, und schüchterne Ratschläge sind bereits hier und da
gemacht. Poetter wirft in einem längeren Artikel »1902, Zeitsehr.
für Schulgesundheitspflege) die Frage auf, wie der Nichtbefolgung
ärztlicher Ratschläge, über welche er zahleninässig quittiert, in der
Folge zu begegnen sei und erinnert an die Polikliniken der Gress¬
städte, die Krankenkassen, Armenverbände mit einem zaghaften
Appell an die öffentliche Wohltätigkeit. — Ich gehe hierüber hin¬
weg, obgleich m. E. in diesem Hinweis eine Verkennung der an¬
gezogenen Verhältnisse liegt. — Indem Poetter sodann auf die
Schwierigkeit der Beschaffung verordneter Heilmittel (Brillen, Ban¬
dagen, Medikamente) übergeht, sagt er: „Als weitere Konsequenz
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jalirg. 4
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der Untersuchungen stellt sich die Notwendigkeit heraus, die kränk¬
lich befundenen Kinder im Auge zu behalten, eventuell nachzu¬
untersuchen, bis das Übel, soweit möglich, behoben bezw. gebessert
ist.“ Ganz richtig und zugegeben! Aber dennoch ist mir un¬
verständlich, wie durch Untersuchungen, und mögen sie noch
so oft angestellt werden, eine Besserung oder Heilung zu er¬
möglichen ist. Nur Behandlung kann hier zum Ziele führen.
Diese aber ist nicht überall oder, sagen wir besser, nicht einmal in
den meisten Fällen soweit es sich um die Volksschule handelt, auf
dem Wege privater Ärztefürsorge durchzuführen, und ich stehe nicht
an zu behaupten, dass die hygienischen Bestrebungen zu Gunsten
der Schuljugend erst dann beginnen namhaftere äussere Erfolge
zu zeitigen, wenn die notorisch Armen und verwahrlosten
Kinder, welche infolge ihrer Wohnungs- und Familienverhältnisse
wohl auch die grössten „Infektionsträger“ darstellen dürften, in
Zukunft einer frühzeitigen Behandlung entgegengeftihrt werden.
Armenarzt und Armenfürsorge reichen hier nicht aus. Dem Schul¬
arzt muss vielmehr die Möglichkeit geschaffen werden, für
arme Schulkinder überall da behandelnd tätig zu sein,
wo auf anderem Wege eine Behandlung nicht durch¬
zusetzen, und es müssten die Mittel für etwa erforder¬
liche Verordnungen auf irgend einem Wege unentgeltlich
bereit gestellt werden. Vor allem käme hier natürlich in
Betracht: ambulante Behandlung und die Möglichkeit erleichterter
oder direkter Überweisung an die Krankenanstalten zu unentgeltlicher
Behandlung. Hierdurch würde manche Infektionsquelle, die unter
den derzeitigen Verhältnissen lustig weiter sprudelt, versiegen und
es würde neben dem hygienischen Zwecke auch für die Volks¬
schule das sozial Gute erwachsen, dass dem stets sich mehrenden
Fortzug der besseren Elemente Einhalt getan und so das Niveau
der Volksschule möglichst vor dem Sinken bewahrt bliebe. Alle
anderen Wege aber würden verfehlt sein; zumal der Hinweis auf
Polikliniken und unentgeltliche Spezialistenbehandlung würde die
berechtigte Kritik namentlich seitens des Ärztestandes herausfordern.
M. H. Unter diesem Gesichtswinkel gewinnt auch eine andere
Frage, welche bereits vielfach diskutiert wurde, eine audere Be¬
deutung, ich meine die Frage nach der Anstellung besonderer
Spezialisten, insbesondere zunächst der Schul-Augenärzte.
Wie H. Cohn z. Z. mit seiner Forderung der Schulärzte immer
und immer wieder auf dem Plaue war, so fordert er jetzt mit aller
Entschiedenheit den Schul-Augenarzt. Und mit Recht! schon aus
dem Grunde, weil die Augencrkrankungen mit das grösste Kontingent
unter allen Schulerkrankungcn stellen. Das Bedürfnis, für die
Gesundung der Augen der lernenden Jugend zu sorgen, ist ein
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grosses, ebenso gross sind die Bestrebungen, Abhtilfe zu schaffen.
Aber H. Cohn gesteht selbst, dass trotz aller Verbesserung der
Lichtverhältnisse durch Photometrie, trotz aller Verbesserungen der
Schulbank und der Druckschrift ein Zurtickgehen der Refraktions-
anomalieen nicht stattgefunden bat. Das gibt doch in der Tat
zu denken und beweist, dass unsere bisherige Fürsorge für die
Augen noch nicht als eine genügende zu bezeichnen ist. Es ist nun
leicht zu ersehen, dass die üblichen Massenuntersuchungen mittels
Cohnscher Gabel, Heymannscher Sehtafel etc. wesentlich nur auf
die Bestimmung der Sehschärfe hinauslaufen, ohne Rücksicht
auf den Grad der Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit oder gar der kom¬
plizierteren Verhältnisse des Astigmatismus; und letzteres ist doch
-das ungleich wichtigere. Die nun folgende Benachrichtigung der
Eltern hat den Effekt, dass eine gewisse Anzahl den Augenarzt
zu Rate ziehen. Ich selbst aber kann bezeugen, dass eine ganze
Reihe nach wiederholten Ermahnungen und der Aufforderung, im
Falle des Unvermögens, auf dem Wege der Armenuntersttitzung
für geeignete Abhtilfe (durch Gläser etc.) zu sorgen, mit oft schweren
Formen von Augenanomalien sich weiter quälen muss. Also der
Schul-Augenarzt ist nötig. Aber auch hier bleibt bestehen, was ich
oben bereits entwickelte, es muss dafür gesorgt werden, dass
•derselbe Erkrankungen nicht nur feststellt, denn damit sind wir
erst den halben Weg gegangen, sondern auch da, wo es Not tut,
Verordnungen trifft, und dass für die Beschaffung der erforderlichen
Heilmittel Sorge getragen wird.
Dass natürlich Kautelen geschaffen werden müssen, um Miss¬
brauchen vorzubeugen, bedarf nur der Erwähnung, und es liegt
kein Grund vor, an der relativen Leichtigkeit dieser Aufgabe zu
zweifeln.
Sollen die schulärztlichen Untersuchungen und Anordnungen
ungestört und exakt vorgenommen werden können, so muss dem
Arzte ein hierzu geeigneter Raum zur Verfügung stehen. Häusliche
Untersuchungen sind zu vermeiden, damit der Schein jeder privat¬
ärztlichen Tätigkeit vermieden wird. Wenn man aber die herrlichen
Schulneubauten und -Paläste betrachtet und mit innerer Freude
sieht, wie dieselben von Jahr zu Jahr an äusserer Formschönheit
und innerer Vervollkommnung fortschreiten, so darf doch auch
wohl die angeborene Bescheidenheit des Arztes einmal die Frage
wagen: Sollten denn von all den geräumigen mächtigen Hallen
nicht ein paar Quadratmeter Luft und Raum für ein einfach und
zweckmässig herzurichtendes ärztliches Sprech- und Untersuchungs¬
kabinett zu erübrigen sein ? Man sollte meinen : diese Frage stellen
hiesse sie beantworten. Durch Einrichtung eines solchen Raumes
müssten die Untersuchungen an Genauigkeit und Schärfe bedeutend
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gewinnen, kleinere nötig dünkende ärztliche Verrichtungen könnten
sozusagen unter der Hand ohne Aufbietung eines grösseren Apparates^
erledigt werden, der Schulunterricht endlich würde vor mannig¬
fachen z. Z. nicht zu vermeidenden Störungen bewahrt sein.
III.
M. H. Zu den noch erübrigenden Punkten muss und kann
ich mich kurz fassen. Denn die einheitliche Regelung des schul¬
ärztlichen Dienstes ist grösstenteils eine so interne Angelegenheit
der Schulärzte, dass sie hier kaum interessieren möchte, weshalb
ich mir Vorbehalte, an anderer Stelle darauf zurückzukoramen.
Dasselbe, freilich in geringerem Masse, gilt von der schulärztlichen
Organisation, unter welcher wesentlich der engere Zusammenschluss
der Schulärzte in den einzelnen Kommunen und auch der weitere,
umfassendere zu provinziellen oder territorial anders abgegrenzten
Vereinen zu fassen wäre. Auch hier mag es genügen, die un¬
bedingte Notwendigkeit derartigen Zusammenwirkens betont zu
haben, durch das allein ein regerer Gedankenaustausch und die so
notwendige Diskussion schwebender Fragen und damit auch eine
grössere Fruchtbarkeit auf schulhygienischem Gebiete zu erhoffen
ist. Dadurch würde dann auch die Lösung der Frage nach dem
Ob und Wie der Ausdehnung des Schularztsystems auf die mittleren^
eventuell höheren Schulen uäher gerückt sein, eine Frage, die für
die Mittelschulen unbedingt in bejahendem Sinne und zwar gemäss
den für die Volksschulen massgebenden Normen zu entscheiden
wäre. Für die Gymnasien, Realgymnasien u. a. sind indes andere
Gesichtspunkte massgebend, insofern hier der Schularzt als Schüler¬
arzt nur wenig iu Betracht käme, wegen der Grundverschiedenheit
der Schttlerqualität (vergl. Roller in der Zeitschr. für Schul¬
gesundheitspflege, 1901), während die Gebäude- und Unterrichts¬
hygiene, ich möchte fast sagen, in noch höherem Masse schulärztliches
Auge und schulärztlichen Massstab verlangt als für die Volksschulen.
M. H. Schulhygiene ohne Arzt ist nicht denkbar. Meine
Ausführungen aber, für welche ich mir auch in manchen Punkten
der Beweisführung äusserste Einschränkung habe auferlegen müssen
wegen der Kürze der mir zu Gebote stehenden Zeit, dürften gezeigt
haben, dass dem ärztlichen Element sicher nicht ein zu weit gehender
Einfluss eingeräumt ist. Das Gegenteil davon ist die Wahrheit.
Es ist jedoch zu erhoffen, dass auch hier die Entwickelung keinen
Stillstand zu verzeichnen haben wird — an der Arbeit der Schul¬
ärzte soll es dabei nicht fehlen —; dann nun wird der Schularzt
in dem wahrhaft erhebenden Berufe aufgehen können, der gedeih¬
lichen Entwickelung und Gesundung der kommenden Generationen
zu dienen.
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53
Der Vorsitzende dankt auch diesem Redner für den sehr an¬
regenden Vortrag, eröffnet die Diskussion darüber und bittet, sich
wegen der vorgerückten Zeit möglichst kurz zu fassen. Nach einer
Mitteilung des Stadtarztes Dr. Schrakamp in Düsseldorf über die
dortigen praktischen Schularzt-Einrichtungen beantragt Dr. Selter-
Solingen, da keine völlige Klärung über die Frage, wie sich die
Versammlung im ganzen zu der Sache stelle, die Schularztfrage
demnächst nochmals auf die Tagesordnung einer General-Versamm¬
lung zu stellen.
Der Vorsitzende schloss dann die Versammlung mit herzlichen
Dankesworten für die Referenten, für die Stadt Gladbach und ihren
Oberbürgermeister.
Die Teilnehmer folgten hierauf einer Einladung des Ober¬
bürgermeisters Piecq zur Besichtigung einiger städtischen Anstalten
und Anlagen. Die Kläranlagen, die Badeanstalt, das Nahrungsmittel¬
untersuchungsamt und die neue städtische Milchsterilisierungsanstalt
wurden einer eingehenden Besichtigung unterzogen.
Oberbürgermeister Piecq bemerkte dazu, dass die gerade ani
Vormittag erfolgte Eröffnung der Milchsterilisierungsanstalt durch
diesen Besuch erst die richtige Weihe erhalte. Die Anwesenden
sprachen sich über die praktischen Einrichtungen und die peinliche
Sauberkeit in der Anstalt anerkennend aus, ja, man kann sagen,
dass die Anstalt bei den Besuchern, die zum grössten Teil Fach¬
leute waren, Aufsehen erregten. Von verschiedenen Seiten wurde
betont, dass M.-Gladbach die erste Stadt in Deutschland ist, welche
in dieser Weise für eine einwandfreie Säuglingsnahrung sorgt. Die
Anstalt sei für andere Städte vorbildlich.
Weitere Einrichtungen konnten leider wegen vorgeschrittener
Zeit nicht besichtigt werden.
Das darauf folgende Festmahl nahm unter gleich reger Be¬
teiligung einen schönen Verlauf und bildete einen angenehmen Ab¬
schluss der Versammlung.
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54
Kleine Mitteilangen.
Bekämpfung der Kindersterblichkeit im Reg.-Bez. Aachen.
Der Herr Regierungs-Präsident von Hartmann in Aachem
übersendet nachstehende Übersicht über das, was im laufenden
Jahre zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Regierungs¬
bezirk Aachen geschehen ist.
Die Massnahmen, die zur Herabminderung der Säuglingssterb¬
lichkeit im hiesigen Bezirke getroffen worden sind, wurden im
laufenden Jahre weiter gefördert und teilweise in erfreulicher
Weise erweitert und ausgedehnt; teilweise sind solche Massregeln
immerhin bestimmter ins Auge gefasst worden.
I, Beschaffung guter Säuglingsmilch.
1. Stadt Düren. Die bereits im Jahre 1903 gegründete
Veranstaltung ist auch im laufenden Jahre durchgeführt worden.
Es besteht ein Komite zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit,
dem es gelungen ist, die Aufmerksamkeit und die tatkräftige Unter¬
stützung weitester Kreise zu gewinnen; die städtische Verwaltung
hatte sich sofort beteiligt. Da die Ergebnisse der Milchversorgung
so zufriedenstellend sind, wird die Einrichtung wohl zu einer dau¬
ernden werden, sei es, dass sie eine eigene feste Gestaltung erhält,
sei es, dass sie einer bestehenden Anstalt angegliedert wird. Es sind
dieserhalb bereits seit einiger Zeit Verhandlungen im Gange. Da
die Unkosten infolge der grösseren Inanspruchnahme stiegen, hat
die Stadt in Aussicht genommen, ihren Zuschuss von 1000 auf
1500 Mk. zu erhöhen und ausserdem einen Teilbetrag von 750 Mk.
eines Legates zur Verfügung zu stellen. Der freiwillige Armenverein
hat statt 600 Mk. jetzt 1000 Mk. beigetragen; aus freiwilligen Gaben
standen etwa 2000 Mk. zur Verfügung. Die Milch wurde bisher
als sogenannte Backhausmilch bezogen, in vier Sorten, deren Preis
8 bis 15 Pfg. betrug, in Einzelportionen von 50—200 Gramm; das
Liter kostete durchschnittlich 75 Pfg., worauf allerdings 30 v. H^
Nachlass gewährt wurde. Es wird jetzt erwogen, andere Milch zu
beziehen und die Sterilisierung derselben selbst zu übernehmen.
Die Zahl der versorgten Kinder betrug
im
Juni
1903
. . . . 12 (im Beginn),
V
Juli
7)
täglich . 30
7)
August
??
„ • 84
n
September
7)
„ • 94
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ßie fiel dann bis März 1904 auf 16 und erhöhte sich im Sommer 1904
wieder auf 60—80 täglich.
Anfang November werden die kräftigen Kinder von der Ver¬
sorgung ausgeschlossen, während die schwächeren nach Erfordernis
weiter teilnehmen. Ebenso werden während des Winters auch nur
der Milchversorgung wirklich bedürftige Kinder neu zugelassen.
Die Mitwirkung der Armenpflegerinnen und anderer Damen
der Stadt hat sich als so segensreich erwiesen, dass sie den
Wünschen der Ärzte entsprechend noch möglichst ausgedehnt werden
soll. Die Tätigkeit der Damen hat sich namentlich nach folgenden
Richtungen bewährt: sie überwachen die Säuglinge, die Behandlung
der überwiesenen Milch und ihren Verbrauch; sie wirken erziehlich
auf den Reinlichkeitssinn und zwar bezüglich der Körperpflege
ebenso wie der Säuberung der Wohnungen u. s. w.
Die Säuglinge werden in bestimmten Fristen in dem Saale
des freiwilligen Armenvereins in Gegenwart der Aufsichtsdamen
ärztlich untersucht.
Um die richtige Milchversorgung der Säuglinge schon von
Anfang an zu sichern, werden jetzt die Namen der Neugeborenen
armer Familien dem Komitö vom Standesamte mitgeteilt. Die be¬
treffende Aufsichtsdame besucht alsdann sofort die Wöchnerin und
hält sie nach Möglichkeit zum Selbststillen an; sie bewilligt ihr
dazu die Verabreichung von Suppe und Milch aus der Vereinsküche;
erforderlichenfalls wird auch die Pflege der Wöchnerin durch die
Wochenbettpflegerin des Vaterländischen Frauenvereins besorgt;
insbesondere veranlasst die Dame noch, dass schwächlichen Kindern
ärztliche Behandlung zuteil werde und — falls die Mutter nicht zu
stillen vermag — ihnen die nötige Milch zukomme.
Um die gesamten Milchverhältnisse der Stadt zu bessern, soll
demnächst ausser der regelmässigen Markt- und Handelskontrolle
eine fortlaufende Beaufsichtigung der Ställe und Milchabgabestellen
stattfinden. Die bisher eingeleitete erstmalige Revision durch den
Kreistierarzt hat fast überall zu polizeilichen Auflagen geführt.
Die Verhältnisse des Milchverkehrs und der Versorgung der
Kinder und Säuglinge mit guter Milch gehen mithin in der Stadt
Düren einer so zielbewussten und alles umfassenden Ausgestaltung
entgegen, dass sie bald vorbildlich werden dürften.
2. Stadt Malmedy. Infolge der grossen Schwierigkeiten,
namentlich betreffs der Geldbeschaffung, sind die Pläne, die bereits
1903 ernstlich erwogen wurden, erst mit dem 1. Februar 1904
ausgeführt worden. Der Zweigverein des Vaterländischen Frauen¬
vereins hat unter Beteiligung der städtischen Armenverwaltung hier
ebenfalls eine Milchversorgungsanstalt für Säuglinge errichtet und
in Betrieb gesetzt. Sie wird von dem genannten Verein beaufsichtigt;
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sie befindet sich in einem Raume der früheren Mädchenschule. Die
Milch wird teilweise gegen Zahlung des ganzen oder halben Selbst¬
kostenpreises, grösstenteils aber unentgeltlich verabfolgt. Die Zahl
der Kinder betrug anfangs zehn, späterhin 17 täglich; im ganzen
waren bis zum 1. Oktober 27 Kinder unter 1 Jahre mit sterilisierter
Milch versorgt worden. Die Milch wird nach ärztlichen Vorschriften
und nur in Einzelgaben verabfolgt, je zu 6—8 Fläschchen täglich;
im ganzen waren es in 9 Monaten 1945 einzelne Gaben.
Der Sterilisierapparat von Trimpe in Magdeburg ist für
250 Flaschen eingerichtet. In demselben Raume befindet sich noch
eine Kinderwage, womit die Gewichtsverhältnisse der Kinder von
Zeit zu Zeit festgestellt werden. Die Milch wird von einem dortigen
Landwirt geliefert; ihr Fettgehalt wird täglich bestimmt.
Dem ordnuugsmässigen Betriebe stellten sich anfänglich noch
Schwierigkeiten insofern entgegen, als von einzelnen Familien die
Vorschriften über Abholen und Aufbewahrung der Milch, Reinigung
der Flaschen u. s. w. nicht immer streng beobachtet wurden; hierin
hat sich aber eine erfreuliche Besserung bemerkbar gemacht. Auch
hier geht offenbar von der Anstalt ein erziehlicher Einfluss auf die
gesundheitlichen Anschauungen und Betätigungen der Bevöl¬
kerung aus.
3. Landkreis Aachen. An die arme Bevölkerung wird
von einzelnen Gemeinden unentgeltlich gute Milch verabreicht.
4. Kreis Düren. In einzelnen Gemeinden ist die Einrichtung
getroffen, dass den Hebammen der Auftrag erteilt ist, dafür Sorge zu
tragen, dass, falls eine Wöchnerin nicht selbst stillt, regelmässig ein
Arzt zugezogen wird. Bei den armen Wöchnerinnen, welche nicht oder
doch nicht genügend stillen können, wird der Gemeindearzt zuge¬
zogen. Für den Säugling wird alsdann auf Rechnung der Ge¬
meinde von einem zuverlässigen Ackersmann gute Kuhmilch ge¬
liefert, und die Hebamme überwacht die Wöchnerinnen insbesondere
darauf, dass die Milch in entsprechender Verdünnung und nur abge¬
kocht verabfolgt wird, dass Kessel, Milchflaschen und Sauger stets
gründlich gereinigt werden u. s. w.
5. Auch im Kreise Erkelenz wird den ärmeren Leuten
gute Milch zur Ernährung der Säuglinge beschafft.
In der Stadt Erkelenz hat es der Oberpfarrer im Verein
mit den Mitgliedern des Elisabeth- und Frauenvereins übernommen,
den armen Wöchnerinnen durch Vermittlung des Krankenhauses
entprechende Nahrung zukommen zu lassen, sei es gegen eine
kleine Entschädigung, sei es unentgeltlich.
I a. Auf dem Gebiete der Milchversorgung ist weiterhin
folgendes geplant oder auch in Vorbereitung:
1. Stadt Aachen. Es sind mit dem Pächter des der Stadt ge*
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57
hörenden Gates im Siisterfelde Verhandlungen dahin eingeleitet
worden, dass dort möglichst einwandfreie Milch produziert werde,
um sie an Unbemittelte zu billigen Preisen verabfolgen zu lassen.
Ausserdem soll eine dauernde Aufsicht über die Verwendung der
Milch eingerichtet werden ähnlich der Kontrolle, wie sie in Frank¬
reich und Belgien in den sogenannten laiteries materneiles üblich
ist. Der Vaterländische Frauenverein hat sich der städtischen Ver¬
waltung gegenüber bereit erklärt, hieran mitzuwirken.
2. In der Stadt Eschweiler haben eingehende Verhand¬
lungen der Gesundheitskommission das Ergebnis gehabt, dass be¬
schlossen wurde, eine städtische Sterilisieranstalt zu errichten; es
soll hier Milchproduzenten, Händlern und Konsumenten Gelegenheit
geboten werden, Milch sterilisieren zu lassen. Die Einzelheiten
sind weiterer Beschlussfassung Vorbehalten.
3. In der Stadt Eupen wird geplant, eine Kindermilch¬
anstalt einzurichten, sobald die pekuniären Grundlagen beschafft
sein werden. Dieserhalb soll bei der nächsten Etatsaufstellung
ein jährlicher Kredit von Seiten der Stadt beantragt werden.
Ausserdem haben die Vorstände der dortigen Krieger vereine be¬
schlossen, einen Teil des Überschusses, der von im laufenden Monat
stattfindenden Kriegerfestspielen erwartet wird, für diesen Zweck
zur Verfügung zu stellen. Auch in Eupen sollen Armenpflegerinnen
beschäftigt werden.
4. In Stollberg ist versucht worden, eine Einrichtung zur
Beschaffung von Kindermilch zu billigen Preisen zu treffen. Die
Pläne gingen dahin, dass die Schwestern, die in dem Hospitale
sind, die Säuglingsmilch zubereiteten und abgäben; man musste
hiervon aber Abstand nehmen, als den Schwestern die Genehmigung
zur Übernahme dieser Tätigkeit von der Generaloberin versagt
wurde. Es wird nunmehr ein anderer Weg gesucht.
II. Förderung der Ziegenzucht.
Von den Bestrebungen auf dem Gebiete, dem kleinen Manne
die Anschaffung guter Ziegen zu ermöglichen und die Zucht dieses
Milchviehes zu fördern, seien folgende erwähnt:
1. Im Landkreise Aachen ist die Ziegenzucht durch Unter¬
stützung des Kreises und auch einzelner Gemeinden mit gutem
Erfolge wesentlich gefördert worden.
2. Düren. Die Kreisverwaltung hat in Gemeinschaft mit
der Lokalabteilung des landwirtschaftlichen Vereins systematisch
und unter Aufwendung erheblicher Mittel auf die Ausdehnung und
Verbesserung der Ziegenzucht hingewirkt; die Zahl der Ziegen hat
infolgedessen hier in den letzten Jahren um etwa 1000 zugenommen.
3. Der Kreis Erkelenz ist hierin seit 1898 tätig gewesen;
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es sind bereits 88 Saanentiere (Böcke, Lämmer und Ziegen) slu&
der Schweiz bezogen worden; der Kreis hat beim Verkauf etwa
1770 Mk. zugesetzt.
4. Im Kreise Geilenkirchen sind Verhandlungen mit dem
Direktor der Lokalabteilung des landwirtschaftlichen Vereins einge¬
leitet worden. In Gang eit ist bereits ein Ziegenzuchtverein
erstanden.
5. Kreis Heinsberg. Auch hier wird seit 1903 vom
Kreise eine Summe zur Beschaffung guter Rasseziegen zur Verfügung"
gestellt.
6. Kreis Schleiden. Die Ausbreitung der Ziegenzucht¬
vereine und die durch Zuschüsse ermöglichte Beschaffung von
Ziegen aus Saanen haben viele arme Familien in Stand gesetzt,,
sich gute IVlilch zu beschaffen.
III. Verteilung gedruckter Merkblätter mit Lehren
für die Mütter.
Die Verteilung derartiger Merkblätter, auf denen die Not¬
wendigkeit des Selbststillens an erster Stelle betont wird, erfolgt
in den meisten Kreisen auf dem Standesamt bei der Anmeldung
der Geburt; so im Landkreise Aachen in den Städten Eschweiler
und Stolberg und in sämtlichen Landgemeinden; hier sind die
Blätter auch den Ärzten und Hebammen übergeben, um erforder¬
lichenfalls bei ihren Besuchen noch ein Stück aushändigen zu
können. Der Kreisausschuss in Düren hat 3000 Stück bezogen
und den Standesämtern zugestellt. In den übrigen Kreisen — ab¬
gesehen von Jülich — sind es ebenfalls alle oder doch die meisten
Bürgermeistereien, die diesen Weg betreten haben.
IV. Besondere Massnahmen der Hebammen.
Unter I, 4 ist bereits angegeben, wie in einigen Gemeinden
des Kreises Düren die Hebammen zur tätigen Unterstützung der
Bestrebungen herangezogen werden.
Die Hebammen werden ferner überall bei Gelegenheit der
Vereinsversammlungen u. s. w. daran erinnert, dieser Frage dauernd
ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
In den Kreisen Eupen, Jülich, Montjoie und Schleiden sind
sie ausserdem gehalten, in ihrem Tagebuche anzugeben, ob die
Mütter selbst gestillt haben, gegebenenfalls warum nicht.
In Eschweiler hat die Gesundheitskommission beschlossen,,
das Formular, das bei der obligatorischen Leichenschau zur ärzt¬
lichen Bescheinigung dient, abzuändern, d. i. dahin zu vervollstän¬
digen, dass eine neue Frage eingefügt werde:
,,11. Bei Todesfall von Säuglingen an Brechdurchfall:
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Ist Muttermilch, sterilisierte oder nicht sterilisierte Milch ver¬
wandt worden?“
In der Stadt Aachen schweben zurzeit ebenfalls Verhand¬
lungen, die eine mehrfache Erweiterung des bisherigen Formulars
betreffen. Auch hier sollen mehrere Fragen bezw. Unterfragen
bezwecken, dass die Ursache des Todes von Säuglingen möglichst
einwandfrei klargestellt werde.
Dies ist wohl als eine höchst bedeutungsvolle Massregel zu
begrüssen; die zifferraässigen Feststellungen längerer Beobachtungs¬
reihen werden für alle Schritte auf diesem Gebiete eine wertvolle
Unterlage bieten.
V. Erfolge der Massnahmen.
Wenn auch die Bestrebungen, die Säuglingssterblichkeit
herabzumindern, im hiesigen Bezirke erst im Jahre 1903 ange¬
fangen haben, und die bisherigen Beobachtungen demgemäss erst
wenig umfangreich sind und ihrem Werte nach vielleicht zweifel¬
haft sein mögen, so sind die Erfahrungen doch derartig, dass sie
einer Wiedergabe wert sind. Die allgemeinen Eindrücke und Ur¬
teile, es hätten die Sterbefälle bereits abgenommen, kommen, so
richtig sie sein mögen, nicht in betracht; von Wert sind nur die
genaueren Feststellungen, wie sie an den unter I, 1 und 2 ge¬
nannten, bestens eingerichteten und unter steter, sorgfältiger Auf¬
sicht von bestimmten Ärzten geleiteten eigentlichen Milchversor¬
gungsanstalten gemacht worden sind.
1. Düren. Im Jahre 1903 sind von den überhaupt mit
Milch versorgten 150 Kindern nur 10 gestorben ; hiervon gehen
fünf ab, die von vornherein keine Aussicht auf Erfolg boten oder
nur ganz kurze Zeit von der Milch erhalten haben; zwei andere
Todesfälle fanden darin eine genügende Erklärung, dass die Mütter
den Säuglingen entweder nur einen Teil der guten Milch oder
aber daneben auch schlechte Milch verabfolgt hatten. Nur bei
drei Todesfällen hat sich nicht nachweisen lassen, dass ein der¬
artiger Fehler unterlaufen war.
Im laufenden Jahre sind einige Kinder gestorben, die bereits
totkrank waren, als sie der Milchbeschaffung überwiesen wurden;
sie fanden lediglich aus dem Grunde noch Zulassung, dass die An¬
stalt nicht in den Verdacht der Hartherzigkeit geriete. Von allen
übrigen Kindern ist k e i n s an Magendarmkrankheiten gestorben,
Einige Fälle von vorübergehender Darmstörung waren meistens auf
nachweisbare vorschriftswidrige Behandlung der gelieferten Milch
zurückzuführen.
Der Kreisarzt machte hierzu noch folgende Angaben. Es hat
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die Sterblichkeit im ersten Lebensjahr innerhalb des Stadtbezirk»
Düren auf 100 Lebendgeburten betragen:
ehelich unehelich
im Jahre 1901 .... 24,0 51,5
„ „ 1902 ... . 21,2 50,0
„ „ 1903 .... 19,9 31,0
Es wird hierzu bemerkt, dass die Ziffern des Jahres 1902
auf dem Lande wie in der Stadt gleichmässig günstig waren, und
die Ziffern für’s Land 1903 wieder gestiegen sind. Wenn dieselben
für den Stadtbezirk weiter gesunken sind, so ist hierfür ein
lediglich in der Stadt vorhandener begünstigender Umstand zu
suchen. Es liegt mindestens nahe, hierbei an die Milchver¬
sorgungsanstalt zu denken.
2. M a 1 m e d v. Der Kreizarzt weist darauf hin, dass die
Zahl der versorgten Kinder zu gering sei, als dass sich schon aus
der Kindersterblichkeit der Stadt ein sicherer Einfluss der Milcli-
anstalt erkennen lassen könne. Im einzelnen dagegen sei von einem
günstigen Erfolge bereits jetzt zu reden. Die Milch würde im
allgemeinen gut vertragen und von den Kindern gern genommen.
Es sind ferner in den heissen Monaten, soweit dem Kreisärzte be¬
kannt geworden ist, bei den mit der Anstaltsinilch genährten
Kindern weder heftigere Darmkatarrhe noch gar Todesfälle vor¬
gekommen. Auch der Landrat bestätigt, dass die bisherigen Err
fahrangen gut sind.
Das Säuglingsheim zu Dresden.
Unser Zeitalter hat die Heil Wissenschaft und die von ihr be¬
gründeten Lehren auf einem unaufhaltsamen Siegeszuge gesehen.
Es werden allwärts Wohlfahrtseinrichtungen geschaffen, von denen
unsere Vorfahren sich nichts hätten träumen lassen. So ist (seit
zehnjährigem Bestehen in ermieteten Räumen) zu Anfang d. J.
eine Anstalt in Dresden eröffnet worden, deren edler Zweck einem
ganz besonderen Akt der Nächstenliebe geweiht ist: der Pflege
des Säuglings in gesunden und kranken Tagen. Uralt wie das
Menschengeschlecht sind auch die Lehren und Winke für Mutter
und Kind; zu allen Zeiten gab es kundige Frauen, die sich die
Pflege der zartesten Menschenblüten zur Lebensaufgabe gemacht
haben, oft unter Hinzuziehung wunderlicher, abergläubischer Miss¬
bräuche, die sich in ihren letzten Spuren bis in die Gegenwart
verfolgen lassen. Trotz der aufklärenden Leuchtkraft moderner
Bildung herrschen auf dem Gebiete der Kindererziehung leider in
allen Kreisen hin und wieder Unkenntnis und Vorurteile, die das
Wohl unserer Allerkleinsten durchaus nicht fördern. Man* denke
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nur an die Obhut halbwüchsiger Schulmädchen, unzuverlässiger
Dienstpersonen oder schwacher, alter Frauen, die bei den Kindern
zur Aufsicht bleiben sollen!
Das „Dresdener Säuglingsheim“ bildet Kinderpflege rinnen in
allen theoretischen und praktischen Kenntnissen, besonders am
Krankenbett der Kleinen in wahrhaft vorzüglichem Lehrgang aus.
Eine Anstalt, die jederzeit nahezu 50 Patienten, im Jahre ca. 500
solcher Säuglinge beherbergt, bietet hierzu ein reiches, vielseitiges
Lehrmaterial. Überdies ist dem Institut eine Poliklinik ungegliedert,
in welcher Kinder bis zu 14 Jahren, unbemittelte kostenlos Hilfe
finden. Dem dirigierenden Arzte, Prof. Dr. Schlossmann, dem
chirurgischen Mediziner, stehen iür die Behandlung von Krankheiten
der Augen, der Ohren und der Nase, des Zahnwuchses, der Haut
und der Nerven vier Spezialärzte und ein Assistent zur Seite.
Im chemischen Laboratorium arbeitet ein akademischer Fachmann
mit Hilfe einer Dame als Assistenz. Die Poliklinik hat eine jährl.
Frequenz von 6000 Fällen zu verzeichnen, viele davon, z. B. nach
Operationen werden nachträglich klinisch, d. h. im Krankenbett der
Anstalt gepflegt. Doch ausser kranken Kindern finden auch
schwächliche, zu früh geborene und einer sorgfältigen Ernährung
bedürftige hier Aufnahme. Deshalb nimmt die Anstalt jederzeit
12 Ammen in Anspruch und vermittelt deren Dienstleistung, ebenso
wie die der Pflegerinnen für Privathäuser nach auswärts. Die
Kontrolle über den Gesundheitszustand der Ammen ist die denkbar
vollkommenste. Gleich beim Eintritt in die Anstalt hat sich eine
jede der Wohltat eines Bades zu erfreuen, auch wird sie auf das
Genaueste gewogen. Neu aufgenoramene Säuglinge werden diesen
beiden Maassregeln übrigens auch sofort unterzogen. Ebenso
werden sie täglich sechsmal, nach jeder Füttermahlzeit, gewogen.
Das Quantum einer solchen Mahlzeit beträgt etwa 150 Gramm
Voll- oder verdünnte Milch, „Niederländische Milch“, d. i. keim¬
freie abgekochte Buttermilch, ferner mit Zusätzen von Sahne, Milch¬
zucker, Theinhardtschem Nährpulver u. s. w. Sogar für Kinder,
welche der Amme anvertraut sind, bereitet die Zentrifuge aus
dieser natürlichen Nahrung ein Sahnenprodukt, das bei schwäch¬
lichen Patienten mit Erfolg verwendet wurde.
Mit frischer Luft und hellem Licht ist in den freundlichen
Räumen nirgends gespart, besonders die Krankenzimmer bieten
zu vollkommenster Ventilation um so mehr Gelegenheit, als das
Haus nach 4 Seiten freiliegt und mit grossen Balkons versehen
ist. Die letzteren kommen dem Pflegepersonal wie auch den
kleinen Patienten in jeder Jahreszeit zu gute. Selbst jetzt noch,
im späten Herbst, werden die Bettchen täglich, wenn es die
Witterung zulässt, von 11—3 Uhr, oft auch länger, ins Freie
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gestellt, natürlich treu behütet von den aufopfernden gewissenhaften
Schwestern. Auch in allen übrigen Maassnahmen der Oberleitung
offenbart sich der Zweck, die Kinder gelinde abzuhärten und
nicht in allzu warmen Steckkissen und Betten zu verweichlichen,
wie sie leider so manche Familie noch für nötig hält. Sogar ein
kräftiger Durchzug frischer Luft, allerdings nicht ohne sorgfältige
Bedeckung aller Patienten mit Laken, führt zu den glücklichsten
Heilresultaten. Besonders schwächliche und zu früh erschienene
Weltbürger bewohnen bisweilen tagelang, wohl auch mehrere
Wochen hindurch die „Couveuse 44 , den „Wärmeschrank 4 * oder, wie
es der Volksmund nennt, den „Kiuderbrut-Apparat“. Während
das Normalgewicht eines gesunden Neugeborenen etwa 3500 gr
beträgt, sind der Anstalt auch schon kleine Wesen von 1000 oder
1200 gr zugewiesen worden. Bei solchem kläglichen Körpergewicht
wäre ein Gedeihen ohne das Pflegen im „Wärmeschrank“ nicht
zu denken. In diesen Glashäuschen werden die Schützlinge bei
einer Temperatur von gleichmässig 30 Grad, die allerschwächsten so¬
gar bei 33 Grad Celsius erhalten, bis ihre Lebensfähigkeit gesichert
erscheint. Daneben kann auch zu gewissen Zeiten der Aufenthalt
im Bett ermöglicht werden und eine kräftigende Milchnahrung
verordnet sein. Die Wärmeschränke werden mit Gas geheizt und
eine sinnreiche Vorrichtung macht durch verdunstendes Wasser
die Luft der kleinen Lunge zuträglich. Einer von diesen Apparaten
wird elektrisch erwärmt und ist mit einem Lichtbad kombiniert.
Die Weltfirma Knoke & Dressier, Dresden, hat mit der Lieferung
dieser, wie überhaupt aller hygienischen Einrichtungen der ganzen
Anstalt etwas Mustergiltiges geschaffen. Mit aufrichtiger Be¬
wunderung betritt der Beschauer die Krankenzimmer im zweiten
Stock, wo z. Z. 47 solcher kleiner Pfleglinge und Patienten liegen.
Mit Spitzen, Tüllgardinen, Himmelbcttchen und blau-rosa Schleifchen
sind diese Betten zwar nicht geziert, aber jede verständige Mutter
kann hier unendlich viel wichtiges für ihr eigenes Heim lernen.
Tatsächlich macht die Anstalt bei Rückgabe der als geheilt Ent¬
lassenen den Eltern manche Mitteilung über vernunftgemässe Pflege
des Kindes und wirkt so recht eigentlich auch mit zur Belehrung,
fast möchten wir sagen „Erziehung 44 der jungen Mütter.
Einer Ansteckungsgefahr ist durch die denkbar grösste Um¬
sicht in idealster Vollkommenheit vorgebeugt. Unter dem Bettchen
jedes Kindes ist dessen Badewanne und Seifennapf, daneben der
luftdicht verschlossene Windeleimer. An der Wand auf einem
Glasbrett stehen seine Toiletten-Utensilien. Puderstreubüchse etc.
und das Reinigungsbesteck für Augen, Mund und Ohren, ferner
Thermometer und Schüsselchen für die Füttermahlzeiten, sowie
das Fläschchen mit genau bezcichneter Aufschrift über Zusammen-
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Setzung der Milchnahrung auf farbig unterschiedener Etiquette.
Alles das ist, konform der Nummer des Bettchens, nur für diesen
-einen Patienten bestimmt. Ein Vertauschen der Geräte ist aus¬
geschlossen. Überdies wird alles sorgfältig desinfiziert. Für
medizinische Bäder, Kräuterabkochung u. Einläufe aller Art be¬
steht ein gesonderter Baderaum.
Mit einiger Verwunderung und angenehmer Überraschung
-empfindet der Besucher die allgemeine Ruhe und Artigkeit der
winzigen Spitalbewohner. Wenn in manchen Familien schon
-ein einziger Kindermund bei Tag und Nacht zu lautem Klage¬
geschrei sich öffnet, so wäre man vielleichl geneigt, gewaltigen
Lärm vorauszusetzen in einem Hause, wo gegen 50 kleine Wesen
untergebracht sind, noch obendrein schwere Operationen und
orthopädische Massregeln vorgenommen werden. Wenn trotzdem
die matten Gesichtchen ruhig und mit Geduld, bei der Rekon¬
valeszenz sogar mit offenbarer Heiterkeit in die Welt schauen,
so stellt das der ärztlichen Oberleitung und der Arbeitsfreudigkeit
des gesamten Pflegepersonals ein ehrenvolles Zeugnis aus. So lesen
wir denn auch im Treppenhause den edeln und gehaltreichen Wahl¬
spruch: „In der treuen Pflichterfüllung jedes einzelnen liegt die
Gewähr für das Wohl der Gesamtheit“. Im Hauptsaale der Klinik,
wo 15 Betten aufgestellt sind, steht das Bibelwort geschrieben,
Evang. Matth. 18, V. 10: „Sehet zu, dass ihr nicht jemand von
diesen Kleinen verachtet!“ So manche verzweifelte Mutter wird
hoffnungsfreudig hier die Überzeugung gewinnen, dass ihr geliebtes
Kind in kranken Tagen nicht besser gepflegt werden kann, als bei
•den treuen Schwestern im „Säuglingsheim“. Die Pflegekosten be¬
tragen in 4. Klasse, die aber nur den nachweislich Unbemittelten
gewährt wird, 1,50 Mk. pro Tag. Bei Krankenkassenmitgliedern
zahlt die Ortskrankenkasse noch 60 Pfg. hinzu, so dass die geringe
Summe von 90 Pfg. bleibt. Für die allerärmsten Mütter ist jede
•Zahlung auch für Operationen erlassen. Hier entrichtet das städ¬
tische Armenamt 1,10 Mk. pro Tag. Besser begüterte und wohl¬
habende Kreise haben in 3. bis 1. Klasse die Wahl zwischen täg¬
lichen Pflegekosten von 3, 6 und 10 Mk., bei Anwendung des
Wärmeschrankes täglich noch 1 Mk. mehr. Die Zuweisung einer
individuell zum Kinde passenden Amme erfolgt unter strengster
Ärztlicher Aufsicht auch nach auswärts. Ebenso ist der Milch¬
versand in Portionsfläschchen, sterilisiert und abgekocht zu 10 Pfg.
in die Wohnung ein vielbegehrtes Erleichteruugsmittel häuslicher
Kinderpflege. Die musterhaft eingerichtete, mit allen technischen
Apparaten versehene Milchküche verarbeitet für den Bedarf im
Hause wie für den Versand täglich über 250 Liter Vollmilch. Von
strahlender Reinlichkeit und zweckmässigster Anordnung, wie dieser
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Kaum, sind auch alle übrigen. Im Erdgeschoss sind Poliklinik r
Operationssaal und chemisches Laboratorium, im 1. Stock die Warte -
und Sprechzimmer des dirigierenden Arztes und der Frau Oberin
nebst dem Sekretariat, ferner die Aufenthaltsräume für 22 Schwe¬
stern, bezw. für die 12 Ammen, wo diese ihre Mahlzeiten ein¬
nehmen und den Feierabend behaglich geniessen. Nirgends waltet
Luxus, doch überall freundliche Helle und wohnliche Sauberkeit.
Stammhafte Eichenmöbel zeigen ein behagliches Graugrün, alle
Tische sind mit hübschen Decken belegt, die Wände in lichten
Farben gehalten und alle Räume elektrisch erleuchtet. Im dritten
Stock sind W T olin- und Schlafräume für die Schwestern und eben¬
solche Räume für Ammen und Dienstpersonal. Schwere Arbeiten
und überhaupt Nebenbeschäftigungen im Wirtschaftsbetrieb werden
den Schwestern in keiner Weise zugemutet; ihre ganze Kraft in
theoretischer und praktischer Hinsicht bleibt also der Kinderpflege
erhalten. Von den Elevinnen wird höhere Töchterschulbildung
verlangt, da der Lehrgang ganz bedeutende Ansprüche an das
Fassungsvermögen der jungen Damen stellt.
Im Erdgeschoss sind neben der Hausmannswohnung und den
Zentralheizanlangen besonders die Waschküche und eine umfang¬
reich angelegte Dampfwaschanstalt interessant. Die Spülung und
Reinigung, das Trocknen und die Bearbeitung mittels der Dreh¬
mangel, alles geht mit Dampf und macht sogar das Aufbängen
der Wäsche überflüssig, da in dem Gewebe nach beendeter Wäsche
kein Tropfen Wasser mehr enthalten ist. In diesem Waschraum
werden ausser all den andern grossen Leinenstücken täglich allein
1500 Windeln gesäubert. Im Souterrain befinden sich auch die
Desinfektionsriiume und Lagerkeller' für Milchzucker, chemische
Nährpräparate etc. Das gesamte Personal der Anstalt zählt 57
Kräfte: Den Oberarzt (Prof. Dr. Schlossmann) mit 4 Spezialärzten,
1 Assistenten und einer Frauenärztin, die Frau Oberin mit 22
Schwestern und 2 Pflegerinnen, 12 Ammen, 11 Dienstpersonen
und einen Milchträger. Das Dresdener „Säuglingsheim“ hat in
seinem Fremdenbuche als Besucher medizinische Autoritäten aller¬
ersten Ranges von Weltruf eingezeichnet. Die Träger der Wissen¬
schaft und Pioniere der öffentlichen Wohlfahrt aus allen Kultur¬
staaten, auch jenseits des Ozeans haben mit aufrichtiger An¬
erkennung sich überzeugen können, dass unsere sächsische Residenz
in diesem „Säuglingsheim“ eine Musteranstalt von höchster Be¬
deutung geschaffen hat, der Mitwelt zur Freude und Hoffnung,
den kommenden Generationen zum Heil und immer wachsendem
Segen und Wohlergehen. Fr. von Haefen.
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Der erste Allgemeine Deutsche Wohnungskongress
fand vom 16. bis 19. Oktober vor. Js. in Frankfurt a. M. statt.
Über seinen Verlauf können wir leider nur mit sehr gemischten
Gefühlen berichten. Nach dem vor Jahresfrist von den vorbereiten¬
den Vereinigungen versandten Aufruf wurde die Hoffnung aus¬
gesprochen: „dass der Kongress einen kräftigen Ruck nach vorwärts
in der Richtung bedeuten wird, die Wohnungsreform allmählich
auf die der Grösse ihrer Aufgabe allein entsprechende Höhe eines
grossen organischen Gesamtvorgehens aller zuständigen Stellen,
von Reich, Einzelstaaten, Gemeinden, Selbsthilfe u. s. w. zu heben.“
Heute kann man im Zweifel darüber sein, ob der Kongress den
Fortschritten einer Wohnungsreform in Deutschland genützt oder
geschadet hat. Es sei daher verstattet, einige kritische Bemerkungen
zum Gesamtverlaufe zu machen, eine ausführliche Wiedergabe der
Verhandlungen wird demnächst im Verlage von Vandenhoeck und
Ruprecht in Göttingen erscheinen.
Die Vorbedingung für das Gelingen eines derartigen Kon¬
gresses, von dem man das Ausgehen fruchtbringender Impulse
erhofft, ist eine gewisse einheitliche Grundstimmung der Versammlung,
die — unbeschadet von Meinungsdifferenzen über Mittel und Wege —
auf ein gemeinsames Gesamtziel hinaus will. Hieran haperte es
zunächst. Man wollte möglichst weitherzig seine Arme öffnen für
alle, die mittagen wollten. Das ist schön und gut. Dass man
darin aber so weit ging, auch solchen Kreisen die Tür zu öffnen,
deren grundsätzliche Gegnerschaft gegen alle Wohnungsreform¬
bestrebungen bekannt ist und die schärfsten Formen angenommen
hat, musste dem Kongress verhängnisvoll werden und ihm den
billigen Spott der sozialdemokratischen Teilnehmer eintragen, dass
von einer Sozialreform auf dem Boden unserer heutigen Gesellschafts¬
verhältnisse nichts zu erhoffen sei. Oder hatte man auf den Takt
vertraut, der die Teilnahme an einem Kongresse, zu dessen Grund¬
tendenz man in innerem Widerspruch steht, nur gestatten sollte
zur eigenen Information, allenfalls auch zur ruhigen sachlichen
Darbietung des abweichenden Standpunktes, hatte man auf den
Takt vertraut, der es verbietet, auf einem solchen Kongresse mit
geschlossener Truppe aufzumarschieren und durch provozierendes
Verhalten „Radau in die Bude“ zu bringen, so hatte man — auch
das ist betrübend verzeichnen zu müssen — das Taktgefühl weiter
Kreise zu hoch eingeschätzt.
Bot schon die Zusammensetzung der etvya tausendköptigen
Versammlung genug „latente Spannungen“, so fehlte es gerade
noch, dass der erste Verhandlungstag mit einem Referate begann,
das auf eine Verneinung der inneren Berechtigung des ganzen
Ccntralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 5
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66
Kongresses hinauslief. Prof. Pohle von der jungen Frankfurter
Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften hatte es über¬
nommen, mit einem Vortrage über „die tatsächliche Entwickelung
der Wohnungsverhältnisse in Deutschland in den letzten Jahrzehnten“
die wissenschaftliche Arbeit eines Kongresses einzuleiten, auf dem
sich „die gesamten Anhänger und Freunde der Wohnungsreform
in ganz Deutschland zusammenfinden“ sollten, um der Wohnungs¬
reform „einen kräftigen Ruck nach vorwärts“ zu geben. Nach
den grosszügigen Ausführungen, mit denen Prof. Fuchs-Freiburg
sich der gleichen Aufgabe auf der Münchener Versammlung des
Deutschen Vereins für Sozialpolitik 1901 und auf dem Internationalen
Wohnungskongress 1902 in Düsseldorf entledigt hatte, nach dem
reichhaltigen Material, das zwischenzeitig hinzugekommen, — es sei
nur an die zweibändigen Schilderungen des Reichstagsabgeordneten
Jäger-Speyer und die Veröffentlichung des Reichsamts des Innern
erinnert — durfte man auf eine informatorische Übersicht grossen
Stils hoffen. Nicht nur hierin bot Prof. Pohle eine Enttäuschung,
er verblüffte die Versammlung mit der immer deutlicher aus seinen
Ausführungen hervortretenden Gesamtauffassung, dass es mit den
WohnungsVerhältnissen nicht schlechter, sondern besser geworden,
dass das freie Spiel der Kräfte genügt habe, den Riesenanforderungen
auf dem Wohnungsgebiet zu genügen, man solle dieses freie Spiel
der Kräfte nur ruhig weitergewähren lassen, es werde dann auch
weiter alles gut gehen. Das war, um mit der Frankfurter Zeitung
zu reden, schon mehr als ein „Zwischenfall“, das war ein „Eklat“.
„Man darf es ruhig aussprechen, dass das Referat Pohles nicht
hätte gehalten werden dürfen. Man kann dies sagen, ohne die
Meinungsfreiheit irgendwie einschränken zu wollen. Prof. Pohle
mag über die Wohnungsfrage denken, was er will, und er mag
es aussprechen, wann und wo er will, aber einen Kongress, der
Zusammentritt, um die Wohnungsreform zu betreiben, mit einem
Vortrag eröffnen, der besagt, dass diese Wohnungsreform eigentlich
nicht nötig sei — ein solches Verhalten ist dem Kongress gegen¬
über illoyal. Wenn das Organisationskomitee es unterlassen hat,
Herrn Prof. Pohle über seinen Vortrag vorher zu befragen, so
hätte er selber dem Komitee sagen müssen, er könne das Referat
nicht übernehmen, da er nach seine Überzeugung einen Vortrag
halten müsse, der darauf ausgeht, den Ast abzusägen, auf dem
der Kongress sitzt.“
Kein Wunder, wenn der streitlustige Führer des Zentral¬
verbandes der städtischen Haus- und Grundbesitzervereine, Herr
Baumeister Hartwig-Dresden, ob dieser „richtigen und korrekten
Darlegung der Sache“ jubilierte und „Hallelujah“ rief. Kein Wunder,
wenn sein Aufruf „zum Kampf gegen das verschuldete Wohnungs-
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67
«elend bei mangelnder sittlichen Qualifikation einzelner Mieter, als
da sind: Spiel, Trunk, Lust nach Frauenzimmern, Verwendung von
Geldern für Streikkassen“, die anwesenden Vertreter des Arbeiter-
Standes aufreizte und dazu verleitete, in den Protesten den an¬
geschlagenen Ton weiter zu verschärfen, so dass es zeitweise zu
unwürdigen, von persönlichen Invektiven durchzogenen Lärmszenen
kam. Kein Wunder, wenn eine unbehagliche Stimmung alle die
-ergriff, denen es um die Weiterbringung der Wohnungsfrage ernst¬
lich zu tun ist und diese Stimmung keine rechte Arbeitsfreude an
den weiteren Verhandlungen mehr aufkommen liess, mochten diese
auch im einzelnen noch recht viel Gutes bringen. Verdorben war
auch der weitere Verlauf für den, der sich die unfruchtbaren Dis¬
kussionen gerne geschenkt und zu den ihn interessierenden Referaten
mit Frische wieder eingefunden hätte, hielt er nicht einfach durch
dick und dünn durch, so riskierte er, gerade das, was er gern gehört
hätte, zu verpassen, so erging es Schreiber dieses mit dem Referate
Sinzheimers. Das Niveau des ganzen Kongresses war zu sehr
bergab geglitten, die Stimmung war zu gereizt, der Anmeldungen
zum Wort waren zu viele, als dass man sich von den weiteren
Verhandlungen noch versprechen konnte, dass viel dabei herauskam.
Wir bedauern insbesondere, dass darunter eine allseitige und genügend
sachliche Behandlung der vielen Fragen, die der preussische
W T ohnungsgesetzentwurf bietet, leiden musste.
Ein Trost mag es sein, wenn auch ein schwacher, dass der
so wenig befriedigende Kongress mit einer Veranstaltung abschloss,
die auf der Höhe stand und ihren Zweck, weiteren Kreisen Ver¬
ständnis und Stimmung für die Wohnungsfrage zu vermitteln, glänzend
erfüllte. Das war die grosse Volksversammlung am Abend des 18.
Dr. Franz Oppenheimer-Berlin und Prof. Neisser-Frankfurt sprachen
über Wohnungsfrage und Volkskrankheiten in leichtfasslicher, über¬
zeugender und eindrucksvoller Weise. Da diese Ausführungen
auf Gebieten lagen, die den besonderen Zwecken dieser Zeitschrift
angehören, erscheint ein näheres Eingehen am Platze, das einer
eigenen Besprechung nach Erscheinen des offiziellen Kongressberichtes
Vorbehalten sei. Nachdem dann noch Gonser-Berlin, Generalsekretär
des Deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke»
über den Alkoholismus in seiner Beziehung zur Wohnungsfrage,
gesprochen, kam der Höhepunkt des ganzen Kongresses in den
Reden des Dominikaner-Paters Dalmatius und des Pfarrers a. D.
Naumann ti^er Wohnungsfrage und Familie. Um „sich annähernd
eine Vorstellung vom Auftreten des Dominikaners zu machen “
exemplifiziert Lujo Brentano ip einer Besprechung des Wohnungs¬
kongresses in der Freistatt auf das Auftreten der Eysoldt in der
Elektra, „und doch trat gleichzeitig der gewaltige Unterschied
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68
zwischen den vom Sprechenden im Augenblicke selbst erzeugtem
Gedanken und Worten und dem bloss nachgesprochenen und nach¬
empfundenen zu Tage.“ Wir wurden bei dem Auftreten des
Dominikaners vor dieser gemischten, nur zum kleinsten Teil aus
seinen Glaubensgenossen zusammengesetzten Versammlung mit seiner
erschütternd eindringlichen Aufrüttelung des sozialen Pflichtgefühls
der besser gestellten Klassen unwillkürlich an Bilder Savonarolas
erinnert. Nach solchem Vorredner war es keine Kleinigkeit für
Dr. Naumann, in elfter Abendstunde noch die hochgespannte Stimmung
zu erhalten. Dass ihm dies vollauf gelungen, stellt seiner glänzen¬
den Volksberedtsamkeit kein geringes Zeugnis aus. Erleichtert
konnte man nach Hause gehen, dass der Kongress wenigstens eine
durchschlagende Kundgebung gezeitigt. „Es war — um mit den
Worten Lujo Brentanos zu schliessen — ein glänzender Sonnen¬
untergang nach trübseligem Tage. Wäre so der Sonnenaufgang
gewesen, hätte der Kongress mit den Reden des P. Dalmatius und
Naumanns begonnen, statt zu enden, der Verlauf wäre ein anderer
gewesen.“ B. Schilling, Stadtbauinspektor*Köln.
Die öffentliche Gesundheitspflege in Gelsenkirchen. Der Pro¬
zess gegen das Gelsenkirchener Wasserwerk ist jetzt endlich —
drei Jahre nach der Typhusepidemie, die ihn veranlasst hat — zu
Ende geführt worden. Es läge nahe, vom Standpunkt der öffent¬
lichen Gesundheitspflege, daran einige Betrachtungen zu knüpfen.
Wir verschieben das auf später, ^vollen aber heute eine Forderung der
Gerechtigkeit erfüllen, indem wir einen Vertreter der Stadt Gelsen¬
kirchen, deren hygienische Verhältnisse von seiten eines der Sach¬
verständigen im Prozess eine sehr harte Beurteilung erfahren haben,
zu Worte kommen lassen. Um so lieber tun wir das, als die
folgenden Ausführungen einen nicht uninteressanten Beitrag zur
Geschichte der Gesundheitspflege im Industriegebiet darstellen.
Nach dem Protokoll der Stadtverordnetenversammlung zu
Gelsenkirchen vom 1. Dezember 1904 nahm der Vorsitzende vor
Eintritt in die Tagesordnung das Wort zu folgenden Ausführungen:
„In dem Strafverfahren, das sich soeben vor dem Landgericht
Essen gegen die Direktoren des Wasserwerkes für das nördliche
westfälische Kohlenrevier abgespielt bat, hat Professor Emmerich
ein Gutachten erstattet, das meines Erachtens in unserer Versamm¬
lung nicht unerörtert bleiben kann.
Herr Emmerich hat in seinem schriftlichen Gutachten gesagt:
„Ich habe die hygienischen Verhältnisse in Neapel, Palermo
„und Konstantiaopel während der in diesen Städten 1884, 1886
„und 1895 herrschenden Choleraepidemien untersucht und dabei
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„habe ich sehr schlimme sanitäre Zustände gesehen, namentlich
„in Konstantinopel, wo ich in Begleitung eines persönlichen
„Adjutanten Sr. Majestät des Sultans die Cholerahäuser, Kasernen
„u. s. w. besuchte; ich kenne ferner sehr genau die hygienischen
„Verhältnisse in Oporto, Lissabon, Funchal auf Madeira, ferner
„jene in Marseille, in Sofia und in vielen anderen Städten —
„aber so grauenhafte und barbarische Zustände in Bezug auf
„Hausabwässer, Fäkalien und Müllbeseitigung, wie in Gelsen-
„kirchen und einen so enormen Grad der Bodenverunreinigung,
„wie in dieser Stadt, habe ich nirgends gefunden. Nach Rück¬
sprache mit viel gereisten Kollegen kann ich sagen, dass man
„schlimmere und bedenklichere Zustände, wie jene in Gelsen-
„kirchen, auch in den schmutzigsten Städten und Ortschaften
„der Welt nicht leicht wieder finden wird“
*ind weiter im Anschluss an eine Schilderung der Schlachtstätten
in München:
„In Gelsenkirchen und Umgebung sind diese Verhältnisse noch
„viel schlimmer. Ich habe z. B. in Schalke den Hof einer Metz¬
gerei gesehen, in welchem der Darmkot der geschlachteten
„Tiere und allerlei Schlachtabfälle herumlagen und eine Blut¬
lache auf dem Boden stand. In der Grube nebenan waren
„grosse Massen von stinkenden Schlachtabfällen und in deren
„Umgebung Rattenkot an mehreren Stellen. Die zahlreichen
„Schlächtereien, welche im Jahre 1901 in Gelsenkirchen, Schalke,
„Ueckendorf, Wattenscheid, Wanne etc. vorhanden waren, sind
„noch in anderer Beziehung geeignet, die Entstehung und Ver¬
breitung von Typhus zu befördern. Blut von Schlachttieren,
„welches in den Boden sickert, ist ein ausgezeichnetes Nähr-
„mittel für Typhusbazillen“.
In seinem mündlichen Gutachten endlich hat Herr Emmerich
folgendes ausgeführt:
„Die verseuchten Orte hatten alle keine Müll- und Kehricbt-
„abfuhr. Er habe ganze Hofräume gefunden, die einen halben
„Meter mit Kehrichtinhalt aufgehöht waren. In diesem Keh¬
richt lagen die scheusslicbsten Dinge. Wenn man das bezweifeln
„sollte, so würde er die Verteidigung bitten, eine Besichtigung
„zu veranlassen. Man werde dann Zustände finden, so scbeuss-
„lich, dass sie die beste diplomatische Seife nicht rein waschen
„könnte. In Schalke und anderen Orten habe er Zustände ge¬
bunden, wie er sie in der ganzen Welt noch nie gefunden habe.
„Er übertreibe nicht, und möchte diese Tatsache mit Donner¬
stimme ins Land rufen, damit es überall gehört werde, und
„auch zum Reichstag und an die Stufen des Thrones dringe.
„Man sollte in einem Lande, in dem so reiche Schätze gewonnen
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„werden, auch etwas Geld darauf verwenden, dass die Mortalitäts-
„Verhältnisse günstiger werden, damit die Menschenmassen, die
„des schnöden Mammons wegen hier aus aller Welt zusammen-
„strömen, nicht unter der Erde durch die Wurmkrankheit und.
„über der Erde durch die Typhusbazillen dezimiert werden.“
M. H.! Die sieben Orte, aus denen am 1. April 1903 die
jetzige Grossstadt Gelsenkirchen gebildet ist, waren in der ersten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts kleine Ackerbaudörfer mit nur
wenigen hundert Einwohnern. Von der Mitte des Jahrhunderts
ab beginnt infolge des einsetzenden Bergbaues ihre überaus schnelle
Entwickelung.
Nach der Personenstandsaufnahme im November 1901 hatten
die damalige Stadt Gelsenkirchen
... 37 784,
die
Gemeinde
Schalke
. . . 27 221,
r,
n
Ueckendorf
. . . 22 080,
r>
71
Bismarck .
. . . 21697,
7)
T)
Bulmke
. . . 11589,
n
TI
Hüllen . .
. . . 6 719,
r>
7)
Hessler . .
. . . 6 061,
und nach der diesjährigen Personenstandsaufnahme hat die jetzige
Stadt 142 519 Einwohner.
Gelsenkirchen ist landschaftlich durchaus nicht bevorzugt und'
hat, das kann, und wird niemand leugnen, vollkommen das Äussere
einer schnell gewachsenen Industriestadt. Aber darum ist Gelsen¬
kirchen durchaus nicht die schmutzige Stadt, als welche Professor
Emmerich sie in teilweise geradezu falschen Behauptungen hin¬
gestellt hat.
Die Bebauung der Stadt ist in ihrer Anlehnung an die ver¬
schiedenen Arbeitsstätten, wie Zechen u. s. w. teilweise verstreut,
aber nirgends ungeregelt, sondern überall nach geordneten Be¬
bauungsplänen und Bauordnungen in genügend breiten, vielfach
mit — insgesamt über 12000 Stück — Bäumen bepflanzten Strassen r
ohne Gassen und Gässchen, unter völliger Vermeidung von Keller¬
wohnungen und Hinterhäusern und vielfacher Darbietungen von
Gärten — namentlich in den Arbeiterkolonien — erfolgt.
In allen geschlossen bebauten Teilen der Stadt besteht eine
geordnete Strassenreinigung. Das Oberverwaltungsgericht hat hin¬
sichtlich der alten Stadt und der früheren Gemeinde Ueckendorf
Gelegenheit gehabt, sogar auszusprechen, dass durch Observanz
eine Reinigungspflicht der Anlieger entstanden sei. In Alt-Gelsen¬
kirchen hat vor 12 Jahren die Stadt die Müll- und Kehrichtabfuhr
übernommen; ihr sind zunächst Schalke und Ueckendorf, später,
aber auch noch vor 1901 Bismarck, Bulmke und Hüllen gefolgt.-
Die ebenfalls eingerichtete Fäkalienabfuhr wird zwar durch Privat-
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Unternehmer besorgt, ist aber durch Polizei-Verordnungen geregelt.
Die zahlreichen Schlachtstätten in Alt-Gelsenkirchen und Ueoken-
dorf sind ein Phantasiegebilde des Herrn Emmerich. Seit 1886
besteht für Alt-Gelsenkirchen, seit 1897 für Ueckendorf der Schlacht¬
hofzwang. Die nicht sehr zahlreichen Schlachtstätten in den übrigen
Stadtteilen sind sämtlich nach bau- und gewerbepolizeilichen Vor¬
schriften angelegt und unterstehen behördlicher Aufsicht. Dass in
der einen oder anderen Schlächterei Unreinlichkeiten Vorkommen,
mag sein; aber das ist wohl in der ganzen Welt so und dafür
kann die Allgemeinheit nicht verantwortlich gemacht werden.
Das Fehlen landschaftlicher Schönheiten hat die Verwaltung
sowohl der Stadt, wie des Landkreises Gelsenkirchen und seiner
Gemeinden zur Anlegung von Volksgärten veranlasst. Solche be¬
stehen schon in der alten Stadt Gelsenkirchen in Grösse von
13 Hektar und in den früheren Gemeinden Ueckendorf in Grösse
von 7 Hektar, Bismarck in Grösse von 16 Hektar, Bulmke in Grösse
von 6 Hektar, und kommen in kurzem in den Stadtteilen Schalke
und Hessler zur Ausführung. Die Anlagekosten der vier ersteren
Gärten belaufen sich auf mehr als 1 Million Mark, für ihre Aus¬
gestaltung und Unterhaltung werden jährlich rund 100000 Mark
ausgegeben. Zu den städtischen Anlagen tritt noch eine grosse
Zahl ähnlicher Anlagen von industriellen Werken hinzu. Ausserdem
darf ich verweisen auf unsere guten, überall auch mit Bäumen
bepflanzten Schulhöfe und daran anknüpfend einmal für den Fern¬
stehenden einen Fingerzeig geben über die hiesige Entwickelung
und die Art, wie die berufenen Lokalbehörden ihr gerecht geworden
sind, durch den Hinweis nämlich, dass im Gebiete der Stadt vor
ihrer Entwickelung vier, jetzt 427 Volksschullehrer und Lehrerinnen
tätig sind. Im Durchschnitt des ganzen Zeitraumes sind alljährlich
8 neue Stellen geschaffen und neue Schulklassen gebaut. In den
letzten Jahren ist die Zahl auf 24 gestiegen. Und das alles ist
geschehen, ohne dass hierher je eine Zwangsverfügung der Aufsichts¬
behörden gelangt ist.
Um ein anderes Gebiet zu berühren, so möchte ich hinweisen
auf die vorzüglichen, meist mustergültigen Bade- und sanitären
Einrichtungen auf allen hiesigen Zechen und anderen Werken.
Sie stehen weit z. B. über den Einrichtungen in den Staatsbetrieben
des Saargebietes. Auch die Stadt selbst ist auf diesem Gebiete
gefolgt. Sie hat in diesem Jahre ihre mit einem Aufwande von
900000 Mark erbaute Badeanstalt in Betrieb gesetzt. Die Anstalt
ist mit den vorzüglichsten Einrichtungen, zwei Schwimmhallen,
Wannen- und Brausebädern ausgestattet, und es ist ein Tarif ein-
geftihrt, der auch dem Unbemitteltsten die Benutzung der Anstalt
ermöglicht.
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Dass die Gesundheitsverhältnisse im Ganzen keine allzu¬
schlechten sind, das zeigt übrigens auch die Sterblichkeitsstatistik.
Nach der mir vorliegenden Statistik von 53 Städten in Rheinland
und Westfalen für 1903 steht Gelsenkirchen mit einer Sterblichkeits¬
ziffer von 20,2 auf 1000 zwischen Cöln und Koblenz mit je 19,6
und Münster mit 20,5. Höher sind folgende Ziffern: Bochum 22,2,
Hamm 22,4, Duisburg21, Oberhausen21,9, Meiderich21, Neuss 24,6,
Eschweiler 21,1, Kalk 21,4.
M. H.! In einem müssen wir dem Herrn Professor Emmerich
zustimmen. Das ist die unglücklich tiefe Lage unseres Geländes.
Klagen über die ungünstigen Vorflutverhältnisse in der ganzen
Emscherniederung kennen wir schon aus dem 16. Jahrhundert.
Sie haben die Gesundheitsverhältnisse in hiesiger Gegend schon
früher sehr beeinflusst. Vor allem herrschte früher die Malaria.
Diese Krankheit ist dank den gerade von der Industrie geschaffenen
Einrichtungen, die uns zudem einen sicheren Schutz gegen die
Wiederkehr von Überschwemmungen gegeben haben, völlig aus
unserer Gegend geschwunden.
Schwierig ist nur noch immer stellenweise infolge der Boden¬
senkungen in erhöhtem Masse die Beseitigung der Abwässer. Das
und das Zusaminenströmen grosser Arbeitsmassen aus allen Teilen
des Reiches bieten — es wird dies niemand leugnen, er mag es
mit Pettenkofer oder Koch halten — günstige Gelegenheit für Elin¬
schleppung und Verbreitung ansteckender Volkskrankheiten.
Wenn nun aber Professor Emmerich unter Hinweis darauf
und unter Aufstellung der schon vorhin als unrichtig bezeichneten
Behauptungen sagt, er wolle mit Donnerstimme die hiesigen
Zustände schildern, damit es überall gehört werde und auch zum
Reichstag und an die Stufen des Thrones dringe; man solle in
einem Lande, in dem so reiche Schätze gewonnen werden, auch
etwas Geld darauf verwenden, dass die Mortalitätsverhältnisse
günstiger werden u. s. w., dann halte ich mich vollkommen be¬
rechtigt, diesen schweren Vorwurf, den er gegen unsere Industrie,
die örtlichen Behörden und die Regierungsaufsichtsbehörden erhebt,
dass sie über alles das bis auf den heutigen Tag weggesehen,
nichts getan und, die Industrie sogar aus Eigennutz, ihre Pflichten
vernachlässigt hätten, mit Entschiedenheit und Entrüstung zurück¬
zuweisen.
M. H.! Aus den vielen durch die Industrie geschaffenen An¬
lagen für Abwässerung will ich diejenigen des Schwarzbach Verbandes
hervorheben. Diesem Verbände gehören nur Bergwerksgesellschaften
an. Er hat den Schwarzbach, der Vorfluter ist für Alt-Gelsenkirchen,
Ueckendorf und Teile von Bulmke und Schalke begradigt und ver¬
tieft und ihm in der tiefen Talentwässerung einen Seitenkanal
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-gegeben. Aufgewendet sind schon mehrere Millionen. Im Anschluss
m diese Arbeiten ist der südliche und mittlere Teil ( 2 / s ) der alten
Stadt mit einem Teile von Bulmke 1892/93 und danach der be¬
baute TeiJ von Ueckendorf mit einer guten, bestens arbeitenden
Kanalisation versehen. Auch andere Teile von Bulmke, Bismarck
und Hüllen sind vor 1901 kanalisiert. Überhaupt sind alle Teile
der Stadt, deren Verhältnisse die Kanalisation fordern, mit solcher
versehen, ausgenommen: die frühere Gemeinde Schalke und der
nördliche Teil der Altstadt. Für diese Gebiete befinden sich Pro¬
jekte seit 1895 in Arbeit. Dass sie erst in diesem Jahre genehmigt
sind und zur Ausführung kommen — Sie haben, m. H., bereits
als erste Rate mir 1500000 Mk. zur Verfügung gestellt — hat an
Umständen gelegen, die Ihnen bekannt und in Kürze nicht dar¬
zustellen, die aber, das muss ich bemerken, nicht von uns zu ver¬
antworten sind. Sehr hinderlich war unter anderem die Gemeinde¬
grenze, die am 1. April 1903 gefallen ist, und ein Hauptgrund,
m. H., aus dem die grosse Vereinigung der sieben Orte betrieben
und beschlossen ist, war die Erkenntnis, das auf dem Gebiete der
Abwässerung wirksam nur gemeinsam vorgegangen werden könne,
und der Wille, dieses gemeinsame Vorgehen zu ermöglichen.
Eine völlig einwandfreie Entwässerung des gesamten Industrie¬
bezirkes kann nur in gemeinsamem Zusammengehen eben des
ganzen Bezirkes erfolgen, und was ist da geschehen? M. H.! Der
Bergbau und die übrige Industrie und die Stadt- und Landkreise
des Emschergebietes haben sich zusammengefunden, sie haben sich
einmütig entschlossen, die gewaltigen Kosten für eine gemeinsame
Abwässerung — auf rund 40 Millionen Mark ist die Herstellung
nur der gemeinschaftlichen Anlagen vorveranscblagt — zu über¬
nehmen und haben zur Durchführung ihrer Absichten das Gesetz
vom 14. Juli 1904 (Gesetz-Sammlung S. 175) erwirkt. M. H.! Das
redet eine laute Sprache.
M. H.! Als wir 1901 von der schweren Typhusepidemie be¬
troffen wurden, da haben alle Berufenen, Behörden, Ärzte, Kranken¬
häuser und die gesamte Bürgerschaft gewetteifert, der Not zu
steuern und der Seuche Einhalt zu gebieten. Es ist damals alles
Menschenmögliche geschehen und das gerade in Gelsenkirchen eiD
schneller Erfolg in Bekämpfung der Epidemie erzielt ist, dass ist
seinerzeit allseitig, namentlich von dem öfter hier erschienenen
Herrn Professor Robert Koch und auch an Allerhöchster Stelle
anerkannt worden. Wir haben uns aber nicht mit der Bekämpfung
dieser Epidemie begnügt, sondern aus ihr wiederum gelernt, und
viele segensreiche Einrichtungen in ihrer Folge geschaffen. Lassen
.Sie mich eins anführen. Am 18. Oktober regte Professor Robert
Koch die Gründung eines bakteriologischen Instituts zur Bekämpfung
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von Volkskrankheiten an, am nächsten Tage schon war sie ge¬
sichert und in kürzester Frist hatten die Knappschaft, die Industrie,,
Kreise und Städte des Emschergebietes die Kosten der ersten Ein¬
richtung — etwa 50000 Mark — und die jährlichen Unterhaltungs¬
kosten— 40000 Mark — sofort für zunächst fünf Jahre zur Ver¬
fügung gestellt.
Und wie ist es mit der Wurmkrankheit? Wie ein Dieb iir
der Nacht ist auch diese Krankheit, begünstigt durch die zur*
Sicherheit und Wohlfahrt der Bergleute eingeführte Berieselung r
hereingebrochen. Aber auch sie ist erfolgreich bekämpft. Auf 86
untersuchten Schachtanlagen mit 70000 Mann starker unterirdischer
Belegschaft sind 13 621 Wurmkranke ermittelt. Diese Zahl ist nach;
Aufwendung von drei Millionen Mark seitens des Bergbaues inner¬
halb nicht eines Jahres auf 3000, also um 73 °/ 0 herabgemindert
worden.
M. H.! Sie wissen, dass diese meine Ausführungen, in denen
ich nur einige wenige unser kommunales Leben betreffende Gegen¬
stände berührt habe, mit den wahren Tatsachen übereinstimmen.“
Nach unserer eigenen Kenntnis der Dinge möchten wir una
im wesentlichen dieser Darstellung anschliessen. Man sollte ein¬
zelne Vorkommnisse nicht in der Weise, wie Emmerich es getan,
verallgemeinern. Aber freilich, wenn man der Pettenkoferschen
Typhustheorie, die in den letzten Zügen liegt, wieder auf die Beine
helfen will, bleibt logischerweise nichts anders übrig. Damit soll
natürlich nicht geleugnet sein, dass viele Missstände in Gelsenkirchen,
wie im ganzen Industriegebiet, vorhanden sind. Man ist aber — dar¬
über kann gar kein Zweifel sein — schon seit langer Zeit, nicht
erst seit der Gelsenkirchener Epidemie, ehrlich — und zum grosser*
Teil auch mit Erfolg — bestrebt gewesen, sie zu beseitigen. Kr.
Literaturbericht.
Nickel, Die Gesundheitspflege auf dem Lande. [Veröff. des Dt sch.
Vereins f. Volks-Hygiene, Heft VII.] (München u. Berlin, Verlag von
R. Oldenbourg.)
Die nur 66 Seiten umfassende Schrift behandelt in knapper, all¬
gemeinverständlicher Darstellung das für den Landmann aus der
Hygiene Wissenswerteste. Eine möglichst grosse Verbreitung unter
der Landbevölkerung wäre der Schrift sehr zu wünschen; denn
dadurch könnte manche Menschen- wie Tierkrankheit vermieden^
werden. Schneider (Arnsberg).
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von Lindheim, Saluti aegrorum. Aufgabe und Bedeutung der
Krankenpflege im modernen Staat (Leipzig u. Wien 1905. Deuticke.)
Mit den Fortschritten der Heilkunde und der Ausdehnung
humanitärer Bestrebungen auf immer weitere Volkskreise hat die
Krankenfürsorge in den letzten Jahrzehnten eine Ausdehnung und
Bedeutung gewonnen, von der auch viele der Sache Nahestehenden
keine richtige Vorstellung haben. Der Verf. hat es unternommen,
an der Hand genauer statistischer Daten den Umfang der Kranken¬
pflege in Oesterreich und Deutschland zu schildern mit bedeutsamen
Vorschlägen für die Verbesserung und weitere Entwickelung der¬
selben. Bei dem Interesse, das der Gegenstand für Ärzte und
Hygieniker hat, heben wir aus dem Werke, das mit grossem Fleisse
ausgearbeitet ist, einige Daten hervor.
In Oesterreich waren im Jahre 1897 604 Krankenanstalten
mit 41705 Betten, in denen 427 472 Kranke von 6469 Pflege¬
personen gepflegt wurden; in Privatpflege waren noch tätig 3560
Personen; so dass im ganzen 9929 Personen die Krankenpflege
ausübten; rechnet man von den vielen Ordensgenossenschaften, die
neben anderen Beschäftigungen auch noch zeitweise der Pflege sich
widmen, noch etwa 5000 hinzu, so ergäbe sich eine Summe von
15000 Pflegepersonen.
Viel günstiger liegen die Verhältnisse im Deutschen Reich;
es gab dort im Jahre 1900 6300 Krankenanstalten mit 370 000
Betten und im ganzen an 40 000 Pflegepersonen; eine Zahl, die von
keiner andern Nation erreicht wird.
Die Gesundheitsverhältnisse der Ärzte und der Pflegepersonen
hat L. von Oesterreich genau untersucht und festgestellt, dass bei
den Ärzten die Sterblichkeit keine grössere ist, als bei andern
Berufen, die häufigste Todesursache sind Herz- und Gefässkrank-
heiten. Bei den Krankenpflegern sind die Genossenschaften kon¬
fessioneller Natur, besonders die katholischen Schwestern, sehr viel¬
fach der Tuberkulose ausgesetzt, 66,20°/ 0 gehen daran zugrunde;
nicht, wie Verf. ausdrücklich hervorhebt, weil die Ansteckungs¬
gefahr bei der Pflege so gross ist, sondern weil sich darunter viele
schwächliche und hereditär Belastete finden, die den Anstrengungen
des Dienstes nicht gewachsen sind. Die Ansteckungsgefahr bei
Tuberkulose schlägt er überhaupt gering an und beweist das durch
eine Anzahl von Sterbestatistiken aus solchen Kurorten, in denen
schon seit Jahrzehnten eine stärkere Anhäufung Tuberkulöser statt¬
findet (Davos, Soden etc.). In den Schlusskapiteln finden sich
beherzigenswerte Vorschläge, wie der Pflegedienst zu reformieren
und organisieren ist, um ein geschultes und ausdauerndes Pflege¬
personal zu erhalten.
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76
Das Werk ist für jeden, der sich mit Krankenpflege beschäftigt,
eine reiche Fundgrube zur Informierung und Belehrung.
Hochhaus (Köln).
Hecker, Verleihanstalten von Gegens tAnden zur Krankenpflege
(Schriften des Vereins vom Koten Kreuz, Heft 3.] (Berlin, C. Heymanns
Verlag.)
Der Verf. schildert seine Gründung einer Verleih-Anstalt von
Gegenständen zur Krankenpflege in Weissenburg i. E. Er hat sie sogar
mit einer Bücherei verbunden. Wir erfahren dabei, dass es solche
Anstalten, d. h. ohne Bücherei, in der Schweiz schon seit 100 Jahren
gibt. So nützlich sie auch sein mögen, so bedürfen sie doch einer
sehr sorgfältigen Überwachung, um nicht zur Verbreitung der In¬
fektionskrankheiten beizutragen. Schneider (Arnsberg).
Hoffmann, Ein neues KlArverfahren für städtische Abwässer mit
gleichzeitiger Fettgewinnung. (Gesundheit 1904, Nr. 16.)
Es handelt sieh um das Verfahren von Chr. Kremer, welches
in dieser Zeitschrift bereits besprochen wurde. Die Wirkung des
Verfahrens ist inzwischen eingehender geprüft worden. Kremer
bedient sich zur Abwasserklärung eines 5 m langen, 3 m breiten
und 2 m hohen Kastens, der so eingerichtet ist, dass das ihn
durchfliesseude Wasser gezwungen wird, mehrfach auf- und abzu¬
steigen. Die Schwebestoffe setzen sich im Kasten ab und zwar
die schweren Teile am Boden, das Fett an der Oberfläche. Wenn
nur eine gewisse Klärwirkung erzielt werden soll, kann das Wasser
den Apparat uunterbrochen durchfliessen, ist aber eine durchgreifende
Reinigung erforderlich, so muss der „intermittierende Betrieb“ ein-
treten, d. h. das Wasser wird mit Unterbrechungen von etwa
10 Minuten eingeleitet, damit sich in den Ruhepausen die Schwebe¬
stoffe vollständiger absetzen können. Aus Berliner Abwasser
wurden bei ununterbrochenem Betriebe 19,4 °/ 0 , bei unterbrochenem
Betriebe 74,2—69,7—92,6 °/ 0 der suspendierten organischen Stoffe
ausgeschieden.
Aus 1 cbm Abwasser setzen sich im Winter 300—500 g als
Fettschicht ab. Die Fettschicht enthielt 81—86 °/ 0 Wasser und in
der Trockensubstanz 44—49 °/ 0 Fett. Im Sommer war der relative
Fettgehalt der Fettschicht geringer, die Menge der letzteren aber
doppelt so gross als im Winter.
Um eine Reinigung zu erzielen, welche der durch Klärbecken
bewirkten annährend gleichkommt, sind für eine Stadt von 10 000
Einwohnern 20 Apparate erforderlich, zu deren Bedienung drei
-Mann genügen sollen. Grosse-Bohle (Cöln).
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Tjaden. Hygienisch-bakteriologische Untersuchungsstellen in den
Städten. (Hyg. Rundschau 1904, S. G09.)
Die erste Aufgabe der bakteriologischen Untersuchungsstellen
ist die Bekämpfung der Seuchen, insbesondere der Diphtherie, des
Typhus und der Tuberkulose. Verf. berichtet über die hierauf
bezügliche Tätigkeit des hygienischen Institutes zu Bremen. Die
Untersuchungen geschehen dort für Angehörige des Bremischen
Staates grundsätzlich unentgeltlich, jedoch wird nur auf Antrag von
Behörden oder Ärzten untersucht. In sämtlichen Apotheken be¬
finden sich Niederlagen von postversandfertigen Aufnahmegefässen
für die Untersuchungsgegenstände, die auf Verlangen der Ärzte
unentgeltlich abgegeben werden. Diese Einrichtung hat sich so
bewährt, dass die jährliche Inanspruchnahme des Institutes rund
4000 Nummern beträgt. Schulpflichtige Kinder, die an Diphtherie
erkrankt waren, werden erst dann wieder zur Schule gelassen,
wenn eine Bescheinigung des hygienischen Institutes vorliegt, dass
ansteckungstüchtige Diphtheriebazillen in ihren Hälsen nicht mehr
vorhanden sind, und wenn die sachgemässe Desinfektion der
Wohnungen stattgefunden hat.
Eine nicht minder wichtige Aufgabe der bakteriologischen
Institute ist die Bearbeitung von Fragen der allgemeinen Hygiene.
Man ist sich wohl darüber einig, dass die zentralen Wasserver¬
sorgungsanlagen einer ständigen Kontrolle bedürfen. Dasselbe gilt
auch für die Milch. Die Verkehrsmilch untersteht zwar in den
meisten Städten einer mehr oder minder weitgehenden Kontrolle,
aber diese geht in erster Linie darauf aus. den Konsumenten vor
Verfälschungen der Milch zu schützen. Viel wichtiger ist es, dass
die Milch unzersetzt, frei von Krankfieitskeimen und möglichst
schmutzfrei ist. Der Sachverständige muss die chemischen und die
bakteriologischen Untersuchungsmethoden heranzuziehen verstehen
und über die Verhältnisse an der Milchproduktionsstelle sich Klar¬
heit verschaffen. Grosse-Bohle (Cöln).
Heymann, Statistische und ethnographische Beiträge zur Frage
über die Beziehungen zwischen Säuglingsernährung und Lungen¬
schwindsucht. (Zeitschr. f. Hyg. u. Inf., Bd. 48, Heft I. 1904.)
Als Argumente gegen die Behringsche Behauptung, „die Säug¬
lingsmilch ist die Hauptquelle der Schwindsuchtsentstehung a führt
Flügge u. a. an :
„Die statistischen Berichte über Gegenden und Orte, in
welchen die Kinder mehr als in anderen Gegenden an der Brust ge¬
nährt werden, in denen die Tuberkulosesterblichkeit dennoch nicht
zurücksteht hinter Lokalitäten, wo die Ernährung mit Kuhmilch
vorherrscht“ und „die Tuberkulosefrequenz in solchen Ländern, in
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7 *
denen Rindvieh oder Tiermilch überhaupt nicht existieren, oder in
denen letztere doch nicht in breiteren Volksschichten zur Ernährung
der Säuglinge benutzt werden kann. u
Nach beiden Richtungen hin hat Heymann ein sehr interessantes
Material gesammelt und festgestellt, dass in Japan, der Türkei und
in Grönland — in beiden letztgenannten Ländern durch die sehr
ungünstigen hygienischen Verhältnisse zweifellos begünstigt — die
Tuberkulose ganz enorm verbreitet ist, trotzdem die Säuglings¬
ernährung ausschliesslich durch die Brust erfolgt und Milch und
Butter als Nahrungsmittel kaum oder gar nicht in betracht kommen.
Es besteht auch in sehr vielen anderen Ländern, Bezirken und
Städten, wie statistisch festgestellt, durchaus kein Parallelismus
zwischen Ausdehnung der Kuhmilchernährung und Phthisesterb¬
lichkeit, welch’ letztere eine stetig fallende Tendenz zeigt. Es
ergibt sich demnach, dass die Kuhmilch als Säuglingsnahrung
nur einen sehr geringen Anteil an der Entstehung der Tuberkulose
haben kann. Weise her (Rosbach a. d. Sieg).
Speck, Die Beziehung der S&uglingsern&hrung zur Entstehung
der Lungentuberkulose. (Ztschr. f. Hyg. u. Inf., Bd. 48, Heft 1. 1904.)
Den von Flügge gegen die Behringsche Hypothese „die Säug-
Tingsmilch ist die Hauptquelle für die Schwindsuchtsentstehung“ vor¬
gebrachten Einwand, dass nämlich gegen die Behringsche Behauptung
alle Beobachtungen sprechen über Vorkommen von Phthise bei Men-
. sehen, die im Säuglingsalter Tiermilch überhaupt nicht getrunken ha¬
ben, hat Speck durch eine sorgfältige Enquete und Beschaffung eines
grossen Zahlenmaterials nachgeprüft. Unter Zugrundelegung der
in der Literatur vorhandenen und durch diese Enquete erhobenen
Zahlen sind unter 8010 Phthisikern, welche genaue Auskunft geben
konnten, 5854 = 73°/ 0 gewesen, die im Säuglingsalter nur mit
Frauenmilch genährt wurden, bei denen also eine infantile Auf¬
nahme von T. B. aus Kuhmilch ausgeschlossen war, und bei denen
andere Entstehungsursachen — Inhalation oder Kontakt — gewirkt
haben müssen. „Die Kuhmilch ist daher als gar keine oder als
eine äusserst geringfügige Quelle der Schwindsuchtsentstehung beim
Menschen anzusehen. u Weise her (Rosbach a, d. Sieg).
Gruber, Tuberkulose und Wohnungsnot. (Soz. Zeitfragen. Beiträge
zu den Kämpfen der Gegenwart von A. Damaschke. Verlag Boden¬
reform. 1904.)
Den drei wichtigsten Marschrouten im Kampfe gegen die
Tuberkulose: Der individuellen Prophylaxe, der Heilstättenbehand¬
lung und der von den Dispensaires aus geleiteten praktischen Haus*
pflege werden unübersteigliche Grenzen gezogen durch die un
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79
günstigen Wohnungsverhältnisse der breiten Schichten des Volkes.
Da die Herausnahme des Tuberkulösen aus seiner Wohnung und
seine Absonderung nie der normale Weg zur Bekämpfung des
Wohnungselendes werden darf, so ist die unentbehrliche Vorbe¬
dingung für einen durchgreifenden Feldzugsplan gegen die Tuber¬
kulose die Wohnungsreform, diese letztere aber nur möglich auf dem
Wege der Bodenreform. Weischer (Rosbach a. d. Sieg).
Noetel, Die Unschädlichmachung des Auswurfs der Phthisiker.
(Zeitschr. f. Hyg. u. Inf., 48. Bd., 1. Heft. 1904.)
Der Schutz gegen die Infektion mit tuberkulösem Sputum,
• die teils durch Kontakt, teils durch Einatmung getrockneter und
-verstäubter Sputumteile erfolgt, muss sich erstrecken: auf die Samm¬
lung und Beseitigung ausgespuckter Sputumteile und auf die Un¬
schädlichmachung der mit Sputumresten beschmutzten Kleider und
'Taschentücher. — Da die gebräuchlichen Methoden der Desinfek¬
tion des Sputums durch Kochen, durch stömenden Dampf, durch
Chemikalien nach Ansicht des Verfassers u. a. nicht ohne Mängel
sind, empfiehlt er als das sicherste — wie schon früher Flügge (Ref.) —
das Verbrennen des Sputums in und mit den Speigefässen. Da
dies nur möglich ist bei Füllung der Speigefässe mit trockenem
oder nahezu trockenem Material, so empfiehlt Verf. auf grund seiner
Versuche, die eine Verstaubung des auf trockenes Füllmaterial
(Sand, Sägemehl, Sägespreu, Holzwolle, Kaffeesatz) deponierten
.Sputums bezweckten, als trockenes Füllmaterial Sand, feine Holz¬
wolle und Kaffeesatz. Nach weiteren Versuchsergebnissen N.’s
haften Phthisikerkleidern reichlich virulente Tuberkelbazillen an. Die
Kleider Tuberkulöser bedürfen also, um weiterer Infektion vorzu¬
beugen, unbedingt periodisch wiederholter Desinfektion. Eine fünf¬
stündige Formalindesinfektion hält Verf. für diese Zwecke für
^ausreichend. Weischer (Rosbach a. d. Sieg).
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Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neueir
Bücher etc.
Altschul, Dr. Th., Die Bekämpfung der Tuberkulose in Theorie u. Praxis^
Dux 1904. C. Weigend. Preis 20 Pfg.
Bauer, Dr. L., Der Zug nach der Stadt und die Stadterweiterung. Eine-
rassenhygien. Studie. Stuttgart 1904. W. Kohlhammer. Preis 3,50 Mk.
Bau mann, J. F., Spezial-Buchhaltung für Ärzte. Zürich, Th. Schröter.
Fink eist ein, Dr. H., Fürsorge für Säuglinge. Jena 1904. Gustav
Fischer. Preis 75 Pfg.
Gärtner, Prof. Dr. A., Leitfaden d. Hygiene f. Studierende, Ärzte, Archi¬
tekten, Ingenieure und Verwaltungsbeamte. Mit 175 Abbildgn. 4. Aufl.
Berlin 1905. S. Karger. Preis 6 Mk.
Grotjahn, A., Der Alkoholismus. Jena 1904. Gustav Fischer. Preis
50 Pfg.
Mir, G., Moleküle, Atome, Weltäther. M. 27 Textfig. Leipzig 1904.
B. G. Teubner. Preis 1,25 Mk.
Müller, J. P., Mein System. 15 Minuten täglicher Arbeit für die Gesund¬
heit. Mit 42 Illustr. Kopenhagen-Leipzig 1904. K. F. Koehler. Preis
2 Mk.
Proceedings and Addresses of the seventh General Conference of the
Health Officials in Michigan, Ann. Abor Michigan, Jannary 7 and 8 1904.
Rapport, Annuel, Demographie. Hygiene, Salubrit6Publique, Statistique
medicale. Annee 1903. Ville de Bruxelles. Bruxelles 1904. E. Guvot.
Statistiek der Bevolking van Amsterdam en eenige voorname Steden
der wereld in de Jaren 1899—1903. Amsterdam 1904. Johannes Müller.
Preis 50 Pfg.
Schwiening, Dr. H., Krieg und Frieden. Mit 11 Kurven. Jena 1904.
Gustav Fischer. Preis 2,50 Mk.
Thirtv-fifth Annual Report of the State Board of Health of Massachusetts.
Boston 1904. Wright & Potter Printing Co , State Printers, 18 Post
Office Square.
Trüper, J., Zur Frage der ethischen Hygiene unter besonderer Berück¬
sichtigung der Internate. Altenburg 1904. Oskar Bonde.
Weyl, Dr. Th., Assanierung. Die Abwehr gemeingefährlicher Krankheiten.
Mit 19 Tafeln. Jena 1904. Gustav Fischer. Preis 5 Mk.
— — Mit Beiträgen von Marg. Weinberg. Zur Geschichte der sozialen
Hygiene. Mit 2 Tafeln und 8 Abbild, im Text. Jena 1904. Gustav
Fischer. Preis 6 Mk.
Wilheim, Dr. J., Führer für Nervenkranke. Wien 1905. Georg Szelinski.
NB. Die für die Leser des „Centralbiattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt und Referate darüber, soweit der be¬
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels,.
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren-
Einsendern genügen. Di , Veriag8tand | u „ g
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Hebamme und Säuglingsernährung.
Von
Or. Paul Selter,
Kinderarzt u. dirig. Arzt des Säuglingsheimes Solingen-Haan.
Das neue Hebammenlehrbuch für Preussen ist erschienen. Es
stellt nach den Mitteilungen des Verfassers 1 ) den ersten Schritt
dar der von der königl. Staatsregierung in Aussicht genommenen
Hebammenreform. — Alle die sehenden Auges die öffentlichen und
privaten Bemühungen zur Verminderung der Säuglingssterblichkeit
verfolgt haben, erwarten bei dieser Hebammenreform, dass auch die
Ausbildung der Hebammen in der Säuglingsernährung wesentlich
verbessert werde; denn es dürfte wohl überall unbestritten aner¬
kannt werden, dass gerade aus den minderbemittelten Bevölkerungs¬
schichten, also denjenigen mit grösster Säuglingssterblichkeit, die
Hebamme in erster Linie um Rat über die Ernährung des kleinen
Kindes angegangen wird, nicht nur während des Wochenbettes, auch
in späteren Monaten und nicht zuletzt bei Erkrankungen des Säug¬
lings. Diese Beratung ist aber durchaus nicht etwas unerlaubtes
von Seiten der Hebamme gewesen, und ist es, wie ich gleich hier
vorausschicken will, nach dem neuen Hebammenlehrbuch auch nicht,
wie aus § 4 der Dienstanweisung, dem § 249 des Lehrbuches (Be¬
ratung der Stillenden) und § 259 ff. (über künstliche Ernährung,
Entwöhnung) hervorgeht. Nun ist aber der Rat der Hebamme bei
der Säuglingsernährung durchaus nicht immer ein guter. Jeder
Pädiater, ja jeder mit Säuglingsernährung sich beschäftigende Arzt
weiss ein Liedchen davon zu singen, wie oft gerade auf Rat der
Hebamme ein Stillungsgeschäft unterbrochen, wie oft gerade auf
Rat der Hebamme eine für den betr. Säugling recht unzweck¬
mässige, künstliche Ernährung eingeleitet wird. — Der Verf. hat
als Referent auf der Versammlung des niederrheinischen Vereins für
öffentliche Gesundheitspflege 1902 über das Thema: „Dringende Auf-
1) Runge, Deutsche med. Wochenschr. 1904, S. 1652.
Ccntralblatt f. all?. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 6
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82
gaben der privaten und öffentlichen Wohlfahrtspflege auf dem Ge¬
biete der Säuglingsernährung“ folgendes ausgeführt 1 ):
In Solingen war in */ 3 der Fälle von Nichtstillen die Hebamme
die Beraterin, in Cöln in 1 j 1 der Fälle. Nun, meine Herren, Sie
alle, auch die Nichtärzte, werden mir zugeben, dass die Hebamme
ihrer ganzen Ausbildung nach nicht die geeignete Person ist, in
einer Angelegenheit, von der unter Umständen das Leben eines
Kindes abhängig ist, Rat zu erteilen; und. man sollte deshalb er¬
warten, dass das preussische Hebammenlehrbuch der Hebamme einen
derartigen Rat untersage. Aber nichts von dem ist der Fall. Im
Gegenteil, viel eher wird die Hebamme zum Darreichen künstlicher
Nahrung ermuntert, z. B. sagt der § 168: „Hat die Wöchnerin in
den ersten Tagen noch nicht genug Milch, so gebe die Hebamme
dem Kinde mit dem Teelöffel etwas verdünnte Milch.“
Ja, wer entscheidet denn, ob die Wöchnerin genügend Milch
hat? Die Hebamme oder die Wöchnerinnen selbst, oder gar die
Grossmutter? Wieviel ist denn „etwas“ verdünnte Milch? Bekommt
der kleine Mann dann nicht soviel, dass er nun an der Mutterbrust
überhaupt nicht mehr saugt. Und weiter in § 172 und 173 heisst
es: „Kann die eigene Mutter ihr Kind nicht mehr stillen, so ist die
Amme der geeignete Ersatz. Kann eine Amme nicht geschafft
werden, so ist das Kind mit Kuhmilch aufzufüttern.“ Wer soll denn
hier entscheiden, ob die Mutter stillen kann? — Nun, verehrte An¬
wesende, Sie werden, glaube ich, mir zustimmen und geeigneten
Ortes mit befürworten, dass es zweckentsprechend ist, wenn statt
aller dieser Paragraphen der einzige geschaffen wird: „Glaubt die
Hebamme, dass die Wöchnerin oder stillende Frau ihr Kind nicht
stillen oder nicht mehr stillen kann, so ist ein Arzt zu Rate zu
ziehen. Selbständig Rat zu erteilen, ist der Hebamme verboten.“
Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmung sollten ebenso bestraft
werden, wie die selbständige Behandlung und Nichtaumeldung
einer Wochenbetterkrankung. Oder ist es etwas anderes, ob ein
Säugling an fehlerhafter Ernährung oder eine Frau an Wochenbett¬
erkrankung stirbt?!
Tn derselben Frage äusserte sich der 2. Referent Dr. Paffen¬
holz, wie folgt: Ähnlich verhält es sich auch mit der Wirksam¬
keit der Hebammen, die dem Umfange nach sogar noch schlimmer
ist, weil diese die Beraterinnen der ärmeren Bevölkerung sind, auch
für das Kind bis weit in das Säuglings-Alter desselben hinein. Es
wird wohl kaum gelingen, das Vertrauen dieser Bevölkerungsklasse
zu den Hebammen auch in Bezug auf die Säuglings-Ernährung zu
erschüttern; man muss sich also damit abfinden. Und gerade dieses
1) Centralbl. f. allg. Ges. 1902, S. 377 ff.
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Vertrauen könnte die Quelle einer segensreichen Wirkung werden,
wenn den Hebammen die allgemeinen Regeln der Diätetik des ge¬
sunden Kindes während ihrer Ausbildungszeit mit demselben Nach¬
druck eingeprägt würden, wie die der Wochenbettpflege, und wenn
sie die Ausbildungs-Anstalt mit demselben Gefühl der Verantwort¬
lichkeit für das Kind verliessen, das sie für die Mutter in so hohem
Grade besitzen, und das durch sehr strenge Kontrolle stets wach
erhalten wird. Weil jede, auch die scheinbar leichteste Verdauungs¬
störung eines Säuglings im Sommer von den schlimmsten Folgen
sein kann und schon den Arzt vor eine schwierige Aufgabe stellt,
so muss den Hebammen streng verboten werden, bei solchen Er¬
krankungen Rat zu erteilen; Übertretungen dieses Verbotes müssen
ebenso zur Verantwortung gezogen werden, wie dies bei ähnlichen
Verfehlungen gegen das Wohl der Mutter schon jetzt geschieht.
Wir sehen aus allem, und auch der erste Herr Referent hat ein
Beispiel hierfür gebracht, dass das Wohl des Kindes bei der Aus¬
bildung der Hebammen kaum berücksichtigt wird, wahrscheinlich
deshalb, weil man den Einfluss der Hebammeu auf das Schicksal
des Kindes nicht gebührend einschätzt, dass also diese Ausbildung
mit Rücksicht auf die natürliche und künstliche Ernährung der
Säuglinge reformbedürftig ist. Man möge die Wirkungen einer
solchen erweiterten Ausbildung und späteren Beaufsichtigung der
Hebammen besonders wegen der günstigen Gelegenheit, die An¬
schauungen weiter Volkskreise über die Säuglings-Ernährung zu
beeinflussen, nur ja nicht unterschätzen, sondern als wichtige Auf¬
gaben der öffentlichen Wohlfahrtspflege betrachten.
In der Diskussion wurde diesen Ausführungen von keiner Seite
widersprochen. Im Gegenteil äusserten sich folgende Herren zu¬
stimmend dazu:
Frauenarzt Dr. Cr am er, Bonn: Was weiter die Gegenarbeit
der Hebammen in dieser Frage angeht, so kann ich die Schlüsse,
die Kollege Selter aus den Erfahrungen der Praxis gezogen hat,
nur bestätigen. Gerade in letzter Zeit ist die Bewegung in Bezug
auf eine Reform des Hebammenwesens besonders lebhaft. Man muss
sagen, dass das Bildungsniveau der Hebammen nicht genügt, um
ermessen zu können, welche Nahrung dem Kinde bekömmlich ist,
und um Verdauungsstörungen des Kindes richtig zu beurteilen. Ich
kann es deshalb nur freudig begrttssen, dass Kollege Selter den
Vorschlag gemacht hat, den betreffenden Passus im Hebammen*
Lehrbuch dahin abzuändern, dass die Hebammen, wenn sie glauben,
dass nicht genügend Milch vorhanden ist, verpflichtet sind, einen
Arzt zu Rate zu ziehen. Es ist mir vielfach der Einwand gemacht
worden, wir hätten gesetzlich nicht die Möglichkeit, den Hebammen
<las vorzuschreiben. Ich glaube aber doch, dass eine solche Mög-
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lichkeit vorhanden ist, die Hebammen zu zwingen, bei Nicht-Stillen
einen Arzt zuzuziehen.
Oberbürgermeister Dr. Lentze, Barmen: Man weiss in den
breiten Schichten des Volkes tatsächlich gar nicht, welche grosse
Bedeutung das Selbststillen hat. Darin sündigen auch die Warte¬
frauen und Hebammen sehr viel. Tatsächlich sind sie vielfach die
alleinigen Berater der Frauen.
Im Anschluss an die Verhandlungen dieses Vereins 1 ) hat der
Aachener Regierungspräsident von Hartmann eine Verfügung an die
Hebammen erlassen, aus der ich folgendes hervorhebe 2 ):
„Durch neuere Untersuchungen ist festgestellt, dass die Ursache
der meisten im Säuglingsalter vorkommeuden Todesfälle eine Er¬
krankung des Magens und Darmkanales ist, dass diese Erkrankung
fast ausschliesslich durch unrichtige Ernährung bedingt ist, dass alle
diejenigen Kinder, welche mehrere Monate lang ausschliesslich die
Mutterbrust erhalten, dieser Gefahr fast gar nicht ausgesetzt sind,
dass aber die Gefahr sofort, namentlich während der Sommermonate
ausserordentlich steigt, wenn dem Kinde verdünnte Kuhmilch gegeben
wird, und dass alle anderen Nahrungsmittel noch gefährlicher sind.
Die Hebammen haben oft Gelegenheit, den Müttern zu raten.
Es ist bei der grossen Kindersterblichkeit, wie sie namentlich
auch im Regierungsbezirke Aachen herrscht, ihre Pflicht, diejenigen
Ratschläge zu erteilen, die für Mutter und Kind am besten sind und
die dem Volke eine grosse Zahl von Kindern erhalten können, deren
Verlust bisher unvermeidlich schien.
Im Anschluss an das Hebammenlehrbuch und um der Verant¬
wortung willen, die die Hebammen in dieser Sache tragen, ordne
ich hiermit Folgendes an:
1. Die Hebammen haben in jedem Falle mit ernster Ent¬
schiedenheit darauf zu dringen, dass die Mütter ihre Kinder so
lange wie möglich und, wenn es eben geht, mindestens 3 Monate
lang ausschliesslich selbst stillen.
2. (Zu §317 des Lehrbuches.) Kann die Wöchnerin anscheinend
ihr Kind nicht selbst stillen, so hat die Hebamme sich eigener Rat¬
schläge zu enthalten, sie hat vielmehr dahin zu wirken, dass ein
Arzt zugezogen werde.
3. (Zu § 328.) Stellen sich bei dem Kinde Verdauungsstörungen,
insbesondere Erbrechen und Durchfall ein, oder tritt in Folge
mangelhafter Ernährung ein anhaltender Gewichtsverlust oder deut¬
liche Abmagerung des Kindes ein, so hat die Hebamme sofort und mit
aller Bestimmtheit darauf zu dringen, dass ein Arzt zugezogen werde.
1) Vgl. Centralbl. f. allg. Gesundheitspflege 1903, S. 240.
2) Ebenda 1902, S. 428.
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4. Kann die Matter überhaupt nicht stillen, oder kann sie
nicht genügend Milch geben, oder treten die vorstehend unter
Ziffer 3 beschriebenen Erscheinungen von Abmagerung auf, und
kann es die Hebamme dabei nicht durchsetzen, dass ein Arzt zu¬
gezogen wird, so soll sie ausschliesslich gute, gekochte Kuhmilch in
entsprechender Verdünnung als Nahrung für das Kind anordnen.
Sie hat dabei die Mutter oder Pflegerin des Kindes zu beraten, wie
der Kochkessel, die Milchflaschen und der Sauger nach jedesmaliger
Benutzung gründlich gereinigt werden müssen.
5. Die Behandlung kranker, inbesondere an Brechdurchfall
erkrankter Kinder, darf die Hebamme niemals übernehmen, schon
deshalb nicht, weil die Verantwortung, die sie damit auf sich nehmen
würde, viel zu gross ist.
Wir ersehen daraus, dass die Staatsregierungen wohl willens
und in der Lage sind, alle zur Verminderung der Säuglingssterblich¬
keit notwendigen und zweckmässigen Schritte zu tun. Das gleiche
Bestreben dürfte nicht minder in dem Kultusministerium der Fall
sein, in dessen Auftrag das neue Hebammenlehrbuch herausgegeben
wurde. Erklärte doch der Minister der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinalangelegenheiten am 16. Mai 1904 in einer Sitzung des
Herrenhauses antwortlich einer Rede des Grafen Oppersdorf: „Ich
möchte mich zunächst gegen den Vorwurf wenden, als ob eine
traditionelle Vernachlässigung der Kinderheilpflege inPreussen statt¬
fände. Ich wende der Sache persönlich meine grösste Aufmerksamkeit
zu u. s. w. u
Nach allen diesen Auslassungen durften wir eine gründliche
Änderung der für die Hebammen gegebenen Vorschrift beztigl. der
Säuglingspflege und Ernährung in dem neuen Lehrbuch wohl er¬
warten. — Sehen wir uns dieses nun einmal daraufhin an: Hervor¬
gehoben sei vor allem, dass sich ein Verbot der Einleitung künst¬
licher Ernährung, wie in der vorzttgl. Aachener Verfügung, nicht
findet, dagegen finden sich folgende Belehrungen:
Endlich kann der Grund, dass das Kind nicht trinkt und
dauernd unruhig bleibt, an Milchmangel liegen. Die Brüste sind
weniger prall, und es lässt sich auch am Ende der 1. Woche Milch
nicht im Strahle, sondern nur in Tropfen ausdrttcken. Dann muss
das Kind anders genährt werden. In solchen Fällen soll man zu¬
nächst neben der Muttermilch Kuhmilch, von der wir unten sprechen
werden, geben, und zwar abwechselnd mit der Muttermilch, des Nachts
aber womöglich nur die Brust. Erweist sich auch jetzt die Menge der
Muttermilch als ungenügend, oder greift die Frau selbst dieses ge¬
ringe Stillen stark an, so dass sie schwach wird, oder den Appetit
verliert, so muss das Kind abgesetzt werden, ebenso wie bei schlechten
oder kranken Warzen, wovon später gehandelt wird (§262).
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Es ist sehr bedauerlich, dass heute eine grosse Anzahl von
Müttern, besonders in Grossstädten, ihr Kind nicht stillen können.
Die Milchabsonderung ist zu gering, oder die Frauen kommen beim
Stillen herunter. Sie magern ab, verlieren den Appetit, werden
nervös. Besonders oft treten dann heftige Kopf- und Rückenschmerzen
auf, zumal nach jedesmaligem Anlegen des Kindes. Andere können
wegen wunder Warze nicht weiter stillen (§ 250).
Kann die Mutter ihr Kind nicht nähren und kauu auch eine
Amme nicht beschafft werden, so muss das Kind künstlich genährt
werden. Hierzu nimmt die Hebamme nur die Kuhmilch (§ 264).
Ich muss meine früher erwähnten Einwendungen auch dieser
veränderten Fassung gegenüber aufrecht erhalten. Die Hebamme
kann nicht entscheiden, ob die Warzen genügend oder ungenügend.
Sie ist ihrer ganzen Ausbildung nach dazu nicht in der Lage, sicher¬
lich auch nicht nach obiger, nicht überall einwandfreier Vorschrift.
Ich sehe einmal ganz davon ab, dass es sachverständiger Be¬
ratung der stillenden Frau möglich ist, selbst die unscheinbarste
Brust noch zur genügenden oder wenigstens teilweise genügenden
Milchsekretion zu bringen, sehe davon ab, dass es noch angesichts
der Wichtigkeit des Stillens richtiger wäre, bei Schrunden der
Warzen zu ärztlicher Behandlung zu raten. — Ich möchte an dieser
Stelle auch nicht darauf eingehen, dass die in den §§ 265 bis 267
geschilderte Bereitung der künstlichen Nahrung schwerlich zweck¬
mässig ist, da diese z. B. für den ersten Monat eine Flüssigkeits¬
menge von 110 bis 145 ccm pro dosi, also bei den vorgeschriebenen
7 Mahlzeiten s / 4 bis 1 1 pro Tag angeben, eine Menge, die die
wenigsten Säuglinge im ersten Monat ohne Schaden zu trinken
vermögen. Und endlich möchte ich bezüglich der Verdauungs¬
störungen mit Einwänden zurückhalten, z. B. bei der Unter¬
scheidung von Speien und Erbrechen und dergl. Nur das eine
möchte ich durch diese Bemerkungen feststellen, dass in diesem neuen
Lehrbuche prinzipiell bezüglich der Säuglingsernährung alles beim
alten geblieben ist. Liess sich denn zu all den Fachleuten nicht
auch ein einziger Pädiater, Leiter eines Säuglingsheims, Direktor
einer Kinderklinik oder ein pädiatrischer Praktiker zuziehen? Nein,
auch dieses neue Lehrbuch, sonst ein Meisterwerk nach Inhalt und
Darstellung (zumal wenn man bedenkt, für welche Kreise es ge¬
schrieben ist), beweist wieder, dass die heutige Hebamme, die
Hebamme des neuen Lehrbuches, ihrer ganzen Ausbildung, ihrer
ganzen Stellung nach, nicht geeignet ist, in einer Angelegenheit,
von der unter Umständen das Leben eines Kindes abhängig ist, Rat
zu erteilen. — Also weg mit der Beratung der Hebamme bei der
Ernährung des Säuglings und zurück zu den schönen Aachener Vor¬
schriften! Die nicht natürliche Ernährung ist doch auch etwas regel-
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widriges. Und wenn bei Geburt und Wochenbett nur regelmässige
Vorgänge der Hebamme zufallen, warum nicht auch bei der Er¬
nährung des Neugeborenen und Säuglings (vergl. § 312)?
Wie schön würde da die Schlussmahnung des Lehrbuches
(§ 515) lauten: Sie vergesse nie: „Muttermilch ist unter allen Um¬
ständen die beste Ernährung für das neugeborene Kind. Sie muss
daher stets auf das Selbststillen halten; reicht die Muttermilch nicht
aus, so ist der Arzt zu Rate zu ziehen“ (statt: dann wird Kuhmilch
zu Hilfe genommen u. s. w.).
Aber wir haben von erster Stelle gehört, dass der Kinderpflege
die grösste Aufmerksamkeit zugewendet' werde. — Nun gut! Dann
gebe man der Hebamme eine geeignete Ausbildung auch in der
Pflege und Ernährung des Kindes, damit auch sie eventuelle Regel¬
widrigkeiten erkenne und deuten könne, deren Behandlung Aufgabe
des Arztes ist. (Vergl. § 312 d. Heb.-Lehrb.) — Kann man 6 und
demnächst sogar 9 Monate auf den Ausbildungskursus in Schwanger¬
schaft-, Geburts- und Wochenbettskunde mit etwas Pflege des Neu¬
geborenen verwenden, so dürften sicherlich einige wenige Monate
für die Säuglingspflege nicht zu viel verlangt sein! — Nach Ahlfeld 1 )
starben in den Jahren 1883—96 in einer Zusammenstellung für das
Königreich Sachsen bei über 2 Mill. Geburten 12594 Frauen im
Wochenbett oder etwa 0,6°/ 0 und davon 0,25°/ 0 an Infektionen im
Wochenbett. Übersehen \vir gar einmal diesen Zeitraum von 14 Jahren
in Ahlfelds Statistik, so finden wir sowohl eine Abnahme der im
Anschluss an eine Geburt eingetretenen Todesfälle, als vor allen
Dingen eine regelmässige, fortlaufende Abnahme der Todesfälle in
Folge von Infektionen im Wochenbett (0,3°/ 0 im Jahre 1883 auf
0,15°/ 0 im Jahre 1896». Wie in Sachsen verhält sich die Sterb¬
lichkeit in Folge der Geburt mutatis mutandis auch in den übrigen
Gegenden des Deutschen Reiches, spez. in Preussen. Hierfür stehen
mir leider genauere Zahlen zur Zeit nicht zur Verfügung. — Wie
aber verhält es sich mit der Sterblichkeit der Säuglinge infolge
von Ernährungsstörungen? Die Frage ist in den letzten Jahren so
oft und so vielseitig erörtert worden, dass es Eulen nach Athen
tragen hiesse, darauf noch einmal genauer einzugehen. So viel steht
fest, dass wir bezttgl. der Kindersterblichkeit erst an 11. Stelle
unter den zivilisierten Völkern kommen, und dass wir seit 2 Dezennien
eine fast stets gleichbleibende Sterblichkeit von 20°/ 0 der Lebend¬
geborenen und höher haben 2 ). Angesichts dieser Tatsachen meine ich,
müsste nachgrade der grösste Wert auf die Ausbildung der Hebamme
1) Ahlfeld, Lehrb. d. Geburtshilfe 1K98.
2) Centralhl. f. allg. Ges. 1902, S. 377, und Geh.-Rat Kirchn er, Sitz,
d. Herrenhauses v. Iß. V. 04.
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in Säuglingsernährung und -Pflege gelegt werden, wenn die Hebamme
hiermit überhaupt zu tun hat oder zu tun haben soll. Nun sind es
aber, wie vorhin erwähnt, grade die Kreise mit grösster Säuglings¬
sterblichkeit, die minderbemittelten, die den Rat der Hebamme in
erster Linie bezüglich der Säuglingsernährung in Anspruch nehmen.
Das wird sich auch nicht vermeiden lassen, solange wenigstens
nicht, bis wir öffentliche Beratungs-Anstalten für Säuglinge haben,
und auch dann noch nicht, weil eben die Hebamme für die niederen
Bevölkerungsschichten, denen sie entstammt, die Vertrauensperson
bleiben wird. So gut, wie es aber feststeht, dass grade die Tätig¬
keit der Hebamme von massgebendem Einfluss auf die Statistik der
Wochenbetts-Erkrankungen und -Todesfälle ist, so gut wird meines
Erachtens ihre gute oder schlechte Wirksamkeit sich auf dem Ge¬
biete der Säuglingsernährung und -Pflege ausdrücken. Aus diesem
Grunde muss die Ausbildung der Hebamme auch in der Säuglings¬
ernährung und -Pflege vertieft werden, nicht damit sie in die Lage
kommt, auch die künstliche Ernährung des Neugeborenen und
Säuglings zu leiten, sondern damit sie die Schwierigkeiten und
Gefahren der künstlichen Ernährung kennen lernt, damit sie, wie
bei Geburt und Wochenbett, auch bei der Säuglings-Ernährung die
natürliche Ernährung, das Stillgeschäft, selbständig in Gang bringe,
leite und fördere, jede Abweichung hiervon aber, weil regelwidrig,
kenne und deute, um sie unverzüglich zum Arzte zu schicken.
Wo soll aber die Hebamme die Säuglingspflege und Ernährung
lernen? An den Hebammenlehranstalten in ihrer jetzigen Beschaffen¬
heit ist das nicht möglich! In den 10—12 Tagen, die die Wöchnerin
in diesen Anstalten weilt, ist es nicht einmal immer möglich, das Still¬
geschäft in gehöriger Weise einzuleiten. Wissen wir doch, dass selbst
der Milcheiuschuss bei Erstgebärenden oft genug erst am 5. oder
6., ja 8. Tage erfolgt. Ist es doch bekannt, dass grade bei in
letzter Zeit schlecht genährten Frauen, zu denen auch das Material
der Entbindungsanstalten, weil uneheliche Mütter, vielfach zählt,
dass grade bei den unter der Geburt mehr leidenden Erstgebärenden
die Milchsekretion erst bei zunehmender Kräftigung und Erholung
in gehörigen Masse einsetzt, so dass anfangs vielfach gezwungener
Weise Beikost gegeben werden muss. Selbst wo aber frühzeitige
und genügende Milchsekretion vom 3. oder 4. Tage ab vorhanden
ist, kann von einem „Einstillen 44 , von einer Beobachtung von „Still¬
fehlern 44 und „Stillkrankheiten 44 in den wenigen Tagen des Anstalts¬
aufenthaltes keine Rede sein. Eine Beobachtung der künstlichen
Ernährung aber, eine Kenntnisnahme von deren Gefahren und
Schwierigkeiten ist in diesen Wochenbettstagen für die Hebamme
völlig unmöglich, ganz abgesehen davon, dass die weitaus meisten
Hebammenlehrer, als Frauenärzte, nicht die genügenden speziellen
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Kenntnisse hiervon haben dürften. Also die Hebainmenlebranstalten,
wie sie jetzt sind, können die Aufgabe, in Säuglingspflege und
-Ernährung auszubilden, nicht erfüllen. Und so kommen wir
denn zu dem Schlüsse, entweder den Hebammenlehr¬
anstalten Säuglingsheime (Pflegeanstalten für Säuglinge
mit Müttern) unter eigener pädiatrischer Leitung anzu¬
gliedern oder die Hebammen bereits bestehenden An¬
stalten dieser Art zu einem Kursus zu überweisen.
Die königliche Regierung hat eine Hebammenreform in Aus¬
sicht genommen, sie will das Wissen der Hebammen vertiefen, statt
ihre Befugnisse zu erweitern. — Möge sie im Gegenteil die Be¬
fugnis derselben streichen, selbständig künstliche Ernährung des
Säuglings einzuleiten! Möge sie dagegen ihre Kenntnisse über die
Säuglingsernährung in Säuglingsheimen vertiefen!
Der erste Schritt einer Hebammenreform ist durch das neue
Lehrbuch, dessen Wert auch die vorliegenden Bemerkungen in keiner
Weise verringern können, getan. Möge der zweite Schritt bald
folgen zum Wohl der Säuglinge, der Zuknnft unseres Volkes!
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Zur Verhütung der Übertragung von Infektions¬
krankheiten durch Trinkbecher in den Schulen.
Von
Dr. Hugo Laser, Schularzt in Königsberg i. Pr.
Heute noch in einer wissenschaftlichen Zeitschrift über den
Nutzen der Institution der Schulärzte schreiben zu wollen, hiesse
Eulen nach Athen tragen. Es steht jetzt fest, dass die Gegnerschaft,
welche anfangs sehr gross war, sowohl unter den Ärzten als auch
ganz besonders unter der Lehrerschaft, von Jahr zu Jahr abge-
uommen hat. Die Schulärzte haben wohl überall ihre Existenz¬
berechtigung gezeigt und haben durch ihre Tätigkeit viel Erspriess-
liches zum Wohle der Lehrer, der Schüler und der Schule im all¬
gemeinen geleistet.
Eine der wichtigsten Aufgaben des Schularztes ist es, die
Ausbreitung von Infektionskrankheiten unter den Schulkindern zu
bekämpfen, der Entstehung von Epidemien vorzubeugen. Wenn es
glückt, durch irgend eine hygienische Massnahme hierzu auch nur
ein wenig beizutragen, vielleicht nur ein Kind oder wenige derselben
vor Krankheit und Tod zu bewahren, dann muss man diese Mass¬
nahme praktisch eiuführen und konsequent durchführen.
Die Anregung zu einer solchen Massnahme verdanke ich Herrn
Prof. Dr. Pfeiffer, welcher gelegentlich einer Sitzung der Schul¬
ärzte darauf hinwies, dass eine Quelle von Übertragungen von
Infektionskrankheiten von Kind auf Kind sicher die Trinkbecher
sein können, deren nur einer oder einige wenige allen Schülern zur
Verfügung stehen. Wenn man sieht, wie in einer Pause die Kinder
haufenweise auf den Wasserhahn zustürzen, um eines nach dem
anderen aus dem daselbst befestigten Metallbecher zu trinken, be¬
sonders an heissen Sommertagen, dann muss einem allerdings der
Gedanke kommen, wie leicht wohl durch dieses Inventar Krank¬
heiten von einem Kinde auf andere übertragen werden können;
man denke nur an Masern, Scharlach, Keuchhusten Diphtherie,
Tuberkulose und Syphilis.
In der Diskussion, die sich an diese Anregung seitens des
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Herrn Prof. Pfeiffer anschloss, stimmten alle der Richtigkeit seiner
Ansicht zu, doch konnte man einen passenden Ausweg nicht gleich
finden. Mir fiel nun ein, dass es Tascbentrinkbeeber gibt, die aus
wasserdichtem Papierstoff hergestellt sind, und sich vielleicht zur
allgemeinen Einführung in den Schulen eignen könnten.
Ich habe mir vier solcher Becher verschaffen können; die¬
selben fassen 4 / 10 , 3 / 10> */ 4 und 2 / 10 Liter, es sind flache zusammen¬
geklappte Becher, die bequem in jeder Tasche getragen werden
können, der grösste 14 cm, der kleinste 11 cm hoch; die Breite
des grössten Bechers ist 12 cm, die des kleinsten 10 cm.
Sollen solche Becher eiugeführt werden, dann müssen sie vor
allem zwei Anforderungen entsprechen:
1. müssen sie billig sein, so dass jedermann imstande ist, seinen
Kindern einen resp. im Laufe des Jahres einige Becher zu kaufen, und
2. müssen sie dauerhaft und widerstandsfähig sein, damit eine
Neuanschaffung nicht zu oft erfolgen braucht.
Diesen beiden Postulaten entspricht nun unser Becher voll¬
kommen. Was den Preis anbetrifft, so dürfte sich derselbe bei
grösserem Bedarf, also etwa bei offizieller Einführung in den Schulen
anf circa 4 Pfg. per Stück (3—5 Pfg.) stellen, wie mir die Fabrik von
Schmidt u. Comp., G. m. b. H. in Elberfeld, mitteiltc, welche die
Trinkbecher herstellt.
Was die Dauerhaftigkeit der Becher betrifft, so habe ich
folgendes Experiment gemacht. Ich habe die Becher täglich zwei¬
mal und zwar im Zwischenraum von 2 Stunden mit Wasser gefüllt,
dasselbe circa */* Minute lang — soviel Zeit wird etwa zum Trinken
gebraucht, — im Becher gelassen, dann ausgegossen und die Becher
zusammengelegt in die Brusttasche gesteckt, wo ich sie stets bei
mir trug.
Nach 40 Tagen begann der grösste Becher zu lecken, jedoch
so wenig, das er als noch gebrauchsfähig betrachtet werden konnte,
erst nach weiteren 8 Tagen lief das Wasser an einer Ecke durch
so dass ein fernerer Gebrauch nicht mehr möglich war.
Der zweitgrösste Becher Hess vom 45. Tage ab tropfenweise
Wasser an einer Ecke austreten, ist in diesem Zustand dann aber
bis zur Beendigung des Versuchs (60 Tage Dauer) geblieben. Der
dritte und vierte Becher sind in der ganzen Zeit, also 2 Monate lang,
unversehrt geblieben.
Sicher haben wohl die kleineren Becher länger gehalten als
die grossen, weil der Druck, d. h. das Gewicht des Wassers bei
jenen ein geringerer ist; bemerkt sei jedoch noch, dass nicht etwa
die Papiermasse wasserdurchlässig wurde, sondern dass die Klebe¬
masse, mit welcher die Ränder des Bechers zusammengeklebt sind,
für die Dauer der Feuchtigkeit nicht standhielt.
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Jedenfalls sind also die Becher leistungsfähig und entsprechen
den an sie gestellten Anforderungen.
Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich behaupte, dass jeder Becher
2—3 Monate haltbar ist bei täglichem mehrmaligen Gebrauch. Da
das Schuljahr nur 9 Monate hat und die Kinder wohl nicht täglich
mehrmals Wasser trinken, kann jedes Kind mit 2—3 Bechern im
Jahr auskommen, das entspricht einer Ausgabe von circa 10—15
Pfennigen, eine Summe, die besonders bei der Wichtigkeit der
Tatsache, dass dann jedes Kind einen eigenen Trinkbecher besitzt,
wohl jeder, selbst der ärmste Mann erschwingen kann, eventl.
könnten ja die absolut unbemittelten die Becher aus dem Schul¬
fond erhalten.
Gut wäre es noch, wenn jeder Becher einen Aufdruck erhalten
würde, der die Kinder resp. die Eltern auf die Bedeutung der
Becher aufmerksam macht, etwa in folgendem Wortlaut: „Die Er¬
reger vieler Krankheiten sitzen in der Mundhöhle und werden leicht
durch den gemeinsamen Gebrauch von Trinkbechern von kranken
auf gesunde Kinder übertragen, z. B. Diphtherie, Keuchhusten,
Masern, Scharlach, Tuberkulose, Syphilis. Es besitze daher jedes
Kind einen eigenen Becher, den es nie verbergen darf.“
Der Preis wird durch einen derartigen Aufdruck, wie mir die
Fabrik mitteilte, nicht wesentlich erhöht, bei grösserem Absatz soll
der Druck sogar gratis geliefert werden.
Nach diesen Ergebnissen möchte ich die Einführung des Trink¬
bechers den Schulbehörden warm empfehlen. In diesem Sinne sprach
ich mich auch vor kurzem in einer Versammlung der hiesigen
Schulzärzte aus, welche Herr Prof. Pfeiffer einberufen hat. Wie
letzterer mitteilte, hat sich trotz der Wichtigkeit der Frage bisher
keine Stadt mit derselben beschäftigt. Obgleich die anwesenden
Schulärzte wiederum wie in der ersten Sitzung davon überzeugt
waren, dass es sehr wünschenswert wäre, jedem Kinde einen eigenen
Trinkbecher zu geben, fand mein Vorschlag doch Widerspruch, auch
konnte man sich auf ein anderes System noch nicht einigen.
Ein Vorschlag z. B. lautete, dass jedes Kind einen Becher
aus Glas, Metall oder Ton erhalten soll und denselben stets an einen
bestimmten numerierten Nagel aufhängen solle, event. in einem
extra dazu bereitgestellten Schrank.
Erwähnt wurde ferner, ob es nicht anginge, die Industrie für
die Frage zu interessieren; es Hessen sich vielleicht die Brottaschen
ao herstellen, dass in jeder derselben ein Raum zur Aufnahme eines
Trinkgefässes sich befinde; dieses System würde jedoch nur den
kleinsten Kindern Nutzen bringen, da die grösseren bekanntlich nicht
mehr Brottaschen benutzen.
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Gegen meinen Vorschlag wurde folgendes vorgebracht:
Die wenigsten Kinder würden mit den Bechern so sorgsam
umgehen, dass dieselben*so lange halten wie bei meinem Versuch;
die kleineren, welche noch nicht Böcke oder Jacken, sondern Blusen
tragen, müssten die Becher in die Hosentasche stecken, wo sie
sicher schnell zerrissen und leicht beschmutzt werden. Ein Vor¬
schlag schien mir ziemlich annehmbar: jeder Papierbecher wird in ein
Kouvert gelegt, welches mit dem Namen des Kindes versehen wird;
alle Kouverts einer Klasse werden alphabetisch geordnet und auf
Wunsch den Kindern, falls sie Wasser trinken wollen, von dem
Lehrer resp. einem Schulkind, das die Becher in Verwahrung hat,
ausgeliefert. Hierdurch würde auch vermieden, dass die Kinder
ihre Becher nach Hause mitnehmen, wo sie wiederum von andern
Personen benutzt werden könnten.
Als Resum6 kann man wohl folgendes sagen:
Es ist dringend erforderlich, dass jedes Schulkind einen eigenen
Trinkbecher besitzt, um die leicht mögliche Übertragung von Infek¬
tionskrankheiten von Kind zu Kind durch gemeinsamen Gebrauch
von Trinkgefässen zu verhüten.
In welcher Weise dieses Erfordernis am zweckmässigsten
seine Lösung findet, welches System des Einzel-Trinkbechers ein¬
zuführen ist, diese Frage ist noch nicht mit Bestimmtheit zu beant¬
worten.
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Ist ein Einfluss des Rheins auf die Brunnen der
Wasserwerke der Stadt Cöln zu konstatieren? •)
Von
Dr. Bärenfänger in Cöln.
Der Gelsenkirchencr Wasserwerksprozess hat das Interesse
weiterer Kreise auf die Wasserversorgung der Städte gelenkt, ins¬
besondere auf solche, die ihr Wasser in der Nähe von Flüssen
entnehmen. Ein Durchtreten von Flusswasser in den Untergrund
wird meistens ohne weiteres in Laienkreisen angenommen, aber
auch in Fachkreisen ist man oft über den Einfluss des Flusses auf
das Grundwasser recht verschiedener Ansicht. Das kommt wohl
daher, weil exakte Messungen und Untersuchungen selten sind und
sich dann nur über kurze Zeit erstrecken. Bei den Cölner Wasser¬
werken wird das Wasser seit Jahren chemisch un^ bakteriologisch
untersucht, desgleichen wird der Grund- und Flusswasserstand ge¬
messen, ebenso die Temperatur von Grund- und Flusswasser. Hier
war also das Material vorhanden, um die Frage, ob ein Einfluss
des Rheins auf die Brunnen der Wasserwerke vorhanden sei, zu
prüfen. Sollte ein solcher nachzuweisen sein, dann konnte man
auch gleich feststellen, in welcher Art sich derselbe bemerkbar
macht.
Der Einfluss eines Flusses nun, der sich auf Brunnen bzw.
Grundwasser bemerkbar machen kann, ist oft recht verschieden.
Tritt Flusswasser in den Untergrund ein, dann verändert sich nicht
nur die chemische Zusammensetzung des Grundwassers, sondern
der Flusswasserstand wird auf den Grundwasserstand ebenfalls ein¬
wirken. Steht das Flusswasser hoch, dann wird auch das Grund¬
wasser steigen und umgekehrt. Wie weit in das Land hinein sich
der Eintritt von Flusswasser bemerkbar macht, hängt von den Um¬
ständen ab, denn die Durchlässigkeit des Bodens und die Mächtig-
1) Unter obigem Titel im Journal für Gasbeleuchtung und Wasser¬
versorgung, Heft 2, Jahrgang 1905, Seite 28 mit 8 Figuren im Text er¬
schienen.
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keit des Grund- und Flusswasserstromes sind hier die herrschenden
Faktoren. vSchwankungen des Grundwasserspiegels abhängig von
dem Flusswasserspiegel werden sich noch oft weit in das Land be¬
merkbar machen, wenn von einer chemischen Einwirkung längst
keine Rede mehr ist. Es kann sogar der Fall eintreten, dass sich
das Grundwasser an dem Flusswasser gewissermassen staut, dass
nur das Grundwasser entsprechend dem Flusswasserstande schwankt,
ohne dass von einem Eintritt von Flusswasser ausserhalb natürlich
einer Grenze, die in diesem Fall sein* scharf ist, die Rede ist. Je
weiter man von dem Flusse entfernt den Grundwasserstand misst,
um so länger wird es dauern, bis sich die Schwankung des Fluss¬
wasserspiegels auf das Grundwasser bemerkbar macht. Es kann
der Unterschied eine Woche und mehr betragen. Auch die Inten¬
sität wird abnehmen. Steigt der Fluss um 2 m, dann wird in
2 km Entfernung vielleicht das Grundwasser nach 1 Woche nur
um 1—1,50 in steigen.
Was nun die chemische Zusammensetzung des Grundwassers
angeht, so kann eine Einwirkung des Flusses zu konstatieren sein,
die mit der Entfernung immer mehr abnimmt, bis sie schliesslich
aufhört, unabhängig von dem jeweiligen Wasserstande, von ausser*
gewöhnlich hohen oder niedrigen Wasserständen abgesehen. Oder
aber es können Schwankungen in der Zusammensetzung entsprechend
hohem oder niedrigem Wasserstande eintreten. In dem einen Fall
tritt viel, in dem andern wenig Flusswasser in den Untergrund.
Bakteriologisch wird eine Einwirkung des Flusses auf das
Grundwasser nur auf kürzere Entfernungen bemerkbar sein, da
eine Filterwirkung leichter eintritt, als eine Diffussion aufhört.
Unter Umständen wird man schliesslich sogar eine Temperatur-
Schwankung des Gruudwassers bemerken können, die sich auf Durch¬
treten von Flusswasser in den Untergrund zurückführen lässt.
Im Sommer und Winter, wenn der Temperaturunterschied von Grund-
und Flusswasser stark ist, wird sich am ehesten eine Differenz
nachweisen lassen. Wenn auch in 3—4 m Tiefe ein Unterschied
»wischen Sommer und Winter im ruhenden Boden nicht mehr
nachweisbar ist, so kann sich der Untergrund in noch grösserer
Tiefe dem Durchströmen von Grund- und Flusswasser ausgesetzt,
doch etwas erwärmen oder abkühlen.
Je grösser die durchströmenden Wassermengen sind und je
länger die Temperaturdifferenz besteht, um so eher wird sich die¬
selbe nachweisen lassen, besonders dann noch wenn sie gross ist.
Es ist jedoch noch möglich, dass im Laufe der Jahre Ver¬
änderungen eintreten. In dem Untergrund können sich kleine
Kanäle ausgesptilt haben, besonders wenn die vorhandenen Brunnen
stark abgepuinpt werden, wodurch sich eine stärkere Einwirkung
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des Flusses auf das Grundwasser bemerkbar macht. Andererseits
kann aber der Fluss im Laufe der Zeit eine Schlammschicht ab¬
setzen, die ein Durchtreten in den Untergrund wenn auch nicht
verhindert, so doch stark abschwäcbt.
Um ein klares Bild über obige Fragen überhaupt erhalten zu
können, ist es erforderlich, zunächst kurz die Lage der Cölner
Wasserwerke festzustellen. Das im Jahre 1872 in Betrieb ge¬
kommen älteste Pumpwerk Alteburg besitzt 3 Schöpfbrunnen von
5,5 m lichter Weite und 18 m Tiefe. Es liegt, wie auch Pump¬
werk Severin und das neue Wasserwerk Hochkirchen, im Alluvium
der sogenannten Cölner Bucht, die als ein Einsturzfeld grossen
Massstabes anzusehen ist und deren Bildung in die nachpliocäne
Zeit fällt. Es sind in der Cölner Bucht, wie auch im Mtinsterschen
und Neuwieder Becken, grosse Mengen von Quarzgeröllen, von Sand
und Ton, vor allem aber auch Braunkohlen zur Ablagerung gelangt.
Durch diese alluvialen Anschwemmungen strömt von Süd nach Nord
ein mächtiger Grundwasserstrom, der bei allen 3 Werken zur
Wasserentnahme dient. In wieweit nun dieser Grundwasserstrom
vom Rheinstrom beeinflusst wird, soll durch nachstehende Unter¬
suchung festgestellt werden.
Die bereits vorher erwähnten 3 Brunnen des Pumpwerks
Alteburg liegen in folgender Entfernung vom Rhein. Brunnen I in
75,70, Brunnen II in 84,7 m und Brunnen III in 127 m Entfernung.
Es ist noch ein vierter Brunnen vorhanden, der sogenannte Rhein¬
brunnen, der jedoch nicht zur Wasserentnahme dient und 43,5 m
vom Rhein liegt. Der untere Brunnenkranz der 3 Schöpfbrunnen
liegt 8 m unter Null Cölner Pegel. Das Rheinufer ist aus Basalt¬
blöcken gemauert, deren Fugen mit Zement wasserdicht verstrichen
sind. Wasser kann also nur unter der Unterkante, die etwa 1,4 in
unter Mittelwasser = + 2,87 m Kp. liegt und durch die aus
gewaschenem Rheinkies bestehende Brunnensohle durchtreteu, da
auch die Brunnenwandung kein Wasser durchlässt. Wie die ein¬
zelnen Bodenschichten, aus denen das Ufergelände besteht und
in die auch die Brunnen niedergebracht wurden, auf einander folgen,
zeigt nachstehende Tabelle.
0— 1,50 m Mutterboden
1.50— 5,10 „ feiner Sand
5.10— 5,30 „ sandiger Lehm
5,30— 5,50 „ feiner Sand
5.50— 5,90 „ Lehm
5,90— 6,80 „ Sand und Bimsstein
6,80— 7,10 „ Ton
7.10— 10,60 „ scharfer Sand
10,60—20,50 „ grober Kies u. Sand als wasserführende Schiebt
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20,50—21,40 m scharfer Sand mit gelbem eisenhaltigem Kies
21,40—25,60 „ grober Sand und Kies
25,60—29,10 „ gelber eisenhaltiger Kies und Sand fest
zusaminengebacken
29,10—30,0 „ roter Sand und Kies
30,0 —33,0 „ feiner weisser Sand
33,0 —39,70 „ schwarzer Sand
39,70—39,80 „ Braunkohlen.
Das Pumpwerk Alteburg konnte den Wasserbedarf jedoch
bald nicht mehr liefern und deshalb wurde das Pumpwerk Severin
erbaut, das im Jahre 1885 in Betrieb kam. Es besitzt 6 Brunnen
von je 20 m Tiefe und 5,5 m lichter Weite in einem jeweiligen
Abstand von 50 m. Die Bodenverhältnisse sind ganz ähnlich wie
an der Alteburg.
Die in den Jahren gemachten chemischen Untersuchungen
wurden nun in Kurven (Coordinatensystem) aufgetragen, desgleichen
der zur Zeit der chemischen Probenahme gemessene Grund- und
Flusswasserstand. Die bakteriologischen Werte von Pumpwerk
Alteburg wurden ebenfalls zum Vergleich mit dem Grund- und
Flusswasserstand aufgetragen. Da an Seherin der Bakteriengehalt
sehr gering ist, im Mittel 10 Keime pro 1 ccm, so wurden diese
Zahlen überhaupt weggelassen, da die Unterschiede zu gering waren,
denn wenn man einmal 6 Keime findet und das andere mal
9 Keime, so wäre es töricht, hieraus überhaupt Schlüsse ziehen zu
wollen.
Alle 4 Wochen wurde von den Cölner Werken eine Unter¬
suchung vorgenomraen, zum Vergleiche wurden die Jahre 1891—
1903 genommen. Wenn nun auch die Kurven der Wasserstände
nicht das absolute Steigen und Fallen des Grundwassers und des
Rheines anzeigten, da die einzelnen Kulminationspunkte 4 Wochen
auseinander lagen, das Wasser kann ja innerhalb der Zeit, die die
einzelnen Untersuchungen auseinander lagen, gestiegen und gefallen
sein, so ergibt sich doch ein ziemlich richtiges Bild, wenn man
bedenkt, dass Wasserentnahme und Messung zur gleichen Zeit er¬
folgte. Was nun den Grund- und Rheinwasserstand angeht, so er¬
gibt sich aus obiger Zusammenstellung, dass der Grundwasserstand
von Hoch- und Niedrigwasser abgesehen durchschnittlich höher steht
als der Rhein, ferner dass das Grundwasser alle Schwankungen
des Rheinwasserspiegels mitmacht, nur nicht so schnell. Um die
Schwankungen von Grund- und Flusswasser ganz genau klar zu
stellen, wurde ein volles Jahr jeden Tag morgens um 7 Uhr und
abends um 7 Uhr bei Wechsel der Tag- und Nachtschicht der
Grund- und Flusswasserstand gemessen und die erhaltenen Zahlen
geordnet aufgetragen. Der Grundwasserstand wird, um es noch
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 7
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nachzutragen, in einem Bohrloch 331,70 m vom Rhein entfernt ge¬
messen, um Schwenkungen des Grundwasserspiegels durch Abpumpen
der 3 Schöpfbrunnen zu vermeiden. In einem Bohrloch in dem
Gebäude des neuen Wasserwerks Hochkirchen, 1,6 km vom Rhein,
wurde ebenfalls ein Jahr lang der Grundwasserstand jeden Tag
gemessen, desgleichen der Rbcinwasserstand gegenüber demselben.
Hier sowohl wie an der Alteburg tritt mit voller Deutlichkeit die
Analogie zwischen Grund- upd Fluss wasserstand zu Tage. Jede
Schwankung des Rheines macht sich im Grundwasserstand bemerk¬
bar, nur später. An der Alteburg dauert die Verzögerung etwa
18 Stunden, bei Hochkirchen etwa 1 Woche. An Pumpwerk Severin
fehlt ein Bohrloch, in dem-man den Grundwasserstand unabhängig
von dem Abpumpen der Brunnen einwandsfrei messen konnte, doch
werden hier die Verhältnisse analog sein. Was nun die chemischen
Werte angeht, so ergibt sich an der Alteburg eine Beeinflussung
durch den Rhein, im allgemeinen aber unabhängig von dem Rhein¬
spiegelstand. Nur in einigen Jahren kann man bei besonders hohem
oder niedrigem Wasserstand bemerken, dass mehr oder weniger
Rheinwasser als sonst in den Untergrund eingetreten ist. Der Rhein
enthält im Durchschnitt pro 100 000 Teile:
20—30 Teile Rückstand
7—8° Härte
2—3 Teile Chlor
1—2 Teile organischer Substanz
Salpetersäure in Spuren.
Die 3 Schöpfbrunnen der Alteburg und der sogenannte Rhein¬
brunnen verhalten sich etwa wie folgt. Pro 100 000 Teile ent¬
halten :
Brunnen
Brunnen
Brunnen
Rheinbrunnen
I
II
III
Rückstand
25—35
30-40
35—45
20-30
Härte
10-12
10-13
13—14
7-8
Chlor
3
3
3
2—3
Organ. Subst.
0,2- 0,3
0,2—0,3
0,2—0,3
0,3
Salpetersäure
0,2—1,5
0,5—2,5
1—3,5
Spuren —0,8
Die 6 Brunnen an Severin schwanken untereinander wenig,
so dass hier nur das Mittel folgen mag:
Rückstand 50
Härte 15
Chlor 3
Organ. Subst. 0,2—0,3
Salpetersäure 3—4.
Vergleicht man nun die chemischen Werte der Brunnen, so
findet man, dass Severin nicht vom Rhein beeinflusst wird, denn
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die Zahlen sind die gleichen, die auch bei Wasser aas Bohrlöchern
2—3 km vom Rhein erhalten wurden und man kann das Wasser
von Severin ohne weiteres als reines Grundwasser ansprechen, da
sich seine Zusammensetzung nicht merklich im Laufe der Jahre
verändert hat und auch gänzlich unabhängig vom Rheinwasserstande
ist. An der Alteburg zeigt sich der sogenannte Rheinbrunnen am
stärksten durch den Rhein beeinflusst, sein Wasser hat fast dieselbe
Zusammensetzung wie das Rheinwasser. Dann folgt Brunnen I,
dann Brunnen 11 und endlich Brunnen III, dessen Wasser sich seiner
Zusammensetzung nach schon sehr dem von Severin nähert. In
keinem der Alteburger Brunnen, selbst im Rheinbrunnen nicht,
wie auch an Severin nicht, wurde je Ammoniak oder Salpetrige
Säure uachgewiesen. Der hohe Salpetersäuregehalt des Grund¬
wassers stammt von den in den Untergrund eingestreuten Braun-
kohlenresten her und hat so, nachdem man seinen Ursprung kennt,
keine Bedeutung. Je weiter die Alteburgerbrunnen vom Rhein
entfernt liegen, um so grösser wird der Rückstand und die Härte,
desgleichen nimmt der Salpetersäuregehalt zu. Der Chlorgehalt
und der Gehalt an organischen Substanzen schwanken in ihren
Mengenverhältnissen nicht derart, dass man einen Einfluss des
Rheines ohne weiteres aus ihnen konstatieren kann.
Bakteriologisch ist Pumpwerk Severin wie schon bemerkt
vollständig unabhängig vom Rhein, aber auch beim Pumpwerk
Alteburg ist eine Einwirkung des Rheins nicht vorhanden, weder
absolut noch entsprechend hohem oder niedrigem Wasserstand. Der
Bakteriengehalt ist zwar höher wie der an Severin, doch hat dies
andere Gründe als die Nähe des Rheins, was sich schon daraus er¬
gibt, dass der dem Rhein zunächst liegende Schöpfbrunnen I die
wenigsten Keime pro 1 ccm enthält. Der Bakteriengehalt der
3 Brunnen schwankte im Laufe der Jahre zwischen 5 und 80 Keime
etwa pro 1 ccm. Der Bakteriengehalt ist höher als der von Severin,
weil die Brunnen der Alteburg mit nicht ganz dicht schliessenden
gusseisernen Platten zugedeckt waren, durch die Luftkeime durch- *
treten konnten. Durch diese jahrelangen Versuche wurde aber klar
die ausgezeichnete Filterwirkung des Bodens festgestellt, die eine
Beeinflussung des Grundwassers durch den Rhein in bakteriologischer
Beziehung illusorisch macht. Eine Versuchsreihe sei aber noch
besonders hier erwähnt. Während der Rhein stieg und wieder fiel,
wurde das Grund- und Rheinwasser täglich chemisch und bakterio¬
logisch untersucht. Der mehrere Wochen dauernde Versuch ergab
die gleichen Resultate, wie die im Lauf der Jahre erhaltenen
Schwankungen des Grundwassers abhängig vom Rheinwasserstand.
Die chemische Veränderung blieb unabhängig vom Rheinwasserstand,
ebenso zeigte der bakteriologische Befund keinerlei Einwirkung der
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Rheinnähe, Doch Veränderungen entsprechend dem Rheinwasserstand.
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass eine Einwirkung des Rheins,,
was die Temperatur anlangt, bei dem Brunnen der Alteburg vor¬
handen ist. Das Grundwasser hat eine Temperatur von etwa 10°.
In den Monaten Dezember bis März etwa sinkt in den Alteburger
Brunnen die Temperatur gleichmässig auf 9 0 und steigt dann wieder
an auf 10° C. An Severin bleibt die Temperatur immer gleich,,
etwa 10° Sommer und Winter, wie es ja auch vorauszusehen ist,
denn die Entfernung 900 m vom Rhein ist zu gross, als dass sich
ein Temperaturunterschied bilden könnte.
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Bericht über die 29. Versammlung des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
in Danzig vom 14.—17. Sept. 1904.
Von
Dr. Pröbsting in Cöln.
Es war im Jahre 1874, als der Deutsche Verein für öffent¬
liche Gesundheitspflege zum ersten Male in Danzig seine Tagung
abhielt. An der Spitze der Stadt stand damals der Oberbürger¬
meister v. Winter, ein Mann, der mit weitschauendem Blick und
mit grossem Verständnis für die hygienischen Aufgaben der Städte
Bewunderungswertes und auch für heute noch Musterhaftes geschaffen
hat, so dass man ihn den ersten hygienischen Oberbürgermeister ge¬
nannt hat, ein Ehrentitel, den er im vollsten Umfange verdiente.
Nach 30 Jahren hatte der Verein seine Mitglieder zum zweiten
Male nach Danzig geladen, und die Anziehungskraft des Namens
Danzig hatte sich auch dieses Mal bewährt, über 350 Mitglieder hatten
dem Ruf Folge geleistet.
Nachdem im herrlichen altehrwtirdigen Artushof am 13. September
ein Begrüssungsabend stattgefunden hatte, begannen am 14. im
Friedrich-Wilhelm-Schützenhause die Verhandlungen.
Der Vorsitzende Oberbürgermeister Fuss-Kiel begrtisste mit
herzlichen Worten die Versammlung und widmete dann dem lang¬
jährigen Sekretär und Ehrenmitglied des Vereins, dem verstorbenen
Geheimrat Dr. Spiess, ehrende Worte des Gedenkens. An seine
Witwe und treue Mitarbeiterin wurde zum Ausdruck der Teilnahme
ein Telegramm gesandt und weiterhin beschlossen, als bleibendes
Zeichen der Verehrung für den Entschlafenen und als Dank für die
vielen und treuen Dienste, welche die Witwe dem Verein geleistet
hat, ihr auch fernerhin sämtliche Drucksachen des Vereins zukommen
zu lassen. Dann begrüsste im Namen des Ministers der geistlichen
und Medizinalangelegenheiten Oberpräsident Delbrück die Ver¬
sammlung, namens der Stadt Oberbürgermeister Ehlers. Nach Bildung
des Bureaus erstattete der ständige Sekretär des Vereins Dr. Pröb*-
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102
sting-Cöln den Jahresbericht. Danach beträgt die Einnahme dea
Rechnungsjahres 1903 im ganzen 15308, die Ausgaben stellen sich
auf 5572, so dass am Schlüsse des Jahres ein Kassenbestand von
8635,76 Mk. vorhanden war.
Der Verein zählt zur Zeit 1736- Mitglieder und hat 27 Mit¬
glieder durch den Tod verloren. Das Andenken an diese ehrte die
Versammlung durch Erheben von den Sitzen.
Der Vorsitzende teilte darauf mit, dass von den 69 Männern,
die im Jahre 1873 den Aufruf zur Gründung des Vereins Unter¬
zeichneten, nur noch Geheiinrat Prof. Dr. Lent-Cöln dem Verein,
angehöre. Namens des Ausschusses schlage er vor, Herrn Geheim¬
rat Lent zum Ehrenmitgliede zu ernennen. Einstimmig nahm die Ver¬
sammlung diesen Vorschlag an. In bewegten Worten dankte der
Gefeierte für diese grosse Ehrung und wünschte dem Verein noch
ein langes, segensreiches Leben.
Dann ergriff Prof. Dr. Kruse-Bonn das Wort zum ersten
Thema: Die Ruhr und ihre Bekämpfung. Man ist nur zu sehr
geneigt, so führte der Vortragende aus, die Ruhr als eine sehr
harmlose Krankheit anzusehen, die eigentlich nur noch historisches
Interesse hat. Das ist aber durchaus irrig, die Ruhr ist auch heute
noch eine sehr ernsthaft zu nehmende Volkskrankheit, die immer
noch zahlreiche Opfer fordert; kamen doch in Preussen in den
letzten 30 Jahren 64000 Todesfälle an dieser Krankheit vor. Ganz
besonders werden die Provinzen West- und Ostpreussen von dieser
Krankheit heimgesucht, aber neuerdings haben wir auch in den
westlichen Provinzen z. B. in Barmen Ruhr-Epidemien, die wohl auf
polnische Arbeiter zurtickzuftihren sind.
In allererster Linie ist aber die Ruhr eine Kriegskrankheit, die
zu allen Zeiten schwere Opfer gefordert hat, auch noch in jüngster
Zeit z. B. während der bekannten Expedition in China wurden
zahlreiche Ruhrerkrankungen und Todesfälle beobachtet.
Ganz zweifellos ist die Ruhr eine ansteckende Krankheit, und
diesen infektiösen Charakter haben auch schon die Alten erkannt,
ohne sich aber den Weg und die Art und Weise der Ansteckung
klar zu sein. Man meinte, dass sie durch Tiere ähnlich den Käse¬
milben verbreitet würde und nannte die Krankheit direkt eine Krätze
des Darms.
Neuere bakteriologische Untersuchungen haben 4 verschiedene
Erreger der Ruhr festgestellt nämlich Amöben und Bazillen. Dass
diese letzteren die wirklichen Erreger der Ruhr sind, konnte Vor¬
tragender vor einiger Zeit direkt nachweisen. Er hatte seinen Zu¬
hörern eine Reinkultur dieser Bazillen gezeigt, eine Zuhörerin hatte
etwas von dieser Reinkultur verschluckt, um am eigenen Körper die
Natur der Bazillen zu erproben. Der Versuch bestätigte in glänzender
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103
Weise.die Theorie, denn nach 5 Tagen erkrankte die Zuhörerinan
typischer Ruhr.
Der Ansteckungsstoff wird durch den Stuhlgang aus dem
Körper ausgeschieden und wird in erster Linie durch direkte Be¬
rührung mit erkrankten Personen bez. deren Abgänge übertragen,
selten durch verunreinigte Nahrungsmittel oder Wasser. Ansteckung
durch die Luft ist nicht möglich oder doch nur durch Vermittelung
von Fliegen oder dergleichen.
Ortschaften oder Häuser mit schlechten Abwässerverhältnissen
sind durch die Ruhr viel stärker gefährdet als solche mit guten.
In Städten mit guter Kanalisation kann sich die Ruhr nicht ein¬
nisten. Auch von atmosphärischen Verhältnissen ist die Ruhr sehr
abhängig, da sie, wie bekannt, fast immer im Spätsommer oder
Herbst auftritt. In der Zwischenzeit kommen Erkrankungen nur ver¬
einzelt vor, sie sind jedoch als Verbindungsglieder zwischen den
einzelnen Epidemien von grosser Wichtigkeit. Schliesslich hob
Referent einige allgemeine Gesichtspunkte betreffend die Bekämpfung
der Ruhr hervor, wobei er in erster Linie auf die Verbesserung der
Wohnungs- und Abwässerverhältnisse hinwies. Er warnte jedoch
davor, die Erfolge der bisherigen Massnahmen zu überschätzen; wenn
in den beiden letzten Jahren die Krankheit wesentlich nachlicss, so
ist dies wohl in erster Linie der niedrigen Temperatur zuzuschreiben.
Der Korreferent Regierungs- und Medizinalrat Dr. Doepner-
Gumbinnen führte aus, dass er in einem Bezirk tätig sei, in dem
die Ruhr ausserordentlich häufig auftrete. Man hat vielfach an¬
genommen, dass die Krankheit von Russland eingeschleppt werde,
aber die Beobachtung hat doch ergeben, dass diese Annahme nicht
in allen Fällen zutreffend ist. Da die Krankheit nicht in das Reicbs-
seuchegesetz aufgenommen ist, so fällt ihre Bekämpfung den Einzel¬
staaten zu, die denn auch in den einzelnen Staaten sehr von einander
abweicht. Redner gab eine ausführliche Darstellung der verschiedenen
Bekämpfungsmassregeln und stellte alsdann eine Reihe von Forde¬
rungen auf, die für Bekämpfung der Krankheit notwendig seien. In
erster Linie forderte er die Anzeigepflicht eines jeden Falles von
Ruhr, dann die Absonderung der Erkrankten, wenn möglich in
Krankenhäusern und die genaue bakteriologische Untersuchung der
Abgänge. Um die Weiterverbreitung der Krankheit zu verhindern, for¬
derte er eine Reihe von Massregeln, wie Verbot von Ansammlung von
Menschenraassen, Beschränkung von Gewerbebetrieben, Schliessung
von Schulen u. s. w. Eine Reihe weiterer Massregeln soll einer
gründlichen Vernichtung aller etwa vorhandenen Kranklieitskeime
durch Desinfektion dienen.
In der anschliessenden Diskussion nahm zuerst Kreisarzt Dr.
Kriege Barmen das Wort. Er schilderte die Ruhrepidemien in
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Barmen, deren Verlauf er durch graphische Tabellen erläuterte;
hiernach sind auch in Barmen August und September die Hauptmonate
für die Ruhrerkrankungen. Einzeichnungen auf einen grossen Stadt¬
plan von Barmen Hessen sehr deutlich die Verbreitungsweise der
Krankheit von ihren Herden aus erkennen. Das Wasser hat wohl
in der Verbreitung der Krankheit keine Rolle gespielt und ebenso
hat sich kein Grund für die Annahme finden lassen, dass Nahrungs¬
mittel die Krankheitserreger übermittelt haben. Wohl aber ist an¬
zunehmen, dass die Krankheit eingeschleppt ist, und zweifellos haben
die Abwässer zur Verbreitung der Krankheit beigetragen, da in
Barmen noch nicht alle Häuser an die Kanalisation angeschlossen
sind. Zum Schluss besprach Redner noch die von ihm mit Erfolg
angewandten Schutzmassregeln und verbreitete sich kurz über die
sonstigen vorgeschlagenen Massregeln, wobei er jedoch betonte, dass
diese oft sehr schwer durchzuführen seien.
Geheimrat Prof. Dr. Gärtner-Jena dankte zunächst dem
freiwilligen Auxiliarreferenten Kriege, dessen reiche Erfahrungen auf
diesem Gebiete von besonderem Werte seien. Auch er forderte
Anzeigepflicht, die er aber auch auf die verdächtigen Fälle ausgedehnt
wissen will. Als eine Hauptbekämpfungsmassregel bezeichnete er
die Isolierung der Erkrankten in Krankenhäusern. Aufklärung der
Bevölkerung über die Art der Übertragung der Krankheit sei not¬
wendig, aber in erster Linie müsse sich diese Belehrung an die Frauen
wenden, da diese ja in erster Linie bei der Krankenpflege in Be¬
tracht kommen. Dann besprach Redner noch die Kanalisation; es
sei nicht allein notwendig, dass die Häuser an eine solche ange¬
schlossen seien, sondern es müssten auch zahlreiche und bequeme
Ausgussstellen vorhanden sein, damit das Schmutzwasser leicht fort¬
geschafft werden könnte. Für die bakteriologische Untersuchung
empfahl er bakteriologische Untersuchungsämter, da man solche
schwierige Untersuchungen von den praktischen Medizinalbeamten
nicht verlangen könne.
Stadtrat Hartwig-Dresden meinte, dass es im Zuge derZeit
liege, alle Übelstände auf die schlechten Wohnungen zu schieben,
und er fragte daher bei den Referenten an, wie denn die Wohnungen
beschaffen sein müssten, um die Ruhr erfolgreich zu bekämpfen.
Das Übermass an Teppichen, Stores u. s. w. in den Wohnungen der
Wohlhabenden sei nach seiner Meinung für die Verbreitung der
Krankheit besonders gefährlich.
Geh. Obermedizinalrat Dr. Pistor-Berlin machte einige Be¬
merkungen über eine ausgiebige Desinfektion. Er empfahl den Ge¬
brauch von grüner Seife, die wertvoller sei wie die ,3°/ 0 Karbol¬
säurelösung, Sublimat möchte er nicht angewandt wissen. Dann wies
er noch auf den Staub als Verbreiter der Krankheiterreger hin.
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In seinen Schlussworten sprach Prof. Kruse noch über den
grossen Wert der Isolierung von Ruhrkranken in Krankenhäusern. Die
Frage der Seruratherapie erklärte er für noch nicht spruchreif, sie müsse
noch viel eingehender an einem grossen Material geprüft werden.
Was die Teppiche u. 8. w. angehe, so seien diese am wenigsten
zu fürchten, denn die Ruhr sei fast ausschliesslich eine Krankheit
der Armen, bei denen keine Teppiche zu finden seien.
Daran schloss sich noch eine ganz kurze Bemerkung der Kor¬
referenten über die Benutzung von Sublimat als Desinfektionsmittel.
Den Ausführungen der Referenten lagen folgende Leitsätze zu
Grunde:
1. Die Ruhr (Dysenterie), früher eine der häufigsten Volkskrank¬
heiten, dann fast vergessen, hat sich in der neuesten Zeit dadurch
bemerkbar gemacht, dass sie in Form von grösseren Streifzügen
(Epidemien) aufgetreten ist, oder sich in manchen Bezirken
dauernd (endemisch) eingenistet hat. Sie verdient aber auch
deshalb Beachtung, weil sie zu allen Zeiten eine gefürchtete
Kriegskrankheit gewesen und eine gewöhnliche Krankheit der
Kolonialländer ist.
2. Neue Untersuchungen haben ergeben, dass die Ruhr eine an¬
steckende Krankheit ist, die auf mehrere, von einander ver¬
schiedene Erreger zurückgeführt werden muss. Es ist Aussicht
vorhanden, dass es gelingen wird, ähnlich wie bei der Diph¬
therie, auch bei der Ruhr geeignete Schutzimpfungs- und Heil¬
verfahren zu finden. Doch ist dazu erforderlich, dass die
wissenschaftliche Ruhrforschung durch Gewährung reichlicherer
Mittel unterstützt wird.
3. Der Ansteckungsstoff wird durch den Stuhlgang aus dem er¬
krankten Körper ausgeschieden. übertragen wird er in erster
Linie durch Berührung mit erkrankten Personen und deren Ab¬
gängen, selten durch verunreinigte Nahrungsmittel oder Wasser.
Kranke, die umherlaufen, sind besonders gefährlich, weil sie
die Krankheitskeirae weit verstreuen. Ansteckung durch die
Luft ist nicht möglich oder doch höchstens durch Vermittelung
von Fliegen oder dergl.
4. Eine örtliche Empfänglichkeit besteht insofern, als Ort¬
schaften oder Häuser mit schlechten Wohnungs- oder Abwässer¬
verhältnissen durch die Ruhr viel stärker gefährdet sind. In
gut kanalisierten Städten vermag sich die Ruhr nicht einzu¬
nisten.
5. Epidemien entstehen fast immer im Spätsommer oder Herbst.
In der übrigen Zeit kommen zwar Erkrankungen nur vereinzelt
vor, sie sind aber deshalb wichtig, weil sie anscheinend die
Verbindungsglieder zwischen den Epidemien bilden.
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6. Vorbeugende Massnahmen allgemeiner Natur bestehen darin,
dass man
a) die Wohnungs- und vor allem die Abwässerverhältnisee
verbessert;
b) die einzelnen Erkrankungsfälle, die in der epidemiefreien
Zeit Vorkommen, abfängt;
c) die Überbleibsel der Epidemien recht gründlich unschäd¬
lich macht.
7. Besondere Schutzmassregeln:
a) Jede Erkrankung — auch die ambulanten Fälle — und
jeder Todesfall an Ruhr sind anzeigepflichtig;
b) Bei der Ermittelung der ersten Fälle der Ruhr durch den
Medizinalbeamten ist nicht allein der Krankheitsverlauf
zu berücksichtigen, sondern es muss in jedem Falle die
bakteriologische Untersuchung der Darmentleerungen und
möglichst auch die Serumprobe ausgeführt werden;
c) Absonderung der Erkrankten, wenn irgend möglich in
Krankenhäusern;
d) Verbot der Ansammlung grösserer Menschenmassen, sowie
der Einquartierung von Truppen:
e) Beschränkung des Gewerbebetriebes;
f) Fernhaltung erkrankter, krankheitsverdächtiger und an¬
steckungsverdächtiger Personen vom Schulbesuch;
g) Desinfektion der Leib- und Bettwäsche, Kleidungsstücke
und der Wohnräume;
h) Vorsichtsmassregeln bezüglich der Leichen;
i) Räumung von Wohnungen und Häusern;
k) Verbot der Benutzung ungeeigneter Wasserentnahmestellen;
l) Sorge für Aborte;
rn) Prophylaktische Serumeinspritzung.
Das zweite Thema des ersten Verbandlungstages lautete:
Die Kältetechnik im Dienste der öffentlichen Gesund¬
heitspflege. Referent für diesen Gegenstand war Dipl. Ing.
S t e t e f e 1 d-Pankow-Berlin.
Der Redner besprach zunächst den Bau und den technischen
Betrieb von Maschinen für Kältererzeugung. Diese künstlich erzeugte
Kälte bietet gegenüber der Benutzung von Natureis sehr grosse Vorteile.
Die verschiedenen Methoden der Kälteerzeugung beim Trocken- wie
beim Nasskühlverfahren geben gleich gute Resultate, wie die Unter¬
suchungen ergeben, dieder Referent in Gemeinschaft mit3 Fachgelehrten
ein Jahr laug anstellte. Wir dürfen wohl mit Sicherheit behaupten,
dass die vielseitige Anwendung der künstlichen Kälte bei der Kon¬
servierung von Nahrungsmitteln von weittragender Bedeutung für
den allgemeinen Gesundheitszustand ist. Ganz besonders trifft dies
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auch für die Kinderernährung zu durch die Anwendung der künst¬
lichen Kälte in den Molkereien und beim Milchtransport. Die Ver¬
teuerung der Nahrungsmittel ist so geringfügig — beim Fleisch
beträgt sie nur etwa 1 j 2 Pf. p. Pfund — dass sie gar nicht in Be¬
tracht kommen kann. Zum Transport grösserer Fleischmassen über
See ist eine Abkühlung auf mehrere Grad unter 0, also ein direktes
Einfrieren erforderlich. Die Fleischmassen müssen für diesen Zweck
bis 75 Stunden dem Gefrierprozess ausgesetzt werden.
Zuweilen wird durch die künstliche Kälte auch eine qualitative
Verbesserung der Produkte hervorgebracht, z. B. beim Bier.
In seinen weiteren Ausführungen ging der Vortragende auf
die Ktihlprozesse ein, die zur Gesundheitserhaltung von aussen nach
innen dienen. Er erwähnte hier besonders die Kühlung von Arbeits¬
und Versammlungsräumen in heissen Zeiten, wodurch die Schaffungs¬
kraft des Einzelnen erhöht werde. Auch die Verwendung der künst¬
lichen Kälte beim Sport — künstliche Eisbahnen — ist von wohltätigem
Einfluss auf den Gesundheitszustand des einzelnen gewesen und hat
dadurch auch den allgemeinen Gesundheitszustand gehoben.
Eine Diskussion fand nicht statt.
Die Leitsätze des Referenten lauteten:
1. Die Erzeugung und Verwertung künstlich erzeugter Kälte bietet
gegenüber der Benutzung des Natureises weitgehende Vorteile.
2. Insbesondere die Nahrungsmittelkühlung und Kunsteiserzeugung
in ihren Anwendungen in Schlachthäusern, Brauereien, Kühl¬
häusern für allgemeine Benutzung, Proviantkammern in Hotels,
auf Schiffen, Eisenbahnwaggons, Privathäusern u. s. w. hat
den allgemeinen Gesundheitszustand sichtbar gefördert und den
Wohlstand gehoben. Die Einführung künstlicher Kälte in
Molkereien und für den Milchtransport ist ein wesentlicher
Faktor insbesondere für die Kinderernährung, und die Anwendung
daher in noch weitgehenderem Masse anzustreben.
3. Die Verwertung künstlicher Kälte zur Kühlung von Arbeits¬
und Versammlungsräumen in heissen Zeiten fördert die indivi¬
duelle Schaffenskraft und dient folglich auch der Allgemeinheit.
Auch die Einstellung der Kältetechnik in die Dienste des Sports
— künstliche Eisbahnen — fördert den Gesundheitszustand des
einzelnen und somit wiederum den der Allgemeinheit.
Das letzte Thema betraf eine Frage, die augenblicklich im
Vordergründe des Interesses steht, es lautete: Wie weit darf die
Freizügigkeit des Fleisches gehen ohne die Fleisch¬
versorgung der Städte in hygienischer Hinsicht zu ge¬
fährden ?
Der erste Referent Oberbürgermeister Dr. Oehler Halberstadt
besprach zunächst das Gesetz betr. die Schlachtvieh- und Fleisch-
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beschau und die Verhandlungen in den beiden preussischen Kammern
über den Fortfall der Nachuntersuchung des eingeführten Fleisches
in den städischen Schlachthäusern. Über 400 Städte mit 11 Mil¬
lionen Einwohnern haben Schlachthäuser, diese Städte können gewiss
auf Berücksichtigung Anspruch machen. In Bayern, Sachsen,
Württemberg und Baden wird auch weiterhin in Städten mit
Schlachthäusern das eingeführte Fleisch nachuntersucht, nur in
Preussen soll dies in Zukunft nicht mehr gestattet sein, wenn das
Fleisch von einem Tierarzt untersucht war. Da das bezügliche
Gesetz zwar von den beiden Häusern angenommen, aber noch nicht
veröffentlicht ist, so würde es sehr wertvoll sein, wenn der Deutsche
Verein für öffentliche Gesundheitspflege sich in seiner objektiven
Weise mit dieser Frage beschäftigte. Da in dem Gesetzentwürfe
ausgesprochen ist, dass nur solches Fleisch zur Nachuntersuchung
gelangen dürfe, welches nicht von Tierärzten, sondern nur von Laien
untersucht ist, so fehlt den Städten jede Kontrolle, und damit die
Möglichkeit, die Bevölkerung vor gesundheitsschädlichem Fleisch zu
bewahren.
Der zweite Referent Dr. Bündle-Karlshorst-Berlin schloss
sich diesen Ausführungen an und verlangte ebenfalls eine Ein¬
schränkung der Freizügigkeit des Fleisches.
In der anschliessenden Diskussion erwähnte Oberbürgermeister
Körte - Königsberg einen Vortrag von Prof. Hirschberg - Berlin,
wonach die Zahl der Erkrankungen an Augen-Finnen in Berlin seit
20 Jahren ausserordentlich abgenommen hat. Während nach den
früheren Beobachtungen auf circa 1000 Augenkranke ein Fall von
Augen-Finnen kam, wurde in den Zeitraum von 86—94 nur noch
ein Fall auf 25000 Augenkranke beobachtet.
Seit 1894 ist aber überhaupt kein Fall mehr von Finuen-
erkrankung des Auges zur Beobachtung gekommen. Ganz ähnliche
Beobachtungen werden auch aus Göttingen und Halle mitgeteilt.
Ebenso ist es beim Bandwurm, auch bei diesem Schmarotzer ist eine
ganz enorme Abnahme zu konstatieren. Wir gehen sicherlich nicht
fehl, wenn wir diese Abnahme auf die strenge Fleischbeschau zurück¬
führen, und es steht zu fürchten, dass sich diese Verhältnisse wieder
verschlechtern werden, wenn die Fleischbeschau nachlässiger wird.
Oberbürgermeister Schneider - Magdeburg trat entschieden
den Ausführungen der Referenten bei. Auch das von ländlichen
Tierärzten untersuchte Fleisch müsse nachuntersucht werden, da
diesen Tierärzten sehr oft die wirtschaftliche Unabhängigkeit fehle,
welche die notwendige Voraussetzung für eine objektive Untersuchung
bilde. Ferner besässen diese Tierärzte nicht die Übung und die
wissenschaftlichen Hilfsmittel wie die städtischen Tierärzte.
Zum Schluss sprach noch Geheimrat Prof. Dr. Gärtner-
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Jena als Angehöriger eines kleinen Bandesstaates sich gegen den
preussischen Gesetzentwurf aus.
Die Referenten hatten folgende Schlusssätze aufgestellt:
Die durch das Reichsgesetz vom 3. Juni 1900 angeordnete
allgemeine Schlachtvieh- und Fleischbeschau ist zwar als ein er¬
freulicher Fortschritt auf dem Gebiete der Nahrungshygiene zu be-
grtissen, bildet aber eine gewisse Gewähr nur dafür, dass das unter¬
suchte, nicht beanstandete frische Fleisch zur Zeit und am Orte der
'Schlachtung tauglich zum Genuss für Menschen ist. Die aus volks¬
wirtschaftlichen Gründen erwünschte Freizügigkeit des frischen
Fleisches, d. i. die Zulassung des im Inlande geschlachteten frischen
Fleisches zum Genuss an einem anderen Ort als dem Schlachtort
birgt, wenn sie ohne ausreichende amtliche Kontrolle gestattet wird,
grosse Gefahren für eine gesunde Volksernährung in sich.
Die Kontrolle ist notwendig, um festzustellen, dass das ein-
zuftihrende frische Fleisch beim Schlachten amtlich untersucht ist,
dass es hierbei als tauglich zum Genuss befunden und mit ent¬
sprechendem Stempel versehen ist, dass es nicht inzwischen verdorben*
ist oder sonst eine gesundheitsschädliche Veränderung seiner Be¬
schaffenheit erlitten hat. Eine wirksame Kontrolle lässt sich aber
nur durchführen, wenn vorgeschrieben wird, dass alles einzuführende
Fleisch, welches feilgehalten oder in Gast-, Schank- und Speise¬
wirtschaften verwendet werden soll, bevor es feilgehalten oder in
die genannten Wirtschaften gebracht werden darf, zu einer amtlichen
Untersuchung durch einen approbierten Tierarzt an bestimmten Unter-
suchnngsstellen vorgelegt werden muss. Ergibt der Stempel de&
Fleisches, dass dasselbe bereits beim Schlachten von einem appro¬
bierten Tierarzt untersucht worden ist, so kann die Untersuchung
zur Not auf die Feststellung beschränkt werden, ob das Fleisch in¬
zwischen verdorben ist oder sonst eine gesundheitsschädliche Ver¬
änderung seiner Beschaffenheit erlitten hat. Auch genügt im
Interesse der Freizügigkeit des von einem approbierten Tierarzt
bereits unterguchten Fleisches, dass dasselbe in beliebigen Stücken
zur Nachuntersuchung vorgelegt werden darf, wenn nur jedes Stück
den amtlichen Stempel darüber trägt, dass es von einem approbierten
Tierarzt untersucht und für gesund befunden ist.
Die Gemeinden mit Schlachthauszwang können von der Pflicht,
solche Untersuchungsstellen für einzuftihrendes frisches Fleisch ein¬
zurichten, nicht entbunden werden, weil sonst durch die ohne eine
solche Kontrolle gebotene Möglichkeit und den darin liegenden
Anreiz, Fleisch einzuftihren, welches gar nicht untersucht oder welches
zwar untersucht, aber für untauglich zum Genuss oder für bedingt
tauglich befunden ist oder welches zwar tauglich war, aber in¬
zwischen verdorben ist, der segensreiche Erfolg des Schlachthaus*-
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zwangs zum Schaden der Volksgesundheit gefährdet wird, und weil
gerade in grösseren Gemeinden die Organe der Gesundbeits- und
Marktpolizei gar nicht imstande sind, das eingefübrte Fleisch in
den Läden der Fleischer und Fleiscbbändler, sowie in den Räumen
der Schank- und Gastwirtschaften, zumal wenn es bereits zerlegt
ist, zu kontrollieren.
Der Ausschuss des Vereins hatte zu diesen Schlusssätzen folgen¬
den Antrag gestellt:
„Die Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Ge¬
sundheitspflege billigt die Schlusssätze der Berichterstatter und be¬
auftragt den Ausschuss des Vereins mit der schleunigen Einreichung
einer Petition an die zuständigen Organe der Königlichen Preussischen
Staatsregicrung des Inhalts, dass aus dringenden Gründen der öffent¬
lichen Gesundheitspflege dem aus der Initiative des Hauses der Ab¬
geordneten hervorgegangeuen Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung
des Gesetzes betreffend Ausführung des Schlachtvieh- und Fleisch¬
schaugesetzes vom 28. Juni 1902 die Allerhöchste Sanktion versagt
werden möge.“
Dieser Antrag des Ausschusses wurde einstimmig angenommen.
Es mag bemerkt werden, dass inzwischen der Gesetzentwurf
leider veröffentlicht worden ist und dadurch Gesetzeskraft erlangt bat.
Das erste Thema des zweiten Tages lautete: Die hygie¬
nischen Anforderungen an zentrale Heizanlagen.
Hierfür waren zwei Referenten bestellt: Prof, von Esmarch-
Göttingen und Geheimer Regierungrat Prof. Rietschel• Berlin.
Der erste Referent präzisierte die Forderungen, welche die Hygiene
an jede Heizanlage stellen müsse. Darnach muss verlangt werden,
dass die Temperatur in den Räumen gleichmässig und der Be¬
stimmung der Räume entsprechend sei und weiterhin, dass durch
die Heizung eine Verschlechterung der Luft in den Räumen nicht
herbeigeführt werde.
Was den ersten Punkt angeht, so dürfen unabsichtliche
Schwankungen von höchstens 1 0 vorkommeu, und es muss dahin¬
gestrebt werden, dass die Temperatur durch automatisch wirkende
Vorrichtungen reguliert wird. Wenn in Räumen durch Ansammlung
von Personen oder durch die Beleuchtung eine Erhöhung der Tempe¬
ratur entsteht, so muss durch Steigerung der Ventilation oder durch
künstliche Kühlung eine Herabsetzung der Temperatur herbeigeführt
werden.
Auch auf ein altes und weitverbreitetes Vorurteil kam Referent
zu sprechen, nämlich auf die „trockene Hitze“. Man hört so häufig,
dass eiserne Heizkörper eine trockene Hitze geben, und man sucht
diese durch Aufstellen von Schalen mit Wasser zu mildern. Dahin¬
gegen glaubt man, dass der Kachelofen eine solche trockene Hitze
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nicht erzeuge. Aber diese Ansicht ist eine durchaus irrige. Woher
soll denn die Feuchtigkeit beim Kachelofen kommen? Die durch
ihn erwärmte Luft ist ebenso trocken wie beim eisernen Ofen. Aber
der Kachelofen hat eine viel grössere Heizoberfläche wie der Eisen¬
ofen und das hat zwei Vorteile. Erstens ist die strahlende Wärme
beim Kachelofen sehr viel geringer wie beim eisernen Ofen. Diese
strahlende Wärme ist uns aber höchst unangenehm und lästig. Dann
hat zweitens der eiserne Ofen eine viel kleinere Heizfläche, er muss
somit sehr viel stärker erwärmt werden, und die Folge davon ist,
dass der Staub auf dem Ofen verbrennt. Die dabei entstehenden
Stoffe üben auf unsere Atmungsorgane eine reizende, kratzende
Wirkung aus, sc» dass uns die verunreinigte Luft „trocken“ scheint.
Wasserverdunstung nutzt hiergegen nichts. Die Temperatur, bei
welcher diese Verbrennung stattfindet, wurde früher auf 100—150°
angegeben, neuere Untersuchungen von Nussbaum und vom Vor¬
tragenden haben jedoch ergeben, dass die Grenze bei 70° liegt.
Wenn sich die Temperatur 80° näherte, konnte immer Ammoniak
als Zersetzungsprodukt von organischen Stoffen nachgewiesen werden.
Die Hygiene hat somit den Heizsystemen den Vorzug zu geben,
die bei genügender Wärmeabgabe eine Erhitzung über 70° nicht
erfordern. Nach dieser Richtung hin ist die Warmwasserheizung
als das beste Zentralheizsystem zu bezeichnen, wobei jedoch nicht
in Abrede gestellt werden soll, dass auch andere Systeme bei ge¬
eigneter Ausführung durchaus gute Resultate geben können.
Der zweite Referent besprach die technische Ausführbarkeit
dieser hygienischen Forderungen. In längerer Ausführung erörterte
er die Temperaturschwankungen, die Anforderungen in Bezug auf
die Beseitigung von Staub und schlechter Luft, weiter die Not¬
wendigkeit eines geräuschlosen, leicht zu regulierenden Betriebes.
Der Redner tadelte scharf die übliche Art der Ausschreibung und
Vergebung von Heizanlagen für öffentliche Gebäude im Wege der
Submission, wie sie besondere bei Stadtverwaltungen üblich sei. Die
Heiztechnik sei heute durchaus in der Lage, den Forderungen der
Hygiene Genüge zu leisten. Falsch angebrachte Sparsamkeit und
mangelndes Verständnis Hessen es aber häufig nicht zu, dass sie
ihren Aufgaben gerecht würde. Ganz besonders fehle noch manchen
Stadtverwaltungen die Erkenntnis für die Wichtigkeit der Heiz¬
technik. Während der Staat nur tüchtige, akademisch gebildete In¬
genieure hierfür anstelle, begnügten sich die Stadtverwaltungen sehr
oft mit Praktikern, denen ein Urteil über die zu prüfenden Kon¬
struktionen und ein Einblick in die zu Grunde liegenden Natur¬
gesetze abginge.
In der Diskussion machte Sanitätsrat Dr. T ornwaldt-Danzig
auf die Bedeutung des Windes. für den Luftwechsel in Häusern
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aufmerksam. Er zeigte, dass durch die Erwärmung der Luft eine
Verdünnung derselben eintrete und dass diese Verdünnung durch
die saugende Wirkung des Windes «och vergrössert werde. Dadurch
werde dann die Luft in den geheizten Räumen weniger atembar
und machte den Eindruck von schlechter Luft. Bei der Heizungs¬
und Ltiftungs-Anlage in seinem Hause, werde dieser Übelstand ver¬
mieden und er lade zur Besichtigung dieser ein.
Professor Nuss bäum-Hannover betonte, dass ein Feuch¬
tigkeitsgehalt von 30—40 °/ 0 als Bestmass anzuseheu sei. Auch
nach seinen eingehenden und lange Zeit fortgesetzten Studien be¬
ginne eine Zersetzung des organischen Staubes auf den Heizkörpern,
wenn die Temperatur derselben 70° übersteige.
Oberbürgermeister Schneider-Magdeburg legte Verwahrung:
ein gegen die Vorwürfe, die der zweite Referent gegen die Stadt¬
verwaltungen erhoben hatte. Es mangele diesen keineswegs an
Verständnis für die Aufgaben und Bedeutung der Heiztechnik, und
es sei falsch, dass man ohne eingehende Prüfung nur in einem
schematischen Submissionsverfahren solche Arbeiten vergebe. Auch
die wichtigen Posten der Heizingenieure würden von tüchtigen
Leuten besetzt, die sowohl praktisch wie auch theoretisch gut vor¬
gebildet seien. Solche Zustände, wie Referent sie geschildert habe,
möchten früher und vielleicht auch jetzt noch in kleinen Städten
vorhanden sein, für die grossen Städte aber seien die Ausführungen
nicht mehr zutreffend.
Ingenieur Kirchner-Steglitz wehrte auch für die kleinen
Stadtverwaltungen die erhobenen Vorwürfe ab. Er zeigte an einem
Beispiel der Stadt Steglitz, dass auch hier volles Verständnis für
die Bedeutung der Heiztechnik t vorahnden sei.
In seinem Schlussworte kam Prof. v. Esmarch noch kurz auf
die Rauchschieber und den Feuchtigkeitsgehalt der Luft zu sprechen.
Geheimrat Rietschel besprach nochmals die Stellung der Stadt¬
verwaltungen gegenüber der Heiztechnik, wobei er betonte, dass er
durch die Darlegungen der Diskussionsredner nicht überzeugt sei.
Vor Ausarbeitung des Referats habe er sich von 50—60 Städten
das Verfahren, wie es bei Arbeiten auf dem Gebiete der Heiztech¬
nik gehandhabt werde, geben lassen, und darauf habe er seine Aus¬
führungen aufgebaut.
Der Vorsitzende Oberbürgermeister Fuss nahm dann noch zu
einigen Bemerkungen das Wort. Es wies darauf hin, dass man
früher nur einen Oberbeamten für die Leitung der Baugeschäfte
gehabt habe, einen Architekten. Als dann die grossen hygienischen
Aufgaben an die Stadtverwaltungen herangetreten seien, kam der
Leiter des Tiefbauwesens hinzu, und jetzt dränge alles dahin, noch
eine dritte Spitze zu schaffen, nämlich für das Maschinenfach. Aber
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wir befänden uns noch in der Übergangszeit, und daher seien die
Vorwürfe nicht ganz berechtigt, wenn nicht alle Städte diesem
Drängen nachgäben. Bezüglich der Vergebung von städtischen Heiz¬
anlagen möge man bedenken, dass solche Anlagen nicht von der
Verwaltung allein vergeben würden, sondern dass die Stadtverord¬
neten mitberaten und für Heizungsanlagen sei jeder Stadtverordnete
sachverständig. Um aber Klarheit und Wahrheit in dieser wich¬
tigen Sache zu bekommen, schlage er eine Enquete bei den Stadt¬
verwaltungen durch den Ausschuss vor, Geheimrat Rietschel möge
hierfür die Fragen formulieren.
Die Referenten hatten ihre Ausführungen in folgenden Leit¬
sätzen zusammengefasst:
An eine jede Heizanlage — gleichgültig ob Einzelheizung
oder Zentralheizung — hat die Hygiene folgende Forderungen zu
stellen:
I. Die Temperatur in den Räumen soll unabhängig von
Witterungseinfltissen eine durchaus gleichmässige und der Be¬
stimmung der Räume entsprechende sein.
II. Die Erwärmung der Räume darf eine Güteverminderung
der Luft nicht bedingen.
III. Der Betrieb der Anlage muss einfach, zuverlässig, ge¬
fahrlos und ohne Belästigung für die Bewohner oder die weitere
Umgebung sein.
Diese Forderungen sind in der Praxis nicht immer in vollem
Masse einzuhalten; eine richtig berechnete und fachgemäss aus-
geftihrte Zentralheizung soll aber folgende Bedingungen erfüllen:
ad I.
1. Die für die Räume in Kopfhöhe festzusetzenden Temperaturen
dürfen — von Ausnahmefällen abgesehen — bei sachgemässer
Bedienung unabsichtlich um höchstens 1° über- oder unter¬
schritten werden. Bei vorhandenen Galerien, Rängen, Emporen
(Festsäle, Theater, Kirchen) ist in diesen ein Überschreiten der
geforderten Temperaturen in Kopf höhe bis um 2° zu gestatten.
2. Die den Räumen zugeführte Wärmemenge muss in den weitesten
Grenzen regelbar sein.
a) Die Regelung hat, soweit durch sie der Einfluss der
Witterungsverhältnisse ausgeglichen werden soll, möglichst
zentral (generell), soweit den wechselnden Anforderungen in
den einzelnen Räumen Genüge geschehen soll, dezentral
zu erfolgen.
b) Es muss dahin gestrebt werden, die Temperaturregelung
durch selbständig wirkende Einrichtungen erzielen zu
können.
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. B
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c) In Räumen, in denen sich zur bestimmten Zeit eine grössere
Anzahl Personen ansammeln (Schulen, Theater, Ver¬
sammlungsräume u. s. w.) oder in denen durch die Be¬
leuchtung noch weitere Wärmequellen entstehen, muss die
zugeführte Wärme eine der Wärmeabgabe dieser Wärme¬
quellen entsprechend schnelle Regelung erfahren können.
Ist für solche Fälle durch Verminderung oder Unter¬
brechung des Heizbetriebs ein Überschreiten der zulässigen
Temperaturen nicht zu verhindern, so muss dieses durch
Steigerung des Luftwechsels bezw. durch eine andere
Wahl und Anordnung der Beleuchtung oder durch künst¬
liche Kühlung angestrebt werden.
3. Die durch die Heizanlage bewirkte Verteilung der Wärme in
den Räumen soll eine derartig gleichmässige sein, dass in
horizontaler Beziehung, soweit der Aufenthaltsort von Personen
in Frage kommt, in Kopfhöhe kein nennenswerter Temperatur¬
unterschied, in vertikaler Beziehung ein solcher von höchstens
1—2° zwischen Fussboden und Kopf höhe eintreten kann.
ad II.
4. Eine Güteverminderung der Luft darf durch die Heizanlage
weder durch Schaffen von Ablagerungsstätten für Staub oder
durch Versengen des in der Luft enthaltenen organischen
Staubes oder durch Entwickeln von Gasen aus den dem Staube
anhaftenden Körpern, noch durch Einführen von Rauch, Russ,
wesentlichen Staubmengen, Gerüchen oder Infektionsstoffen in
die Räume, noch durch wesentliches Über- oder Unterschreiten
eines Feuchtigkeitsgehalts von 40—60 °/ 0 absoluter Sättigung
der Luft bewirkt werden.
ad III.
5. Die Bedienung aller in den Räumen befindlichen Heizkörper
und Apparate muss so einfach und zuverlässig sein, dass sie
besondere Sachkenntnis nicht erfordert. Dasselbe gilt von
den Feuerungsanlagen, sofern der Umfang der Anlagen be¬
sonderes Dienstpersonal nicht gestattet. Bei grösseren Anlagen
ist sachkundiges Dienstpersonal anzustellen, die Bedienung
solcher Anlagen im Nebenamt ist auszuschliessen.
6. Die Anlagen müssen geräuschlos arbeiten; annähernd rauchfreie
Verbrennung ist zu fordern.
7. Die Art und Weise des Ausschreibens einer zentralen Heiz¬
anlage ist für die Erzielung der hygienischen und technischen
Anforderungen von grösster Wichtigkeit. Zu empfehlen ist
jederzeit ein Wettbewerb auf Grund eines Programms, das die
Ausführenden auf gleiche Grundlage ohne Beschränkung der
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freien Entfaltung ihrer Kenntnisse und Erfahrungen stellt, zu
bekämpfen dagegen ist das besonders bei Stadtverwaltungen
vielfach übliche Submissionsverfahren.
Auch das zweite Thema: Die Ausbildung und Organisation
•des Krankenpflegepersonals behandelten zwei Berichterstatter, näm¬
lich Dr. Mugdan-Berlin und Prof. Dr. Meyer-Berlin.
Der erste Referent stellte in den Vordergrund seiner Be¬
trachtungen die Frage, ob die Krankenpfleger eines Befähigungs¬
nachweises bedürfen. Nur diejenigen Personen, welche sich als
geprüfter Krankenpfleger oder geprüfte Krankenpflegerin be¬
zeichnen bedürfen nach Meinung des Referenten einer Approbation,
welche auf Grund eines Nachweises der Befähigung erteilt wird.
Aber jedes Krankenhaus soll für je 10 Betten eine geprüfte Kranken¬
pflegeperson, mindestens aber 2 anstellen. Die Krankenpflege¬
personen müssten reichsgesetzlich gegen Krankheit versichert sein,
und jede geprüfte Krankenpflegeperson, die 10 Jahre hintereinander
im Dienste der öffentlichen Krankenpflege gestanden hat, soll,
wenn sie dienstunfähig wird, Anspruch auf ein Ruhegehalt von
500 bis 600 Mk. jährlich haben. Körperliche Schädigungen, die
infolge eines Betriebsunfalles entstehen, sichern den Anspruch auf
eine nach den Bestimmungen des Unfallversicherungsgesetzes ähnlich
zu bemessende Entschädigung.
Um die hierfür nötigen Mittel aufzubringen schlägt Referent
eine Genossenschaft vor, die aus sämtlichen öffentlichen Kranken¬
häusern des Reichs zu bilden sei. Ein Beitrag von 5 Pfg. für den
Tag und das Bett dürfte nach den Berechnungen des Referenten
genügen, um die erforderlichen Mittel aufzubringen. Nach 10jähriger
in öffentlichen Krankenhäusern oder in der Gemeindekrankenpflege
geleisteter Dienstzeit bleibt das Recht auf Ruhegehalt bestehen,
auch wenn die Krankenpflegeperson zur selbständigen Kranken¬
pflege oder in eine Privatheilanstalt tibergeht.
Der Korreferent, Prof. Dr. G. Meyer, führte aus, dass die Fort¬
schritte in der Krankenpflege sehr erhebliche seien, aber dennoch
bleibe noch recht viel für die Hebung des Standes und für die Aus¬
bildung der Krankenpflegepersonen zu tun. Diese Ausbildung muss so¬
wohl eine theoretische wie auch eine praktische sein. Für eine ge¬
nügende theoretische Ausbildung sind wenigstens 6 Monate erforder¬
lich; sie soll sich auf die Lehre vom Körperbau und von den Ver¬
richtungen der Organe erstrecken, soll allgemeine Gesundheitspflege
und Diätetik in sich fassen und ganz besonders auch die Zeichen
der Krankheiten berücksichtigen. Die übrige Zeit der auf minde¬
stens 2 Jahre berechneten Ausbildung ist für die praktischen
Übungen zu benutzen. Hier ist besonderer Wert auf die Ausbildung
in der Massage, auf die erste Hilfeleistung bei Unglücksfällen und
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gefahrdrohenden Zuständen zu legen. Die praktische Ausbildung^
hat sich auf sämtliche Fächer der Heilkunde zu erstrecken. Über die
sittlichen Aufgaben des Krankenpflegeberufes sind besondere Kurse
von dem leitenden Arzt und der Oberin der Anstalt zu erteilen.
Am Schlüsse der Ausbildung findet eine Prüfung statt, der Ge
prüfte erhält ein Diplom, welches zur Ausübung der Krankenpflege
berechtigt.
Besonders eingehend behandelte der Redner die Ausbildung
des männlichen Pflegepersonals, das niemals entbehrt werden könne.
Das oft gehörte Wort „die Krankenpflege ist ein echt weiblicher
Beruf“ ist nur zum Teil richtig, sicher aber gänzlich falsch, wenn
damit gesagt werden soll, dass nur weibliche Personen zur Kranken¬
pflege zugelassen werden sollen. Für gewisse Zweige der Kranken¬
pflege seien Männer nicht zu entbehren.
In der anschliessenden Diskussion schildert zunächst Geheim-
rat Ptitter, Verwaltungsdirektor der Charite in Berlin, die Ver¬
hältnisse des Pflegepersonals in der Charite. Neben den verschiedenen
geistlichen Schwestern sind dort weltliche Schwestern beschäftigt,
die aber nicht denselben Rang einnehmen wie die geistlichen. Er
habe sich bemüht, die Stellung dieser weltlichen Krankenpflegerinnen,
der sogenannten Charite-Schwestern zu verbessern und zwar mit
gutem Erfolg, indem er 28 Schwestern aus guten Kreisen ein¬
stellen konnte.
Was die Ruhegehälter, die Kranken- und Unfallrenten der
Krankenpflegepersonen angehe, so sei eine gesetzliche Regelung in
Vorbereitung.
Das männliche Krankenpflegepersonal, das sich in der Charite
zum Dienst melde, sei ausserordentlich minderwertig, und ebenso
sei es in anderen Berliner Krankenhäusern. Es sei die höchste Zeit
hier bessernd einzugreifen. Man komme aber auch ohne männliche
Pfleger fast immer aus, solche seien nur in ganz vereinzelten Fällen
nötig. In Dänemark, Schweden und Norwegen liege fast die ganze
Krankenpflege in weiblichen Händen, nur auf den Abteilungen für
geisteskranke Männer und auf der für geschlcchtskranke Männer
seien männliche Pfleger angestellt.
In den deutschen Krankenhäusern gab es im Jahre 1900 im
ganzen 12 000 Krankenpflegerinnen und 2500 Krankenpfleger.
Dr. Jacobsohn -Berlin, Herausgeber der Krankenpfleger¬
zeitung, war der Ansicht, dass männliche Pfleger nicht zu entbehren
seien, das beweise der Zentralkrankenpfleger-Nachweis in Berlin,
wo immer eine grosse Nachfrage nach guten männlichen Kranken¬
pflegern sei. In vielen Fällen sei eben ein kräftiger Mann für die
Pflege notwendig. Er sei aber durchaus damit einverstanden, dasa
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mehr für die Ausbildung der männlichen Krankenpfleger geschehen
müsse.
Prof. Dr. Peters'en-Kiel erklärte sich gegen eine Prüfung
der ausgebildeten Pflegerinnen, denn eine solche gäbe kein richtiges
Bild von ihrer Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit. Viel wichtiger
als das Wissen sei das Können, auf das Wissen lege er bei den
Krankenschwestern gar keinen Wert. Hauptsächlich komme es aber
auf die sittlichen Eigenschaften der Krankenpflegepersonen an, und
diese könnten doch niemals durch eine Prüfung festgestellt werden.
Sanitätsrat Dr. Fr eymuth-Danzig hielt dahingegen eine
Prüfung für notwendig, namentlich für das nichtorganisierte Kranken¬
pflegepersonal, denn hier liege noch alles im Argen. Der Staat
müsse hier helfend eingreifen und müsse ebenso, wie er das ja
schon durch die Errichtung von Hebammenlehranstalten getan habe,
Ausbildungsschulen für das Krankenpflegepersonal schaffen.
Im Schlusswort erklärte Dr. Mugdan die Anregungen von
Dr. Freymuth für sehr beachtenswert. Wenn die Universität bisher
sich mit der Krankenpflege als Lehrgegenstand noch nicht beschäftigt
habe, so sei das gewiss zu bedauern, vielleicht würden die neuen
Akademien für praktische Mediziner diesem Gegenstand grössere
Beachtung zuwenden.
Prof. Dr. Mayer verteidigte gegeuüber Prof. Petersen die
Schlussprtifung. Gewiss könne ein bestandenes Examen keine Ge¬
währ für die sittlichen Eigenschaften geben, aber in diesem Punkte
könne überhaupt nichts Sicherheit leisten.
Er war weiterhin der Ansicht, dass das theoretische Wissen
für die Krankenpflegepersonen von Wert sei, denn nur auf Grund
von theoretischem Wissen lasse sich in vielen Fällen praktisches
Können aufbauen.
Die Leitsätze der Referenten waren folgende:
1. Einer Approbation, welche auf Grund eines Nachweises der Be¬
fähigung! erteilt wird, bedürfen diejenigen Personen, die sich
als geprüfte Krankenpfleger, geprüfte Krankenpflegerinnen
oder Krankenschwestern bezeichnen.
Jedes öffentliche Krankenhaus und jede Privatheilanstalt muss
für je 10, zur Belegung Kranker bestimmter Betten eine ge¬
prüfte Krankenpflegeperson, mindestens aber zwei anstellen;
ebenso dürfen in der Gemeindekrankenpflege nur geprüfte
Krankenpflegepersonen beschäftigt werden.
2 . Alle Krankenpflegepersonen müssen reichsgesetzlich gegen Krank¬
heit versichert werden.
3. Jede geprüfte Krankenpflegeperson, die 10 Jahre hintereinander
ununterbrochen im Dienste öffentlicher Krankenhäuser der
Reichs- oder der Gemeindekrankenpflege gestanden hat, er-
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wirbt, wenn sie dienstunfähig wird, den Anspruch auf ein
Ruhegehalt von 500 bis 600 Mk. pro Jahr.
4. Jede in einem öffentlichen Krankenhause der Reichs- oder Ge¬
meindekrankenpflege beschäftigte, geprüfte Krankenpflegeperson
erwirbt, vom Tage des Eintritts in die Beschäftigung an, für
eine körperliche Schädigung, die sie in Folge eines Betriebs¬
unfalls erleidet, den Anspruch auf eine den Bestimmungen
des Gewerbe-Unfallversicberungsgesetzes nach ähnlich zu be-
messende Entschädigung.
5. Zur Aufbringung der Mittel für die Gewährung der Ruhe¬
gehälter und der Unfallentschädigungen wird aus sämtlichen
öffentlichen Krankenhäusern des Reiches eine Krankenhaus-
Genossenschaft gebildet. Die Mittel werden einmal durch Bei¬
träge aufgebracht, welche auf die Krankenhäuser nach Mass-
gabe der zur Aufnahme von Kranken in ihnen verfügbaren
Betten umgelegt werden. Ausserdem haben an die Genossen¬
schaft zu zahlen: die in öffentlichen Krankenhäusern oder der
Gemeindekrankenpflege beschäftigten Pflegepersonen einen
vierteljährigen Beitrag von 4 bis 5 Mk., die Orts- und Kirchen¬
gemeinden, die geprüfte Krankenpflegepersonen ausserhalb des
Krankenhauses beschäftigten, einen jährlichen Beitrag für jede
derart beschäftigte Krankenpflegeperson in einer Höhe, als der
Umlage für ca. 5 Betten entspricht.
Bei Mitgliedern katholischer Orden und evangelischer Diakonissen¬
häuser wird der Beitrag der Pflegepersonen von dem Orden,
bezw. dem Diakonissenhaus bezahlt; auf diese geht dafür der
Anspruch der dienstunfähigen zum Ruhegehalt oder zur Unfall¬
entschädigung berechtigten Pflegepersonen über.
6. Das Recht auf Ruhegehalt bleibt bestehen, wenn eine Kranken¬
pflegeperson nach 10-jähriger, in öffentlichen Krankenhäusern
oder Gemeindekrankenpflege geleisteter Dienstzeit zur selb¬
ständigen Krankenpflege übergeht oder in Privatheilanstalten
ihren Beruf ausübt.
7. Es ist anzustreben, dass die Pflege von Kranken hauptsächlich
durch weibliche Pflegekräfte stattfindet. Für bestimmte Fälle
ist die Pflege durch männliche Pflegepersonen nicht zu ent¬
behren.
8. Es ist dahin zu wirken, dass möglichst viele Personen mit
entsprechender Vorbildung sich dem Krankenpflegeberufe widmen.
9. Die Ausbildung der Pflegepersonen hat in Krankenhäusern zu
geschehen, welche mindestens über 20 Betten verfügen, und
in welchen ständig ein Arzt anwesend ist.
10. Die Ausbildung der Pflegepersonen hat nach theoretischer und
praktischer Richtung zu erfolgen; beide Richtungen müssen
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einander ergänzen. Die theoretische Ausbildung, welche min¬
destens 6 Monate dauert, hat sich auf den Unterricht in der
Lehre vom Körperbau, von den Verrichtungen der Organe,
den Zeichen der Krankheiten, der Gesundheitspflege und der
Ausübung der Krankenwartung zu erstrecken. Besonderer
Wert ist auf Ausbildung des Pflegepersonals in der Massage
und dem hydro-therapeu tischen Verfahren, ferner in der Leistung
erster Hülfe bei gefahrdrohenden Zuständen und Unglücksfällen,
in der Lagerung und Beförderung der Kranken zu legen.
11. Der theoretische Unterricht wird im Krankenhause selbst vor¬
genommen, in welchem auch der praktische Unterricht stattfindet.
12. Die praktischen Übungen dauern mindestens solange, dass die
Gesamtausbildung 2 Jahre währt. Die praktischen Übungen
müssen sich auf Ausbildung in der Pflege in sämtlichen Sonder¬
fächern der Heilkunde erstrecken, also: die Pflege bei inner¬
lich Kranken, chirurgisch Kranken, bei Augen- und Ohren¬
kranken, gynäkologisch Kranken, Haut- und Geschlechts¬
kranken, Geisteskranken, ferner die Pflege im Wochenbett und
die Pflege kranker Kinder umfassen.
13. Während der Ausbildung sind besondere Kurse über die Ethik
des Krankenpflegeberufes vom Arzt in Gemeinschaft mit der
Oberin der Anstalt und von dieser allein in der Ausführung
aller speziell weiblichen Betätigungen der Krankenpflege zu
erteilen.
14. Zum Schluss der Ausbildung findet unter Vorsitz eines Re¬
gierungsvertreters eine Prüfung statt. Der Prüfungskommission
gehören ausserdem der leitende oder ausbildende Arzt des
Krankenhauses, ^owie eine geprüfte Krankenpflegeperson (Oberin,
Oberpfleger) an. Die Mitglieder der Prüfungskommission
werden von den Regierungspräsidenten (in Berlin Polizeipräsi¬
denten, sonst Bezirkspräsidenten, Kreishauptmännern) ernannt.
Über das Ergebnis der Prüfung wird ein Zeugnis ausgestellt.
Die für fähig befundenen Pflegepersonen erhalten ein Diplom
für die Ausübung der Krankenpflege.
15. Dieses Diplom für die Krankenpflege berechtigt gleichzeitig
zur Bezeichnung als „Geprüfter Heilgehülfe(in) und Masseur(in) a .
16. Pflegepersonen, welche sich dem freien Pflegeberufe widmen,
oder in der Gemeindepflege tätig sind, müssen nach bestimmter
Zeit zur beruflichen Fortbildung mindestens 2 Monate lang in
Krankenhäusern beschäftigt werden.
Für den dritten und letzten Tag war ein Thema bestimmt:
Städtische Kläranlagen und ihre Rückstände.
Auch hierüber berichteten zwei Referenten: Stadtbaurat Bredt-
schneider-Charlottenburg und Prof. Proskauer-Charlottenburg.
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Der erste Referent verbreitete sich zunächst über die Art der
Verunreinigung städtischer Abwässer. Diese Verunreinigungen sind
organischer oder anorganischer Natur, sind nach ihrem Gewicht
als Sink-, Schwebe- und Schwimmstoffe und nach ihrer Masse als
grobe, feine und feinste Stoffe zu unterscheiden.
Für die Reinigung der Abwässer kommen 2 Methoden in
Betracht: das Riesel verfahren und das biologische Verfahren. Wenn
auch beide Verfahren gute Resultate geben, so ist doch das Riesel¬
verfahren als das bessere und sichere zu bezeichnen.
Das biologische Verfahren, oder wie es besser genannt wurde,
die Behandlung in Brockenkörpern kann ein kontinuierliches oder
ein intermittierendes sein, in beiden Fällen aber muss eine Vor¬
reinigung dem eigentlichen Verfahren vorausgeschickt werden.
Bei dem Rieselverfahren kann man mehr Gewicht auf die land¬
wirtschaftliche Benutzung der Abfallstoffe oder auf die hygienische
Entfernung derselben legen. Mit Rücksicht auf die Landwirtschaft
rechnet man auf 250 Einwohner 1 Hektar Rieselfeld, doch kann
man bei durchlässigem Boden etwa 1000 Einwohner per Hektar an-
nebmen. Bei geeignetem Boden ist ein guter Reinigungserfolg noch
bei 2000 Einwohnern per Hektar gesichert. Ein wirtschaftlicher
Erfolg ist bei dem Rieselverfahren nur dann zu erwarten, wenn
ein geeigneter Boden vorhanden ist, und wenn sich die Transportkosten
in massigen Grenzen halten. Allgemeine Zahlen anzuführen hält
schwer, da sie zu starken Schwankungen unterliegen, besonders in
Bezug auf den Erwerb des Bodens. Aber das Rieselverfahren em¬
pfiehlt sich im allgemeinen bezüglich der Kosten, denn es ist billiger
wie das biologische Verfahren. Daher soll man, wenn irgendwie
angängig, Rieselfelder für die Reinigung der Abwässer anlegen.
Wie die Reinigung bei dem biologischen Verfahren zustande
kommt, ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt. Englische Forscher
nehmen an, dass kleinste Lebewesen hierbei eine Hauptrolle spielen;
diese Hypothese wird aber in Deutschland bezweifelt, da hierfür
die Zeit, in welcher das Wasser durch die Brockenkörper läuft, zu
kurz ist. Dass aber die Tätigkeit dieser kleinsten Lebewesen in
dem Wasser, nachdem es die Brockenkörper passiert habe, sehr
hoch anzuschlagen ist, bezweifle man auch in Deutschland nicht.
Wie weit Algen und sonstige Wasserpflanzen an der Reinigung
beteiligt sind, kann noch nicht mit Sicherheit bestimmt werden.
Der Korreferent, Prof. Proskauer-Charlottenburg erörterte
zuvörderst das Verfahren, die Abwässer auf chemischem Wege zu
klären. Mehr und mehr ist man von diesem Verfahren abgekommen,
da es zu kostspielig und in der Wirkung zu unsicher ist. Nament¬
lich gilt dies vom Kalk, auf den man zuerst so grosse Hoffnung
gesetzt hatte,
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Eine allgemein gültige Methode der Abwässerreinigung gibt
es nicht, die Wahl des Systems muss vielmehr von Fall zu Fall
genau erwogen werden. Das Kohlenbrei verfahren kann als geeignetes
Reinigungsverfahren angesehen werden, wenn Kohlenbrei von be¬
stimmter Beschaffenheit und in genügender Menge zugesetzt wird.
Vom hygienischen Standpunkt aus ist aber das Riesel verfahren un¬
bedingt als die beste Methode der Abwässerreinigung anzusehen.
Wenn aber aus irgend welchen Gründen die Anlage von Riesel¬
feldern nicht möglich ist, so soll man zum biologischen Verfahren
übergehen. Die Abwässer ungeklärt der Vorflut zuzusenden ist
durchaus zu verbieten, auf alle Fälle müssen sie vorher von ihren
schwebenden Stoffen gereinigt werden. Wenn irgend möglich soll
man aber die Abwässer von allen ungelösten Stoffen reinigen.
Was die Rückstände, die Plage aller Orte angeht, so ist
man ja zuweilen in der glücklichen Lage, den Schlamm für land¬
wirtschaftliche Zwecke los zu werden, aber für die grösseren Orte
trifft dies nicht zu. Der Landwirtschaft stehen so viele andere
Düngemittel zu Gebote, dass sie den Schlamm aus den städtischen
Abwässern, wie er jetzt geliefert werden kann, gar nicht mehr
braucht. Die grosse Schwierigkeit, den Schlamm in einen transport¬
fähigen Zustand zu bringen, kommt noch hinzu. Die in den Rück¬
ständen ruhende mechanische Kraft durch Verbrennung oder Ver¬
gasung nutzbar zu machen, ist ein noch ungelöstes, aber wohl nicht
unlösbares Problem.
Eine erhöhte Aufmerksamkeit hat man in jüngster Zeit dem
hohen Fettgehalte des Schlammes zugewandt. Besonders beachtens¬
wert sind die Versuche, welche in Kassel angestellt wurden. Die
Gewinnung von Fett geschieht hier nach dem Degenerschen Ver¬
fahren, die tägliche Produktion beläuft sich auf 450 kg Reinfett,
daneben noch 225 kg Goudron und 4885 kg Poudrette. Der Wert
beträgt 45 Mk. pro 100 kg Fett, 2 Mk. pro 100 kg Goudron und
3 Mk. pro 100 kg Poudrette, somit einen Tagesertrag von 353,55 Mk.
oder bei 300 Arbeitstagen eine jährliche Einnahme von 10H 065 Mk.
Die täglichen Ausgaben der Anlage betragen 230 Mk., so dass
also ein jährlicher Gewinn von 37 000 Mk. für Verzinsung ufnd
Amortisation übrig bleibt.
Zweifellos ist das Verfahren noch ganz erheblicher Verbesserung
und Vervollkommnung fähig. Auch kann die Qualität des ge¬
wonnenen Fettes noch sehr verbessert werden. Ob sich aber die
daran geknüpften Hoffnungen erfüllen werden, bleibt abzuwarten.
Noch sei das Bestreben erwähnt aus den Rückständen Spiritus zu
gewinnen. Genaue Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass
die Angaben über beträchtliche Mengen von Spiritus in den Fäkalien
falsch waren.
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Id der anschliessenden Besprechung hob zunächst Baurat
Prof. Genzmer-Danzig hervor, dass die Forderungen in bezug
auf die Fortschaffung der Abwässer nicht zu weit gehen dürften.
Schon heute seien die Aufwendungen hierfür sehr bedeutend und
man dürfe durch übertriebene Forderungen die Ausführungen von
Kanalisatiousanlagen in kleinen Städten nicht erschweren.
Ingenieur Rothe- Berlin trat für das Kohlenbreiverfahren
ein. Das biologische Verfahren sei zu verwerfen, da es wirtschaft¬
liche Werte vernichte.
Oberbürgermeister Dr. Lentze - Barmen glaubte, dass in
manchen Fällen Kläranlagen ausreichend seien, und dass man auf
Reinigungsanlagen verzichten könne. Es sei aber zu befürchten,
dass die Regierung den Orten, die Neuanlagen machen, solche
Reinigungsanlagen vorschreiben, wenn ein hygienischer Kongress
solche als notwendig bezeichne.
Um die Situation zu klären und die Gegensätze auszugleichen,
schlug der Vorsitzende folgende Resolution vor:
„Die Versammlung nimmt mit Dank von den Vorträgen und
Leitsätzen der beiden Herren Berichterstatter Kenntnis. Sie erkennt
die in den Leitsätzen dargelegten Vorzüge an, die aus der An¬
wendung des Riesel- und des biologischen Verfahrens für die
Reinigung der aus den Städten zu entfernenden Schrautzwässer
erwachsen. Sie ist aber mit Zustimmung der Berichterstatter auch
heute noch der von dem Verein für öffentliche Gesundheits¬
pflege schon wiederholt in seinen Beschlüssen ausgedrtickten Über¬
zeugung, dass es sich nicht empfiehlt, die überall wünschenswerte
schleunige Entfernung der Schmutzwässer und Fäkalien aus den
Städten durch die grundsätzliche Forderung des vollkommensten Reini¬
gungsverfahrens zu erschweren, dass vielmehr überall da, wo grössere
Wasserläufe oder die offene See mit ihren Buchten und Häfen die
Reinigung der eingeftihrten Schmutzwässer genügend unterstützen,
und wo Schädigungen der Unterlieger von Flussläufen nicht zu be¬
fürchten sind, eine den örtlichen Verhältnissen anzupajssende
mechanische Klärung, ausnahmsweise sogar die ungeklärte Einführung
des Inhalts der Schwemmkanäle zugelassen werden kann.
Baurat Herzberg-Berlin; drückte seine Freude darüber aus,
dass das Rieselverfahren von den Referenten als die beste Reinigungs¬
methode der städtischen Abwässer bezeichnet worden sei, denn
es bestehe bei vielen Gemeinden eine ganz unbegründete Abneigung
gegen diese Einrichtung. In sehr vielen Fällen sei es recht gut
möglich Rieselfelder anzulegen und mit Vorteil zu betreiben, aber
der gute Wille fehle. Bei geeignetem Boden und guter Aufsicht
könnte ein Hektar Rieselfeld die Abwässer von 500—1000 Menschen
reinigen.
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Oberbürgermeister Piecq-M.-Gladbacb meinte, dass es keines¬
wegs böser Wille der Gemeinden sei, wenn sie keine Rieselfelder
anlegen, sondern der Grund hierfür liege lediglich in den Verhältnissen.
In Rheinland und Westfalen sei die Bebauung so dicht, dass es
nicht möglich sei, entsprechend grosse Rieselfelder zu erwerben. Er
warnte ebenfalls vor zu weitgehenden Forderungen und war auch
mit der Resolution des Ausschusses nicht einverstanden, da er das
biologische Verfahren durchaus nicht für ein vollkommenes halte.
Die Einleitung der ungereinigten Abwässer direkt in die See
bezeichnete er als sehr bedenklich, indem er auf das belgische See¬
bad Heyst hinwies, wo die Abwässer von Brüssel und Brügge in
die See geleitet würden, und wodurch die ganze Gegend verpestet
würde.
Stadtbaurat Eisenlohr-Mannheim stellte eine irrige Mit¬
teilung in Betreff Mannheims richtig. Die Stadt Mannheim begnüge
sich nicht mit einer Reinigung der Abwässer ausschliesslich durch
Rechen, sondern es seien auch Klärbecken vorgesehen, welche das
Abwasser mit einer Maximalgeschwindigkeit von 20 mm in der
Sekunde durchfliesse.
Stadtbaurat Schönfel der-Elberfeld bezeichnete die Theorie
über die Wirksamkeit der Brockenkörper, wie sie von Baurat Bredt-
schneider aufgestellt sei, als höchst beachtenswert und geeignet an¬
regend für die weitere Forschung zu wirken.
Bauinspektor Merkel- Hamburg besprach die Reinigungs¬
anlagen der Stadt Hamburg und berichtete über die Verbrennungs¬
versuche der Rückstände in der Müllverbrennungsanlage.
Damit war die Diskussion erschöpft, eine Beschlussfassung
über die Resolution des Ausschusses fand jedoch nicht statt. In
einem kurzen Schlusswort verteidigen beide Referenten die von
ihnen aufgestellten Leitsätze:
1. Die Verunreinigungen des städtischen Abwassers, sowohl die
organischen als auch die unorganischen, lassen sich ihrem
spezifischen Gewichte nach als Sink-, Schwebe- und Schwimm¬
stoffe und ihrer Masse nach als grobe, feine, bis zur Emulsion
verteilte und feinste (bezw. gelöste) Stoffe unterscheiden. Die
organischen Verunreinigungen sind in dem Abwasser in steter
Umwandlung begriffen, teils in Folge von Fäulnis und Ver¬
wesung, teils mechanisch in Folge von Zerreibung und Zer¬
kleinerung der Massen.
2. „Kläranlagen“ entfernen aus dem Abwasser die Verunreinigungen
nur bis zu einem bestimmten Grade und lassen in demselben
den grössten Teil der feinsten (bezw. gelösten) Stoffe zurück;
„Reinigungsanlagen“ befreien das Abwasser von seinen Ver-
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unreinigungen in weitgehendster, die Ansprüche der Hygiene
befriedigender Weise.
4k Als Mittel zur Reinigung des Abwassers kommen nach dem
heutigen Stande der Wissenschaft und Technik das Riesel¬
verfahren und das sogenannte biologische Verfahren (Behand¬
lung in Brockenkörpern) in Betracht. Bei beiden Verfahren
ist es möglich, die Gesamtmenge der groben und feinen und
einen verhältnismässig grossen Teil der feinsten (bezw. gelösten)
Stoffe auszusondern, jedoch ist die Ausscheidung der letzteren
beim Rieselverfahren mehr gesichert als bei der Behandlung
in Brockenkörpern.
4. Obwohl die genannten Reinigungsverfahren das städtische
Abwasser im Allgemeinen ohne Weiteres zu reinigen vermögen,
ist es doch praktisch und mit Rücksicht auf die Kosten zweck¬
mässig, das Abwasser in einer Vorreinigungs-Anlage einer Vor¬
behandlung zu unterziehen. Dabei kann man mit Gittern und
Rechen im allgemeinen nur die groben Schwimmstoffe, mit
Sandfängen nur die groben Sinkstoffe zurückhalten; Klärbecken
oder -brunnen oder -türme vermögen nur als Kläranlagen in
dem unter Nr. 2 angedeuteten Sinne zu wirken, wobei so¬
genannte chemische Zusätze oder Zuschläge anderer Art die
Wirksamkeit der Vorreinigung unter Umständen in kräftiger
Weise zu unterstützen vermögen.
Das Kohlebreiverfahren kann als Reinigungsverfahren angesehen
werden, wenn Kohlebrei von bestimmter Beschaffenheit und in
genügender Menge zugesetzt wird.
5. Ob und inwieweit Algen und Wasserpilze die in den gereinigten
Abflüssen noch enthaltenen feinsten (bezw. gelösten) Stoffe
organischer Natur zu verzehren vermögen, ist zur Zeit noch
nicht erwiesen; da sie aber im abgestorbenen Zustande das
Wasser von Neuem zu verunreinigen und dadurch Missstände
hervorzurufen imstande sind, so können sie vorläufig als End¬
ziel der Wasserreinigung nicht in Betracht kommen.
<6. Da die aus dem Abwasser durch Klär- nnd Reinigungsprozess
ausgeschiedenen Stoffe (Rückstände) bis zu ihrem vollendeten
Abbau in steter Umsetzung begriffen sind, so sind sie im
hygienisch-ästhetischen Sinne bedenklicher Natur und müssen
auf dem schnellsten Wege unschädlich gemacht werden:
a) Die Verwertung der Rückstände im wasserreichen oder
wasserarmen Zustande für die Landwirtschaft als Düng¬
mittel ist zweckmässig und anzustreben, ein wirtschaft¬
licher Erfolg wird aber nur bei geeigneter Beschaffenheit
des Bodens erzielt, wenn ausserdem die Transportweiten
sich in mässigen Grenzen halten.
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125
b) Die Ausnützung der den Rückständen innewohnendem
mechanischen Kraft durch Verbrennen oder Vergasen
ist technisch möglich; der wirtschaftliche Erfolg erscheint
aber noch nicht nachgewiesen.
c) Durch die Aufschliessung der Rückstände auf chemischem
Wege, namentlich durch die Entziehung des Fettes, können
wertvolle Handelsobjekte gewonnen werden; aber auch
hierbei ist der wirtschaftliche Erfolg zur Zeit noch immer
zweifelhaft.
d) Das Versenken der Rückstände in die offene See, wo
solches nach der örtlichen Lage überhaupt in Frage kommen
kann, vernichtet die wirtschaftlichen Werte, ohne andere
Werte zu schaffen, ist aber bei Anwendung ausreichender
Vorsichtsmassregeln aus Gründen der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege nicht zu beanstanden.
Eine Abstimmung über die aufgestellten Leitsätze fand auch
hier wie bei den anderen Referaten nicht statt.
Das Programm der Tagung war damit erledigt. Mit herz¬
lichen Worten des Dankes an die Referenten, an die Behörden und
ganz besonders an die gastliche Stadt Danzig schloss der Vorsitzende
die Versammlung. Oberbürgermeister Lentze stattete den Dank der*
Versammlung für die vorzügliche Leitung durch den Vorsitzenden
ab. Zum Zeichen des Dankes erhob sich die Versammlung vom
den Sitzen.
Der Ausschuss des Vereins setzt sich für das Geschäftsjahr
1904/1905 folgendermassen zusammen: Oberbürgermeister Beck-
Mannheim, Präsident des Medizinalkollegiums Geh. Medizinalrat
Dr. Buschbeck-Dresden, Oberbürgermeister Fuss-Kiel, Geh.
Hofrat Prof. Dr. Gärtner-Jena, Baurat Prof. Genzmer-Danzig,
Ober- und Geh. Baurat Dr. ing. Sttibben-Berlin. Zum Vorsitzenden
wurde Geheimrat Gärtner gewählt.
Ausser den Vorträgen fanden noch zahlreiche Besichtigungen
von hygienischem Interesse statt.
Von Seiten der Stadt fand eine Bewirtung im prächtigen
alten Franziskanerkloster statt.
Erwähnt sei noch die hübsche Festschrift, welche die Stadt darbot.
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126
Kleine Mitteilnngen.
Die Beziehungen zwischen Schulbank und Klassenraum.
Das technische Gemeindeblatt (Nr. 20 vom 20. Januar d. J.)
enthält einen sehr lesenswerten Aufsatz über „ Techniker und Schul¬
bank“, in welchem auf die Beziehungen zwischen dem Schulbank¬
system und den Abmessungen der Klassenräume mit Recht hin¬
gewiesen wird. Für den Entwurf eines Schulhauses sollte nicht
der Klassenraum als Element der Grundrissgestaltung betrachtet
werden, sondern die Schulbank. Von dieser und der Schülerzahl
sind die Abmessungen der Klassenräume und infolge dessen erst
die Gestaltung des Gebäudegrundrisses abhängig. Es bedarf also
einer sorgfältigen Erwägung des anzuwendenden Banksystems, be¬
vor der Bau selbst entworfen wird.
Zu unterscheiden sind 1) mehrsitzige Schulbänke; 2) zwei¬
sitzige Gruppenbänke, bei denen Pultplatte und Sitzbrett gleich
lang sind; 3) zweisitzige Gruppenbänke, deren Sitz gegen die Pult¬
platte verkürzt (einspringend) ist; 4. zweisitzige Bänke, die für ver¬
schiedene Körpergrössen einstellbar hergestellt sind, die also eine
Individualisierung des Gestühls anstreben (Universalbank), während
die Gruppenbank je für eine bestimmte Grössengruppe der Schüler
dient, demnach in verschiedenen Grössennummern angewandt wird.
Es ist ersichtlich, dass bei Anwendung des mehrsitzigen
Banksystems die Zahl der Zwischengänge kleiner wird, diese aber
breiter anzulegen sind, als bei den andern drei Systemen; dass
ferner bei der dritten Bankart die Zwischengänge infolge des
zurückspringenden Sitzes etwas schmaler bemessen werden
können als bei der zweiten Bankart, dass sonach die Gruppenbank
mit verkürztem Sitze die geringste Tiefe des Klassenraumes be¬
ansprucht. Der Lichteinfall auf den Arbeitsplätzen der innersten
Sitzreihe zeigt folglich eine geringere Reklination; der Winkel
der grössten Elevation dieser Arbeitsplätze ist um etwa 4 Grad
grösser als bei Gruppenbänken mit unverkürztem Sitze, was für
die Hygiene der Tagesbelichtung von Bedeutung ist. In dem Vor¬
trage von Max Gruber über die Versorgung der Schulzimmer mit
Tageslicht auf dem Nürnberger Internationalen Kongress für Schul¬
hygiene (1904) ist dieser Gegenstand lehrreich behandelt. Das
vierte Banksystem endlich, die sogenannte Universalbank, erfordert
die grösste Länge des Klassenraumes, weil diese von vorherein
so bemessen werden muss, dass das Gestühl noch für die den
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127
grössten Schülern entsprechende Tiefe eingestellt werden kann;
und zwar ergibt sich, da die verschiedenartige Einstellung einen
Unterschied der Gestühltiefen bis zu 10 cna veranlasst, bei zehn
hintereinanderstehenden Bankreihen eine Mehrlänge des Klassen¬
raumes von 1 m, oder für die normale Klassentiefe von 6 m eine
Flächenvergrösserung des Klassenraumes von 6 qm. Nimmt man
die zulässige Verschmälerung des einzelnen Zwischenganges infolge
der Sitzverkürzung zu 10 cm an, bei drei Bank reihen in der Klassen¬
tiefe also eine Breitenersparnis von 4X10 = 40 cm, so ergibt sich
für die normale Klassenlänge von 9 m eine Flächenverminderung
des Klassenraumes von 9X0,40 = 3,60 qm. Bei einem Einheits¬
preise von 100 Mk. für das qm bebauter Fläche, werden im ersteren
Falle 600 Mk. Mehrkosten, im zweiten Falle 360 Mk. Minderkosten
des Klassenraumes verursacht, was für einen Schulbau mit 10
Klassen schon einen ansehnlichen Betrag ergibt.
Tiefe und Länge des Klassenraumes ändern sich also je nach
dem zur Verwendung kommenden Schulbanksystems und wirken
auf die Kosten des Baues nicht unerheblich ein. Es ist jedenfalls
vorteilhaft, die Grundfläche des Klassenraumes zu verkleinern und
statt dessen seine Höhe zu vergrössern. Dadurch gewinnt sowohl
die Luftversorgung als die Tagesbelichtung; der hygienische Zu¬
stand der Schule wird also ohne Kostenvermehrung verbessert.
Die für das Studium der Schulbankfrage und ihrer Entwicklung
wichtigen amtlichen Anordnungen sind folgende: 1. die Verfügung
des Württembergischen Ministeriums für Kirchen- und Schulwesen
vom 29. März 1868, 2. die Verordnung des Sächsischen Ministeriums
für Kultus und Unterricht vom 3. April 1873, 3. die Verordnung
des Österreichischen Kultusministeriums vom 9. Juli 1873, 4. und 5.
die Erlasse des Preussischen Kultusministeriums vom 21. März
und 11. April 1888, 6. die Verordnung des Badischen Ministeriums
für Kultus und Unterricht vom 14. November 1898. Aus diesen
amtlichen Aktenstücken ergeben sich die an ein möglichst voll¬
kommenes Schulbanksystem zu stellenden allgemeinen Anforde¬
rungen Domitrovich’s, die wir schon im vorigen Jahrgange
mitteilten. Die etwas ausführlichere Wiederholung sei hier ge¬
stattet:
1) Die Bank soll nicht mehr als zweisitzig sein; 2) sie soll
keine beweglichen Teile haben; 3) sie soll ein geschlitztes oder ge¬
rilltes Fussbrett haben, dessen Breite mindestens der Fusslänge ent¬
spricht; 4) der Abstand der Lehne muss für das Schreiben im sitzen¬
den Zustande bemessen sein; 5) die Bank muss so beschaffen sein,
dass das Aufstehen der Schüler durch Heraustreten aus dem Ge-
stühle erfolgt; 6) sie muss das Aufstehen ohne hygienische Be¬
anstandung leicht und bequem ermöglichen; 7) sie soll eine mög-
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128
liehst vollkommene Freilegung des Fussbodens gestatten; 8) die
verschiedenen Bankgrösssen müssen leicht ausgewechselt werden
können; 9) eine willkürliche Änderung der Aufstellungsordnung*
muss unmöglich sein; 10) Pult und Sitz sollen fest verbunden sein
(sog. deutsche Bank); 11) jeder Sitz soll eine Einzellehne für sich
haben; 12) das Sitzbrett soll sich der Sitzfläche des Körpers so eng“
wie möglich anpassen; 13) das Sitzbrett soll eine voll anschliessende
Lehne haben, deren unterster Teil für das Gesäss ausgerundet ist,
während der mittlere Teil für den Kreuzwirbel nach vorn ge¬
bauscht und der obere Teil nach hinten geneigt ist, 14. die Pult¬
platte soll etwas geneigt sein, und 15. darf die Möglichkeit der
Herstellung und Einführung des Systems nicht durch finanzielle
oder andere Hindernisse erschwert oder gar hinfällig gemacht
werden.
Hiernach entspricht den hygienischen, pädagogischen und
technischen Anforderungen am vollkommensten die zweisitzige
feste Gruppenbank mit verkürztem Sitze, mit Fussbrett
und Einzellehne und mit einem für das Schreibsitzen
bemessenen Lehnenabstand. Sowohl die Referate für den
Nürnberger Internationalen Kongress als die Verhandlungen auf
der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Schul-
Gesundheitspflege (Bern 1904) sprechen für die Richtigkeit dieser
grundsätzlichen Forderungen. Die verstellbare Schulbank ist nur
ausnahmsweise zu empfehlen. J. St.
Zur Beseitigung des Strassen kehrichts und der Hausabfälle.
Auf der Versammlung der Medizinalbeamten des Regierungs¬
bezirks Hildesheim am 16. November 1904 hielten Kreisarzt Dr.
Becker (Hildesheim) und Oberbürgermeister Cal sow (Göttingen)
Vorträge über die hygienische, wirtschaftliche und rechtliche Be¬
deutung der Kehricht- und Müllbeseitigung. Die Vortragenden
hatten folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Die Strassenreinigung und die Abfuhr und Beseitigung des
Strassenmülls sowie die Sammlung, Abfuhr und Beseitigung
des Hausmülls bedürfen in städtischen Ortschaften einer ge¬
sundheitspolizeilichen Überwachung und hygienischen Grund¬
sätzen entsprechenden Regelung.
2. Sofern anderweitig (durch geeignete polizeiliche Massnahmen)
die erforderliche Sicherheit für eine hygienisch verantwortliche
Beseitigung des Strassen- und Hausmülls nicht erreichbar ist,
haben die Gemeinden die Beseitigung in Regieverwaltung zu
übernehmen (durch eigene Organe oder ihr verpflichtete Unter¬
nehmer).
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129
Soweit hygienische Rücksichten es erfordern, ist die aus¬
schliessliche Inanspruchnahme der städtischen Organisation
zwingend vorzuschreiben.
3. Die der Gemeinde erwachsenden Kosten sind grundsätzlich
von den bisher Verpflichteten einzuziehen. Nach Lage der
örtlichen Verhältnisse kann unter Umständen für zulässig: er¬
achtet werden, einen Teil der Kosten auf andere Quellen des
Gemeindehaushalts zu übernehmen.
4. Die zu 1—3 geforderten Massnahmen entsprechen, volkswirt¬
schaftlich betrachtet, durchaus den auf anderen Gebieten durch
die Gemeinden bereits geschaffenen, durch ihre Entwicklung
zwingend notwendig gewordenen Organisationen, und diese
Massnahmen können auch auf die bestehenden Gesetze recht¬
lich begründet werden.
5. Die technische Durchführbarkeit dieser Grundsätze ist in erster
Linie von den örtlichen Verhältnissen der sehr verschieden
gearteten Gemeinwesen abhängig.
6. Für die Städte des Regierungsbezirks Hildesheim kann eine
Regelung nach folgenden allgemeinen Gesichtspunkten vor¬
geschlagen werden:
a) Die Sammlung des Mülls geschieht in handlichen, festen,
zylindrischen Gefässen aus Eisenblech, welche nur soweit
angefüllt werden dürfen, dass ein Verschütten oder Ver¬
stäuben des Inhalts vermieden wird. Der Vorzug be¬
deckeiter Gefässe wird vielfach bezweifelt.
b) Die Strassenreinigung hat unter möglichster Verhütung
von Staubentwicklung (nötigenfalls nach vorheriger Spren¬
gung) zu erfolgen. Die zusammengekehrten Massen sind
baldigst zu beseitigen, dürfen aber nicht — auch nicht
vorübergehend — in Wohnungen, Gärten oder auf son¬
stigen Privatgrundstücken aufgesammelt werden. Die
Reinigung der Fusswege hat täglich, diejenige des Fahr¬
damms mindestens zweimal wöchentlich zu erfolgen. Tags¬
über sind besondere Verunreinigungen sofort zu beseitigen.
c) Die Abfuhr von Hausmüll und Strassenkehricht hat — ge¬
gebenenfalls gemeinsam — unter möglichster Vermeidung
von Staubentwicklung und Lärm in dichten, festen Ab¬
fuhrwagen möglichst oft, mindestens jedoch einmal wöchent¬
lich, zu erfolgen. Wegen der nicht völlig zu vermeiden¬
den Belästigung des Publikums und Störung des Strassen*
Verkehrs sowie aus ästhetischen Rücksichten empfiehlt es
sich, diese Arbeiten während der Nacht oder in den späten
Abend- bezw. frühesten Morgenstunden vorzunehmen.
d) Überall dort, wo sie ökonomisch möglich ist, sollte man
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 9
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130
die landwirtschaftliche Verwertung von Hans- und Strassen-
kehricht anstreben, ln zweiter Linie kommt die Aus¬
gleichung von Gelände durch vorläufige Ablagerung in
Betracht. Die Abladeplätze sollen aber so beschaffen und
belegen sein, dass sie nicht zu Gesundheitsstörungen oder
sonstigen Belästigungen Anlass geben oder der Er¬
schliessung neuer Stadtteile durch Verunreinigung des
Untergrundes hinderlich sind.
Obwohl die gewerbliche Verwertung der Abfallstoffe nur
eine untergeordnete Rolle spielt, so bedarf sie doch der
hygienischen Beaufsichtigung. Die Methoden der Ver¬
brennung und Schmelzung des Mülls sind vom sanitären
Standpunkte aus zwar die besten, aber wegen ihrer Kost¬
spieligkeit vorläufig nur in Grossstädten anwendbar.
Von diesen Leitsätzen erfuhren Nr. 1, 2, 4 und 5 keinen
Widerspruch. Zum Satze 3 wurde vom Oberbürgermeister Struck¬
mann (Hildesheim) hervorgehoben, dass die Stadtverwaltungen sich
die Freiheit Vorbehalten müssten, die Frage der Gebührenerhebung
im einzelnen zu regeln; er sei persönlich kein Freund von „Spezial-
steuern“. Zum Satze 6a erhob sich Meinungsverschiedenheit über
den Wert der Deckel auf Mülleimern; Prof, von Esmarch hielt
sie für wichtig, andere erklärten sie aus praktischen Gründen für
nicht empfehlenswert. Die Aufbewahrung des Strassenschmutzes
im Hause (6b) hielt Dr. Becker für besonders nachteilig. Die
Abfuhr sollte nach dem Urteil des Prof, von Esmarch nicht
eigentlich während der Nacht (6 c), sondern in späten Abend- und
frühen Morgenstunden stattfinden.
Was die Verwertung der Abfallstoffe betrifft (6 b), so empfahlen
Prof, von Esmarch und Gewerberat Schüler das u. a. in Char¬
lottenburg und Potsdam eingeführte sog. Trennungssystem auch
für kleinere Städte. Das System bewährt sich in Charlotten bürg
als durchaus rentabel, insbesondere werden die schon in der Küche
in besondere Gefässe oder Gefässteile abgesonderten Speisereste er¬
folgreich zur Schweinezucht verwendet. J. St.
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131
Literaturbericht.
Pfeiffer, 20. Jahresbericht über die Fortschritte und Leistungen
auf dem Qebiete der Hygiene. (Jahrg. 1902.)
Das Buch gibt auf seinen 545 Seiten ein getreues Bild der
wertvollen Arbeiten unermüdlicher Forscher auf allen Gebieten der
Hygiene im Jahre 1902 und ist für solche, die sich über die Fort¬
schritte der Hygiene orientieren wollen, ein unersetzliches Nach-
schlagebuch. Aus der Zahl der bisherigen Mitarbeiter sind aus¬
geschieden die Herren Geh. Med.-Rat Baer (Berlin) und Stadtbaurat
a. D. Brix (Wiesbaden). Zu ihrem Ersätze sind eingetreten Herr
Kreisarzt Potschuld (Diez) für Gefängnishygiene und Herr Bau¬
inspektor Schumann (Berlin) für Bauhygiene.
In seinem Geleitworte spricht der Herr Herausgeber ein be¬
achtenswertes Wort über die Notwendigkeit der Vermehrung von
geeigneten Unterkunftsstätten für Geisteskranke.
Nauck (Hattingen).
Prausnitz, Grundzüge der Hygiene. 7. erw. u. verm. Aufl. (München,
Lehmann. 1905.)
Das für Studierende an Universitäten und technischen Hoch¬
schulen, Ärzte, Architekten, Ingenieure und Verwaltungsbeamte
bestimmte Buch stellt eine vorzügliche Einleitung in die Lehren der
Hygiene und deren Nutzanwendung auf den verschiedensten Ge¬
bieten des menschlichen Lebens dar. Die Darstellung ist präzis
und klar; die zahlreichen Abbildungen sind sehr instruktiv. Es
wird nichts wesentliches übergangen; überall finden sich goldne
Regeln für die Praxis eingestreut.
Für eine weitere Auflage möchte ich es aber als wünschens¬
wert bezeichnen, dass Verfasser, der einen durchaus objektiven
Standpunkt den Pettenkoferschen und Kochschen Lehren über die
Entstehung der Cholera gegenüber einnimmt, etwas näher auf die
neuere Kochsche Theorie der hauptsächlichsten Verbreitung des
Typhus durch Kontaktinfektion eingeht. Auch könnte in dem
Kapitel über Milch auf die Alkoholprobe zum Nachweise des Ver¬
dorbenseins hingewiesen werden. Ein Lapsus calami ist es wohl,
wenn auf Seite 521 entgegen den Beschlüssen des Bundesrats vom
28. Juni 1899 empfohlen wird, die Impfinstrumente vor jeder
Impfung eines neuen Impflings mit Wasser zu reinigen und mit
Karbol- oder Salicylwatte abzutrocknen. Für öffentliche Impf¬
termine genügt diese Art der Reinigung jedenfalls nicht.
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132
Die Verlagsbuchhandlung hat es sich nicht nehmen lassen,,
durch Druck und Papier das vortreffliche Buch auch ihrerseits den
Anforderungen der Hygiene entsprechend auszustatten. Es ist ihm
die weiteste Verbreitung in den dafür bestimmten Kreisen za
wünschen. Nauck (Hattingen).
Senator u. Kammer, Krankheiten und Ehe. II. u. III. Abt. (München.
J. F. Lehmanns Verlag. 1904.)
Während die erste Abteilung des Werkes, über die im. Jahr¬
gang 1904 dieser Zeitschrift Seite 332 referiert ist, den allgemeinen
Teil enthielt, bringen die zweite und dritte Abteilung die Be¬
ziehungen der einzelnen Krankheitsgruppen zu der Ehe.
In der zweiten Abteilung werden behandelt: Konstitutions-
(Stoffwechsel-Krankheiten und Ehe von H. Senator-Berlin, Blut¬
krankheiten und Ehe von H. Rosin-Berlin, Krankheiten des Gefäss-
apparates und Ehe von E. v. Leyden und W. Wolff-Berlin, Krank¬
heiten der Atmungsorgane und Ehe von S. Kaminer-Berlin, Krank¬
heiten der Verdauungsorgane und Ehe von C. A. Ewald-Berlin, Nieren¬
krankheiten und Ehe von P. F. Richter-Berlin, Krankheiten des-
Bewegungsapparates und Ehe von A. Hoffa-Berlin, Beziehungen
der Ehe zu Augenkrankheiten mit besonderer Rücksicht auf die
Vererbung von Abelsdorf-Berlin.
Die dritte Abteilung enthält folgende Kapitel: Hautkrank¬
heiten und Ehe von Ledennann-Berlin, Syphilis und Ehe von dem¬
selben, Trippererkrankungen und Ehe von A. Neisser-Breslau,
Erkrankung der tiefem Harnwege, physische Impotenz und Ehe
von C. Posner-Berlin, Frauenkrankheiten, Empfängnisunfähigkeit
und Ehe von L. Blumreich-Berlin, Nervenkrankheiten und Ehe von
A. Eulenburg-Berlin, Geisteskrankheiten und Ehe von E. Mendel-
Berlin, Perverse Sexualempfindung, psychische Impotenz und Ehe
von A. Moll-Berlin, Alkoholismus, Morphinismus und Ehe von A.
Leppmann und F. Leppmann-Berlin, Gewerbliche Schädlichkeiten
und Ehe von denselben, Ärztliches Berufsgeheimnis und Ehe von
S. Placzek-Berlin, Sozialpolitische Bedeutung der sanitären Ver¬
hältnisse in der Ehe von K. Eberstadt-Berlin.
Wenn ich mir auch leider versagen muss, auf den Inhalt
jedes dieser 20 Kapitel einzugehen, so möchte ich doch ganz kurz
wenigstens einige mir besonders wichtig erscheinende Punkte
herausgreifen. So ist hinsichtlich der Lungentuberkulose die
Ansicht Kaminers bemerkenswert, dass bei dieser Krankheit zu¬
weilen Umstände eintreten können, wo die Vorteile der Ehe grösser
sind als die Nachteile, wo die Gefahren der Ehe entweder über¬
haupt nicht vorhanden oder, wenn sie vorhanden, wo durch zweck¬
mässige prophylaktische oder therapeutische Massnahmen ihre
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133
Grösse gemindert werden kann. Bei frischen Fällen von Lungen¬
tuberkulose wird man dagegen nach Kaminer wohl fast immer die
Erlaubnis zur Heirat verweigern müssen.
Bei der Syphilis darf man nach Ledermann im allgemeinen
«die Ehe gestatten, wenn mindestens 5 Jahre seit der Infektion
vergangen, in den letzten 2 Jahren keine Erscheinungen mehr
aufgetreten sind und die Kranken energische und gründliche
Quecksilberkuren durchgemacht haben.
In Bezug auf den Tripper steht Neisser nicht auf dem von
andern Autoren vertretenen Standpunkte, dass der Heiratskonsens
dem Manne nur bei vollständiger Heilung, d. h. namentlich bei
vollständigem Verschwinden der Urethralfäden und Flocken im
Urin zu erteilen sei. Der Grund ist, dass in der Mehrzahl der
Fälle alle Behandlungsversuche zur Beseitigung solcher Reste ver¬
geblich sind. Neisser macht vielmehr die Erlaubnis zur Heirat
davon abhängig, dass die Gonococcen trotz Aufsuchung aller
Schlupfwinkel, trotz chemischer und mechanischer Provokation
weder mikroskopisch noch kulturell auffindbar sind.
Hinsichtlich der erblichen Belastung bei Geisteskrank¬
heiten vertritt Mendel die Anschauung, dass vereinzelt dastehende
Fälle von Geisteskrankheit in der Familie ein Hindernis für eine
einzugehende Ehe nicht bieten, wohl aber das Vorkommen einer
grösseren Zahl von Fällen bei den Blutsverwandten und namentlich,
wenn sie nicht bloss auf der Seite des Vaters, sondern auch auf
der der Mutter nachzuweisen sind. In der direkten Ascendenz
sind nach Mendel die Paranoia und die periodischen oder zirkulären
Psychosen, bei denen in der Regel schon eine erbliche Belastung
vorliegt, bedenklich, während die infolge äusserer Ursachen, wie
akuter Infektionskrankheiten, Wochenbett usw. entstandenen akuten
Geisteskrankheiten keine besondere Gefahr für die Nachkommen¬
schaft bieten. Bei chronischer Geisteskrankheit beider Eltern rät
er auf das Entschiedenste von der Ehe ab, dagegen hält er das
Eheverbot nicht für nötig bei der progressiven Paralyse des Vaters
oder der Mutter und dem Fehlen sonstiger erblichen Belastung,
wenn die Krankheit erst viele Jahre nach der Geburt des Kindes
auftrat und dies geistig normal ist. Dass geisteskranke oder auch
nur geistesschwache Individuen nicht heiraten dürfen, unterliegt
für Mendel keinem Zweifel. Hinsichtlich der geisteskrank ge¬
wesenen und wieder geheilten Personen ist nach seiner Ansicht
an dem Grundsätze festzuhalten, dass, wenn die Geisteskrankheit
nicht die Folge äusserer somatischer Einflüsse, sondern im wesent¬
lichen der Ausdruck einer erheblichen erblichen Belastung war,
die betreffende Person zur Ehe untauglich ist, da besonders für
das weibliche Geschlecht in ihr nicht zu unterschätzende Gefahren
zu neuer Erkrankung liegen. Schneider (Breslau).
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134
Weber, Die Verhütung des frühen Alters. Mittel und Wege zur Ver¬
längerung des Lebens. (Leipzig, Verlag von Krüger & Co.)
Es gibt Bücher, deren Lektüre schon wie eine belebende
Medizin wirkt, und wo sich die Überzeugung des Verfassers mit
bezwingender Kraft auf den Leser überträgt. Ein solches Buch
ist das vorliegende, wo uns der achtzigjährige Verfasser aus der
Fülle seiner Lebenserfahrung schöpfen und an der Weisheit seines
Alters Teil nehmen lässt. Diese Weisheit und Erfahrung gipfele in
dem Satze: Arbeit und Enthaltsamkeit. Der Mensch ist so alt
wie sein Gefässsystem, und dieses frisch zu erhalten, seiner Ent-
artung vorzubeugen, hierauf beruht die Kunst, das Leben zu ver¬
längern.
Die Behauptung, dass reichliche geistige Tätigkeit und körper¬
liche Bewegung das Leben verkürze, ist ein Irrtum und das Gegen¬
teil ist richtig. Besonderes Gewicht legt Hermann Weber auf die
ausgiebige Übung der Gehirntätigkeit, und er empfiehlt für die
Tage des Alters und der Müsse die Pflege eines Steckenpferdes^
Spiele und Reisen.
Alle Organe mit Einschluss des Gehirnes in reger Übung zu
erhalten, in allen Genüssen mässig zu sein und keine trübe, sondern
eine frohsinnige Lebensanschauung zu pflegen, darin liegt das
Geheimnis des Jungbrunnens und seine Kraft, und wenn damit
anscheinend eine gewisse Entsagung verbunden ist, die dem be¬
kannten Buche Hufelands seiner Zeit die boshafte Übersetzung
„Die Kunst langweilig zu leben“ eintrug, so ist das Ziel eines
langen und vor allem eines gesunden und glücklichen Lebens am
Ende doch einer kleinen Entbehrung wert.
Die kleine Schrift des bekannten Londoner Arztes, die zudem
für weitere Kreise berechnet ist, kann daher nicht genug em¬
pfohlen werden. Pelman.
Hoffmann, Berufswahl und Nervenleiden. [Grenzfragen des Nerven-
u. Seelenlebens, 26. Heft.] (Wiesbaden, Verlag von J. F. Bergmann. 1904.)
Wenn ein Forscher wie Hoffmann aus dem vollen Inhalte
seiner Erfahrung schöpft und das Ergebnis seiner zahlreichen Beob¬
achtungen auf wenigen Seiten wiedergibt, dann lässt sich der
Inhalt kaum noch kürzer zusammenfassen und es bleibt dem Re¬
ferenten nichts übrig, als auf das Buch selber zu verweisen. Und
das möchte ich hiermit tun.
Der Verfasser geht von der Voraussetzung aus, dass die
Nervenleiden an Zahl dauernd zunehmen, und er überweist einen
Teil der Schuld der unzweckmässigen Wahl eines Berufes, oder
vielmehr dem Umstande, dass bei der Wahl eines Berufes alles
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135
andere mehr in Betracht gezogen werde, als der jeweilige Zustand
des Nervensystems.
Und doch hängt hiervon nicht selten die ganze Zukunft ab,
und oft genug wird die Gesundheit geopfert um Geld, und dann
— leider oft vergebens — das Geld, um wieder die Gesundheit zu
erlangen.
Hoffmann hat nun den Versuch gemacht, tausend Fälle von
Nervenleidenden nach ihren Berufsarten zu ordnen, um hierdurch
womöglich zu bestimmten Schlüssen in Bezug auf deren Schäd¬
lichkeit zu kommen. Er selber sieht darin zunächst mehr eine
Anregung zu ähnlichen Untersuchungen, und ich möchte hier
ebenfalls eine Warnung aussprechen. Meiner Überzeugung nach
schätzt man das Gehirn und seine Tätigkeit zu gering ein, wenn
man es auf die Stufe einer Maschine stellt und ihm ein bestimmtes
Mass von Tätigkeit und Abnutzung zumisst. Man übersieht dabei
die lebendige Kraft und die Befähigung des Gehirns, aus sich
heraus neue Kraft zu entwickeln und die gebrauchte zu ersetzen,
und es ist daher nicht sowohl das mehr odel* weniger von geistiger
Anstrengung, das hier in Betracht kommt, als vielmehr ander¬
weitige schädliche Momente, wie besonders Sorge und Not, die
sich verderblich zeigen.
Alles das und noch viel mehr ist in der kleinen Schrift zu
finden, und ich glaube sie nicht besser empfehlen zu können, als
wenn ich mich dem Wunsche des Verfassers und seinen Schluss¬
worten anschliesse, dass dem Nervenleben der Kinder bei der Wahl des
Berufes stets eine gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werde.
Pelman.
Kowalewski, Studien zur Psychologie des Pessimismus. Mit 4Abb.
im Text. [Grenzfragen des Nerven- u. Seelenlebens.] (Wiesbaden, Ver¬
lag von J. F. Bergmann. 1904.)
Das vorliegende Werk tritt eigentlich mit seinen ebenso aus¬
führlichen wie gelehrten Untersuchungen aus dem Kähmen der
„Grenzfragen“, die dem Titel zufolge für Gebildete aller Stände
bestimmt sind, heraus, da ich es für recht fraglich halte, ob sehr
viele dieser „Gebildeten“ das rechte Verständnis für die Integrale
des Lust- und Unlustquantums haben und im Stande sein werden,
die Universalitätssymmetrie mit der Asymmetrie der Unterschieds¬
empfindlichkeit in Zusammenhang zu bringen. Unter Pessimismus
versteht man im Allgemeinen die Anschauung, dass Leiden und
Übel den Hauptinhalt des ganzen Lebens ausmachen, und der Ver¬
fasser bemüht sich, an der Hand eines sehr reichhaltigen. psycho¬
logischen Materiales in exakter Weise festzustellen, ob ein wesent¬
licher Rangunterschied zwischen Lust und Unlust in psychologischer
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136
Hinsicht bestehe. Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist, dass
die Lust und die Unlustfunktion schon bei einem normalen Menschen
keineswegs gleichmässig entwickelt sind, und dass hier natürliche
Ansatzpunkte für die Entwicklung einer pessimistischen Seelen -
Verfassung liegen.
Wenn somit auch im normalen Leben das Gefühl der Unlust
durchwegs überwiegt, so müssen doch andere und zwar abnorme
Bedingungen hinzutreten, um eine dauernde pessimistische Seelen¬
verfassung auftreten zu lassen.
Das ist im wesentlichen der Inhalt der ausgedehnten Arbeit,
die unzweifelhaft nach den verschiedensten Seiten hin anregend zu
wirken geeignet ist, ohne indes ein eigentlich praktisches hygienisches
Interesse zu bieten. Pelman.
In einem Buche: .Staatskinder oder Mutterrecht a (Leipzig,
W. Malende) versucht Ruth Br6 eine Erlösung aus sexuellem und
wirtschaftlichem Elend. Sie will dabei die ganze jetzige Ge¬
sellschaftsform umgestalten, indem sie die Frau bezw. die Sippe
der Frau als Mittelpunkt fordert. Der Mann gliedert sich durch
die Ehe der Frau an, das Kind führt den Namen der Mutter, als
des einzig nachweisbaren Teiles der Eltern Besitz und Vermögen,
alles regele sich nach diesem Gesichtspunkte. Das energisch und
gewandt verfasste Buch kündet auf dieser Grundlage Besserung
obigen Elendes an. — Die Botschaft hör ich wohl, allein mir
fehlt der Glaube! Selter (Solingen).
Fürst, Die Gesundheitspflege der Mädchen vor und nach der Schul¬
zeit. (Hamburg u. Leipzig 1904. Verlag von Leopold Voss.)
Ein vortreffliches, in warmem Tone und edler sprachlichen
Darstellung geschriebenes Büchlein für die häusliche Lektüre ge¬
bildeter junger Mädchen oder als Unterlage für gemeinverständ¬
liche Vorträge aus dem Bereiche der Gesundheitspflege! Diesem
Zwecke entspricht es, dass die Schrift sich darauf beschränkt, all¬
gemeine Grundsätze zu bieten, jeden einzelnen Fall aber dem
besonderen Rate des Hausarztes überlässt. Ein kleines Versehen
ist in dem Abschnitt vom Essen und Trinken untergelaufen, wo es
Seite 36 heisst: „Die Genussmittel sind eine unentbehrliche Zugabe
zu allem was wir gemessen“, und im folgenden Satze: „Gehört doch
selbst der Tabak zu den Genussmitteln“. Das ist wohl dadurch
gekommen, dass der Verfasser im vorhergehenden nur die Speise¬
zutaten (Würzen und Gewürze) berücksichtigt hat, während die
geistigen Getränke und die Aufgussgetränke, denen in seiner
Wirkung der Tabak verwandt ist, auch zu den Genussmitteln zu
rechnen sind. Blumberger (Cöln).
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Berger, Die Schularztfrage für höhere Lehranstalten. (Verlag von
Leopold Voss. 1904.)
Nach einer kurzen Schilderung über die Entstehung und den
jetzigen Stand der Schularztfrage stellt er mit andern die Forderung
nach einer schulhygienischen Beratung auch für die höheren
Lehranstalten auf.
Die Tätigkeit dieser Schulhygieniker erstreckt sich neben
der Mitwirkung beim Bau und Einrichtung der Schulhäuser in
erster Linie auf die Beobachtung des Gesundheitszustandes der
Schüler, ferner die Unterrichtshygiene, die Hygiene der Lehrkörper
usw. Auch Form und Dienst der Schulärzte wird geschildert.
Wenn B. auch in den meisten Punkten alte Forderungen bringt,
so ist die Art der Darstellung derselben doch schön und über¬
zeugend. Neu ist die Mitwirkung der Schulärzte bei den Schul¬
reformen. — Das B. für den Schularzt im Hauptamte, für seine
organische Angehörigkeit den Lehrkörper als etwas selbstverständ¬
liches und notwendiges plädiert, verdient hervorgehoben zu werden.
Die Schrift kann zur Lektüre angelegentlich empfohlen werden.
Selter (Solingen).
Stade lm ann, Schwachbeanlagte Kinder, ihre Förderung und Be¬
handlung. (München 1904. Verlag der Ärztlichen Rundschau.)
Der Verfasser hat seine Absicht, das Verständnis für das
Wesen schwach beanlagter Kinder der Allgemeinheit näher zu
bringen, insofern ganz erreicht, als es sich um die Ärzte handelt;
für die mit der Erziehung und dem Unterricht solcher Kinder be¬
schäftigten Lehrer wird das Eindringen durch die vielen, dem
Arzte geläufigen, dem Laien aber wenig bekannten technischen Aus¬
drücke nicht selten erschwert. Trotzdem bietet das Heftchen auch dem
Lehrer soviel Wertvolles, dass die Beschaffung jedem zu empfehlen
ist. Nicht weniger wichtig ist die Arbeit für den Juristen, da sie
zur nachsichtigsten Beurteilung der Handlungen geistig und sittlich
minderwertiger Menschen mahnt. Die Ansicht des Verfassers, dass
auch die leicht abnormen Kinder wenigstens eine Zeit lang in
eine Anstalt geschickt werden sollten, hat viel für sich, doch
scheitert die Ausführung noch für lange Zeit an dem Kostenpunkte.
Einstweilen sind die Hülfsschulen in grösseren Städten geradezu
unentbehrlich. Brandenberg (Cöln).
Twistei, Wasser-, Luft- und Kraftversorgung kleiner Städte. (Selbst¬
verlag. 1904.)
Auch die Verwaltungen kleinerer Städte, denen bisher die
unsern Grossstädten eigentümlichen grösseren technischen Aufgaben
recht fern lagen, beginnen jetzt der Lösung solcher verhältnismässig
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weit aussebauenden Fragen näher zu treten. In gesundheitlicher
Beziehung erscheint hierbei die Schaffung einer einwandfreien
Trinkwasserversorgung als eines der notwendigsten Erfordernisse:
denn ausser der Verhütung von Krankheiten, welche der Wasser¬
entnahme aus verseuchten Brunnen und Wasserläufen entspringen,
hängen die Beschaffung von Haus-, Schul- und öffentlichen Bädern,
eine ordnungsmässige Strassenreinigung, leichtere Bekämpfung von
Feuersbrünsten und viele andere gemeinnützige Vorteile hiermit
zusammen.
Der Verfasser schildert, wie es ihm gelungen ist in Mewe,
einer Stadt von rund 4100 Einwohnern mit ungünstiger Finanz¬
lage, deren kommunale Steuerzuschläge 303 °/ 0 der Einkommen¬
steuer und 276 °/ 0 der Realabgaben betragen, denen allerdings ein
jährlicher Bierkonsum der Einwohnerschaft von mindestens 100000 Mk.
gegenübersteht, zunächst das Wasserwerk auf Grund des durch
Polizeiverordnung angeordneten Zwangsanschlusses aller Wohn¬
gebäude und eines den Anschluss regelnden Ortsstatuts zu schaffen.
Der Wasserzins wurde für den Verbrauch in Haushaltungen auf
0,40 Mk., für landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe auf
0,15 Mk. für den Kubikmeter bemessen. Die Wassergewinnung
erfolgt aus zwei Tiefbrunnen, die eine tägliche Leistungsfähigkeit
von 350 Kubikmeter besitzen, die Gesamtkosten des Werkes stellen
sich auf 145233 Mk. Im ersten Betriebsjahre betrug der tägliche Wasser¬
verbrauch für Haushaltungszwecke rlur die überaus geringe Menge
von 13,6 Liter für den Kopf, doch ergab das Werk im gleichen
Zeiträume schon einen Überschuss von 973 Mk. Von gleichzeitiger
Anlage einer Kanalisation wurde vorläufig abgesehen; es haben
sich hieraus, da kein Anschluss von Spüiklosets an die Wasser¬
leitung erfolgt ist und bei dem geringen Wasserverbrauch auch
keine Nachteile ergeben.
Die notwendige Beschaffung einer Betriebskraft für die Pump¬
station des Wasserwerks führte zur Licht- und Kraftversorgung
der Stadt durch Anlage eines Steinkohlen-Gaswerks, das für den
vorliegenden Fall am zweckmässigsten erschien. Die Grundlage
der Rentabilität bildete, da zwangsweiser Anschluss der Häuser
nicht möglich, ein Abkommen über die Lichtversorgung einer
grösseren staatlichen Strafanstalt. Um das Risiko für das gleich¬
zeitig mit dem Wasserwerk angelegte Gaswerk zu vermindern,
wurde ein Ausweg in der zeitweisen Verpachtung des Betriebes
des letzteren an die erbauende Firma gefunden. Bei Preisen von
0,20 Mk. für das Kubikmeter Leuchtgas und 0,15 Mk. für das
Kubikmeter Heizgas ergab sich im ersten Jahre ein Ueberschuss
von 4617 Mk.
Der Verfasser schildert seine wohldurchdachtcn, aus tech-
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machen, finanziellen und verwaltungsrechtlichen Erwägungen her¬
vorgegangenen Massnahmen bei Schaffung beider Werke mit Dar*
legung aller dabei gesammelten Erfahrungen in überaus klarer
und anschaulicher Weise. Seine Schrift verdient daher bei den
Verwaltungen unserer kleinen Städte die aufmerksamste Beachtung,
da sie einen Weg zeigt, wie auch diese an den gesundheitlichen
Vorteilen und technischen Bequemlichkeiten der Grossstädte Teil
nehmen und so ihren Bewohnern zweckmässiger und angenehmer
ausgestaltet werden können. Schnitze (Bonn).
Nusabaum, Die Schutzmittel gegen aufsteigende Feuchtigkeit und
Schlagregen. (Ges.-Ing. 1904, Nr. 28.)
Die gebräuchlichsten Schutzmittel zur Trockenerhaltung der
Gebäude: wie Teerpappe, Goudron, Asphaltfilz und dünne Blei¬
platten versagen oft, da sie von frischem Kalk- und Zementmörtel
angegriffen werden und dann die Eigenschaft der Wasserundurch¬
lässigkeit verlieren. Als preiswertes sicheres Ersatzmittel sowohl
für senkrechte, wie für wagerechte Flächen wird Erdwachs (Ceresin)
genannt, welches den Einwirkungen der Witterung, der Alkalien,
der Huminsäure des Erdbodens und der Kohlensäure des Wassers
vollkommen widersteht. Auch Gussasphalt vermag in begrenzter
Weise als Isolierschicht zu dienen. Vom Erdboden berührte Keller¬
wandflächen sind gegen starken Wasserandrang durch Verblendung
von gesinterten Ziegeln in fettem Trasszement- oder Milchkalk¬
mörtel zu sichern.
Zum Schutz gegen Schlagregen dient in erster Linie Ver¬
blendung mit scharfgebrannten, wasserundurchlässigen Ziegelsteinen;
als Verputzmaterial wird fetter Milchkalkmörtel vorgeschlagen.
Alte Putzflächen lassen sich durch Anstriche mit Kalkwasserglas,,
frischer Kalkputz durch Anstrich mit Magermilch leidlich wasser¬
abweisend machen. Den trefflichsten Wetterschutz bildet das Be¬
kleiden der Wandflächen mit undurchlässigen Platten von Natur¬
gestein, Steingut, gesintertem Ton, Glas u. s. w., die mit fettem
Zement- oder Milchkalkmörtel auf dem Mauergrund befestigt werden.
Auch das Beschlagen solcher Flächen mit Dachziegeln, Schiefer,
Schindeln auf Lattung ist unter Umständen zweckmässig.
Schultze (Bonn).
Schlechtendal und Peren, Der Unterleibstyphus und seine Be¬
kämpfung. (Deutsche Viertelj. f. öff. Ges., Bd. XXXVI, Heft 4.)
Die gemeinsame Arbeit ist im wesentlichen die Wiedergabe
zweier Berichte, die die Verfasser auf einer der Versammlungen
von Medizinal beamten und Vertretern der Verwaltungsbehörden
erstattet haben, wie sie seit einiger Zeit auf Veranlassung des
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Medizinal-Ministers alljährlich am Sitze der Regierungen stattfinden.
Der erste Teil bringt das Bild der jetzt vielfach im Vordergründe
<der allgemeinen Beachtung stehenden Krankheit und legt die vielen
teilweise erst seit kürzerer Zeit bekannt gewordenen Wege dar,
auf denen die Ansteckung erfolgen kann. Die Besprechung ist
so gehalten, dass sie auch dem Laien vollständig verständlich ist;
es ist möglichst alles zusammengetragen, was die Forschungen
über Wesen und Bedeutung des Typhus festgestellt haben, und
was zu beachten ist, wenn die Ursache von Erkrankungsfällen
aufgedeckt werden soll. Im herrschenden Streite [hie Koch, hie
Pettenkofer-Emmerich!] nimmt Verfasser nicht einseitig Stellung;
er glaubt, dass — namentlich für die behördliche Tätigkeit — alles
beachtet werden müsse, was an Tatsächlichem festgestellt wird;
die Bedürfnisse des täglichen Lebens müssen befriedigt werden
ohne Rücksicht auf die Frage, ob die eine Theorie oder die andere
richtig sei.
Die Wege der Ansteckung sind am eingehendsten behandelt
(92 Quellenangaben). Die Ansteckung durch Ausdünstungen und
Gase wird kurz gestreift; ausführlicher ist die Rede von der Be¬
deutung des Erdbodens (Kanalisation) und des Wassers (Wasser¬
leitungen). Es werden ferner bedeutsame Beobachtungen über sog.
„Typhushäuser“ und über die Verbreitung der Seuche durch Ge¬
brauchsgegenstände, Nahrungsmittel und Insekten angeführt. Eine
besonders ausführliche Besprechung wird aber der Übertragung
von Person zu Person zugewandt. Die Forschungen der letzten
Zeiten haben ergeben, dass übertragbare Bazillen nicht nur im
Darme Vorkommen, sondern auch im Halse, in der Lunge, in Eiter¬
herden (oft noch nach vielen Jahren) und mit dem Blute überhaupt
den ganzen Körper durchkreisen. Wie vorgenannte Flüssigkeiten,
so verdient vor allem der Harn der Kranken und Genesenden die
sorgfältigste Beachtung als Infektionsquelle. Zum Schluss erwähnt
Verfasser noch den Paratyphus kurz; eine längere besondere Be¬
sprechung wird als überflüssig bezeichnet, da diese Krankheit dem
Unterleibstyphus sowohl in ihren Ursachen und in ihrem Bilde als
auch in ihrer Übertragbarkeit und Ansteckungsfähigkeit so nahe steht,
dass im praktischen Leben kein Unterschied gemacht werden könne.
Der Abschnitt B der Arbeit betrifft ausschliesslich die Be¬
kämpfung des Typhus. Von einem in der Praxis stehenden Kreis¬
ärzte geschrieben, behandelt dieser Teil, auf den Ausführungen
des Vorredners sich auf bauend, die Bekämpfung des Typhus mit
den derzeitigen der Wissenschaft zu Gebote stehenden Mitteln, wie
es für Medizinalbeamte und Verwaltungsbehörden geboten und
möglich ist. Allenthalben tritt in den Ausführungen die Anschauung
hervor, dass das zur Zeit noch gütige Regulativ von 1835 als
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Waffe gegen den Typhus vollkommen veraltet ist, und dass die
Schaffung eines Landesgesetzes, welches zur Bekämpfung dieser
Infektionskrankheit die erforderliche Handhabe bietet, dringend
not tut. Dass die Aussichten auf das baldige Zustandekommen
eines derartigen Gesetzes durch die jüngsten Kommissionsverhand¬
lungen über den „Entwurf eines Gesetzes betreffend die Bekämpfung*
übertragbarer Krankheiten 44 günstigere geworden sind, lässt sich
nicht behaupten.
Der Abschnitt B teilt sich naturgemäss ein in die Besprechung
der Anzeigepflicht, der Ermittelung der Krankheit und der eigent¬
lichen Bekämpfungsmassnahmen.
Nach mehrfachen gerichtlichen Entscheidungen ist der Typhus-
auf Grund des Regulativs von 1835 anzeigepflichtig. Die Haupt¬
last der Anzeigepflicht wird stets auf den Schultern der Ärzte ruhen..
Zu Epidemiezeiten müssen auch die Nichtärzte auf die Verpflichtung
zur Anzeige hingewiesen und auf die auf der Vernachlässigung
dieser Pflicht stehenden Strafen aufmerksam gemacht werden. Zur
erfolgreichen Bekämpfung ist es wichtig, dass auch die typhus¬
verdächtigen Erkrankungen zur Kenntnis der Behörden gelangen..
Den Ärzten muss die Erstattung der Anzeige (durch vorgedruckte
Meldekarten) möglichst erleichtert werden. In Grenzbezirken müssen
sich die Gesundheitsbehörden jederzeit über den Stand der Typhus¬
erkrankungen auf dem Laufenden halten.
Die Ermittelung über Natur und Entstehung einer als Typhus
gemeldeten Krankheit ist in erster Linie Sache des Kreisarztes^
doch soll aus praktischen und aus kollegialen Gründen der behan¬
delnde Arzt bei der Anstellung der Ermittelungen möglichst mit
zugezogen werden. Die alten klinischen Methoden der Untersuchung,
genügen zur Feststellung einer Typhuserkrankung bei weitem nicht
in allen Fällen, es ist unbedingt notwendig, dass in zweifelhaften
Fällen das ganze bakteriologische Rüstzeug mit zu Hilfe genommen
wird. Der Nachweis von Typhusbazillen in den Ausscheidungen
des Kranken gibt einen positiven Beweis für die Natur der Krank¬
heit, der Widal hat weder im positiven noch # im negativen Sinne
eine gleiche Beweiskraft. Aufgabe des Kreisarztes ist bei den
bakteriologischen Feststellungen nur die Materialentnahme, die
Untersuchungen müssen in einem geeigneten Institute geschehen.
An die Spitze der Ermittelungen über die Entstehung der
Krankheit muss die Frage gestellt werden: Wo ist der vorher¬
gehende Typhusfall? Man kann die Art der Verbreitung des Typhus
annehmen, wie man will, immer muss ein Bazillenträger vorhanden
gewesen sein, von welchem aus auf unmittelbarem oder mittel¬
barem Wege eine Krankheitsübertragung auf die jetzt Erkrankten^
stattgefunden hat. Verfasser steht auf dem Standpunkt, dass man
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bei den Ermittelungen keinen der Wege, auf denen sich Typhus
überhaupt verbreiten kann, aus dem Auge lassen darf, dass man
auf Kosten der Kontaktinfektion nicht die Übertragung durch
Wasser, Erdboden. Nahrungsmittel u. 8. w. vernachlässigen darf.
Explosivepidemien sind wohl meistens Wasser- oder Nahrungs-
mittelepidemien, schleichende Epidemien haben wohl meist Kontakt¬
infektionen zur Ursache, im Laufe der Epidemie kombinieren sich
die Arten der Übertragung.
Die sanitätspolizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung des
Typhus sind einzuteilen in a) prophylaktische, b) solche, die bei
aufgetretenem Typhus ergriffen werden müssen. Die ersteren, gleich¬
sam zu Friedenszeiten zu treffenden, bestehen in der Schaffung
einwandfreier Wasserversorgungsanlagen, am besten zentraler Wasser¬
leitungen, in der Bodenreinhaltung, in der Assanierung ungesunder
Wohnungsverhältnisse und in der Überwachung des Verkehrs mit
Nahrungs- und Genussmitteln, insbesondere mit Milch. Wichtig
ist die Bereitstellung geeigneter Krankenunterbringungsräume schon
zu seuchefreien Zeiten, die Errichtung von Desinfektionsanstalten
und die Regelung des Desinfektionswesens. Bei der Bekämpfung
des ausgebrochenen Typhus ist in erster Linie die Verbreitung
der Typhuskeime von dem erkrankten Individuum aus zu ver¬
hindern. Die Kranken müssen streng isoliert werden, womöglich im
Krankenhause. Notwendig erscheint die Isolierung im Kranken¬
hause bei dem Auftreten des Typhus in Lebensmittelhandlungen,
in Molkereien, bei Wasserleitungsangestellten u. dgl. Auch in den
Krankenhäusern müssen die Typhuskranken isoliert werden. Die
von dem Kranken ausgeschiedenen Typhuskeime müssen in mög¬
lichster Nähe desselben vernichtet werden; fortlaufende Desinfektion,
ohne diese ist die Schlussdesinfektion wertlos. Desinfiziert werden
müssen alle Entleerungen des Kranken (Stuhl, Urin, Eiter, Er¬
brochenes, Auswurf), alles, was mit ihm in Berührung gekommen
ist (Badewasser, Speisereste, Kleidungsstücke, Wäsche u. s. w.).
Die Pfleger müssen durch sorgfältige Schutzmassregeln sich davor
hüten, der Verbreitung der Krankheit Vorschub zu leisten, eine
in dieser Hinsicht nachlässige Pflege ist oft geradezu gesundheits¬
gefährlich. Wegen des noch spät andauernden Auftretens von
Typhusbazillen im Urin empfiehlt es sich, den anscheinend bereits
geheilten Kranken noch wochenlang täglich Urotropin einnehmen
zu lassen. Die Schlussdesinfektion kann nur richtig durch aus¬
gebildete Desinfektoren ausgeführt werden.
Ausser den Kranken müssen auch die krankheitsverdächtigen
und ansteckungsverdächtigen Personen berücksichtigt werden, bei
ersteren muss die Diagnose möglichst schnell auf bakteriologischem
Wege geklärt werden, über letztere muss bis zum Ablauf der
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Inkubationszeitfrist nach der möglichen Ansteckung eine polizei¬
liche Aufsicht geführt werden. Des weiteren werden noch die
Massnahmen besprochen bezüglich des Transports von Typhus¬
kränken und der Behandlung der Typhusleichen.
Neben den mehr die Person des Erkrankten betreffenden
Massnahmen müssen natürlich etwaige schlechte hygienische Ver¬
hältnisse, welche zur Ausbreitung des Typhus geführt haben,
z. B. infizierte Wasserläufe, Brunnen, Leitungen, schleunigst unschäd¬
lich gemacht, bezw. beseitigt werden. Der Wasserversorgung und
der Beseitigung der Abfallstoffe muss zu Epidemiezeiten die grösste
Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Behandlung und Auf¬
bewahrung, sowie der Vertrieb von Gegenständen, welche geeignet
sind, die Krankheit zu verbreiten, müssen überwacht werden,
grössere Menschenansammlungen sind zu verbieten oder zu be¬
schränken. Ob die Schulen geschlossen werden, oder ob die Kinder
aus infizierten Familien vom Schulbesuche ferngehalten werden
sollen, wird von der Lage des einzelnen Falles abhängen. Über¬
haupt ist bei Ausbruch des Typhus allen gesundheitlichen Ver¬
hältnissen des befallenen Ortes ein scharfes Augenmerk zu widmen,
die Einzelheiten hier aufzuzählen, würde zu weit führen. Gesund¬
heitskommissionen und Ortspolizeibehörden müssen zur Unterstützung
der Medizinalbeamten bei Typhusepideraien kräftig mit herangezogen
werden. Es empfiehlt sich bei drohender Typhusausbreitung das
vom K. Gesundheitsamte herausgegebene „Typhus-Merkblatt“ mög¬
lichst zu verbreiten, insbesondere dasselbe allen Haushaltungsvor¬
ständen zuzustellen. Schlechtendal (Aachen).
Pistor, Die Verbreitung des Typhus in Preussen während des Jahr¬
zehnts 1892—1901 nebst Bemerkungen über Entstehung, Verbreitung
und Bekämpfung der Krankheit. [Nach einem am 13. Mai 1904 in Lon¬
don gehaltenen Vortrage.] (D. V. f. ö. G., 36. Bd., 4. H.)
Verfasser definiert zunächst den im Laufe der Zeiten ein¬
geengteren Begriff des Typhus und gibt an der Hand einer Karte
und mehrerer Tabellen eine Übersicht über das Auftreten des
Typhus in Preussen während der Jahre 1892—1901. Das stärkere
oder schwächere Befallenwerden der einzelnen Regierungsbezirke
erweist sich hiernach ganz unabhängig von der klimatischen Lage.
Für die auffällige Verschiedenheit der Häufigkeit des Typhus in
dicht an einander stossenden Bezirken gibt Verf. wohl mit Recht
als Ursache an, dass die Anmeldungen des Typhus ungleich er¬
folgen. Die Hauptursache für das stärkere oder geringere Befallen¬
sein eines Bezirkes erblickt er aber, abgesehen von der einwands¬
frei nachgewiesenen Wasserepidemie in Gelsenkirchen, in der ver¬
schieden grossen Wohnungsdichtigkeit, dem verschieden entwickelten
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144
Sinn für Reinlichkeit und in den z. T. noch rückständigen Anlagen
zur unschädlichen Beseitigung der menschlichen Abfallstoffe.
Er erläutert sodann eingehend die Kochschen Ansichten über
die Entstehung und Verbreitung des Typhus durch Kontaktinfektion
und den auf dieser Annahme aufgebauten Bekämpfungsplan der
frühzeitigen Ermittlung und Isolierung der Typhusträger. Verf.
kann aber nicht umhin zu erklären, dass ihm für die Bekämpfung
des Typhus die allgemeine Assanierung der Ortschaften einen nach¬
haltigeren Erfolg zu versprechen scheint und diese allgemeine
Assanierung jedenfalls erst die Grundlage für das von Koch vor¬
geschlagene Verfahren der Ausrottung und Beschränkung bilden
müsse. Nauck (Hattingen).
Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen
Bücher etc.
Baker, Henry B. M. D., The relation of preventable disease to Taxation.
Boschem, Gustav, Neues über das Wesen der Schwindsucht und deren
Heilung. Erdmannsdorf im Rsgb. Preis 50 Pfg.
Brandeis, Dr. A., Beiträge zur Erziehungshygiene 1905. Prag, G. Neu¬
gebauer. Preis 80 Pfg.
Braun, Dr. H., Erste Hilfe bei Kinderkrankheiten. Die wichtigsten
Kinderkrankheiten und deren Behandlung (in alphabetischer Reihen¬
folge). Pilsen, Volksschriften-Verlag. Preis 1,25 Mk.
Brennecke, Dr., Reform des Hebammenwesens oder Reform der ge¬
burtshilflichen Ordnung? Magdeburg 1904. Fabel*. Preis 2,— Mk.
Descriptive notes on the Exhibit of Burroughs Wellcome & Co. at the
St. Louis’ Exposition 1904. London.
v. Domitro vich, Armin, Regeneration des physischen Bestandes der Na¬
tion. Leipzig 1905. Georg Wigand. Preis 1,50 Mk.
Gesundheit, Die, ihre Erhaltung, ihre Störungen, ihre Wiederherstellung.
Ein Hausbuch. Herausg. v. Prof. Dr. R. Kossmann und Dr. J. Weiss.
Stuttgart, Union, Deutsche Verlagsgesellsch. Lfg. 1. 2. Preis k 40 Pfg.
Haase, Dr. Hugo, Gesundheitswidrige Wohnungen und deren Begut¬
achtung vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege und
mit Berücksichtigung der deutschen Reichs- und preussischen Landes¬
gesetzgebung. Berlin 1905. Julius Springer. Preis 1,60 Mk.
Heepke, Wilhelm, Die Leichen Verbrennungsanstalten (die Krematorien).
Halle a. d. S. Karl Marhold. Preis 2,40 Mk.
Hesse, R., Abstammungslehre u. Darwinismus. 2. Aufl. Leipzig, B. G.
Teubner. Preis 1,— Mk.
Hoennicke, Dr. Ernst, Über das Wesen der Osteomalacie und seine
therapeutischen Konsequenzen. Ein Beitrag zur Lehre von den
Krankheiten der Schilddrüse. Halle, Karl Marhold. Preis 2,— Mk.
Kamen, Dr. L., Die Infektionskrankheiten rücksichtlich ihrer Verbreitung,
Verhütung und Bekämpfung. Kurzgefasstes Lehrbuch für Militärärzte^
Sanitätsbeamte und Studierende der Medizin. Mit etwa 60 Abb. und
5 Tafeln. Wien 1905. J. Safar. Lfg. 1. Preis 1,50 Mk.
Kempf, Egbert, Die natürliche Haut- und Haarpflege als einzig wirk¬
sames Mittel zur Erhaltung der Haare und eines gesunden Haarbodens.
Heimdall 1904. Deutsch-völkisch-sozialer Verlag Stuttgart.
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145
Kirstein, Di\ F., Leitfaden für Desinfektoren in Frage und Antwort.
2. Aufl. Berlin. Julius Springer. Preis 1,40 Mk.
Kisten mach er. H., Erfahrungen und Gedanken eines Diabetikers über
die Beziehungen zwischen Neurasthenie, Zuckerkrankheit und Gicht.
Ein Beitrag zur Aufklärung f. Leidensgenossen. Berlin, Friedrich
Schirmer.
Kranken -Journ al mit Honorarkontrolle nebst Verzeichnis der Kur- u.
Badeorte etc. Berlin, Emil Billig Nachf.
Lahmann, Dr. H., Die Kohlensftureansammlung in utiserem Körper
(Carbonacidaeraie und Carbonacidose). Ein Beitrag zum Verständnis
des Wesens innerer Krankheiten. Stuttgart 1905. A. Zimmers Verlag.
Lesser Prof. Dr. E., Über die Verhütung und Bekämpfung der Geschlechts-
Krankheiten. Vortrag aus dem von dem Zentralkomitee für das ärztl.
Fortbildungswesen in Preussen veranstalteten Zyklus „Volksseuchen“,
geh. am 16. Okt. 1903. Jena 1904. Gustav Fischer. Preis 60 Pfg.
v. Lignitz, Zur Hygiene des Krieges. Nach den Erfahrungen der letzten
grossen Kriege. Berlin 1905. E. S. Mittler & S. Preis 1,60 Mk.
Manchot, Dr. C., Die Milchküche der St.-Gertrud-Gemeindepflege in
Hamburg 1889—1904. Erfahrungen und Ergebnisse auf dem Gebiete
der Säuglings-Ernährung. Hamburg 1905. C. Boysen. Preis 1,— Mk.
Martin, Dr. Max, Die Anästhesie in der ärzlichen Praxis. München 1905.
J. F. Lehmann. Preis 1,— Mk.
Melun, Dr., Der Einfluss des Gonosaus in der Behandlung der Gonorrhoe.
Report of the Board of Health on a third outbreak of plague at Sydney
1903. By J. Ashburton Thompson M. D.
Sperling, Dr. A., Gesundheit und Lebensglück. Ärztlicher Ratgeber
für Gesunde und Kranke. M. 374 III. u. 4 färb. Tafeln. Berlin 1904.
Ullstein & Co.
Teleky, Dr. L., Die Anzeigeptlicht bei Influenza. Wien 1905. W. Braumüller.
— Über neue Vorkehrungen zur Bekämpfung der Tuberkulose. Wien
1904. Wilhelm Braumüller.
— Die Kohlenablader der K. K. Kaiser-Ferdinands-Nordbahngesellschaft.
Leipzig F. C. W. Vogel.
Wegener, Hugo, Was ists mit dem Alkohol? Heimdall. Deutsch-völ¬
kisch-sozialer Verlag. Stuttgart 1905.
Weiss, Dr. E., Militär-und Volkshygiene. Nach einem auf der 76. Natur¬
forscher-Versammlung gehaltenen Vortrage. Halle a. d. S. 1905.
Karl Marhold. Preis 50 Pfg.
The Wellcome Chemical Research Laboratories London Exhibit at the
St. Louis exposition 1904.
The Wellcome Physiological Research Laboratories London.
Weygandt, W., Beitrag zur Lehre von den psychischen Epidemien.
Halle 1905. Karl Marhold. Preis 2,50 Mk.
NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt und Referate darüber, soweit der be¬
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufaahme des ausführlichen Titels,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
Einsendern genügen. Dje VerlaflShandlung.
9*
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Ingeratenanhang.
Centralölatt für allgemeine öesuMlieitsDflege, XXIV. Jahrgang, Heft 3 uwl 4.
—- Im Erscheinen befindet sich: =
Sechste, gänzlich neubearbeitete
und vermehrte Auflage. ^
Meyers
Grosses Konversations-
I Lexikon.
|| Ein Nachschlagewerk des
I = allgemeinen Wissens.
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Säuglingssterblichkeit und ihre Bekämpfung.
Ein Beitrag* von
Dr. Schlegtendal,
Regierungs- und Medi/.inalrat in Aachen.
Die Säuglingssterblichkeit hat endlich begonnen, in weiteren
Kreisen die Aufmerksamkeit zu finden, die ihr schon längst hätte
zukommen sollen. Angesichts der ganz ausserordentlichen Ziffern,
die wir auf diesem Gebiete Jahr für Jahr zu verzeichnen haben,
angesichts der ungewöhnlich hohen Verluste an Menschenleben, die
der Volkskraft alljährlich zustossen, angesicht auch der verhältnis¬
mässig recht ungünstigen, um nicht zu sagen: unrühmlichen
Stellung, die Preussen hierin im Vergleich zu vielen anderen Kultur¬
staaten einnimmt, hätte es nicht wundernehmen können, wenn sich
die Allgemeinheit dieser ernsten Frage des Volkswohles schon früher
zugewandt hätte. Ganz unbegreiflich ist es wieder auch nicht,
dass es noch nicht geschah, wenn man bedenkt, was auf dem
Gebiete des öffentlichen Gesundheitswesens überhaupt zu bewältigen
war, und wenn man erwägt, wie gross die Aufgaben sind, die
bereits gelöst sind oder der Lösung bestimmt entgegensehen, und
welche Unsummen entweder bereits verausgabt oder doch schon
festgelegt worden sind für Wasserversorgungsanlagen, Abwässer¬
regelungen, Krankenanstalten, Schlachthäuser, Badeanstalten und
alle die vielen anderen Änderungen und neuen Einrichtungen des
Staates, der Gemeinden usw., die der Verbesserung der gesund¬
heitlichen Verhältnisse dienen sollen. Vielleicht ist es ja auch gut,
dass diese Aufgaben erst einmal vorgegangen sind und inzwischen
einen gewissen Abschluss gefunden haben. Vielfach sind diese Ver¬
anstaltungen schon fertig gestellt und sie sind damit als noch zu
erstrebendes Ziel in Wegfall gekommen; der Ausblick ist für neue
Ziele wieder frei geworden. Vielerorts ist man zwar noch lange
nicht so weit; aber auch hier betrachtet man die Anlage etwa einer
zentralen Wasserleitung nicht mehr als eine unerhörte Zumutung,
sondern schon als etwas beinahe selbstverständliches, und es fragt
sich nur noch, wann und wie soll sie erreicht werden; auch hier
Centralblatt f allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jabrg. 10
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würden also Massnahmen zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit,
selbst wenn sie Opfer erfordern, nicht auf so viel Widerstreben
und nicht so leicht auf Ablehnung stossen, wie es vielleicht noch
vor einiger Zeit zu befürchten gewesen wäre. Mag diese Erwägung
auch nicht überall zutreffen, so möchte doch etwas wahres daran
sein, und dann könnten wir etwas tröstliches darin finden, dass
diese neue Frage erst jetzt ihr Haupt erhebt, wenn auch inzwischen
wieder so viele Tausende von Kindesleben, die wohl hätten gerettet
werden können, dem Tode verfallen sind.
Es hat sich also die allgemeine Aufmerksamkeit dieser Frage
zuzuwenden begonnen. Soll man sich dabei schon beruhigen? Die
Antwort ist schnell gefunden, wenn man sieht, wie gross und um¬
fassend einerseits die Aufgaben sind, die hier nach Erledigung und
Befriedigung schreien, und wie klein oder wie begrenzt im besten
Falle andererseits die Bemühungen, ihrer Herr zu werden, bisher
sind, wie stark noch die Zweifel und Bedenken sind, die einem
tatenfrohen Angreifen und Handeln entgegenstehen, und wie weit
doch auch heute noch die Kreise sind, die bisher von dem Rufe
der Vorkämpfer nichts gehört haben oder sich davon doch nicht
haben rühren und wecken lassen. Diese Zeilen möchten dazu bei¬
tragen, das Verständnis dafür zu wecken oder zu beleben, dass hier
in der Tat Notstände vorliegen, die ungemein betrübender Art sind,
und dass, wenn irgendwo, so hier jetzt Abhülfe zu schaffen dringend
geboten ist; es soll aber auch gezeigt werden, wie es Mittel gibt,
die brauchbar sind, und Wege, die gangbar sind, Wege, die auch
schon begangen werden, und Mittel, die sich bereits als gut bewährt
haben.
Die nachfolgenden Tabellen sind nach den Angaben des Königl.
Statistischen Bureaus zusammengestellt, wie sie in dem Jahrbuche
dieses Amtes und in den verschiedenen Bänden, die das Medizinal¬
ministerium über „Das Gesundheitswesen des Preussischen Staates“
herausgegeben hat, aufgeführt sind. Sie erheben nichts weniger
als den Anspruch auf Vollständigkeit; sie sollen nur als Beitrag
dienen. In der Hauptsache beschränken sie sich deshalb auch auf
hiesige Verhältnisse. An der Hand der genannten Werke ist es
leicht, sich darüber zu vergewissern, wie es anderwärts darum steht,
und was dort zur Besserung geschehen müsste.
Aus Tabelle 1 ergibt sich, dass die Summe der im ersten Lebens¬
jahre gestorbenen Kinder für Preussen in den Jahren von 1895 bis
1902 nicht weniger als 1934041 betragen hat! Wenn man nach
den Erfahrungen, die in anderen Ländern gemacht worden sind,
annehmen darf, dass auf diesem Gebiete wirklich etwas zu erreichen
ist, so zeigt diese Ziffer, ein wie breites Feld es ist, das hier der
Einengung bedarf und ihrer harrt. In Tabelle 5 sind u. a. dieselben
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149
Ziffern für die Stadt Aachen zusammengezogen ; sie erreichen in
15 Jahren die Höhe von 15284! Die Sterblichkeit der Kinder ist
hier stets anerkanntermassen gross gewesen; auf 1000 Lebende
gleichen Alters berechnet, betrug sie in den 15 Jahren durch¬
schnittlich etwa 330; wenn es, was nach den Ziffern anderer Gross-
stftdte erreichbar erscheint, gelingen sollte, diese Ziffer zunächst
erst einmal bis auf durchschnittlich 200 herabzudrttcken, so würde
dies für die Stadt gegen frühere Zeiten einen Gewinn von jährlich
3—400 Seelen bedeuten. Das Ziel muss selbstverständlich aber
eine noch viel geringere Durchschnittsziffer sein.
Tab 1
Es starben in Preussen
über¬
haupt
im
1, Lebens¬
jahre
d. i. v.H.
1895
689 629
247 138
35,8
1896
666 677
226 842
34,0
1897
682 868
244 463
35,8
1898
665 018
235 529
35,4
1899
720 581
250163
34,7
1900
745 423
262 550
35,2
1901
713 673
251 695
35,3
1902
677 293
215 661
31,8
In 8 Jahren
5 561 162
| 1934041
34,8
Die Tabellen gewähren weiterhin eine Reihe bemerkenswerter
Verhältni8ziffern. In ganz geringen Schwankungen bewegen sich
die Ziffern der letzten Reihe in Tabelle 1 um die Endziffern 34,8;
es entfällt also von sämtlichen Todesfällen der Monarchie bisher
mehr als ein Drittel auf das erste Lebensjahr! Eine wesentliche
Besserung ist in dieser Reihe auch nicht erkennbar; es bleibt zwar
das Jahr 1902 erheblich unter dem Durchschnitt; wir haben aber
Grund, dieses Jahr als eine eigentümliche Ausnahme anzusprechen,
es ergibt sich dies z. B. auch aus den Ziffern der Tabelle 2, wo
die Zahlen 1902 ungewöhnlich tief stehen, 1903 aber ihre alte Höhe
schon wieder ganz oder doch beinahe erreichen. Dasselbe zeigt
auch Tabelle 3; sie lässt insbesondere auch erkennen, wie stark die
Ziffern der Säuglingssterblichkeit auf andere Zahlen einwirken. EU
ist naheliegend, dass es für die Ziffer der allgemeinen Sterblichkeit
von grossem Einflüsse sein würde, wenn die Zahl der Todesfälle,
die bisher mehr als Vs ausmachten, abnähme und gar dauernd
niedrig bliebe. Es müsste sich dies aber auch bemerkbar machen
in dem Durchschnittsalter der Gestorbenen: wenn unter ihnen bisher
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150
34,8 v. H. nur 0—1 Jahr alt waren, so musste dieses Drittel die
Durchschnittsziffer stark herunterziehen; fiele aber die Zahl er¬
heblich unter 34 v. H., wären also verhältnismässig derer mehr,
die bei ihrem Tode älter als ein Jahr sind, so müsste die Ziffer
des Durchschnittsalters der Gestorbenen steigen. Dies ist 1902
tatsächlich der Fall gewesen; in Tabelle 3 letzte Reihe war die
Tab. 2.
Säuglingssterblichkeit in Preussen.
Es starben von 1000 Lebendgeborenen
im 1. Lebensjahre:
Jahrfünft j
Ehelich 1
Unehelich
bez. Jahr ,
Stadt | Land
Stadt | Land
187b—80
211
183
403
312
1881-85
211
186
398
319
1886-90
210
187
395
332
1891—95
203
187
385
336
1896-1900!
195
185
374
336
1901
195
183
377
334
1902
162
162
305
287
1903
183
184
342
i
332
Tab. 3.
Das Durchschnittsalter aller Gestorbenen
in Preussen hat betragen:
Jahrfünft j
bez. Jahr
t Nach Jahren
jmännl.| weibl.
Vergl. Säuglingssterblichkeit
l für Stadt und ehelich
1876-80
25,4
i
27,1 ,
j 211
1881-85
25,9
27,7 1
i 2ii
1886- 90
26,0
28,3
210
1891-95
26,5
29,4 1
203
1896—1900
27,3
30,0
195
1901
27,0
29,8
195
1902
29,2
32,1
162
1903
28,0
30,8
183
langsam abnehmende Ziffer von 195 plötzlich um 33 gefallen (vergl;
auch Tabelle 2 hierzu), um 1903 sofort wieder um 21 zu steigen;
diesem einmaligen Fallen hier entspricht ein einmaliges, ganz ausser?
gewöhnliches Emporschnellen in den vorderen Reihen (27 auf 29,2
und 29,8 auf 32,1); schon das nächste Jahr mit der wieder
grösseren Säuglingssterblichkeit lässt das Durchschnittsalter ent¬
sprechend sinken.
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Die Tabelle 2 lässt weiterhin erkennen, wie verschieden sich
die Verhältnisse 1. zwischen ehelichen und unehelichen Kindern und
2. zwischen solchen der „Stadt“ und des „Landes“ gestalten. Die
vielfach schon festgestellte und verwertete Bemerkung bestätigt sich
auch aus diesen, meistens grösseren Zeiträumen entsprechenden
Ziffern: die unehelichen Kinder, die bei den Totgeburten bereits
so ungünstig dastehen, haben auch noch im ersten Lebensjahre eine
fast doppelt so hohe Sterblichkeit wie die ehelichen. Diese hier
für „Preussen“ geltenden Ziffern sind in einzelnen Gebietsteilen
verhältnismässig noch ungünstiger. Recht belehrend ist weiterhin
der Blick auf die Zifferreihen für „Stadt“ einer- und „Land“ anderer¬
seits. Die Stadtkinder haben vor 25 Jahren, ja noch vor zehn Jahren,
eine recht viel höhere Sterblichkeit als die Landkinder; wenn auch
die Ziffern in den einzelnen Jahrfünften schwanken, so bleibt doch
stets ein Unterschied von x / 6 bis Vs zu Ungunsten der ersteren.
Allmählich verschiebt sich dieses Verhältnis, und zwar sind, bis zum
Jahre 1900 wenigstens, beide Teile au dieser Verschiebung beteiligt:
die Ziffern auf dem Lande werden grösser, die der Stadt dagegen
kleiner, und diese Bewegung erstreckt sich sowohl auf die ehelichen
als auch auf die unehelichen Kinder. Mit der Wende des Jahr¬
hunderts etwa tritt hierin teilweise ein Umschwung ein: während
die Sterblichkeit in der Stadt auch weiter nachlässt, ja sogar sehr
erheblich geringer wird, selbst wenn man die Ziffern des Jahres
1902 als Ausnahme nicht voll anrechnen wollte, werden nunmehr
auch die Sterbeverhältnisse der Säuglinge auf dem Lande wieder
günstiger. Durch diese anhaltende Verbesserung in der „Stadt“
sind die beiden Reihen mit 183 und 184 ganz und mit 342 und
332 beinahe in gleiche Höhe gekommen. Die stete allgemeine
Abnahme der Ziffern berechtigt jedenfalls zur Hoffnung auf weitere
Erfolge, namentlich wenn sich die allgemeinen Bestrebungen diesem
Gebiete noch mehr zugewandt haben werden.
Die Tabelle 4 leitet zu den begrenzteren Fragen des hiesigen
Regierungsbezirkes Aachen und weiterhin zu den Verhältnissen, wie
sie in der Stadt Aachen herrschen, über. Die Ziffern des ganzen
Bezirks stehen denen des Staates ziemlich nahe; sie unterscheiden
sich von ihnen aber merklich dadurch, dass sie in den angeführten
25 Jahren eine unverkennbare Neigung zeigen, stetig zu steigen!
Es findet sich dies gleicherweise bei den ehelichen und den un¬
ehelichen Kindern. Während der Durchschnitt mit 193 anfangs
unter dem des Staates (206) lag, übersteigt er ihn im letzten Jahr¬
zehnt nicht unbeträchtlich (210 gegen 203). Die höhere Sterblichkeit
ist auch im Bezirke Aachen in der „Stadt“ zu suchen: in der ein¬
zigen grösseren d. i. über 100000 Einwohner zählenden Stadt ist
sie jedesmal mindestens um J / 4 höher als im Bezirk überhaupt.
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152
Beide sind aber keineswegs von einander vollständig abhängig;
denn während der Bezirk ein fortwährendes Steigen erkennen lässt,
sind die Ziffern der Stadt Aachen nur in der mittleren Zeitspanne
höher, in der letzten dagegen — von den verhältnismässig wenigen
unehelichen Kindern abgesehen — wieder niedriger. Es dürfte dies
wohl damit Zusammenhängen, dass die Unsitte, nicht mehr selbst
zu stillen, allmählich weitere Kreise und auch solche Ortschaften
erreicht und ergriffen hat, die in der Statistik unter „Land“ fallen*
Tab. 4.
Es starben von 1000 Lebendgeborenen im 1. Lebensjahre:
Jahrfünft
bez. Jahrzehnt
überhaupt
| ehelich
I
unehelich
!
a) in Preussen j
1875-80
,
206,0
194,0
353,1
|
1881-90
207,6
194,8
354,7
1891-1900
203,2
190,6
355,8
1
b) im Reg.-Bez.
1875-80
! 193
| 189
385
Aachen 1
1 1881-90 ,
204
1 199
393
| 1891-1900
J 210
205
405
c) in der Stadt j
1875-80 1
256
245
544
Aachen
1881-90
262
251
514
i
1891-1900
i !
256
245
i
465
i
Die Verhältnisse in der Stadt Aachen sind bis vor kurzem
vergleichsweise wenig günstig gewesen. In Tabelle 5 sind ver¬
schiedene Zahlenreihen aufgeftihrt, die dies erkennen lassen. Die
Reiben vier und fünf geben die allgemeine Sterblichkeit wieder.
Wenn die Zahl der Sterbefälle stetig gestiegen ist, so wird dies durch
die wachsende Einwohnerzahl genügend erklärt. Ihre Zunahme ist
aber der letzteren nicht gleichmässig gefolgt; sie ist vielmehr ver¬
hältnismässig gering geblieben. Die Sterblichkeitsziffer ist sogar
in erfreulichem Masse gefallen ; betrug sie vor 20—30 Jahren rund 28
auf 1000, so beläuft sie sich in den letzten Jahren vor 1903 nur
mehr auf rund 21; sie ist also um 25 v. H. gefallen. Diese Ab¬
nahme ist in ruhiger Weise erfolgt; die Jahresschwankungen, die
in schematischer Darstellung eine Zickzacklinie ergeben würden,
sind unbeträchtlich. Die Ziffern für 1903 und 1904 finden unten
noch eine besondere Erwähnung.
Die Reihen zwei und drei der Tabelle 5 befassen sich nur
mit der Säuglingssterblichkeit. Die Verhältuiszahlen sind nicht un¬
mittelbar vergleichbar mit denen der Tabelle 4, denn sie geben daa
Verhältnis der im 1. Lebensjahre gestorbenen zu den am 1. Januar
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153
des hctrcffemlen Jahres lebenden Säuglingen, — nicht wie in Tab. 4
zu den im Laufe des Jahres geborenen. Durchschnittlich ergibt
sich für die Jahre 1891—1900 nach Tab. 5 eine Säuglingssterblich¬
keit von 343 °/ 00 gegen 256 °/ 00 nach Tab. 4. Erfreulicherweise
fallen aber die Ziffern wie die der allgemeinen Sterblichkeit seit 1897
und zwar noch beständiger; seit 1900 ist die Ziffer nicht wieder
über 300 hinausgegangen und sogar 1903 auf 217,3 gesunken 1 ).
Die kühlen Sommer der Jahre 1902 und 1903 werden wohl an der
Besserung einen Anteil haben. Im heissen Jahre 1904 ist aber, wie
Tab. 5.
Säuglingssterblichkeit in der Stadt Aachen.
Jahr
Säug
über¬
haupt
Sterblichkeit
lfnge j|im allgf
auf über-
1000 haupt
imeinen
auf
1000
In d.l
deren
An¬
zahl
Reihe d. Grosstädte
bezüglich
Säug- allge-
lings- meiner
Sterblichkeit
1876
813
320,3
2J62
27,2
16
8
11
1881
866
335,2
2479
2b,9
n
6
4
1886
1143
401,9
2773
28,9
«
3
2
1891
1019
346,0
2480
23,9
V
6
8
1892
999
312,7
2482
23,6
r>
5
7
1893
1133
362,4
276«
26,0
„
3
6
1894 j
880
293,5
2423
22,6
„
6
8
1895
1202
420,3
! 2626
23,2
18
2
5
1896
935
326.9
2454
24,1
n
5
4
1897
1117
390,6
2734
25,0
V
3
5
1898
1124
351,5
2639
21,4
22
4
6
1899
1103
327,6
2988
23,0
n
5
5
1900 j
1044
295,3
1 2877
21,3
i»
10
9
1901
1002 ;
270,6
2739
20,2
i n
12
10
1902
904
233,5
2902
20,7
| 24
5
5
1903
ii
827
217,3
2423
17,4
1 25
13
13
wir hören *), auch nur eine mässige Steigerung eingetreten. Die
Zahlenreihe für die Säuglingssterblichkeit verläuft übrigens sehr un¬
regelmässig; die einzelnen Sprünge nach unten und nach oben sind
1) Entsprechend 192 Todesfällen auf 1000 Geburten. Es ist also 1903
kaum noch der fünfte, statt wie im Durchschnitt der Jahre 1891—1900 der
vierte Teil der Geborenen im Säuglingsalter gestorben.
2) Nach freundlicher Mitteilung des Herrn Dr. Mendelson, Direktors
des hiesigen statistischen Bureaus, sind 1904 202, also nur wenig mehr als
1903, auf 1000 Geburten gestorben. Die allgemeine Sterblichkeit betrug
17,0, zeigte also eine weitere Besserung.
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154
grösser als bei der allgemeinen Sterblichkeit. Die Ziffer 293 war z. B.
schon einmal, im Jahre 1894, erreicht; sie ist dort aber eingeschlossen
von zwei hohen Gipfeln: 362,4 im Jahre 1893 lind 420,3 im Jahre
1896! Bis 1897 ist überhaupt, wie schon zu Tabelle 4c erwähnt,
eine Neigung zum Steigen vorhanden gewesen; abgesehen von ge¬
legentlichen Sprüngen erhöhte sich die Ziffer von 320 bis auf 390,
und erst seitdem ist es besser geworden.
Es hätte nahegelegen, die für die Stadt Aachen geltenden
Ziffern mit denen anderer grosser Städte zu vergleichen. Um die
Sache einfacher zu gestalten, sind hier aber nur insofern Vergleichs¬
ziffern angegeben worden, als in den letzten zwei Reihen der
Tabelle 5 vermerkt ist, die wievielste unter den 16—25 Gross¬
städten Aachen in den einzelnen 16 Jahren gewesen ist, je nachdem
ob die allgemeine oder die Säuglingssterblichkeit in Betracht gezogen
wurde. Die Jahresangaben bringen ein ungemein wechselndes Bild.
Am günstigsten sind die Jahre 1876, 1901 und 1903, sowohl für
die allgemeine Sterblichkeit, indem hier Aachen erst an elfter
Stelle unter 16 bezw. an zehnter Stelle unter 22, oder an drei¬
zehnter Stelle unter 25 Städten steht, als auch für die Säuglings¬
sterblichkeit, worin Aachen unter 16 Städten erst den achten bezw.
unter 22 den zwölften Platz und schliesslich unter 25 den dreizehnten
Platz einnahm. Der Durchschnitt ist ganz erheblich ungünstiger,
und zwar erstreckt sich dies bemerkenswerter Weise auch auf das
sonst so günstig dastehende Ausnahmejahr 1902! Nähmen wir als
Zeichen einer verhältnismässig besonders ungünstigen Sterblichkeit
an, wenn sich Aachen in dem an Säuglingstodesfallen reichsten
„Drittel“ der Grosstädte befände, so würde es unter diesen 16 Fällen
9 mal zu nennen sein; in der oberen „Hälfte“ ist es 14mal gewesen,
und nur zweimal (1901 und 1903) findet es sich genau oder fast
genau in der Mitte. Wenn sich die Tafeln im Centralblatt für all¬
gemeine Gesundheitspflege (21.Jahrg. 1902), wonach der Stadtkreis
Aachen für die ehelichen Kinder die grösste und für die unehelichen
Säuglinge mit die grösste Sterblichkeit von allen Kreisen der Pro¬
vinzen Rheinprovinz und Westfalen aufweist, auf Ziffermaterial
gründen, das nur bis 1890 reicht, so können auch die Verhältnisse
von 1891 bis 1901 nicht als wesentlich erfreulicher bezeichnet wer¬
den. Hoffen wir, dass der Ansatz zum Besseren, der in den aller¬
letzten Jahren gemacht zu sein scheint, nicht ein Zufallsergebnis ist.
Diese Angaben dürften ausreichen, um die Notwendigkeit um¬
fassender und baldiger Massnahmen begründet erscheinen zu lassen.
Baldig sollen diese sein, weil es in keiner Weise zu rechtfertigen
sein dürfte, so grosse Opfer an rettbaren und erhaltbaren Menschen¬
leben dahinschwinden zu sehen und mit verschränkten Armen dabei
zu stehen; umfassend aber müssen sie ferner sein, weil es ein
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155
ungemein verbreitetes Übel ist, mit dem wir hier zu tun haben, und
weil andere als grosse und tiefgreifende Massnahmen kaum einen
Erfolg erwarten lassen; umfassend können die erforderlichen Mass-
regeln aber auch deshalb genannt werden, weil der Kampf auf den
verschiedensten Gebieten eingesetzt werden kann.
Das Erste und Wichtigste, was zum Schutze der Säuglinge
zu wünschen wäre und was deshalb auch am ernsthaftesten an¬
gestrebt werden muss, ist die Wiederherstellung des angeborenen
Rechtes auf mütterliche Nahrung, das ist, dass die Mütter wieder
selbst stillten und genügend lange stillten. Wenn auch andere Fragen,
namentlich solche des sozialen Lebens in die Ursachen der Säuglings¬
sterblichkeit hineinspielen, wenn es auch von grösstem Werte sein
würde, wenn jeder Familie, die einen Säugling hat, bezüglich der
Wohnung, der Wasserversorgung, des auskömmlichen Verdienstes,
der Badegelegenheiten, der mütterlichen Beschäftigung usw. nur das
allerbeste zur Verfügung stände, so unterliegt es doch wohl keinem
ernsthaften Zweifel, dass die Ernährung den ersten Rang einnimmt,
und dass es bezüglich der Nahrung nur zwei Hauptgruppen gibt:
Muttermilch einerseits, Ersatzmittel andrerseits. Wenn es unter den
letzteren auch wieder bessere und schlechtere gibt, so bleiben auch
die allerbesten doch nur Ersatzmittel, sie sind nichts weiter als ein
Notbehelf von ungewissem, unsicherem Werte. Wenn in Deutschland
jährlich etwa 200 000 Säuglinge anerkanntermassen an Magendarm
leiden sterben, und wenn hiervon 150000 vorher künstlich ernährt
worden waren, so bedarf es schon kaum weiterer Worte. Es besteht
aber vielfach die Vermutung, dass diese Ziffern in Wirklichkeit
noch ungünstiger seien, dass auch die anderen 200000 jährlichen
Säuglingstodesfälle zu einem grossen Teile noch auf dieselben Ur¬
sachen zurückzuführen seien, und dass es lediglich an den mangel¬
haften statistischen Unterlagen, namentlich bezüglich der zutreffenden
Todesursachen, liege, wenn dies nicht ziffermässig zu Tage trete.
Immer allgemeiner ist deshalb der Ruf laut und lauter geworden,
dass die Frauen in diesem Punkte zur Natur zurückkehren müssten.
Der Schutz, der den verheirateten Fabrikarbeiterinnen für die Zeit
des Wochenbettes zuerkannt ist, müsste noch erweitert werden, die
Frauen müssten leichteren Herzens länger zu Hause bleiben können,
um den Neugeborenen stillend gerecht zu werden und nebenbei
auch sich selbst für die neuen Arbeitszeiten besser zu erholen und
zu kräftigen. Selter und Paffenholz (Centralbl. für allg. Ges.-
Pflege 1902) fordern mit Recht, dass Behörden (Standesämter),
Ärzte, Lehrer, Geistliche, Wohltätigkeitsvereine, Frauenvereine usw.
in eine nachdrückliche Propaganda zur Förderung der natürlichen
Ernährung eintreten möchten. Die Bewegung hierfür hat glück¬
licherweise eingesetzt, aber sie steht doch erst in den Anfängen;
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156
namentlich unter den Ärzten müsste wohl noch mehr Zustimmung
geweckt werden können, um sie zu Helfern zu gewinnen.
Eine grosse Bedeutung können die Hebammen gewinnen, wenn
sie, die doch bei den allermeisten Wöchnerinnen als Veitrauens¬
personen aus- und eingehen, überzeugt für das Selbststillen einträten
und dafür sorgten, dass die Mütter nicht so bald nach Ersatz
suchten. Eine recht bedeutungsvolle Massregel ist erfreulicherweise
für die preussischen Hebammen mit der Einführung des neuen Lehr¬
buches zur Geltung gelangt: in ihrem, vom Kreisärzte jährlich nach¬
zuprüfenden Tagebuche haben sie bei jeder Wöchnerin zu ver¬
merken, ob sie selbst gestillt hat und weshalb etwa nicht. In
einigen Kreisen des hiesigen Bezirks war dies bereits seit einigen
Jahren angeordnet worden. Durch Verfügung des Regierungs¬
präsidenten vom 8. November 1902 sind die Hebammen weiterhin
angewiesen worden, in jedem Falle mit ernster Entschiedenheit
darauf zu dringen, dass die Mütter die Kinder so lange wie möglich
ausschliesslich selbst stillen; sie sollen sich ferner eigener Ratschläge
enthalten, wenn die Wöchnerin anscheinend dazu ausser Stande ist,
sie sollen daun vielmehr dahin wirken, dass ein Arzt zugezogen
werde. In Düren ist für unbemittelte und zum Selbststillen bereite
Wöchnerinnen die Einrichtung getroffen, dass ihnen vom Frauen¬
verein kräftige Nahrung aus der Vereinsktiche gewährt wird; das¬
selbe wird in Erkelenz durch die Damen des Elisabethvereins ver¬
mittelt.
Um die Mütter wieder an diese letzthin immer mehr vernach¬
lässigte Pflicht zu erinnern, sind die „Regeln für die Pflege und
Ernährung der Kinder im ersten Lebensjahre usw.“, herausgegeben
vom ,,Verein der Medizinalbeamten des Regierungsbezirks Düssel¬
dorf* ‘, und das Merkblatt „Ratschläge zur Ernährung und Pflege
der Kinder im ersten Lebensjahre“, herausgegeben vom „Vater¬
ländischen Frauenverein (Hauptverein)“ und abgedruckt in der Zeit¬
schrift „Das Rote Kreuz“ XXIII. Jahrg. S. 44, gleichinässig vor¬
züglich geeignet, da beide an erster Stelle eindringlich betonen,
dass jede Frau ihr Kind an der Brust stillen müsse. Das erstere
Blatt wird im hiesigen Bezirk bei jeder Anmeldung einer Geburt
auf dem Standesamte kostenlos verabfolgt, in einigen Gemeinden
des Landkreises Aachen ausserdem noch von den Ärzten und
Hebammen im Bedarfsfälle ausgehändigt. Das zweite Blatt ist
neuerdings durch Ministerial-Erlass sämtlichen Behörden mitgeteilt
und zur Aushändigung durch die Standesbeamten empfohlen worden.
In Düren hat der Verein, der zur Bekämpfung der Säuglingssterb¬
lichkeit zusammengetreten ist, noch ein kürzeres, auffälligeres und
eindringlicheres Druckstück zur Verteilung bei gleicher Gelegenheit
gebracht; es enthält nur drei Forderungen „an die Eltern neu-
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157
geborener Kinder“; die erste lautet: „Mütter, gebt euren neu¬
geborenen Kindern die Brust! Von Brustkindern sterben sechsmal
weniger als von solchen, die künstlich genährt sind.“
Es würde zu weit führen, wenn alles das besprochen werden
sollte, was ausserdem schon zur Bekämpfung der Säuglingssterblich¬
keit vorgeschlagen oder auch anderwärts ausgeführt worden ist.
Alles, was dem Volkswohle, insbesondere dem Wohle der minder
bemittelten Schichten der Bevölkerung dient, kommt mittelbar auch
den Säuglingen zugute; unmittelbar wirken für sie ferner die
Kinderkrippen, Versorgungs-Anstalten, Säuglingskrankenhftuser usw.,
wie sie bereits an vielen Orten bestehen oder noch erstehen sollen.
Es sei hier nur noch kurz angeführt, was in verschiedenster Art
und Weise innerhalb des Regierungsbezirkes Aachen auf die An¬
regung des Regierungs-Präsidenten vom November 1902 hin zur
Herabminderung und Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im
Laufe der letzten beiden Jahre in die Wege geleitet worden ist.
Die Massnahmen betreffen zunächst die Säuglingsernährung
durch Beschaffung guter Ersatznahrung beim Fehlen der Mutter¬
brust. Wenn es als sicher gilt, dass von allen Ersatzmitteln gute
Kuhmilch am besten ist, so besteht doch auch darüber kein Zweifel,
dass jede andere Milch, wenn sie frisch und unverdorben ist, der
etwa schon älteren und möglicherweise in Zersetzung übergehenden
Kuhmilch vorzuziehen sei. Da wo Kühe nicht gehalten werden,
oder wo keine frische Kuhmilch erhältlich ist oder sterilisierte Kuh¬
milch als zu teuer nicht gekauft werden kann, ist es die Ziege, die
der Familie und auch dem Säugling frische Milch spendet. Von
diesem Gesichtspunkt werden Ziegenzuchtvereine gegründet und aus
Mitteln des Kreises oder der Städte unterstützt; im Laufe weniger
Jahre sind tausende von Schweizer Zuchttieren in den Bezirk ein-
geftthrt und namentlich iu den Kreisen Düren, Schleiden, Erkelenz
vertrieben worden; ebenso findeu die Zuchtvereine in Gängelt und
Eschweiler Unterstützung und Förderung.
Die Beschaffung frischer Kuhmilch für Säuglinge unbemittelter
Familien ist in sehr vielen Gemeinden, in einigen Kreisen sind es
alle Gemeinden, fest beschlossen; im Bedarfsfälle wird die Lieferung
einem zuverlässigen Landwirt übertragen. Im Kreise Düren sind
ferner mehrere Gemeinden noch weiter gegangen: sie haben die
Hebammen ausdrücklich verpflichtet, im Hause der Wöchnerin die
weitere Behandlung dieser gelieferten Milch zu überwachen, für die
Reinigung der Flaschen usw. zu sorgen und somit die Vermeidung
von Schädlichkeiten nach Möglichkeit sicher zu stellen.
Den weitestgehenden Schutz geniessen die Säuglinge dort, wo
ihnen nicht nur gute und sterilisierte Milch geboten wird, sondern
wo diese Milch auch schon in erforderlichem Masse verdünnt ist
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158
und in einzelnen Fläschchen verabfolgt wird, so dass eine nachträgliche
Infektion im Hause ausgeschlossen erscheint. Derartige Kinder¬
milchanstalten sind 1904 in Malmedy und 1903 in Düren ins Leben
gerufen worden. Beiderorts ist es der Vaterländische Frauenverein,
der die Sache angeregt oder von vornherein in massgebendster
Weise unterstützt hat und dauernd durch die Beteiligung seiner
Mitglieder fördert; die städtischen Verwaltungen, ohne deren tat¬
kräftige Beihilfe die Sache schwerlich hätte ermöglicht werden
können, haben in Würdigung der grossen Bedeutung dieser Aufgabe
der Anregung sofort Folge geleistet und ihre Ausführung mit Rat
und Tat gesichert. In Malmedy ist ein städtischer Raum zur Ver¬
fügung gestellt; hier befindet sich der Sterilisierapparat von
Tirupe usw. Die Milch wird in Einzelfläschchen gefüllt, sterilisiert
und an die Abnehmer verabfolgt, grösstenteils unentgeltlich, teil¬
weise zum ganzen oder zum halben Selbstkostenpreis. Der Betrieb
liegt in den Händen barmherziger Schwestern; die Aufsicht wird
von den Damen des Vaterländischen Frauenvereins und vom Kreis¬
ärzte ausgeübt. Vom 1. Februar bis 1. Oktober sind — bei 4700
Einwohnern — im ganzen 27 Kinder unter einem Jahr mit Milch ver¬
sorgt worden; es wurden je 6—8 Fläschchen, im ganzen 1945 Por¬
tionen abgegeben. Der Erfolg war sehr gut; von den versorgten
Säuglingen ist keiner an schlimmerem Magendarmkatarrh erkrankt
oder gar gestorben. — In der Stadt Düren sind in beiden Jahren
je etwa 150 Kinder mit Milch versorgt worden. Die Milch ist
bisher in vier bestimmten Verdünnungen, nach dem Backhausschen
Verfahren zubereitet, in entsprechenden Einzelportionen bezogen
und in der Milchversorgungsanstalt verteilt worden. Diese ist in
den Räumen des „freiwilligen Armenvereins“ untergebracht. In
bestimmten Fristen müssen die Säuglinge hier gezeigt werden; in
Gegenwart der Damen des Vorstandes werden sie ärztlich untersucht
und gewogen. Die Aufsicht durch die Damen des Frauenvereins und
durch unterstützende Armenpflegerinnen erstreckt sich auch auf die
Wohnungen: sie überwachen die Säuglinge auch hier regelmässig, ferner
die Behandlung und den richtigen Verbrauch der überwiesenen Milch;
sie wirken mittelbar und unmittelbar auch auf die Körperpflege und
auf den Reinlichkeitssinn der Mutter und der ganzen Familie. Die
Namen der Neugeborenen ärmerer Familien werden jetzt vom
Standesamte sofort dem Komitee mitgeteilt, worauf die für den
betreffenden Bezirk zuständige Aufsichtsdame die Wöchnerin auf¬
sucht und nun für diese und den Säugling sorgt; im Bedarfsfälle
wird die Wochenbettpflegerin des Vaterländischen Frauenvereins
zur Verfügung gestellt. Auch hier sind die Erfolge so ausser¬
ordentlich gut gewesen, dass die städtische Verwaltung alles zu tun
bereit ist, um dieser Veranstaltung zu einer festen, dauernden Form
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159
zu verhelfen. — In anderen Städten sind ähnliche Anstalten und
Einrichtungen einstweilen vorgesehen und geplant.
In etwas loser Beziehung zu der uns vorliegenden Frage
scheint es zu stehen, wenn hier npch Bemühungen angeführt werden,
die sich lediglich statistischen Feststellungen zuwenden. So wird
vielerorts die Frage nach dem Masse der Säuglingssterblichkeit
sorgsam an der Hand der Todesfälle usw. geprüft; in Aachen
und Eschweiler sollen die von den Ärzten bei der Leichenschau
auszufüllenden Formulare noch Fragen nach den näheren Umständen,
die beim Tode eines Säuglings in Betracht kommen, aufnehmen.
Es bedarf aber keiner längeren Ausführung, wie wertvoll es für
alle Kampfmassnahmen wäre, wenn über die Ursachen der hohen
Säuglingssterblichkeit vollstes Licht und Klarheit herrschte und
keinerlei Zweifel mehr gehegt würden. So sind auch diese einer
späteren Zeit dienenden Ermittelungen als zweckmässige Massregeln
zu begrlissen, allerdings unter der Voraussetzung, dass schon jetzt
ausserdem alles getan werde, was das grosse Leid, das hierin uns
einstweilen noch beschert ist, zu vermindern und zu heben ge¬
eignet ist.
Mögen die anerkennenswerten Beispiele, die vorstehend geuannt
werden konnten, allseitig die verdiente Beachtung, möglichst viel¬
seitig aber auch Billigung und — Nachfolge finden!
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160
Wohnungsfrage und Volkskrankheiten.
Nachtrag zu dem Bericht über den I. allgemeinen Wohnuugskongreas
in Frankfurt a. M.
Über den allgemeinen Verlauf des vom 16.—19. Oktober
v. Js. in Frankfurt a. M. abgehaltenen ersten deutschen Wohnungs¬
kongresses wurde bereits im 1. und 2. Heft 1905 dieser Zeitschrift
berichtet. Für die Leser unseres Blattes sind besonders die über
das Thema „Wohnungsfrage und Volkskrankheiten“ in der öffent¬
lichen Versammlung am 18. Oktober gehaltenen Vorträge der
Herren Dr. med. Franz Oppenheimer (Berlin) und Professor
M. Neisser (Frankfurt a. M.) von Interesse. An Hand des kürz¬
lich erschienenen, auf Grund der stenographischen Protokolle ver¬
fassten, Kongressberichtes wollen wir die Ausführungen genannter
Herren in Kürze wiedergeben *).
Dr. Oppenheimer behandelte das Thema mehr von all¬
gemeinen, historischen und sozial-wirtschaftlichen Gesichtspunkten
aus. Ein unendlicher Fortschritt war es, den die Menschheit machte,
indem sie vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit gelangte, aber ein
hoher Preis war es auch, den sie für diese Sesshaftigkeit zahlen
musste, der Preis der Gesundheit. Das Dach des Nomaden war
der Himmel und frei flutete die freie Luft des Waldes und der
Steppe um seinen Körper und durch seine Lungen. Und fast so
lebte und lebt noch der Hirt. Sein schwerfälliger Ochsenkarren,
sein Sommerzeit steht heute hier und morgen dort auf einem
Grunde, den keine menschlichen Abfallstoffe verseuchen, und die
freie Luft hat ungehinderten Zugang.
Wie anders schon im festgezimmerten Bauernhause! Menschen
und Vieh, zusammengedrängt unter einem Dach, verbrauchen und
verderben die Luft durch ihre Atmung und durch ihre Ausscheidungen.
Und der Boden rings um das Haus bekommt reichliche Arbeit, wenn er
all die Abfallstoffe unschädlich machen soll, die ihm zufliessen. Wir
wissen nicht, wie weit der Übergang vom freien Hirtenleben zur
dörflichen Sesshaftigkeit etwa die Sterblichkeit der Menschheit ver¬
mehrt hat. Wohl aber wissen wir, dass der zweite Schritt zur
1) Vgl. Bericht über den I. Allgemeinen Deutschen Wohnungs*
kongress in Frankfurt a. M. 16.—19. Oktober 1904. Auf Grund der steno¬
graphischen Protokolle. Güttingen. Vandenhoek & Ruprecht 1905, sowie:
Wohnungsfrage und Volkswohl. Fünf Vorträge. Sonderdruck a. d. Bericht
über den 1. Wohnungskongress. Ebendas.
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161
Kultur, der Übergang zur städtischen Sesshaftigkeit, begleitet
war von den Ausbrüchen zerstörender akuter Volkskrankheiten,
gewaltiger Seuchen, die die Bevölkerung dezimierten. Die Pest,
die Blattern, der Schwarze Tod, die Cholera und ihre Verwandten,
das sind die ersten gewaltigen historischen Erscheinungen, die den
Zusammenhang zwischen Wohnungswesen und Volkskrankheiten
mit grauenhafter Klarheit erhärtet haben.
Was wir von der Sterblichkeit der mittelalterlichen Städte
wissen, gibt ein grauenhaftes Bild der damaligen Gesundheitszustände
— und dabei handelte es sich um Ansiedelungen, deren wichtigste
und mächtigste nach heutigen Begriffen kaum mehr als grosse
Dörfer sein würden. Die alte Krönungsstadt Frankfurt a. M. hat
bis zum Ausgang des Mittelalters nie mehr als etwa 9000 Einwohner
gezählt.
Das 19. Jahrhundert sah das masslose Eindrängen der Be¬
völkerung in die Städte, die „Verstadtlichung“ der Gesellschaft
nahm ungeheuere Dimensionen an und führte zu Grosstadt¬
bildungen mit unhaltbaren hygienischen Verhältnissen. Doch nun
hob auch die Periode der wissenschaftlich beherrschten Städte¬
hygiene an. Man schritt zur Fortschaffung der Abfallstoffe durch
«ine umfassende Kanalisation, zur Versorgung der Bevölkerung
mit einwandfreiem Wasser und unverdorbener Nahrung durch
Wasserleitungen, Schlachthöfe, Milchkontrolle und Nahrungsmittel¬
polizei, zur Verbesserung der Atmungsluft durch möglichst staub¬
freie Pflasterung, Besprengung und Parkanlagen.
Die Erfolge waren unleugbar glänzende. Die Krankheits¬
und Sterbeziffer sank beträchtlich, namentlich durch das fast völlige
Verschwinden der Darminfektionen, des Typhus, der Ruhr, und
vor allem durch die starke Herabminderung der Säuglingssterblich¬
keit. Die Städte verloren allmählich ihren schlimmen Ruf als
glühende Molochs, die das Leben von Generationen fressen, und
es ist heute sogar gelungen, die städtische Sterblichkeit unter die¬
jenige der ungünstigsten, von der ärmsten, namentlich hausindu¬
striellen Bevölkerung bewohnten Landbezirke herabzudrücken.
Von der öffentlichen Hygiene der Städte ist nicht mehr
viel an neuen Erfolgen zu erwarten. Was ihr zu leisten bestimmt
ist, hat sie im Kulturbezirke Europas im wesentlichen geschaffen,
und der Fortschritt auf diesem Gebiete wird mehr ein extensiver
als ein intensiver sein, eine Ausdehnung der Errungenschaften auf
kleinere Gemeinwesen und auf weniger zivilisierte Nationen.
Auf dem Grunde, den die öffentliche Stadthygiene errichtet
hat, müssen wir weiter bauen in der Ausgestaltung einer privaten
Wohnungshygiene, deren Grundlagen uns durch Kanalisation,
Wasserleitung u. s. w. gegeben sind. Denn die schönste Pflasterung
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und die beste Wasserleitung allein sind nicht imstande, gesunde
Häuser und Wohnungen zu schaffen. Nur ein vom Keller bis zum
Dach sorgfältig in Stand gehaltenes, regelmässig und ausreichend
gereinigtes Haus ist gesund; wo sich Schmutz und Staub fest¬
setzen, wo aus den Rohren der Wasserleitung und Aborte Feuchtig¬
keit in Gebälk und Mauerwerk dringt, wo Müllgrube und Klosetts
miasmatische Gerüche verbreiten, da kann die zarte Pflanze Ge¬
sundheit nicht gedeihen. Verwahrloste Häuser und Wohnungen
sind Seuchenherde. Wo solche „Slums“ der Bautätigkeit oder der
Polizei zum Opfer fielen, so zahlreich in London, da ist die Sterb¬
lichkeit auf einen erstaunlich niedrigen Grad herabgedrückt worden,
selbst wenn die neuen Wohnungen von derselben Klasse bezogen
wurden. Hier sind es weniger die akuten als vielmehr die chro¬
nischen Infektionskrankheiten, die ihre Opfer fordern, die Staub¬
inhalationskrankheiten, vor allem die Tuberkulose, die bittere Frucht
der Armut und des Schmutzes, und die noch viel chronischeren,
kaum noch als Krankheiten zu bezeichnenden Störungen und Zer¬
störungen der Gesundheit, die Anämien, die Nervenschwäche u. s. w.
Redner erörterte sodann die Aufgaben der Gesundheits- und
Baupolizei sowie der Wohnungsaufsicht und mass schliesslich einem
weitgreifenden, volkstümlichen Erziehungswerk in häuslicher Hygiene
grosse Bedeutung bei, um sich alsdann dem System der Städte¬
anlagen und des Hausbaues zuzuwenden. Hierbei charakterisierte
er die aus der modernen Bodenwirtschaft geborene, in ununter¬
brochenem Entwicklungsgänge sich ausbreitende mehrstöckige
Mietskaserne als ein hygienisches Missgebilde und ein soziales und
ethisches Monstrum und stellte ihr als Ideal das selbstbewohnte
Eigenhaus gegenüber. Aber auch die Grosstadt an sich als dicht
zusammenhängendes Konglomerat von Gebäuden, an ununter¬
brochenen Strassen gelegen, sei eiu hygienisches Missgebilde. Man
brauche bloss die Bäume der in der Stadt belegenen Parkanlagen
zu betrachten, um das klar zu erkennen. Sie herbstein, d. h.
kränkeln und sterben wochenlang vor ihren Geschwistern draussen
in Wald und Feld. Gerade so geht es den Menschen. Der reinigende
Wind und das heilende Sonnenlicht kommen nur gebrochen, ab¬
geschwächt hinein; Staub und Rauch ballen sich über der Gross¬
stadt zu Schwaden, die das Blut verderben und, viel häufiger als
draussen, schädliche Nebel erzeugen; der ohrenzerrüttende Lärm
des Verkehrs, die Hast und Hatz des Erwerbslebens, die Einseitig¬
keit der beruflichen Betätigung), die die heutigen Grosstädter,
Bureaumenschen wie Fabrikarbeiter, verkrüppelt, zerrütten die
Nerven, verleiten dazu, den Reiz schädlicher Genüsse aufzusuchen,
von denen der Gesunde sich mit Ekel wendet. Aus allen diesen
Gründen wird der Grosstädter immer, auch in der mietskasernen-
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freien sanierten Stadt bleichsüchtiger, schwächer, Krankheiten mehr
ausgesetzt und kurzlebiger sein, als der in Licht und Luft lebende
Bewohner des platten Landes. Darum ist das fernere, fast das
fernste Ziel der Wohnungsreform nur zu erblicken in der Dezen¬
tralisation der Grossstädte, in ihrer Auflösung in einen Kranz von
Gartenstädten, die mit ihrer wirtschaftlichen Existenz nach dem
industriellen und kommerziellen Zentrum, der City, gravitieren,
wie die Planeten zur Sonne. Die Gartenstadt, in das Grün ihrer
Gartenanlagen gebettet, umspiilt von Luft und Licht, und doch
saniert wie eine Grossstadt: das ist das letzte Ideal der Wohnungs¬
reform und Wohnungshygiene.
Unseres Erachtens würde der Eindruck der geistvollen Aus¬
führungen des Redners noch wirkungsvoller und unbestrittener ge¬
wesen sein, wenn er in der letzten Hälfte seines Vortrags den
stark kommunistisch gefärbten ökonomisch-politischen Betrachtungen
weniger Raum gewährt hätte.
Skizzierte Dr. Oppenheimer mehr in grossen Zügen die
Wechselwirkungen zwischen Wohnungswesen und Volksgesundheit,
so tiel es Professor Dr. M. Neisser (Frankfurt a. M.), Mitglied
des Kgl. Instituts für experimentelle Therapie, zu, den ursäch¬
lichen Zusammenhang von Wohnung und Krankheit im
einzelnen näher zu erörtern. Das instinktive Gefühl für diesen
Zusammenhang hat freilich manche Anschauungen gezeitigt, die
sich unter der kritischen Tätigkeit der Hygiene als Vorurteile, als
eine unrichtige Verknüpfung von Ursache und Wirkung heraus-
stellten. So erging es z. B. mit dem Hausschwamm, über dessen
Bedeutung für die Entstehung der Diphtherie, des Krebses, und
selbst der Schwindsucht früher so viel geschrieben worden ist.
Der Hausschwamm ist an sich völlig ungefährlich für den Menschen,
aber er gedeiht nur da, wo es feucht und dunkel ist. Daher sind
Räume, in denen er vorkommt, ungesund und werden nicht gesund
dadurch, dass man den Hausschwamm entfernt, sondern nur dann,
wenn man die begünstigenden Momente der Schwamrabildung.
Feuchtigkeit und Dunkelheit, behebt.
Auch hinsichtlich der ansteckenden Krankheiten dürfen wir
nicht, wie vielfach geschehen, alles der Wohnung zur Last legen
und müssen uns erinnern, dass auch ausserhalb des Hauses nicht
minder bedeutungsvolle Faktoren in Betracht kommen, von denen
nur die Schule, der Beruf und der Nahrungsmittelverkehr genannt
seien. Gewiss kann ein direkter Zusammenhang zwischen Wohnung
und ansteckenden Krankheiten bestehen. Hinsichtlich der Pest und
des Rückfallfiebers wissen wir bestimmt, dass sie an manchen
Wohnungen haften und dass das Beziehen solcher Wohnungen eine
grosse Gefahr bedeutet. Und in beiden Fällen kennen wir auch
Centralblatt f. all*?. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 11
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die Übertrager der Krankheitserreger. Bei der Pest sind es die
Ratten, beim Rückfallfieber die Wanzen, und sie machen jene
Häu er zu Pesthäusern oder Rückfallfieberhäusern. Wahrscheinlich
spielt auch für andere ansteckende Erkrankungen das Ungeziefer,
dies«; schlimmste Unsauberkeit eines Hauses, zu dem wir auch die
Fliegen rechnen können, eine bedeutungsvolle Rolle. Aber nicht
nur im Ungeziefer, auch im Schmutz und Unrat vermögen sich
Krankheitskeime lange lebendig zu erhalten, um gelegentlich von
neuem Krankheiten auszulösen. Darum ist das Gebot der Sauber¬
keit das erste Postulat der Hygiene, die erste, wenn auch nicht
die einzige Bedingung, die an eine gesunde Wohnung gestellt
werden muss.
Feuchte und zugige Wohnungen stellen für alle diejenigen
Personen, die leicht zu Erkältungen und Rheumatismus neigen,
eine Schädlichkeit dar, welche die Entstehung mancher bakteriellen
Erkrankungen, wie Lungenentzündung, Halsentzündung, begünstigen
können. Eine direkt durch Bakterien hervorgerufene schreckliche
Erkrankung gibt es, die sogenannte Sommerdiarrhoe der Kinder
welche eine unmittelbare Abhängigkeit von einer ungünstigen
klimatischen Lage der Wohnung zeigt, denn sie zeigt sich zur
Sommerzeit nur in den Wohnungen, welche abnorm heiss sind und
in denen auch nachts keine wesentliche Abkühlung eintritt. Es
sind die Zersetzungen in der Milch, welche jährlich in Deutschland
200 000 bis 300 000 Säuglinge hinwegraffen. Zersetzungen, hervor¬
gerufen durch bestimmte Bakterien, die bei der Brutwärme solcher
Wohnungen in der Milch lebhaft gedeihen und das Nahrungsmittel
zum schädlichen Gift machen. Und dass es wirklich die Wärme
dieser Wohnungen ist, welche die Schädlichkeit bedingt, sehen wir
an der bekannten Berliner Statistik, nach der von der Sommer¬
sterblichkeit der Säuglinge die Kellerwohnungen ungleich weniger
betroffen werden als die vierten Stockwerke, trotzdem die soziale
Stellung der Bewohner und die Kinderzahl in beiden Stockwerken
keine wesentlichen Unterschiede zeigt. So ist denn neben der
Sauberkeit als Grundbedingung für eine Wohnung zu fordern, dass
sie weder feucht noch dunkel, weder aussergewöhnlich kalt noch
übermässig warm sein darf, — sie muss eben, um diese Eigen¬
schaften in einem kurzen Ausdruck zusammenzufassen, — „wohn¬
lich“ sein.
Der Kardinalpunkt, aber auch gerade der am schwersten zu
erfüllende, ist die nötige Geräumigkeit der Wohnungen. Je
dichter die Menschen zusammen sind, desto leichter die Verbrei¬
tung der ansteckenden Krankheiten durch Ansteckung von Mensch
zu Mensch. Es ist kein Zufall, sondern eine Selbstverständlichkeit,
dass die Cholera, die Pest u. s. w. stets in den dichtesten Quartieren
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am schlimmsten gehaust haben, dass in den Grossstädten, wie z. B.
Hamburg oder Prag, die dichtest bewohnten Stadtteile auch die¬
jenigen sind, in denen die Zahl der ansteckenden Krankheiten im
Verhältnis zur Zahl der Bewohner eine besonders hohe ist.
Man muss indes den Begriff der Wohndichtigkeit richtig
und scharf erfassen. Er ist nicht zu verwechseln mit der Bevöl¬
kerungsdichtigkeit, die anzeigt, wieviel Menschen pro Quadrat¬
kilometer wohnen, und die nur ein Durchschnittsbild gibt. Auch eine
grosse Häuserdichtigkeit braucht noch keine schwerwiegenden
hygienischen Misstände zu zeigen, wenngleich sie gewiss ein uner¬
freulicher Zustand ist. Hygienisch erheblich bedenklicher ist schon
die Haushaltsdichtigkeit, d. h. wenn in den grossen Miets¬
häusern 30, 40 und mehr Haushaltungen zusammengebracht sind.
Denn es hat das dauernd die engste Berührung und den dauernden
nahen Verkehr von Kindern und Erwachsenen mit allen seinen
gesundheitlichen Nachteilen im Gefolge. Und doch ist auch Haus¬
haltsdichtigkeit noch nicht ohne weiteres unvereinbar mit gesundem
Wohnen, wie man an den grossen Blocks der gemeinnützigen Bau¬
gesellschaften sehen kann. So zeigt z. B. für die letzten drei Jahre
die Statistik der Frankfurter Aktien-Baugesellschaft für kleine
Wohnungen, dass von einem jährlichen Bestände von annähernd
2000 Kindern unter 14 Jahren in den durchschnittlich fünfköpfigen
Familien jährlich etwa 13 von Tausend starben, während in dem¬
selben Zeitraum für ganz Frankfurt die entsprechende Zahl etwa
25 auf 1000 beträgt.
Das, was dem Hygieniker als das verderblichste, als die
ernsteste Gefahr erscheint, ist diejenige Zahl, welche uns anzeigt,
wieviel Menschen in einem Baume zu leben gezwungen sind, mit
wieviel Menschen die einzelnen Räume belegt sind. Die enorme
Belegungsdichtigkeit, die wir in den unteren Ständen finden,
sie ist es, die unsere grösste Beachtung und die schnellste Hilfe
erheischt.
Ganz besonders bedeutungsvoll ist die Belegungsdichtigkeit
für diejenige ansteckende Erkrankung, welche wie keine andere
am Marke unseres Volkes zehrt, deren Mass an Not, Elend und
Jammer ein übervolles ist, — für die Tuberkulose, der jährlich
200000 Deutsche zum Opfer fallen. Gerade die überfüllten
Wohnungen der Armen sind nach Robert Koch als die eigentliche
Brutstätte der Tuberkulose anzusehen. Und auch die Denkschrift
des Reichsgesundheitsamtes über die Tuberkulose beginnt mit den
Worten: „Die Übertragung der Tuberkulose findet am häufigsten
durch das Zusammenleben mit Tuberkulösen unter ungünstigen
Wohnungsverhältnissen statt.“
Man muss ferner bedenken, wie häufig es noch vorkommt,
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dass der ansteckend Erkrankte mit mehreren anderen Personen
nicht nur das Zimmer, sondern sogar das Bett teilen muss, wie
häufig noch die Küche oder gar die Werkstätte das Krankenzimmer ist.
So war von 1609 lungenkranken Mitgliedern der Berliner
Ortskrankenkasse für Kaufleute nachts nur etwa Vio allein in
einem Raum, während 583, also mehr als 1 j 3 mit drei oder mehr
Familienmitgliedern denselben Raum teilen mussten. Und Marcuse
zeigte für Mannheim, dass von 329 erwerbsunfähigen Tuberkulösen,
also von jenen, welche eine erhebliche Gefahr für ihre nächste
Umgebung sind, 30 °/ 0 ihr Bett mit Angehörigen teilen mussten.
Redner bezeichnete zum Schluss nochmals von den aufgestellten
hygienischen Forderungen, Sauberkeit, Wohnlichkeit. Geräumigkeit,
die letztere als den Faktor, der hygienisch von der grössten, ja
von ausschlaggebender Bedeutung sei. Denn die Wohnungsüber¬
füllung sei der Sumpfboden, auf dem für das ganze Volk die Gift¬
pflanzen der ansteckenden Krankheiten gedeihen. Die Verminderung
der Belegungsdichtigkeit ist für den Hygieniker in vielen Punkten
nicht der Weisheit letzter Schluss, aber ihr Anfang, die notwendigste
Vorbedingung für ein erfolgreiches hygienisches Handeln.
Schilling (Cöln).
Kleine Mitteilungen.
Gesundheitsstatistik im Grossherzogtum Hessen.
In den „Mitteilungen der Grossherzoglich Hessischen Zentral¬
stelle für die Landesstatistik ü vom Februar, April und Mai d. J.
veröffentlicht Regierungsrat Knöpfei eine Reihe von Ergebnissen
der hessischen Sterblichkeitsstatistik aus den Jahren 1863—1900,
die an sich interessant genug sind, die uns aber vor allen Dingen
wegen der gesunden Methodik, die aus ihnen spricht, wichtig er¬
scheinen. Wir erfahren hier nicht nur etwas über die Sterblich¬
keitsverhältnisse grösserer Bezirke, Kreise und bedeutender Städte,
sondern werden auch über die unterrichtet, die in den kleineren
Gemeinden (über 3000 Einwohner) herrschen, und zwar mit Unter¬
scheidung der Geschlechter und genügend zahlreicher
Altersklassen. Wären wir doch bei uns in Preussen so weit, dass
gleich vollständige Mitteilungen gemacht würden zum mindesten für
die Kreise! Es brauchte das nicht gerade für jedes einzelne Jahr zu
geschehen, aber doch für Jahrfünfte oder Jahrzehnte. Wenn darin
auch noch die Ergebnisse der Todesursachenstatistik verarbeitet
würden, so hätte der Hygieniker doch einen einigermassen sicheren
Anhaltspunkt für die Beurteilung der Gesundheitszustände
beruflich und wirtschaftlich verschiedener Bevölke-
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rungen. Je mehr man natürlich ins einzelne eindringt, je kleiner
man die Bevölkerungskreise umgrenzt, desto wertvoller sind die
Resultate, und gerade darum ist der in Hessen gemachte Versuch
so beachtenswert. Freilich sagen uns die Zahlen auch für die
kleineren Gemeinden nicht viel, wenn sie uns in der vielfach noch
üblichen Weise als allgemeine Sterbeziffern gegeben werden, wenn
man also die Untereinteilung der Bevölkerung nach Alter und Ge¬
schlecht versäumt.
Die beste Statistik nützt uns wenig, wenn sie nicht den
Anlass bildet zu eingehenden Forschungen über die Ursachen
der zutage tretenden Unterschiede. Die örtlichen Gesundheits¬
beamten wären in erster Linie dazu berufen, sich dieser Aufgabe zu
widmen, z. B. den merkwürdigen Schwankungen nachzugehen, die
die Säuglings- oder Tuberkulosesterblichkeit von Ort zu Ort aufweist.
Ein Mangel der hessischen, wie der meisten anderen Stati¬
stiken besteht darin, dass die Todesfälle der Ortsfremden nicht
als solche ausgeschieden und ihrem Heimatsort zugeschrieben wer¬
den. Dadurch kommt in die Zahlen namentlich für die grösseren
Städte erhebliche Unsicherheit hinein.
Was die sachlichen Ergebnisse anlangt, so hat die Sterblich¬
keit im Grossherzogtum Hessen, wie in vielen anderen Ländern in
den letzten Jahrzehnten, insbesondere seit den 80 er Jahren, ganz
beträchtlich abgenommen. Bemerkenswert ist, dass auch die Kinder
im ersten Lebensjahre davon keine Ausnahme machen: von 1863
bis 1870 ist die Säuglingssterblichkeit:
in den grösseren Städten von 23,0 auf 19,5 °/ 0 ,
in den übrigen Städten von 23,6 „ 18,7 „
in den ländlichen Gemeinden von 19,2 „ 14,6 „
und zwar stetig heruntergegangen. Es lohnte sich, die Ursache
dieser ungewöhnlichen Besserung zu untersuchen. Sollte etwa die
Abnahme der Geburtenziffer, die auch in der preussischen Provinz
Hessen-Nassau eine erhebliche ist, den Hauptanteil daran haben?
Kruse.
Grosst&dthöfe.
Zu den Bemerkungen über Höfe von Wohnhäusern in Millionen¬
städten von Dr. A. Hinterberger-Wien, in Nr. 2 der „Hygienischen
Rundschau“ seien mir nachfolgende Erörterungen gestattet:
Die Schwierigkeit der gartenmässigen Ausschmückung von
Höfen in Grosstädten wird jeder zugeben, der sich jemals praktisch
damit beschäftigt hat. Lichtmangel und Verunreinigung der Luft
durch Staub und den Schornsteinen entströmende Gase und Russ-
mengen lassen die Versuche, einen solchen Gartenhof auszuschmücken,
sicher misslingen, wenn dabei ohne Berücksichtigung der Verhält-
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nisse verfahren wird. Bei sachgemässer Ansführung und verstän¬
diger Auswahl des Pflanzen materiales lässt sich aber doch viel mehr
erreichen, als man gewöhnlich sieht. Ein Hauptfehler ist der, dass
die meisten Hausbesitzer die Einrichtung durch ungeeignete Per¬
sonen bewirken lassen und dabei mit dem nun einmal notwendigen
Gelde knausern.
Mit Hinterberger bin ich der Meinung, dass Wege aus sauberem
Ziegelsteinpflaster oder Mosaikpflaster, welches womöglich unter
Verwendung lebhafter Farben gemustert ist, manche Vorzüge vor
dem Kieswege haben. Doch vermeide man gewöhnliches graues
Pflaster, ganz gleich von welcher Gesteinsart. Es wirkt hart und
stampf und erinnert zu sehr an die Strasse, zu welcher der Garten¬
hof gerade einen Gegensatz bilden soll. Das Belegen der Wege-
flächen mit bunten Mosaikplatten oder das Bestreuen mit Kies von
3—5 mm Korngrösse auf gut mit Schlacken oder Steinschlag be¬
festigtem Untergrund ist jedenfalls schöner als Pflaster irgend einer
Art. Die Notwendigkeit der Erneuerung des Kieses in gewissen
Zeitabschnitten dürfte wohl kaum als stichhaltiger Grund gegen
die Anwendung von Kies anzusehen sein, vielmehr ist der Haupt¬
fehler des Kiesweges seine Unsauberkeit im Winter, wenn der Boden
oben aufgetaut, in der Tiefe aber noch gefroren ist. Das erste Er¬
fordernis einer guten Wegeanlage ist die Entwässerung. Alle
Flächen müssen ein Längsgefälle haben, so dass das Regenwasser in
einen an geeigneterstelle anzubringenden Kanaleinlass abgeführt wird.
Die Liste der Gewächse, welche noch mit Erfolg gepflanzt
werden können, lässt sich leicht noch bereichern. Neben dem
Götterbaum ist ganz besonders die Ulme zu nennen; sie wider¬
steht den ungünstigen städtischen Einflüssen am besten. Meist ist
der Bedarf an hohem und niederem Strauchwerk aber viel grösser
als an hohen Bäumen. Da haben sich nun viele Straucharten be¬
währt, welche wir in der Natur als Unterholz im Schatten hoher
Bäume an treffen. Ich verweise auf Hollunder (Sarabucus nigra),
Schneeball (Viburnum Opulus) und Kornelkirsche (Cornus mas), die
sogar baumartig werden, ferner auf die Alpenjohannisbeere (Ribes
alpinum), Liguster (Ligustrum vulgare) und von ausländischen Arten
die Schneebeere (Symphoricarpus racemosa) und den sog. Jasmin
(Philadelphus div. spec.). Auf die immergrünen Arten würde ich
wegen des Winterschmuckes nicht ganz Verzicht leisten; die Stech¬
palme (Ilex Aquifolium), der Buchsbaum (Buxus arborescens) ge¬
deihen immer, wenn der Hof nicht von Hunden besucht wird. Da,
wo, wie am Rhein, Evonymus japonicus und Aucuba japonica im
Winter im Freien aushalten, sind auch sie zu empfehlen. Von aus¬
dauernden Schlingpflanzen verwende man neben wildem Weine die
Waldrebe (Clematis vitalba und C. montana). Im Herbste bildet
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das rote Laub des wilden Weines durchsetzt mit den silbergrauen
Früchten der Waldrebe einen prächtigen Farbeneffekt. Den Efeu
ganz zu verbannen, kann ich nicht anraten, da er im Vereine mit
den oben angeführten immergrünen Straucharten und dem Ast¬
werk der laubabwerfenden Gehölze im Winter den Hof belebt,
selbst wenn die Blätter, aus der Nähe gesehen, schmutzig aussehen.
Der Ansicht, dass man dem Draht den Vorzug vor dem Holze
geben 6olle bei Einfriedigungen und Spalieren für Schlingpflanzen,
möchte ich mich aus ästhetischen Gründen nicht anschliessen. Die
praktischen Bedenken der geringen- Haltbarkeit des Holzes sind,
wenn letzteres gut im Anstrich gehalten wird, nicht schwerwiegend,
dagegen wirkt lustig angestrichenes und schön gemustertes Holz¬
werk an sich schon behaglich und wohnlich, selbst wenn das
Rankenwerk der Schlinggewächse nur bescheiden daran empor¬
klimmt. Besonders neu ist die Musterung in Quadrate durch senk¬
rechte und wagerechte Latten, wobei man durch Umrahmungen aus
enger gestellten Latten und Füllungen aus Latten in weiteren
Zwischenräumen auch die grösste Hauswand freundlich gestalten kann.
Eine besondere Schwierigkeit bietet im Gartenhof die Be¬
grünung des Bodens. Gras gedeiht kaum, Sommerblumen kommen
gar nicht fort. Wiederum gibt es aber Pflanzenarten, welche wir
draussen im tiefen Schatten antreffen und welche auch hier nicht
versagen. Man ersetze den Rasen durch Farnkräuter, Maiblumen
oder Veilchen und verwende als Blumen Primeln (Primula elatior
und acaulis), Funkien (versch. spec.), Polygonum Sieboldii, Spiraea
Aruncus, Rheum u. dergl. Endlich sollte man viel mehr Zwiebel¬
gewächse anwenden. Narzissen, Tulpen, Szilla, selbst Kaiserkronen
(Fritillaria imperalis) sind überraschend dankbar auch in den un¬
günstigsten Verhältnissen.
Man sorge für tiefgründigen Boden von geeigneter Beschaffen¬
heit, für sachgemä8s ausgewähltes Pflanzenmaterial und richtige
Verteilung desselben, für sorgfältige Pflege, d. h. besonders Be¬
sprengen der Gewächse und des Bodens an Sommerabenden, für
den nötigen Schutz vor Beschädigungen durch Menschen und Tiere:
dann lässt sich, so schwierig es auch scheint, der enge Grosstadt¬
hof schön und dauerhaft ausschmücken. Encke (Cöln).
Der Verein zur Bekämpfung der Volkskrankheiten
im Ruhrkohlengebiet,
welcher das Institut für Hygiene und Bakteriologie in Gelsenkirchen
unterhält, hielt am 29. März unter Vorsitz des Landrats Dr. zur
Nieden in Gelsenkirchen eine Generalversammlung ab. Das Institut
hat ein gleichmässiges und ruhiges Fortschreiten seiner Entwicklung
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zu verzeichnen. Dem Verein sind bereits 10 Ruhrwasserwerke
zwecks bakteriologischer Kontrolle in der Wassergewinnung an¬
geschlossen. Die Zahl der bakteriologischen Krankheitsunter¬
suchungen ist von 1184 (1903/04) auf 2305 (1904/05) angewachsen.
Dem Verein sind 10 neue Mitglieder gewonnen worden, darunter
die Königliche Bergwerksdirektion in Dortmund, die Bergwerks¬
aktiengesellschaft Konsolidation in Gelsenkirchen, der Kölner Berg¬
werksverein in Altenessen, Firma Henschel & Sohn in Kassel, Hütte
Phönix in Ruhrort, Stadtkreis Hagen, Stadt Haspe und das Amt
Osterfeld. Verschiedene Mitglieder haben eine Erhöhung der Bei¬
träge ein treten lassen, und acht Mitglieder, die einmalige Beiträge
zahlten, haben laufende Beiträge bewilligt, nämlich der Stadtkreis
Gelsenkirchen, der Kreisausschuss Bochum, die Gelsenkirchener
Bergwerksaktiengesellschaft, Bergwerksgesellschaft Hibernia in
Herne, das Wasserwerk von Thyssen in Mülheim, die Harpener
Bergwerksaktiengesellschaft in Dortmund, der Bochumer Verein
und der Schalker Gruben- und Hüttenverein in Gelsenkirchen.
Die Firma Krupp in Essen zahlte einen neuen laufenden Beitrag.
Der Etat des Instituts balanziert mit 46 000 Mark. Es wurde die
Neuanstellung einer Assistentin beschlossen. Die Stadt Gelsen-
kirchen hat in Erwägung gezogen, ihrerseits dem Institut ein
besonderes Gebäude zur Verfügung zu stellen. Landeshauptmann
Dr. Hammerschmidt, der Gründer des Instituts, wurde zum Vor¬
standsmitglied gewählt. Dem Direktor des Instituts Dr. Bruns
wurde für seine aufopfernde und erfolgreiche Tätigkeit der Dank
des Vorstandes ausgesprochen.
Der Vorsitzende wurde vom Vorstande gebeten, auch ferner¬
hin für die Erweiterung der Mitgliederzahl zu wirken, damit einer¬
seits diejenigen entlastet würden, die bisher das für die Allgemein¬
heit wirkende Institut unterhalten haben und so eine Verteilung
der Kosten auf noch breitere Schultern eintrete, andererseits der
Bestand und die Leistungsfähigkeit des Instituts, in noch höherem
Masse gesichert würde als bisher.
Hygienisches Weihwasserbecken.
In neuerer Zeit hat die Hygiene auch in Kirchen Musterung
abgehalten und auf die Gefahr der Infektion durch Abendmahlskelche
und Weihwasser hingewiesen. In letzterem sind angeblich pathogene
Bakterien entdeckt worden. Mancherorts suchte man der Gefahr
in wenig ästhetischer Art durch mit Wasser benetzte, in die
trockenen Becken gelegte, grosse Anstreicherpinsel vorzubeugen,
woran die Gläubigen die Finger benetzen. In würdigerer Weise
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fand ich diese Frage gelöst in einer Kirche in Buenos Aires.
Dort war in der Mitte des Beckens ein kleiner einige Zentimeter
hoch steigender Springbrunnen angebracht, welcher sich durch
mnen Hebel verstärken und abschwächen Hess. Das Wasser floss
wieder ab, so dass das Becken selbst leer blieb. Heim.
Der X. Internationale Kongress gegen den Alkoholismus wird
tagen in Budapest vom 11.—16. September 1905. In Aussicht ge¬
nommen sind ausser einem Festvortrag von Gruber-München über
^Hygiene des Ich“ die Erörterung folgender Themata:
1. Der Einfluss des Alkohols auf die Widerstandsfähigkeit
des menschlichen und tierischen Organismus mit besonderer Berück¬
sichtigung der Vererbung.
2. Ist Alkohol ein Nahrungsmittel?
3. Die kulturellen Bestrebungen der Arbeiter und der Alkohol.
4. Alkohol und Geschlechtsleben.
5. Alkohol und Strafgesetz.
6. Der verderbliche Einfluss des Spirituosenhandels auf die
Eingeborenen in Afrika.
7. Die Unterstützung des Kampfes gegen den Alkohol durch
die Erziehung in Haus und Schule.
8. Alkohol und physische Leistungsfähigkeit mit besonderer
Berücksichtigung des militärischen Trainings.
9. Die hygienische Bedeutung des Kunstweines gegenüber
dem Alkoholgenuss überhaupt.
10. Die industrielle Verwertung des Alkohols als Kampfes¬
mittel gegen den Alkohol.
11. Die Reform des Schankwesens.
12. Die Organisation der Antialkoholbewegung.
Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege wird
seine dreissigste Versammlung zu Mannheim in den Tagen vom
13.—16. September 1905 abhalten, kurz vor der am 24. September
beginnenden Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in
Meran.
Die Tagesordnung lautet:
I. Typhusbekämpfung.
Referenten: Stabsarzt Dr. von Drigalski (Kassel),
Regierungs- und Medizinalrat Dr. Springfeld
(Arnsberg).
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II. Die Bedeutung öffentlicher Spiel- und Sportplätze für
die Volksgesundheit.
Referenten: Sanitätsrat Dr. Schmidt (Bonn),
Oberbaurat Klette (Dresden).
III. Müllbeseitigung und Müllverwertung.
Referent: Dr. Thiesing (Berlin).
IV. Schwimmbäder und Brausebäder.
Referenten: Sanitätsrat Dr. Kabierske (Breslau),
Stadtbaurat Beigeordneter Schultze (Bonn).
V. Selbstverwaltung und Hygiene.
Referent: Regierungs- und Geheimer Medizinalrat Dr. Roth
(Potsdam).
Literaturbericht.
Gärtner, Leitfaden der Hygiene. [Vierte vermehrte und verbesserte
Auflage.] (Berlin 1905, Verlag von S. Karger.)
Seit dem Erscheinen der ersten Auflage im Jahre 1892 sind
drei weitere Auflagen des rühmlichst bekannten Lehrbuches not¬
wendig geworden, eine Tatsache, die für sich allein schon genügend
für die Verbreitung und Beliebtheit desselben spricht. In der
neuesten Ausgabe hat der Verfasser eine Reihe von Kapiteln, ins¬
besondere die Infektionskrankheiten einer durchgreifenden Um¬
arbeitung unterzogen und auf die Mitteilung der neuesten gesetz¬
lichen Bestimmungen besonderen Wert gelegt. Die Zahl der Ab¬
bildungen, deren Auswahl und Ausführung als durchaus zweck¬
entsprechend anerkannt werden muss, hat eine weitere Vermehrung
erfahren und ist auf 175 gestiegen. Verfasser hat es verstanden,
durch die angebrachten Ergänzungen und Verbesserungen ohne
wesentliche Änderung der Anordnung in allen einschlägigen Fragen
dem zeitigen Stande der Wissenschaft und den praktischen
Zielen der angewandten Hygiene gerecht zu werden. Der kompen-
diöse Charakter des Buches als eines geeigneten Nachschlagewerkes,
das sowohl den Studierenden wie den Ärzten dienen soll, ist
unbeeinträchtigt erhalten geblieben. Bliesener (Berlin).
Schottelius, Bakterien, Infektionskrankheiten und deren Be¬
kämpfung. (Stuttgart, Verlag von Moritz 1905.)
Das Buch ist ein Teilband der I. Serie der Bibliothek der
Volksbildung, welche dazu bestimmt ist, in einer Reihe von Einzel-
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173
darstellungen geeignete Belehrung über das Wesen der Krank¬
heiten und ihre Verhütung in den weiteren Kreisen der Bevölkerung
zu verbreiten. Schottelius hat sich an Stelle des verstorbenen
Prof. Büchner der Aufgabe unterzogen, in gemeinverständlicher
Form die wichtigsten Kapitel der Bakteriologie und ihre Nutz¬
anwendung auf die Bekämpfung der Infektionskrankheiten zu
bearbeiten. Ausser der Biologie der Keime haben auch die bakterio¬
logischen Untersuchungsmethoden in ihren Umrissen Aufnahme
gefunden. Der Hauptnachdruck ist aber auf die Ätiologie der
ansteckenden Krankheiten und die Mittel zu ihrer Verhütung ge¬
legt. Die wichtigsten und bekanntesten Seuchen sind im einzelnen
kurz und leichtverständlich besprochen. Eine Reihe sorgfältig aus¬
geführter Abbildungen ist zur Erleichterung des Verständnisses bei¬
gefügt. Dem Inhalt und der Form nach erscheint die vorliegende
Arbeit sehr wohl geeignet, das allgemeine Interesse für die Auf¬
gaben und die Ziele der Hygiene im Kampfe gegen die Infektions¬
krankheiten zu wecken und zu fördern. Bliesener (Berlin).
v. Baumgarten u. Tangl, Jahresbericht über die Fortschritte in
der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen umfassend
Bakterien, Pilze und Protozoen. 17. Jahrg. (Leipzig 1903. S. Hirzel.)
Der vorliegende stattliche Jahresbericht umfasst die Referate
über die Literatur des Jahres 1901. Einer weiteren Empfehlung
dieses stets an Umfang und Bedeutung wachsenden Werkes, welches
in dieser Zeitschrift schon zu wiederholten Malen gewürdigt wor¬
den ist, bedarf es wohl nicht. Bleibtreu (Cöln).
Anweisungen des Bundesrats nebst den preussischen Ausführungs¬
bestimmungen zur Bekämpfung des Aussatzes, der Cholera, des
Fleckfiebers, der Pest, der Pocken. [Amtliche Ausgabe. 5 kleine
Hefte.] (Verlag von Richard Schoetz, Berlin.)
Zu dem Reichsgesetz über die Bekämpfung gemeingefährlicher
Krankheiten vom 30. Juni 1900, zu denen bekanntlich ausser den
in der Überschrift angegebenen Krankheiten nur noch das Gelb¬
fieber gehört, sind Anweisungen des Bundesrates und dazu wieder
in Preussen Ausführungsbestimmungen des Ministers der geistlichen,
Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten ergangen. Nur hinsicht¬
lich des Gelbfiebers fehlen solche Vorschriften.
Manchem, der auf diesem Gebiet beschäftigt ist, wird es sehr
erwünscht sein, dass die Verlagsbuchhandlung von Schoetz für jede
einzelne dieser Krankheiten diese bundesrätlichen und ministeriellen
Bestimmungen in einem für wenig Geld käuflichen Heftchen von
handlichem Format übersichtlich und praktisch brauchbar zusammen¬
gestellt hat. Schneider (Breslau).
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174
Kluczenko, Das französische Gesetz vom 15. Februar 1002 be¬
treffend die Förderung der öffentlichen Gesundheit. (Hygienische
Rundschau 14. Jahrgang 1904.)
Das Gesetz regelt die sanitären Aufgaben der Gemeinden
hinsichtlich der Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten, der
Wohnungshygiene, der Wasserversorgung und Beseitigung der
Abfallstoffe und enthält ferner Bestimmungen über die Organisation
der Sanitätsverwaltung. Ein staatlicher medizinisch ausgebildeter
Gesundheitsbeamter fehlt, der Maire ist verpflichtet, die sanitäts¬
polizeilichen Funktionen wahrzunehmen. Der Präfekt ist berechtigt,
nach Anhörung des Generalrats einen Kontroll- und Inspektions¬
dienst zur Sicherung der Durchführung der gesetzlichen Bestim¬
mungen einzurichten. In Städten von 20 000 Einwohnern und mehr
und in Gemeinden von mindestens 2000 Einwohnern, in welchen
Heilbäder sind, besteht unter der Aufsicht des Maires ein „Bureau
für Hygiene“, welchem die Durchführung der gesetzlichen Bestim¬
mungen obliegt. Für jedes Departement ist ein Departementsrat
für Hygiene eingerichtet, dessen Vorsitzender der Präfekt ist. Die
entsprechende beratende Fachbehörde für die einzelnen Sanitäts¬
bezirke ist die Sanitätskommission, deren Vorsitzender der Sub¬
präfekt ist. Beide Fachbehördeu sind über alle wichtigen gesund¬
heitlichen Angelegenheiten innerhalb der Grenzen ihres Verwaltungs¬
bezirks zu beiragen. Für die Befugnisse des Polizeipräfekten in
Paris und des Seinepräfekten sowie über die ihnen zur Seite
stehenden Fachräte gelten besondere Bestimmungen. Die oberste
Landes-Fachbehörde ist das konsultative Komitee für öffentliche
Hygiene, welches aus 45 Mitgliedern besteht und in allen Angelegen¬
heiten der öffentlichen Gesundheitspflege, sowie der Ausübung der
Medizin und der Pharmazie befragt werden kann. Auch die
Akademie der Medizin in Paris kann in einzelnen Fragen zur
Abgabe eines Gutachtens herangezogen werden.
In jeder Gemeinde ist der Maire verpflichtet, Anordnungen zu
erlassen, durch welche die Bekämpfung der ansteckenden Krank¬
heiten, die Wohnungshygiene und die Trinkwasserversorgung sowie
Abwasserbeseitigung geregelt wird. Der Präfekt genehmigt die¬
selben oder erlässt selbst die entsprechenden Verfügungen, falls
der Maire innerhalb Jahresfrist seiner Verpflichtung nicht nach¬
kommt. Den Präfekten wurde durch Rund-Erlass vom 30. Mai
1903 das Schema eines Sanitätsreglements für Städte und ein solches
für Landgemeinden mitgeteilt. Die Krankheiten, bei welchen die
Anzeigepflicht obligatorisch ist, sind gleichmässig für alle Bezirke
von dem Präsidenten der Republik bezeichnet; es sind im ganzen
13, unter welchen auch die Masern und die Ophthalmien der
Neugeborenen aufgenommen sind. Die Anzeigepflicht kann bei
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acht weiteren ansteckenden Krankheiten vorgeschrieben werden,
von denen Lungentuberkulose, Influenza, Pneumonie und Keuch¬
husten hier hervorgehoben werden mögen. Die Impfung ist all¬
gemein für das 1., 12. und 21. Lebensjahr vorgeschrieben. Zwangs
desinfektion bei den anzeigepflichtigen ansteckenden Krankheiten
ist vorgesehen. Die Durchführung ist Sache der Gemeinden in den
Ortschaften mit mehr als 20 000 Einwohnern, in den Ortschaften
unter 20 000 Einwohnern Sache des Departements. In Epidemie¬
zeiten hat der Präsident der Republik nach Anhörung des konsul¬
tativen Komitees das Recht zur Anordnung von Sondermassnahmen.
Wenn in drei aufeinanderfolgenden Jahren die Anzahl der Sterbe¬
fälle einer Gemeinde den Durchschnitt für den Staat überschreitet,
hat der Präfekt eine Enquete über die gesundheitlichen Verhält¬
nisse durch die Fachbehörden zu veranlassen. Erforderliche Assa¬
nierungsarbeiten können alsdann der Gemeinde von dem Präfekten
auferlegt werden.
Hinsichtlich der Wasserversorgung ist allgemein vorgeschrieben,
dass bei Erwerbung des Quellenterrains auch ein Schutzrayon für
die Quelle vorzusehen ist, auf welchem ohne Genehmigung des
Präfekten weder menschliche Dejekte abgelagert, noch Brunnen
abgeteuft werden dürfen.
Sehr eingehend sind die Bestimmungen über die Wohnungs¬
hygiene. Eine Bauerlaubnis ist vorgesehen, für deren Erteilung
gesundheitliche Anforderungen mit massgebend sind. Erscheint ein
Haus gesundheitlich bedenklich, so hat der Maire und auch der
Präfekt die Sanitätskommission zur Begutachtung aufzufordern.
Je nach dem Ergebnis desselben kann die Bewohnung untersagt
oder es können bauliche Veränderungen angeordnet werden. Es
kann dabei zur Bildung eines Assanierungsrayons geschritten
werden, innerhalb dessen sämtlichen Eigentümern zur Beseitigung
von Misständen Auflagen gemacht werden können. Der Maire hat
die Pflicht, durch genaue Vorschriften die Reinhaltung der Häuser
und deren Zubehör, der möblierten vermieteten Wohnungen und
anderweitiger Ansiedlungen zu sichern.
Die Organisation der Sanitätspolizei in Frankreich unter¬
scheidet sich demnach sehr wesentlich von der unsrigen in Preussen.
Es bestehen obligatorische Gemeindesanitätsreglements, während
die allgemein gesetzliche Regelung nur einzelne besonders wich¬
tige Punkte betrifft. Das Prinzip der Dezentralisierung ist somit
weit schärfer in Frankreich zum Ausdruck gekommen als bei
unseren Einrichtungen in Deutschland bezw. Preussen. Ferner ist
hervorzuheben, dass den Verwaltungsbehörden keine fachmännisch
geschulte Beamte, sondern Fachkommissionen zur Seite stehen, die
nur in Einzelfällen bei der Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen
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mitzuwirken berufen sind. Besonderes Interesse beanspruchen die
ziemlich weitgehenden Ausnahmebestimmungen für Assanierung: bei
hoher Sterblichkeit einer Gemeinde. Das Gesetz ist erst seit zirka
einem Jahr, 19. Februar 1903, in Kraft, die Zeit daher, wie Kluc-
zenko mit Hecht ausführt, noch zu kurz, um ein Urteil über den
Einfluss desselben zu gestatten. Bliesener (Berlin).
Bloch, Die hygienischen Fortschritte der Stadt Beuthen (Ober¬
schlesien) innerhalb des letzten Dezenniums. (D. V. f. ö. G. f 36. Bd.,
4. H.)
Verfasser schildert zunächst die fast hundertjährigen Be¬
mühungen der im Oberschlesischen Kohlenrevier gelegenen Stadt
Beuthen um eine quantitativ und qualitativ genügende Wasser¬
versorgung. Bis vor kurzem noch auf das Wasser verschiedener
im Betriebe befindlicher Kohlengruben angewiesen, ist es der Stadt
endlich gelungen, nachdem im Jahre 1896 von ihren 43,134 Ein¬
wohner 1498 an Typhus erkrankt und 80 gestorben waren, mit
einwandfreiem Leitungswasser aus der ausser Betrieb gesetzten
Rosaliengrube versorgt zu werden.
Die Typhusepidemie des Jahres 1896 gab auch den Anstoss
zu der Ausarbeitung eines den heutigen Anforderungen entsprechenden
Kanalisationsprojektes der Stadt Beuthen und des Vorortes Ross¬
berg. Nach mehrjährigen Verhandlungen, deren Abschluss der
eigentliche Urheber des Projektes Ingenieur Mairich nicht mehr
erleben sollte, wurde ein gemischtes Trenn- und Schwemmsystem
und eine mechanische Vorklärung in Schlammbassins mit biologischer
Nachklärung in kontinuirlich wirkenden Dunbarschen Tropfkörpern
gewählt.
Der erhaltene Schlamm soll entweder in Trockentrommeln zu
Düngepulver verarbeitet oder in Müllverbrennungsöfen mit dem
Müll verbrannt oder schliesslich in Abfuhrwagen der Landwirtschaft
übergeben werden.
Zugleich wurde in Verbindung mit dem Krankenhause eine
Desinfektionsanstalt errichtet und auf städtische Kosten eine Anzahl
von Personen als Desinfektoren ausgebildet.
Schliesslich bespricht Verf. noch die Errichtung einer Bade¬
anstalt, die Ventilation und Heizung der mit „Einsitzern 0 als Schul¬
bänken ausgestatteten neuen Ober-Realschule und einige weitere
hygienische Errungenschaften.
Man wird der Stadt Beuthen hiernach nicht die Anerkennung
versagen können, im letzten Dezennium gewaltige Fortschritte in
der Assanierung gemacht zu haben. Nauck (Hattingen).
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Schniening, Krieg und Frieden. [Sonderabdruck aus dem Handbuch
der Hygiene von Weyl.] (Verlag von G. Fischer. Jena 1904.)
Die gewaltigen Einwirkungen, welche kriegerische Ereignisse
auf wirtschaftliche und kulturelle Zustände ausgeübt haben, sind
in vielen trefflichen Werken beschrieben worden, während die
Einwirkungen von Kriegs- und Friedenszeiten auf die sozialhygie¬
nischen Gebiete bisher in einer geschlossenen Arbeit nicht behandelt
worden sind. Verfasser hat sich dieser Aufgabe unterzogen und
bespricht den Einfluss von Krieg und Frieden in demologischer,
in epidemiologischer, in sozialer und moralstatistischer und endlich
in hygienischer Beziehung. Am Schlüsse ist ein ausführliches
Literaturverzeichnis beigegeben. Im ersten Abschnitt wird nicht
nur der direkte Einfluss der Kriege durch die Verluste an Gefallenen
und Gestorbenen und durch die Invaliden, sondern auch der in¬
direkte durch die Einwirkung auf Eheschliessungen, Geburten,
Sterbefälle und Auswanderung besprochen. Der zweite Abschnitt
behandelt die Seuchen und ihre Folgen, nicht nur hinsichtlich der
Mortalität, sondern auch für die überlebenden und nachfolgenden
Generationen, im Anschluss daran die Prophylaxe gegen die Ver¬
breitung der Kriegsseuchen und die Schlachtfeldhygiene. Der dritte
Abschnitt erörtert eine Reihe von Fragen medizinal- und moral¬
statistischer Natur, so den Einfluss der Kriege auf den Alkoholis¬
mus, die Prostitution, auf Sittlichkeitsverbrechen, Geisteskrank¬
heiten und Selbstmorde. Im letzten Abschnitt wird der günstige
Einfluss geschildert, welchenKriege auf die Entwicklung des Kranken¬
haus- und Krankenpflegewesens und der Nahrungsmittelhygiene
gehabt haben. Es ist klar, dass in den Darstellungen fast aus¬
schliesslich von den Einflüssen der Kriege die Rede ist. „Sie sind
es eben, welche in den normalen Entwicklungsgang der Dinge,
wie er sich während des Friedens abspielt oder abspielen sollte,
eingreifen und ihn für längere oder kürzere Zeit in günstigem
oder unheilvollem Sinne beeinflussen.“
Wenngleich die Schrift in erster Linie für den ärztlichen
Leserkreis bestimmt ist, so verdient sie doch allgemeine Beachtung,
zumal die fliessende Schreibweise das trockene statistische Material
so geschickt einzuflechten gewusst hat, dass cs die anregende
Lektüre nicht stört. Graessner (Köln).
Bauer, Der Zug nach der Stadt und die Stadterweiterung. [Eine
rassenhygienische Studie Habilitationsschrift zur Erlangung der venia
legendi an der Kgl. techn. Hochschule zu Stuttgart.] (W. Kohlhammer.
Stuttgart 1904.)
Eine ungemein fleissige und ein reiches Material zusammen-
fassende, deshalb über die städtische Wohnungsfrage vortrefflich
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unterrichtende Schrift, die in sechs Abschnitten den Zug zur Stadt,
die Wohndichte, das Haus, die Stadt und Stadterweiterung, die
gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Fragen, endlich kurz
die ästhetischen Fragen in sehr sachlicher Weise behandelt. Ent¬
hält die Arbeit auch hauptsächlich bekannte Erfahrungen und
Urteile, so wird sie doch durch die sachkundige Zusammenstellung
derselben und durch manche eigene Erwägungen sowohl dem
Techniker, als dem Arzt und dem Volkswirtschaftslehrer, der aus¬
gesprochenen Absicht des Verfassers entsprechend, vieles bringen,
was ihm bisher ferner lag. Dem Buche ist deshalb eine weite
Verbreitung zu wünschen. J. Stübben.
Haase, Gesundheitswidrige Wohnungen und deren Begutachtung vom
Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege und mit Berücksichtigung
der deutschen Reichs- und preussischen Landesgesetzgebung. (Berlin,
Verlag von Julius Springer. 1905.)
Die sehr beachtenswerte Schrift ist in sechs Abschnitte ge¬
teilt, von welchen der erste gesetzliche Unterlagen und gericht¬
liche Entscheidungen, der zweite Anforderungen an gesunde Woh¬
nungen, der dritte Besichtigungsbefunde von gesundheitlich unzu¬
reichenden Wohnungen enthält, während im vierten Abschnitt der
Einfluss der gesundheitlich unzureichenden Wohnungen auf die
Bewohner, im fünften die Begutachtung gesundheitswidriger Woh¬
nungen erörtert wird und im sechsten Abschnitt gewisse Schluss¬
folgerungen vorgetragen werden. Die wichtigsten Teile der Schrift
sind der vierte und fünfte Abschnitt, die für den Hygieniker wie
für den Techniker eine Fülle lehrreicher Darlegungen enthalten.
Besonders die mitgeteilten Begutachtungen und gerichtlichen Ent¬
scheidungen geben dem ausübenden Wohnungsbeamten, Arzte und
Techniker ein sehr willkommenes Material. Die Schlussfolgerungen,
obwohl sie den Gegenstand nicht erschöpfen, verdienen unbedingte
Zustimmung: Wohnungsordnung, Wohnungsaufsicht und gesund¬
heitliche Ausgestaltung der Bauordnungen, das sind zweifellos Grund¬
lagen für die im Wohnungswesen notwendigen hygienischen Fort¬
schritte. Die Haase’sche Schrift verdient weite Verbreitung und
Beachtung in deü Kreisen der praktischen Hygieniker sowie der
Polizei- und Gemeindeverwaltungen. J. St.
Nussbaum, Der Hof des Wohnhauses. (Hyg. Rundschau 1904, 1033).
In kleinen Städten bietet das Strassenleben oft ein höheres
Interesse für die Mehrzahl der Hausbewohner als der Hof, welcher
dort landwirtschaftlichen und gewerblichen Zwecken zu dienen hat.
Die Grosstadtstrasse mit ihrem Verkehrsgeräusch und Verkehrs¬
staub ist jedoch im allgemeinen nicht besonders erfreulich in ihrer
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Wirkung auf das Wohnen, darum ist man in Grossstädten auf den
Hof angewiesen, wenn man höhere Ruhe geniessen will. In den
romanischen Ländern und im Orient galt der Hof seit dem Alter-
tume als Perle des Hauses und so ist es vielfach dort auch heute
noch; in Deutschland dagegen wird er meist vernachlässigt, alles
Unschöne und selbst das Hässliche wird ihm zugekehrt, als ob es
dort dem Auge entzogen sei. Der Hof sollte eine gärtnerische
Durchbildung als Schmuckhof erfahren; das Ideal wäre das Zu-
samraenfügen der Höfe des gesamten Baublockinnem zu einem
Parke, der nicht oder nur durch Hecken untergeteilt ist.
Grosse-Bohle (Cöln).
Ficker, Ueber die Aufnahme von Bakterien durch den Respirations¬
apparat. (Arch. f. Hyg., 53. Bd., 1. Heft, S. 50—66.)
Nachdem es durch Verftitterung leicht wieder zu erkennender
saprophytischer Keime sichergestellt war, dass die Schleimhaut
des kindlichen Magendarmkanals nicht als keimdicht angesehen
werden kann, musste sich die Frage aufdrängen, ob denn diese
Eigentümlichkeit der Magendarmschleimhaut allein zukomme, oder
ob nicht der jugendliche Organismus auch anderwärts mit unzu¬
reichenden Schutzmitteln gegenüber dem Eindringen von Mikro¬
organismen ausgestattet sei. Es lag nahe, hierbei das Augenmerk
zunächst auf den Atmungsapparat zu richten.
Bei den vom Verfasser angestellten Versuchen ergab sich,
dass bei sechs säugenden Versuchstieren, die einem Spray von
Prodigiosus ausgesetzt waren, ausnahmslos im Blut, in zwei Fällen
auch in der Leber die verstäubten Keime enthalten waren. Auch
die weiteren Versuche berechtigen zu dem Schlüsse, dass bei Säug¬
lingen die grössere Bakteriendurchlässigkeit dem Magendarmtractus
nicht allein, sondern auch den Atmungsorganen zukommt. Wenn
es noch der Beweise bedurft hätte, dass gerade der kindliche Organis¬
mus den Infektionserregern eine breitere Angriffsfläche darbietet,
so muss die festgestellte Tatsache des geringeren Schutzes des
Verdauungs- und Atmungsapparates, die der täglichen ärztlichen
Erfahrung eine experimentelle Stütze gibt, dazu auffordern, noch
weitergehende Massnahmen als die bisherigen zur Verhütung von
Säuglingsinfektionen zu ergreifen. Mastbaum (Cöln).
Lehmann, Experimentelle Studien über den Einfluss technisch und
hygienisch wichtiger Gase und Dämpfe auf den Organismus.
[Studien über „Chlorakne“.] (Arch. f. Hyg., 36. Bd., Heft 4, S. 322—337.)
Seit 1895 wird die elektrolytische Herstellung des Chlors
im Grossen durchgeführt und kurz darauf wurden die ersten Fälle
von Chlorakne beschrieben. Es ist dies eine reine multiple Affektion
Centralblatt f. allpr. Gesundheitspflege. XXIV. Jahr*?. 12
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der Talgdrüsen. Als Allgemeinsymptome treten auf: Kopfweh, Schlaf¬
losigkeit, Appetitlosigkeit, Abmagerung, Anaemie, Schwindel. Wahr¬
scheinlich ist ein Chlorierungsprodukt schuld an dieser Erkrankung.
Hierüber stellte Verfasser Versuche an Tieren an.
Die mühsamen und ziemlich kostspieligen Versuche haben
nun keine positiven Erfolge gehabt und bleibt die Chlorakne un¬
aufgeklärt. Es kann daran schuld sein:
1. Das wirkliche Gift wurde nicht verwendet. Dies ist mög¬
lich, aber nicht gerade wahrscheinlich.
2. Der richtige Einverleibungsweg wurde verfehlt. Dies ist
unwahrscheinlich, da die verschiedenen denkbaren Wege versucht
wurden.
3. Tiere erkranken nicht an Chlorakne. Dies ist die wahr -
scheinlichste Erklärung.
Als Massregeln gegen den Ausbruch der Krankheit sind zu
empfehlen:
1. Ausschluss aller Personen, die nach einiger Zeit leichte
Akneerkrankung oderauch nur stärkere Comedonenentwicklungzeigen.
2. Abkühlenlassen der zu reinigenden Zellen vor der Eröff¬
nung. Beseitigung des organischen chlorhaltigen Zellschlammes.
3. Sorgfältige Hautpflege bei allen Arbeitern durch tägliche
Brausebäder, deren Dauer als Arbeitszeit gerechnet wird.
Mastbaum (Cöln).
Stich, Eine neue Methode zur Bestimmung des Luftstaubes und
ihre Verwendung zur Prüfung eines neuen Wasserspreng-
apparates. (D. V. f. ö. G., 36. Bd., 4. H.)
Verfasser benutzte zur Bestimmung des Staubgehaltes eine im
Prinzipe zuerst von Vörner angegebene Methode, die darauf beruht,
dass Staubkörnchen, die auf schwarzen glatten Lackflächen nieder¬
gefallen sind, mit dem Mikroskope unter seitlicher Auerlicht-Be-
leuchtung gut gezählt werden können. Er gibt eine ganze Reihe
von Beispielen, in denen sich diese einfache Methode auf das Beste
bewährt hat, zur Konstatierung des Staubgehaltes der Luft im
Freien und in geschlossenen Räumen und empfiehlt zum Schlüsse
auf Grund der Beobachtung, dass es am besten gelingt, den Staub¬
gehalt der Luft durch künstlichen Regen zu vermindern, einen
namentlich für Turnhallen geeigneten Wassersprengapparat.
Nauck (Hattingen).
Berghaus, Der „Vacuumreiniger (( , ein Apparat zur staubfreien
Reinigung der Wohnräume. (Arch. f. Hyg., 53. Bd., 1. Heft, S. 67—77.)
Bei der grossen Bedeutung, welche die Luft für die Gesund¬
heit des Menschen hat, mussten ihre Verunreinigungen bald die
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Aufmerksamkeit der Hygiene auf sich lenken und diese veranlassen,
geeignete Mittel und Wege ausfindig zu machen, die nach Möglich¬
keit die gesundheitsschädlichen Einflüsse beseitigen oder doch ab¬
schwächen.
Unter den Verunreinigungen verdienen vom hygienischen
Standpunkte aus die staubförmigen besondere Beachtung, da sie
abgesehen von den mechanischen Schädigungen der Luftwege auch
Krankheitserreger in sich bergen.
Ein Vorgang, bei dem eine mehr oder minder grosse Staub¬
entwickelung stattfindet, spielt sich fast täglich ab bei der Reinigung
von Wohnräumen und den in ihnen befindlichen Ausstattungsgegen¬
ständen durch Kehren, Bürsten und Ausklopfen. Ein Apparat, der
diesen Übelständen abzuhelfen in der Lage ist, wurde vor kurzem
von England aus in Deutschland eingeführt, der „Vacuumreiniger
bezw. Vacuum Cleaner“. Das Prinzip hierbei ist, durch Saugluft
die Staubpartikelchen aufzusaugen, zu sammeln und zu vernichten.
Verfasser stellte bei seinen Versuchen fest, dass die Reinigung mit
diesen Apparaten eine sehr gründliche sei und die Staubentwick¬
lung eine ausserordentlich geringe.
Vom hygienischen Standpunkte betrachtet, bedeuten die
Vacuum*Reinigungsapparate einen Fortschritt auf dem Gebiete der
Wohnungshygiene. Mastbäum (Cöln).
Kisskalt, Eine neue Methode zur Bestimmung der sichtbaren Ver¬
unreinigung von Fluss- und Abwasser. (Hyg. Rundschau 1904, 1036.)
Die sichtbare Verunreinigung des Wassers wird durch Wägung
der Schwebestoffe oder durch Ermittlung der Durchsichtigkeits¬
höhe bestimmt. Verf. hält diese Verfahren für ungenau (?) und
empfiehlt, in einem verdunkelten Zimmer Lichtstrahlen durch eine
5 cm hohe Schicht des verschmutzten Wassers fallen zu lassen und
den Lichtverlust photometrisch zu bestimmen.
Grosse-Bohle (Cöln).
Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheits¬
pflege. (III. Jahrgang 1902. Zürich, Verlag von Zürcher und Furrer.)
Das Jahrbuch enthält 1. den Bericht über die Jahresversamm¬
lung dieser Gesellschaft am 14. und 15. Juni 1902 in Basel, in dem
die nunmehr auch in Deutschland aktuell gewordene Frage der
Freigabe des Nachmittags in der Volksschule und der Beschränkung
des Unterrichtes, auf den Vormittag dahin beantwortet wird, dass
im allgemeinen in den Schulen nicht zu viele Unterrichts¬
stunden, aber zu viele Sitz stunden und zu wenig körperliche Be¬
tätigung der Schüler vorhanden wären; die Frage sei zudem nicht
allein vom hygienischen, sondern insbesondere auch vom sozialen
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Standpunkte zu betrachten: Den Nachmittag schulfrei erklären,
hiesse der Verwahrlosung der Jugend zumal in Städten und in¬
dustriellen Gemeinwesen Tür und Tor öffnen; denn man vergesse
nicht, dass die Schule für einen grossen Prozentsatz von Kindern
nicht nur Unterrichts- und Erziehungsanstalt, sondern zugleich
auch Be wahr an st alt ist; schliesst sie ihre Tore, dann stehen so
viele der Kinder auf der Strasse, da Vater und Mutter ihrer Be¬
schäftigung nachgehen müssen und erst am Abend nach Schluss
der Arbeitszeit heimkehren.
2. Einen Vortrag des Regierungsrates Prof. Dr. Burckhardt
über die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten in der Schule.
Es wird daran erinnert, dass in sehr vielen Fällen Masern, Scharlach,
Keuchhusten und Diphtherie nicht glatt ablaufen, d. h. sie endigen
nicht mit rascher und völliger Wiederherstellung, sondern sie lassen
allerhand Nachkrankheiten zurück, welche teils direkt erheb¬
liche Leiden verursachen, teils dauernde Infirmitäten schaffen (Gehör¬
affektionen, Lungenkatarrhe), ferner die so oft leider übersehene
Gehirnermüdung besonders nach langen fieberhaften Krankheiten,
wodurch die Kinder nicht nur geistig träger und unlustig, ja, un¬
fähig zu geistiger Arbeit, sondern auch gemütlich affiziert, mürrisch,
traurig oder gereizt sind. — Bei Masern und Keuchhusten, Mumps,
Windpocken und Röteln geschieht die Verbreitung sehr häufig und
offenkundig durch den Schulbesuch, wohingegen bei Diphtherie und
Scharlach die Schule nicht der gewöhnliche Ort der Acquisition zu
sein pflegt. (Familie — Haus — Strasse.) Bezüglich der Exclusion
scharlachkranker Kinder glaubt Bruns, dass drei Wochen, vom Be¬
ginn der Erkrankung an gerechnet, genügen, bei Masern 12—14
Tage seit dem Auftreten des Exanthems, bei Diphtherie 12 Tage
seit dem Verschwinden der Halserscheinungen, bei Keuchhusten,
solange die Anfälle einen krampfartigen Charakter haben. Tuber¬
kulöse Kinder und Lehrpersonen sind von der Schule auszuschliessen.
Was das Auswerfen anbelangt, so ständen die Spucknäpfe meist
unbenutzt in oder auf dem Schranke. Prophylaktisch sind Turnen,
Schulbäder, Suppenverteilung, Ferienversorgung, Schulspaziergänge
unbedingt erforderlich.
3. Referat von Dr. A. Siegrist über Zweck und Methode der
Augenuntersuchungen in den Volksschulen. Im Jahre 1865/66 fand
Prof. Cohn in Breslau, dass in den Dorfschulen weniger kurz¬
sichtige Schüler sind als in den städtischen Schulen, und dass die
Zahl dieser Kinder von Klasse zu Klasse steigt, ebenso der Grad
der Myopie. Derselbe Autor fand, dass jedes scheinbar emme¬
tropische Auge nach Atropin-Einträufelung hyperraetropisch wurde
und bestätigte somit die Behauptung des Petersburger Ophthalmo¬
logen Erismann, dass eine leichte Hypermetropie der normale Zu-
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183
stand des jugendlichen Auges sei. Astigmatismus ist bei den
Schülern ungemein häufig. — Es wird daher die ganze Schüler¬
schaft in Zürich z. B. beim Eintritt in die Schule auf ihre Seh¬
schärfe untersucht und fehlerhafte Augen nach speziell ophthalmo-
logischer Untersuchung entsprechend behandelt.
Dr. A. Steiger, Zürich, referiert dann in extenso über die
modernen Ziele der Augenuntersuchungen und über die Methode
dieser letzteren.
über die neuen Schulhäuser der Stadt Basel spricht Regierungs¬
rat H. Reese, dessen Schlussworten die Sehul-Hygieniker nur aus
vollem Herzen zustimmen können:
„Hoffen wir, dass auch in Zukunft dem Schulhausbau und
den auf diesem Gebiete erzielten Fortschritten stets die nötige Be¬
achtung geschenkt werde, und dass es, wie bisher, nie an den
nötigen Mitteln fehlen möge, um diesem wichtigen Zweige der
öffentlichen Verwaltung nach jeder Richtung hin gerecht werden
zu können! Doutrelepont (Cöln).
Kotelmann, Sehulgesundheitspflege. [Ein Teil von Dr. A. Baumeisters
Handbuch der Erziehung u. Unterrichtslehre für höh. Schulen.] 2. Aufl.
(München, Becksche Buchhandlung.)
Obiges Buch gibt in 2 Abschnitten: 1. Hygiene der Schul¬
räume, 2. Hygiene der Schüler, dem Lehrer höherer Bildungs¬
anstalten, für den das Buch bestimmt ist, in klarer übersichtlicher
Anordnung des Stoffes Aufschlüsse über den gegenwärtigen Stand
der Hygiene. Die Übersetzung des Buches ins Englische beweist
den Anklang, welchen das Buch allerseits gefunden hat. Verfasser
ist bei der Neubearbeitung der 2. Auflage dem Wunsche vieler,
eine Erweiterung einzelner Kapitel vorzunehmen, nachgekommen,
so dass das vorliegende Buch 203 Seiten umfasst unter Beibehaltung
des Planes und Zweckes des Buches. Damit würde wohl die Aus¬
dehnung eines derartigen Stoffes für den Lehrer der höheren
Schule ihre Grenze erreicht haben, da in unserer heute so schreib¬
lustigen Zeit zu viele Bücher in jeder einzelnen Disziplin erscheinen,
die Sichtung derselben immer schwerer wird, und ausserdem leicht
rein ärztliche Dinge in den Bereich des Lehrers hineingezogen
werden können.
Gleich die Einleitung, die Geschichte der Schul gesund heits-
pflege in Deutschland fesselt den Leser des Buches. Die Urteile
grosser Männer unsers deutschen Volkes, Luther, Zwingli, Goethe
usw. gegenüber denen der Geistlichen des Mittelalters, die im
Jugendspiel nur ein Mittel des Teufels sehen, bereiten den Leser
in ausgezeichneter Weise auf den späteren Stoff vor.
Die Errungenschaften der modernen Hygiene in würdiger An-
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184
erkennung der Verdienste eines Pettenkofer u. a. bilden eine vor¬
zügliche Überleitung zum ersten Kapitel, Hygiene der Schulräume.
Die Lage der Schulzimmer, die natürliche Beleuchtung derselben
wird mit der Abbildung, Beschreibung und Anwendungsweise der
Helligkeitsprüfer, was wohl etwas kürzer abgehandelt werden
könnte, in ein der Bedeutung der Sache entsprechendes Licht ge¬
rückt. Die natürliche Ventilation durch Öffnen der Fenster wird
jeder künstlichen vorgezogen. Das Kapitel über Reinhaltung der
Schulzimmer usw. schlägt sehr richtig eine geordnete Inspektion
der Aborte durch Direktor und Lehrer vor, die es zumeist für
unter ihrer Würde erachten, einen derartigen Ort in Augenschein
zu nehmen. Nach der Betrachtung der Heizungsanlagen könnte
wohl bei aller Wichtigkeit der Schulbankfrage künftig eine kürzere
Darstellung der Schulbänke erfolgen, ohne das wichtige der Sache
im geringsten zu vernachlässigen.
Im Mittelpunkt des Buches steht mit Recht die Hygiene des
Nervensystems der Schüler, welche für Lehrer und Arzt im Mittel¬
punkt der ganzen Schulgesundheitspflege an höheren Schulen steht.
Eingeleitet mit einer kurzen Betrachtung über Gewicht und Be¬
schaffenheit der Gehirne grosser Männer wird die Leistungsfähigkeit
der jugendlichen Gehirne an Diktatproben der verschiedenen Arten
gemessen, als Massstab für die Ermüdung dienen die mit Mossos
Ergograph und Griesbachs Aesthesiometer, beide wieder sehr aus¬
führlich besprochen, gewonnenen Resultate, die von Kräpelin u. a.
für sehr ungenau gehalten werden, je nachdem die geistige Tätigkeit
unter dem Einfluss zahlreicher Faktoren, Ermüdung, Hunger, Ab¬
lenkung, Übung, Gewöhnung, Willensanstrengung, Erregung, ge¬
schwächt oder gesteigert ist. Nach den hierüber vorliegenden
experimentell psychologischen Arbeiten kommt vor allem ein nach
bestimmten Gesichtspunkten für die Stunden des Tages geordneter
Lehrplan mit richtig angeordneten Erholungspausen in Betracht,
womit wieder die Frage der geteilten oder ungeteilten Schulzeit
erg verknüpft ist. Der nötigen Erholung der Schulzeit in den
Ferien wird in geeigneten Ferienkolonien und auf Reisen gedacht.
Tritt trotz aller Vakanzen und Vorsichtsmassregeln eine Über¬
bürdung der Schüler ein, so liegt die Schuld vielfach an den Eltern,
die die Kinder zu früh der Schule übergeben, oder die geistige
Befähigung derselben reicht für die höhere Schule nicht aus, un¬
nötige Ablenkung bei den Arbeiten verursachen Besuch von Theatern,
Gesellschaften usw. Eine Überbürdung mit häuslichen Arbeiten
darf die zum Schlaf nötigen Stunden nicht kürzen, Klavierstunden
dürften von Nachhülfe bedürftigen Kindern nicht genommen werden.
Die unnützen grossen Examenvorbereitungen sind höchst verwerflich.
Eine richtige Verringerung des Lehrstoffes mancher Unterrichts-
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185
fächer und eine Verbesserung der Unterrichtsmethode haben schon
viele Übelstände beseitigt, doch bleibt wohl in dieser Hinsicht
vieles Verbessernswerte übrig, wenn wir uns an unsere noch nicht
so fern liegende Schulzeit erinnern. Nur so können bei Berück¬
sichtigung aller dieser Punkte die einer näheren Besprechung
gewürdigten häufigen Kopfschmerzen, Nasenbluten, Neurasthenie,
Hysterie, Geistestörungen im Jugendalter, Selbstmorde immer mehr
in Wegfall kommen.
Sehr wünschenswert wäre oft die Vertiefung der Lehrer in
den Charakter ihrer Schüler, mit Recht werden hier folgende
Worte Kraft-Ebbings angeführt:
„Wenn die Pädagogen ein tieferes Studium aus dem Menschen
auch in seinen pathologischen Verhältnissen machten, so würden
manche Fehler und Härten der Erziehung wegfallen, manche un¬
passende Wahl des Lebenslaufes würde unterbleiben und damit
manche unglückliche Existenz gerettet werden. Nur zu häufig
vergessen die Lehrer über dem diddaxeiv das nai&eveiv .
Den Schluss dieses wichtigen Kapitels bilden Erörterungen
über den Alkoholgenuss und das Rauchen. Bis zum 14. Lebens¬
jahre sollte kein Kind Wein, Bier, Tee oder Kaffee zu trinken be¬
kommen. Wa3 in dem Buche hierüber gesagt ist, können auch
wir aus unserer eigenen Schulzeit nur bestätigen. Der Schirlings-
Vergiftung des Sokrates wurde immer und immer wieder gedacht,
dass Alkohol ein Gift sei, hat uns kein Lehrer gesagt, der Genuss
desselben wurde ev. mit Karzer bestraft. Geeignete Unterweisungen
über die Wirkung des Alkohols könnten sehr gut im Naturgeschichts¬
unterricht, Geschichtsunterricht und in der Religionsstunde ge¬
legentlich mit eingeflochten werden, auch könnten gemeinsame
Spaziergänge und grössere Vorträge der Lehrer hier sehr viel
Gutes stiften.
Das nächste Kapitel verbreitet sich über die Hygiene des
Auges, Ohres, der Stimm- und Sprachorgane, bei aller Wichtigkeit
des Sehorganes könnte es doch wohl vom Verfasser als Augenarzt
künftig etwas kürzer abgehandelt werden, ohne wirklich Wichtiges
hierbei zu übergehen.
Im Schlusskapitel werden die Rückgradsverkrümmungen ent¬
sprechend gewürdigt. In wohl etwas mehr als ausführlicher Weise
werden die durch die Schule so häufig Verbreitung findenden
Infektionskrankheiten besprochen, die Beschreibung der Krank¬
heiten dürfte wohl, da das Buch für den Lehrer berechnet ist,
etwas zu ausführlich sein. Mit Betrachtungen über den unsittlichen
Verkehr unter Schülern schliesst das wertvolle Buch.
Brehmer (Solingen).
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186
Weygandt, Beitrag zur Lehre von den psychischen Epidemien.
(Halle a. S. 1905. Carl Marhold.)
Die Ausführungen desVerf. sollen an der Hand anschaulicher
Beispiele die Frage behandeln, wie von Seiten eines geistig abnormen
Individuums Einflüsse in psychopathologischem Sinne auf andere
Individuen ausgehen.
Er ist der Ansicht, dass man viel zu schnell mit der Annahme
einer rein psychischen Infektion bei der Hand sei, wo es sich bei
näherer Betrachtung herausstellt, dass das angesteckte Individuum
keineswegs psychisch intakt und die Frage erlaubt war, ob dessen
Psychose lediglich dem Einfluss des kranken Individuums zuzu¬
schreiben oder am Ende nicht auch ohne diesen Einfluss ein¬
getreten wäre.
Jedenfalls ist diese Art der psychischen Auslösung einer
Geistesstörung weit häufiger als die Übertragung auf eine nicht
von vorn herein zur Erkrankung disponierte Person, als die Ein¬
pflanzung psychopathischer Züge von einem Geisteskranken in die
Krankheitsäusserungen eines zweiten Patienten, oder endlich der
von einem Geisteskranken ausgehende psychopathologische Einfluss
auf geistig Gesunde.
Gerade in dieser letzten Gruppe liegt die soziale Gefahr einer
psychischen Epidemie, und hier muss die aufklärende Arbeit des
Irrenarztes über das Wesen des Irreseins eingreifen, weiterhin die
Hebung der Bildung und des Urteils grosser Volksmengen, und
schliesslich im einzelnen Falle das geschickte Eingreifen der Be¬
hörden und die Fürsorge für die wirklich Erkrankten.
Dass hier noch manches zu tun ist, hat W. an zwei eingehend
behandelten Fällen gezeigt, und daher der Wert seiner Arbeit als
ein Beitrag zur Verhütung künftiger Gefahren durch psychische
Epidemien. P elman.
Müller, Mein System. (Leipzig, K. F. Köhler.)
Empfehlung und ausführliche Schilderung aktiver Gymnastik
— jeder Muskel wird systematisch für kurze Zeit in Tätigkeit ge¬
setzt — zur Kräftigung des Körpers und Vermeidung von Krank¬
heiten. Ausserdem werden frische Luft, kaltes Wasser, Sonnen¬
bäder, Frottierung der Haut und passende Diät etc. empfohlen.
Der ganze Prozess nimmt täglich nur x / 4 Stunde in Anspruch. Der
Körper soll dadurch gestärkt, geschmeidig, beweglich und tüchtig i
werden. Ein guter und zeitgemässer Wink eines Nichtmediziners. j
Immerhin ist das Jahnsche Turnen, und sei es nur an zwei Stunden
pro Woche, vorzuziehen. Cr am er (Cöln).
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187
Vierordt, Die Säuglingsabteilung, Säuglingsambulanz und Milch¬
küche der Luisen-Heilanstalt (Kinderklinik) zu Heidelberg. (Stutt¬
gart, Verlag C. H. Moritz 1904).
Nach Heubners, Biederts und Schlossmanns Vorgehen will
auch Verfasser die Sterblichkeit unter den Säuglingen vermindern
und die Widerstandsfähigkeit und ihr Gedeihen erhöhen. Er er¬
blickt die Lösung dieser Aufgabe 1) in der Propaganda zur Ver¬
breitung des Selbststillens seitens aller Mütter, die dazu fähig sind,
2) in der Einführung einer gesunden und vernünftigen künstlichen
Ernährung durch wissenschaftliche Arbeit und Belehrung der
weitesten Volksschichten.
Was speziell für die Pflege und Ernährung der Säuglinge
und zwar erst in der allerneusten Zeit geleistet ist, gliedert sich
I. in die wissenschaftliche Arbeit über Säuglingsverdauung
und -ernährung, über Frauenmilch, Kuhmilch und andere Säuglings¬
nahrungsmittel,
II. in die Schöpfung von Anstalten zum praktischen Zweck.
1. Anstalten zur Propaganda des Stillens.
Die Propaganda hat bei den Müttern in den ersten Tagen
des Wochenbettes einzusetzen. Abgesehen von der Einwirkung
auf die Gesinnung der jungen Mädchen durch Schulen etc., ab¬
gesehen von der Tätigkeit der praktischen Ärzte, Hebammen und
Wochenpflegerinnen (letzteren wäre diese Propaganda instruktions-
gemäss zur Pflicht zu machen), kommt hier die Wirksamkeit der
Gebäranstalten, Frauenkliniken, Wöchnerinnenasyle in Betracht.
Endlich haben dieser Propaganda zu dienen die Säuglingsspitäler,
Findelhäuser und Krippen.
Stationen für kranke Säuglinge gibt es nur in Deutschland
und Deutschösterreich.
Natürlich können die meisten Ammen nur ein gesundes Kind
von normalem Appetit stillen, stellt man daher in solchen Anstalten
Ammen an, so vernachlässigt man deren Kinder. Es gibt ver¬
schiedene Wege, um den erwähnten Übelstand zu vermeiden oder
abzuschwächen:
a) Die Amme stillt ihr eigenes Kind mehrere Monate, setzt
es dann ab und übernimmt ein anderes. (In Frankreich
teilweise glänzende Erfolge.)
b) Die Amme stillt ihr eigenes und ein oder selbst mehrere
atrophische Künder unter Hinzunahme von Beikost.
Manche Ammen können durch hohe Anforderungen an
ihre Brustdrüsen und richtige Ernährung etc. zur Ab¬
sonderung sehr beträchtlicher Mengen tadelloser Milch
erzogen werden, bis 3 Liter und mehr den Tag.
c) Den Ammen, welche sich für anderer Leute Kinder zur
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188
Verfügung stellen, wird eine Unterkunft für ihre eigenen
Kinder mit garantiert guter, überwachter, künstlicher Er¬
nährung besorgt (Dresden, Solingen-Haan); ein schon nicht
mehr ganz unbedenkliches System.
Da wir aber leider die Wirkung der Propaganda des Selbst¬
stillens nicht abwarten können, so gilt es inzwischen die künstliche
Ernährung zu heben, in erster Linie die Kuhmilchernährung
(Ziegenmilchernährung!). Wo es möglich ist, mit humanitären
Anstalten gleichzeitig eine Förderung der Wissenschaft durch
Laboratorien und exakte klinische Beobachtung zu fördern, sollte
es geschehen. Man dient damit, soweit die Sache in den rechten
Händen liegt, erst recht der Humanität.
Die Bestrebungen um Besserung der künstlichen Ernährung
haben bei der Kuh zu beginnen, ihrer Fütterung und Haltung,
ihrer gesundheitlichen Beurteilung und Überwachung, mit StalL
und Melkkontrolle, Organisation der Behandlung der Milch vom
Augenblicke an, da sie das Euter verlässt.
Wesentlich ist, dass man Erreichbares anstrebt. Die Grenze
ist aber durch den Milchpreis gesetzt. Der dämpft natürlich den
Enthusiasmus für Musterställe und dergleichen. Wir erstreben
Besserungen, die in die weiteste Breite gehen können.
Die Erfahrung führte überall dazu, dass man Erfolge nur
von vollkommen trinkfertiger Nahrung, also auch von Einzel¬
portionen erwarten kann.
(Einrichtung von Säuglingsmilchküchen, Gouttes de lait, unter
sachverständiger, also ärztlicher Leitung.)
Das Ideal zur Hebung der Säuglingsernährung würde in
einem komplizierten Organismus von Anstalten bestehen, also etwa
folgendermassen:
Angelehnt an eine Gebäranstalt oder ein Wöchnerinnenasyl,
am besten an beide, ist eine „Säuglingssprechstunde“, in welcher
die Kleinen wöchentlich vorgeführt, gewogen und ärztlich unter¬
sucht werden. Die Mütter, von Anfang an zum Selbststillen er¬
mahnt, würden hier Lob und Ermunterung. Unterstützung, Be¬
lohnung erhalten — oder aber über künstliche Ernährung belehrt.
In unmittelbarer Beziehung hiermit: Station für gesunde
Säuglinge, die aufgenommen werden, falls ihre Mütter mit dem
besten Willen nicht für ihre Kinder sorgen können, und zwar
entweder in ganzer Station (Findelhaus) oder Tagesstation (Krippe) —
beide mit Ammen; weiterhin damit verbunden eine Station für
kranke Säuglinge, wieder mit Ammen; ferner in direkter Ver¬
bindung eine Milchküche für Abgabe trinkfertiger künstlicher
Nahrung für die Station und nach aussen; diese in Verbindung
mit einem tadellosen, kontrollierten Stall; dazu käme eine „orga-
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189
nisierte sog. Aussenpflege“ derart, dass die Kinder, deren Mütter
nicht pflegen oder stillen können, zur Brust oder künstlichen Er¬
nährung und Pflege an vollkommen zuverlässige, kontrollierte
Frauen in Privathäuser gegeben werden; endlich Untersuchung
und Überwachung aller häuslichen Verhältnisse der Säuglinge bei
Müttern und Pflegemüttern.“
Ein solches Institut würde auch Säuglingspflegerinnen aus¬
bilden, junge Damen in ihren Beruf als künftige Mütter einführen.
Es könnte endlich ein Durchgangspunkt, eine Prüfungsanstalt und
Schule für Ammen sein. Durchführbar wäre dieser Organismus
nur in einer Grossstadt. Die Gefahr, dass Mütter ihre Kinder
vollständig der Anstalt überlassen, und dass Selbststillen der Mutter
infolge der verbesserten künstlichen Ernährung zurücktritt, ist
nicht gering. (Festes Auftreten der Ärzte, Pflegerinnen wohltätiger
Personen.)
Milchküchen allein von Laien ohne ärztliche Beratung geleitet
sind bedenklich. Doch können wir Milchküchen keinesfalls ent¬
behren.
Es sollte einer Säuglingsstation möglichst eine organisierte
Aussenpflege angegliedert werden, weil Säuglinge mit Rücksicht
auf die Mütter nie allzu lange in Stationspflege gehalten werden
sollten.
Im Anschluss an sein „Programm“ gibt der Verfasser eine
Beschreibung der Anstalt an der Hand von Plänen und Abbildungen,
die im Buche selbst neben der Anschauung zu studieren sind.
Die Einrichtungen sind wissenschaftlich und technisch vorzüglich
und — komfortabel, die dienenden und pflegenden Hände reich¬
lich, das ganze eine Musteranstalt. Neidisch möchte man sagen:
zu musterhaft, um Muster sein zu können für die weitesten Kreise,
gerade die, deren Säuglinge der Anstalten am dringendsten bedürfen,
der unverheirateten, armen Mütter. Nebel (Solingen-Haan).
Aigre, La „Goutte de lait“ et les „Consult&tions de nourrissons“
de Boulogne-sur-Mer. (Annales d’hygi&ne publique November 1904.)
Zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, die ja für unsere
westlichen Nachbarn bei dem dortigen Rückgang der Bevölkerungs¬
zahl noch wichtiger ist als für uns, hat man in Boulogne-sur-Mer
drei Einrichtungen getroffen. Bei den sogenannten Secours d’allaite-
ment bekommen die Mütter von Neugeborenen eine tägliche Geld¬
unterstützung unter der Bedingung, dass jene selbst stillen und
wöchentlich ihre Kinder einmal vorstellen. Bei der Goutte de lait
wird sterilisierte und der Frauenmilch ähnlich gemachte Kuhmilch
an die Mütter der Säuglinge verteilt, bei den Consultations de
nourrissons sollen unentgeltlich die Säuglinge gewogen und gute
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Ratschläge für ihre Ernährung den Müttern erteilt werden. Doch
hat im ersten Jahre ihres Bestehens von dieser letzten Einrichtung
keine einzige Mutter Gebrauch gemacht. Durch die beiden andern
Einrichtungen glaubt Verfasser schon eine günstige Beeinflussung
der Säuglingssterblichkeit in Boulogne-sur-Mer beobachtet zu haben.
Schneider (Breslau).
Albrand, Die Kostordnung an Heil- und Pflegeanstalten. (Leipzig
1903. H. Hartung & Sohn.)
Die in diesem Büchlein abgefasste Kostordnung wird allen
denjenigen willkommen sein, denen bei Aufstellung eines Speise¬
regulativs eine schnelle Orientierung über das Wissenswerteste der
massgeblichen theoretischen Faktoren und deren praktische Nutz¬
anwendung erwünscht ist. Bleib treu (Cöln).
Long-Preusse, Praktische Anleitung zur Trichinenschau. [VI. Aufl.
von M. Preusse.] (Berlin 1905. Richard Schoetz.)
Als leicht fasslicher Leitfaden hat sieh das vorliegende Werk
seit langem bewährt. Verf. ist bemüht gewesen, die neue Auflage
den Bestimmungen des Reichsfleischbeschaugesetzes anzupassen und
gibt die diesbezüglichen Bestimmungen als Anhang. Preusse gibt
das Wissenswerte über die Entwicklung der Trichinen in anschau¬
licher knapper Form und nach seinen Angaben über die Art und
Weise der Ausführung der Trichinenschau kann man sich ohne
weiteres zurechtfinden.
Bei Besprechung der gesundheitsschädlichen Finnen wäre es
angebracht, dass auch die Kennzeichen der unschädlichen Finnen
kurz angegeben werden. Auch wäre es wünschenswert, dass der
Organisation der Trichinenschau an den öffentlichen Schlachthöfen,
namentlich hinsichtlich der Buchführung, mehr Beachtung geschenkt
würde. Kühnau.
Mosny. La nocivitE des hultres et 1’insalubritE des Etablissements
ostrEicoles. (Annales d’hvgiene publique et de medecine legale.
NumEro de Novembre 1904.)
Nach der Schilderung des Verfassers ist die Austernzucht in
Frankreich wegen einiger kleinen Epidemieen, die durch das Essen
von Austern entstanden sind, etwas in Misskredit geraten. Wie
Mosny ausführlich auseinandersetzt, sind daran aber die Austern
selbst nicht schuld, sondern die nach Austerngenuss beobachteten
Cholera- oder ruhrartigen Erscheinungen, einfachen Magendarm¬
katarrhe und Typhen, welche letztere übrigens nach Mosny häufiger
zum Tode führen als die Typhen aus anderer Ursache, beruhen
lediglich auf Übertragung von Krankheitsstoffen aus verunreinigten
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Austernparks oder seltener auf sonstiger Verunreinigung der Austern
beim Zwischenhandel. Die zunächst paradox klingende Behauptung,
dass die Gefahr der Krankheitsübertragung durch Austern um so
grösser sei, je frischer sie seien oder wenigstens je kürzere Zeit
seit ihrer Entnahme aus den Austernparks verstrichen sei, begründet
Verfasser damit, dass diese Tiere für Verunreinigungen ein gewisses
Absorptionsvermögen besässen, weshalb die Austern für die Kon¬
sumenten nur einige Tage nach der Entnahme aus verunreinigten
Parks schädlich seien. Mosny wendet sich gegen diejenigen Austern¬
züchter, die nichts von einer Krankheitsübertragung durch verun¬
reinigte Austernparks wissen wollen, und fordert genaue hygienische
Untersuchungen der bestehenden Austernparks, sowie scharfe behörd¬
liche Massnahmen gegen ihre Verunreinigung.
Schneider (Breslau).
Böhmert u. Meinert, Die Alkoholfrage. [Vierteljahrsschrift zur Er¬
forschung der Wirkungen des Alkohols.]
In erfreulicher Weise mehren sich die Bestrebungen, die auf
eine Bekämpfung der schädlichen Folgen des Alkohols hinzielen,
und besonders alle diejenigen, die infolge ihres Berufes oder ihrer
Stellung häufiger Gelegenheit haben, die verheerenden Wirkungen
des Alkohols zu sehen, werden jedes neue Hülfsmittel in diesem
Kampfe mit Freuden begrüssen.
Auch die oben angeführte neue Zeitschrift, von der uns die
ersten Probebogen vorliegen, will sich an diesem Kampfe beteiligen.
„Die Alkoholfrage steht — wie der eine der beiden Herausgeber
in der einleitenden Abhandlung ausführt — auf dem streng wissen¬
schaftlichen internationalen Standpunkte der Wahrheitsforschung,
sie will die Wirkungen des Alkohols und die zur Bekämpfung der
Alkoholgefahr in alten und neuen Zeiten und Staaten angewandten
Mittel unparteiisch darstellen und prüfen und dabei die Erfahrungen
fremder Länder ebenso berücksichtigen, wie diejenigen im eigenen
Vaterlande und an Ort und Stelle.“
Durchdrungen von der Überzeugung, dass es aussichtslos ist,
die Kluft zwischen Massigen und Enthaltsamen durch theoretische
Erörterungen auszufüllen, vertritt die Alkoholfrage den Standpunkt,
praktische Toleranz zu üben in dem Streben nach dem gemeinsamen
Ziel; die Enthaltsamkeitsbestrebungen sind ebenso notwendig wie die
Mässigkeitsbestrebungen.
Eröffnet wird die Reihe der wissenschaftlichen Untersuchungen
mit einem Artikel von Gaule: Muskeln oder Nerven?, in dem der
Verfasser zeigt, wie an Stelle der Muskelkraft, die früher ausschlag¬
gebend war im Kampfe ums Dasein, mit der wachsenden Kultur
immer mehr die Nervenkraft getreten ist. Die Muskelkraft wird
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heute in immer steigendem Masse ersetzt durch die Maschine, deren
Speisung — Kohle — billiger ist als der Ersatz der verbrauchten
Muskelkraft — wozu wir Eiweiss, Fett und Kohlehydrate nötig
haben —. Daher wird die Maschine bei einer Konkurrenz immer
über die Muskelkraft siegen. Ersonnen und geleitet und gelenkt
werden muss aber die Maschine durch Nervenkraft, und es ist daher
ein notwendiges Erfordernis, die Nervenkraft zu stärken, besonders
aber alles zu verhüten, was zu einer Schädigung des Nervensystems
führen kann. Die grösste Schädlichkeit ist aber der Alkohol, durch
den der Mensch allmählich, wie Verfasser an dem Beispiel der mäh¬
rischen Kohlenarbeiter zeigt, zur Maschine wird, der nur noch seine
Muskelkraft verwenden kann, während er das Gehirn ganz aus¬
schaltet; im Gegensatz dazu ist der amerikanische Arbeiter haupt¬
sächlich Nervenmensch, er braucht keine Muskelkraft, er ersetzt
diese vielmehr durch Maschinen, die er durch sein Gehirn lenkt;
er ist daher der kulturell entschieden höher stehende. Erreicht hat
der amerikanische Arbeiter das dadurch, dass er im allgemeinen
keinen Alkohol konsumiert. Diese alkoholfreie Atmosphäre ihres
Landes steilen die amerikanischen Mässigkeitsvereine hauptsächlich
als ein Produkt des Unterrichts hin, der über die Wirkungen des
Alkohols schon in der Schule erteilt wird, und Verfasser fordert
demgemäss auch für unsere Volksschulen, dass der Lehrer in sach¬
verständiger Weise über die Kräfte des menschlichen Organismus
und die Gefahren, die ihn bedrohen, spricht.
In der zweiten Abhandlung zeigt Dr. Meinert an einem Bei¬
spiel aus der Tagesgeschichte die schädlichen Wirkungen des Al¬
kohols, indem er an der Hand der gerichtlichen Zeugenaussagen
nachweist, dass das Eisenbahnunglück bei Rothenkirchen in Sachsen,
bei dem drei Personen getötet und über 100 verwundet wurden,
nur durch die Trunkenheit des Lokomotivführers entstanden ist.
Schon die wenigen vorliegenden Bogen lassen demgemäss er¬
kennen, dass die Zeitschrift allen denen zu empfehlen ist, die be¬
rufen sind, in dem Kampfe gegen den Alkohol mitzustreiten, und
das sind wohl alle Leser dieser Zeitschrift. Fuchs (Cöln).
Czaplewsky, Über Versuche mit einer hygienischen Geschirrspül¬
maschine. (D. V. f. ö. G., 36. Bd., 4. H.)
Verfasser weist einleitend auf die v. Esmarchsclien Versuche
über das lange Haften pathogener Keime an Essgeschirren und
die von Bornträger im Deutschen Verein für öffentliche Gesund¬
heitspflege in Dresden postulierte grössere Sauberkeit im Gast¬
wirtsgewerbe hin. Er begrüsst es dankbar, dass ihm im Restaurant
des zoologischen Gartens zu Cöln Gelegenheit gegeben worden ist,
eine Geschirrspülmaschine ,.Columbus“ von Steinmetz u. Komp, in
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Cölii kennen zu lernen, die nach den von ihm angestellten Be¬
obachtungen und Experimenten vollauf den hygienischen Ansprüchen
gerecht wird.
Die Geschirrspülmaschine Columbus hat ihre Vorgänger
dadurch weit überholt, dass sie die Beschädigung des Geschirrs
bei einiger Aufmerksamkeit aussckliesst und zur Abtrocknung der
Geräte mehr oder weniger unsaubere Wischlappen nicht erfordert.
Dies wird dadurch bewirkt, dass die Hochkant gestellten
und durch Holzpflöcke und Korbgeflechte in Körben gut fixierten
Geräte einmal in einem Waschkessel mit Sodaseifenlösung (1 °/ 0 Soda,
V,°/o S e ife) von 50° C. auf 20 Sekunden durch eine am Boden des
Kessels befindliche, elektrisch betriebene Strudelvorrichtung ener¬
gisch durchbraust werden und sodann in einem zweiten Kessel mit
klarem Wasser von 100° C auf 1 Minute durch mehrfaches Auf-
und Abbewegen nachgespült werden. Hierauf lässt man sie ab¬
tropfen und an der Luft lediglich infolge ihrer Eigenwärme ab¬
trocknen.
Verfasser stellte Versuche an in der Fabrik wie in seinem
Laboratorium mit Essgeschirren, die verunreinigt wurden mit tuberkel¬
bazillenhaltigem Auswurf und mit angetrocknetem Blute, dem Diph¬
theriebazillen und Staphvlococcus aureus zugesetzt waren. Er er¬
reichte stets bei einer Einwirkung von 50° warmer Sodaseifenlösung
auf 30 Sekunden im Waschkessel und der Nachspülung mit klarem,
100° heissem Wasser auf 1 Minute Abtötung der Bakterien. Das
angetrocknete Blut wurde freilich nicht immer so glatt beseitigt,
wie die in Seifensodalösung leichter löslichen Speisereste in der
Restaurantmaschine, Weitere Versuche mit den verschiedensten,
in Kapillarröhren eingeschmolzenen Kulturen pathogener Bakterien
ergaben gleichfalls unter denselben Bedingungen, aber ohne direkte
Einwirkung der Sodaseifenlösung Abtötung der Kulturen.
Er weist mit Recht auf die grossen Vorzüge der Columbus-
Maschine sowohl in wirtschaftlicher (Sparen an Bruchunkosten, an
Wäsche, Seife, Soda und Arbeitskräften; als namentlich in hygie¬
nischer Hinsicht hin (sichere Vernichtung der Krankheitserreger,
Vermeidung einer Re-Infektion des Geschirres durch unsaubere
Wischtücher, Schutz der Hände des Küchenpersonals vor der Ein¬
wirkung der heissen Sodalösung). Nauck (Hattingen).
Lewaschew, Ueber Vorrichtungen zur raschen Entwickelung von
FormalindAmpfen zur Desinfektion. (Hvg. Rdsch. 1904, Nr. 19, S. 921.)
Lewaschew bemängelt an den vorhandenen Methoden zur
Entwickelung von Formaldehyddämpfen, dass alle mehr oder weniger
teuer sind und zwar nicht nur durch den hohen Anschaffungspreis
der Apparate als vielmehr durch den bedeutenden Aufwand an
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Brennmaterial, welches sich namentlich dann bemerkbar macht,
wenn man Spiritus dem Petroleum vorzieht 1 ). Er empfiehlt deshalb,
in Desinfektionsanstalten und überall, wo man sonst Dampf zur
Verfügung hat, diesen zur Verdampfung des Formalins zu benutzen.
Verf. braucht dazu den in Russland gebräuchlichen Apparat
von Dr. S. Krupin. Derselbe stellt eine Modifikation des Flügge*
sehen Apparates (Breslauer Verfahren) dar. Er besitzt ein Wasser¬
standsrohr und ein den Deckel durchbohrendes beiderseitig offenes,
im Kessel bis fast auf den Boden reichendes Sicherheitssteigerohr.
Der Deckel wird mit Schraubklammern gedichtet. Verfasser bringt
nun die Flüssigkeit im Apparat durch eine 0.6 cm dicke, 70 cm
lange kupferne, kreisförmige Dampfschlange zum Sieden, welche
fast dem Boden des Apparates aufliegt und ca. 1.5 cm von den
Seitenwänden derselben entfernt bleibt. 5 Liter Wasser von 15° R.
siedeten im Apparat dabei nach 4 Minuten und nach 1 / 2 Stunde
waren bereits 3 Liter verdampft, während dazu im Flüggeschen
Apparat mit Spiritusheizung über 1 Stunde gebraucht wurde.
Czaplewski (Cöln).
L ewaschew: Ueber die Gefahr, welche einige zur Entwickelung
von Formalind&mpfen vorgeschlagenen Apparate bieten. (Hyg.
Rdsch. 1904, Nr. 20, S. 977.)
Lewaschew berichtet über einen zur Vorsicht mahnenden
Betriebsunfall mit dem Flüggeschen Apparat zur Formalindesin¬
fektion. Bei einer Desinfektion im April des Jahres begann ein im
Jahre 1899 gekaufter Flüggescher Apparat 40 Minuten nach An¬
zünden des Spiritus, als die Flüssigkeit bereits energisch siedete,
von einer Seite Dampf durchzulassen. Als der Desinfektor sich
dem Apparat näherte, um nachzusehen, ob vielleicht, wie das früher
schon beobachtet war, das Ventil, durch welches der Apparat ge¬
füllt wird, nicht ganz hermetisch schloss, erfolgte plötzlich eine
Explosion. Der Apparatdeckel wurde emporgeschleudert, der untere
Teil des Apparates in die Spiritusflamme gepresst und diese in den
unteren Teil des Stativs gedrückt. Der brennende Spiritus ergosa
sich in den Untersatz, während dem Desinfektor durch Formaldehyd-
und Wasserdampf Gesicht und Augen verbrüht wurden. Die Haut¬
verbrühung an Gesicht und Hals war glücklicherweise leicht.
1) Ref. hat bereits früher in seinen Arbeiten wiederholt darauf hin¬
gewiesen, dass bei der Formaldehyddesinfektion nicht sowohl die An¬
schaffungskosten als vielmehr die laufenden Betriebskosten und unter
diesen nicht zum wenigsten die Kosten für das Brennmaterial eine Haupt¬
rolle spielen. Durch zweckmässige Wahl des Brenners sind letztere bei
dem in CÖln eingeführten Verfahren auf ein Minimum (250 cc. Spiritua
pro Apparat = ca. 10 Pfg.) herabgedrückt.
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195
Das linke Auge hatte stärker gelitten, doch blieb die Sehkraft er¬
halten. Am ersten Tage war Beklemmnngsgefühl in der Brust, am
nächsten Tage Eiweiss im Urin nachweisbar, doch gingen auch
diese Erscheinungen vorüber.
Der Apparat, welcher fast täglich im Gebrauch gewesen war,
war vorschriftsmässig gefüllt. Die Deckellötung war aber dünn,
und hatte mehrfach von aussen nachgelötet werden müssen. Die
Explosion ist wohl durch plötzlichen zu hohen Überdruck im Apparat
entstanden, z. B. durch Verbiegung des zum Einleiten des Dampfes
in die Formalinkammer benutzten Kautschukrohres und Verschluss
des Rohres durch Flüssigkeit, oder durch Ablösen von Kessel¬
stein oder indem der Apparat nicht ganz horizontal stand, so dass
eine Wand stärker erhitzt wurde, worauf bei geringer Bewegung
des Apparates durch Berührung der Flüssigkeit mit der überhitzten
Wand (auch bei Ablösen von Kesselstein) übermässige plötzliche
Dampfbildung erfolgen musste. Verf. empfiehlt daher ein Sicher¬
heitsstandrohr wie beim Apparat von S. Krupin anzubringen,
welches den Deckel durchsetzt, 1 1 / a cm über dem Boden des Kessels
offen endigt und oben mit einer 40—45 cm langen Glasröhre mit
Gummischlauch verbunden wird. Auch sollte dem Flüggeschen
Apparat eine Vorrichtung zur bequemen Löschung der Flamme wie
beim Schneiderschen beigegeben werden. Czaplewski (Cöln).
Bruns, Versuche zur Frage der Desinfektion bei Ankylostomiasis.
(Münch. Med. Wochenschr. 1905, H. 2—4.)
Bruns teilt in der vorliegenden Arbeit die Ergebnisse der
Desinfektionsversuche gegenüber dem Ankylostomum mit und unter¬
zieht die Möglichkeit einer wirksamen Grubendesinfektion einer
kritischen Besprechung. Für die Desinfektion kommen in Betracht
1. Mittel, welche die eingekapselten Larven vernichten, 2. Mittel,
welche die Entwickelung der Eier zu verhindern vermögen. Der
Laboratoriumsversuch ergibt, dass eingekapselte Larven durch starke
Gifte, starke Mineralsäuren, ferner durch wasserentziehende Mittel,
und durch Desinfektionsmittel in engerem Sinne (Carbol, Cresol,
Saprol) abgetötet werden. Die eingekapselten Larven zeigen hier¬
bei eine weit grössere Widerstandskraft als die bakteriellen Erreger
ansteckender Krankheiten. Die Verhinderung der Weiterentwick¬
lung der Ankylostomumeier erfolgt durch die gleichen Mittel, aber
schon in schwächeren Konzentrationen. Immerhin sind auch hier
weit stärkere Lösungen erforderlich, als gegenüber den bakteriellen
Erregern der Infektionskrankheiten.
Bruns hat in einem abgeschlossenen Teil der Zeche Shamrock I/II
eine Reihe von Desinfektionsversuchen angestellt, welche geeignet
sind, die Unwirksamkeit der gebräuchlichen Entseuchungsverfahren
Central blatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 13
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196
bei der Grubendesinfektion darzutun. Hinsichtlich der Anordnung und
Ausführung der eingehend besprochenen Versuchsreihen muss auf das
Original verwiesen werden. Das Ergebnis war, dass die angewandten
Desinfektionsflüssigkeiten, ein 0.9 g Kalk und 0,83 g Karbol im 1.
enthaltendes Abwasser der Zeche, 10°/ 0 ige Kochsalzlösung, 1 /i°l 0 ige
Karbolsäurelösung und Kalkmilch, o°/ 0 ige Chlormagnesiumlauge,
5°/ 0 ige Chlorcalciumlauge und 1 °/oig cs Montanin, nur bei Anwendung
in sehr grossen Mengen eine gewisse Desinfektionswirkung erkennen
liessen, dass eine Verwertung für die Praxis aber an der Schwierig¬
keit der Aufbringung entsprechender Mengen der Desinfektions¬
mittel scheitern muss. Insbesondere gilt dies auch für die von
Tenholt zur Grubendesinfektion empfohlene Kalkmilch, welche erst
nach zehntägiger täglicher Verwendung als Berieselungsmittel (j e
10 l pro 1 m Strecke) die Larven abzutöten vermochte. Die für
eine Zeche von der Grösse Shainrocks erforderliche Kalkmenge
würde sich auf 10 mal ca. 350000 kg Weisskalk belaufen. Bruns
hält sich auf Grund seiner Feststellungen für verpflichtet, vor un¬
zureichenden Desinfektionsversuchen zu warnen, da dieselben ge¬
eignet seien eine trügerische Sicherheit zu erzeugen. Dasselbe gilt
für die Desinfektion der Abortkübel, für welche dieselbe übrigens
unter der Voraussetzung völlig entbehrlich sei, dass die Kübel wasser¬
dicht hergestellt und mit dichtem Verschluss versehen seien. Da¬
gegen hält Bruns einen Zusatz von Desodorisationsmitteln bei den
einschlägigen Verhältnissen für angebracht und empfiehlt insbesondere
Saprol-Wasser, das in Mengen von Vs 1 bis l /* 1 pro Kübel ein dauerndes
Verschwinden des Fäkalgeruches bewirke. Den Hauptnachdruck
bei der Bekämpfüng der Wurmkrankheit legt der Verfasser unter
Beibehaltung seines früheren Standpunktes im Gegensatz zu Tenholt
auf die systematische Durchsuchung der mikroskopischen Stuhl¬
untersuchungen unter Anschluss der erforderlichen Abtreibungs¬
kuren, ohne der günstigen Wirkung der sonstigen Präventivmass¬
nahmen, Belehrung der Bergleute, Verbot gemeinsamer Badebassins,
Massnahmen zur Verhütung des Absetzens von Kot an Unrechter
Stelle etc., die Anerkennung zu versagen. Bliesener (Berlin).
Tenholt, Über Anchylostomiasis mit besonderer Berücksichtigung
der Loosschen Lehre über die Einwanderung der Larven durch
die Haut. (Med. Klinik, I. Jahrg., Nr. 19, 1905.)
T. bespricht in dieser Arbeit im wesentlichen die neuesten Er¬
fahrungen über die Einwanderung von Ankylostomumlarven durch
die Haut. Der Weg, den die Larve zurücklegt, um an ihr End¬
ziel, den Dünndarm zu gelangen, ist noch nicht hinreichend be¬
kannt. Die Larve vermag nach Loos unmittelbar vor Durchbohrung
der Haut ihre Kapsel abzuwerfen; man sieht dieselben in den Loos-
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197
sehen Präparaten unter der Epidermis, in den Hautvenen, den Lymph-
gefässen, im Herzblut, in den Lungenalveolen, in den Bronchien
und im Kehlkopf liegen. T. hat in einem Versuchsfalle beim Men¬
schen das Eindringen des Anchylostomum durch die Haut nachprüfen
können. Einem Arzte, der sich freiwillig zur Verfügung stellte,
wurden am 16. Dez. 8—10 Tropfen einer larvenhaltigen Flüssig¬
keit (80—100 Larven) auf den 1. Vorderarm handbreit oberhalb
des Handgelenks gebracht, um sie dort verdunsten zu lassen. Nach
etwa Vs Stunde war die Flüssigkeit verdunstet; ein trockner Watte¬
verband wurde angelegt. Nach sechs Stunden verspürte der betr.
Arzt ein leichtes Jucken, am anderen Morgen bemerkte er zehn
gerötete Flecken, deren Zentrum je ein kleines Knötchen, ent¬
sprechend den Stellen der Haarwurzeln, bildete. Die Flecken
verschwanden bald. Nach Entfernung des Verbandes wurde die
Hautstelle desinfiziert, um jede Möglichkeit einer Infektion per os
auszuschliessen. Die Untersuchung des Stuhles blieb etwa sechs
Wochen lang ergebnislos, die ersten Wurmeier zeigten sich am
1. Februar.
Durch den vorstehenden Versuch hält T. die Möglichkeit
einer Infektion durch die Haut auch beim Menschen für erwiesen.
Die prophylaktischen Massnahmen werden gegenüber einem der¬
artigen Ansteckungsmodus insofern erschwert, als Reinlichkeit beim
Essen, Vermeidung einer Berühruug des Mundes mit unreinen Hän¬
den nicht mehr genügt, um einen Infektionsschutz zu gewähren,
da Hände und Arme bei der Arbeit in der Grube unvermeidlichen
Verunreinigungen uud somit auch Ansteckungsgelegenheiten aus¬
gesetzt sind. Den Hauptwert bei der Bekämpfung dieser Berufs¬
krankheit legt T. nach wie vor auf die hygienischen Präventiv¬
massnahmen, wenngleich er die Bedeutung systematisch durch¬
geführter Abtreibungskuren nicht in Abrede stellt. Sollte es durch
Verstärkung der Wetterführungen gelingen, die Temperatur einer
Grube unter 22° Celsius herabzubringen, so würde hierdurch zu- 9
gleich eine Immunisierung der Grube bewirkt sein.
Bliesener (Berlin).
Martini, Symptome, Wesen und Behandlung der Malaria. (Berlin
1904. Richard Schötz.)
Dieses Büchlein enthält in kurzer Fassung das wissenswerteste
über die Malaria unter Berücksichtigung der neuesten Erforschungen
auf diesem Gebiete. Besondere Berücksichtigung ist dem Ver¬
halten der Malariaparasiten im Menschen sowie den Malariaparasiten
im Anopheles gewidmet. Eine grosse Zahl guter Abbildungen
erleichtert sehr das Verständnis der durch die neuesten Forschungen
in ihrer Ätiologie erst genauer erkannten Krankheit.
Bleibtreu (Cöln).
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Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen
Bücher etc.
Abelsdorff, Dr. Walter, Die Wehrfähigkeit zweier Generationen mit Rück¬
sicht auf Herkunft und Beruf. Berlin 1905. Georg Reimer. Preis
2,— Mk.
Baum garten u. Tan gl, Proff. DDr., Jahresbericht über die Fortschritte¬
in der Lehre von den Pathogenen Mikroorganismen, umfassend Bak¬
terien, Pilze und Protozoen. Unter Mitwirkung von Fachgenossen
bearbeitet. 18. Jahrg. 1902. Leipzig 1905. S. Hirzel. Preis 40,— Mk.
Baur, Dr. A., Schulgesundheitspflcge. München 1905. Otto Gmelin.
Preis 1,60 Mk.
Biedert, Prof., Über die Biedertsche (Mühlhauser-Czaplewskische) Methode
zum Auffinden vereinzelter Tuberkelbazillen.
v. Boltenstern, Dr. O., Die Vergiftungen. Leipzig 1902. C. G. Naumann,
Preis 2,50 Mk.
Dieminger, Dr., Beiträge zur Bekämpfung der Ankyiostomiasis. 2 Hefte.
Jena 1904. Gustav Fischer. Preis 1,40 Mk.
Finckh, Dr. J., Die Nervenkrankheiten. Eine gemeinverständliche Dar¬
stellung. 3. Aufl. München 1905. Otto Gmelin. Preis 1,20 Mk.
First Annual Report of the Henry Phipps Institute for the study, treat-
ment, and prevention of Tuberculosis.
Gau pp, Dr. R., Über den Selbstmord. München 1905. Otto Gmelin. Preis
60 Pfg.
Grunau, Dr., Über Frequenz, Heilerfolge und Sterblichkeit in den öffent¬
lichen preussischen Irrenanstalten von 1875—1900. Halle 1905. Carl
Marhold. Preis 3,— Mk.
Hartmann, Prof. Dr. Ph. K., Die Kunst, des Lebens froh zu werden und
dabei Gesundheit, Schönheit, Körper- und Geistesstärke zu erhalten
und zu vervollkommnen. Eine Glückseligkeitslehre für das physische
Leben des Menschen. Neu bearbeitet von M. Pfenning. Stuttgart 1905.
Verlag Reform. Preis 2,— Mk.
•Haw, J., König Alkohol. 2. Aufl. Essen 1905. Fredebcul & Koenen.
Preis 25 Pfg.
Huber, Dr. Alfred, Der heutige Stand der Finsen-Therapie.
Hyleanus, J., Bekenntnis eines Trunksüchtigen. Essen 1905. Frede-
beul & Koenen. Preis 10 Pfg.
Kirchner, Prof. Dr. M., Die Verbreitung der Lepra in Deutschland und
den deutschen Schutzgebieten. Jena 1905. Gustav Fischer. Preis
60 Pfg.
Kleber, Direktor, Wie bekämpfen wir die uns durch die Elektrizität be¬
drohenden Gefahren und Gesundheitsstörungen? Ein ernstes Mahn¬
wort in Anlehnung an die Abhandlungen des Geh. Medizinalrats Prof.
Dr. A. Eulenburg und Dr. S. Jellinek, Wien. Dem Allgemeinwohl ge¬
widmet. Berlin 1905. W., Pragerstr. 27.
Kobrak, Dr. E., Ärztlicher Wegweiser durch das Säuglingsalter für junge
Mütter. Berlin 1905. M. Lilienthal. Preis geb. 3,— Mk.
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199
Kock sch, Dr., Das Luftbad und seine Bedeutung für Grosstädte und
Industriezentren. Leipzig, Arwed Strauch. Preis 1,— Mk.
Kritische Blätter für die gesamten Sozialwissenschaften. Bibliogra¬
phisch-kritisches Zeutralorgan. Dresden 1905. O. V. Boehmert.
Kümmel, Dr. Hermann, Die progressive Zahnkaries in Schule und Heer
und die zahnhygienischen Aufgaben der Sanitätsbehörden im Interesse
der Volkswirtschaft. Leipzig 1904. Krüger & Co. Preis 1,— Mk.
Lohustein, Dr. Theodor, Das Galakto-Lipometer, ein neuer Apparat zur
Bestimmung des Fettgehaltes der Milch. Heinrich Noffke & Co. Berlin
5. W., Yorkstr. 19.
Marburg, Dr. Otto, Die physikalischen Heilmethoden in Einzeldar¬
stellungen für praktische Ärzte und Studierende. Mit 75 Abb. Wien
1905. Franz Deuticke. Preis 6,— Mk.
Mare, Dr. Paul, Die Hygiene des Geistes. Wertvolle Winke für Geistes¬
arbeiter (Gelehrte, Beamte, Kaufleute etc.). Leipzig 1905. Krüger & Co.
Preis 1,50 Mk.
Mitteilungen aus Dr. Schmidts Laboratorium für Krebsforschung.
I. Über das Vorkommen eines protozoonartigen Parasiten in den ma¬
lignen Tumoren und seine Kultur ausserhalb des Tierkörpers. — Wei¬
tere Resultate einer spezifischen Therapie des Karzinoms. 73 Seiten.
Mit 3 Tafeln. Bonn 1905. Martin Hager. Preis 4,— Mk.
Runge, Dr. Max, Der Krebs der Gebärmutter. Ein Mahnwort an die
Frauenwelt. Nach einem in Göttingen gehaltenen Vortrage. Berlin
1905. Julius Springer. Preis 50 Pfg.
Sammlung von Gutachten über Fluss Verunreinigung. XVIII. Gutachten
des Reichsgesundheitsrates über die Reinigung und Beseitigung der
Abwässer der Stadt Alten bürg.
Schlegel, Prof. Dr. M., Die Rotzbekämpfung und die MalleYnprobe beim
Pferde. Unter Zugrundelegung wissenschaftlicher Untersuchungen
und praktischer Erfahrungen. Stuttgart 1905. Ferdinaud Euke. Preis
2,40 Mk.
Schott, Dr. O., Uber eine neue Ultraviolett-Quecksilberlampe. Uviol-
Lampe. Glaswerk Schott & Gen, Jena.
Schröder, Dr. Paul, Über chronische Alkoholpsychosen. Halle 1905.
Carl Marhold. Preis 1,80 Mk.
Schubert, Dr. Paul, Das Schularztwesen in Deutschland. Bericht über
die Ergebnisse einer Umfrage bei den grösseren Städten des Deut- 4
sehen Reiches. Hamburg 1905. Leopold Voss. Preis 2,50 Mk.
Seiffert, Dr., Säuglingssterblichkeit, Volkskonstitution und National¬
vermögen. Mit 3 Tafeln. Jena 1905. Gustav Fischer. Preis 1,50 Mk.
Stoklasa, Prof. Dr. J., Beiträge zur Kenntnis der aus der Zelle höher
organisierter Tiere isolierteu gärungserregenden Erreger.
St oll, Dr. Hans, Alkohol und Kaffee in ihrer Wirkung auf Herzleiden
und nervöse Störungen. 2. Aufl. Leipzig 1905. B. Konegen. Preis
50 Pfg.
von Vogl, Dr. A., Die wehrpflichtige Jugend Bayerns. München 1905.
J. F. Lehmann. Preis 2,80 Mk.
Voigt, Prof. Dr. A., und Paul G eldner, Kieinhaus und Mietkaserne. Eine
Untersuchung der Intensität der Bebauung vom wirtschaftlichen
und hygienischen Standpunkte. Berlin 1905 Julius Springer. Preis
6, - Mk.
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200
von Waldheim, Dr. Fritz Schürer, Ignaz Philipp Serumelweis. Sein
Leben und Wirken. Urteile der Mit- und Nachwelt. Mit 2 Porträts.
15 Bogen. Wien, A. Hartleben. Preis 9,— Mk.
Weber, M. D. Hermann, Die Verhütung des frühen Alterns. Mittel und
Wege zur Verlängerung des Lebens. Zweite Aufl. Leipzig 1905.
Krüger & Co. Preis 1,50 Mk.
Weygandt, Prof. Dr. Wilh., Leicht abnorme Kinder. Halle 1905. Carl
Marhold. Preis 1,— Mk.
Wolpcrt, Prof. Dr. A., und Dr. H., Die Heizung. Mit 33 Abb. im Text.
Berlin, W. S. Loewenthal.
NB. Die für die Leser dos „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt und Referate darüber, soweit der be¬
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zurBesprechungoder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
Einsendern genügen. Die VerlaflShandlunfl.
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Düsseldorf 1903.
Grosse Ersparnis an Arbeit, Bruch
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Steinmetz & Co.,
= Köln a. Rh.
Prospekte gratis.
Hunderte von Anerkennungs¬
schreiben.
i
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Staubversengung bezw. Zersetzung
auf Heizkörpern.
Von
Herbst, städt. Heizungsingenieur in Cöln.
Wie die hygienischen Forderungen auf allen Gebieten der
Technik mit der Zeit fortschreiten, so ist dies auch bei der Er¬
wärmung von Wohnräumen in hohem Masse der Fall. In den
letzten Jahrzehnten hat sich die Heiztechnik so weit vervollkommnet,
dass eine Heiz- und Lüftungsanlage beinahe allen Ansprüchen
gerecht werden kann, wenn sie sachverständig projektiert und
ausgeführt ist und für dieselbe auch bei deren Herstellung und
dem späteren Betriebe ausreichende Mittel zur Verfügung stehen.
Von welch grosser Bedeutung auch letzterer Punkt ist, ersieht man
daraus, dass bei privaten Heiz- und Lüftungsanlagen oft die besten
Einrichtungen bestehen, aber wegen der hohen Betriebskosten ausser
Betrieb bleiben.
Bei dem vorigjährigen Kongresse des deutschen Vereins für öffent¬
liche Gesundheitspflege in Danzig w urde in einem Referate über Zentral-
heizungsanlagen des Herrn Prof, von Esmarch unter anderem auch
die Forderung aufgestellt, die Heizkörper sollen an ihrer Oberfläche
eine Temperatur von 70° bis höchstens 80° C nicht überschreiten.
Die Forderung wird durch eine Abhandlung in Nr. 1 des heurigen
Jahrgangs der Hygienischen Rundschau noch weiter begründet. An
Hand von Versuchen, die in übersichtlicher Weise zusammengestellt
sind, wird dargelegt, dass der durch Temperaturen von rund 80° ver¬
sengte Staub hauptsächlich Ammoniak zeigte, allerdings in so geringer
Menge, dass er nachweislich weder schädlich noch belästigend auf
die Gesundheit der im betreffenden Raume sich Aufhaltenden ein
wirkt. Neben Ammoniak sind es nach Annahme des Herrn Prof,
von Esmarch noch andere bis jetzt nicht nachgewiesene Stoffe,
die mit dem Ammoniak gemeinsam im versengten Staube auftro im.
Obige Versuche wurden durch Herrn Prof. Nussbaum in
Hannover in Nr. 8 des gleichen Jahrgangs der Hygienischen Rund¬
schau bestätigt. Auch Herr Prof. Nuss bäum hat Versuche an-
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 14
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202
gestellt, welche ebenfalls das Auftreten von Ammoniak nachweisen,
und kommt zu dem Schlüsse, die Heizflächentemperatur soll nach
Möglichkeit 70° C nicht überschreiten oder wenigstens sich auf die
meist kurze Zeit des harten Frostwetters beschränken. Falls diese
Forderung nicht erreichbar ist, so sollte man, wie Herr Prof. Nuss¬
baum sagt, wenigstens die Luft möglichst trocken erhalten und von
einer künstlichen Luftbefeuchtung Abstand nehmen, weil durch diese
die Staubversengung beschleunigt wird.
Zu obigen Versuchen seien im folgenden Erfahrungen aus der
Praxis gegeben.
Wirklich berechtigte Klagen über Staubverbrennung auf Heiz¬
körpern treten bei Feuerluftheizungen recht häufig auf. Der Grund
liegt darin, dass die Heizapparate zu klein berechnet uud gebaut
sind und deshalb überangestrengt werden müssen, wenn genügende
Wärme erreicht werden soll. Man kann oft beobachten, dass Feuer¬
züge dunkelrot glühen, woraus sich ergibt, welch hohe Flächen¬
temperaturen Vorkommen. Dabei haben die Heizapparate, welche
im Laufe der Zeit bedeutende Verbesserungen erfahren haben,
meistens grosse und rauhe für Aufnahme von Staubteilchen recht
geeignete Flächen. Während des Betriebes bleibt der der Heiz¬
kammer mit der frischen Luft zugeführte Staub grossenteils in der
Heizkammer und sinkt während der Betriebspausen auf die Heiz¬
flächen, worauf er nach Wiederanheizung des Apparates allmählich
versengt. Aus diesem Grunde sollten eigentlich alle die Feuer¬
luftheizapparate, denen durch die oft ungünstige Lage der Luft¬
entnahme viel Staub von der Strasse zugeführt wird, vor jedes¬
maliger Inbetriebnahme von Staub gründlich gereinigt werden, was
sich aber mit dem Betriebe niemals vereinbaren lässt und deshalb
undurchführbar ist. Gleichzeitig mit der Staubversengung geht hier
die Austrocknung der in den Heizkammern oft weit über 100° C
erhitzten Luft vor sich, welche künstlich befeuchtet werden muss,
um sie erträglich zu machen.
Als später das System der Dampf- und Warmwasserheizung
immer mehr eingeführt wurde, erkannte man es als eine sehr grosse
Wohltat, nicht mehr die überhitzte, häufig nach verbranntem Staube
riechende Luft einatmcn zu müssen. Dies können insbesonders die
durch ihren Beruf in mehreren Gebäuden mit verschiedenartigen
Heizeinrichtungen tätigen Personen, wie Ärzte und Lehrer, gut be¬
urteilen.
Nun unterscheidet sich die Feuerluftbeizung von der Dampf-
und Warmwasserheizung, soweit bei letzterer ausschliesslich örtliche
Heizkörper ohne künstliche Luftzuführung zur Anwendung kommen,
besonders auch darin, dass nur bei ersterem Systeme Lüftungszwang
besteht. Das Gleiche trifft auch bei den gewöhnlichen Ofenbeizungen
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203
zu, indem die Zimmerluft zum Teil zur Verbrennung dient und
durch frische Luft von aussen ersetzt wird.
Diesen Vorteil, als solcher kann er mit Recht bezeichnet
werden, vermisst gegenüber der Feuerluftheizung die örtliche Dampf-
und Warmwasserheizung; mau muss deshalb bei stärkerer Inanspruch¬
nahme der Räume mit frischer Luft durch Öffnen der Fenster oder
sonstiger Vorrichtungen nachhelfen. Das Gefühl von verbrauchter
Luft, das ohne obige Nachhülfe unausbleiblich ist, wird oft nicht
richtig erkannt und viele glauben unter anderem auch, der auf
Heizkörpern versengte Staub sei die Ursache hiervon.
Was diese Meinung betrifft, sei vor allem bemerkt, dass die
gegenwärtig üblichen Radiator- und auch Rohrheizflächen im Ver¬
hältnisse zum Kubikinhalt der zu heizenden Räume sehr wenig
Auflagepunkte für Staub haben, weil dieselben meistenteils vertikal
und noch dazu mit einem glatten Anstriche versehen sind, an dem
nicht leicht Staub hängen bleibt. Wenn ferner an dem Prinzip
festgehalten wird, dass der Heizkörper wie jeder andere Gebrauchs¬
gegenstand vor seiner Benutzung von dem abgelagerten Staube ge¬
reinigt wird, so besteht während des Betriebes nicht leicht die
Möglichkeit einer Staubansammlung, weil durch die vom Heizkörper
ausstrahlende Wärme eine konstante Luftbewegung besteht, welche
den Staub fern hält und den infolge des Wärmeauftriebes vom Boden
kommenden leichten Staub — der schwerere und zur Versengung
jedenfalls mehr Veranlassung gebende Staub bleibt auf dem Boden
liegen und wird nur bei einer Zimmer- bezw. Bodenreinigung auf¬
gewirbelt — nach vorne und nach oben drängt. Als Beweis hierfür
mag gelten, dass unglatte Wandflächen oberhalb von Heizkörpern
stets dunkle Streifen zeigen werden, die von der Ansammlung nach
oben geführten Staubes herrühren. Vom Heizkörper versengter
Staub kann dies aber nicht sein, weil dieser am Heizkörper nur
vorbeigestrichen ist und davon höchstens in so schwachem Masse
versengt wird, dass er bei dem hier in Frage kommenden Fall
überhaupt nicht in Frage kommen kann.
Obwohl durch obiges nachgewiesen sein dürfte, dass bei auf¬
merksamer Reinhaltung der Heizkörper trotz der Oberfläcbentempe-
raturen von 80° C eine Versengung des Staubes vermieden werden
kann, so sei anderseits bemerkt, dass man sich in vereinzelten Fällen
nicht zu wundern braucht, wenn eine solche durch grosse Vernach¬
lässigung der Heizkörper in hohem Masse auftritt und dadurch die
unangenehmsten nnd unter Umständen gesundheitsgefUhrlicben Dünste
verbreitet werden. So finden z. B. Heizkörper als Trockenvorrichtung
für gebrauchte Handtücher, Strümpfe, Fussmatten, nasse Schuhe
u. dergl. oft Verwendung. Dafür sind die Heizkörper natürlich
nicht da, und unter solchen Umständen kann die Heizflächen-
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204
temperatur auch unter 70° bis 80° C sein, eine Versengung oder, wie
ich es bezeichnen möchte, eine Vertrocknung des auf den Heiz¬
körpern fast immer zurtickbleibenden Schmutzes findet sicher statt
und eine Verschlechterung der Luft ist die unausbleibliche Folge
davon.
Zum Schlüsse kommend geht meine Ansicht dahin, dass die
an die Heiztechnik gestellten Forderungen nicht weiter gehen
sollten, als diese im Interesse der Gesundheit notwendig sind. Wenn
auch durch die Versuche der Herren Prof, von Esmarch und Prof.
Nussbaum nachgewiesen ist, dass aufFläehen, die bis rund 80°C
erhitzt waren, Staub versengt wird und dieser Ammoniak und an¬
dere noch nicht genau bestimmte Stoffe zeigt, so hat doch die
Praxis ergeben, dass das Versengen von Staub auf Zimmer-Heiz¬
körpern, auch wenn sie eine Oberflächentemperatur von rund 80° C
haben, vermieden werden kann. Deshalb wäre vielleicht folgende
Forderung zu stellen:
Es ist auf unbedingte Reinhaltung der Heizkörper zu sehen,
weil sonst bei jeder Heizflächentemperatur über und unter 70° bis
80° C aus den auf den Heizkörpern liegenden Staubbestandteilen
schädliche Folgen für die Gesundheit entstehen können.
Diese Forderung ist jeder Zeit leicht einhaltbar und der Pro¬
jekten von Heizanlagen ist nicht gezwungen, auf Anordnung von
Heizkörpern mit höheren Oberflächentemperaturen, die in manchen
Fällen so sehr vorteilhaft und beinahe unentbehrlich sind, ganz ver¬
zichten zu müssen.
Gelegentlich der vierten Versammlung von Heizungs- und
Ltiftungsfachmännern zu Dresden hat sich Herr Geheimrat Prof.
Dr. Renk in einem Vortrage über Warmwasser- und Niederdruck¬
dampfheizung in ähnlichem Sinne ausgesprochen, indem er die an
ihn gestellte Frage, wie er sich gegenüber einer Oberflächen¬
temperatur der Heizkörper von 100° verhalte, bezüglich der Staub-
versengung nur hervorhebt, dass, je höher die Oberflächentemperatur
des Heizkörpers ist, um so leichter die Anröstung und trockene
Destillation des Luftstaubes erfolgt, und deshalb die Bitte an-
schliesst, die Ummantlung der Heizkörper, durch welche die Rein¬
haltung der Heizkörper erschwert wird, möglichst zu meiden; aus
dieser Antwort wie aus dessen ganzen Vortrag geht hervor, dass
zur Vermeidung einer Staubversengung die Reinhaltung der Heiz¬
körper gefordert werden muss.
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III. Jahresbericht der Heilstätte Holsterhausen
bei Werden-Ruhr für 1904.
Erstattet von
Dr. med. F. Köhler, Chefarzt.
Den III. Jahresbericht der meiner Leitung unterstellten
Heilstätte Holsterhausen erlaube ich mir hiermit der Öffent¬
lichkeit vorzulegen in der Hoffnung, dass der Inhalt derselben ein
ausreichendes Bild von der Arbeit und dem Geschehen in der An¬
stalt im verflossenen Jahre zu geben imstande sein möchte. Eine
geraume Zeit ist nunmehr seit den ersten Tagen des Bestehens hin¬
gegangen, einer weiteren, erfreulichen Entwicklung kann sich die
Heilstätte rühmen, und wenn auch noch manches zum vollendeten
Ausbau der Gesamtanlage der Verwirklichung harrt, so ist doch
ohne Rückhalt zu bekennen, dass schon vielen das Werk eine Quelle
der Erholung und der Genesung geworden, und damit dürfte der
Hauptzweck erreicht sein. Im Laufe des Jahres ist schon der
1000. Patient zur Kur in Holsterhausen eingezogen und die stän¬
dige vollzählige Belegung dürfte den besten Beweis dafür
liefern, dass die Errichtung einer Lungenheilstätte im Ruhrtale einem
dringenden Bedürfnisse entsprach und dass die bestehende Heilstätte
der für den Bestand derselben so notwendigen Beliebtheit sich tat¬
sächlich erfreut.
Der Bericht wird 1. die geschichtliche, 2. die statistische,
3. die rechnerische Übersicht bringen.
I.
Ein eigentlicher Neubau ist im verflossenen Jahre nicht vor¬
genommen worden, dagegen wurden manche notwendigen Er¬
gänzungen geschaffen. Am Maschinenhause wurde ein kleiner
Holzschuppen zur Aufbewahrung von Briketts gebaut, ein Tennis¬
platz konnte aus den im vorigen Jahre zur Verfügung gestellten
Mitteln einer Gönnerin hergestellt werden, in der Anstalt wurde im
Inhalationsraum ein Wassmuthscher Inhalationsapparat aufgestellt,
da die Verwendung der kleinen Einzelapparate völlig unzulänglich
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206
war. Der Betrieb des Aufzuges der Speisen und der Kartoffel¬
maschine, der bisher mit grossen Anstrengungen mechanisch ge¬
schehen musste, wurde in elektrischen Betrieb umgewandelt.
In der Ökonomie haben sich die bisher getroffenen Ein¬
richtungen gut bewährt. Auch dieses Jahr ist eine Einstellung von
Kühen nicht erfolgt, da die Lieferung der Milch fortdauernd von
einem benachbarten Bauern einwandsfrei und zum annehmbaren
Preise von 14 Pfg. pro Liter geleistet wurde. In dem zu dem
Zwecke der ev. Ktiheanschaffung zur Verfügung stehenden Raume
ist eine kleine Schreinerwerkstätte eingerichtet, woselbst die
ständigen Schreinerarbeiten von einem kundigen Tagelöhner besorgt
werden. Für Gewächse und Salatzucht stehen zwei einfache Ge¬
wächshäuser zur Verfügung, die unter Leitung des Obergärtnerc
Fürbringer, ohne fremde Hülfe bei der Herstellung, errichtet wur¬
den. Da nunmehr Wagen-, Pferde- und Ochsenmaterial — ob auf
die Dauer ausreichend, ist noch nicht zu bestimmen! — vorhanden
ist, konnten die Fuhren an Kohlen, Frachtgütern, auch die gesamte
Beförderung der Kranken von und zur Heilstätte von dieser selbst
besorgt werden, so dass die bis dahin recht beträchtlichen Abgaben
an Fuhrunternehmer und die Inanspruchnahme fremder Kräfte in
Wegfall gekommen sind. Auch die Bewirtschaftung des Ackers
wnrde vollständig aus eigenen Mitteln bewerkstelligt.
Dennoch blieben die Ausgaben für die Ökonomie recht
höbe. Einmal sind diese bedingt dadurch, dass das grosse Areal,
welches zur Heilstätte gehört, dauernd in Ordnung gehalten werden
muss, um einer Verwilderung in den Garten-, Park- und Forstanlagen
vorzubeugen, dann aber war die Heuernte, welche im vorigen
Jahre recht erfreuliche Ergebnisse geliefert hatte, in diesem trocknen
Jahre infolge des Sonnenbrandes eine recht geringe, so dass diese
Einnahmequelle nicht viel einbrachte. Auch die Erträgnisse an Ge
mttse konnten erst verhältnismässig spät in der Jahreszeit aus¬
reichend werden, da der Boden unseres Ackers durch frühere Ver¬
nachlässigung noch nicht recht fruchtbar genannt werden kann.
Auch künftighin wird der Düngung desselben besondere Sorgfalt
zugewendet werden müssen. Die Anlagewege erforderten häufig
langwierige Ausbesserungen.
Als nicht unvorteilhaft hat sich erwiesen, die Abfälle der An
stalt zur Schweinemast zu verwerten. Die gemästeten Tiere
wurden mit gutem finanziellen Resultate an Metzger verkauft. Für
das kommende Jahr soll indessen einmal der Versuch gemacht
werden, die Schweine selbst zu schlachten und im Haushalte der
Anstalt zu verwerten.
Mit Fischzucht im grossen Teiche sind bisher noch keine
befriedigenden Ergebnisse erzielt worden, doch wird künftighin auch
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207
diesem Zweige unseres landwirtschaftlichen Betriebes meine volle
Aufmerksamkeit gewidmet werden.
In den Anlagen wurden zahlreiche selbst verfertigte Bänke
aufgestellt, welche den Kranken im Falle der Ermüdung zum Aus-
ruhen zur Verfügung stehen sollen. Auch wurde mit der Er¬
schliessung des Waldterrains, welches, vor dem Eingang zur Anstalt
gelegen, dem Vereine gehörig ist. begonnen. Diese Arbeiten sollen
im Winter fortgesetzt werden. Die Einzäunung mittels Stachel¬
drahtes gerade dieses Waldgeländes ist vollendet, so dass nunmehr
das Eingangstor weiter hinausgerückt worden ist.
Unmittelbar vor diesem ist ein Neubau des Bäckers Bellwied
entstanden, in dem dieser mit Beginn des neuen Jahres eine Kaffee¬
wirtschaft betreiben wird, was den Besuchern unserer Kranken
zustatten kommen soll, Konzession für Bier und sonstige alko¬
holische Getränke ist glücklicherweise nicht erteilt worden.
Zahlreiche Bäume, namentlich Tannen, sind durch den heissen
Sommer eingegangen und mussten ersetzt werden. Der Herz und
Gemüt erfreuenden Pflege der Gartenanlage wurde, allerdings auch
nicht ohne Aufwand ziemlich bedeutender Geldmittel, besondere Auf¬
merksamkeit geschenkt.
Die Pfleglinge konnten, wenn es der Gesundheitszustand er¬
laubte, mit Gartenarbeiten beschäftigt werden. Diese Tätigkeit war
indessen nicht ohne Gewährung einer Entschädigung von 10 Pfg.
pro Stunde möglich, da immer wieder aufreizende Elemente unter
den Patienten die Arbeitswilligen unter Hinweis auf soziale Momente
von der Arbeit abzuhalten suchten, oder solche, welche freiwillig
arbeiten wollten, sich unter der Schar der Kranken solche Missgunst
zuzogen, dass eine allgemeine Zufriedenheit und ein gedeihliches
Zusammenleben unmöglich erschien. Mehr wie vier Stunden wurden
Kranke nicht zur Arbeit herangezogen.
im Maschinenbetriebe wurden keine Störungen fühlbar. Nun¬
mehr ist auch die Wohnung des Obergärtners, der Pferdestall und
die Wagenremise mit elektrischem Licht versehen. Die Reparat uren
im Hause wurden ausnahmslos selbst vorgenommen.
In der Kanalisation und der Rieselfelderanlage sind eben¬
falls bedeutendere Mängel nicht hervorgetreten. Die Reinigung der
Abwässerbassins wurde regelmässig durch die landwirtschaftlichen
Arbeiter besorgt. Kleiuere Verbindungsleitungen zur besseren Ver¬
teilung der Abwässer werden im kommenden Jahre angelegt werden.
Wegen der häufig vorgekommenen Störungen in der Wasserzufuhr
zur Anstalt beschloss der Verein, ein besonderes Sammelbassin
auf dem höchst gelegenen Punkte des Anstaltsgebiets anzulegen.
Zu Bedenken gaben dagegen Anlass die noch fehlenden Pflaster¬
steinrinnen an der Zufuhrchaussee innerhalb des Anstaltsgebietes.
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208
Nach heftigen Regengüssen gestaltete sich die Abfuhr des Regen¬
wassers oft recht schwierig und führte tiefe Furchenlegungen herbei,
namentlich in nächster Nähe des Anstaltsgebäudes und des Maschinen¬
hauses. Die vollständige Durchführung dieser Kanalisation würde
allerdings recht bedeutende Mittel erfordern. Wir haben demnach
bisher nur das notwendigste anlegen können und werden die Er¬
gänzungsarbeiten auf die nächsten Jahre verteilen.
Der innere Anstaltsbetrieb gestaltete sich zur allgemeinen
Befriedigung. Bedeutendere Verluste an Mobilar und Inventar-
stticken sind nicht zu verzeichnen. Grössere Kosten verursachten
die Instandhaltung der Decken unserer Kranken und die Ergänzung
des Porzellangeschirrs, von dem immer wieder durch Unachtsamkeit
ein grosser Teil unbrauchbar gemacht wird. Den Begriff der Schonung
fremden Eigentums kennen sehr viele unserer Kranken nicht, und
eine Verantwortlichmachung für den angestifteten Schaden ist bei
dem grössten Teil unserer Kranken ausgeschlossen.
Sehr bemerkbar machte sich wiederum der Mangel genügend
grosser Tagesräume für unsere Pfleglinge, besonders an Regentagen.
Da zum Teil unsere Krankenräume einer grossen Anzahl Kranken
Unterkunft gewähren, ist es aus hygienischen Gründen unstatthaft,
dieselben im Laufe des Tages länger sich in den Schlafstuben auf¬
halten zu lassen. Bei einem vorzunehmenden Neubau wird der An¬
lage von ausreichenden Tagesräumen besondere Aufmerksamkeit zu
schenken sein. Es unterscheidet sich in diesem Punkte begreiflicher¬
weise eine Heilstätte, in der verhältnismässig wenig Bettlägerigkeit
vorkommt, wesentlich von einem Krankenhause.
Die Beschäftigung der Kranken in den Heilstätten ist eine
nicht leichte Sache. Unsere Krankenbibliothek erfuhr von ver¬
schiedenen Seiten eine Bereicherung, namentlich machte sich um
dieselbe Herr Dr. Heer mann in Essen durch Stiftung von zahl¬
reichen zweckmässigen Schriften verdient, sowie die Firma Geck
in Essen. Beiden Gönnern spreche ich auch an dieser Stelle meinen
Dank aus. Leider war es bisher noch nicht möglich, ein Billard
zur Benutzung der Patienten anzuschaffen. Sollten diese Zeilen
dazu beitragen, einem Gönner die milde Hand für die Stiftung eines
solchen zu öffnen, so würde ihm unser besonderer Dank gewiss
sein, weun auch vorläufig für die Unterbringung eines solchen ein
geeigneter Raum fehlt.
Die Oberin, Frl. Berta Nötel, waltete auch in diesem Jahre
tatkräftig ihres Amtes. Ihr zur Seite stehen nunmehr drei Schwestern.
Schwester Selma Lange schied am 1. August aus ihrer zweijährigen
Tätigkeit, in der sie sich die besondere Anerkennung und Wert¬
schätzung der Anstaltsleitung zu verschaffen gewusst hat. Es traten
die Schwestern Hedwig und Käthe aus der Zweigabteilung des
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209
Hoten Kreuzes Elberfeld ein. Schwester Paula blieb uns erhalten.
Die Sekretärin, Frl. Martha Rubens, schied am 15. Juli aus ihrer
Stellung und wurde durch Frau Margarethe Endter ersetzt. Am
1. Oktober folgte der bisherige Assistenzarzt, Herr Dr. Max Behr,
einer Aufforderung an die Kgl. Universitätspoliklinik für Hals- und
Ohrenkranke zu Kiel, um dort eine Assistenzstelle bei Herrn Prof.
Dr. Friedrich zu übernehmen. Auch an dieser Stelle möchte ich
Herrn Dr. Behr für seine erspriessliche Tätigkeit im Dienste der
Heilstätte und sein emsiges wissenschaftliches Streben meine volle
Anerkennung auszudrticken nicht unterlassen.
An seine Stelle trat Herr Dr. Arthur Lissauer aus Berlin. —
Am 5. Januar und 18. Mai nahm Herr Kreisphysikus Medizinalrat
Dr. Racine aus Essen die gesetzlich vorgeschriebene Revision der
Anstalt vor.
Am 29. Februar und 10. September fanden Vortragsabende
statt, an denen Herr Assistenzarzt Dr. Behr über: „Der Tuberkel¬
bazillus und seine Wirkung auf die Organe des menschlichen Körpers“
(mit Demonstrationen) und über: $,Die Lungentuberkulose und ihre
Gefahren“ (mitDemonstrationen) sprach. Zu einem hübschen Anstalts¬
feste gestaltete sich der 9. März, an welchem Tage der Chefarzt
von seiner Hochzeitsreise zurückkehrte. Die Patienten hatten eine
sehr hübsche Illumination und einen Fackelzug mit Lampions in
den Anlagen der Heilstätte arrangiert als Willkommensgruss, der in
-einer längeren Ansprache weiteren Ausdruck fand.
Am 15. Juni sollte ein kleines Sommer fest gefeiert werden.
Da indessen nachmittags ein heftiger Regen sich einstellte, wurde
abends im Saale ein Vortragsabend abgehalten, an dem die
humoristisch veranlagten Geister ihr Bestes an scherzhaften Dar¬
bietungen leisteten. Am 21. Juni fand dann das Sommerfest statt,
zu dem die Kranken schon wochenlang vorher Lampions, Luft¬
ballons usw. selbst verfertigt hatten. Rings um den grossen Teich
bot sich an dem prächtigen Sommerabend das farbenreiche Bild
einer hübschen Illumination, von einem als Patient in der Heilstätte
befindlichen alten Marinesoldaten waren die beiden Kähne mit Segeln
und Wimpeln geschmückt worden und zogen, mit Lampions ver¬
sehen und von fröhlichen Insassen besetzt, über das Wasser, während
eine kleine Musikkapelle lustige Weisen anstimmte. Am Ufer er¬
tönten Gesänge, und bis zur Nacht herrschte gesunder und auf¬
heiternder Frohsinn.
Am 16. September veranstalteten die Kranken eine hübsche,
stimmungsvolle Abschiedsfeier für den scheidenden Assistenzarzt
im Speisesaale, bei der Vorträge und Reden den Inhalt ausmachten.
Am 21. Dezember besuchten Herr Medizinalrat Dr. Bornträger
und Herr Landesrat Dr. Schellmann aus Düsseldorf die Heilstätte.
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210
Das Weihnachtsfest wurde in der üblichen Weise am
23. Dezember gefeiert. Der Speisesaal war festlich mit Tannen¬
reisern geschmückt, und zwei grosse Weihnachtsbäume, an deren
Ausputz die Patienten mehrere Tage mit Liebe und Eifer gearbeitet
hatten, prangten neben dem nach Westen gelegenen Ausbau des
Saales. Gemeinschaftliche Gesänge, Chorgesänge der Kranken,
Deklamationen unserer jüngeren Kranken wechselten miteinander
ab. Herr Pfarrer Smend aus Werden hielt eine zu Herzen gehende
Ansprache. Den Kranken wurden kleine Geschenke in der gewohnten
Art beschert. *
Ara 31. Dezember fand zum Jahresschluss eine hübsche
musikalische Soiree statt, bestehend aus gemeinschaftlichen Gesängen,
Chorgesängen, Klavier-, Zither- und Harmoniumvorträgen, ernsten
und heiteren Deklamationen. In der Mitternachtsstunde brachte
der „Chor der Heilstätte Holsterhausen“ dem Chefarzte ein Ständchen
dar. Ausnahmsweise begann am letzten Tage des Jahres die Nacht¬
ruhe erst nach 12 Uhr nachts.
So beschlossen wir das Jahr 1904 mit dem Gefühl der Be¬
friedigung und mit herzlichen Wünschen für das weitere Wohl¬
ergehen der Anstalt im kommenden Jahre!
An wissenschaftlichen Arbeiten wurden aus der Heil¬
stätte veröffentlicht 1904:
1. Köhler, Zur Tuberkulindiagnostik, in „Beiträge zur Klinik der Tuber¬
kulose“ von Prof. L. Brauer. Bd. II, Heft 3.
2. Köhler, Lungentuberkulose und Tetanie, in „Beiträge zur Klinik
der Tuberkulose“ von Prof. L. Brauer. Bd. II, Heft 5.
3. Behr, Die Behandlung gewisser innerer Erkrankungen durch äusser-
liehe Anwendung des Salicyls in Form von Rheumasan, in „Thera¬
peutische Monatshefte“, Mai.
4. Behr, Ein Fall von Tuberkulose des Wurmfortsatzes, in „Mitteilungen
aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie“ von Mikulicz
und Naunvn. Bd. XIII, Heft 2.
5. Köhler, Kasuistische Beiträge zur Ätiologie der Lipomatose und zur
Säurebehandlung des Pruritus nach Leo, in „Berliner klinische
Wochenschrift“ Nr. 16.
6. Köhler, Über die Bedürfnisfrage der Dispensaires in Deutschland
nach französischem und belgischem Muster im „Archiv für soziale
Medizin“ Bd. I.
7. Köhler, Zur Pathogenese der Menschentuberkulose nach v. Behring,
in „Wiener klinische Rundschau“ Nr. 37.
8. Behr, Über den Einfluss der Credeschen Silbertherapie auf die den
Tuberkelbazillus begleitenden Bakterien, in „Wiener klinische Rund¬
schau“ Nr. 29.
9. Behr, Intravenöse Salicylbehandlung und rheumatische Affektionen,
in „Münchener medizinische Wochenschrift“ Nr. 46.
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211
10. Behr, Die Halsaffektionen der Phthisiker in den Anfangsstadien, in
«»Beiträge zur Klinik der Tuberkulose“ von Prof. L. Brauer. Bd. III.
11. Köhler, Lungentuberkulose in Kombination mit Magenblutung und
Magenneurose nach Trauma. II. Mitteilung, in „Ärztliche Sachver-
ständigen-Zeitung“ Kr. 21.
12. Köhler, Kasuistischer Beitrag zur Unfallbegutachtung bei Fällen
von Corpora oryzoidea der Fingerbeuger in Kombination mit Tuber¬
kulose der Lungen, in „Ärztliche Saehverständigen-Zeitung“ Kr. 22.
13. Köhler u. Behr, Temperatursuggestionen bei Tuberkulösen, in
„Münchener medizinische Wochenschrift“ Nr. 48.
II.
Die Frequenz der Anstalt hielt sich dauernd auf der Höhe;
zeitweise, namentlich in den Sommer* und Herbstmonaten, war ein
solcher Andrang von Kranken zu verzeichnen, dass oft zwischen
40 und 50 Anmeldungen wochenlang unberücksichtigt bleiben mussten.
Auch gegen Ende des Jahres wurde die Heilstätte bis zum letzten
Platz besetzt gehalten. Das Warten der Kranken ist begreiflicher¬
weise wenig wünschenswert, da sich mit der Wartezeit die Aus¬
sicht auf den Kurerfolg verringert.
Die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz unter¬
stützte die Anstalt in dankenswertester Weise durch bereitwillige
Überweisung einer sehr beträchtlichen Anzahl von Kranken. Ausser
ihr sandte eine Reihe von Fabrikkrankenkassen, Ortskrankenkassen,
Armenverwaltungen und Berufsgenossenschaften Kranke znr Kur,
wie auch aus unserer nachfolgenden Zusammenstellung hervorgeht.
Die Einzelzimmer (I. Klasse) erfreuten sich regen Zuspruches
der Kranken aus dem Mittelstände. Da es wünschenswert
ist, dass die Einrichtung der Einzelzimmer Leuten, welche eine
tägliche Gesamtausgabe von 6 Mark für ihre Kur zu erschwingen
in der Lage sind, zugute komme, sei auf unsere Einrichtung auch
an dieser Stelle besonders aufmerksam gemacht. Die Kranken der
I. Klasse speisen allein in einem besonderen, freundlich ausgestatteten
Unterhaltungszimmer und zahlen keine besonderen Vergütungen für
ärztliche Behandlung oder Schwesterpflege. In schweren Fällen
werden nur besondere Stärkungsmittel (Cognac, Champagner etc.)
in Rechnung gestellt, sowie bei grösseren chirurgischen Behandlungen
die Verbände berechnet.
Das Verhalten der Kranken war im ganzen als ein gutes zu
bezeichnen. Einzelne, welche ihrer Gewohnheit gemäss auf den
Besuch von Wirtschaften nicht verzichten konnten, mussten bei
Wiederholungsfällen disziplinarisch entlassen werden.
Es wurden im Jahre 1904 aufgenommen: 509 (gegen 437
in 1903), vom Jahre 1903 übernommen: 111, also verpflegt:
620 (gegen 502 in 1903), entlassen: 509 (gegen 391 in 1903),
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212
so dass am 31. Dezember 1904 ein Bestand von 111 Kranken vor¬
handen war.
Das fortlaufende Krankenbuch schloss 1903 mit Nr. 597
1904 mit Nr. 1106 ab.
Über jeden Kranken wurde ein ausführliches Kranken journal
geführt.
Die Zahl der Verpflegungstage betrug im Jahre 1904:
40187, was einer täglichen Durchschnittsbelegung von 110 Kranken
entspricht.
Kurdauer: Bei 414 der aufgenommenen 509 konnte das
Heilverfahren vollständig durchgeführt werden. Bei 95 musste ein
vorzeitiger Abbruch der Kur oder die Entlassung nach wenigen
Tagen einsetzen, und zwar blieben 33 unter 4 Wochen, 62 länger
als diese Zeit. Von den 95 waren 29 als ungeeignet für eine Heil-
stätteukur anzusehen, 26 verliessen freiwillig vorzeitig die Anstalt
wegen trauriger Familien Verhältnisse, besonderer Familienereignisse,
aus Heimweh oder anderer Gründe. Bei 27 lag keine Tuberkulose
vor, 12 mussten wegen wiederholter grober Verstösse gegen die
Hausordnung entlassen werden, einer wurde auf Ersuchen der Landes-
Versicherungsanstalt Rheinprovinz entlassen.
Bis
ZU
6 Wochen
blieben:
15 Kranke.
n
11
60 Tagen
n
51
11
n
11
75
71
»
89
71
r>
71
90
»i
71
81
7)
n
V
105
71
11
72
71
71
71
120
71
59
71
n
n
135
71
11
25
7)
V
71
150
71
71
16
>1
11
71
180
V
11
5
71
darüber
blieben:
1
>1
Sa. 414 Kranke.
Stadieneinteilung: Es scheiden von den 509 Pfleglingen
bei der Stadieneinteilung die 27 Nichttuberkulösen aus. Bei
den übrigen 482 Tuberkulösen lag
I. Stadium rechtsseitig . . . .
45 mal,
I. „ linksseitig.
66
17
I. „ beiderseitig . . . .
183
V
II. „ rechtsseitig . . . .
14
71
II. „ linksseitig.
7
V
II. „ beiderseitig . . . .
67
71
III. Stadium ein- oder beiderseitig
27
7)
gleichzeitig I. Stadium auf der einen
und II. Stadium auf der anderen Seite
73
v vor.
Sa.
482
Kranke.
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213
Erfolge:
Für die Beurteilung des Erfolges kommen 426 Kranke in
betracht, indem auch bei 12 vor Beendigung des Heilverfahrens
Entlassenen von einem namhaften Erfolg gesprochen werden konnte.
Erfolg I sehr guter Erf. wurde verzeichnet bei 115 Kranken = 27 °/ 0 ,
» II
guter „ „
77
„ 209 „
- 49,1 «/ 0 ,
» III
v n
77
n 83 „
= 19,5o/o,
» IV
kein „ „
77
3
OD
3
= 4,2 o/ 0 ,
Tod
77
* 1 »
= 0,2 o/ 0 .
Sa.. 426 Kranken = 100 °/ 0 .
Demnach standen 76,1 °/ 0 gute Erfolge, 23,9°/ 0 geringen
oder ausgebliebenen Erfolgen gegenüber.
Gewichtszunahme:
75 Kranke scheiden aus; von den 95 vorzeitig Entlassenen
konnten 20 Kranke billigerweise wegen längerer Kurdauer dennoch
berücksichtigt werden.
Es
nahmen zu
bis
18 kg
: 1
Kranker,
n
TI
TI
77
16 „
1
77
77
77
77
11 „
14 „
23
Kranke,
n
11
77
9 „
10 „
41
77
77
11
77
7 »
8 „
79
77
77
77
TI
4 „
6 „
161
77
«1
77
77
1 „
3 ,
109
77
Ohne Zunahme:
6
77
Abnahme zeigten:
13
77
Sa.:
434
Kranke.
Auswurf und Tuberkelbazillen: Von den 482 Tuber¬
kulösen hatten 56 keinen Auswurf = 11,6 ü / 0 . Von den tibrigbleiben-
den 426 hatten 63 bei der Aufnahme und bei der Entlassung noch
Tuberkelbazillen im Auswurf, 19 hatten bei der Aufnahme, aber bei
der Entlassung keine Tuberkelbazillen mehr, einer hatte keine
Tuberkelbazillen bei der Aufnahme, aber bei der Entlassung. Demnach
sind 83 = 19,5 °/ 0 positive Bazillenbefunde zu verzeichnen. Zweifel¬
los ist in Wirklichkeit die Zahl der bazillenentleerendcu Kranken
eine grössere gewesen. Es verloren den Auswurf überhaupt: 183
Kranke = 42,9 °/ 0 .
Alter der Kranken: Dem Alter nach entfielen:
56 Kranke auf 11—20 Jahre,
217 „ „ 21-30 „
173 „ * 31-40 „
53 „ „ 41—50 „
10 a „ 51-60 „
Sa. 509 Kranke.
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214
Konfession der Kranken: Von den 509 auf genommenen
Kranken gehörten:
261 der katholischen,
244 der evangelischen,
2 der mosaischen Religion an,
_ 2 waren Di ssidenten.
8a. 509 Kranke.
Beruf der Kranken: Unsere Pfleglinge gehörten folgenden
Berufen an:
1 Hauptlehrer,
3 Lehrer,
7 Kaufleute,
1 Polizeikommis¬
sar,
2 Gymnasiasten,
1 Ingenieur,
2 Apotheker,
1 Maler,
1 Landmesser,
1 Bildhauer,
2 Landwirte,
1 Student,
1 Oberpostassi¬
stent,
1 Uhrmacher,
1 Bautechniker,
3 Buchdrucker,
2 Kontoristen,
7 Handlungsge¬
hilfen,
2 Viehhändler,
4 Bureaubeamte,
6 Bureaugehilfen,
1 Verwaltungsge¬
hilfe,
1 Techniker,
1 Bureaubote,
1 Ausmesser,
2 Kassenboten,
2 Schneidermeister,
1 Schreinermeister,
4 Mechaniker,
4 Bäcker,
2 Schriftsetzer,
! 1 Polizeisergeant,
2 Buchbinder,
1 Kassierer,
1 Sattler,
1 Friseur,
2 Postschaffner,
1 Schreiber,
1 Kutscher,
3 Drechsler,
1 Schleifermeister,
1 Schachtmeister,
3 Metzger,
2 Lokomotiv¬
führer,
6 Strassenbahn-
f (ihrer,
1 Schaffner,
1 Klempner,
2 Schuhmacher,
2 Monteure,
1 Lagerist,
2 Packer,
8 Zimmermänner,
2 Vorzeichner,
2 Dachdecker,
5 Schmiede,
2 Kellner,
4 Gärtner,
1 Schiffer,
1 Steinmetz,
2 Schüler,
1 Mützenmacher,
1 Betriebsführer,
2 Tischler,
1 Stuckateur,
26 Schreiner,
1 Gerichtsdiener,
1 Zeichner,
1 Musiker,
3 Hausdiener,
1 Konditor,
2 Krankenwärter,
49 Schlosser,
2 Weichensteller,
1 Polsterer,
8 Former,
6 Fuhrmänner,
5 Bergmänuer,
3 Schneider,
6 Anstreicher,
4 Briefträger,
6 Maurer,
7 Maschinisten,
1 Papiermacher,
1 Kistenmacher,
2 Korbmacher,
3 Zigarrenmacher,
2 Rangierer,
4 Gerber,
1 Bandwirker,
1 Glasmacher,
1 Gartenarbeiter,
1 Hilfsarbeiter,
2 Feilenhauer,
21 Dreher,
1 Strassenwärter,
7 Tagelöhner,
1 Ofenarbeiter,
7 Walzer,
1 Porzellandreher,
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215
17 Weber,
1 Gatterschneider,
7 Giesser,
6 Färber,
3 Krahnenführer,
1 Säger,
1 Zuschläger,
Herkunftsorte
Altenessen 4,
Alstaden 2,
Altstadt 1,
Alsum 1,
Andernach 1,
Barmen 2,
Broich 1,
Bruckhausen 6,
Biefang 1,
Beeck-Ruhrort 10,
Böckum 1,
Bredeney 1,
Borbeck 7,
Crefeld 15,
€alcum 1,
Cassel 1,
Dttlken 1,
Dtissel 2,
Dahl 1,
Duisburg 40,
Dümpten 1,
Düsseldorf 44,
Essen 136,
Erkrath 1,
Essenberg 1,
Eller 1,
Elberfeld 3,
Frintrop 1,
Freilingen 1,
Fischlaken 1,
Grossehöhe 1,
Gerresheim 1,
Geldern 1,
Greuel 1,
Hiesfeld 1,
1 Ofengebilfe,
1 Verputzer,
3 Fraiser,
1 Lehrling,
1 Stellmacher,
1 Ackerer,
: Es stammten aus:
Hamborn 1,
Hetterscheid 1,
Holthausen 3,
Holsterhausen 1,
Homberg 3,
Hüls 2,
Hilden 1,
Heissen 1,
Heiligenhaus 6,
Heidhausen 1,
Hamminkeln 1,
Hucklenbruch 1,
Isselburg 1,
Immendorf 1,
Kettwig 2,
Kaiserswerth 1,
Kray 2,
Kupferdreh 6,
Laar 9,
Langen berg 7,
Lackbausen 1,
Lobberich 1,
Merkenich-Cöln 1,
Meiderich 15,
Mors 6,
Mettmann 3,
Mülhausen-Oedt 1,
Marxloh 4,
M.-Gladbach 2,
Mülheim Ruhr 30,
Neurath 1,
Neuss 2,
Neviges 4,
Neheim 1,
Niedermörmter 1,
| 1 Margariue-
arbeiter,
2 Hafenarbeiter,
i 141 Arbeiter ver-
j schiedener Fa¬
brikbetriebe.
509 Kranke.
Oberhausen 17,
Oedt 3,
Orsoy 1,
Rees 1,
Ratingen 3,
Rath 3,
Rellinghausen 1,
Ruhrort 5,
Rützkausen 1,
Rüttenscheid 4,
Scherpenberg 1,
Stockum 7,
Styrum 4,
Schonnebeck 1,
Solingen 1,
Saarn 3,
Speldorf 1,
Sterkrade 3,
Schiefbahn 1,
Saeffeln 1,
Steele 1,
Urdenbach 1,
Velbert 9,
Vohwinkel 1,
Vosnacken 1,
Wald 1,
Walsum 2,
Weeze 1,
Wesel 3,
Willich 2,
Werden 5,
Wülfrath 2,
~ Sa. 509
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216
Kostentibernabme:
Selbstzahler: 40,
teils selbst, teils Landesversicherungsanstalt Rbeinproviuz 1,
Armenverwaltung Essen 4,
Polizei Verwaltung Essen 1,
Oberpräsiden t-Nasse-Jubiläums-Stiftung 1,
Norddeutsche Holzberufsgenossenschaft Sekt. IX Cöln 3,
Rhein.-Westf. Hütten- und Walzwerksberufsgenossenschaft Essen l r
Strassen- und Kleinbahnberufsgenossenschaft Berlin 1,
Ziegeleiberufsgenossenschaft Sekt. XI Cöln 1,
Knappschaftsberufsgenossenschaft Sekt. II Bochum 1,
Postamt Düsseldorf und selbst 1,
Berg. Verein für Gemeinwohl Solingen 1,
Fabrikkrankenkasse, Gewerkschaft Deutscher Kaiser Hamborn 21 r
„ „ Guilleaume und Wegmann Duisburg 1,
„ „ Matthes und Weber Akt.-Ges. Duisburg 1,
„ „ Johanneshütte Akt.-Ges. Fr. Krupp Duisburg-
Hochfeld 1,
„ „ Thyssen & Co. Ruhrort 1,
„ „ Forstmann & HufFmann Werden 1,
Ortskrankenkasse Werden 1,
„ „ Mülheim Ruhr 1,
Armenverwaltung Mülheim Ruhr 4,
Ortskrankenkasse Velbert 1,
* n Mörs 2, _
Summa 91;
Landesversicberungsanstalt Rheinprovinz: 418 (=82,1%).
An sonstigen Erkrankungen wurde beobachtet:
Kranken f Kranken
Allgemeine Schwäche bei 6
Asthma ...... 3
Alopecia areata . . „ 1
Adhaerom . . . . „ 3
Amyloid niere . . . „ 1
Arteriosclerosisgravis „ 1
Bandwürmer . . . „ 2
Bronchitis chronica . „ 8
Bronchiektasieen . . „ 1
Cholelithiasis u. Icte¬
rus .,, 1
Chron. Gelenkrheu¬
matismus . . . „ 4
i Chron. recidiv. Osteo-
myelitis . . .
Conjunctivitis ulce¬
. bei
1
rosa ....
• 77
2
Diabetes mellitus
• n
2
Darmtuberkulose .
• r>
1
Dacryocvstitis. .
* T)
1
Ectasia ventriculi
• r>
1
Emphysem . . .
Empyem der Stirn-
• 77
13
höhle ....
* 7)
1
Fibrolipom . . .
* 77
1
Gelenksankylose .
* 77
1
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217
Kranken
Kranken
Gelenktuberkulose .
bei
i
Paraphimosis . . .
bei
1
Glossitis . . . .
n
i
Periproctitischer Ab-
Gonorrhoe . . . .
Ti
2
szess .
Ti
2
vorübergeh. Glyko-
Pityriasis versicolor .
Ti
2
surie.
Ti
1
vorübergeh.Phosphat-
Hauttnberkulose . .
n
2
urie u. Albuminurie
Ti
1
Herpes circinatus
71
2
Pleuritis exsudativa .
Ti
2
Hypochondrie . . .
Ti
1
Potatorium ....
Ti
9
Herzarythmie . . .
»
1
Rekonvaleszenz . .
Ti
2
Herzneurose . . .
Ti
1
Rippenfraktur . . .
Ti
1
Impetigo contagiosa.
n
2
Syphilis.
Ti
2
Imbecillität . . .
Ti
1
Skrophulose . . .
Ti
1
Laryngitis Simplex .
n
4
Sebnenscheidenreis-
Lichen ruber planus
7)
1
körperchen . . .
Ti
1
Lippentuberkulose
Ti
1
Sycosis parasitaria .
Ti
1
Magenkatarrh . . .
Ti
1
Tetanie.
Ti
1
Mastdarmfistel. . .
Ti
2
Tonsillengangrän. .
Ti
1
Mitralinsuffizienz . .
7i
1
Traumatische Hyste¬
Meningitis . . . .
71
1
rie .
Ti
1
Muskelrheumatismus.
Ti
1
Tuberkulöse Lym¬
Myasthenie....
n
1
phome ....
Ti
2
Myocarditis . . .
Ti
1
Tuberkulöser Unter¬
Neurasthenie . . .
Ti
24
kieferabszess . .
Ti
1
Ozaena .
Ti
3
Tuberkulöser Ober¬
Osteomyelitis . . .
Ti
2
schenkelabszess
Ti
1
beginn. Paralysis
Ulcus cruris . . .
Ti
1
progr.
n
1
Zungentuberkulose .
Ti
1
Wegen Kehlkopfaffektionen wurden 41, wegen Nasen¬
affektionen 19, wegenOhraffektionen 8 behandelt, wobei t die
sehr bald vorübergehenden Affektionen nicht eingerechnet sind. So¬
weit chirurgische Eingriffe nötig wurden, wurden dieselben im
eignen Operationszimmer der Anstalt vorgenommen.
Erheblichere Lungenblutungen wurden 30mal beobachtet.
Für die Begutachtung der versicherten Kranken unter¬
scheidet die Landes Versicherungsanstalt Rheinprovinz
3 Noten: A, B, C, wobei A einen vollen Erfolg mit voller Erwerbs¬
fähigkeit und Aussicht auf Dauer des Erfolges bedeutet, B: Erfolg
mit Erwerbsfahigkeit über */*> C: keinen Erfolg und Arbeitsunfähig¬
keit bedeutet. Von den 418 Kranken, welche die Landesversicherungs¬
anstalt uns tiberwies, wurden 32 ausgeschieden, da sie von vorne-
Centralbl&tt f. allpr. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 15
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j
218
herein als ungeeignet nicht behandelt werden konnten, oder die An¬
stalt frühzeitig verliessen, oder weil keine Tuberkulose vorlag.
Bei den Testierenden 386 wurden beurteilt
mit A: 88 = 22,8 %,
„ A—B: 153 = 39,6°/ 0 ,
„ B—A: 69 = 17,9 o/ 0 ,
n B: 57 = 14,7 °/ 0 ,
„ B-C: 1= 0,3%,
„ C: 18 = 4,7 o/q,
Summa 38(5= 100 °/ 0 .
Die Behandlung bestand, wie bisher, fast ausschliesslich in
dem physikalisch-diätetischen Prinzip. Morgens nach dem
Frühstück finden die hydrotherapeutischen Prozeduren statt,
bei denen die schwächlichen und fiebernden Kranken abgewaschen
werden, während die kräftigen nach Möglichkeit eine Douche be¬
kommen. Letztere wird meist anfangs in wärmeren Graden und
mit kürzerer Dauer verabfolgt. Eine schwächere Form besteht in
der sogen. Rückendouche, die kräftigere in der gewöhnlichen
Regendouche. Mit der Zeit gewöhnen sich die Kranken sehr
gut und gerne an diese Manipulation. Auch haben wir von „Teil¬
waschungen“ im Laufe des Tages und von „Stammumschlägen“ be¬
sonders bei leicht Fiebernden gute Erfolge gesehen. Nicht unzweck¬
mässig erschien uns bei Leichtkranken, welche an Atembeschwerden,
schwerer Schleimentleerung und Emphysem leiden, die vorsichtige
Anwendung eines kurz einwirkenden Dampfstrahles, sowie der aus¬
giebige Gebrauch von Kreuzbinden für die Nacht. Wir haben da¬
bei niemals unliebsame Folgen, dagegen recht häufig freiere Atmung
beobachten können. Dem Dampfstrahle folgt eine kurze kühle
Douche. Nach gehörigem Trockenreiben gehen dann die Kranken,
soweit sie nicht bettlägerig sind, spazieren und kehren zum 2. Früh¬
stück V 2 11 Uhr zurück. Die Liegekur findet von 11— s / 4 1, von
2—4 und von x / 2 6— 1 /s7 Uhr statt. Ausnahmen werden je nach
Lage des Falles eingeführt.
Von symptomatischen Mitteln wurden CodeYn, Dionin,
Krukenbergsches Pulver, Liquor Ammonii anisatus, Senega,
Ipecacuanha, Terpinhydrat und Tees viel angewandt. Von Pyrenol
haben wir wenig auffallendes gesehen. Sanosinversuche sind nicht
fortgesetzt worden.
Als Fiebermittel wurden namentlich Pyramidon, Aspirin und
Phenacetin, seltener Maretin und Phthisopyrin angewandt.
Als Mittel bei Darmaffektionen haben wir mit gutem Er¬
folg von Dermatol, CotoYn, Campecheholz, Tannigen und Tannalbin,
sowie Opium mit Wismut Gebrauch gemacht, bei Verstopfungen
von Ricinus, Podophyllin, PhenolphthaleYn, Rheum.
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219
Die häufigen neuralgischen Beschwerden wurden mit
Massage, Aspirin, Phenacetin, Trigemin und mit endovenösen Salicyl-
iinjektionen nach Mendel behandelt. Elektrische Behandlung wurde
selten angewandt.
In hartnäckigen Fällen von Schlaflosigkeit, bei denen pro¬
longierte warme Bäder nichts nutzten, haben wir von geringen
Dosen Veronal gutes gesehen.
Auf Tuberkulinbehandlung haben wir verzichtet aus einer
-Reihe von Gründen, deren Darlegung hier zu weit führen würde.
Die Inhalationen mit einem gut funktionierenden Was-
mutbapparat im Gesellschafts-Inhalationsraum erfreuten sich be¬
sonderer Wertschätzung. Wir verwandten dazu Emser Salz, Alaun-
Tanninlösungen, phenylpropiolsaures Natron, Kresamin, Nirvanin.
Bei sehr nervösen Kranken wurden Dauerpackungen recht
gut vertragen. Bei Lungenblutungen wurde meist kein Medi¬
kament verwandt, sondern in erster Linie auf die absolute Ruhe
Wert gelegt, in wenigen Fällen war Adrenalin, Ergotin, Hydrastis,
♦Stypticin, Morphium am Platze.
Über Dauererfolge.
Um einen Überblick zu gewinnen, inwieweit von Dauer¬
erfolgen nach den Kuren in der Heilstätte die Rede sein kann,
haben wir stets genau 2 Jahre nach der Entlassung an jeden ein¬
zelnen früheren Pflegling zunächst eine freundliche Aufforderung
gesandt, zur kostenlosen Nachuntersuchung sich in der Heilstätte
vorzustellen. War eine solche aus irgendwelchen Gründen nicht zu
erreichen, so haben wir einen Fragebogen versandt.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass es häufig grosser
Arbeit und Mühe bedurfte, einmal den derzeitigen Wohnsitz der
«einer Zeit Entlassenen festzustellen, andererseits ausreichende Mit¬
teilungen zu erlangen.
Bis zum 31. Dezember 1902 waren seit Bestehen der Anstalt
im ganzen 90 Tuberkulöse entlassen worden. Von diesen stellten
sich 46 zur Nachuntersuchung ein, von 37 gingen Berichte ein,
von 7 war bisher keine Auskunft zu erlangen.
Es ergab sich, dass von den 83 Patienten: 14 gestorben waren
= 17 # / 0 ,
darunter waren 5 damals sofort als ungeeignet und*
.aussichtslos, einer nach kurzer Zeit disziplinarisch entlassen worden,
4 waren mit Erfolg IV (gar kein Erfolg),
2 „ „ „ III (geringer Erfolg),
2 „ „ /,II und I (guter und sehr guter Er¬
folg) entlassen worden.
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220
Ständig gearbeitet seit der Entlassung vor 2 Jahren hatten*.
42, kurz krank gewesen, nunmehr aber wieder in ständiger
Arbeit waren 13, so dass von den 83 vor 2 Jahren Entlassenen
55 als völlig erwerbsfähig angesehen werden können =66°/ 0 .
In Intervallen arbeitend sind 8 zu verzeichnen, können
also als teilweise erwerbsfähig angesehen werden, darunter
gaben 2 chronischen Rheumatismus als Ursache an, = 10°/ o . Arbeits¬
unfähig und erwerbsunfähig waren 6, davon waren 2 seiner
Zeit nach kürzester Zeit als von vornherein ungeeignet entlassen,
worden, 4 waren mit Erfolg II damals entlassen worden, = 7°/ 0 .
Demnach tot und erwerbsunfähig 24°/ 0 ,
teilweise erwerbsfähig 10°/ 0 ,
voll erwerbsfähig . 66°/ 0 .
Dazu ist zu bemerken, dass unter den Todesfällen bei ge¬
rechter Würdigung der Dauererfolg-Frage die sofort als ungeeignet
und disziplinarisch Entlassenen in Abzug gebracht werden müssten,,
ebenso von den Arbeitsunfähigen 2, die sofort als ungeeignet ent¬
lassen wurden, ebenso von den teilweise Erwerbsfähigen 5, da von
diesen 1 seiner Zeit als ungeeignet, 1 nach kürzester Zeit dis¬
ziplinarisch entlassen wurde, 1 nach kurzer Zeit freiwillig austrat,,
und 2 wegen Rheumatismus, nicht Lungenleiden in der Erwerbs¬
fähigkeit beschränkt sind. Von den jetzt voll Erwerbsfähigen hatte^
1 die Anstalt freiwillig vorzeitig verlassen, kann demnach auch
nicht zur Berechnung kommen.
Es kämen demnach zur Berechnung für den Stand.
2 Jahre nach ihrer Entlassung von 69 Patienten:
8 Todesfälle.= 11,6°/ 0 ,
4 Erwerbsunfähig e ... — 6jO°/ 0 ,
3 teilweise Erwerbsfähige = 4,3°/ 0 ,
54 voll Erwerbsfähige . . =78,1 °/ 0
woraus sich 82,4°/ 0 positive, 17,6°/ 0 negative Erfolge er^
geben.
Die Untersuchungen werden fortgesetzt und im nächsten Jahres¬
bericht wieder ausführlich mitgeteilt werden.
Erläuterungen zur Bilanz pro 31. Dezember 1904.
Im Jahre 1904 sind an einmaligen jährlichen Mitglieder-Bei-
trägen, einschliesslich Mk. 30 000.— Beitrag des Deutschen Zentral-
Komitees zur Errichtung von Volksheilstätten für Lungenkranke,
Mk. 37 577.56 eingegangen, so dass wir bis zum 31. Dezember 1904
hierfür eine Einnahme von ....... Mk. 477 079.84
zu verzeichnen hatten.
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221
Auf das bei der Landesversicherungs-An-
stalt Rheinprovinz aufgenommene Darlebn von
Mk. 600 000 sind in 1904 weitere Mk. 8303.60
zur Rückzahlung gelangt, so) dass wir hierfür am
■31. Dezember 1904 noch. Mk. 585 636.40
in Rechnung zu stellen hätten.
Am 31. Dezember 1904 hätten wir demnach
mit einer Gesamt-Einnahme von.Mk. 1062 716.24
zu rechnen.
Die Ausgaben dagegen betragen bis zum
31. Dezember 1904:
-a) für Grunderwerb etc. . . . Mk. 215 762
b) „ Wegebau.„ 16 637.10
c) „ Errichtung der Gebäude „ 592126.31
•d) „ Maschinen-,Kessel-,Licht-
Anlage . „ 132146.95
■e) „ Mobiliar.„ 49 821.73
f) „ Geräte und Utensilien . „ 26 307.51
,g) „ Fuhrwerk. . 9 491.50
b) „ vorausbezahlte Prämien . „_923.55
Summa Mk. 1043 216.65
i) „ ferner haben wir zur
Deckung der Zinsen etc.
ausgegeben.Mk. 16561.04
welchen Betrag wir dem
Mitglieder- Beiträge-Eonto
entnommen haben.
Sa. Ausgaben bis 31. Dezember 1904 Mk. 1 059 777.69
-so dass am 31. Dezember 1904 ein Bestand ver¬
blieb von ..
Mk.
2938.55
Dieser Bestand von Mk. 2 938.55 wird nach-
gewiesen durch die Positionen 1—3inkl. der Ak¬
tiva mit.
Mk.
20387.37
hiervon kommen in Abzug laut Position 3—6 inkl.
der Passiva.
Mk.
17 448.82
Ergibt Bestand.Mk. 2938.55
Auf die fundierten Schulden unseres Vereins, welche ursprüng¬
lich 600000 Mk. betrugen, sind bis zum 31. Dezember 1904 ins¬
gesamt Mk. 14363.60 zurückgezahlt worden, so dass das Darlehen
noch in Höhe von Mk. 585636.40 besteht.
Die bei der Hauptkasse bis zum 31. Dezember 1904 einge¬
gangenen, -unter Position 1 der Passiva nachgewiesenen Mitglieder-
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222
Beiträge in Höhe von Mk. 477 079.84 verteilen sich auf die einzelnen
Kreise wie folgt:
Essen-Land Mk. 55431.24, Essen-Stadt Mk. 1699T8.60, Mülheim
a. R. exkl. Oberhausen Mk. 38200.72, Ruhrort Mk. 59892.36, Ober¬
hausen Mk. 40872.67, Duisburg Mk. 81884.25 und fremde Kreise
Mk. 30820.—.
Zur Deckung des Fehlbetrages auf Gewinn- und Verlust-Konto-
mussten wir Mk. 16561.04 aus dem Mitglieder-Beiträge-Konto ent¬
nehmen, so dass dieses Konto am 31. Dezember 1904 noch in Höhe
von Mk. 460518.80 besteht.
Im Anstaltsbetriebe hatten wir pro 1904 eine rechnungsmässige*
Einnahme von.Mk. 154950.91
dagegen eine rechnungsmässige Ausgabe von . . n 152984.90
mithin ist ein Überschuss von.Mk. 1966.01
pro 1904 im Anstalts-Betriebe erzielt worden, welcher dem Gewinn-
und Verlust-Konto gutgebracht wurde.
Dem Gewinn- und Verlust-Konto sind (ferner) belastet worden
für Zinsen Mk. 17 686.68, für Inserate, Drucksachen, Porto Mk. 550.82*
und für absorbierte Versicherungs-Prämien Mk. 289.55. Der sich
hiernach auf dem Gewinn- und Verlust-Konto ergebende Fehlbetrag
von Mk. 16561.04 ist, wie bereits gesagt, dem Mitglieder-Beiträge-
Konto entnommen worden.
In den Ausgaben flir den Anstalts-Betrieb sind Beträge für
Reparaturen und Erneuerungen enthalten, die das Ergebnis natur-
gemäss ungünstig beeinflussen mussten.
Der ausgewiesene Gesamt-Fehlbetrag von Mk. 16561.04 ist
durch den Zinsendienst hauptsächlich verursacht worden, da wir
hierfür Mk. 17 686.68 in Ausgabe stellen mussten.
Da der Zinsen- und Amortisations-Dienst allein pro Jahr
Mk. 2400U.— erfordert, so ist der Beschluss der beteiligten Stadt-
und Landkreise, den Beitrag auf 2 Pfg. pro Kopf und Jahr zu er¬
höhen, nur mit Freuden zu begrüssen. Mit dieser Beitragserhöhung
können wir jedoch nur dann auskommen, wenn auch in Privat¬
kreisen das Interesse für unsere gute Sache rege erhalten wird,,
und so gestatten wir uns daher an die Freunde unserer Volksheil¬
stätte die herzliche Bitte zu richten, nach Möglichkeit weitere Kreise
für unser Unternehmen zu interessieren und demselben tatkräftige
Hilfe zuzuführen.
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XTV. Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter-
Wohlfahrts-Einrichtungen am 5. u. 0. Juni 1905
in Hamm-W.
(Aus dem offiziellen Bericht.)
Zu dem 1. Thema: „Die Belehrung der Arbeiter über
die Giftgefahren in gewerblichen Betrieben“, hielt den
einleitenden Vortrag Prof. Dr. K. B. Lehmann (Würzburg) über
die Frage: „Was sind und wie wirken die wichtigsten Fabrikgifte
und was ist bisher zu ihrer Bekämpfung geschehen ? u Als Fabrik¬
gifte definiert der Vortragende alle diejenigen Stoffe, welche die
Gesundheit des Fabrikarbeiters, der mit ihnen umgeht, auf chemi¬
schem Weg bedrohen Es kann sich nur um solche Substanzen
handeln, die in den Mengen und auf den Aufnahmewegen wie sie
der Fabrikbetrieb mit sich bringt oder mit sich bringen kann,
schädlich wirken. Die Schwierigkeit, manche Substanzen als Fa¬
brikgifte zu erkennen, beruht namentlich darauf, dass manche
Menschen gegen Gifte auffallend widerstandsfähig, andere auffallend
empfindlich sind, dass keine Krankheit nur durch ein bestimmtes
Gift, sondern daneben fast stets auch auf anderm Wege entstehen
kann und endlich ist sehr häufig in den Fabriken namentlich der
chemischen Industrie Gelegenheit zur Einwirkung mehrerer Gifte
nebeneinander geboten, unter denen nicht immer leicht das im ge¬
gebenen Fall schädigende herauszufinden ist. Es müssen deshalb
Tierversuche die Erfahrungen der bei Morden und Unglücksfällen
gemachten Erfahrungen mit Giften und gelegentlich Experimente
am Menschen zur Aufklärung schwieriger Fragen über Fabrikgifte
herangezogen werden. Besondere schwierig sind solche Versuche,
wenn es sich um die sehr langsame Wirkung kleiner Dosen handelt.
Bei den Aufnahmewegen der Gifte hat man bisher fast ausschliess¬
lich den Mund resp. den Verdauungsapparat und die Atmung be¬
rücksichtigt. Der Vortragende teilt eine Reihe von eigenen Ver¬
suchen mit, aus denen schlagend hervorgeht, dass eine grosse Reibe
organischer Gifte, namentlich Anilin und Mikrokörper, von der un¬
verletzten Haut des Tieres und jedenfalls des Menschen in Aus¬
schluss jedes andern Aufnahmeweges aufgesaugt werden und zu
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224
schweren Vergiftungen führen. Mit Hilfe grosser Tabellen gibt der
Vortragende einen Überblick über die Fabrikgifte.
Der zweite Teil des Vortrages von Prof. Lehmann behandelt
eine kurze Beantwortung der Frage: „Was ist bisher zur Vermin¬
derung der Giftgefahr in den deutschen Fabriken geschehen?“ Zu¬
nächst bespricht der Vortragende die Entwicklung der deutschen
Gesetzgebung in kurzen Umrissen. Der Tätigkeit der deutschen
Fabrikinspektion in ihrer gegenwärtigen Form spendet der Vor¬
tragende ein hohes Lob, doch hält er eine Teilnahme der Ärzte an
derselben für wünschenswert, etwa in der Form, dass an jedem
preussischen Regierungssitz und in Stiddeutschland etwa einstweilen
in jedem Lande ein Arzt neben dem Regierungsgewerberat an¬
gestellt würde. Weitere Massnahmen des Staates, welche wertvoll
für die Verminderung der gewerblichen Vergiftungskrankheiten
waren, war einmal die Schaffung der Berufsgenossenschaften. Da
jeder Fabrikbesitzer Interesse hat, einer möglichst niedrigen Ge¬
fahrenklasse anzugehören, beseitigt er manche Gelegenheit zur ge¬
werblichen Vergiftung. Drittens wird als wertvolle Massnahme
die Gründung zahlreicher pharmakologischer Institute an den deut¬
schen Universitäten und endlich auch die Gründung des ßeicbs-
gesundheitsamtes angegeben. In den folgenden Ausführungen be¬
spricht der Vortragende noch kurz die Leistungen der Fabrikbesitzer
zur Verminderung der Giftgefahr, die zum Teil allerdings als her¬
vorragend zu bezeichnen sind, zum Teil allerdings noch ein volles
Verständnis ihrer Pflicht vermissen lassen. Als wertvollste Mass¬
nahme wird angeführt Verbesserung der technischen Einrichtung
zur Abführung von Staub und Dämpfen, Ersatz von Menschenarbeit
durch Maschinenarbeit, die Einrichtung von Bädern, von obliga¬
torischem Kleiderwechsel, endlich in weiterem Sinne die Gründung
von Arbeiterwohnungen, Arbeiterküchen, Speisesälen und alle son¬
stigen Wohlfahrtseinrichtungen. Ein Urteil über die Frage, inwie¬
weit die Arbeiter dazu beigetragen haben, die Gefahr in den Fa¬
briken zu vermindern, getraut sich der Vortragende nicht abzugeben.
Er schätzt aber die bisherige Mitwirkung der Arbeiter in dieser
Richtung ziemlich gering ein. Dagegen anerkennt der Vortragende
mit warmen Worten zum Schlüsse die erheblichen Verdienste, die
sich viele Ärzte durch Studien und Publikationen über Fabrik¬
krankheiten bei der Bekämpfung der Giftgefahr erworben haben.
Dabei bedauert er, dass es den angestellten Fabrikärzten aus nahe¬
liegenden Gründen häufig nicht möglich ist, die von ihnen ge¬
sammelten wichtigen Erfahrungen zu verwerten.
Der zweite Hauptreferent, Prof. L. Lewin-Berlin, führte
etwa folgendes aus:
Zu den gefährdetsten Arbeitern gehören diejenigen, denen Ge-
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225
legenheit geboten ist, giftige Stoffe in ihren Körper aufzunehmen.
Es ist als eine Tatsache zu bezeichnen, dass diese Zweige gewerb¬
licher Betätigung von Jahr zu Jahr eine wachsende Zahl von Ar¬
beitskräften, und in besonders grossem Umfange auch weibliche
erfordert. Die deutsche chemische Industrie, die grösste und tech¬
nisch vorbildlichste der Welt, und die zahllosen von ihr direkt und
indirekt abhängigen Industriezweige können nur gedeihen und in
Wechselwirkung in erheblicher Weise zum Gedeihen Deutschlands
beitragen, wenn sie eine ausreichende Zahl gesunder Arbeiter be¬
sitzt. Andererseits erfordert das Staatsinteresse ebensowohl wie
das allgemeine menschliche Billigkeitsgefühl, dass der Arbeiter
durch seine Beschäftigung nicht weiter körperlich in Anspruch ge¬
nommen wird, als es die Arbeitsleistung, d. h. die tägliche Ab¬
nutzung seiner Körperkraft und die bei allen Arbeiten möglichen,
zum Teil unvermeidlichen, wechselnden Einflüsse von Luft und
Wärme erforderlich machen.
Allem diesen ist der Giftarbeiter wie jeder andere Arbeiter
ausgesetzt, aber ausserdem noch der unheimlichen Macht des Giftes,
das an einem Tage die Ökonomie seines Körpers oder die Funktion
einzelner Organe mehr stören kann, als es die schwerste Arbeit in
Jahrzehnten zu bewerkstelligen vermag. Nur wenige ganz Ein¬
geweihte wissen, wie wechselvoll, von Individuum zu Individuum
schwankend, bald grob sinnlich wahrnehmbar, bald unauffällig aber
unaufhaltsam an Stärke zunehmend der Vergiftungsprozess sich
darstellen kann. Würde die Kenntnis alles des Unglücks, das
durch Gifte angerichtet werden kann, seit langem mehr Gemeingut
auch nur der Ärzte oder der Fabrikleiter geworden sein, so würde
manches Einzelleben und, da die Gifte auch nicht das Kind im
mütterlichen Schosse verschonen — manche Familie nicht vorzeitig
sin Ende gefunden haben.
Der Staat hat einige hygienische Massregeln auch in bezug
auf die Festlegung der Arbeitszeiten in besonders gefährlichen Gift¬
betrieben angeordnet. Aber leider war der Erfolg nicht immer der
gewünschte, und selbst wenn er stets einträte, so würde dies nur
ein Tropfen Hilfe in einem Ozean von Gefahren sein. Selbst bei
dem besten Willen wird es noch so lange dauern, bis auch nur
einem grösseren Bruchteil der Giftarbeiter der notwendigste Schutz
gesetzlich zu Teil geworden sein wird, dass man an ein Stück von
Selbsthilfe denken muss, um die Gesundheit möglichst da zu er¬
halten, wo so starke Kräfte an ihrer Zerstörung arbeiten. Um so
dringender ist die Pflicht des Helfens, als ein Giftarbeiter, wenn
er durch eine grössere oder kleinere Zahl von Einzelvergiftungen,
.also Einzelunfällen, die sich auf Wochen, Monate oder Jahre ver¬
teilen, Einbusse an Arbeitskraft erlitten hat oder arbeitsunfähig ge-
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226
worden ist, nicht einmal das Äquivalent erhält, was einem durch
einen Unfall in die gleiche Lage gebrachten Arbeiter zuteil wird.
Immer wieder werde ich auf dieses Stück sozialer Ungerechtigkeit
hinweisen, bis ein Weg zur Abhilfe beschritten sein wird.
Die meisten der Giftarbeiter kennen nicht so die Gefahren
ihrer Arbeit, dass sie alles, was in ihren Kräften steht, zur Ver¬
meidung derselben auch da tun, wo es möglich ist. Noch immer
aber ist es so gewesen, dass Aufklärung und Wissen Wege zur
Besserung von Schädlichem hat finden lassen. Deshalb halte ich
es für aussichtsvoll, ein solches Wissen in die zunächst beteiligten
Kreise der Arbeiter zu tragen. In mehreren Veröffentlichungen
und eingehend in dem den Konferenzteilnehmern gelieferten Vor¬
berichte habe ich die Wege zum Ziele gekennzeichnet. Es sind die
Wege der Belehrung. Zuvörderst muss ein grösserer Stamm von
Wissenden geschaffen werden, die für die Verbreitung der Auf¬
klärung auf diesem Gebiete tätig sein können. In erster Reihe
habe ich an Lehrer von Volks-Fortbildungs- und Fachschulen ge¬
dacht. Was der Jugend als Wissen für die Erhaltung der Gesund¬
heit überantwortet wird, bleibt unvergessen und wirkt später als
Ferment für andere, nicht Unterrichtete. Die Belehrung in der
Volksschule soll sich in den naturwissenschaftlichen Unterricht ein-
fügen, während sie in den Fortbildungs- bezw. Fachschulen sich
auf die in den einzelnen Berufen vorkommenden Giftgefahren spe¬
ziell beziehen soll.
Gleich den Lehrern, deren Unterweisung notwendig ist, würde
es zweckmässig sein, auch die Gewerbeaufsichtsbeamten an einer
solchen teilnehmen zu lassen, da ihnen ein Stück toxikologischer
Bildung sehr not tut. Sie wie andere Wissende könnten in grösseren
Fabrikzentreu auch durch Vorträge nützen.
Eine besondere Wirkung verspreche ich mir für alle diejenigen
Arbeiter, die Unterweisungen nicht erhalten haben oder auf den
bezeichneten Wegen nicht erhalten können, auch für die haus¬
industriell Arbeitenden, die von der Belehrung durch Flugblätter.
Nicht nur jeder Giftbetrieb, sondern auch jeder Teilbetrieb eines
grösseren Giftbetriebes sollte in solchen Blättern volkstümlich be¬
handelt werden. Dadurch würden auch im Laufe der Zeit die
Schutzmassregeln mit der Eigenart und der Schwere jeder Gift¬
arbeit mehr in Übereinstimmung gebracht werden, als es bisher bei
der Forderung allgemeiner Schutzmassregeln für komplizierte Be¬
triebe möglich war. Die Verbreitung solcher Flugblätter sollten
die Arbeitgeber oder Gewerkschaften oder der Staat oder die Kom¬
munen in die Hand nehmen. Man kann überzeugt sein, dass ein
solches Stück Aufklärung die glücklichsten Folgen für die Erhaltung
der Giftarbeiter und -arbeiterinnen zeitigen muss.
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Über die Mitwirkung der Arbeitgeber in dieser Frage refe¬
rierte Fabrikdirektor Prof. Dr. Lepsius Griesheim. In der Ein¬
leitung beleuchtete er die Statistik der Giftbetriebe; es sei schwierig,
sich ein Bild der tatsächlichen Verhältnisse zu machen, und dieser
Mangel lasse die Lage leicht schlimmer erscheinen, als sie in Wirk¬
lichkeit sei. Auf den gegenwärtigen Stand der Giftbetriebe ein¬
gehend, besprach er dann die verschiedenen Betriebs-Arten und
-Stätten. Er forderte einen Ausschluss der Giftbetriebe aus den
Wohnungen, also ein Verbot der Heimarbeit mit Giften, ferner die
Abschaffung der Frauen- und Kinderarbeit in solchen Betriebern
Bei den kleineren Werkstätten mit vorwiegend manuellem Betriebe,
deren Leitern häufig die nötigen chemischen und konstruktiven
Kenntnisse fehlten, müsste auf Verbesserung der Einrichtungen hin¬
gedrängt werden. Bei den grösseren Betrieben seien wohl fast alle
etwa möglichen Schutzmassregeln und Erleichterungen eingeführt,
die den Arbeiter mit Vertrauen an die Arbeit gehen lassen. Aber
die chemische Industrie schreite rapide und plötzlich fort, es kämen
so viele Überraschungen vor, die in ihren Ursachen und Wirkungen
zu erkennen nicht immer gleich gelinge. Als Beispiel führt er die
oft behandelte Chlorakne an. Von Vorbeugungsmassregeln seien
besonders folgende zu empfehlen: Pflege der Sauberkeit im Betriebe
und der Reinlichkeit bei den Arbeitern, durch Einrichtung reich¬
licher und bequemer Wasch- und Badegelegenheiten, Stellung von.
Arbeits- und Unterkleidern, Verkürzung der Arbeitszeit, Fürsorge
für gute Ernährung der Arbeiter durch Menagen u. 8. w. Wesent¬
lich sei aber die ärztliche Überwachung; es genüge nicht, die Neu¬
eintretenden zu untersuchen, sondern es müsste in bestimmten Zeit¬
räumen, etwa monatlich oder wöchentlich, in gefährlichen Betrieben
sogar täglich, eine ärztliche Kontrolle platzgreifen. Für diese
Massnahmen sei nicht nur ein Aufwand von Zeit und Geld erfor¬
derlich, sondern ein gewisses Können und ein guter Wille unent¬
behrlich. Hierbei müssten die Organe der Gewerbeaufsicht und der
Berufsgenossenschaften helfend eingreifen, deren Zusammenarbeiten
mit den Fabrikleitern der Referent aus eigener Erfahrung als
ausserordentlich wertvoll und dankenswert bezeichnet. Nur müsste
namentlich den Gewerbeaufsichtsbeamten durch Vermehrung der
Stellen mehr Muse gegeben werden, damit sie sich noch ein¬
gehender mit den hygienischen und toxikologischen Aufgaben be¬
schäftigen könnten. Bezüglich etwa vorzuschlagender neuer Wege
der Belehrung führt er folgendes aus: Von Belehrungen durch
Merkblätter u. 8. w. verspreche er sich keinen grossen Erfolg, da
gedruckte Bestimmungen auf die Arbeiter meist wenig ein wirkten;
man finde oft Geringschätzung und Nichtbeachtung solcher Zettel.
Bewährt habe sich dagegen die Methode, dass Aufseher die wich-
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228
tigen Vorschriften, die für sie in ein besonderes Buch eingetragen
sind, an jedem Löhnungstage vorlesen; die Arbeiter haben dies
•durch Unterschrift zu bestätigen. Hier sei mit einiger Sicherheit
•eine Einwirkung möglich; auch sei man daraufhin in der Lage, bei
Nichtbeachtung mit Verwarnungen und gelinden Strafen vorzugehen.
Voraussetzung sei natürlich, dass die geforderten Schutzmassregeln
■nicht nur keine Schädigungen, sondern auch keine Unbequemlich¬
keiten verursachten. Die in den grossen Betrieben eingeführteu
Massnahmen hätten seines Erachtens genügt, um die Gefahren auf
das Mindestmass zu beschränken. Sie ganz zu beseitigen, sei un¬
möglich, schon mit Rücksicht auf den steten Wechsel in den Pro¬
dukten aus den Arbeitsmethoden, da neue Fabrikationen auch neue
Gefahren zeitigten. Wertvoll sei die stetige Verbesserung der ma¬
schinellen Einrichtungen, die besonders die Handarbeit zu ersetzen
hätten. Notwendig sei vor allem eine dauernde physiologische Unter¬
suchung der zu verarbeitenden Substanzen. Die Tätigkeit und
die Ergebnisse der Wissenschaft seien mit lebhaftem Danke zu be-
grtissen, ebenso die Massnahmen des Kaiserl. Gesundheitsamtes.
Referent empfahl, zweckmässig im Anschluss an das Kaiserl. Amt
«in Institut für experimentelle Fabrikhygiene zu schaffen, in dem
Erfahrungen zusammenlaufen, alle Daten gesammelt und von dem
Anweisungen und Belehrungen ausgehen müssten; auch seien hier
entsprechende Kurse für die Gewerbeaufsichtsbeamten einzurichten.
Die chemische Industrie sei sich der schweren Aufgabe und der
Verantwortung auf diesem Gebiete wohl bewusst; in Verbindung
mit der Wissenschaft hoffe sie ihr aber gerecht zu werden.
Über die Frage, was der Arbeiter zur Belehrung über die
Giftgefahren tun könne, führte Dr. H. Rössler-Frankfurt a. M.
etwa folgendes aus: Die Arbeiter tun nicht genug, wenn sie den
Anordnungen der Fabrikleitung in bezug auf Giftgefahren Folge
leisten. Sie sollen und können vielmehr auch von sich aus bei der
Bekämpfung dieser Gefahren mitwirken und zur Belehrung ihrer
Kameraden sehr viel, vielleicht das meiste, beitragen. Diese Be¬
lehrung durch die Arbeiter selbst ist möglich 1. von Mann zu Mann
bei der Arbeit, 2. durch Arbeiterausschüsse, 3. durch die Arbeiter¬
organisationen. In Fabriken, wo die Belegschaft nicht zu viel
wechselt, ist es mit gutem Erfolg eingeführt, dass die älteren er¬
fahrenen Arbeiter die Neuein tretenden belehren und aufklären. Mehr
schon können die Ausschüsse da, wo sie nicht nur auf dem Papier
stehen, leisten durch Kontrolle der Vorsichtsmassregeln und deren
Anwendung, durch Belehrung der Neueintretenden, Veranstaltung
von Besprechungen und Vorlesungen und Verteilung von Merk¬
blättern. Einzelne Mitglieder des Ausschusses sollte man durch Teil¬
nehmenlassen an geeigneten Instruktionskursen oder durch besonderen
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Unterricht dazu vorbereiten. Als Beispiel kann die Fabrik der
„Deutschen Gold- und Silber-Scheideanstalt u in Frankfurt a. M.
dienen, wo der Arbeiterausschuss in Übereinstimmung mit der Fabrik¬
leitung die Belehrung übernommen hat. Bei weitem am meisten,
kann aber geholfen werden, wo Arbeiterorganisationen bestehen,
wenn diese sich der Sache annehmen. Dieselben werden in der
Lage sein, von sich aus Vorlesungen durch Sachverständige zu
arrangieren, die Presse in unserem Sinne zu beeinflussen, ihre
jüngeren Mitglieder zum Besuch der Fortbildungsschule und später
der Volksvorlesungen anzuhalten. Auch können sie einzelne Ver¬
trauensmänner durch Instruktionskurse vorbilden lassen. Ein muster-
giltiges Beispiel geben die Weissbinder in Frankfurt, die Vorlesungen,
veranstalten, Merkblätter wiederholt verteilen lassen und die Be¬
lehrung systematisch betreiben.
Dr. F. Blum-Frankfurt a. M. verbreitete sich darüber, was-
der Fabrik- bezw. Kassenarzt zur Lösung der Frage tun könne.
Voraussetzung für eine gedeihliche Betätigung des Fabrik- bezw.
Kassenarztes ist seine genügende Vorbildung in der Lehre von den*
Gewerbekrankheiten und der Gewerbehygiene, sowie seine völlige-
Unabhängigkeit von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern der Far
briken. Um eine ausreichende Vorbildung zu ermöglichen, ist neben,
den Studien in den hygienischen und toxikologischen Instituten
ein sachgemässer klinischer Unterricht zu verlangen, — Es ist em¬
pfehlenswert, dass in den Krankenhäusern der grossen Industrie¬
zentren, sowie an den Universitäten und Akademien, soweit es der
Krankenstand irgend erlaubt, besondere Abteilungen für Gewerbe¬
kranke eingerichtet werden. Als Fabrikarzt soll nur derjenige au¬
gestellt werden können, der eine spezielle Ausbildung in hygienischen,
und toxikologischen Instituten, sowie die praktische Betätigung an,
einer Gewerbekrankenabteilung nach weisen kann. Es ist wünschens¬
wert, dass auch jede Krankenkasse über einen in entsprechender
Weise vorgebildeten Vertrauensarzt verfügt. Der unabhängige und,
hygienisch geschulte Fabrikarzt ist sicherlich ein hörenswerter Be¬
rater für die Fabrikleitung und die Arbeiterschaft. Auf letztere
wird der Fabrikarzt am besten einwirken durch besondere Belehrung
der Vorarbeiter und Werkführer über die Giftgefahren ihrer Betriebe,
über die Eingangspforte des Giftes in den Organismus und über
sein Verbleiben daselbst, sowie über leicht zu erkennende Symptome
der Vergiftung, vornehmlich im Initialstadium. Die Arbeiterschaft
ist in gelegentlichen grösseren Instruktionsstunden zu belehren.
Vorgekommene Vergiftungen sollen stets den Gegenstand eingehender
Besprechungen mit den Betriebsleitern, den verantwortlichen Werk¬
führern und eventl. mit der Arbeiterschaft abgeben. Hierbei möge
der Schwerpunkt darauf gelegt werden, dass in dem Arbeiter Klar-
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heit darüber wird, wie — wofern ein Versäumnis vorliegt — die
Vergiftung hätte vermieden werden können. Der gesunde Arbeiter,
der in einen Giftbetrieb eintreten will, soll von dem Fabrikarzte
nicht nur auf seine körperliche Tauglichkeit geprüft werden, sondern
soll auch über die drohende Giftgefahr von ihm belehrt, in ihrer Ver¬
hütung unterwiesen und auf sein Verständnis hierzu geprüft werden.
iDer erkrankt gewesene Arbeiter, sofern derselbe überhaupt noch in
der Fabrik verwendbar ist. muss über die Ursachen seiner Er¬
krankung und über die Unzweckmässigkeit seines früheren Ver¬
haltens belehrt werden; auch ist es ihm nicht vorzuenthalten, wofern
eine Herabsetzung seiner Widerstandskraft gegenüber der gewerb¬
lichen Vergiftung eingetreten ist oder er sich als besonders dis¬
poniert zu einer Vergiftung erwiesen hat. Ausserhalb des Fabrik¬
betriebes kann der Arzt durch einschlägige Vorträge und Demon¬
strationen in den Gewerkschaften etc. viel Nutzen schaffen.
Regierungs- und Gewerberat Oppermann-Arnsberg führte
aus, was der Gewerbe-Aufsichtsbeamte dazu beitragen könne,
den Schutz der in Giftbetrieben beschäftigten Arbeiter dadurch voll¬
kommener zu gestalten, dass er durch Belehrung der Arbeiter diese
in stärkerem Masse als bisher zur Fördernng der Gewerbehygiene,
speziell ihrer persönlichen Hygiene, anregt. Er schildert zunächst
die Art der Tätigkeit, die der Gewerbeaufsichtsbeamte bei der Re¬
vision eines gefährlichen Betriebes auszuüben hat. Wenn sich die
erlassenen gesetzlichen Bestimmungen nur an den Arbeitgeber, nicht
aber an den Arbeiter wenden, der Beamte sich also in erster Linie
an den ersteren zu halten hat, so sei es unausbleiblich, dass der
Gewerbeaufsichtsbeamte sich bei seines Feststellungen und Er¬
kundigungen mit Fragen an die Arbeiter wendet, woran sich der
bisher geübten Praxis entsprechend, eine Belehrung des Arbeiters
knüpft, die eines gewissen Eindruckes nicht entbehren wird und
durch mündliche Weitererzählung die nötige Verbreitung unter den
Arbeitern finden wird. Der Erfolg der persönlichen direkten Be¬
lehrung durch die Gewerbeaufsichtsbeamten wechselt sehr mit
der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse. Wirksam wird die
Belehrung sich bei einem Betrieb mit ständiger Arbeiterschaft
gestalten, weniger erfolgreich wird sie sein, wenn eine solche
ständige Arbeiterschaft nicht vorhanden ist, was leider bei vielen
Giftbetrieben, die ungelernte Arbeiter beschäftigen können, der Fall
ist. In solchen Betrieben wird damit zu rechnen sein, dass bei
jedem Besuch des Gewerbeaufsichtsbeamten ein ziemlich neues Arbeits¬
personal vorhanden ist, welches stets von neuen unwissend und sorg¬
los die zu ihrem Besten getroffenen Schutzvorschriften übertreten
wird. Weil der Gewerbeaufsichtsbeamte wegen seiner sonstigenDienst-
aufträge die Revisionstätigkeit nicht mehr erheblich steigern kann
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and weil ihn sein amtlicher Auftrag in erster Linie an den Arbeit¬
geber verweist, so wird der Beamte nicht in die Lage kommen,
seinen Einfluss auf die Belehrung der Giftarbeiter noch wesentlich
zu erhöhen. Immerhin wäre es ein erstrebenswertes Ziel, wenn auch
die direkte Belehrung der Arbeiter durch die Gewerbeaufsichts¬
beamten eine bessere werden könnte. Die eigene Initiative würde
an dem gegenwärtigen Zustande wenig ändern können; eine Besserung
würde dagegen auf dem Wege denkbar und möglich sein, dass
zwischen diesen Beamten und den Arbeitern eine bessere und häufigere
Berührung geschaffen würde. Die Aufgaben der Gewerbeordnung
müssten zu diesem Behufe eine Erweiterung dahin erfahren, dass
sich die Bestimmungen wegen Durchführung der Schutzmassregeln,
insbesondere auf dem Gebiete der Hygiene, nicht mehr allein an
den Arbeitgeber, sondern dass sie sich auch an den Arbeitnehmer
wendeten. Nur die Unfallversicherungsgesetzgebung zeigt für dieseu
Weg Anfänge; die Gewerbeordnung mit ihren Ausführungsverord¬
nungen, als das hauptsächlichste Arbeiterschutzgesetz, kennt diesen
Satz bisher nicht. Dem Rechtsgefühl würde es sicher nicht wider¬
sprechen, wenn dem Gewerbeaufsichtsbeamten die Befugnis zu¬
erkannt würde, dass er neben dem Arbeitgeber auch dem Arbeit¬
nehmer Strafen androhen könnte, wenn letzterer Schutzvorschriften
leichtfertig unbefolgt lässt. Ein anderes Mittel zur Förderung des
direkten Verkehrs zwischen den Arbeitern und deu Gewerbeauf¬
sichtsbeamten bestände darin, dass die letzteren Gelegenheit nehmen,
in Arbeiterversamralungen belehrende Vorträge zu halten. Da der¬
artige Veranstaltungen nur dann zustande kommen, wenn die Ar¬
beiter in Fachvereinen zusammengeschlossen werden, so dürfte es
erwünscht sein, derartigen fachlichen Vereinigungen unter den Gift¬
arbeitern jede nur mögliche Förderung zuteil werden zu lassen.
Über die Mitwirkung der Medizinalbehörde beim
Schutz der Arbeiter in Giftbetrieben sprach Geh. Medizinal-
und Regierungsrat Dr. Roth-Potsdam. Die Mitwirkung der Medi¬
zinalbehörde auf dem in Rede stehenden Gebiet kommt in Frage
einmal bei der Feststellung der Grösse der Gefahr und zweitens bei
ihrer Verhütung. Zur Feststellung der Grösse der Gefahr bedarf
cs in erster Linie der Mitwirkung der Krankenkassen und Kassen¬
ärzte, einer Ergänzung der bisherigen einzureichenden statistischen
Unterlagen durch Einführung einer besonderen nicht für den Kranken
bestimmten ärztlichen Zählkarte, die zur Kenntnis des Medizinal¬
beamten zu bringen ist. Die für eine Reihe gesundheitsschädlicher
Betriebe vorgeschriebenen Kontroll- oder Krankenbücher haben ihren
Zweck, einen Einblick in die Gesundheitsverhältnisse der Betriebe
zu gestatten, bisher vor allem deshalb nicht erfüllt, weil die Fabrik¬
ärzte von der Fabrikleitung nicht so unabhängig sind, wie es im
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Interesse der Sache gewünscht werden muss. Diese Untersuchungen
sind daher von der Fabrikleitung unabhängigen Ärzten zu über¬
tragen und auf alle im eigentlichen Sinne gesundheitsschädlichen
Betriebe, das sind solche, in denen an die Schutzapparate des
menschlichen Körpers besondere Anforderungen gestellt werden^
auszudehnen. Bei der Errichtung genehmigungspflichtiger gewerb¬
licher Anlagen empfiehlt es sich, nach dem Vorgang des Potsdamer
Bezirks im Genehmigungsverfahren die Bedingung zu stellen, dass
der Unternehmer in bestimmten Zwischenräumen eine Übersicht der
stattgehabten Erkrankungen und Todesfälle unter der Arbeiterschaft
nach einem zu vereinbarenden Schema dem Medizinalbeamten ein¬
reicht. In allen Krankenanstalten, öffentlichen wie privaten, muss
den Berufskrankheiten und speziell den Erkrankungen in Gift¬
betrieben grössere Aufmerksamkeit als bisher zugewandt werden.
Ebenso müssen die Medizinalbeamten bei ihren regelmässigen Be¬
sichtigungen der Krankenanstalten den gewerblichen Erkrankungen
besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Im Genehmigungsverfahren
ist durch strenge Konzessionsbedingungen darauf hinzuwirken, dass
Giftstoffe von den Arbeitern ferngehalten und weitgehende Mass¬
nahmen des persönlichen Arbeiterschutzes, des Betriebs- und Ver¬
wendungsschutzes getroffen werden. Zu irgend gefährlichen Ver¬
richtungen dürfen Gelegenheitsarbeiter nicht zugelassen werden.
Die Massnahmen des persönlichen Arbeiterschutzes sind einer stän¬
digen Kontrolle durch entsprechend unterwiesene Aufseher (Meister,
Vorarbeiter etc.) zu unterstellen. Die Zulassung solcher chemischen
Körper, die in ihren Wirkungen bisher nicht erforscht sind, ist von
einer vorherigen Prüfung im Laboratorium abhängig zu machen.
In allen Giftbetrieben müssen die Arbeiter vor ihrer Einstellung
darauf ärztlich untersucht werden, ob ihre Schutzapparate, ins¬
besondere Sinnesorgane und Nervensystem, Muskelsystem mit Ein¬
schluss des Herzens, Filtertätigkeit der Nase, Flimmerepithel der
Schleimhäute, schützende Hornschicht des Epiderms normal funk¬
tionieren. Hieraus ergibt sich weiter die Einrichtung eines regel¬
mässigen Arbeitswechsels und die Heranziehung eines festen mit
den Gefahren des Betriebes vertrauten Arbeiterstammes. Diese Unter¬
suchungen sind mit entsprechenden Belehrungen der Arbeiter zu
verbinden. Ausser den auf gegenseitiges Ersuchen stattfindenden
gemeinschaftlichen Besichtigungen der gewerblichen Anlagen durch
den Medizinal- und Gewerbeaufsichtsbeamten ist zu fordern, dass
alle Giftbetriebe mindestens einmal jährlich von dem Medizinal¬
beamten in Gemeinschaft mit dem Gewerbeaufsichtsbeamten besich¬
tigt werden, wobei der Gewerbeaufsichtsbeamte sein Interesse mehr
den Anlagen als solchen, der Medizinalbeamte mehr den Arbeitern
selber und den Massnahmen der persönlichen Hygiene zuwenden
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wird. — Aufseher, Vorarbeiter und sonst geeignete Arbeiter müssen
mit den Massnahmen der ersten Hilfe unter Berücksichtigung der
besonderen Art des Betriebes vertraut sein und ebenso mit den
ersten Anzeichen beginnender Vergiftung. Beim Auftreten spezi¬
fischer Erkrankungen in nicht genehmigungspflichtigen Anlagen, wie
in Heimbetrieben, hat der Medizinalbeamte bei der zuständigen Polizei¬
behörde den Erlass entsprechender polizeilicher Verfügung gemäss
§120 der Gewerbeordnung anzuregen. Eudlich empfiehlt sich die
Errichtung besonderer Heilanstalten und Genesungsheime für die
in gefährlichen, namentlich in Giftbetrieben beschäftigten Arbeiter,
an deren Errichtung neben den Unternehmern und Krankenkassen
vor allem die In validen versicherungs- Anstalten und die Berufs -
genossenschaften zu beteiligen wären. In diesen Spezialsanatorien
würde den Fragen der Erkennung, Behandlung und Verhütung ge¬
werblicher Erkrankungen und Vergiftungen seitens der Anstaltsärzte
eingehendere Berücksichtigung zugewandt werden können, als in den
allgemeinen Krankenanstalten. In allen grösseren Krankenanstalten
empfiehlt sich ferner die Einrichtung besonderer Stationen für ge¬
werbliche Erkrankungen. Vorbedingung für die Durchführung dieser
Massnahmen ist die bessere Ausbildung der Ärzte im allgemeinen
und der Kassen- und Fabrikärzte wie der Medizinalbeamten im be¬
sonderen auf dem Gebiet der Gewerbehygiene und Gewerbekrank¬
heiten die wieder die Schaffung besonderer Lehrstühle und Arbeits¬
stätten für praktische Gewerbehygiene und Gewerbekrankheiten an
den Hochschulen zur Voraussetzung hat, an denen die Erfahrungen
der Fabrikärzte, der Kassenärzte, der Soziologen, der Medizinal-
und Gewerbeaufsichtsbeamten zu sammeln, zu ergänzen und nutzbar
zu machen sein würden.
Landrat Schmal f us s-Hannover gibt dem Bedauern des plötzlich
verhinderten Referenten Geh. Rats Liebrecht Ausdruck, hier nicht er¬
scheinen zu können, und dessen weiterem Bedauern, dass er bei
Prüfung der Frage, ob die Versicherungsanstalten auf dem Gebiete,
das uns heute beschäftigt, sich betätigen können, zu einem be¬
friedigenden positiven Ergebnis nicht gelangt sei. Nur ist gesagt,
dass die Anregung der Zentralstelle auch die Versicherungs-Anstalten
heranzuziehen, dem Gedanken ihre Entstehung verdankt, dass die
Anstalten in ihren Kontrollbeamten geeignete Organe dazu haben,
weil diese mit den Arbeitern in steter Fühlung sich befinden. Dies
ist eben nicht richtig, weil die Kontrollbeamten den Gewerbeaufsichts¬
beamten ins Handwerk pfuschen würden, auch die erforderlichen
Kenntnisse nicht besitzen, auch nicht erwerben können, 2. sie leicht
in eine schiefe Stellung den Arbeitgebern gegenüber kommen würden,
während sie auf dem Gebiete der In validen-Versicherung Vertrauens¬
leute der Arbeiter und Arbeitgeber sein sollen, 3. ihnen nicht Ge-
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg.
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schäfte übertragen werden können, die ganz ausserhalb der Invaliden¬
versicherung liegen. Auf dem Gebiete der Statistik würden aller¬
dings die Anstalten eher es leisten können, aber die bisherige Sta¬
tistik, die sie auf Anweisung des Reichs-Versieherungsamts über die In¬
validitätsursachen führen müssen, genügt für die Giftkrankheiten nicht,
weil diese Krankheiten unter allgemeineren Begriffen, wie Nerven¬
erkrankungen, Nierenkrankheiten usw., verschwinden, man also nicht
feststellen kann, wann eine Giftkrankheit die Invalidität herbei¬
geführt hat. Es ist deshalb mit Freuden zu begrüssen, dass das
Reichs-Versicherungsamt vor einigen Tagen erklärt hat, in eine
Revision der Vorschriften über die Führung der Statistik der Ver¬
sicherungs-Anstalten einzutreten, und Aussicht vorhanden ist, dass
fortan in dieser Beziehung die Sache besser wird. Schliesslich wer¬
den die Versicherungs-Anstalten bei den Versicherten, die sie in die
Heilstätten aufnehmen, aufklärend wirken können, wie wir in Han¬
nover die Merkblätter gegen die Gefahren des Alkohols und des
Vereins zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in den Heil¬
stätten verteilen, so kann dies auch mit Merkblättern, Flugschriften
usw. über die Giftkrankheiten geschehen. Es ist wenig, was die
Versicherungs-Anstalten m. E. nützen können, jedenfalls werden sie
aber jede Anregung, die ihnen einen gangbaren Weg zeigt, auf diesem
Gebiete zu helfen, dankbar annehmen.
Stadtschulinspektor S c h m i d - München, der an Stelle des ver¬
hinderten Studienrats Dr. K er st enstein er über die Mitwirkung der
Schulbehörde in dieser Frage sprach, gab zunächst einen kurzen
Rückblick darüber, was die Schulbehörde auf dem fraglichen Ge¬
biete dermalen leistet an Volks-, Fortbildungs-, Mittel- und Hoch¬
schulen.
Die Volkschule kann durch einen vernünftig betriebenen natur-
geschichtlichen Unterricht nur vorbereitend wirken. Der richtige
Zeitpunkt, an welchem mit Belehrungen einzusetzen ist, liegt beim
14. Lebensjahre, wenn der Knabe einen festen Beruf ergriffen hat.
Vor der Entlassung aus der Schule hat eine Belehrung über
Berufswahl und körperliche Anlagen, ja selbst eine Mitwirkung bei
der Lehrstellenvermittlung, platzzugreifen.
Auf der Oberstufe (Selekta, 8. Klasse) ist als Lehrgegenstand
Natur- und Gewerbekunde anzusetzen, in welcher die für das Leben
des Menschen, sowie für Gewerbe, Industrie und Handel bedeut¬
samsten Naturkörper, ferner die in dieser Beziehung in Betracht
kommenden Naturerscheinungen und chemischen Vorgänge behandelt
werden. Bei Atmung, Blutkreislauf und Hautfunktionen kommen
die Vergiftungsfälle zur Besprechung.
Wo Fortbildungsschulen bestehen, hat die Gewerbekunde die
führende Rolle im Lehrplan zu übernehmen; sie scheidet sich in
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Materialien-, Werkzeug- und Maschinenkunde, denen sich, wo es nur
angeht, auch praktischer Werkstattunterricht anzuschliessen hat.
Diese Disziplinen zwingen zur Belehrung über die in einem Betriebe
möglichen Giftgefahren. Eine besondere Lebenskunde gibt unmittel¬
bare Anleitung zu hygienisch richtiger Lebensführung unter Berück¬
sichtigung der eigenartigen Verhältnisse des jeweiligen Berufes.
Schülerwerkstätten sind mit den besten Ventilationseinrichtungen,
bei Entwicklung giftiger Gase mit stark ziehenden Abschlägen zu
versehen. Die Anleitung zur peinlichsten Reinlichkeitspflege nach
Werkstatthantierungen (auch vor Stärkungspausen) ist wichtig.
Exkursionen in mustergiltig eingerichtete Gewerbebetriebe und
Besuche von Museen für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen mehren
die Einsicht.
Die an die Fortbildungsschulen sich anschliessenden Gehilfen-
und Meisterkurse können mit noch grösserer Aussicht auf Erfolg die
Belehrungen über die Giftgefahren fortftihren.
Bei Errichtung von fachlichen Fortbildungsschulen ist den ört¬
lichen Verhältnissen sorgfältig Rechnung zu tragen. Wo eine Gliede¬
rung nach Berufsgruppen nicht möglich ist, muss das Kapitel über
Giftgefahren in einer besonderen Lektion behandelt werden.
Auf Mittel- und Hochschulen ist in der Ausbildung von Werk¬
meistern, Technikern und Ingenieuren die Belehrung über Giftgefahren
und Mittel zur Hintanhaltung nicht zu übersehen.
In die Lehrerbildung sind beim naturkundlichen Unterrichte
gewerbekundliche Momente im Sinne der Abhandlung wahrzunehmen.
Lehrer an Fortbildungsschulen bedürfen besonderer Unterweisungen
in Technologie.
Nach diesen Gesichtspunkten ist in München, soweit Volks-,
Fortbildungs und Gewerbeschulen in Betracht kommen, der Unter¬
richt praktisch bereits durchgeführt.
Über die Frage, was die Presse zur Belehrung der Arbeiter
über die Gefahren der gewerblichen Gifte beitragen könne, sprach
Prof. Dr. E. F ran c k e-Berlin. Indem er auf die Tatsache hin¬
wies, dass heutzutage die Zeitung das universalste Verbreitungsmittel
des gedruckten Wortes ist, empfahl er, systematisch die namentlich
von Arbeitern gelesenen Blätter zur Mitarbeit heranzuziehen. Be¬
reitwilligkeit, hier mitzutun, sei bei der gewerkschaftlichen Presse
in hohem Masse vorhanden. Doch sei es unerlässlich, den Redak¬
tionen das nötige Material zur Belehrung, Aufklärung und Warnung
der Arbeiter in passender, einwandsfreier Gestalt zu übermitteln,
damit diese schwierigen Dinge nicht mit Übertreibung, Unwissen¬
heit, Oberflächlichkeit behandelt werden. Darum empfehle es sich,
in einer Zentrale mit Hilfe wissenschaftlich und technisch gebildeter
Kräfte das Material über gewerbliche Giftgefahren in umfassender
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Weise zu sammeln, sichten und verarbeiten und ebenfalls von hier
aus den Zeitungen in druckfertiger Form zugänglich zu machen,
wobei neben der allgemeinen Belehrung auch eine Spezialisierung
nach einzelnen Gewerben in der betreffenden Fachpresse stattfinden
müsse. Vor allem müssten die Arbeiter immer wieder darauf hin¬
gewiesen werden, dass alle Massregeln gegen die Giftgefahr
fruchtlos sind, wenn sie nicht auf ihren eigenen Selbstschutz be¬
dacht sind.
Vor Besprechung des 2. Themas versammelten sich die Teil¬
nehmer an der Konferenz in den Räumen des Folkwang-Museums
zur Besichtigung der Ausstellung von Photographien, Zeichnungen
und Modellen architektonisch-mustergiltiger Arbeiter-Wohnhäuser.
Im Anschluss hieran hielt Herr Karl Ernst Osthaus, der Begründer
des Folkwang, einen Vortrag über das Museum und seine Wirksam¬
keit zur Hebung der künstlerischen Kultur. Exzellenz Hentig
sprach Herrn Osthaus den Dank der Versammlung aus. Er betonte,
dass hier ein Werk geschaffen sei, auf das die ganze deutsche
Nation stolz sein dürfe, und wünschte Herrn Osthaus immer steigende
Anerkennung und Erfolge in seiner so bedeutsamen Kulturarbeit.
Herr Osthaus sprach dann über „Die Gestaltung des
Arbeiter-Wohnhauses“.
Redner wies eingangs auf den engen künstlerischen Zusammen¬
hang hin, den in allen grossen Kulturepochen die Monumentalbauten
mit den Wohnhäusern gehabt haben und erblickt in einer echten
häuslichen Kultur und künstlerischen Pflege des Kleinsten den eigent¬
lichen Nährboden grosser Schöpfungen. Denn die Elemente der
Baukunst seien nicht der Laune und Willkür entsprungen, sondern
das notwendige Ergebnis des menschlichen Daseins unter bestimmten
äusseren Bedingungen. Der Stil dokumentiere das Verwachsen des
Menschen mit der Scholle. Klima, Material, daraus sich ergebende
technische Rücksichten und Verzierungsweisen, Formation des Bodens,
ja selbst der unmerklich wirkende Stimmungswert der Landschaft
wirkten mit zwingender Gewalt auf die Gestaltung der Formen ein.
So sei es kein Zufall, dass die Häuser aller Epochen echter Kultur
mit dem Boden gleichsam verwachsen erschienen und die Menschen,
die sich denselben Einflüssen in Tracht und Sitte nicht entzieheu
könnten, mit ihnen. Das englische Volk sei das einzige unter den
Völkern des modernen Europa, das sich zu einer häuslichen Kultur
durchgerungen habe. Hier seien die repräsentativen Bedürfnisse,
die bei uns eine so grosse Rolle spielen, den Rücksichten der Ge¬
sundheit und Zweckmässigkeit gänzlich gewichen. Hier liege die
erzieherische Bedeutung des Hauses. „Was sich zu Hause glück¬
lich fühlt, das bleibt zu Hause“, heisse ein englisches Sprichwort.
Auch wirke die gesunde Gesetzmässigkeit des Äusseren auf den
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Geist zurück und halte ihn in den Banden einer ruhigen, un
gekünstelten Tradition. Ein fester, ruhiger und doch allem Echten
und Schönen offener Sinn sei die erfreuliche Folge.
In dieser Zweckdienlichkeit liege das Schöne, Künstlerische,
das wir erstreben sollten. Henry van de Veldes Begriffe von der
zweckmässigen Schönheit decken sich, wie Redner an mehreren Aus¬
sprüchen Goethes und Schillers zeigt, vollkommen mit der Auffassung
früherer Zeiten. Besonders sei auch die griechische Erziehung zur
Schönheit, wie Aussprüche Platos bestätigen, auf die Überzeugung
gebaut gewesen, dass die Liebe zum Schönen die sicherste Grund¬
lage einer edlen Gesinnung sei. Die Forderung der Griechen sei
daher gewesen, die heranwachsende Jugend nur mit schönen Ge¬
bilden zu umgeben. Wer hätte nicht den befreienden Eindruck der
harmonischen Umgebung in alten Städten und Dörfern an sich selbst
erfahren? Hier werde die leidenschaftliche Liebe zur Heimat ver¬
ständlich, die die Neuzeit immer mehr zu verlieren scheine. Wer
sich heute über Japans Siege wundere, beachte nicht, dass dieses
Land unter allen Völkern der Welt die ästhetische Kultur sein eigen
nenne, und die auf ihr beruhende leidenschaftliche Liebe zur Heimat
dort wie stets die Mutter grosser Taten sei. Wir hätten einen neuen
Beweis für die Tatsache, dass der hohe, sittliche Mut nur eine Blüte
echter Lebenskultur sei.
Nachdem die Fülle der Erfindungen und durch den Weltver¬
kehr übermittelten Eindrücke unser kulturelles Leben wohl bereichert,
aber auch unendlich verwirrt hätte, sei es an der Zeit, das neu¬
erworbene Wissen und Können mit unserin Leben in Harmonie zu
setzen, dessen ethische und ästhetische Seite im selben Masse ge¬
litten habe, wie seine wirtschaftliche und politische sich expansierte.
Die Neuschöpfung des deutschen Hauses allein könne diesen Aus¬
gleich bewirken.
Herr Landesgewerberat Dr. Ing. Muthesius-Berlin sprach
über „die Entwickelung des künstlerischen Gedankens im Wohn¬
hausbau“.
Nach einem Jahrhundert äusserer Lebenssteigerung hat seit
einigen Jahren eine Bewegung auf ein verstärktes inneres Leben
begonnen, die Frage der künstlerischen Kultur ist aufgetaucht. Frei¬
lich ist das Wort Kunst sehr häufig missverstanden worden uud hat
gerade in der Architektur zu jener Anhäufung von Formen geführt,
die den heutigen Hausbau kennzeichnet. Unsere heutigen gesell¬
schaftlichen und Kulturzustände sind verwickelt und ungeklärt und
unsere künstlerischen können darum nicht einheitlich sein. Nur
harmonische Zustände erzeugen Schönheit. In England sind die
gesellschaftlichen Verhältnisse, namentlich die der bürgerlichen Ge¬
sellschaft, geklärter und entwickelter und damit sind auch die btirger-
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liehen Kulturäusserungen, namentlich die bürgerliche Baukunst, reifer
und harmonischer. Von der bürgerlichen Baukunst wurde der
Arbeiterwohnhausbau beeinflusst. In England wurde das alte Vor¬
urteil, dass geschmackvoll zu bauen mehr Geld koste als geschmack¬
los, schon in den siebziger Jahren gebrochen durch die Errichtung^
der Kolonie kleiner Bürgerhäuser Bedford-Park bei London, welche
von dem hervorragendsten Architekten Englands, Norman Shaw,
erbaut wurde. Die Kolonie von 60—80 Häusern enthält bei völlig
harmonischer und abwechslungsreicher Wirkung nur 9 Häusertypen.,
Zwanzig Jahre nach Bedford Park wurde das Fabrikdorf PortSun-
light bei Liverpool errichtet, an dem die ersten Architekten des
Landes mitwirkten und das den Ausgangspunkt für die künstlerische
Entwicklung des Arbeiterwohnhausbaues bezeichnet. Von da an
war die Frage, ob man das Arbeiterhaus gefällig und geschmack¬
voll errichten solle, für ganz England im positiven Sinne erledigt.
In Deutschland liegen in neuerer Zeit ebenfalls sehr glückliche An¬
fänge in der geschmackvollen Gestaltung des Arbeiterwohnhauses
vor. Aber trotz dieses Werkes von Einzelkünstlern ist das allgemeine
Niveau der bürgerlichen Baukunst und damit auch des Arbeiter¬
wohnhausbaues ein trauriges. Von der jetzt beginnenden Aufnahme
von Anregungen aus dem deutschen Bauernhause ist viel Gutes zu
erhoffen. Wirklich geheilt können die Schäden aber erst dann
werden, wenn die Ausbildung des architektonischen Nachwuchses
in andere Bahnen gelenkt wird. Die Bauschulen übermitteln nur
die Äusserlichkeiteu vergangener Kunstausübungen, die man fälsch¬
lich für Architektur hielt. Der Bauschüler erhält einen äusserlichen
Apparat von Formen in die Hand, mit denen er dann im Leben
operiert. Je mehr er davon anbringen kann, je stolzer ist er. Für
die Ausbildung seines Geschmacks und seiner künstlerischen Empfin¬
dung geschieht nichts. Eine Besserung der architektonischen Zu¬
stände wird von der nächsten Generation erwartet werden können,
in welcher eine Verschmelzung gesunder Grundsätze, die in der
neueren kunstgewerblichen Bewegung gepflegt werden, mit der archi¬
tektonischen Tradition stattfinden werden.
Über die wirtschaftliche Seite der Ausgestaltung des Arbeiter¬
wohnhauses sprach Herr Direktor Dr. Brandts-Düsseldorf. Von
den heutigen Verhältnissen ausgehend, erörterte er die Frage, ob
eine bessere architektonische Ausgestaltung nötig und wirtschaft¬
lich möglich wäre. Seinen Ausführungen legte er dabei folgende
Voraussetzungen zugrunde: einmal handele es sich nicht etwa nur
um die äussere Erscheinung der Arbeiterhäuser, sondern in noch
höherem Masse um die gesamte innere Durchbildung nach den be¬
sonderen Bedürfnissen der Bewohner, sowie auch um die Eingliede¬
rung des einzelnen Hauses in die gesamte Umgebung; zweitens sei
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die Frage in grösseren Orten wichtiger als in kleinen Verhältnissen,
wo die Natur dem Ganzen noch zu Hilfe komme; drittens nahm er
an, dass, mit einzelnen Ausnahmen, die heutigen Mieten wohl das
Höchstmass der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bewohner
darstellten; und endlich wies er darauf hin, dass die Wohnungs¬
produktion in den Städten heute vorwiegend Speditionsunternehmen
und zwar im Kleinbetriebe sei, einzelorts habe allerdings die ge¬
meinnützige Bautätigkeit sich zu einem Faktor von bedeutendem
Einflüsse entwickelt.
Zum Thema selbst konstatierte der Referent sodann, dass
zweifellos hinsichtlich einer schöneren Ausgestaltung der Arbeiter¬
häuser bereits Fortschritte zu konstatieren seien, so besonders bei
den Kolonien grosser Arbeitgeber und einzelner Bauvereine; doch
bedürfe die Idee unbedingt einer weiteren Ausbreitung, als sie bis¬
her besitze. Die Frage, die sich sofort daran anschliesse, ob eine
architektonische Durchbildung in diesem Sinne finanziell einen Mehr¬
aufwand bedeute, lasse sich schwer exakt beantworten, da manchen
Verteuerungen auf der einen Seite, erhebliche Ersparnisse auf der
anderen gegenüberstehen. Redner hat versucht, auf verschiedene
Weise zu einem Ergebnis zu kommen, so besonders durch Ver¬
gleichen der Baukosten von Bauvereinshäusern, die mit Zuziehung
guter Architekten gebaut waren, mit solchen ohne diese: doch war
das Material wegen der ausserordentlichen Verschiedenheit der ört¬
lichen Verhältnisse nicht verwendbar. Dagegen sei es möglich, der
Frage auf einem Umwege nahe zu kommen. Denke man sich näm¬
lich — wie der Redner an einer Reihe von Beispielen zeigte —
den Fall, dass die einzelnen von Bauvereinen unter Zuziehung vor¬
trefflicher Architekten erbauten Häuser zu denselben tatsächlichen
Herstellungskosten von einer nach den üblichen rein wirtschaft¬
lichen Grundsätzen arbeitenden Erwerbsgesellschaft errichtet wären,
so zeige sich, dass diese Gesellschaft bei sorgfältiger Verwaltung
und bei Annahme der ortsüblichen Mieten eine ausgezeichnete Ver¬
zinsung ihres Kapitals aus den Objekten erzielen könne; dass also
eine schöne und sinngemässe architektonische Durch¬
bildung der Arbeiterhäuser schon unter den gewöhn¬
lichen wirtschaftlichen Verhältnissen einer ausgezeich¬
neten Rentabilität der Anlage durchaus nicht im Wege
stehe. — Im übrigen sei nach anderen bekannt gewordenen Renta¬
bilitätsziffern aus gut geleitetem gewerbsmässigem Hausbesitze eine
Abnahme des Anreizes zum Bauen auch für den Pall nicht zu be¬
fürchten, dass der Bauherr seinerseits einen massigen Teil eines
doch etwa erwachsenden Mehraufwandes tragen müsse. Ob nun
allerdings der gewöhnliche private Bauunternehmer geneigt sei, für
seine Häuser solche durchgebildeten Architekten, auf deren Heran-
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ziehung ja schliesslich die Frage hinausläuft, zu gewinnen, bezweifelte
der Referent nach dem, was über Art und Vorbildung der grossen
Menge der Bauunternehmer bekannt geworden ist; diese könne im
allgemeinen sicher nur die Konkurrenz und das Wachsen der An¬
sprüche der Mieter dazu treiben; in beiden Hinsichten hätten die
Bauvereine noch eine Aufgabe zu erfüllen. In grossen Orten sei
mit Rücksicht darauf die Gründung grösserer Erwerbsgesell¬
schaften zum Bau und zum Vermieten dringend zu empfehlen.
Diese würden jedenfalls eher geneigt und in der Lage sein, durch
gebildete Architekten bauen zu lassen; sie würden ferner nach-
gewiesenermassen eine gute Rentabilität erzielen und stellten einen
beachtenswerten Fortschritt dar sowohl für die Regulierung der
privaten Bautätigkeit wie auch durch Ausschaltung kleiner unsolider
Hausproduzenten für die Gesundung unserer gesamten Bau-, Hypo¬
thekar- und Bodenverhältnisse. In kleineren Orten liege die Sache
insofern einfacher, als hier noch vielfach der Eigenbau vorherrsche;
hier könne durch Hinweis der Bauherren auf die ältere heimische
Bauweise, durch Anbietung von einer Zentralstelle (nach der Art
des Baubureaus der Bauern-Vereine), in bestimmten Fällen auch
durch finanzielle Beihilfen der an der Schönheit des Stadtbildes ja
auch interessierten Kommunen Gutes geschaffen werden. Notwendig
sei nun allerdings, durch entsprechende Unterweisung und Erziehung
für ein geeignetes Architektenmaterial zu all diesen Aufgaben Sorge
zu tragen. In der Rheinprovinz sei geplant, gemeinsam mit der
technischen Hochschule zu Aachen Fortbildungskurse für Baugewerbe-
treibendc und Kleinwohnungsarchitekten einzurichten, deren fähigste
Schüler dann später bei Bedarf empfohlen würden, und ausserdem
durch entsprechende Vorträge auch in den gemeinnützigen Bauver-
einen weiter erzieherisch auf breitere Kreise einzuwirken.
Prof. Schulze-Naumburg (Saaleck bei Kosen) sprach über
„Das Bauernhaus in seiner vorbildlichen Bedeutung für den Arbeiter¬
wohnhausbau“. Die Arbeiterhäuser und -kolonien zeigen heute viel¬
fach einen Kasernentypus, der das Schönheitsgefühl des Betrachters
stark verletzt und ein Heimatgefühl bei den Bewohnern nicht auf-
komruen lässt. Das liegt nicht in der Natur der Sache, sondern
an der Unkenntnis und Unbildung der verantwortlichen Leute. Wir
werdeu helfen müssen, dem Arbeiter schöne Wohnstätten zu schaffen,
in denen er sich wohlfühlen soll. Gänzlich neue, noch nie da¬
gewesene Formen brauchen aber nicht gewählt zu werden, sondern
es ist an das Schöne und Zweckmässige in der Vergangenheit an¬
zuknüpfen. Redner sprach dann von der Bedeutung der Tradition
auf dem Gebiete der Bauweise; zur Erläuterung führte er eine Reihe
von Lichtbildern vor, in denen er an Bild und Gegenbild den Unter¬
schied zwischen neuer und alter Bauweise, besonders auf dem Lande,
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vor Augen stellte. Er weist dabei nach, dass man nicht nur die
alten Formen schlecht und unverstanden wiederhole, sondern vor
allem, dass man nicht passende Traditionen wähle. Wir müssen
Sorge tragen, dass die rechten Vorbilder an den rechten Ort kommen.
Wenn man nach der Form des Arbeiterhauses sucht, so kann man
Rat finden bei den Ständen, deren Lebensweise und Bedürfnisse
mit denen des Arbeiterstandes verwandt sind, und die doch im Be¬
sitz einer festen Überlieferung eines eigenen Heimes sind, in dem
sich menschenwürdig und zufrieden leben lässt. Das ist das Haus
der kleinen Bauern. Er gibt dann eine Reihe von Beispielen der
heimatlichen Bauweise, die für den Arbeiterw'ohnhausbau von Be¬
deutung ist. Das Vorbild darf natürlich nicht direkt kopiert werden,
keine Bauglieder dürfen Platz finden, die nur für die Landwirtschaft
Bedeutung haben. Wenn ferner gemäss neuzeitlicher Erkenntnis und
fortgeschrittener Technik einiges hinzugefügt, weggelassen oder ver¬
ändert wird, so haben wir den Typus des anständigen Arbeiter¬
hauses, dessen Äusseres so behaglich von Glück und Zufriedenheit
erzählt, dass ein Abglanz davon auf die Inwohnenden übergehen
muss. Gleichzeitig wäre ein Mittel gefunden, den traditionslosen
Stand der Zukunft mit der Vergangenheit zu verknüpfen, denn es
sei die umbildende Wirkung nicht zu übersehen, die die äussere
Formensprache der Umgebung auf die innere Artung des Menschen
ausübt. Redner schliesst mit dem Satze: „Erst wenn wir die Methode
des natürlichen Wachstums wieder gefunden haben werden, ist Hoff¬
nung vorhanden, dass das Bild unseres Landes wieder ein har¬
monisches wird. 14
Architekt R. Riemerschmid, München-Pasing, führte über
Grundriss und Aussenbau, Innenausbau und Einrichtung
etwa folgendes aus: Geht man davon aus, dass unsere leidenschaft¬
lich nach Unabhängigkeit strebende Zeit in der Erstellung von
Arbeiterwohnhäusern nur daun ein gesundes, dauerndes Unternehmen
sehen wird, wenn es imstande ist, sich selbst zu erhalten, mit
anderen Worten, wenn die Wohnung, um eine Durchschnittszahl zu
nennen, etwa 5000 Mk. kostet, so leuchtet ein, dass hier die künst¬
lerische Frage nicht unabhängig von der wirtschaftlichen gelöst
werden kann. Nur darum wird es sich handeln können, dem Wesent¬
lichen, dem Unentbehrlichen seine zweckmässigste, schlichteste, er¬
freulichste Form zu geben. Ehrlichkeit, Anspruchslosigkeit werden
in der Erscheinung, am Äussern und im Innern, bezeichnend hervor¬
treten müssen. Ein streng sachliches Arbeiten, ein Arbeiten, das
ganz bei der Sache bleibt, der Sache seine Formen abschmeichelt,
nicht ihr herzugetragene aufzwingt, wird zum Ziele führen, überall
wo andere Bedürfnisse und Verhältnisse bestehen, zu anderen Er¬
gebnissen gelangend. Ein Typus lässt sich deshalb auch uicht fest-
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setzen. (Es folgt eine Reihe von Hinweisen auf Einzelheiten.) Die
Gesamtanlage wird reizvoll in sorgfältigster Anpassung vor allem
an die Bodengestaltung sein müssen, so dass nicht das einzelne
wirken, herausgeputzt werden muss, dass es im Gegenteil, bescheiden
angeordnet, in das erfreuliche Gesamtbild seine beste Wirkung tut.
Erbauer und Bewohner der Häuser mögen erst noch lernen, dass
strenge, vom Lineal und Winkelmass erzeugte Regelmässigkeit durch¬
aus bei anspruchslosen Arbeiten recht unsachlich ist, dass die an¬
spruchloseste Art zu arbeiten hier am Platze ist und das einfache
Augenmass, die fühlende Hand an die Stelle der Langweile kleine
Reize setzen kann, wo auch der geringste schmückende Aufwand
sich verbietet. — Und sie mögen lernen, dass abgenützt, doch gut
gehalten, nicht hässlich bedeutet, sogar das Gegenteil bedeuten kann;
dass derbes, natürlich behandeltes Material manchen unbekannten
Reiz besitzt, dass auch die kleinste Spur von erlogenem Vornehm¬
tun lächerlich und gewöhnlich ist. — So müsste sich schliesslich
das Arbeiterwohnhaus darstellen, -dass man fühlte, die Menschen und
die Häuser gehören zusammen.
Cher die Gestaltung von Arbeiterkolonien sprach Geh. Reg.-
Rat Prof. Dr. Ing. Henrici:
Mit der Begründung, dass es wegen der unzählbar verschie¬
denen Umstände und Verhältnisse, unter welchen Arbeiterkolonien
entstehen können, nicht möglich sei, allgemeine Normen für deren
Ausgestaltung aufzustellen, beschränkt der Vortragende seine Dar¬
legungen auf sogen. Ortschaftskolonien, die im Anschluss an
grosse industrielle Betriebe von den Arbeitgebern ins Leben ge¬
rufen werden. Die Gründung solcher Kolonien wird da zur Not¬
wendigkeit, wo man annehmen kann oder muss, dass die Privat¬
unternehmung den Wohnungsbedarf nicht genügend decken wird r
und wo von ihr in ethischer und ästhetischer Beziehung nichts gutes
zu erwarten ist. Letzteres wird besonders auf dem Lande in der
Regel zutreffen. An dem Grundsatz ist festzuhalten, dass tunlichst
jede Kolonistenfamilie so gut wie im eigenen Heim wohnen
soll. Derartige Arbeiterkolonien grossen Umfanges sind als ein Pro¬
dukt der Neuzeit anzusehen, für die es keine Vorbilder aus alter
Zeit gibt. Sie sind nicht Stadt und nicht Dorf, aber von beiden
etwas; sie haben trotzdem einen ausgeprägten Charakter durch die
Gleichheit der Lebensstellung, Beschäftigung und der Ansprüche
der Mehrzahl ihrer Insassen. Diese Homogenität würde bei sach¬
licher Behandlung zu einer unbefriedigenden Gleichförmigkeit in der
äusseren Erscheinung führen, wenn nicht öffentliche Gebäude, An¬
stalten und Anlagen hinzukämen, die in einem grösseren Gemein¬
wesen unentbehrlich sind, und w r enn nicht darauf zu rechnen wäre,
dass unter Tausenden von Arbeiterfamilien auch solche sich be-
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finden, denen mit Garten und Stall nicht gedient ist, und die besser
in Kleinwohnungen mehrgeschossiger Häuser unterzubringen sind.
Diese Faktoren führen zu einer natürlichen Gliederung der Anlage,
in deren Kern die öffentlichen Gebäude und die Etagenhäuser zu
einem Gebilde städtischen Charakters, mit mehr oder weniger ge¬
schlossenen Strassen und Platzbildern zu vereinigen sind, während
die übrigen Teile der Kolonie in ländlichem Charakter sich diesem
Kern anzuschliessen haben. Aber auch mit sinnvollster Einrichtung
und Ausgestaltung solcher Arbeiterkolonien werden die Nachteile
und Gefahren nicht beseitigt, die die Zusammenhäufung und Ab¬
sonderung einer grossen Zahl von Menschen ein und derselben Ge¬
sellschaftsklasse mit sich bringen. Alle fortschrittlichen Bestrebungen
müssen deshalb auf die Abwendung oder Abmilderung dieser Nach¬
teile und Gefahren gerichtet sein. Diese Erkenntnis führt zu den
folgenden Fragen:
1. Ist es nötig, dass in einer Kolonie, die im Anschluss an
einen grossindustriellen Betrieb errichtet wird, nur solche Leute auf¬
genommen werden, die in diesem Betriebe arbeiten oder mit ihm
in unmittelbarer Beziehung stehen, oder wäre es nicht besser, gerade¬
zu darauf hinzu wirken, dass recht viele andere Leute in die Kolonie
mit hineingezogen würden?
2. Ist nicht anzunehmen, dass sich manche auf kleineres Ein¬
kommen angewiesenen Leute mittleren Standes, z. B. kleine Rent¬
ner, Pensionäre, Kaufleute, Handwerker (Schuster, Schneider, Schreiner
etc.) finden würden, auf welche die billig angebotenen gesunden
Wohnungen und das Benutzungsrecht der Wohlfahrtseinrichtungen
eine so grosse Anziehungskraft ausübte, dass auf einen namhaften
Zuzug zu rechnen wäre?
3. Liesse sich die Abhängigkeit der Arbeiter, die mit dem in
solchen Kolonien üblichen patriarchalischen Verwaltungssystem ver¬
bunden zu sein pflegt, nicht dadurch abmildern, dass man die
Kolonieverwaltung gänzlich von der Betriebsverwaltung absonderte,
und ein völlig unabhängiges, selbständig funktionierendes Wohnungs¬
amt einsetzte; oder noch besser, dass man gegen Pacht oder unter
anderen festen Bedingungen das ganze Vermietungsgeschäft einem
Privaten oder einer Gesellschaft übertrüge?
Bejaht man diese Fragen, so werden sie einen sehr fühlbaren
Einfluss auf die Gestaltung der Kolonien ausiiben. Es werden dann
Ortschaften aus ihnen entstehen können, die den vielfach erstrebten
Gartenstädten oder auch den Ortsgründungen nahe kommen, mit
welchen die Staatsregierung des Grossherzogtums Hessen mit gutem
Beispiel voranzugehen im Begriff steht.
Unter Hinweis auf eine in Plänen und Ansichten zur Anschau¬
ung gebrachte Studie zu einer etwa 1000 Familien umfassenden
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Arbeiterkolouie des Steinkohlenbergwerks Kunrow in Oberschlesien
entwickelt der Vortragende seine Ansichten über die weitere bau¬
liche Ausgestaltung solcher Anlage. Er verlangt, dass in jedem
Punkte Sachlichkeit und Wirtschaftlichkeit leitend sein müssen.
Diese verbieten, die Gewohnheiten, Ansprüche und Geschmacks¬
neigungen, die in den begüterten Gesellschaftskreisen herrschen, auf
die Arbeiterkreise zu übertragen; sie verbieten die Aufwendung jed¬
weden entbehrlichen Luxus, den nach ihren eigenen Mitteln und
Neigungen zu treiben man den Arbeitern selbst überlassen möge,
und sie fordern ein haushälterisches Vorgehen in jeder Richtung.
Eine gewisse Regelmässigkeit der Anlage, die manche Wiederholungen
nicht ausschliesst, wird die Herstellung vereinfachen und verbilligen,
und wird namentlich bei der Grundstückteilung zu günstiger Terrain¬
ausnutzung führen. Sie kommt auch der Übersichtlichkeit zu statten
und wirkt erzieherisch. Bei etwaiger Anwendung des Einfamilien¬
hauses ist dem Reihenhaus der Vorzug gegenüber dem Einzelhause
einzuräumen, weil cs billiger und wärmer ist. Grösste Sparsamkeit
hat bei Anlage der Strassen zu walten. Dem wird es entsprechen,
wenn man eine strenge Unterscheidung zwischen Fahrstrassen und
nicht zu befahrenden W'ohnstrasseu einftihrt. Die letzteren werden
dann zu ungestörten Kinderspielplätzen.
In einem kurzen Schlusswort verlangt der Vortragende die
Gleichberechtigung der künstlerischen mit allen andern Erwägungen.
Die Kunst soll nicht erst einsetzen, wo die Bedürfnisfrage aufhört,
sondern soll von Anfang an mitzusprechen haben. Sie soll sich nicht
in Bereicherung und Verteuerung der Anlage äussern, sondern in
sinnvoller, anmutiger Raumgestaltung, und in wirkungsvoller Gruppie¬
rung der einfachen Elemente, aus denen sich die Kolonie zusammen¬
zusetzen hat. Dies erfordert die Arbeit berufener Fachleute, deren
Leistung man von derjenigen des Architekten*Proletariates zu unter¬
scheiden lernen und lehren möge. Nicht von Rezepten und Muster¬
blättern, sondern nur von der Förderung originalen Schaffens durch
die Heranziehung berufener Fachleute zur Lösung aller, auch der
bescheidensten Bauaufgaben sei die Wirkung zu erhoffen, dass guter
Geschmack auch in das Bauernhaus und in die Arbeiterwohnung
wieder Einzug halten werde.
An Stelle des am Erscheinen verhinderten Professors Dr. Licht-
wart-Hamburg referierte der in letzter Stunde gewonnene Garten¬
baudirektor Enke-Cöln über die Anlage von Gärten. Er em¬
pfahl bei der Neuanlage von Kolonien den bestehenden Bodenbestand
an Bäumen, Sträuchera u. s. w. nicht einfach auszuroden, sondern
zu Neuanlagen zu berücksichtigen. Bei der Einrichtung der Gärten
sei die Zweckmässigkeit der oberste Grundsatz. Wo es möglich sei,
sei auf einzelne schöne, gemütliche Punkte Rücksicht zu nehmen.
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Von der Einfriedigung durch Draht oder Eisenteile riet er ab, em¬
pfahl dagegen Holzgitter oder Hecken. Baumalleen seien zweck¬
mässig nicht anzulegen, sondern es seien bei etwa vorhandenen Vor¬
gärten einzelne Bäume, die nicht zu starkes Laub und zu starke
Krone hätten, wie Akazien, Goldregen u. s. w. zu pflanzen.
Es folgte eine lange Diskussion.
Nach Beendigung der Beratungen schloss der Vorsitzende Ex¬
zellenz Hentig mit Dankesworten an die Referenten und an alle
Teilnehmer die diesjährige Tagung der Zentralstelle für Arbeiter-
Wohlfahrtseinrichtungen.
Ein Teil der Besucher folgte im Laufe des Nachmittags einer
Einladung des Fabrikanten Springmann zur Besichtigung der kürz¬
lich von ihm erbauten Arbeiter-Wohnhäuser.
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Bericht über die 6. Jahresversammlung des all¬
gemeinen deutschen Vereins für Schulgesund¬
heitspflege in Stuttgart vom 14. u. 15. Juni 1905.
Von
Dr. Jos. Boden in Cöln.
Zum sechsten Male schaarte der Allgemeine deutsche Verein
für Schulgesundheitspflege am 14. und 15. Juni 1905 in Stuttgart
Ärzte und Schulmänner aus allen Gauen des Reiches zusammen,
um in ernster gemeinsamer Arbeit die wichtigsten Tagesfragen auf
dem Gebiete schulhygienischer und pädagogischer Reformen durch¬
zuberaten. Einen würdigen Empfang hatte die Hauptstadt des
schönen Schwabenlandes den Teilnehmern der 6. Jahresversammlung
durch Veranstaltung eines vortrefflichen Festkonzertes im Stadt¬
garten am Vorabend des 14. Juni bereitet. Wenn auch eine offizielle
Begrüssung nicht stattfand, die der ersten Hauptversammlung Vor¬
behalten blieb, so nahmen doch die Stuttgarter Teilnehmer die
Gelegenheit wahr, in ungezwungenem Zusammensein mit den fremden
Gästen, die im Stadtgarten den herrlichen Sommerabend genossen,
die ersten Beziehungen anzukntipfen. Die Stadt Stuttgart widmete
des weiteren den Kongressteilnehmern neben einem hübschen Führer
durch die Stadt eine Festschrift über das Schulwesen in Stuttgart,
bearbeitet von Oberbaurat Mayer, dem Vorstand des städtischen
Hochbauamtes, und Schulrat Dr. Mosa pp, in welcher zahlreiche
Abbildungen die neueren Schulhausbauten mit ihren Einrichtungen ver¬
anschaulichen. Das „Medizinische Correspondenz-Blatt des württem-
bergischen ärztlichen Landesvereins“ überreichte eine Festnummer,
die nach einer schwungvollen Begrüssung interessante Abhandlungen
aus der Schulgesundheitspflege bringt. Einer fleissigen Arbeit über
Gewichts- und Längenwachstum der Kinder von Dr. W. Camerer jun.
in Stuttgart lässt Dr. Zahn, Nervenarzt daselbst, Bemerkungen über
die Prognose und Behandlung des Stotterns folgen, dem man in
Stuttgart durch städtische Kurse erfolgreich entgegentritt. Der
bekannte Augenarzt Prof. Königshöfer, gleichfalls dort, berichtet
über Kurzsichtigkeit durch Naharbeit, die sogen. Arbeitsmyopie.
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Dr. Bauer-Stuttgart schreibt über die Schule als Auslesefaktor,
Dr. M. Reih len bringt Gedanken über das Ergebnis der informa¬
torischen Untersuchung der Stuttgarter Volksschulkinder im Jahre 1904
und über das darauf aufgebaute Gutachten Dr. Gastpars über die
Schularztfrage in Stuttgart, denen Dr. Gastpar selbst zum Schlüsse
ein Bild über die Tätigkeit des Stadtarztes in Stuttgart anschliesst. —
Am 14. begannen die Beratungen, denen um 8 Uhr bereits Be¬
sichtigungen einiger Schulbauten, die in neuerer Zeit von der Be¬
hörde errichtet worden sind, voraufgingen. Um 9 Uhr wurde die
erste Hauptversammlung unter zahlreicher Beteiligung im Vortrags¬
saale des Kgl. Landesgewerbemuseums durch den Vorsitzenden
Prof. Dr. med. et phil. Griesbach-Mülhausen i. E. eröffnet.
Die erste Ansprache richtete Se. Exzellenz der Kultusminister Dr.
von Weizsäcker an die Versammlung mit der Versicherung, dass
der König und die Staatsministerien das wohlwollende Interesse,
das sie den Bestrebungen des Vereins bisher entgegengebracht hätten,
auch weiterhin zu betätigen entschlossen seien.
Im Namen der königlich-preussischen Ministerien der geist¬
lichen und Medizinal-Angelegenheiten und der öffentlichen Arbeiten
versichert Geh. Oberbaurat Delhis-Berlin des steten Interesses.
Als Bautechniker betätige er nur eine einseitige Mitarbeit, aber
auch diese sei für das Ganze von Wert. Den Willkommgruss der Stadt
Stuttgart brachte Gemeinderat Dr. Rettich in Vertretung des in
Urlaub weilenden Stadtoberhauptes. Keinem Kongress könne eine
Stadtgemeinde grösseres Interesse entgegenbringen als diesem, der
das Ziel verfolge, die lernende Jugend gesund zu erhalten. Aber
nicht allein die Gemeinde, sondern auch der Staat habe die Früchte
der Bestrebungen für die Gesundheit der Schulkinder einzuernten,
da bekannter Weise von 100 Schulkindern in einer Grossstadt später
kaum 20 in dieser Stadt verblieben. Wenn später in der Schule
nicht nur gelernt, sondern auch gepflegt und geheilt werde, was
von dem künftigen Schularzt zu erwarten sei, so müsse dies auch
überall geschehen und dazu solle dann nicht nur Gemeinde, sondern
auch Staat und Reich mitwirken. In Stuttgart sei man bereits
bahnbrechend und mustergiltig vorgegangen. Der Vorsitzende des
Kgl. Medizinalkollegiums Präs, von Nestle spricht die Befürchtung
aus, dass bei aller Fürsorge in der Schule für Beseitigung der Über¬
bürdung die freiwerdende Zeit allzu leicht zu vorzeitigen Genüssen
in der Familie und im gesellschaftlichen Leben ausgenutzt werde.
Er hoffe, dass man bei den Beratungen auch diesen Punkt durch
Austausch über gemachte Erfahrungen berücksichtige.
Prof. Dr. von Weyrauch, der Vorstand der Technischen
Hochschule erklärte in seiner Begrüssung, dass die gesamte Technik
■die Förderung der Gesundheits- und Lebensverhältnisse bezwecke
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und dass es daher ein sehr greifbares Interesse sei, das die Tech¬
nische Hochschule den Arbeiten der Versammlung entgegenbringe. —
Im Namen des Württembergischen ärztlichen Landesvereins begrüsste
Medizinalrat Dr. Engelhorn-Göppingen die Versammlung. —
Dr. Bau er-Stuttgart, der Vorsitzende des Stuttgarter Zweigvereins,
betonte gleichfalls, dass das Elternhaus in der Lösung der Fragen
der Schulgesundheitspflege vor allem mitzuwirken habe. Den Grass
der Lehrerschaft des Allgemeinen deutschen Lehrervereins, der über
100000 Mitglieder zähle, entbot Oberlehrer Krieg-Stuttgart, während
Prof. Dr. Hartmann-Leipzig für den deutschen Verband akademisch¬
gebildeter Lehrer (mit 12 000 Mitgl.) begrüsste. Studiendirektor
Dr. Rey d t-Leipzig als Vertreter des Zentralausschusses zur Förderung
der Volks- und Jugendspiele wies daraufhin, dass die Vermehrung
der Leibesübungen die Jugend widerstandsfähiger mache gegen die
Schädigungen, die die Schule den Kindern bereite. Dr. Zollinger-
Ztirich begrüsste als Abgesandter der schweizerischen Gesellschaft
für Schulgesundheitspflege mit Freuden die Tagung, der Kleine
könne stets vom Grossen etwas lernen. Den Schluss der Begrüssungen
bildete ein Telegramm von dem II. Congr&s fran^ais d’hygiene
scolaire.
Mit Dankesworten für die wohlwollenden Begrüssungen der
Vorredner ging dann der Vorsitzende, Prof. Dr. Griesbach, in die
Verhandlungen ein und verbreitete sich einleitend über die Frage
der Unterrichtshygiene. Diese las^e zumal in den höheren
Schulen noch viel zu wünschen übrig. Hier müssten sich Lehrer und
Ärzte zur Abhilfe vereinigen; leider werde seitens der Eltern den
Bestrebungen nicht genügende Sympathie entgegengebracht. Die
Überbürdung sei zu gross, die Jugend habe nicht genügend Zeit
zu Spiel und Zerstreuung. Es bestehe grosse Gefahr, dass den
zu grossen Anforderungen das jugendliche Nervensystem nicht mehr
gewachsen sei, dass weiterhin auch durch Vererbung eine Schwächung
des Nervensystems ganzer Generationen drohe. Was verlangt werde,
gehe vielfach über die Anforderungen der allgemeinen Bildung hinaus
und gehöre auf die Hochschule. Man müsse in diesen Anforderungen,
besonders auch in der Examenfrage bescheidener sein. Ebenso not¬
wendig sei zweitens die Schaffung einer grösseren Einheitlichkeit
im Lernsystem. Es solle in den Bundesstaaten ein mehr einheit¬
licher Unterrichtscharakter angestrebt werden, besonders in den
Volksschulen und in erster Linie in konfessioneller Hinsicht.
Das erste Thema behandelte sodann Universitätsprofessor
Dr. Vietor-Marburg: Über Anfang und Anordnung des fremd¬
sprachlichen Unterrichts. Hierzu waren zwei Referenten be¬
stimmt, und zwar sprach Prof. Vietor zunächst als pädagogischer
Referent. Er führte folgendes aus: In den höheren Schulen werden
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täglich mehr als 6 Stunden gegeben (dazu kommen die häuslichen
Arbeiten). Auf ein einzelnes Fach kommen zwar nur 2 Wochen¬
stunden, aber schon in Sexta gibt es 9 verbindliche Fächer. Diese
Menge der Fächer scheint also die hohe Stundenzahl zu bedingen:
die Überbürdung liegt in diesem „Fach wesen 44 . Der Ausdruck
„Fach 44 sei etwas Hohles, Leeres, es bedeute „Spezialität 44 und
darüber gehe das „Allgemeine 44 verloren. Durch Stoff und Methode
werden die Kräfte überlastet. 60—63 °/ 0 der Stunden fallen den
Sprachstunden zu; den Löwenanteil aber erhält der Fremdsprachen-
Unterricht in den Gymnasien und Oberrealschulen. Die Mutter¬
sprache wird dabei vernachlässigt, und das ist in hohem Grade
bedauerlich! Insbesondere ist es die Art, wie heute Grammatik der
fremden Sprachen gelehrt wird, welche die meisten mit Bitterkeit
an die Schulzeit zurückdenken lässt. Bei der lateinischen Grammatik
ist nach Ansicht der meisten Herausgeber im Anfang ein Einpauken
nötig. Das ist falsch! Der Unterricht muss von Anfang an ein
induktiver sein, ein Einführen in den Geist der Sprache, eine
Anleitung, diese Sprache aus sich heraus zu verstehen. Selbstzweck
ist ja die Sprache in der Schule so wenig, wie im Leben; sie dient
gleichsam wie eine Eisenbahn als Mittel zur Verbindung des geistigen
Verkehrs. Schon der Name Grammatik allein erweckt die widrigste
Erinnerung. Daher muss alles nicht wirklich Einleuchtende, Greif¬
bare aus dem Anfangsunterricht entfernt werden. Das Erregen des
Interesses, das Selbstsuchen- und Selbstfindenhelfen ist das Wert¬
vollste; das ist die Leistung der induktiven Methode. Unnatürlich
ist es überhaupt, dass eine tote Sprache an erster Stelle steht, man
solle anfangs Englisch, dann Französisch etc. lehren. So kommt
der Redner zur Aufstellung folgender Leitsätze:
1. Es ist wünschenswert, dass dem fremdsprachlichen Unter¬
richt eine längere Beschäftigung mit der Muttersprache vorausgeht,
wobei nicht auf den grammatischen Betrieb, sondern auf die Er¬
weckung und Festigung des Sprachgefühls — in Verbindung hier¬
mit auch auf die lautliche Schulung an der Hand der Mundart —
das Hauptgewicht zu legen ist.
2. Die gewonnene Zeit ist nur zum Teil auf den Unterricht
im Deutschen, zum anderen Teil auf Erholung, Spiel und freie Be¬
tätigung, sowie auf die Anleitung zum Beobachten und auch zeich¬
nerischen Darstellen des Beobachteten zu verwenden.
3. Das Hinaufschieben des fremdsprachlichen Unterrichts darf
der überhaupt zu fordernden Verkürzung der täglichen Unterrichts¬
zeit keinen Eintrag tun, also keine spätere Vermehrung der fremd¬
sprachlichen Stunden herbeiführen.
Der medizinische Referent des Themas: Dr. med. Jäger-
Schwäbisch-Hall legte zunächst in einer geschichtlichen Darlegung
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 17
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die Entwickelung des höheren Schulwesens aus den alten Gelehrten¬
schulen der Reformationszeit bis zum Einbau des Realgymnasiums
und den Versuchen des Reformgymnasiums dar und zeigte, wie
noch heute die Schule allzusehr unter dem Zeichen des fremdsprach¬
lichen Unterrichts stehe; nach Kaiser Wilhelms Wort habe die
Schule „den Zusammenhang mit dem Leben verloren“ und es fehle
ihr der Zusammenhang mit der Natur; das Latein habe keinen
direkten praktischen Zweck mehr. In längeren Ausführungen legt
sodann der Referent die Aufnahmefähigkeit des Gehirns vom ana¬
tomischen und physiologischen Standpunkt aus dar. Mit der Frage
des Themas ist die Grundfrage unseres gesamten heute bestehenden
höheren Schulwesens angeschnitten. In dieser Beziehung ist tn
erster Linie zweierlei zu wünschen: 1. der Unterricht ist im ganzen
und in seinen Teilen zeitgemässer zu gestalten. Die Schule muss
die vornehmlich mit dem alten klassischen Unterricht beschrittenen
Bahnen weltfremder Ideologie verlassen und sich mit ihren Zielen
auf den Boden der Bedürfnisse des Lebens und der Forderungen
der Zeit stellen. 2. Der Unterricht ist im ganzen und in seinen Teilen
naturgeraässer zu gestalten. Er muss den Gesetzen der Biologie
und Physiologie des jugendlichen Organismus, insonderheit des
Gehirns, angepasst werden. Die Schule muss die, namentlich mit
dem grammatikalisch - fremdsprachlichen Unterricht beschrittenen
Bahnen des einseitigen Intellektualismus und Formalismus verlassen
und eine naturgemässe, auf der Grundlage der Sinne und ihrer
Tätigkeit aufgebaute möglichst gleichmässige und harmonische Aus¬
bildung aller Geistes- und Körperkräfte ins Auge fassen. — Das
ganze Geistesleben des Kindes ist angewiesen auf den Weg durch
die Sinnesorgane, besonders durch das Ohr. Wir sehen z. B. bei
Ehen mit gemischten Sprachen, dass die Kinder neben ihrer Mutter¬
sprache noch 2—3 fremde Sprachen mit grösster Leichtigkeit sprechen.
Das Gehirn wird aber erst mit den Jahren zu der Reife heran¬
gebildet, mit der es schwerer fassliche Eindrücke aufnehmen kann:
man muss daher immer mit der Unreife des Gehirns rechnen, in
der sich das Kind bereits Jahre lang mit fremden Sprachen be¬
schäftigt; das fremdsprachliche Wort ist ihm anfangs nur ein Laut¬
komplex, tote Worte stehen da an Stelle von Vorstellungen, von
konkreten Darbietungen, die für das Kind noch nicht vorhanden
sind. Unter Berücksichtigung dieser Punkte ergibt sich für den
Sprachunterricht im besonderen:
1. die Muttersprache ist in den Mittelpunkt dieses Unterrichts
zu stellen;
2. die Frage nach dem Beginn des fremdsprachlichen Unter¬
richts ist in zwei zu zerlegen, da es zwei Wege der Erlernung gibt:
a) den Weg, wie das Kind die Muttersprache erlernt, b) den Weg
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-der Grammatik. Der erstere ist der natürliche, physiologisch-biolo¬
gische Weg. Er entspricht dem erwerbenden, stoffsammelnden
Denken der Jugend und der allmählichen Entwicklung des Gehirns
an der Hand der Sinne und der Anschauung. Diese Art kann er¬
setzen, so früh sie will. Der andere Weg, der der Grammatik,
entspricht dem ordnenden Denken des Erwachsenen, dem fertig
entwickelten, für den verwickelten Prozess abstrakt-philosophischer
Denkoperationen ausgereiften Gehirn. Für diese Art gilt deshalb:
so spät als möglich. Der fremdsprachliche Unterricht auf der Unter¬
stufe ist jedenfalls, soweit es irgend die Eigenart des Massenbetriebes
der Schule ermöglicht, der Ersten Art zuzuweisen. Hieraus ergibt
sich für die Reihenfolge der Fremdsprachen: 1. Zunächst
lebende Sprachen, da sie allein der Forderung der natürlichen
Erlernung genügen können. 2. Ihre Folge müsste sein: erst Eng¬
lisch, dann Französisch, weil der Gang vom näherstehenden und
damit leichteren zum fernstehenden und schwierigeren der natür¬
lichen Entwicklung der jugendlichen Kräfte mehr entspricht. 3. Der
ausschliesslich grammatikalische Betrieb der toten Sprachen (Latein,
Griechisch und Hebräisch) ist den höheren und höchsten Altersstufen
zuzuweisen; auch hier soll dieser aber keine geistige Dressuranstalt
^sein, sondern zu praktischem Gebrauch dienen zum Zwecke der
Einführung in das Verständnis der Literatur eines fremden Volks.
Für das nicht ausgereifte Gehirn des lernbegierigen Jünglings ist
der jetzt meist noch begangene Weg der abstrakten Grammatik
nichts, er tötet sein Interesse und führt zu Schulekel und Arbeits¬
ekel. Hier liegt der Grund der Klagen der Überbürdung und der
Nervenstörung unserer Jugend, hier der Mangel an praktischer
Brauchbarkeit auch fürs Leben, hier auch der Grund für die Un-
beholfenheit im deutschen Sprachgebrauch, der deutsche Perioden
baut, statt kurze klare Sätze, ohne es selbst in fremder Sprache
zu einer Beherrschung zu bringen. Für eine frische Zukunft ist
Umkehr nötig, ein durchgreifender Bruch mit der jetzigen Richtung.
In der regen Diskussion, die sich an diese beiden Vorträge an¬
schloss, befürwortete zunächst Oberrealschuldirektor Dr. Hintz-
m ann-Elberfeld, dass der fremdsprachliche Unterricht um ein Jahr
hinaufgeschoben werden müsse, da er die Aufgabe für zu gross
hielt, als dass ein Kind in dem betreffenden Alter sie leisten könnte.
Nicht aber sei es angängig, weil früher vieles falsch am Gymna¬
sium gehandhabt worden sei, deshalb jetzt gleich das Gymnasium
*md das Fachklassensystem überhaupt abzuschaffen. Prof. Dr. Miller-
Stuttgart trat warm für den induktiven Unterricht in der Grammatik
der Fremdsprachen ein, allerdings sei eine Zeitersparnis damit nicht
zu erzielen. Für gefährlich halte er, dass den Kindern zu wenig
Zeit zum Lernen gelassen werde. Die besten Erfolge habe er auf
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dem Mädehengymnasium gefunden; hier läsen die Mädchen schon
früher ihren Horaz, als Schüler am Gymnasium in den höheren
Klassen, allerdings spreche er dabei von einer Auslese begabter
Schülerinnen, da minderwertigere ja nicht das Mädchengymnasium
aufsuchen. Es sei das beste, die Ergebnisse dieser Reform-Gym¬
nasien genau zu studieren und dann zu untersuchen, ob sie sich all¬
gemein verwerten lassen. Prof. Vietor-Marburg erwiderte, es
solle durch den induktiven Unterricht auch gar keine Zeit erspart
werden; vorerst solle man nur den überflüssigen Ballast in der
Grammatik entfernen und dann auf vernünftigem Wege induktiv
unterrichten. Direktor Treutlein hat am Karlsruher Reform¬
gymnasium gute Erfolge erzielt; mit einer fremden lebenden Sprache
zu beginnen, sei, wie die Erfahrung ihn gelehrt, sehr zweckmässige
man solle nur überall den Weg des Versuchs beschreiten, um
grössere Erfahrungen anzusammeln. Er plädiert für nur zwei Fremd¬
sprachen überhaupt, mit denen man am Reformgymnasium völlig
auskomme, und das bedeute doch schon eine grosse Entlastung.
Über das Griechische könne man zur Tagesordnung übergehen.
Hiergegen wandten sich Prof. Feucht-Stuttgart, indem er für das
Griechische nach der Methode des Franzosen Gouin eine Lanze
brach. Direktor Horn-Frankfurt wendet sich gegen die allgemeine
Überschätzung des Wertes fremder Sprachen. Man solle mehr Zeit
auf die Muttersprache verwenden. In Tilsit sei die Hinaufschiebung
des fremdsprachlichen Unterrichts um ein Jahr bereits mit bestem
Erfolge eingeftihrt worden. Man solle wenigstens einmal mit Ver¬
suchen beginnen. Der Referent Prof. Vietor brachte nun folgen¬
den Antrag ein:
Die 6. Jahresversammlung des allgemeinen deutschen Vereins
für Schulgesundheitspflege spricht den Wunsch aus, es möge deu
Schulen, die sich dazu bereit erklären, versuchsweise er¬
laubt werden, den fremdsprachlichen Unterricht erst in
der zweituntersten Klasse zu beginnen; sie bittet den Vor¬
stand, diesen Beschluss den deutschen Regierungen vorzulegen.
Nachdem der Antrag nahezu einstimmig angenommen worden
war, führte noch Volksschullehrer Reichert-Stuttgart aus, dass
die Volksschule an dem Fremdsprachenunterricht insofern ein Inter¬
esse habe, als sie doch die Lieferantin für die höheren Schulen sei.
Es sollten daher die vier ersten Schuljahre überhaupt vom Fremd-
sprachenunterricht frei bleiben und der ausschliesslichen Pflege der
deutschen Sprache gewidmet sein. Ein in diesem Sinne von ihm
formulierter Antrag gelangte jedoch wegen vorgerückter Zeit nicht
zur Abstimmung, nachdem noch ein Herr Beutter-Göppingen die
Versammlung mit dem mehr humoristisch, als ernst zu nehmenden
Vorschlag beehrt hatte, an Stelle des Französischen die italienische
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Sprache als zweite Fremdsprache in den Vordergrund zu schieben. —
Gegen ein Uhr wurden dann die Beratungen ausgesetzt.
Nach des Tages Arbeit bot der Nachmittag den Teilnehmern
des Kongresses ein frohes Fest. S. Maj. der König hatte sie huld¬
voll zu einem „Sommerfest“ auf Schloss Wilhelma eingeladen. An
200 Mitglieder der Versammlung hatten sich als Gäste des Königs
zunächst auf dem „Rosenstein“ eingefunden, von wo man sich nach
Besichtigung des Schlosses und seiner Kunstschätze durch den Park
«ach der Wilhelma begab. Hier stand im maurischen Saal ein
Sekt-Imbiss bereit: In herzlichen gemütvollen Worten begrüsste
Oberhof marschall Exzellenz Freiherr von Wö 11 warth- Laut er bürg
den Verein für Schulgesundheitspflege im Namen des Königs, dessen
warmes Interesse für die Bestrebungen des Vereins versichernd, und
sprach den Wunsch aus, dass es allen fremden Gästen im Schwaben¬
land und bei seinem König wohl gefallen möge. Auf das Hoch,
das er auf den zu Gast geladenen Verein ausbrachte, erwiderte
dessen Vorsitzender, Prof. Dr. Griesbach, mit herzlichen Dankes-
worten für die königliche Huld und mit einem begeistert auf¬
genommenen Hoch auf S. Maj. König Wilhelm von Württemberg.
An das königliche Hoflager nach Friedrichshafen wurde ein Hub
•digungstelegramm gesandt. Nachdem die Gäste dann noch in den
herrlich angelegten Wandelgängen des Schlossgartens und in dem
höher gelegenen, ebenfalls im maurischen Stile gehaltenen, Pavillon
eine gemütliche ungezwungene Stunde verbracht hatten, verliessen
sie den königlichen Park, um den Abend auf der Terrasse des
Wilhelmatheaters zu verbringen. Noch in den Abendstunden lief
eine freundlich dankende Antwort des Königs ein.
Vor Beginn der zweiten Hauptversammlung fand eine Ge¬
schäftssitzung des Vereins statt. In derselben wurde der Vor¬
stand wieder gewählt: Dr. Kor mann-Leipzig, Dr. Bauer-Stutt¬
gart, Prof. Dr, Hartmann-Berlin, Stadtschulrat Dr. Wehrhahn-
Hannover, Geh. Oberbaurat D e 1 i u 8-Berlin, Oberbürgermeister
Mülle r-Kassel, Sanitätsrat Dr. Sc h m i d t-Bonn, Gemeinderat
Stockmayer -Stuttgart. Ein neuer Satzungsentwurf, nach welchem
•der Verein jetzt den Namen: Deutscher Verein für Schul¬
gesundheitspflege führt, wurde angenommen. In Aussicht ge¬
nommen wurde für die Tagesordnung der nächsten Versammlung
«die Schulbankfrage. Als nächster Versammlungsort wurde Karlsruhe
vorgeschlagen, jedoch die Entscheidung darüber unter event. Be¬
rücksichtigung einer Stadt Mitteldeutschlands dem Vorstande über¬
lassen. Rektor Dr. Salz mann-Stuttgart sprach noch den Wunsch
aus, der nächste Kongress möge sich auch mit der Frage der
körperlichen Züchtigung befassen.
Bei Wiederbeginn der Beratungen um 9 Uhr tiberbrachte
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Fräulein Planck-Stuttgart Grüsse vom Bund deutscher Frauen¬
vereine, dessen eifriges Bestreben dabin gehe, das Verständnis für die
hygienischen Aufgaben der Schule auch in den Frauen zu wecken. —
Sodann begann das Referat des Stuttgarter Stadtarztes Dr.
Gastpar über Schüleruntersuchungen. Er führte ungefähr
folgendes aus: Die heutige Jahresversammlung sei besonders dazu
geeignet, den Zweck der Schüleruntersuchungen und die Art und Weise
derselben auseinanderzusetzen, um manche Vorurteile, die denselben
noch so vielfach entgegengebracht würden, zu zerstreuen. Zur
Beurteilung des Zweckes der Schüleruntersuchungen kommen ethische
und wirtschaftliche Momente in Betracht. Wir dürfen keine Kräfte
verkommen lassen! Schule und Elternhaus sind der Boden, auf
dem das Kind heranwächst. Auf beiden Gebieten liegen Ursachen
der Schädigungen: im Elternhaus oft mangelhafte Ernährung so¬
wohl in der Stadt wie auf dem Land; Stadtkinder sind der Regel
schlechter ernährt, als Landkinder; die WohnungsVerhältnisse sind in
der Stadt und auf dem Land gleich schlecht, wenigstens bei den ärmeren
Schichten; eines haben die Landkinder allerdings voraus: die bessere
Luft. Dazu kommt noch das oft mangelhafte Verantwortlichkeits-
gefühl der Eltern für die Gesundheit der Kinder, das häufig noch
mehr dadurch abgestumpft wird, dass man den Eltern zuviel ab¬
nimmt. In der Schule drohen den Kindern Schädigungen durch
Überfüllung der Klassen, schlechte Ventilation und Überbttrdung.
Schule und Elternhaus haben daher alle Veranlassung, diese Mängel
zu beseitigen; um diese Mängel und die dadurch gesetzten Schädi¬
gungen aber festzustellen, sind die Schüleruntersuchungen dringend
notwendig, die allein die Gewähr bieten, durch die Masse der
Untersuchungen sichere Resultate zu bieten und Abwehrmassregeln
zu veranlassen. Ist über die Notwendigkeit der Untersuchungen
so kein Zweifel, so gehen die Anschauungen über den Umfang der¬
selben auseinander. Eines aber ist erforderlich: Nur der Arzt soll
untersuchen, aber häufig bedarf er der Mitwirkung des Lehrers;
nie jedoch soll die vom Lehrer angestellte Untersuchung die ärzt¬
liche überflüssig machen.
Der Kernpunkt der Frage ist nun zweifellos: Wie soll die
Untersuchung geschehen? Die Antwort fällt verschieden aus
beim Kinde, bei den Eltern, beim Lehrer, beim Arzte. Die Kinder
wollen schnell und schonend untersucht werden, die Eltern verlangen
Benachrichtigung von der Untersuchung, die ihnen ferner keine
Unkosten verursachen darf; der Lehrer wünscht, dass keine Störung
des Schulbetriebes stattfindet, und dass ihm ein Resultat mitgeteilt
werde; der Arzt endlich will alle Bedingungen erfüllt sehen, die zur
Untersuchung nötig sind.
1. Das Kind will rasch und schonend untersucht sein» Meist han*
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delt es sich um Klassenuntersuchungen, die zeitraubend sind, aber länger
als 2 Stunden soll die Untersuchung zweckmässig nicht dauern. Die
fertig untersuchten Kinder können auf den luftigen Korridor geschickt
werden. Schonung soll dem Kinde in dreierlei Weise zuteil werden:
a) kann z. B. bei grosser Hitze im Sommer die Untersuchung vormittags
bis 11 Uhr beendet sein, b) muss Ansteckung vermieden werden;
dieKrankheitsVerbreitung durch den Untersucher und seine Instrumente
kann durch ausreichende Waschgelegenheit, durch gründliche Des¬
infektion der Instrumente verhütet werden. Bei Halsuntersuchungen
wird das Instrument leicht überflüssig, wenn man die Zunge durch
das Taschentuch vorziehen lässt. In gleich gründlicher Weise soll
nach der Untersuchung das Lokal gereinigt und desinfiziert werden
(z. B. durch Formalin, wie in Stuttgart geschieht). Die Ärzte
sollen stets frische weisse Mäntel haben; c) zur Schonung des
Schamgefühls werden bei der Untersuchung die Mädchen nur bis
aufs Hemd entkleidet, während die Knaben nackt untersucht werden
können; der nackte Körper ist für die Kinder unter sich nichts
anstössiges; wichtige Auskultationen und Perkussionen sollen nur am
entkleideten Körper vorgenommen werden, die Kinder suchen bei
genügender Dezenz nichts dahinter; gewogen und gemessen werden
dieselben durch Personen des betreffenden Geschlechtes.
2. Die Eltern müssen die Entscheidung darüber haben, ob
sie ihr Kind untersuchen lassen wollen oder nicht. In Stuttgart
durfte nur 8 °/ 0 der Kinder nicht untersucht werden, eine gewiss
kleine Zahl; vielfach machten die Eltern von der Einladung zu den
Untersuchungen Gebrauch, machten sogar hin und wieder auf diese
oder jene Erkrankung aufmerksam. Sie sehen dabei selbst, dass
die Untersuchungen nichts nachteiliges für ihre Kinder haben, ihr
Interesse dafür wird geweckt, da sie wohl empfinden, wie man um
die Gesundheit der Kinder besorgt ist. Das verständige Benehmen
der Eltern bildete in Stuttgart erfreulicherweise die Regel.
3. Die Lehrer wünschen keine Störung des Schulunterrichtes.
Da die Untersuchung meist 2 Stunden beansprucht, — mit 1 Stunde
Weg dazu geht auch dem Arzt ca. ein halber Tag verloren —, so
geht es zweckmässigerweise schneller, wenn dem Arzte Vorschläge
und Benachrichtungen durch die Lehrer gemacht werden. Der
Lehrer kann dafür natürlich auch Mitteilung über die bevorstehende
Untersuchung verlangen. Eine Mehrarbeit für die Lehrer, wie sie
durch das Ausfüllen der Fragebogen geschieht (was in Stuttgart
aufs pünktlichste besorgt worden ist), kann in Zukunft durch Ein¬
stellung von Hilfskräften (Schreiber) vermieden werden.
4. Der Arzt stellt bei den Untersuchungen die berechtigte
Forderung, dass ihm eine gründliche Diagnose ermöglicht wird.
Genügt die Diagnose des praktischen Arztes? Ja, in erster Linie;
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es muss ihm überlassen bleiben, einen Spezialkollegen zuzuziehen.
Die notwendigen Instrumente und Apparate müssen in ausreichen¬
der Anzahl vorhanden sein. Mit der Aufnahme des Status, der ein¬
fachen Diagnose, wird sich der gewissenhafte Schularzt oft nicht
begnügen, er wird die Anamnese zu Hülfe rufen, um zu sehen, wie
das, was er findet, alles entstanden ist. In Stuttgart fand der
Redner, dass mehr als die Hälfte aller Kinder in keinem eigenen
Bett, viele überhaupt in keinem Bett schliefen; viele müssen in
ihren freien Stunden zu Hause Strickmaschinen treten, Pakete
tragen und dergl., alles Momente, die in dem jugendlichen Alter zu
Schädigungen führen. Wir müssen aber als Ärzte zur Beurteilung
offenkundiger Schädigungen die bedingenden Ursachen kennen, daher
ist die Anamnese notwendig. An prächtigen Tafeln demonstrierte
der Referent die interessanten Resultate seiner sorgfältigen Be¬
obachtungen und statistischen Erhebungen mittels der Fragebogen.
So zeigte er, dass bezüglich der Augen die meisten Erkrankungen
in den zentralen Stadtbezirken zu finden sind; die Tuberkulose der
Kinder trifft man vorwiegend in den Stadtvierteln der armen Be¬
völkerung, meist auch in den Dachstockwohnungen. Längenwachs¬
tum und Gewichtszunahme tiberwiegt bei gesunden Kindern bedeutend.
Was die Untersuchung selbst aubetriflft, so soll sie mög¬
lichst gründlich sein. Von grosser Wichtigkeit ist die Untersuchung
des Urins, die bei Massenuntersuchungen sehr schwierig ist: in
Stuttgart fand sich bei 5000 Urinuntersuchungen bei Knaben das
verblüffende Resultat, dass bis zu 6°/ 0 der Kinder an Albuminurie
litten; selbst Blut im Urin traf man bei Knaben, die äusserlich
keine krankhaften Anzeichen darboten. Die Temperaturmessung
ist, weil sie eine Belästigung der Kinder bedeutet, schwierig durch¬
zuführen, wenn sie auch zu wertvollen Resultaten führen würde.
Zur Untersuchung auf die geistigen Fähigkeiten oder pathologische
Zustände ist nur eine längere Beobachtung imstande, und dazu ist
die Hülfe des Lehrers notwendig. Experimentelle Psychologie,
Messung der Ermüdung etc. gehören nicht zu den Schülerunter¬
suchungen. Die Arbeit des Schularztes wird aber die Unter¬
suchungen nicht nur auf das Einzelindividuum beschränken, sondern
sich auch auf Klassenbesuche, auf die Hygiene des Schulzimmers,
auf Beobachtung der Prophylaxe bei ansteckenden Krankheiten
ausdehnen. Und hierin soll kein Unterschied zwischen Arm und
Reich, zwischen Volksschule und höherer Schule gemacht werden,
die Kinder sämtlicher Schulen sollen mit gleicher Fürsorge be¬
handelt werden.
Wenn nun schliesslich die Untersuchungen als notwendig er¬
kannt, wenn sie ferner technisch durchführbar sind, so müssen auch
Massnahmen getroffen werden, um den Missständen, die man ge-
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funden, abzuhelfen. Mit warmen Worten trat der Redner dafür
ein, dass der Schularzt ein Anwalt der Jugend werde. Der Arzt
sähe die traurigen Verhältnisse, unter denen die Kinder lebten, er
sei auch bereit, helfend einzugreifen. Er muss den Weg ins Eltern¬
haus finden, muss den Eltern das Verantwortlichkeitsgefühl zu wecken
suchen. Er soll auch mit den Lehrern Rücksprache nehmen, um
durch sie und mit ihnen die Gedanken und Ziele der Gesundheits¬
pflege in der Schule zu verwirklichen. Der Arzt wird ferner den
Weg der Öffentlichkeit beschreiten, um dort das allgemeine Interesse
an seinen Bestrebungen zu erregen und Freunde der guten Sache
zu sammeln; er braucht sich dabei an der Behandlung selbst zu¬
nächst nicht zu beteiligen. Es sei erforderlich, mit viel Kleinarbeit,
deren Wert aber in der Qualität liege, die Jugend tüchtig zu er¬
halten im Kampf der Völker und Staaten; denn nur der Staat
könne an der Spitze der Völker bleiben, der die tüchtigsten Einzel¬
glieder hat. — Reicher Beifall lohnte die trefflichen Ausführungen
des Redners, der sein Referat in folgende Leitsätze zusammenfasste:
1. Unser modenies Leben mit dem raschen Verbrauch der
Kräfte, wie er namentlich in unsern grossen Städten nachweisbar
ist, zwingt uns, unsere Sorge der heran wachsenden Jugend mehr
als seither zuzuwenden.
2. Es ist insbesondere notwendig, dass wir sowohl die körper¬
lichen Verhältnisse unserer Jugend in der Stadt und auf dem Lande
kennen lernen, als auch die hereditären, häuslichen und sozialen
Verhältnisse, in denen sie aufwächst, erfassen. Alle die normale
Entwickelung hemmenden Einflüsse, mögen sie ausgehen, von welcher
Seite sie wollen, sind dabei besonders zu berücksichtigen.
3. Alle die Untersuchungen wären sinnlos, wenn ihnen nicht
der Gedanke der energischen Abhilfe der gefundenen Schäden zu¬
grunde liegen würde, möge der Schwerpunkt im einzelnen Fall nun
mehr auf allgemein hygienischem, rein ärztlichem oder pädagogischem
Gebiet liegen.
In der Diskussion betonte zunächst Prof. Dr. Leubuscher-
Meiningen, dass nur Nutzen entstehen könne, wenn die Eltern über
die Notwendigkeit der zu treffenden Massnahmen aufgeklärt würden.
Er schlug die allgemeine Einführung von Elternabenden vor. Eben¬
sowichtig sei die tätige Mitwirkung der Lehrer bei den Unter¬
suchungen; die Lehrer sollten daher sowohl in den Seminaren, wie
auf der Universität hygienisch ausgebildet werden. In Württemberg
und Meiningen sei dies bereits geschehen. Er halte ferner eine
Einschränkung der Untersuchungen in den 3 oberen Mädchenklassen
nicht für notwendig, denn die Kinder kämen bei Freistellung,
ob sie sich untersuchen lassen wollten oder nicht, von selbst
Die Frage, wer Schularzt w r erden solle, sei noch nicht geklärt,
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wenigstens ob ein besonderer Schularzt oder ein beamteter Arzt
dazu verwendet werden solle. Er halte den praktischen Arzt für
vollkommen ausreichend und zweckentsprechend; denn es sei notwendig,
dass der Arzt die Kinder nicht nur in der Schule sähe, sondern
dass er auch über häusliche Verhältnisse, Erblichkeit etc. informiert
sei. Man nehme daher am besten die Ärzte, die in dem betreffenden
Schulviertel behandelten und daher die meisten Familien kännten,
wenigstens besser kännten, als der beamtete Arzt, der nur ein paar¬
mal hinkomme. — Lehrer Reichert-Stuttgart lenkte das Angen-,
merk darauf, dass der schlechte Ernährungszustand der Kinder in
den ersten zwei Schuljahren nicht allein auf häusliche Verhältnisse
zurückzuführen sei, sondern dass dies vielfach an der Unzweck¬
mässigkeit des Lehrplanes liege. Die Stundenzahl sei zu gross, die
Kleinen müssten übermässig lang in der Schule bleiben, der Schritt
von der Ungebundenheit zur Gebundenheit sei zu schroff, die Kinder
bekämen das „Schulfieber“ und ässen nicht mehr so gut wie
früher. Hier müsse gründlich reformiert und die Stundenzahl ver¬
ringert werden. Kreisarzt Dr. Krieger-Barmen teilt die Schul¬
krankheiten in 3 Kategorien ein: 1. solche, die das Kind mitbringt,
2. solche, die es in der Schule zeigt, ohne ursächlichen Zusammen¬
hang mit der Schule, 3. mit solchem Zusammenhang. In dem
einzelnen Falle sei es nicht zu entscheiden, ob der Schulbesuch oder
die häuslichen Verhältnisse an den Schädigungen schuld seien.
Hierfür sei aber auch der internationale Kongress nicht der richtige
Weg, sondern er mache den Vorschlag, der allgemeine deutsche
Verein für Schulgesundheitspflege möge eine Kommission wählen,
zur Hälfte Schulärzte, zur Hälfte Statistiker, die gemeinsam ein
Formular auszuarbeiten hätten, um die Ergebnisse der Untersuchungen
festhalten zu können. Geh. Rat Neuburger erwiderte, dass dies
bereits geschehen sei durch eine Kommission von Ärzten, die in
einer Woche ihre Untersuchungsergebnisse, die sich auf das Material
sämtlicher deutschen Schulärzte stütze, vorlegen würden.
Schulinspektor S c h m e e 1 - W or ms und Stadtschulinspektor
Müller-Wiesbaden sprechen dafür, dass die Aufnahme in die
Schule um ein Jahr binaufgerttckt werde, weil häufig in dem ersten
Schuljahre die Kinder in der Entwicklung sichtlich stehen blieben.
Schularzt und Lehrer sollten sich hier, bei der Unmöglichkeit, die
Kinder vor dem Eintritt in die Schule zu untersuchen, die Hand
reichen und alle Kinder, die schwächlich seien, zurückstellen. Frl.
Planck-Stuttgart plädiert für die Schulärztin zur Untersuchung
und Beaufsichtigung der Mädchen aus Gründen der Schamhaftigkeit
und der weiblichen Erfahrung mit den häuslichen Verhältnissen.
Der Vorsitzende Prof. Griesbach-Mühlhausen bemerkte, dass die
nervösen Krankheiten in den höheren Schulen an der Tagesordnung
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seien, es sei daher das Schularztwesen und die Schüler¬
untersuchungen auch auf die höheren Schulen auszu¬
dehnen. In diesem Sinne stellte darauf der Referent Dr. Gastpar
folgenden Antrag: Die Versammlung wolle beschliessen, den
Regierungen nahe zu legen, dass die schulärztlichen Überwachungen
nicht nur auf die Volksschule, sondern auf sämtliche Schulen,
insbesondere auch auf die höheren Knaben- und Mädchen¬
schulen ausgedehnt würden. Den Antrag befürworten Direktor
Horn-Frankfurt und Prof. Dr. Hartmann-Leipzig; letzterer
spricht auch für die hygienische Vorbildung der akadem. Lehrer,
die nach den Mitteilungen des Generaloberarztes Dr. Jäger-
Stuttgart, früheren Lehrers der Hygiene in Königsberg, wenig Inter¬
esse an den hygienischen Fragen zeigen. Pfarrer Dr. Gmelin-
Grossgartach tritt gleichfalls für die Schtileruntersuchungen auf allen
Anstalten ein, die in Tübingen, begründet durch die Ergebnisse der
Augenunter8ucbungen, die für die Gymnasien die schlechtesten
Resultate ergeben hätten, bereits eingeführt seien. Diese Ansicht
und damit der Antrag Dr. Gast pars wird bekämpft von Ober¬
studienrat Prof. Dr. Egelhaaf-Stuttgart, der entgegnete, dass der
Schularzt in den Volksschulen deshalb nötig sei, weil die sozialen
Verhältnisse das bedingten; an der höheren Schule aber sei er
überflüssig, denn in den Gymnasien fehle es einerseits nicht an
gesundheitspolizeilicher Überwachung durch die ärztlichen Behörden,
anderseits hätten fast alle Familien ihren Hausarzt; es würden sich
die grössten Schwierigkeiten seitens des Elternhauses gegen die
Eingriffe des Schularztes ergeben. Dagegen wendet sich der Vor¬
sitzende Prof. Griesbach: es handele sich nicht darum, ob das,
was dem einen recht, auch dem andern billig sei, sondern um die
Frage der Notwendigkeit. Und notwendig seien die Schularztunter¬
suchungen auch an den höheren Schulen, das bewiesen schon die
statistischen Erhebungen über die ärztlichen Untersuchungen der
Einjährigen, die sich aus den höheren Schulen rekrutierten. Er
riet daher dringend zu der Annahme des Antrages, die dann auch
nahezu einstimmig erfolgte. Dr. Gastpar machte darauf die Mit¬
teilung, dass ein Ministerialerlass in Württemberg bereits eingebracht
sei, der nicht nur an den Volksschulen, sondern an allen Schulen,
Schulärzte einführe. Diese Nachricht wurde von der Versamm¬
lung mit lebhaftem Bravo begrüsst.
Den zweiten Teil der Tagung bildete der Vortrag: Der
ungeteilte Unterricht. Die Erörterung des Gegenstandes hatten
drei Referenten übernommen: vom Standpunkt der höheren Schulen
Oberrealschuldirektor Dr. Hi ntz mann-Elberfeld, für Volksschulen
Mittelschullehrer Bass-Stuttgart, als medizinischer Referent Dr.
med. et phil. Hellpach, Nervenarzt in Karlsruhe. Eine Frage
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von einschneideuder Bedeutung für das gesamte Schulwesen sei die
Zeitdauer des Unterrichts und die Einteilung desselben, so führte
zunächst Dr. Hintzmann aus. Die Zustände, wie sie seit 1901
in Preussen beständen, seien unhaltbar. In den höheren preussischen
Schulen würden von Tertia bis Prima wöchentlich 37—41 Stunden
gegeben; dazu kämen 18 Stunden häusliche Arbeiten, obendrein
der Schulweg mit durchschnittlich 1 Stunde, der auch keine Er¬
holung bedeute. Die notwendige und geeignete Zeit zu den häus¬
lichen Arbeiten fehle bei dieser Überbürdung den Schülern voll¬
ständig; erst abends 7—10 Uhr könnten sie anfangen, ihre Haus¬
arbeiten zu machen. Für das Familienleben bliebe überhaupt keine
Zeit mehr. Wie soll man dem Übelstand nun abhelfen? Fängt
man den Nachmittagsunterricht erst um 3 Uhr an, so wird es noch
schlimmer sein, da dann die häuslichen Arbeiten noch später
begonnen werden können. Es bleibt zur Abhülfe nichts übrig als
die Kürzung der Stundenzahl. Dieselbe kann sowohl bei geteiltem,
wie bei ungeteiltem Unterricht, am besten allerdings bei letzterem,
geschehen, denn dann fällt zunächst der Schulweg am Nachmittag
fort. Die Nachmittage werden dadurch sämtlich freigehalten für
die Beschäftigung zu Hause. Man hat gesagt, man brächte durch
diese Kürzung eine Hast, ein Jagen in den Unterricht. Dem wider¬
spricht jedoch die gute Erfahrung durch eine bereits 5jährige
Praxis. Man wendet ferner ein, soviel (6) Stunden am Vormittag
seien ohne geistige Überanstrengung nicht möglich. Um das zu ver¬
hüten, werden genügend lange Pausen eingefügt. Zusammenfassend
stellte der Redner folgende Leitsätze auf: 1. Die Unterrichtszeit,
welche die preussischen Lehrpläne von 1901 für die mittleren und
oberen Klassen fordern, ist zu gross. Die Zahl der Unterrichts¬
stunden steigt unter Einschluss von 3 Turn-, 2 Chorgesang-, 1 Schreib-,
2 wahlfreien Zeichen- und 2 wahlfreien englischen und hebräischen
Stunden bis auf 39. Die Schüler müssen also durchschnittlich bis
zu 6 1 /* Stunden täglich, d. h. an mehreren Tagen bis zu 7, ja an
einzelnen sogar 8 Stunden in der Schule zubringen.
2. Daraus folgt, dass die Schüler zum Anfertigen der häus¬
lichen Schularbeiten weder die notwendige oder geeignete Zeit noch
die erforderliche geistige Kraft und Frische haben.
3. Den Schülern fehlt weiter erst recht die Zeit und darum
auch die Möglichkeit, für ihre körperliche Ertüchtigung zu sorgen,
ihrer Individualität entsprechenden wissenschaftlichen oder künst¬
lerischen Neigungen naclizugehen, oder grössere selbständige Arbeiten
anzufertigen.
4. Die Erziehung zu selbständiger geistiger Tätigkeit ist aber
die vornehmste Aufgabe der höheren Schulen.
5. Um jene Übelstände zu beseitigen und diese Aufgabe
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sicherer lösen zu könuen, erscheint es‘geboten, abgesehen’
vom Turnen, den gesamten in den Lehrplänen genannten
Unterricht auf den Vormi ttag, als die für geistige Arbeit
geeignetste Zeit, zu verlegen, die Nachmittage also für
Turnen und andere körperliche Übungen (Spiele, Schwimmen,
Rüdem) und für die häusliche Arbeit und selbstgewählte
Beschäftigungen freizuhalten.
6. Das ist nur möglich, wenn jede Unterrichtsstunde auf
45 Minuten beschränkt wird. Es können dann an den 6 Wochen¬
tagen bis zu 36 Unterrichtsstunden vormittags erteilt werden, etwa
nach folgendem Plan:
1. Stunde: 7—7 45 (45 Min.)
1. Pause: 7 15 —7 50 (5 Min.)
2. Stunde: 7 50 — 8 35 (45 Min.)
2. Pause: 8 35 —8 50 (15 Min.)
3. Stunde: 8 50 —9 85 (45 Min.)
3. Pause: 9 3ß —9 40 (5 Min.)
4. Stunde: 9 40 —10« (45 Min.)
4. Pause: 10 26 —10 15 (20 Min.)
5. Stunde: 10«—11 30 (45 Min.)
5. Pause: 11 30 —ll 4ß (15 Min.)
6. Stunde: 11«—12 30 (45 Min.)
7. Derartige Pläne sind jahrelang erprobt und haben sich nicht
nur als durchführbar, sondern als anderen Plänen überlegen er¬
wiesen. Die Schüler sind im Unterricht frischer und lebendiger,
im Hause arbeitsfreudiger.
8. Die Schulverwaltungen sind zu bitten, zunächst wenigstens
Versuche mit derartigen Lehrplänen machen zu lassen.
Als pädagogischer Referent für Volksschulen sprach dann
Lehrer J. Bass: Die für die ungeteilte Unterrichtszeit im all¬
gemeinen geltend gemachten Gründe sanitärer und sozialer Natur
treffen für die Schüler der Volksschule ebenfalls, teilweise sogar in
verstärktem Masse zu. Vom sanitären Standpunkt spricht z. B*
gegen den geteilten Unterricht der doppelte Schulweg; derselbe ist
ein Zwangsweg, besonders da noch etwas Unangenehmes im Hinter¬
grund stehe, der Nachmittagsunterricht. Im Sommer spielt dabei
die Hitze, im Winter die Kälte, allgemein in den Grossstädten der
nervenauf regende Strassen verkehr eine gewichtige Rolle. Es ist
statistisch festgestellt, dass die Kinder bei freiem Nachmittag, wo
sie spielen, Schlittschuh laufen u. dgl. können, frischer werden und
besser gedeihen. Als soziales Moment spielt bei ungeteiltem
Unterricht das gemeinsame Mittagsmahl eine Hauptrolle, indem der
Vater um die Mittagszeit auch seine freie Stunde hat; die Schule
soll aber in den Betrieb des Familienlebens nicht mehr eingreifen.
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als soziale Verhältnisse dies schon tun. Bedenken gegen die freien
Nachmittage verursacht die Gefahr, dass die Kinder zu [sozialen
Erwerbszwecken ausgenutzt werden. Dagegen gibt es jedoch ge¬
setzliche Handhaben. Wenn anderseits nun auch in den Volksschulen
die Überbürdung der Schüler durch die Anforderungen des Lehr¬
planes und die Zahl der Unterrichtsstunden nicht so bedeutend ist,
wie in den höheren Schulen, so ist doch auch für die Volks¬
schüler ein Gegengewicht gegen die geistige Anstrengung und eine
zusammenhängende schulfreie Zeit im Interesse einer günsti¬
gen körperlichen und somit auch geistigen Entwickelung wünschens¬
wert. Wenn auch ferner für die Volksschulen eine pädagogisch
und psychologisch begründete Notwendigkeit für die ungeteilte
Unterrichtszeit nicht besteht, so kommt doch auch hier, ebenso
wie an den höheren Schulen, die Minderwertigkeit des Nach¬
mittagsunterrichtes in Betracht, die nicht allein durch die Er¬
fahrung, sondern auch experimentell nachgewiesen ist. Die Kinder
sind lange Zeit nach der Nahrungsaufnahme von dem Verdauungs-
vorgange abhängig, der das Blut vom Gehirn wegzieht und zu den
Verdauungsorganen hintreibt. Das Gehirn wird dadurch blutleerer
lind zu Leistungen geistiger Art ungeeignet. Das fällt beim reinen
Vormittagsunterricht weg. Wenn auch manche Gründe gegen den
reinen Vormittagsunterricht beachtenswert sind, so lässt sich doch
-durch wichtige Regelung desselben mancher Einwand beseitigen.
Gegen den Nachteil der langen Dauer z. B. kann man doch ent¬
gegnen, dass bei Verlängerung des Vormittagsunterrichtes um eine
4. oder 5. Stunde, diese letztere einer Nachmittagsstunde doch als
völlig gleichwert, wenn nicht als noch mehr wert gelte. Einer
durch einen höchstens 5 ständigen Vormittagsunterricht ferner be¬
fürchteten Ermüdung der Schüler kann durch zweckmässige Auf¬
einanderfolge der Fächer, durch kluge Abwechselung, besonders
aber auch durch genügende Pausen nach jeder Stunde begegnet
werden.
Zudem sind alle Stoffe, die für die allgemeine Geistesbildung
wertlos sind und nur kurze Triumphe bei den Examina feiern, aus-
zuschalten. Hierdurch wird auch die Schularbeit vertieft,
besonders wenn daneben noch eine richtige Verteilung der einzelnen
Fächer auf bestimmte Stunden durch eine psychologisch begrün¬
dete Methode stattfindet, indem man z. B. der letzten Stunde am
Vormittag durch ein zweckmässiges Fach mehr Interesse abzugewinnen
sucht, wodurch die Kinder besser zuhören und viel weniger leicht
ermüden. Die praktische Durchftihrnng der ungeteilten Unter¬
richtszeit ist wegen der geringen wöchentlichen Stundenzahl und
der grösseren Mannigfaltigkeit der Unterrichtsfächer in der Volks¬
schule leichter möglich als in den höheren Schulen. Eine Ver-
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ringerung der wöchentlichen Stundenzahl müsste nur in
Oberklassen städtischer Volksschulen, sowie in mittleren und oberen
Klassen der Bürger- und Mädchenmittelschulen eintreten; durch die
Verlegung der technischen Fächer auf den Nachmittag könnte eine
solche ganz umgangen werden; eine Verminderung auf 30 Stunden
wöchentlich dürfte aber wohl keinerlei Schädigung der allgemeinen
Volksbildung mit sich bringen. Auch dieser Referent empfiehlt,
einen Versuch mit der ungeteilten Unterrichtszeit, zunächst im
Sommer, in denjenigen Orten zu machen, in denen die Eltern nach
vorausgegangener Belehrung dieser Einrichtung zustimmen. In vielen
Städten hat der Versuch bereits zur dauernden Einrichtung geführt
und den Beweis erbracht, dass, wenn das Problem der durch¬
gehenden Arbeitszeit einmal im breiten Volksleben durchgeführt
wird, es für die Volksschule nur wünschenswert und förderlich sein
kann.
Als medizinischer Referent besprach sodann Dr. med. et
phil. Hellpach-Karlsruhe das Problem der Unterrichtsteilung un¬
gefähr in folgender Weise: Die Aufgabe der geistigen Gesundheits¬
pflege gegenüber diesem Problem kann sieb nicht in materielle Fragen
der Unterrichtsreform einmischen, wenn nicht gerade Zustände vor¬
liegen, die mit dem Postulat der Gesunderhaltung der Jugend
absolut unvereinbar sind. Es ist vielmehr unsere Sache, mit dem
bestehenden Unterricht in seiner Ausdehnung und seinem Inhalt
zu rechnen und auf dieser Grundlage eine hygienisch möglichst
einwandfreie Unterrichtsverteilung anzustreben. Diese soll aber
keine schematische sein. Es ist vielmehr grundlegend wichtig, sich
nach dem wichtigsten Markstein im jugendlichen Leben zu richten:
der Pubertät. Es ist grundfalsch, wenn man diese Periode der
Umwandlung der Psyche übergehen will. Moralisch und intellek¬
tuell muss der Primaner anders behandelt werden, wie der Sextaner.
Für die Schulstufen bis zur Pubertät, also Volksschule, Unter- und
Mittelstufe der höheren Schule, ist hygienisch und psychologisch in
gleichem Masse zweckmässig, die einzelne Unterrichtsstunde auf
45 Minuten zu vermindern. Eine Ermüdung tritt erfahrungsgemäss
schon mit 30 Minuten ein, bei 45 Minuten noch mehr; einen Aus¬
weg haben wir nur in der Verkürzung der Stunden durch ver¬
nünftige Pausen. 5 Minuten sind wertlos, das Minimum einer Pause
soll 10 Minuten sein. Es ist am zweckmässigsten, unter Einfügung
einer 15minutigen und mehrerer lOminutigen Pausen den gesamten
wissenschaftlichen Unterricht auf den Vormittag zu verlegen.
So können 30 Wochenlektionen an den Vormittagen untergebracht,
der Nachmittag für den gymnastischen Unterricht reserviert werden.
Wo das nicht zu machen sei, müsste man sich • helfen mit einer
Teilung des Unterrichts in Vor- und Nachmittagsunterricht oder
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mit einer Verlängerung des Vormittagsunterrichts. Ersteres ist das
kleinere Übel; aber wann soll der Nachmittagsunterricht stattfinden?
Von 2—4 Uhr ist die Verdauungszeit, dieselbe ist hygienisch über¬
haupt nicht diskutabel. 3—5 Uhr bedeutet nur eine Verzettelung
der Tageseinteilung. Der einzige hygienisch diskutable Unterricht
ist der des Spätnachmittags (4 — 7 Uhr). Hindernd ist dabei die
notwendig werdende Beleuchtung und die damit eintretende Ver¬
schlechterung der Luft, ferner der Druck, den der Nachmittags¬
unterricht auf den Schüler austtbt. Derselbe bleibt daher immer
nur ein Notbehelf, und prinzipiell soll für Volksschtiler, für die
Unter- und Mittelstufe höherer Schulen die ungeteilte Unterrichtszeit
in 45 Minuten-Einheiten nur am Vormittage gefordert werden
(8 Uhr 30 bis 1 Uhr mit Pausen).
Anders ist es mit der Oberstufe. Diese bedeutet einen
Schritt in eine andere Lebensphase, es sind die Jahre des angehenden
Jünglingsalters, der Zeit der Persönlichkeitsbildung. Hierfür sind
aber erforderlich Freiheit und Stetigkeit. Ohne Freiheit kann
sich keine Persönlichkeit entwickeln und Stetigkeit ist erforderlich
als Gegengewicht gegen die Sprunghaftigkeit der Mittelstufe. Zur
Schaffung der Freiheit ist daher weitgehende fakultative Unter-
richtsgestaltung anzustreben; die Stetigkeit wird erreicht durch
Vermeidung raschen Wechsels, daher schlägt der Redner vor, auf
der Oberstufe die Unterrichtsstunde auf 80 Minuten aus¬
zudehnen und zwar nur für solche Fächer, die keine unausgesetzte
einseitige oder übermässige Aufmerksamkeit erfordern, was psycho¬
logisch vorteilhaft und hygienisch unbedenklich ist, z. B. Geschichte
und experimentelle Naturkunde, nicht aber Mathematik und gramma¬
tische Fächer. So können an 3 Vormittagen ohne Nachmittags¬
unterricht und an 3 anderen Tagen mit Vor- und Nachmittags¬
unterricht 32—34 Stunden gut untergebracht werden. Während der
Zeit vom 1. Juni bis 31. August ist, um während der Hitze ein¬
heitliche Verhältnisse herbeizuführen, der Stundenplan, soweit nicht
Ferien sind, dahin abzuändern, dass unter Kürzung desselben um
mindestens 3 Stunden der wöchentliche Unterricht in 6 Vormittagen
zu je 4 Zeitstunden und 2 Nachmittagen zu je 1 1 / 2 Zeitstunden er¬
ledigt werden kann.
Der gymnastische Unterricht, zwischen dem wissenschaft¬
lichen eingeschoben, bildet keine Erholung, sondern eine Fortsetzung
der Ermüdung. Er muss auf der Oberstufe fakultativ sein. Die
Teilnahme der Schüler am gymnastischen Unterricht muss durch
vorzügliche Organisation seitens der Schule gesichert sein, und zwar
ohne Zwang: wer nicht gern turnt, kann Spiel oder Sport treiben.
Für Springstunden (Freistunden), wie sie bei einer hinreichend
fakultativen Unterrichtsgestaltung unvermeidlich werden, sind von
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der Schule Arbeitsräume (nach dem Muster der seminaristischen und
ähnlichen Räume an Hochschulen) zur Verfügung zu stellen.
Da die Richtigkeit und Zweckmässigkeit all dieser Vorschläge
nur durch Versuche und einwandfreie experimentelle Untersuchungen
festgestellt werden können, verlangt der Redner Freiheit zum
Probieren. Der Verein müsse sich auf den nüchternen Stand¬
punkt der Erfahrung und des Versuchs stellen und nur den Glauben
an die goldene Praxis gelten lassen.
Nach dem lang andauernden Beifall der Versammlung, den
die licht- und geistvollen Darlegungen des Referenten ernteten, be¬
gann Prof. Dr. Hartmann-Leipzig die Diskussion, indem er gleich¬
falls warm für die Freiheit der Versuche plädierte. Auch die Lehrer
müssten bei dem Mangel an Pausen unter der Nervenanspannung
leiden: in der neu vorgeschlagenen Unterrichtseinheit von 45
Minuten liege daher eine bedeutsame hygienische Reform. Direk¬
tor Hörn-Frankfurt empfiehlt die Festsetzung der 30-Stundenzahl,
damit die jungen Leute allmählich mit Vergnügen in die Schule
gingen, und fordert Abschaffung des Abiturientenexamens. Ihm
pflichtet Stadtschulrat Dr. Wehrhahn-Hannover bei, indem er das
Examen für Ballast erklärt, da es gar kein Urteil und keinen Mass¬
stab über die Leistungsfähigkeit des Schülers zulasse. Nach einer
Rundfrage in Hannover seien über 16000 Eltern für die Einführung
des ungeteilten Morgenunterrichts, nur 800 für den Nachmittags¬
unterricht gewesen. Direktor Reinmüll er-Hamburg berichtete
über seine Erfahrungen in Hamburg, wo bereits seit 40 Jahren bei
allen höheren Schulen, seit 20 Jahren bei allen Volksschulen der
ungeteilte Unterricht eingeführt sei. Die Ermüdung in der letzteu
Stunde sei ja nicht zu leugnen, allein dieselbe sei nicht so stark,
dass sie nicht durch die lange Erholungszeit im übrigen Teil des
Tages vollauf ausgeglichen würde. Auch in Hamburg seien die
angefragten Eltern mit geringen Ausnahmen für die ungeteilte Schul¬
zeit gewesen.
Nunmehr legte Dr. Hintzmann einen Antrag vor, der die
Gedanken der Referate am geeignetsten zusammenzufassen schien,
und so gefasst wurde: „Gegen die heute allgemein übliche Schul¬
zeiteinteilung sind im hygienischen und unterrichtlich-erziehcrischen
Interesse schwere Bedenken zu erheben. Der Vorstand wird daher
beauftragt, die geeigneten Schritte bei den Regierungen zu tun, um
zahlreiche Versuche zu veranlassen, durch die die Frage der zweck¬
mässigen Unterrichtszeit ihrer Lösung entgegengeführt wird, auch
die Ärzte- und Lehrervereine um ihre Mitarbeit hierbei anzugehen.“
Der Antrag wurde mit einem Zusatz des Referenten Bass:
„Versuche an Volks- und höheren Schulen“ einstimmig angenommen.
Um 2 Uhr erst fand die lange, anstrengende Tagung ihren
Cenralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. ^8
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Abschluss. Der Vorsitzende Prof. Dr. Griesbach richtete herz¬
liche Worte des Dankes an die Behörden, zumal an diejenige,
welche den grossen luftigen Saal des Königl. Landesgewerbemuseumg
dem Kongress zur Verfügung gestellt hatte, ferner an die Herren
Referenten für ihre bedeutungsvollen Arbeiten und an die treulich
aushaltende Versammlung. Der Nachmittag war zu Besichtigungen
der Ostheimer Schule, der Schulbaracken und der Krippe daselbst
ausersehen; im Anschluss daran fand unter Führung des Geh. Hof¬
rats Vetter ein Durchgang durch das Schwimmbad statt, dessen
Einrichtungen von den auswärtigen Gästen mit ungeteilter An¬
erkennung bewundert wurden und woselbst alsdann eine muster-
giltige Schwimmaufführung im Knaben- und Mädchenbad geboten
wurde. Am Abend beschloss ein Festmahl im Hotel Marquardt das
offizielle Festprogramm. Prof. Dr. Griesbach sprach den Trink-
spruch auf den König von Württemberg, den er in längerer Rede
feierte, Schulrat Dr. Salzmann auf den Kaiser. Den vom Stadt¬
schulrat Dr. Wehrhahn-Hannover auf die Stadt ausgebrachten
Toast erwiderte im Namen des abwesenden Oberbürgermeisters Ge¬
meinderat Dr. Bauer. Manches andere hübsche und gehaltreiche Wort
würzte noch das ausgezeichnete Festmahl. Für den Schlusstag
waren noch 2 Ausflüge auf den durch den Wohnort von Schillers
Eltern berühmten Lichtenstein und nach Marbach geplant so dass
es an Entgegenkommen seitens der Veranstalter des Kongresses
nicht fehlte. Ungeteiltes Lob sprach sich infolgedessen auch unter
allen Teilnehmern an der 6. Jahresversammlung des Deutschen
Vereins für Schulgesundheitspflege rund, die mit voller Befriedigung
auf die inhaltreiche Tagung in der Hauptstadt des Schwabenlandes
zurückblicken dürfen.
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Kleine Mitteilungen.
Die Stadtverordneten-Versammlung in Cöln hatte die An¬
stellung eines ärztlichen Beigeordneten beschlossen. Nachdem der
Gewählte die Allerhöchste Bestätigung erhalten, hat der Oberbürger¬
meister demselben folgende Amtsgeschäfte übertragen:
1. Hygienische Anregungen auf allen Gebieten der städtischen
Verwaltung.
2. Wohnungs- und Gesundheitspolizei, Abgabe der nötigen ärzt¬
lichen Gutachten, mit Vorsitz in der Gesundheitskommission
und stellvertretendem Vorsitz in der Kommission für Polizei-
und Wohnungsaufsicht.
3. Impfsachen.
4. Schulgesundheitspflege, ansteckende Krankheiten unter den
Schulkindern und bei den Lehrpersonen, Schulärzte.
5. Begutachtung der Haftfähigkeit bei Vollstreckung von Haft¬
strafen.
6. Nahrungsmittel-Untersuchungsanstalt.
7. Begutachtung von Schul-, Krankenhaus- und sonstigen ge¬
eigneten Bauten in hygienischer Beziehung.
8. Beisitz in der Armendeputation, im Waisenamt, in der Depu¬
tation für die städtischen Krankenanstalten, in der Deputation
für das A. von Oppenheimsche Kinderhospital, Armenärzte,
Armenapotheke, Desinfektionsanstalt, Bakteriologisches Labo¬
ratorium.
9. Beisitz in der Schuldeputation.
10. Beisitz in der Kommission für Schlacht- und Viehhofsachen und
in der Marktkommission, Trichinen- und Fleischschau, Lebens¬
mittelpolizei auf den Märkten.
11. Städtische Bäder mit Vorsitz in der Deputation, Kassenkurator
der Kasse des Hohenstaufenbades mit Revision dieser Kasse.
12. Beisitz in der Kommission für Statistik, Medizinalstatistik.
13. Ärztliche Untersuchung von Beamten, Angestellten, Kopisten
und Arbeitern bei der Annahme, bei Beurlaubungen und bei
der Versetzung in den Ruhestand.
Deutscher Verein fQr Öffentliche Gesundheitspflege.
Nach einer Mitteilung des ständigen Sekretärs, Dr. Pröbsting
in Cöln a. Rh., wird die diesjährige Jahresversammlung des Ver-
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eins in den Tagen vom 13.—16. September in Mannheim statt¬
finden, kurz vor der am 24. September beginnenden Versammlung
Deutscher Naturforscher und Ärzte in Meran.
Folgende Verhandlungsgegenstände sind in Aussicht genommen:
1. TyphuBbekämpfung;
2. Die Bedeutung öffentlicher Spiel- und Sportplätze für die
Volksgesundheit;
3. Müllbeseitigung und Müllverwertung;
4. Schwimmbäder und Brausebäder;
5. Selbstverwaltung und Hygiene.
Literaturbericht.
Recueil des actes officiels et documents, interessant l’hygiöne
publique. Travaux du comite eonsultatif d’hygifcne publique de France
(tome trente-troisi&me). Annee 1903.
Bemerkens- und lesenswerte Abhandlungen in diesem Jahr¬
buche sind folgende:
1. A. Mustervorschriften der öffentlichen Gesundheitspflege
in Städten (S. 33).
2. B. Mustervorschriften der öffentlichen Gesundheitspflege
in Dörfern (S. 47).
3. Internationale Gesundheitsberatung in Paris im Jahre
1903 (S. 155).
Das internationale Übereinkommen, das in dieser Beratung
beschlossen worden ist, wird von dem Vorsitzenden derselben^
M. Barröre, als ein neuer Verteidigungs- und Schutzwall gegen
die Verbreitung der verheerenden, epidemischen Krankheiten be¬
zeichnet.
4. Vertilgung der Ratten in den Schiffen von Proust und
Faivre (S. 337 j.
Die Verfasser ziehen die Schwefelsäureentwicklung mit dem
Claytonschen Apparat der Anwendung von Kohlenoxyd und
Kohlensäure vor.
5. über dasselbe Thema findet sich S. 476 eine Abhandlung
von Dr. Würtz, der den Gebrauch des Claytonschen Apparates
ebenfalls empfiehlt.
Das Jahrbuch ist wie seine Vorgänger reich an statistischem
Material und gut ausgestattet. Creutz (Eupen).
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P. Th. Malier, Vorlesungen über Infektion und Immunität. (Jena,
Fischer. 1904. 246 S.)
Dem Arzte, der die neueren wissenschaftlichen Vorstellungen
über die Fragen der Infektion und Immunität kennen lernen will,
ohne die Zeit zu haben, sich durch die riesig angeschwollene
Literatur selbst hindurchzuarbeiten, wird dieses sehr klar und
flüssig geschriebene Buch ein zuverlässiger Führer sein. Kr.
Sperling, Gesundheit und LebensglQck. Ärztlicher Ratgeber für
Gesunde und Kranke. (Berlin 1904. Verlag von Ullstein & Co.)
Der vorliegende Band hat den Vorzug eines guten Buches,
mit persönlicher Note geschrieben zu sein. Die Gesundheitspflege,
der es sich widmet, ist vom Standpunkte des Geistes und der
Nerven des gesunden und kranken Menschen behandelt. Be¬
deutende Kapitel, wie: „Die Rolle der Nerven im Organismus* 4 ,
„Wenn die Nerven sich melden* 4 , „Über die Ursachen von Nervo¬
sität und Nervenkrankheit“, „Das menschliche Nervensystem“,
„Leben und Nervenleben“, „Krankheiten der Nerven“ und „In¬
dividuelles Nervenleben“ tragen diesem Standpunkt des Buches
Rechnung. Unter diesem Gesichtswinkel kommt indes die ge¬
samte Gesundheitspflege zur Besprechung. Aus dem reichen Inhalt
seien noch die Abschnitte: „Der Mensch in der Abhängigkeit von
der Aussenwelt“, „Gesundheitspflege im täglichen Leben“, „Über
den Schlaf“, „Vorsicht mit dem Alkohol“ und „Erste Hülfe bei
plötzlichen Erkrankungen und Unglücksfällen“ hervorgehoben.
Stoff, Anordnung und Stil wirken in gleicher Weise zu¬
sammen, dieses nützliche Buch beachtens- und lesenswert erscheinen
zu lassen. Dreyer (Cöln).
Weiss, Militär- und Volkshygiene. (Halle a. S. 1905. Verlag von Carl
Marhold.)
Verf. erblickt in dem Kampfe gegen die Infektionskrankheiten
als wichtigste Waffe die Aufklärung und Belehrung der breiten
Massen des Volkes über das Wesen dieser Krankheiten, namentlich
über die Vorbeugung der Ansteckung. Zu diesem Zwecke haben
nicht nur sämtliche Schulen in ausgiebigerem Masse wie bisher,
sondern auch die Geistlichkeit, die Leiter grosser Fabriketablisse¬
ments usw., ferner die Gründungen hygienischer Bibliotheken und
Museen aufklärend zu wirken. Am meisten verspricht sich Verf.
von der Mitwirkung des Militärs. Er fordert, „dass ohne Hint¬
ansetzung des militärischen Selbstzweckes und ohne Gefährdung
der militärischen Interessen, ein Teil der Dienstzeit, den der Sol¬
dat in der Schule verbringt, dazu verwandt wird, den Soldaten
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270
obligater Weise in die Elemente der Infektionslehren einzuführen. ^
Verf. erkennt die bisherigen Bestrebungen, welche die hygienische
Aufklärung der Mannschaft bezwecken, ohne weiteres an, hält aber
eine Erweiterung des hygienischen Unterrichtes für unbedingt not¬
wendig, damit die Mannschaften sich wirklich mit den Lehren der
Infektion, Desinfektion und Isolierung vertraut machen können.
Er findet es zweckmässig, dass diese Lehren in einem kleinen
separaten Büchlein zusammengefasst werden, der Inhalt zum Gegen¬
stand einer besonderen Prüfung gemacht, und das Büchlein dem
Manne bei seiner Entlassung mit in die Heimat gegeben wird. Ob
es wirklich gelingt, dem gewöhnlichen Manne aus dem Volke, und
auf dessen Aufklärung kommt es hauptsächlich an, trotz seines nie¬
drigen Bildungsgrades, hygienisches Empfinden und hygienische
Kenntnisse, die er praktisch verwerten kann, in dem Masse, wie
Verf. es für möglich hält, beizubringen, sei dahingestellt; jedenfalls¬
müssen wir sein Bestreben, in dem Kampfe gegen die Infektions¬
krankheiten eine neue Waffe einzuführen, mit Freuden begrüssem
Grässner (Cöln).
F. A. Schmidt, Physiologie der Leibesübungen. (Voigtländer, 1905.)
Der Verfasser hat mit der Herausgabe seiner ursprünglich
bei Gelegenheit der Weltausstellung in St. Louis gehaltenen Vor¬
träge den Freunden der Leibesübungen oder vielmehr uns allen r
die wir uns für ein gesundheitsgemässes Leben interessieren, einen
grossen Gefallen getan. Nach einleitender Besprechung der deut¬
schen und schwedischen Schulgymnastik betrachtet Schmidt die
Einwirkung der Leibesübungen auf die Knochen, Gelenke, der
Muskel- und Nervensysteme, die Lungen, das Herz und den Ge¬
samtstoffwechsel, und beurteilt zum Schluss den Wert der ver¬
schiedenen Übungen und das Übungsbedürfnis in den verschiedenen
Lebensaltern der beiden Geschlechter. Das Buch ist klar, flüssige
und, worauf es hier vor allem ankommt, anregend geschrieben.
Kr.
Wolf, Die Einwirkung verunreinigter Flüsse auf das im Ufergebiet
derselben sich bewegende Grundwasser. (Arb. a. d. Kgl. Hyg.
Inst, zu Dresden. Bd. I, 1903, p. 291—331.)
Zur Klärung der Streitfrage, ob die bei Hochwasser von
Flüssen in den anliegenden Wasserwerken aüftretende Keimsteige¬
rung dadurch zu erklären ist, dass 1. entsprechend der Annahme
von Renk, Schill und Me inert unfiltriertes Flusswasser in das-
Wasserwerk Übertritt, oder 2. nach der Annahme von Niedner
und Hofmann durch infolge des Hochwassers ansteigendes Grund¬
wasser die Keime aus dem Erdreich ausgeschwemmt werden und
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in das Leitungswasser gelangen, bringt Wolf auf Grund eingehen¬
der Untersuchungen neues Material bei. Zunächst bespricht er
Wasserwerke mit Keimsteigerung bei einsetzender Hochflut des
benachbarten Flusses. Hierzu gehört zunächst das Wasserwerk
der Stadt Dresden an der Saloppe. Wolfs Keimzählungen an diesem
Werke stellen eine Fortsetzung der von Renk aus den Jahren
1895/96 und von Hofmann aus dem Jahre 1897 veröffentlichten
Zahlen dar und sind mit diesen direkt vergleichbar, da Verf. die
damaligen Keimzählungen ebenfalls ausgeführt hatte. Im Jahre
1900 zeigten die Keimzahlen nun dieselben Schwankungen wie
früher. Nur gewisse Hochfluten der Elbe erzeugen eine Keim¬
steigerung im Saloppeleitungswasser, andere nicht und zwar dann
nicht, wenn die Hochflut einsetzte, ehe das Wasser der vorher¬
gegangenen vollständig verlaufen war. Die von Hofmann gegen
die Keimsteigerung vorgeschlagenen Massregeln: 1. Einbauen von
Entlüftungsrohren in die Brunnenschächte, um bei Hochflut auf¬
tretende Luftpressungen zu vermeiden, 2. Unterlassung von forciertem
Pumpen bei Überflutung des Geländes, um Saugwirkungen im Erd¬
reich zu verhüten, hatten sich wirkungslos erwiesen, ein Umstand,
den Verf. als Stütze der von Renk und Schill gegenüber Hof-
mann vertretenen Ansicht ausspricht, welche, wie oben erwälmt,
«inen Übertritt unfiltrierten Flusswassers in das Wasserwerk
annimmt. Zur weiteren Klärung der Frage zog Verf. den von
Blachstein u. A. eingeführten Nachweis pathogener Bakterien aus
dem Wasser heran.- Das zu untersuchende Wasser wurde mit einer
Lösung von Pepton und Kochsalz versetzt, so dass es von beiden
1 °/ 0 enthielt, 48 Stunden bei 37 0 bebrütet und davon 2 cc Meer¬
schweinchen intraperitoneal eingespritzt. Waren pathogene Bakterien
im Wasser, so ging das Tier in 12 Stunden an eitriger oder
jauchiger Peritonitis ein, welche durch B. coli resp. B. vulgare
(Proteus vulgaris) erzeugt wurde. Dies war der Fall bei jeder
Probe Elbwasser. Das Saloppeleitungswasser wurde dagegen
für gewöhnlich von den Tieren ohne Schaden vertragen. Aber
bei Beginn eines jeden Hochwassers sterben die mit Leitungswasser
resp. Wasser aus den einzelnen Brunnen geimpften Tiere und aus
dem Peritonealexsudat Hessen sich beide Bakterienarten isolieren,
ja in einigen Fällen bereits ehe die Keimzahlen 100 erreicht hatten.
Besonders bei einem Brunnen (IV) zeigte sich der Einfluss des Fluss¬
wasserstandes am deutlichsten, sein Wasser wurde 3 Tage früher
bei Hochwasser infektiös, als das der anderen Brunnen und blieb
auch länger infektiös. Bei Beginn und während des Ansteigens
der Hochflut waren beide Bakterienarten (B. coli und Proteus; im
Wasser. Bald nach dem Überschreiten des Höhepunktes des Hoch¬
wassers verschwindet der Proteus aus dem Wasser und die Tiere
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sterben nunmehr nur an Coliinfektion. Einzelne Tiere erlagen auch
ausserhalb von Hochfluten der Infektion mit Coli nach Injektion
der Vorkulturen von Brunnen- oder Leitungswasser. Arbeiten an
den Brunnen in jener Zeit sind als Ursache nicht auszuschliessen,
Hessen sich aber nicht direkt als Ursache ermitteln. Einzelne Tiere
starben ferner längere Zeit nach Injektion von Wasservorkulturen
mit eigentümlichem Knötchenbefund. Verf. ist der Ansicht, dass
es sich um abgelaufene Infektion ebenfalls von B. coli handelt mit
knötchenförmiger Abkapselung der z. T. abgestorbenen Bazillen.
Doch glaubt Verf., dass der vereinzelte Befund von Colibakterien
in den Brunnen ausserhalb der Hochwasserzeiten der Bedeutung
des massenhaften Auftretens von B. coli und Proteus im Leitungs¬
wasser bei bestehender Hochflut keinen Abbruch tun könne, und
namentlich auch nicht geeignet sei, die Ansicht, dass beide Bakterien¬
arten aus der Elbe stammen, zu widerlegen. Durch Versuche mit
gegen B. coli und Proteus immunisierten Meerschweinchen führte
Verf. den Nachweis, dass ausser einer artfremden Coliform sonstige
pathogene Bakterienarten im Elbwasser nicht vorhanden waren 1 ).
Gegen die Annahme nach Hofmann und Niedner, dass das B. coli
und der Proteus nicht als Zeichen des Übertritts unfiltrierten Elb¬
wassers aufzufassen wären, sondern dass sie mit steigendem Wasser
aus dem Boden ausgewaschen würden, führt Verf. ins Feld, dass
bei starkem Absaugen der Brunnen beträchtliche Absenkungstrichter
des Grundwassers entstehen, dass aber trotzdem niemals in den
Ruhepausen ein Auswaschen der Bakterien aus den vorher wasser¬
freien Bodenschichten durch wiederansteigendes Grundw r asser zu
beobachten ist. Verf. verbreitet sich weiter über den Wert des
Befundes des B. coli in Wasserproben und betont, dass in Hamburg
sich ein deutlicher Einfluss der besseren Wasserversorgung auf die
Typhusmorbidität ergeben hat. (Vor Errichtung der Filterwerke,
1892, 2102 Erkrankungen, 216 Todesfälle, 1894 nach der 1893
erfolgten Errichtung der Filter werke 569 Erkrankungen, 47 Todes¬
fälle.) Meinert wies ferner für Dresden nach, dass im Gefolge
der mit Keimsteigerung im Leitungswasser verbundenen Elbhoch¬
wasser Durchfallsepidemien unter der Dresdener Bevölkerung auf¬
traten. Nach Errichtung des neuen Wasserwerks bei Tolkewitz
blieben die von diesem allein versorgten Stadtviertel dagegen da¬
von so gut wie ganz verschont. Verf. versuchte nun auch bak¬
teriologisch den Nachweis zu führen, dass die beiden genannten
Bakterienarten die Ursache der Kinderdiarrhöen seien. B. coli
1) Bei den Angaben des Verfs. über die Indolbildung des B. coli ist
entweder ein Druckfehler vorgekommen oder Verf. hat nicht B. coli com¬
mune vor sich gehabt.
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wurde meist gefunden, B. vulgare (Proteus) aber nur in 5 Fällen
und nicht bei Hochwasser, sondern bei Niederwasser.
2. Wasserwerk der Gemeinde Löbtau bei Dresden.
Es handelt sich um ein Grundwasserwerk, dessen 3 Brunnen
20, 100 und 40 m von der Weisseritz entfernt liegen, während sieh
ca. 800 m oberhalb des Wasserwerks ein verschlammter Mühlgraben
abzweigt, von dem die Brunnen 230, 150 und 80 m entfernt liegen.
Die Weisseritz hat sehr wechselnde Wasserraengen, tritt bei Hoch¬
wasser auch wohl gelegentlich aus und verursacht dann ungeheure
Zerstörungen. Auch bei diesem Wasserwerk hat sich ein deutlicher
Einfluss des Flusses ergeben. Bei langanhaltender Trockenheit
macht sich von den Ausläufern des Erzgebirges her ein Grund¬
wasserstrom mit sehr salzreichem hartem Wasser bemerkbar. Der
Keimgehalt ist dann sehr gering, mitunter fast 0, der Abdampf¬
rückstand sehr hoch. Bei Steigen der Weisseritz wird der Keim¬
gehalt reicher, das Wasser ärmer an gelösten Bestandteilen. Dabei
ist es gleichgiltig, ob es sich um Ansteigen der Weisseritz durch
Schneeschmelze oder Wolkenbrüche handelt, die Keimvermehrung
tritt ein und hält sich bei Hochstand des Flusses. Der Abdampf¬
rückstand kann dabei so gering werden, dass er sich kaum von
dem des Flusswassers unterscheidet, während er in trockener Zeit
hoch ist. Während aber die Keimzahlen schon am ersten oder
zweiten Tage ihr Maximum erreichen und am darauffolgenden wieder
absinken, macht sich der Einfluss des weicheren Flusswassers auf
die Rückstandmengen erst einige Tage später bemerkbar. Es scheint
also das Verhalten der Keimzahlen der Bewegung der Rückstands¬
mengen zu widersprechen. Dieser Widerspruch klärt sich dadurch
auf, dass der Fluss beim Steigen auch das umgehende Erdreich
mit Wasser erfüllt, wodurch „ein neuer, aus Flusswasser bestehender,
das Flussbett begleitender Strom“ entsteht, „der sich allerdings
entsprechend der Reibung in den Hohlräumen im Boden nur lang¬
sam ausbreiten kann“. Dieser seitliche Strom verdrängt immer
mehr Wasser aus dem Brunnen, wodurch sich die Abnahme der
Rtickstandmengen erklärt. Die hohen Bakterienmengen am ersten
Tage seien dagegen ohne Zweifel auf nächstem Wege aus dem
Flusse in den Brunnen eingeschwemmt. Nun sind dabei auch die
ersten Hochwassermengen bei Regengüssen und Schneeschmelze
an sich am keimreichsten, dabei wird infolge Ansteigens der Brunnen
der Überdruck vom Flusse geringer und eine weitere Verdünnung
des keimhaltigen eingedrungenen Flusswassers steht durch den er¬
wähnten Seitenstrom zu erwarten, welcher mehr Zeit hatte, sich
durch Filtration im Erdreich zu reinigen. Für die Existenz eines
solchen Seitenstromes spricht auch das Auftreten von Quellen nach
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Regengüssen in dem wieder trocken gewordenen Flussbett. Diese
Quellen versiegen wieder nach 3—4 Wochen. Ihr Wasser ist sehr
verschieden von dem Grundwasser zu trockener Zeit und lässt eine
deutliche Beinflussung durch Flusswasser nicht verkennen. — Die
Keimzahl in den Brunnen stieg bei verschiedenen Hochwassern
ebenso wie beim Saloppewerk verschieden hoch an. Brunnen V
zeigte Keimsteigerung auch dann, wenn der Anstieg der Weisseritz
bei hohem Grundwasserstand erfolgte. Der Flussgrundwasser¬
strom ist hier nie so mächtig, dass er das Übertreten von Weisseritz-
wasser in diesen Brunnen ganz verhindern könnte. Verf. nimmt
deshalb das Bestehen einer direkten Verbindung zwischen Fluss
und Entnahmegebiet des Brunnens durch Spalten und Risse an.
Günstiger liegen die Verhältnisse bei Brunnen II und III, auf welche
der Fluss nur bei tiefem Grundwasserstand nachteilig zu wirken
vermag. Bei hohem Grundwasserstand werden dagegen diese beiden
Brunnen durch den Flussgrundwasserstrom gegen Eindringen von
Flusswasser geschützt. Durch Tierversuche Hessen sich im August,
Oktober und November im Wasser des Brunnens I zur Zeit von
Hochwasser B. coli und Proteus nachweisen, desgleichen im Weisseritz-
wasser. Dagegen fielen die Tierversuche im Februar und März
sowohl mit Wasser des Brunnens I wie der Weisseritz negativ aus.
Verf. nimmt an, dass dabei durch den festgefrorenen Boden
wenig Fluaswasser in den Brunnen dringen konnte und dass im
Schneeschmelzwasser beide Arten nur in geringer Menge vorhanden
waren. Verf. nimmt nach Analogie dieser Beobachtungen am Löb-
tauer Wasserwerk auch bei dem Saloppewerk einen seitlich neben
der Elbe fliessenden Grundwasserstrom mit bakterienärmerem Wasser
an, dessen Flutwelle bei Anstieg der Elbe zeitlich später fällt. Da¬
durch werde das Faktum erklärt, dass die Keimsteigerung im Brunnen
stets in den ersten Hochwassertagen am grössten ist, um dann ab¬
zusinken, selbst wenn ein erneuter Anstieg der Eibe eintritt. Der
Brunnen I des Löbtauer Werkes und Brunnen IV des Saloppewerkes
sind die empfindlichen Punkte ihrer Wasserwerke. Ersterer wurde
auf das Gutachten der Zentralstelle hin ausgeschaltet; für letzteren
empfiehlt Verf. das Gleiche.
3. Wasserwerke, an denen eine Einwirkung des be¬
nachbarten Flusses nicht beobachtet werden kann. Hier¬
zu gehört nach Verf. 1. das neue Wasserwerk der Stadt Dresden
in Tolkewitz (erbaut 1894—98, erweitert 1901). Es liegt auf dem
linken Ufer der Elbe oberhalb Blasewitz und vermag aus 11 Brunnen
innerhalb 24 Stunden 40000 cbm zu fördern. Die Brunnen sind
z. T. bei Hochwasser Überschwemmungen ausgesetzt, aber durch
ihre Abdichtung und eine natürliche Lehmdecke im Boden, nament¬
lich jedoch durch die enormen W'assermassen des vom Gebirge
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kommenden Grandwasserstromes gegen Verunreinigungen durch
eindringendes Flusswasser, wie es scheint, vollkommen geschützt.
Die Keimzahlen waren stets niedrig, auch bei Hochwasser. Der
Tierversuch fiel stets negativ aus (bis auf eine Ausnahme, welche
durch in der Zirkulationsleitung beigemischtes Saloppewasser zu
erklären sein dürfte).
2. Das 1892/93 erbaute Wasserwerk der Stadt Meissen
liegt auf dem linken Elbufer oberhalb Meissen. Es erschliesst mit
5 Brunnen, welche ca. 100 m vom Fluss entfernt liegen, den von
den steilen Höhen zur Elbe abfliessenden Grundwasserstrom. Die
wasserführende Kiesschicht ist durch eine 5 m dicke natürliche
Lehmdecke selbst bei Hochwasser gesichert. Die Keimzahlen be¬
trugen 5—15, selten 20. Niemals konnten durch den Tierversuch
B. coli oder Proteus im Brunnen-Wasser festgestellt werden. Auch
die Temperatur beträgt im ganzen Jahre stets 7—8°. Auch bei
Hochwasser trat keine Keimverraehrung ein. Selbst wenn das ganze
Gelände bis zu den Mauern des Maschinenhauses überschwemmt
wird, ist die Reinheit des Wassers des Wasserwerkes nicht bedroht.
Obwohl der Wasserstand in den Brunnen ausserordentlich wechselt,
tritt doch keine Keimvermehrung bei Steigen des Wasserstandes
ein. Verf. führt diese Beobachtung als neuen Gegenbeweis gegen
die Ansicht an, dass die Bakterien aus dem Boden ausgeschwemmt
werden könnten.
Von den vier angeführten Wasserwerken ist nur eines, das Meiss¬
ner gänzlich frei von jedem Einfluss des benachbarten Stromes erklärt.
Dagegen zeigt das Tolkewitzer Wasserwerk durch grössere Tempe¬
raturschwankungen wenigstens einen indirekten Einfluss. Das
Saloppe- und Löbtauer Wasserwerk besitzen keine schützende Lehm¬
schicht über der wasserführenden Schicht. Bei Neuanlage von
Grundwasserwerken in der Nähe eines Flusses empfiehlt Verf. mit
Recht eine Berücksichtigung aller dieser Verhältnisse und An¬
stellung eingehender Untersuchungen bei verschiedensten Fluss¬
wasserständen. In einem Nachtrag bemerkt er, dass er in Erd¬
proben, welche über der Sammelgalerie des Saloppewerkes ent¬
nommen wurden, weder B. coli noch Proteus finden konnte.
Czaplewski (Oöln)
Schubert, Das Schularztwesen in Deutschland. (Hamburg u. Leip¬
zig HK)5. Verlag von Voss.)
Das reiche, durch eine Umfrage bei den grösseren Städten
des Deutschen Reiches gewonnenen statistische Material und die
hieran geknüpften Vorschläge machen das Buch zu einem schätz¬
baren Ratgeber für Gemeinden und Ärzte bei Einrichtung und
Ausbau des Schularztwesens.
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276
Das Schwergewicht der schulhygienischen Tätigkeit sieht Verf.
in der Untersuchung sämtlicher, nicht bloss der anscheinend
kranken, Kinder, und zwar deshalb, weil viele Krankheiten und
Gebrechen der Schüler diesen selbst und deren Eltern oft lange
Zeit unbekannt bleiben und aus dieser Unkenntnis Nachteile für
die Erreichung des Unterrichtszieles, für die Schulkinder und deren
Mitschüler resultieren, und weil viele kranke oder mit Krankheits¬
anlagen behaftete Kinder von seiten der Schule gewisse Ausnahmen
und Rücksichten beanspruchen.
Für die Untersuchnng der Schulneulinge wären zuverlässige
Angaben über Heredität und Antezedentien der Kinder — in Form
von seitens der Eltern ausgefüllten Fragebogen — von grösstem
Nutzen. Eine soziale Bedeutung erhielte die Schularzteinrichtung
durch die Feststellung des Einflusses der gewerblichen Kinderarbeit
auf die gefundenen krankhaften Zustände sowie durch Raterteilung
betr. spätere Berufswahl. Für die Hygiene des Schulhauses ist
ein Hand in Hand gehen mit dem technischen Sachverständigen not¬
wendig. Auf die Hygiene des Unterrichts und der Unterrichts¬
mittel ist mehr, als bisher üblich, Gewicht zu legen. Der Schul¬
arzt soll ordentliches und vollberechtigtes Mitglied der Schul¬
konferenzen und -deputationen sein. In den Unterrichtsplan
besonders der höheren Schulen ist die Hygiene als besonderes
Lehrfach aufzunehmen und ist die Anstellung von Schulärzten
als Lehrer dieses Faches anzustreben.
Die Behandlung der Kinder ist in keiner Stadt Deutschlands
Sache des Schularztes. Bermbach (Cöln).
Bauer, Schulgesundheitspflege. (Der Arzt als Erzieher, Heft 19.
München 1905.)
In gemeinverständlicher Darstellung werden der Nutzen, die
Notwendigkeit, die Entwicklung und die Aufgaben der Schul¬
gesundheitspflege eingehend behandelt. Das Büchlein ist zwar in
erster Linie für den Laien, namentlich den Lehrer, bestimmt, gibt
aber auch dem Schularzt über manche wichtige Fragen Aufschluss
und kann deshalb zur Anschaffung empfohlen werden.
Bermbach (Cöln).
Brandeis, Beiträge zur Erziehungshygiene. (Prag 1905, Verlag von
M. Neugebauer.)
Im ersten Teil behandelt Verf. die Ursachen und Bekämpfung
der nervösen Erscheinungen unserer Schuljugend.
Bei der vielfachen nervösen Belastung und Unterernährung
der Schuljugend vermag die Schule leicht zur Nervosität des Kindes
zu führen. Die Gleichmässigkeit der Anforderungen an Schwache
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277
und Starke, sei es im Unterricht, sei es in der häuslichen Arbeit,
der Ehrgeiz des Kindes, die Überanstrengung mit Untei rieht in
Musik, Sprachen usw. neben denjenigen der Schule mit den ex¬
tremen Anforderungen an das Gedächtnis, an Auge, Ohr, selbst
körperliche Arbeit bei ungenügender Erholung und mangelhaftem
Schlaf erzeugen vereinigt die Nervosität. Nur durch Zusammen¬
wirken der Eltern mit Lehrer und Schularzt werden sich alle Miss¬
stände beseitigen lassen. Zweckmässige Ernährung auch der ärm¬
sten Kinder, individualistische Erziehung des Körpers und Geistes,
Beschränkung der Leistungen in der Schule und zu Hause, Weg¬
fall der Schlussexamina, genügende Pausen und Freiluftspiele sind
die auch vom Verf. wieder empfohlenen Bekämpfungsmittel. Im
zweiten Teil beschäftigt sich Verf. mit der Hygiene der Ernährung
des Schulkindes. Siegert (Cöln).
Meder, Das S&uglingskrankenhaus als wichtiger Faktor zur wirk¬
samen Bekämpfung der hohen Säuglingssterblichkeit. (Monats-
schr. f. Ges.-Pflege 1905, Nr. 4.)
Zusammenfassung der in letzter Zeit so vielfach betonten
Gründe für die Errichtung von Säuglingsspitälern mit spezieller
Berücksichtigung der Verhältnisse in Wien resp. in Österreich.
Am Schluss Beschreibung und Abbildung der Planskizze eines
solchen für 200 Säuglinge. Siegert (Cöln).
Manchot, Die Milchküche der St. Gertrud-Gemeindepflege in Ham¬
burg. (Hamburg 1905. Verlag von C. Bovsen.)
Dankenswerte Mitteilung der Geschichte, Einrichtung und
Tätigkeit dieser Milchküche, die allen zur Lektüre empfohlen wer¬
den kann, welche, wie es doch so sehr not tut, soweit sie es ver¬
mögen, mit arbeiten wollen, dass endlich überall dem Säugling,
welcher die Mutterbrust entbehren muss, eine einwandfreie Milch
in rationeller Form verschafft wird. Dass dies Ziel von den Ge¬
meinden selbst durchaus keine zu hohen Beiträge verlangt, wird
zahlenmiissig nachgewiesen.
(Wann endlich werden alle Städteverwaltungen der unleug¬
baren Tatsache zustimmen, dass der Säugling des Unbemittelten
ebensoviel Recht hat, vor schwerer Erkrankung und dem Massen¬
sterben infolge zersetzter, schlechter, in dem Euter der Kuh oder
nach dem Melken gepanschter Milch geschützt zu werden, wie
seine Eltern vor Typhus, Cholera usw. durch gesundes Trink¬
wasser und Vorschriften über Abortanlagen, Müllabfuhr usw.? An¬
merkung des Referenten.) Siegert (Cöln).
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278
Eberths, Ein Beitrag zur Bek&mpfung der Säuglingssterblichkeit.
(Jahrb. f. Kinderheilk., 61. Bd.)
Der Verf. zitiert zuerst die auch in diesem Centralblatt refe¬
rierte Arbeit Heimanns, wonach 22°/ 0 der Lebendgeborenen im
ersten Jahre wieder wegsterben, ungerechnet diejenigen, die ge¬
schwächt aus dem ersten ins zweite Lebensjahr hinübergehen, um
dann zu sterben. Als Grund dieser grossen Sterblichkeit wird auch
von ihm die Verdauungsstörung angeführt, die durch unzweck¬
mässige Ernährung vielfach veranlasst ist. Eine praktische Be¬
lehrung der Mütter sei deshalb ein notwendiges Bestreben, um
auch hier Verminderung der Sterblichkeit zu erzielen, denn auch
heute besteht der vor 35 Jahren aufgestellte Satz der Pariser Aka¬
demie zu Recht: „Die Unwissenheit in den elementarsten Regeln
der Ernährung der Säuglinge ist eine der Hauptursachen der so
zahlreichen tötlichen Verdauungskrankheiten dieses Alters.“ E. hat
zum Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung auch für Berlin
bei 270 Müttern eine Rundfrage nach der Art und Weise der
künstlichen Ernährung ihres Kindes gehalten. Er fand, dass bis
zu 94,5 °/ 0 der Mütter Fehler in der Ernährung fortdauernd machen,
der grösste Teil der Mütter machte mehrere Fehler. Z. B. be¬
reiteten 92 °/ 0 die Nahrung vor jeder Mahlzeit zu, sterilisierten also
nicht für den ganzen Tag. 65 °/ 0 Hessen die Nahrung offen stehen,
50 °/ 0 kühlten nicht ab. 86 °/ 0 gaben zu grosse Mengen Milch,
78 % zu häufige Mahlzeiten usw. — Allerdings gibt das Material,
das E. zu dieser Zusammenstellung benutzte, uns keinen einwand¬
freien Einblick in die Verbreitung der Unkenntnis über die Säug¬
lingsernährung, da ja seine Enquete sich nur auf die Erforschung
der Ernährung kranker Kinder erstreckte.
Gesunde Kinder werden ja gemeiniglich nicht zur Poliklinik
gebracht, und von oberen und niederen Ständen wird ebenfalls
die öffentliche Beratungsanstalt nicht benutzt. Man könnte also
mit Recht einwenden, dass die nichtgefragten Kreise und die niederen
Stände mit gesunden Säuglingen eine bessere und einwandfreiere
Ernährungsmethode hätten. Das wird ja bis zu einem gewissen
Grade auch der Fall sein, da ja in diesen Kreisen gemeiniglich
auch die grössere Einsicht herrscht. Aber die alltägliche Erfahrung
beweist wohl überall im allgemeinen die Richtigkeit der E.schen
Behauptung, dass noch grössere und weitere Kreise von einer
rationellen Ernährung des Säuglings weit entfernt sind.
Ob eine Ernährung fehlerhaft sei, und als Grundlage für die
später zu besprechende, den Müttern zur Aufklärung gegebene
Vorschrift hat E. sich der Heubnerschen Vorschrift an der Königl.
Charitö als Grundlage bedient. Auf Grund dieser stellt er eine Er¬
nährungsbreite fest, d. h. den zwischen dem Minimal- und Maximal’
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bedarf des jeweiligen Kindes liegenden Raum. Was er darunter
versteht, sei am besten an einem Beispiel erklärt, das er selbst
-anführt.
Ein 17 wöchentliches Kind von 4200 g Körpergewicht bekommt
von der Mutter 750 g Milch täglich. Nach der erwähnten Heubner-
schen Tabelle müsste es aber 6300 g wiegen und bekäme dann
630 g Milch, das würde den Maximalbedarf darstellen. Sein Ge¬
wicht ist aber das eines 5—6 wöchentlichen Kindes, nämlich 4200 g
und dieses hat nur 350 g Milch nötig (= Minimalbedarf). Zwischen
diesen beiden Grenzen liege die Ernährungsbreite des erwähnten
Kindes. Das Kind wurde also überernährt. — Wenn das gefundene
Gewicht und das Gewicht eines normal entwickelten Säuglings
gleichen Alters nur um 600 g differierten, so nahm E. die Grenze der
erlaubten Nahrung bei einer diesen Gewichten entsprechenden
Nahrung an. Betrug die Differenz aber mehr als 600 g, so nahm
er die obere Grenze bei der dem gefundenen Gewicht +600 g
entsprechenden an. Diese etw r as komplizierte Basis empfiehlt er als
Grundlage für Sammelforschungen, die einer Zentralstelle eingereicht
werden sollen (Biederts Versuchsanstalt für Kinderernährung?!).
Er hat sein Material auf dieser Basis gesammelt und darin auch
die mangelhafteste Kenntnis der gewöhnlichsten Ernährungsmaximen
gefunden und empfiehlt deshalb seine „Vorschläge zur Bekämpfung
der Säuglingssterblichkeit“, auf deren Besonderheit ich nunmehr
eingehe.
In erster Linie stellt auch er die bekannte Forderung des
Selbstnährens der Mütter auf, worauf Behörden, Ärzte und Vereine
energisch hinarbeiten müssten. — Sodann geht er auf die künst¬
liche Ernährung ein und empfiehlt dafür eine Normalnahrung, die
für die meisten Fälle genüge. Bei Störungen aber soll der Arzt
befragt werden. Die Kenntnis dieser Dinge will E. durch öffent¬
liche Verteilung eines Merkbogens und zweier Flaschen erzielen.
Die Verteilung dieser Gegenstände soll durch das Standesamt bei
jeder Geburtsanzeige erfolgen.
Der Merkbogen: */, Meter im Quadrat gross, zum Aufhängen
eingerichtet, enthält in deutlicher Schrift die Grundsätze der Säug¬
lingsernährung, links die Vorschrift, rechts die Erklärung, warum
das geschieht, z. B.:
Vorschrift. Warum ?
Gehe sofort zum Arzt, wenn Diesen Störungen liegt meist
dein Kind erbricht, Durchfall eine unzweckmässige Ernährung
hat, oder nicht zunimmt. zu Grunde. Durch rechtzeitige
Regelung derselben und rasche
ärztliche Hilfe wird dein Kind
vor den schweren, oft tötlichen
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280
Magen- und Darmerkrankungen
bewahrt bleiben.
Es würde zu weit führen, diese im grossen und ganzen
zweckmässige Vorschrift hier wörtlich anzugeben, nur Aussetzungen
seien gestattet: Warum empfiehlt E. schon von dem zehnten Monat
ab Breie von Kartoffeln, Apfelmus, Spinat, gelben Hüben, Blumen¬
kohl, — Dinge, die leider die Mütter vielfach zum Schaden der
Kinder verabfolgen, die durchaus nicht etwa von allen Kindern, ja
nicht einmal von der Mehrzahl in diesem Alter in einer in Betracht
kommenden Menge vertragen werden, sondern die völlig unaus-
genutzt in manchen Stühlen wieder erscheinen? Warum lässt E.
die Nahrung nur drei Minuten kochen, wo doch die von ihm ge¬
gebene Begründung vielfach bestritten und nicht überall gesichert
ist? Warum empfiehlt E. nicht die Abkochung in Einzelflaschen
ä la Soxleth? Der Teurungsgrund, den er angibt, ist nicht stich¬
haltig, denn für etwa 80 Pfg. sind Fläschchen und Korkverschluss
käuflich. Messen kann man auch in jedem einfachen Mess-Cylinder
oder Fläschchen. — Strittige Fragen soll man nicht in eine all¬
gemeine populäre Vorschrift bringen!
Dieser Vorschrift ist eine Ernährungstabelle für das erste
Lebensjahr angehängt. Nur ist dieselbe für die einfache Frau im
Volke zu kompliziert, so kompliziert, dass sie es vorziehen dürfte,
nicht danach zu handeln. Z. B.:
2. Tag 3. Tag cbc 2—3 Wochen
Mische Milch (Gramm) .... 40 120
Mit Zusatz (Gramm) .... 80 240
Dazu Zucker (gestrich. Kaffeelöffel) l x / 8 4 1 /*
Grösse der Mahlzeit (Gramm) .15 45
Zahl der Mahlzeiten. 8 8
Erste Mahlzeit früh.5V 2 5 l / 2
Letzte Mahlzeit abends .... 11 11
Pause zwischen den Mahzeiten
(Stunden).2 l / 2 2 1 /*
u. s. w. bis zur 52. Woche.
Mit dieser Tabelle beseitigt E. vor allem die Gefahr einer
falschen Ernährung nicht; denn trotz seiner einleitenden Bemer¬
kungen über die Wichtigkeit des Körpergewichtes als Grundlage
für die Bestimmung der Nahrungsmenge, nimmt er doch wieder
das Alter als Grundlage, während er doch selbst die Zahlen liefert,
dass es doch ein grosser Unterschied ist, ob ein Kind von 17
Wochen mit 6300 Gramm oder 4200 Gramm ernährt wird.
E. hat offenbar auch die Empfindung gehabt, dass seine Ta¬
belle zu kompliziert ist und er hat deshalb einen Apparat kon¬
struiert, den ein einfaches Kind von 12—14 Jahren hantieren und
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m
an ihm die Nahrung des Kindes leicht bestimmen könne. Der¬
selbe besteht aus einem Kochtopf, einer Kochflasche, in der die
Nahrung gemischt wird, um dann in obigem Kochtopf gekocht zu
werden und als Hauptsache endlich, aus einem auseinanderlegbaren
Mantel, in den, wenn zusammengelegt, die Flasche passt. Der Mantel
besitzt 12 Längsschlitze durch den man in die Flasche hineinsehen
kann, am Rande des Schlitzes sind Marken für Milch und Zusatz¬
flüssigkeiten, Notizen über Zuckerzusatz angebracht. Ein abnehm¬
barer Teil dient für Abänderungen in der Kostvorschrift durch
den Arzt. Durch Merkbogen und diesen Apparat, von Standes¬
ämtern verbreitet, glaubt E. die künstliche Säuglingsernährung ver¬
nünftig und einheitlich gestalten zu können und damit die Sterb¬
lichkeit zu mindern. — Ob diese Annahme berechtigt ist, möchte
ich bezweifeln. Eine einfache Mutter wird sich schwerlich in diesem
Zahlengewirre zurecht finden, wenn sie keine andere Anweisung
hat. Und wenn das der Fall ist, wird sie das unbequeme Ding, bei
dem man sich so leicht in den Strichen irrt, beiseite lassen. Da
wäre es weit bequemer, die Vorschrift direkt auf die Flasche auf¬
zuätzen, wie bei dem von Escherich angegebenen Apparat, der ja
auch von anderer Seite vereinfacht ist. Dagegen sind andere Dinge
nicht angegeben, z. B. eine zweckmässige Beschaffung der Milch,
eine einfache, vom Laien ausführbare Prüfung der Milch au fihre
Tauglichkeit und dergl. Vor allem aber ist es bedauerlich, dass
die Vorschriften über die natürliche Ernährung nicht einen brei¬
teren Raum einnehmen, dass Vorschriften fehlen, wie die Mutter
sich bei ev. Stillfehlern zu verhalten habe, wie die Mutter die Milch-
Sekretion steigern könne, dass die Mutter weiter stillen darf, wenn
die Menstruation eintritt, und bei welchen Krankheiten sie nicht
stillen darf. Über all diese Dinge wird kein Wort verloren, wäh¬
rend wir doch wissen, dass selbst unter erschwerenden Umständen
es möglich ist, das Stillgeschäft der Mutter wenigstens teilweise
aufrecht zu erhalten. Selter (Solingen).
Wesener, Die Resultate der prophylaktischen Impfung mit Diph¬
therieheilserum im st&dtischen Mariahilf-Krankenhaus zu Aachen
(Münch, med. Wochenschr. 1905, Nr. 12.)
Bei den Verhandlungen des internationalen Kongresses für
Hygiene und Demographie in Brüssel hatte sich unter allgemeiner
Übereinstimmung in der Debatte über die Prophylaxe der Diphtherie
ergeben, dass die prophylaktischen Impfungen mit dem Diphtherie¬
heilserum in 2—3 °/ 0 der geimpften Fälle nicht verhinderten, dass
die Krankheit zum Ausbruch kam. Der Schutz der Impfungen
erstreckte sich auf eine Zeit von 3—4 Wochen, war jedoch bei
gleichzeitigem Bestehen von Masern noch kürzer. Nachdem in
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Nachprüfung dieser Resultate im Mariahilfkrankenhause seit dem
Jahre 1901 prophylaktisch mit Diphtherieserum zu spritzen be¬
gonnen war, führten eingeschleppte Fälle auf den betreffenden
Sälen keine weiteren Erkrankungen mehr herbei, was früher ge¬
legentlich (2 mal) yorgekommen war. Ferner konnte bei zweifel¬
haften Fällen yon Angina ohne weiteres die Verlegung auf die
Diphtheriestation geschehen, da die prophylaktische Injektion die
Kinder vor Infektion auf der Abteilung schützte. Schliesslich
wurden die Geschwister von 18 Diphtheriekranken mit prophylak¬
tischen Impfungen behandelt; nur in einem Falle blieb der Erfolg
aus. Als die Impfungen zeitweise unterbleiben mussten, folgten
wieder häufige Erkrankungen der Geschwister. Bei späterer Wieder¬
aufnahme der Geschwisterschutzimpfungen kamen zwar unter 146 Ge¬
impften vier leichte Erkrankungen vor, davon jedoch zwei am
Tage nach der Impfung, eine am zweiten Tage und nur eine
später (am zehnten Tage). Verfasser schliesst, dass die prophy¬
laktische Impfung zwar kein absolutes, aber doch ein recht sicheres
Vorbeugungsmittel gegen Diphtherie ist, das gestattet, die Isolierung
weniger streng durchzuführen. Der Verlauf der Erkrankung bei
den Schutzgeimpften ist meist ein sehr leichter. 200 I-Einheiten
genügten zur Schutzimpfung. Es empfiehlt sich jedoch, höher zu
gehen und 300—400 I-E. zur prophylaktischen Impfung zu ver¬
wenden. Verfasser weist zahlenmässig nach, dass für die städti¬
schen Behörden die prophylaktische Impfung sowohl vom peku¬
niären wie vom hygienischen Standpunkt vorteilhaft ist.
Dreyer (Cöln).
Roepke u. Hubs, Untersuchungen über die Möglichkeit der Über¬
tragung von Krankheitserregern durch den gemeinsamen Abend¬
mahlskelch nebst Bemerkungen über die Wahrscheinlichkeit
solcher Übertragung und Vorschlägen zu ihrer Vermeidung.
(Deutsche med. Wochenschr. 1905, Nr. 3 u. 4.)
Die Frage der Übertragung ansteckender Krankheiten durch
den gemeinsamen Abendmahlskelch, welche seit etwa Jahresfrist
die Öffentlichkeit beschäftigt und bereits zu einer Rückäusserung
des Präsidenten des Kaiserlichen Gesundheitsamtes geführt hat,
wurde von den Verfassern experimentell zu lösen versucht. Eine
Anzahl Kranker der Eisenbahnheilstätte Stadtwald in Melsungen
tranken nacheinander unter Drehung des zuvor sterilisierten und
mit sterilem Rotwein gefüllten Kelches aus letzterem. Mit sterilen
Gazebäuschen wurden darauf die zurückfliessenden Rotweinreste
aufgefangen, ebenso die einzelnen Lippenabdrücke aufgetupft, und
das so gewonnene Material wurde in die Bauchhöhle von Meer¬
schweinchen oder Kaninchen verimpft. In einer zweiten Versuchs-
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reihe wurden die Kelchränder nach einer Empfehlung des Kaiser¬
lichen Gesundheitsamtes mit einem sterilen Gläsertuch abgerieben,
darauf wurde erst mit Gazetupfern leicht nachgewischt, und nun
wurden letztere in die Bauchhöhle dieser Tiere gebracht. Beide
erkrankten an Tuberkulose. Das Abreiben des Kelchrandes mit
reinen Tüchern schützt also keineswegs gegen Übertragungen von
infektiösen Keimen. In einer dritten Versuchsreihe wurde das
Material vom oberen äusseren, in einer vierten vom oberen inneren
Kelchrand entnommen. Sämtliche Tiere erkrankten an Tuberkulose.
Dabei blieb es gleichgültig, ob die Tupfer direkt in die Bauch¬
höhle der Versuchstiere gebracht wurden oder erst in Bouillon
getaucht und ausgepresst waren oder ob die Bouillon intraperito¬
neal verimpft wurde. Im letzteren Fall wurden allerdings infolge
der Anreicherung des Materials die Tuberkuloseformen schwerer
und allgemeiner. Die ganzen vier Untersuchungsreihen wurden an
11 Meerschweinchen ausgeführt. Darunter erkrankten 8. Gelegent¬
lich der dritten Untersuchungsreihe wurde auch der Wein auf dem
Boden des Kelches untersucht. Er enthielt ausser Staphylokokken,
Streptokokken, Pneumoniekokken und Diphtheriebazillen auch ver¬
einzelte Tuberkelbazillen, welche jedoch im Tierexperiment, wohl
infolge des 14 Tage langen Aufenthaltes im Rotwein, keine Er¬
scheinungen mehr hervorriefen.
Ist auch der Einwand, dass der Prozentsatz der Möglichkeiten
von Übertragung der Tuberkulose durch den Abendmahlskelch ein
viel geringerer ist als in den Versuchen der Heilstätte, so ist doch
auch die Übertragung anderer Krankheitskeime unter gewöhnlichen
Verhältnissen um so näher liegend, als die Mundreinigung der
Stadt- wie der Landbevölkerung durchschnittlich weit hinter der
in der Heilstätte geübten zurücksteht. Die Übertragungsmöglich¬
keit aller dieser Keime durch den Abendmahlskelch ist aber um so
grösser, als die Tonsillen besondere Schlupfwinkel für alle Krank¬
heitserreger bilden und als die Abendmahlsfeier meist bei nüch¬
ternem Magen stattfindet. Ist doch schon ganz allgemein die Über¬
tragung von Krankheiten durch Trinkgefässe mehrfach festgestellt.
Die Verfasser bringen als Beleg hierfür wieder zwei Kranken¬
geschichten aus Jacobis Klinik in Freiburg, in denen die Über¬
tragung von Syphilis auf diesem Wege feststand. Auch ist darauf
hinzuweisen, dass der Regierungsbezirk Aurich, welcher fast aus¬
schliesslich evangelische Bevölkerung hat, die grösste Tuberkulose¬
mortalität aufweist und dass das orthodox protestantische Minden-
Ravensberger Land auffallend hohe Tuberkulosesterblichkeitsziffern
gegenüber anderen ländlichen Bezirken Westfalens hat.
Verf. empfehlen die möglichste Anschaffung von Einzelkelchen,
die besonders an Badeplätzen, in Sommerfrischen für Lungenkranke,
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in Krankenhäusern, Lungenheilstätten und Heilstätten für Geschlechts¬
kranke eine dringende Notwendigkeit sind. Lässt sich ihre Ein¬
führung sonst nicht überall erzielen, so ist das Auskochen des
Kelches durch eine Minute in 50° heisser 2 °/ 0 Sodalösung mit
darauf folgender Abwaschung in fliessendera Wasser zu empfehlen.
Dreyer (Cöln).
Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen
Bücher etc.
Adam, Dr. Georg, Der gegenwärtige Stand der Abwässer frage dargcstellt
für die Industrie. Braunschweig 1905. Fr. Vieweg & Sohn. Preis
3 Mk.
Ascher, Dr. Louis, Der Einfluss des Rauches auf die Atmungsorgane.
Stuttgart 1905. Ferd. Enke. Preis 1,60 Mk.
Baier, Dr., und Dr. Bongert, Untersuchungen über die Wirkungsweise
der Nassluftkühlung und der Trockenluftkühlung. Berlin 1905. Richard
Schoetz.
Baier, Dr., Dr. Bongert u. Stetefeld, Untersuchungen über die hy¬
gienische Bedeutung der Kühlanlagen mit offener Salzwasserkühlung.
München 1905. R. Oldenbourg.
Bcerwald, Dr. K , u. G. Brauer, Das Turnen im Hause. Leibesübungen
zur Förderung und Erhaltung der Gesundheit für Jung und Alt.
3. Aufl. München, R. Oldenbourg. Preis 2,80 Mk.
Bettmann, Prof. Dr. S., Die ärztliche Überwachung der Prostituierten.
Jena 1905. Gustav Fischer. Preis 7 Mk.
Bloch, Dr. J., Die Bereicherung der internen Tripperbehandluug durch
das Gonosan. Berlin 1905. Louis Marcus.
Flatau, Dr. G., Über einen neuen Gymnastikapparat und seine Ver¬
wendbarkeit bei Behandlung von Nervenleiden. Berlin 1905. Urban
& Schwarzenberg.
Forel, Prof. Dr. Aug., Die sexuelle Frage. München 1905. Ernst Rein¬
hardt. Preis 8 Mk.
Förster, Dr. Anton, Kritische Besprechung der Ansichten über die Ent¬
stehung von Doppelbildungen. Würzburg 1905. A. Stübers Verlag.
Preis 1,50 Mk.
Funaoka, Dr. E., Über die Zuckungsform verschiedener Froschmuskeln.
Würzburg 1905. A. Stübers Verlag. Preis 80 Pfg.
Goldscheider, Prof. Dr., Hygiene des Herzens. München 1905. R. Olden¬
bourg. Preis 30 Pfg.
Goldschmidt-Geisa, Die Flora des Rhöngebirges. IV. Würzburg 1905.
A. Stübers Verlag. Preis 1 Mk.
Grotjahn, Dr. A., u. Dr. F. Kriegel, Jahresbericht über die Fortschritte
und Leistungen auf dem Gebiete der sozialen Hygiene und Demo¬
graphie. IV. Bd. Jena 1905. Gustav Fischer. Preis 11 Mk.
Grünbaum, Dr. D., Vergleichende Untersuchungen über die molekulare
Konzentration des mütterlichen und fötalen Blutes und des Frucht¬
wassers. Würzburg 1904. A. Stübers Verlag. Preis 4 Mk.
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285
Hermanides, Dr. S. R., Bekämpfung* der ansteckenden Geschlechts¬
krankheiten als Volksseuche. Jena 1905. Gustav Fischer. Preis 4 Mk.
Hofmann, Dr. F. E., Meteorologische Verhältnisse und medizinische Sta¬
tistik für die Jahre 1903 und 1904. Würzburg 1905. A. Stübers Verlag.
Preis 2,50 Mk.
Kanngiesser, Dr. Friedr., Über Alter und Dickenwachstum von Würz¬
burger Wellenkalkpflanzen. Würzburg 1905. A. Stübers Verlag. Preis
I, 20 Mk.
Kraus, Gregor, Anemometrisches vom Krainberg bei Gambach und
Schlussworte zu Fehrs „Tempe“, Würzburg 1905. A. Stübers Verlag.
Preis 2 Mk.
Kuhn, Dr. F., Die Verhütung und operationslose Behandlung des Galleu¬
steinleidens. 3. Aufl. München 1905. Verlag der Ärztlichen Rundschau
(Otto Gmelin). Preis 1,60 Mk.
Lavaux, M., Über die Anästhesierung der Nieren und oberen Harnwege.
Leipzig 1905. W. Malende.
Leidner, Dr. med., Zur Impffrage. Nutzen und Segen des Impfzwanges.
Naunhof-Leipzig, Schäfer & Schönfelder.
Programm der Internationalen Abteilung für öffentliche allgemeine Ge¬
sundheits-Einrichtungen, Hygiene und sanitäre Hülfe bei Transporten.
Ausstellung in Mailand 1906.
Marcinowski, Dr. J., Im Kampf um gesunde Nerven. 2. Aufl. Berlin
1905. Otto Salle. Preis 2 Mk.
-Nervosität und Weltanschauung. Berlin 1905. Otto Salle. Preis
3 Mk.
Marcuse, Dr. J., Zur Behandlung der Gonorrhoe. Leipzig, W. Malende.
Mensinga, Dr., Vom Sichinachtnehmen. Studien aus 45jähriger Praxis
für Ärzte, besonders Frauenärzte. Neuwied 1905. Heusers Verlag.
Preis 2 Mk.
Moritz, Dr. E., Über Lebensprognosen. 2. Aufl. St. Petersburg 1905.
K. Ricker.
Mutterschutz. Zeitschrift zur Reform der sexuellen Ethik. Frankfurt
a. M., J. D. Sauerländer. Heft 1. Preis 60 Pfg.
Neumann, Dr. W., Weiteres über die Wichtelzopfkrankheit. Leipzig
1905. B. Konegers Verlag.
Pflüger, Prof. Dr. E. F. W., Das Glykogen und seine Beziehungen zur
Zuckerkrankheit. 2. Aufl. Bonn 1905. Martin Hager. Preis 10 Mk.
Rindfleisch, Prof. Dr. E. v., Scirrhus ventriculi Diffusus. Würzburg 1905.
A. Stübers Verlag. Preis 1 Mk.
Schmalfuss, Dr. G., Stellung und Aufgaben des Ammenuntersuchungs¬
arztes. Jena 1905. Gustav Fischer. Preis 1,20 Mk.
Schule, H., Über die Frage des Heiratens von früher Geisteskranken.
II. (Geisteskrankheit und Ehe.) Berlin 1905. Georg Reimer. Preis
1,20 Mk.
Schultze, Osk., Weiteres zur Entwickelung der peripheren Nerven mit
Berücksichtigung der Regenerationsfrage nach Nervenverletzungen.
Würzburg 1905. A. Stübers Verlag. Preis 1,80 Mk.
Sitzungsberichte der physikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würz¬
burg 1904. Nr. 1—10.
Trousseau, Dr. A., La Fondation ophthalmologique Adolphe de Roth¬
schild. Paris 1905.
Weygandt, Dr. W., Weitere Beträge zur Lehre vom Kretinismus. Würz¬
burg 1904. A. Stübers Verlag. Preis 3 Mk.
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286
Wassermann, Prof. Dr. A., Die Bedeutung der Bakterien für die Ge¬
sundheitspflege. München 1905. R. Oldenbourg. Preis 30 Pfg.
Weber, Dr. Ernst, Ursachen und Folgen der Rechtshändigkeit. Halle a. S.
Carl Marhold. Preis 1,50 Mk.
NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt und Referate darüber, soweit der be
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
Einsendern genügen. Die Verlagshandlung.
Soeben erschien im Verlage von Martin Hager in Bonn:
Über
den Einfluss des Seeklimas und der Seebäder
auf den Stoffwechsel des Menschen.
Von Prof. Dr. A. Loewy u. Privatdozent Dr. F. Müller,
Berlin. Berlin.
27 Seiten. Mit 2 Textfiguren. Preis Mk. 1.—.
Arbeiten
anf dem Gebiete der chemischen Physiologie
herausgegeben von Dr. med. Franz Taugl,
o. ö. Professor der physiolog. Chemie und Direktor des physiolog.-chem. Instituts
an der Universität Budapest.
I. Heft. 1903. gr. 8°. 160 S. Preis Mk. 7.40.
II. „ 1904. gr. 8°. 192 S. Preis Mk. 9.—.
Heft III erscheint im Herbst 1905.
Die Erregung, Hemmung und Narkose
von N. E. Wedensky, Prof. d. Physiol. in St. Petersburg.
Mit 33 Textfiguren. 1904. gr. 4°. 152 S. Preis Mk. 6.—.
Der Alkohol als Nahrnngsstoff.
Nach einem Vortrag in der VIII. Jahresversammlung des Verbandes
abstinenter Ärzte des deutschen Sprachgebietes auf der 75. Ver¬
sammlung Deutscher Naturforscher u. Arzte in Kassel am 25.Sept. 1903
von Prof. Dr. Rud. Rosemann.
1904. gr. 8°. 22 S. Preis Mk. —.80.
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Das preussische Gesetz, betr. die Bekämpfung
übertragbarer Krankheiten.
Von
Landesrat Schmedding (M(lnster),
Mitglied des Hauses der Abgeordneten.
Nach langen Beratungen und Kämpfen, die wiederholt im Sande
zu verlaufen drohten, ist endlich das in der Überschrift genannte
Gesetz im preussischen Landtage am 30. Juni d. J. zur An¬
nahme gelangt. Bei seiner grossen Bedeutung, die es nicht nur
für ärztliche Kreise, sondern auch für das ganze Volkswohl besitzt,
dürfte es angezeigt sein, dasselbe hier einer kurzen Erörterung zu
unterziehen. Mit Rücksicht auf die Berufsstellung des Verfassers, der,
nebenbei bemerkt, im Abgeordnetenhause das Amt des Berichterstatters
über das Gesetz wahrzunehmen hatte, wird es erklärlich erscheinen,
wenn — wie vorweg hervorgehoben sein mag — weniger die me¬
dizinische als die verwaltungsrechtliche und volkswirtschaftliche
Seite des Gesetzes hier in den Vordergrund tritt.
Dasselbe charakterisiert sich in erster Linie als ein landesrecht¬
liches Ausführungsgesetz zum Reichsgesetz, betr. die Bekämpfung
gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900 (R.-G.-Bl.
S. 306 ff.), gewöhnlich kurz Reichsseuchengesetz genannt, und gibt
diesem nach verschiedener Richtung hin erst die Möglichkeit der
Durchführung. In zweiter Linie geht es aber auch über den Rahmen
des Reichsgesetzes vielfach hinaus.
Das Reichsgesetz hat sich bekanntlich nur „mit der Bekämpfung
der Volksseuchen im engeren Sinne und zwar der wichtigsten pan
demischen Krankheiten — Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber,
Pest und Pocken — befasst und sich in bezug auf die anderen
übertragbaren Krankheiten auf einige wenige Bestimmungen von all¬
gemeiner Bedeutung beschränkt (vgl. die §§ 5 Abs. 2, 35 Abs. 2,
38, 39 Abs. 3), die eigentliche Bekämpfung dieser Krankheiten da¬
gegen, insbesondere die Anordnung der Abwehr- und Unterdrückungs¬
massnahmen, der landesgesetzlichen Regelung Vorbehalten (vgl. § 48
und Begründung zu dem § 46 des Entwurfs des Reichsgesetzes,
Centralblatt f. all#. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 20
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S. 50. 51 der Drucksache Nr. 690, Reichstag 10. Legislaturperiode
I. Session 1898/1900).
Ferner hat das Reicbsgesetz auch für die Bekämpfung
der gemeingefährlichen Krankheiten eine Reihe von Ausführungs¬
bestimmungen den Landesgesetzen tiberlassen.
Hierdurch erwuchs der Landesgesetzgebung eine doppelte Auf¬
gabe: einmal, die der landesgesetzlichen Regelung vorbehaltenen
Ausführungsbestimmungen zur Bekämpfung der gemeingefährlichen
Krankheiten zu erlassen, — soweit nach dem Stande der schon be¬
stehenden preussischen Gesetzgebung ein Bedürfnis hierzu vorlag und
die erforderlichen Massnahmen nicht im Verwaltungswege getroffen
werden können — und zweitens, die für die Bekämpfung der gemein¬
gefährlichen Krankheiten reichsgesetzlich getroffenen Massnahmen,
soweit nach Lage der Verhältnisse angezeigt, auch auf die nicht
gemeingefährlichen (übertragbaren) Krankheiten auszudehnen.
In ersterer Beziehung kommt, abgesehen von den in den §§ 5
Abs. 1. 16, 35 Abs. 3, 37 Abs. 2 des Reichsgesetzes enthaltenen
Vorschriften, inbesondere die Regelung der in den §§ 34 und 37
daselbst vorbehaltenen Kosten- und Entschädigungsfrage in Betracht.
Die gesetzliche Regelung der Bekämpfung auch der ander¬
weitigen übertragbaren Krankheiten w T ar für Preussen um so dringender
geboten, als die zur Zeit für die älteren Provinzen der Monarchie
noch gültigen, mit Gesetzkraft ausgestatteten Allerhöchst bestätigten
sanitätspolizeilichen Vorschriften (Regulativ) bei ansteckenden Krank¬
heiten vom '8. August 1835 (Gesetzsamml. S. 240) — nicht er¬
schöpfend und für die heutigen Verhältnisse auch zum Teil ver¬
altet sind. In den neuen Provinzen ist die Ordnung der Materie
im wesenllichen auf Grund des allgemeinen Polizeiverordnungsrechts
erfolgt, ein Zustand, welcher schon mit Rücksicht auf die bei dieser
Regelung unvermeidbare Verschiedenheit der Behandlung und wegen
des Mangels bestimmter die Zuständigkeit des polizeilichen Ein¬
schreitens im Einzelfalle begrenzender gesetzlicher Normen ebenfalls
als ein befriedigender nicht wird erachtet werden können.“ (Siehe
Begründung zum Gesetzentwurf; Drucks, des H. der Abg. Nr. 25
von 1904.)
Für Altpreussen kam der Übelstand hinzu, dass die höchst-
instanzlichen Gerichte „auf Grund der Annahme, dass das Regulativ
die Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten erschöpfend geregelt
habe und habe regeln wollen, eine Ergänzung seiner Bestimmungen
im Wege des Polizeiverordnungsrechts für unzulässig erklärt haben.“
(Begr. des Ges. S. 15.)
So wurde denn die Neuordnung der Materie und die Ersetzung
des Regulativs durch eine dem heutigen Stande der medizinischen
Wissenschaft entsprechende Seuchenordnung als unabweisliches Be-
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dürfnis immer mehr und mehr empfunden. Nachdem in bezug auf
die gemeingef4hrlichen Krankheiten diesem Bedürfnis bereits durch
das Reichsseuchengesetz Rechnung getragen worden war, wird nun¬
mehr auch bei einer grossen Reihe anderer übertragbarer Krank¬
heiten durch das in der Überschrift genannte Gesetz dasselbe Re¬
sultat erreicht.
Das preussische Gesetz trifft hauptsächlich Bestimmung:
1. über die Krankheiten, welche angezeigt werden müssen;
2. über die anzeigepflichtigen Personen;
3. über die Feststellung der übertragbaren Krankheiten;
4. über die Schutzmassregeln zur Verhütung der Verbreitung
der übertragbaren Krankheiten;
5. über das Verfahren und die zuständigen Behörden;
6. über die Entschädigungen, welche an die von den Schutz¬
massregeln betroffenen Personen zu zahlen sind und über das Ver¬
fahren zur Feststellung der Entschädigungen;
7. über die Träger der aus der Durchführung des Gesetzes
erwachsenen Kosten;
8. über Strafvorschriften;
9. über Aufhebung anderer mit dem Gesetze kollidierender
älterer Gesetze und den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes.
Zu 1. Die Krankheiten, auf welche nach dem Preussischen
Gesetze die Anzeigepflicht sich erstreckt, sind ausser den im § 1
des Reichsgesetzes aufgeführten sechs gemeingefährlichen Krank¬
heiten: nämlich Aussatz (Lepra), Cholera (asiatische), Fleckfieber
{Flecktyphus), Gelbfieber, Pest (orientalische Beulenpest), Pocken
(Blattern) noch folgende:
Diphtherie (Rachenbräune),
Genickstarre, übertragbare,
Kindbettfieber (Wochenbett-, Puerperalfieber),
Körnerkrankheit (Granulöse, Trachom),
Rückfallfieber (Febris recurrenz),
Ruhr, übertragbare (Dysenterie),
Scharlach (Scharlachfieber),
Typhus (Unterleibstyphus),
Milzbrand,
Rotz,
Tollwut (Lyssa), sowie Bissverletzungen durch tolle oder
der Tollwut verdächtige Tiere,
Fleisch-, Fisch- und Wurstvergiftung,
Trichinose.
Alle diese Krankheiten zusammen — also einschliesslich der gemein¬
gefährlichen des Reichsgesetzes — werden im preussischen Ge¬
setze unter dem Gesamtnamen „übertragbare Krankheiten“ ver-
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standen. Ob diese Zusammenfassung eine glückliche ist, kann füg¬
licherweise in Zweifel gezogen werden. Immerhin liess sich auf diese
Weise der Vorteil erreichen, dass im Gesetze die schwerfällige Über¬
schrift des Entwurfs: „Ausführungsgesetz zu dem Reichsgesetze,
betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom
30. Juni 1900“ vermieden wurde. Entnommen ist übrigens der
Sammelnamen dem § 35 des Reichsgesetzes, nach welchem die Ge¬
meinden zur Herstellung von Trink- und Wirtschaftswasserleitungen
zum Schutze nicht nur gegen gemeingefährliche, sondern ganz all¬
gemein gegen „übertragbare Krankheiten“ angehalten werden
können. Zu den übertragbaren Krankheiten im medizinischen Sinne
gehören bekanntlich u. a. auch Masern, Wurmkrankheit, Syphilis,
Röteln, Malaria, Keuchhusten und Influenza. Der Gesetzgeber hat
davon abgesehen, auch auf diese Krankheiten die Anzeigepflicht zu
erstrecken. Ein Teil derselben war bisher nach dem Regulativ vom
8. August 1835, das sich auch noch auf Krätze, Weichselzopf, bös¬
artigen Kopfgrind, Krebs und Gicht bezog, anzeigepflichtig. Mit dem In¬
krafttreten des neuen Gesetzes hören die diesbezüglichen Verpflicbtuugs-
bestimmungen auf. Die Beschränkung auf die oben genannten, fortan
anzeigepflichtigen Krankheiten ist vom Gesetzgeber in den Motiven
des Gesetzes (Drucks, des Abg.-Hauses Nr. 25. S. 27) eingehend
begründet worden und man wird dieser Begründung, auf die hier
nur kurz verwiesen werden kann, seine Anerkennung nicht versagen
können. Um so mehr aber muss es bedauert werden, dass ln dem
preussischen Gesetze abweichend vom ursprünglichen Entwürfe — ab¬
gesehen von der sogleich besonders zu erwähnenden Tuberkulose —
überall nur die wirklichen Erkrankungs- und Todesfälle der Anzeige¬
pflicht unterworfen sind, während doch eine wirksame und recht¬
zeitige Bekämpfung der Seuchen, mindestens bei Kindbettfieber,
Rückfallfieber, Typhus und Rotz es nötig gemacht hätte, hier auch
schon den Verdacht dieser Krankheiten einzubeziehen. Zutreffend
hatte hierüber die Begründung des Gesetzentwurfes (Drucks. 25
a. a. 0. S. 32) bemerkt:
„Wie schon früher ausgeführt ist, erzeugt der Typhus, bei uns
fast jedes Jahr mehr oder weniger heftige Epidemien, welche der
Gesundheit und dem Vermögen der Bevölkerung schwere Schädigungen
zuftigen. Bei der genaueren Erforschung dieser Epidemien hat sich
nachweisen lassen, dass sie ihren Anfang fast stets von leichten
Typhusanfällen genommen haben, welche den Behörden unbekannt
geblieben waren, da sie wegen ihrer Leichtigkeit nicht als Typhus
erkannt bezw. überhaupt nicht angezeigt worden sind. Es gibt eine
beträchtliche Anzahl von Typhusfällen, die so leicht verlaufen, dass
die Kranken sich zwar matt und unpässlich fühlen, wohl etwas über
Kopfschmerz, Frösteln, Mangel an Appetit und leichten Durchfall
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klagen, im übrigen aber fast während der ganzen Dauer der Krankheit
ausser Bett bleiben und vielfach auch nicht behindert sind, ihrer
gewohnten Beschäftigung nachzugehen. Diese sogenannten „am¬
bulanten“ Typhen begünstigten die Verbreitung der Seuche in viel
höherem Grade, als die schweren Erkrankungen. Die Leichtkranken,
sogenannte „Bazillenträger“, welche frei umhergehen, aber auch wie
Schwerkranke, wenn auch nicht in gleichem Masse, an Durchfällen
leiden, können die in den Stuhlentleerungen und dem Harn enthaltenen
Typhusbazillen und damit die Gefahr der Ansteckung viel leichter
verbreiten, als Kranke, welche, an das Bett gefesselt, nur mit wenigen
Menschen in Berührung kommen. Einschleppungen von Typhus aus
dem Auslande und von Ort zu Ort kommen meistens gerade durch
solche ambulanten Typhuskranken zustande, ganz in derselben Weise,
wie es bei der Cholera der Fall zu sein pflegt.
Aber nicht nur solche leichten Fälle entziehen sich der Kenntnis
der Behörden, sondern nicht selten werden auch ausgesprochene
Typhusfälle gar nicht oder erst nach mehrwöchiger Dauer zur Anzeige
gebracht. Das hat vorwiegend seinen Grund darin, dass die für die
Typhuserkrankung charakteristischen Erscheinungen nicht gleich im
Anfänge deutlich erkennbar hervortreten, dass sie allmählich und suk¬
zessiv sich entwickeln und einige von ihnen in manchen Fällen über¬
haupt nicht zur Beobachtung gelangen. Vorsichtige Ärzte pflegen eine
Erkrankung erst dann als Typhus zu erklären, wenn sie alle Symptome
der Krankheit beobachtet haben, bis dahin aber, zur Vermeidung einer
Beunruhigung des Kranken durch eine vorschnelle Typhusdiagnose,
von „gastrischem Fieber“ zu sprechen oder der Krankheit gar keinen
Namen zu geben. Dies wäre unbedenklich, wenn sie die Krankheit
trotzdem als Typhus behandelten und von vornherein durch Absonderung
des Kranken und Desinfektion seiner Wäsche und Ausleerungen
einer Weiterverbreitung der Krankheit entgegentreten würden. Dies
wird jedoch meistens unterlassen.
Die vorstehenden Erwägungen enthalten eine ausreichende Recht¬
fertigung für die Einführung der Anzeigepflicht auch für solche Er¬
krankungen, welche nur den Verdacht des Typhus erwecken. Die
Anzeige versetzt die Behörden in die Lage, mit Hülfe der beamteten
Ärzte sofort die erforderlichen Massregeln anzuordnen und dadurch
manche Epidemie zu verhüten, welche bei der gegenwärtigen Lage
der Verhältnisse unvermeidlich ist.
Eine noch grössere Bedeutung hat die Anzeigepflicht für ver¬
dächtige Fälle von Rotz, weil diese Krankheit besonders bösartig
und ansteckend und ihre sichere Erkennung mit den grössten
Schwierigkeiten verbunden ist, so dass bei dem langwierigen Ver¬
lauf der Erkrankung schon vor ihrer sicheren Feststellung zahlreiche
Übertragungen stattfinden können.
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Das Rückfallfieber ist mit Hülfe des Mikroskops leicht zu
diagnostizieren, ohne dieses aber erst erkennbar, wenn der erste
Anfall der Krankheit vorüber und ein zweiter erfolgt ist, was einen
Zeitraum von 8—14 Tagen erfordern kann. Wird nicht auch der
Verdacht der Krankheit anzeigepflichtig gemacht, so entzieht sich
der Fall der Kenntnis der Behörden, oder diese erfahren erst zu
einem Zeitpunkte davon, nachdem schon vielleicht zahlreiche Über¬
tragungen der Krankheit stattgefunden haben. Bei der Meldung
auch des Krankheitsverdachts dagegen ist der beamtete Arzt in der
Lage, durch unverzügliche Vornahme einer mikroskopischen Unter¬
suchung des Blutes die Krankheit rechtzeitig als solche festzustellen
und die erforderlichen Schutzmassregeln in die Wege zu leiten.
Der Umstand, dass auch das Kindbettfieber in der ersten Zeit
der Erkrankung als solches häufig schwer erkennbar ist, lässt es
als geboten erscheinen, auch Erkrankungen, welche den Verdacht
dieser Krankheit erwecken, anzeigepflichtig zu machen, um recht¬
zeitig die Handhabe zu einer sicheren und wirksamen Bekämpfung
dieser für die gebärenden Frauen verhängnisvollen Krankheit zu
gewinnen.“
Überzeugt von der Richtigkeit und Wichtigkeit dieser Gründe
hat denn auch das Haus der Abgeordneten, dem Gesetzentwürfe
folgend, die genannten Verdachtsfälle in die Anzeigepflicht ein¬
beziehen wollen und den bezüglichen Bestimmungen seine Zustimmung
erteilt. (Stenogr. Bericht d. H. d. A. für 1905, S. 12642 ff.) Leider
hat das Herrenhaus einen anderen Standpunkt eingenommen und
die Anzeigepflicht bei Verdachtsfällen gänzlich gestrichen (Stenogr.
Bericht des Herrenhauses, S. 931 ff.) und zwar hauptsächlich deshalb,
weil sich zu wenig übersehen lasse, zu welcher Zeit der Verdacht
erkannt werden kann; es würden deshalb voraussichtlich ängstliche
Ärzte, um nicht strafbar zu werden, manche Fälle zur Anzeige
bringen, von denen sich hinterher ergebe, dass sie mit den vom
Gesetze betroffenen Krankheiten nichts gemein hätten. Um aber
die Ärzte und das ganze Publikum vor solchen ausserordentlich
lästigen Verhältnissen zu schützen, sei es wünschenswert, die Ver¬
dachtsfälle im Gesetze nicht zu berücksichtigen.
Im Hinblick auf die grossen Verheerungen, die auch jetzt noch
insbesondere Typhus und Kindbettfieber alljährlich im deutschen
Vaterlande anrichten — so sind z. B. im Jahre 1902 noch 28460
Typhusfälle, davon fast 3000 mit tödlichem Erfolge, vorgekommen
— dürfte es nicht als eine Verbesserung des Gesetzes angesehen
werden, wenn das Herrenhaus jenen Standpunkt eingenommen hat
Nachdem dies aber einmal geschehen war, handelte es sich schliess¬
lich für das Haus der Abgeordneten um die Frage, ob es das Ge¬
setz in der Fassung des Herrenhauses annehmeu oder das ganze
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Gesetz fallen lassen wollte. Den ersteren Weg hat das Abgeordneten¬
haus eingeschlageu und hiermit die Möglichkeit der Verabschiedung
des lang ersehnten Gesetzes geboten. Die Verdachtsfälle sind hier¬
mit aus dem preussischen Gesetze beseitigt, während nach dem
Reichsgesetze jeder Fall, welcher den Verdacht einer der sechs ge¬
meingefährlichen Krankheiten erweckt, nach wie vor angezeigt
werden muss.
Was die vorhin schon genannte Tuberkulose anbelangt, so
sollte nach dem Entwürfe des preuss. Gesetzes (§ 1 Abs. 3) nicht
nur jeder Todesfall an Lungen- und Kehlkopf tuberkulöse,
sondern auch der Wohnungswechsel einer an vorgeschrittener Lungen-
und Kehlkopftuberkulose erkrankten Person angezeigt werden. Es
war u. E. hiermit das Mindestmass dessen gefordert, was zur Be¬
kämpfung des bekanntermassen ausserordentlich stark verbreiteten
Würgengels des Volkes unbedingt erforderlich ist; denn darüber kann
ein Zweifel nicht bestehen, dass gerade das Beziehen der durch
Tuberkulose verseuchten Wohnungen für die Gesundheit der Be¬
wohner die grössten Gefahren mit sich bringt. Obwohl in der Ver¬
sammlung des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
zu Dresden im Sept. 1903, ferner in der internationalen Tuberku¬
losenkonferenz in Kopenhagen im Mai 1904 einstimmig der Beschluss
gefasst worden ist, dass für alle Todesfälle und alle vorgeschrittenen
Erkrankungen an Lungen- und Kehlkopftuberkulose die Anzeige-
pflicht unentbehrlich sei, obwohl endlich schon in Norwegen, Italien
und Österreich die Anzeigepflicht eingeführt worden ist, auch ver¬
schiedene deutsche Staaten und preussische Bezirke dieselbe schon
kannten, hat dennoch das Abgeordnetenhaus es lediglich bei der
Pflicht zur Anzeige von Todesfällen bewenden lassen, und das Herren¬
haus ist ihm hierin beigetreten. Massgebend war in erster Linie
die Rücksicht auf die an Tuberkulose Erkrankten, von denen der
Landtag annahm, dass sie es sehr lästig empfinden müssten, ge-
wissermasseu unter Polizeiaufsicht zu stehen und dass ihnen b:i
strenger Durchführung der Anzeigepflicht Schwierigkeiten in Ge¬
winnung neuer Wohnungen begegnen würden. Es lässt sich gewiss
nicht in Abrede stellen, dass dieser Gesichtspunkt Einiges für sich
haben mag; indessen wichtiger will uns doch scheinen, dass die
vielen Millionen, die jetzt noch gesund sind, vor Ansteckung ge¬
schützt werden. Aus diesem Grunde ist es lebhaft zu beklagen, dass,
wenn die Anzeigepflicht der Krankheitsfälle selbst nicht zur Ein¬
führung gelangen konnte, dann doch nicht wenigstens der Wohnungs¬
wechsel angezeigt werden muss. Hoffentlich gelingt es in absehbarer
Zeit, wenn einmal das neue Gesetz sich eingelebt hat und seine
wohltätigen Wirkungen von der breiten Masse des Volkes anerkannt
worden sind, jenen Mangel zu beseitigen und der Kgl. Staatsregierung
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die Handhabe zu bieten, um der Tuberkulose, der innerhalb der
preussischen Staaten in den Jahren 1890 bis 1896 durchschnittlich
jährlich 74 050 Personen — d. h. 236,6 von je 100 000 der am
1. Januar Lebenden — zum Opfer fielen, in wirksamer Weise und
rechtzeitig entgegentreten zu können.
Zu 2. Während, wie aus Vorstehendem sich ergibt, die ob¬
jektive Anzeigepflicht Gegenstand langwieriger Erörterungen im
Landtage war, haben die Bestimmungen des Entwurfs über die sub¬
jektive Anzeigepflicht zu grösseren Bemängelungen nicht geführt.
Sie ist genau so wie im Reichsgesetze (§ 2) auch im preuss. Ausf.-
Gesetze dahin geregelt, dass zur Anzeige verpflichtet sind:
1. der zugezogene Arzt,
2. der Haushaltungsvorstand,
3. jede sonst mit der Behandlung oder Pflege des Erkrankten
„beschäftigte“ Person,
4. derjenige, in dessen Wohnung oder Behausung der Er-
krankungs- oder Todesfall sich ereignet hat,
5. der Leiclienbeschauer.
Für Krankheits- und Todesfälle, welche sich in öffentlichen
Kranken-, Entbinduugs-, Pflege-, Gefangenen- und ähnlichen Anstalten
ereignen, ist der Vorsteher der Anstalt oder die von der zuständigen
Stelle damit beauftragte Person ausschliesslich zur Erstattung der
Anzeige verpflichtet.
Auf Schiffen oder Flössen gilt als der zur Erstattung der An¬
zeige verpflichtete Haushaltungsvorstand der Schiffer oder Floss-
führer oder deren Stellvertreter.
Die Verpflichtung der unter Nr. 2 bis 5 genannten Personen
tritt nur dann ein, wenn ein früher genannter Verpflichteter nicht
vorhanden ist.
Nach dem Gesetzentwürfe sollten die unter 1 und 3 bezeich-
neten Personen in jedem Falle, in welchen sie von Unteroffizieren
und Mannschaften des aktiven Heeres zur Behandlung von Syphilis,
Tripper oder Schanker zugezogen werden, dies dem Kommando des
betreffenden Truppenteils oder dem bei demselben angestellten Ober-
Militärarzte unverzüglich anzeigen.
Der diesbezügliche Vorschlag des Entwurfes wurde jedoch vom
Abgeordnetenhause in der III. Lesung verworfen und zwar haupt¬
sächlich aus folgender Erwägung: „Vor allem hielt man es für be¬
denklich, das Prinzip der Verschwiegenheitspflicht des Arztes, welche
sogar den gewerbsmässigen Prostituierten gegenüber gewahrt werden
soll, ausschliesslich gegenüber den Soldaten niederer Chargen zu
durchbrechen. Hierzu liege um so weniger Veranlassung vor, als
ja die Kranken durch Inanspruchnahme des Zivilarztes die Absicht
bekundeten, sich überhaupt behandeln zu lassen, andererseits gerade
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aus naheliegenden Gründen den Zivilarzt aufsuchen, auf dessen Ver¬
schwiegenheit sie bauen.
Die bezügliche Bestimmung des Entwurfes habe schon
jetzt grosse Unzufriedenheit in ärztlic'hen Kreisen her¬
vorgerufen und es sei zu befürchten, dass bei Aufrechterhaltung der
Bestimmung ein Teil der Ärzte es nach wie vor für ihre Gewissens¬
pflicht halten würde, die sie konsultierenden geschlechtskranken
Soldaten, selbst auf die Gefahr hin, in Strafe genommen zu werden,
nicht anzuzeigen, während ein anderer Teil die Behandlung ablehnen
werde, um einem Konflikt zwischen der Arztpflicht und der durch
die vorliegende Bestimmung geschaffenen Pflicht vorzubeugen. Die
Folge werde sein, dass die Bestimmung ohne Wirkung bleiben werde,
wie ja auch eine ähnliche im Regulativ vom 8. August 1835 ent¬
haltene Vorschrift, obwohl sie später höheren Ortes zur Nachachtuug
eingeschärft worden, ohne Erfolg geblieben sei. Ausserdem wurde
geltend gemacht, dass die qu. Bestimmung — welche einen un¬
schönen Gegensatz zwischen Militär- und Zivilpersonen
und den Ärzten eine überaus lästige Gewissenspflicht schaffe — doch
offenbar nur den Zweck habe, die an einer Geschlechtskrankheit
leidenden Soldaten zwangsweise in das Militärlazarett zu bringen.
Hierdurch werde aber besonders für die Einjährig-Freiwilligen eine
grosse Härte begründet, da sie im allgemeinen lieber von Zivilärzten
und ausserhalb des Militärlazaretts sich behandeln Hessen.
Überdies müsse angenommen werden, dass viele Soldaten bei
Aufrechterhaltung der qu. Vorschrift auch einen Zivilarzt nicht auf¬
suchen würden, weil sie Furcht vor der Offenbarung ihrer Krank¬
heit haben werden. (Vergl. Bericht der Kommission des Abg.-
Hauses, Drucks. Nr. 555 S. 3 — 4.) Obwohl ein Vertreter des
Kriegsministeriums der Streichung energisch widersprach, ist es da¬
bei geblieben.
Zu 3. In den Bestimmungen über Ermittelung der Krank¬
heit lehnt sich das preuss. Ausf.-Ges. (§§ 6 — 7) eng an das Reichs¬
seuchengesetz an, dessen Bestimmungen im allgemeinen auch bei den
übertragbaren Krankheiten des preuss. Gesetzes für anwendbar er¬
klärt werden. Nach dem Reichsgesetze muss die Polizeibehörde,
sobald sie von dem Ausbruch oder dem Verdachte des Auftretens
einer gemeingefährlichen Krankheit Kenntnis erhält, den zuständigen
beamteten Arzt benachrichtigen. Letzterer erhält hiermit die Pflicht,
Ermittlungen über den Ort, den Stand und die Ursache der Krankheit
anzustellen. „Er soll aber nicht genötigt sein, auf die polizeiliche
Nachricht in allen Fällen zu warten; geht ihm anderweit eine Nach¬
richt zu, nach welcher das Auftreten eines bedrohlichen Krankheits¬
falles weitere Kreise der Bevölkerung als gefährdet erscheinen lässt,
so soll er der Not der Lage gerecht werden können und ohne polizei-
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liehe Benachrichtigung die Feststellung vornehmen dürfen.“ (Begr.
zum Reichsges. S. 23.)
Von diesen Vorschriften weicht das preuss. Ges. hauptsächlich
in folgenden drei Punkten ab:
a) Nach dem Reichsgesetz tritt- die Ermittelungspflicht schon
ein, sobald der Verdacht des Auftretens einer gemeingefährlichen
Krankheit vorliegt; anders nach preussischem Gesetz. Abge sehen
von Kindbettfieber und Typhus ordnet dasselbe die Ermittelungen
nur an bei Erkrankungen und Todesfällen. Der Gesetzentwurf wollte
weiter gehen und wenigstens noch bei Auftreten des Verdachts von
Rückfallfieber und Rotz Ermittelungen eintreten lassen. Diese Aus¬
dehnung hat aber im preuss. Herrenhause keine Gnade gefunden.
So sehr man dies vom sanitären Standpunkte aus wird beklagen
müssen, so muss man sich doch andererseits freuen, dass wenigstens
bei Kindbettfieber und Typhus die Verdachtsfälle zur Begründung
der Ermittlungspflicht gerettet worden sind. Eins lässt sich dabei
freilich nicht leugnen: Es ist damit eine gewisse Inkonsequenz mit
dem § 1 des Ges. begründet worden. Denn anzeigepflichtig ist
Verdacht bei Typhus und Kindbettfieber nicht; trotzdem tritt Er¬
mittlungspflicht ein, sobald die Polizei von irgend einer Seite Kenntnis
von dem aufgetauchten Verdacht erhält.
b) Nach dem Reichsgesetze sind die Ermittelungsmassnahmen
ganz in die Hände des beamteten Arztes gelegt, „weil hierdurch
deren rasche und gleichmässige Erledigung gewährleistet wird“.
(Begr. a. a. 0.) Das preuss. Gesetz weicht hiervon ab bei Diphtherie,
Körnerkrankheit und Scharlach, indem hierbei die Feststellung durch
jeden Arzt genügen soll und auch von solcher Feststellung noch ab¬
gesehen werden kann, wenn die Anzeige über den Ausbruch der
Krankheit von eiuem Arzte erstattet worden ist. Die Abweichung
von der Regel ist in der Begründung des Gesetzentwurfes (S. 38)
mit dem Hinweise begründet, dass Dyphtherie, Scharlach und Körner¬
krankheit „wegen ihrer verhältnismässig leichten Erkennbarkeit die
Mitwirkung des beamteten Arztes im allgemeinen entbehrlich“ mache
und dass dringende Veranlassung vorliege, „die ohnehin starke Be¬
lastung der beamteten Ärzte durch Dienstgeschäfte nicht über da9
unvermeidliche Mass hinaus weiter zu steigern“.
Ein Versuch der vom Abgeordnetenhause zur Vorberatung des
Gesetzes eingesetzten Kommission, bei jenen drei Krankheiten die
Ermittelungen durch den beamteten Arzt wenigstens in den Fällen
vorzuschreiben, in welchen die Krankheit nicht von einem Arzt an¬
gezeigt worden ist, scheiterte an dem Widerstande der Kgl. Staats¬
regierung. Diese berief sich dabei auf einen Beschluss der preuss.
Ärztekammer aus dem Jahre 1903, worin darum petitioniert worden
sei, „man möge den Ärzten doch nicht ein solches Misstrauensvotum
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geben, zu erklären, dass die Feststellung dieser Krankheiten durch
den beamteten Arzt erforderlich sei.“ (S. Bericht der Kommission
des Abg.-Hauses Drucksache Nr. 207 S. 10.) Eine andere Ansicht
vertrat z. B. Rapmund in Heft 24 der Zeitschrift für Medizinal¬
kunde für 1904, der u. E. in zutreffender Weise erklärte, wie folgt:
„Ebenso ist leider im § 6, Abs. 3 die Bestimmung stehen ge¬
blieben, dass die Ortspolizeibehörde „bei Diphtherie, Körnerkrank¬
heit und Scharlach die ersten Fälle feststellen zu lassen hat, aller¬
dings nur dann, wenn sie nicht von einem Arzte angezeigt sind.
Wir stehen in dieser Hinsicht nach wie vor auf dem Standpunkt,
dass die Feststellung ansteckender Krankheiten stets eine amts¬
ärztliche sein muss, und andere Arzte zu solchen Tätigkeiten
nicht ohne Not heranzuziehen sind. Die Ansicht, dass die Kreis¬
ärzte ausserstande seien, den an sie in dieser Beziehung zu
stellenden Anforderungen nachzukommen, ist unzutreffend, denn
derartige Ermittelungen werden infolge der einschränkenden Fassung
des § 6, Abs. 3 gar nicht so häufig notwendig sein, als vielfach
angenommen wird, jedenfalls bei weitem nicht so häufig als bei den
Viehseuchen, bei denen durch das Gesetz in allen ersten Fällen
ohne jede Einschränkung die Feststellung durch den beamteten Tier¬
arzt vorgeschrieben ist, während die Ermittelung bei Scharlach, Diph¬
therie und Körnerkrankheit überhaupt nur bei den nicht von Ärzten
angezeigten ersten Erkrankungsfällen erforderlich sein soll. Wenn
ausserdem die Kommission den § 25 des Gesetzentwurfes dahin ab¬
geändert hat, dass auch bei diesen Feststellungen der Staat die
Kosten tragen soll, dann ist es doch nur konsequent, dass diese
Tätigkeit auch den Amtsärzten übertragen wird. § 6, Abs. 3
sollte deshalb dahin abgeändert werden, „dass auch bei den ersten
Fällen von Diphtherie, Scharlach und Körnerkrankheit eine amtsärzt¬
liche Feststellung stattzufinden hat, soweit diese nicht von einem
Arzte angezeigt sind.“
Prof. Löffler dagegen billigt in Nr. 49 der deutschen medi¬
zinischen Wochenschrift für 1904 den entgegengesetzten Stand¬
punkt. Nachdem dieser einmal Aufnahme in das Gesetzbuch ge¬
funden hat, dürfte es überflüssig sein, noch in eine nähere Prüfung
der Lage hier einzutreten.
c) Bei Vornahme der zur Feststellung der Krankheit erforder¬
lichen Massnahmen ist der beamtete Arzt durch das preussische Ge¬
setz nicht so frei gestellt wie im Reichsgesetze. Nach letzterem
ist ihm, soweit er es zur Feststellung der Krankheit für erforder¬
lich und ohne Schädigung des Kranken für zulässig hält, der Zu¬
tritt zum Kranken oder zur Leiche und die Vornahme der zu den
Ermittelungen über die Krankheit erforderlichen Untersuchungen
unbedingt zu gestatten. Weder der behandelnde Arzt, noch auch
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der Haushaltungsvorstand können ihm verwehren, das zu tun, was
er für erforderlich hält. Der beamtete Arzt allein hat also das
Entscheidungsrecht. Anders nach preussischem Rechte. Hier ist
ihm der Zutritt zum Kranken untersagt, wenn der behandelnde Arzt
erklärt, dass von dem Zutritt eine Gefährdung der Gesundheit oder
des Lebens des Kranken zu befürchten ist. Noch mehr ist er ein¬
geschränkt bei Kindbettfieber oder Verdacht desselben, indem hier¬
bei der Zutritt zur Kranken nur mit Zustimmung des Haushaltungs¬
vorstandes gestattet ist. Nach preussischem Rechte unterliegt hier¬
mit schliesslich der beamtete Arzt dem Befinden des behandelnden
Arztes bezw. des Haushaltungsvorstandes; u. E. sehr zum Schaden
der Volkswohlfahrt. Wenn auch anzunehmen ist, dass die beamteten
Ärzte sich ein kollegiales gutes Verhältnis zu den übrigen Ärzten
ihres Kreises angelegen sein lassen, auch auf uneinsichtige und
weigerliche Haushaltungsvorstände mit Nachdruck einzuwirken ver¬
stehen werden, so ist es doch immerhin denkbar, dass Privatärzte
oder Haushaltungsvorstände in unnötiger oder unbegründeter Weise
dem Zutritt zum Kranken Widerstand entgegensetzen und hierdurch
die Feststellung der Krankheit und in weiterer Folge die Bekämpfung
einer übertragbaren Krankheit erschweren oder gar verhindern wer¬
den. Zur Vermeidung solcher Übelstände wäre es gewiss besser
gewesen, wenn der preussische Landtag sich dazu hätte verstehen
können, von den Bestimmungen des Reichsgesetzes im preuss. Ausf.-
Gesetze nicht abzuweichen. Leider ist das doch geschehen; hoffen
wir, dass die vollendete Tatsache in Wirklichkeit nicht die traurigen
Folgen haben wird, die sie zweifellos haben kann!
4. Die Massregeln, welche das preussische Gesetz gegenüber
den übertragbaren Krankheiten vorschlägt, „sind zwar im all¬
gemeinen dieselben, welche das Reichsgesetz zur Bekämpfung der
gemeingefährlichen Krankheiten für zulässig erklärt. Um jedoch
voreiligen, unnötigen und zu weit gehenden Massregeln vorzubeugen,
ist in dem §8 des „Entwurfes“ jetzt (Gesetzes) eine Spezialisierung
dahin gegeben, dass „die Massnahmen, welche bei jeder einzelnen
der hier in Betracht kommenden übertragbaren Krankheiten an¬
geordnet werden können, genau und bestimmt bezeichnet sind“
(Begr. des Entwurfs S. 39), also mit der Massgabe, dass im Einzel¬
falle die für die betreffende Krankheit als zulässig bezeichnete
Massnahme nicht angewendet werden muss, sondern nur an¬
gewendet werden darf. Bezüglich der Einzelheiten kann auch
hier nur auf § 8 des Gesetzes verwiesen werden. Von besonderem
Interesse dürfte sein, dass das Gesetz insofern eine nicht unwesent¬
liche Änderung des ursprünglichen Entwurfes gebracht hat, als es
bei Diphtherie und Scharlach den Eltern nicht mehr das absolute
Recht beilegt, die Überführung ihrer Kinder in ein Krankenhaus
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299
oder in einen anderen geeigneten Unterknnftsraum durch ihren
blossen Widerspruch zu verhindern. Der Widerspruch soll vielmehr
nur dann noch berücksichtigt werden müssen, wenn nach der An¬
sicht des beamteten Arztes oder des behandelnden Arztes eine aus¬
reichende Absonderung in der Wohnung sicher gestellt ist. Diese
Änderung verdient mit Recht voll gebilligt zu werden. „Wie über¬
aus häufig kommt es noch vor, dass in Ein-Zimmer-Wohnungen
ganze Familien hausen. Wie soll es da möglich sein, die weitere
Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, wenn nicht die Infektions¬
quelle beseitigt, das erkrankte Individuum herausgenommen wird?
In der Regel wird ja in solchen Fällen gegen die Entfernung eines
erkrankten Kindes aus der Behausung und gegen die Überführung
in ein Krankenhaus seitens der Eltern ein Einspruch nicht erhoben
werden. Aber es liegt doch die Möglichkeit vor, dass trotz der
trostlosesten Wohnungsverhältnisse und trotz der grössten Misere
die Eltern ihr krankes Kind bei sich behalten wollen. Bliebe ihnen
ein t Einspruchsrecht gegen die Herausnahme gesetzlich gewahrt, so
würde in manchen Fällen die ganze Bekämpfung illusorisch gemacht
werden. Das geht aber im allgemeinen Interesse nicht an.“ (Löffler:
Der Entwurf des Ausführungsgesetzes usw. in Nr. 49 der Deutschen
Medizinischen Wochenschrift für 1904). Dass übrigens bei der Ent¬
scheidung über die Zugkraft des Widerspruchs der Eltern dem
Urteile des behandelnden Arztes gerade so viel Gewicht
beigelegt wird, wie dem von der Privatpraxis unabhängigeren be
amteten Arzte, dürfte freilich nicht ganz unbedenklich sein. Immerhin
bringt die Fassung des Gesetzes einen so grossen Vorzug vor der
des Entwurfes, dass man sich mit jener, wenn auch nicht ganz
unbedenklichen Fassung des Gesetzes um so lieber wird abfinden,
als man doch die Überzeugung haben darf, dass es einem einsichts¬
vollen und energischen beamteten Arzte gelingen wird, seine An¬
sicht auch bei dem Privatärzte zur Anerkennung zu bringen.
Wenn in den Gesetzes Vorschriften über die Schutzmassregeln bei
Rückfallfieber, Ruhr und Typhus das Verbot oder die Beschränkung
der Ansammlung von grossen Menschenmengen erst für zulässig er¬
klärt sind, „sobald die Krankheit einen epidemischen Charakter an¬
genommen hat, so wird man darüber zweifelhaft sein können, ob
diese Bestimmung nicht zu eng gefasst ist. In dieser Hinsicht heisst
es wohl nicht mit Unrecht in dem bezüglichen Aufsatze des
Dr. Rapmund in Heft 4 der Zeitschrift für Medizinalbeamte von
1904: „Ganz abgesehen davon, dass nach der Fassung der Vorschrift
die Annahme des Eintritts dieses Zeitpunktes sehr von dem sub¬
jektiven Ermessen der Behörden abhängt, wird vor allem ein ver¬
spätetes Verbot nicht mehr den erwarteten Erfolg haben; denn es
soll eben das epidemische Auftreten der Krankheit verhindern und
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300
bat, in dieser Weise gebraucht, viel mehr Aussicht auf Erfolg, als
wenn es erst in Kraft tritt, nachdem die Krankheit bereits zur
Epidemie ausgewachsen ist. Dass kein Missbrauch mit jener Mass-
regel getrieben wird, dafür genügt ein entsprechender Hinweis in
den Ausführungsbestimmungen; eine gesetzliche Festlegung einer
solchen beschränkenden Vorschrift kann aber vorkommendenfalls
zur grössten Schädigung der öffentlichen Gesundheit führen, indem
sich die Behörden mit Rücksicht auf jene Bestimmung scheuen, recht¬
zeitig eine solche den Verkehr allerdings einschränkende, aber zur
Verhütung einer Epidemie unbedingt notwendige Anordnung zu treffen. u
Diese gewiss beachtenswerte Kritik hat im Landtage keine
Vertreter gefunden, offenbar aus dem Grunde, weil durch ent¬
sprechende Vorschläge die Feinde der ganzen Gesetzesvorlage, die
denselben ohnehin ein zu scharfer Eingriff in die Freiheit des
Volkes zu sein schien, nur noch vermehrt worden wären, während
es für die Freunde darauf ankam, nicht durch neue Gesichtspunkte
und Änderungsanträge die Verabschiedung zu erschweren.
5. In den den vierten Abschnitt umfassenden §§12 und 13 des
Gesetzes werden Vorschriften über das Verfahren und die Behörden
gegeben und zwar werden geregelt die Fragen:
a) welche Polizeibehörden zuständig sind zur Vornahme
der im Gesetze den Behörden überwiesenen Obliegenheiten;
b) welche Ärzte als beamtete Ärzte im Sinne des Ge¬
setzes gelten;
c) in welcher Weise die Anordnungen der Polizei¬
behörden angefochten werden können.
Die Regelung der beiden ersten Fragen ist im Gesetze in
einfacher und klarer Weise erfolgt, so dass hier darüber hinweg¬
gegangen werden kann. In bezug auf die Anfechtung der polizei¬
lichen Anordnungen hatte der Gesetzentwurf den Vorschlag ge¬
bracht, dass gegen solche Anordnungen nur die Beschwerde im
Aufsichtswege stattfinde, so dass nacheinander zur Entschei¬
dung berufen gewesen wären der Landrat, der Regierungspräsident
bezw. Oberpräsident und der Minister der Medizinalangelegenbeiten
(letzterer im Einvernehmen mit den sonst beteiligten Ministern). Die
so vorgeschlagene Regelung des Instauzenzuges hätte den Vorteil ge¬
bracht, dass die angefochtene Anordnung nicht nur in bezug auf recht¬
liche Zulässigkei t,sondern auch in bezug auf rechtliche Zweckmässig¬
keit und Notwendigkeit einer Nachprüfung unterzogen werden konnte.
Dessenungeachtet hat der Landtag es im Interesse grösseren Rechts¬
schutzes für richtiger gehalten, die Anordnungen der Polizeibehörden
durch die im Landesverwaltungsgesetze zugelassenen Rechtsmittel
anfechten zu lassen. Darnach gibt es nach näherer Massgabe der
§§ 127 — 128 des Landes Verwaltungsgesetzes entweder die Be-
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schwerde mit nachfolgender Klage im Verwaltungsstreitverfahren
oder von vornherein die Anfechtung im Klagewege.
Die Königliche Staatsregierung hat anfänglich diese Ab¬
änderung energisch bekämpft, schliesslich aber, mehr der Not als
dem eigenen Triebe gehorchend, nachgegeben und die Abänderung
gebilligt. Ob dieselbe in der Tat eine Verbesserung des Gesetzes
darstellt, glauben wir hier ununtersucht lassen zu dürfen, da diese
Frage weniger die medizinischen, als vielmehr die juristischen und
Verwaltungs-Kreise interessieren wird.
6. Das Reichsgesetz hat in den §§ 28—33 gewissen Personen,
denen aus der Durchführung einer Schutzmassregel Schäden er¬
wachsen, — nämlich aus der Beschränkung der Wahl des Auf¬
enthaltes oder der Arbeitstätte, aus der Absonderung, aus einer
Desinfektion und aus der Vernichtung verseuchter Sachen, — einen
gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung aus „öffentlichen
Mitteln“ (§ 34) eingeräumt, indessen nicht weiter bestimmt, wie die
Entschädigung ermittelt werden soll. Diese Lücken auszufüllen,
sind die §§ 14—24 des preussischen Gesetzes bestimmt. Gleich¬
zeitig regelt letzteres dabei die Fragen, ob und inwieweit auch für
diejenigen Schäden, welche in Durchführung der preussisch recht¬
lichen Bestimmungen bei den im preussischen Ausführ.-Gesetze
hinzugekommenen Krankheiten entstehen, Entschädigung geleistet
werden muss. Im allgemeinen geht es davon aus, dass jeder die
Folgen der im Interesse der Allgemeinheit vorgenommenen polizei¬
lichen Massnahmen selbst tragen muss. Nur bei der ärmeren Be¬
völkerung ist bei Desinfektion und Vernichtung eine Ausnahme zu¬
gelassen, wenn der Geschädigte den Schaden ohne Beeinträchtigung
des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts nicht zu
tragen vermag.
In der Kommission des Abgeordnetenhauses, welche mit der
Vorberatung des Gesetzentwurfes befasst worden war, sind Versuche
gemacht worden, weitergehende Ausnahmen zuzulassen; indessen
ohne Erfolg. (Vgl. S. 23 ff. der Drucksach. Nr. 207 des Hauses
der Abg.) Das Abgeordnetenhaus und nach ihm das Herrenhaus
haben die Versuche nicht wiederholt und so sind im wesentlichen
die Vorschläge der Regierungsvorlage zur Annahme gelangt. Das¬
selbe gilt von den sonstigen Bestimmungen über das Verfahren zur
Ermittelung der Entschädigungen, die bei ihrer Einfachheit und
ihrer Unwichtigkeit für ärztliche Kreise hier keine genügende Ver¬
anlassung zu einer näheren Erörterung bieten dürften.
7. Im engsten Zusammenhang mit den Gesetzesvorschriften
über die zu gewährenden Entschädigungen steht die Regelung der
Frage, wer für die Kosten der Entschädigungen und für alle
sonstigen aus Durchführung der Seuchengesetze entstehenden Kosten
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302
aufzukommen hat. Das Reicbsgesetz hat sich diese Frage leicht
gemacht, indem es, wie bereits oben unter Nr. 6 erwähnt wurde,
laut § 34 die Entschädigungen, wie auch gemäss § 37 die Kosten
der behördlichen Ermittelungen, der Beobachtung in den Fällen des
§12, der polizeilich angeordneten und überwachten Desinfektion
und gewisser Vorsichtsmassregeln für Aufbewahrung, Einsargung,
Beförderung und Bestattung von Leichen, „aus öffentlichen Mitteln“
zu bestreiten vorschreibt. Der näheren Bezeichnung dessen, der
für die öffentlichen Mittel zu sorgen hat, hat sich das Reichsgesetz
enthalten mit der Massgabe, dass es diese Regelung dem Landes¬
recht Vorbehalten hat (§ 37 Abs. 2). Es war hierbei offenbar die
Erwartung massgebend, dass in den einzelnen Bundesstaaten zur
näheren Feststellung des Kostenträgers neue Ausftthrungsgesetzc
erlassen werden würden. Von diesem Standpunkt ging auch die
preussische Staatsregierung aus, als sie den mehrfach erwähnten
Gesetzentwurf dem Landtage vorlegte. Sie hatte darin folgende
Vorschläge aufgestellt:
Es sollten übernehmen:
a) die Staatskasse die Kosten der landespolizeilichen Mass¬
nahmen und der amtsärztlichen Feststellung der gemeingefährlichen
und derjenigen übertragbaren Krankheiten, auf welche die Be
Stimmungen der §§ 6—10 des Reichsgesetzes für anwendbar erklärt
sind (§§ 6 Abs. 1. 7 dieses Gesetzes), sowie die Kosten, welche
durch die Beteiligung des beamteten Arztes bei der Anordnung,
Leitung und Überwachung der Schutzmassregeln gegen diese
Krankheiten entstehen;
b) die übrigen Kosten, soweit sie überhaupt aus öffentlichen
Mitteln gedeckt werden müssen, die Gemeinden mit der Mass
gäbe, dass
aa) denjenigen Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern,
und einem Kommunalsteuer-Soll von wenigstens 150°/ 0 , denen aus
der Bestreitung dieser Kosten das Koramunaldefizit um mindestens
5°/ 0 vergrössert wird, der Mehrbetrag zu zwei Dritteilen vom Kreise
— dem wiederum der Staat die Hälfte beizusteuern hat — er¬
stattet werden sollte (§ 26 des Entwurfes);
bb) die Kreisverbände verpflichtet sein sollten, denjenigen
Gemeinden, welche aus eigener Kraft nicht imstande wären, die
ihnen auf erlegten neuen Einrichtungen zur Bekämpfung über¬
tragbarer Krankheiten zur Ausführung zu bringen, eine Beihilfe zu
gewähren.
Diese Vorschläge waren es in erster Linie, welche das Zu¬
standekommen des Gesetzes lange Zeit in Frage stellten und zu
den langwierigsten Erörterungen sowohl in der zur Vorberatung des
Gesetzes gewählten Kommission wie auch in den Plenarverhand-
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303
langen des Abgeordneten- und des Herrenhauses Anlass geboten
haben. Es standen sich dabei „zwei Anschauungen diametral
gegenüber“. Die eine ging „davon aus, dass die im Entwürfe vor¬
geschriebenen Massnahmen iiu allgemeinen staatlichen Interesse aus¬
geführt werden. Deshalb müsse der Staat auch alle Kosten tragen.
Nach der anderen von der Regierung, insonderheit von dem Herrn
Finanzminister, vertretenen Anschauung ist bei den Massnahmen zu
unterscheiden zwischen solchen, welche im allgemeinen staatlichen
und solchen, welche im lokalen, kommunalen Interesse ausgeführt
werden. Soweit das allgemeine staatliche Interesse in Frage steht,
soll der Staat die Kosten tragen, wo aber die Massnahmen nur
einem begrenzten Bezirke, einer Gemeinde zugute kämen, da müsse
diese auch für die Kosten aufkommen, wie es bisher nach dem
Regulativ von 1835 auch stets der Fall gewesen sei. Nun aber
fürchteten die Vertreter einer grossen Partei, welche ihren Haupt¬
stützpunkt auf dem Lande hat, dass viele ländliche Gemeinden
durch die ihnen aus dem Gesetz erwachsenden Kosten geradezu
erdrückt werden würden. Vor allem aber glaubten sie, dass die
Entscheidung, ob es sich im gegebenen Falle um allgemeine oder
um lokale Interessen handle, welche die Durchführung gewisser
Massnahmen erheischten, sehr schwer zu treffen sein werde, und
dass die Neigung bestehen werde, staatlicherseits stets die Kosten
vom Staate abzuwälzen und den Gemeinden aufzuerlegen (vgl.
Loeffler in der Deutschen medizin. Wochenschrift a. a. 0. S. 8).
Die letztere Ansicht gewann im Verlauf der Verhandlungen mehr
und mehr Oberhand bei den Volksvertretern. Nach langwierigen
Verhandlungen kam schliesslich zwischen den Parteien ein Kom¬
promiss zustande, das bis auf einen, unten noch näher zu be¬
zeichnenden Punkt, von den Vertretern der Königlichen Staats¬
regierung gebilligt wurde. Danach soll die Kostenfrage fortan
folgendermassen gelöst werden:
a) die Kosten der landespolizeilichen Massnahmen (soweit sie
überhaupt aus öffentlichen Mitteln gedeckt werden müssen) hat
nach wie vor der Staat zu übernehmen. Dahin gehören alle Mass¬
nahmen, „welche vornehmlich zu dem Zwecke getroffen werden,
um die Einschleppung einer Seuche aus ausserpreussischen Ländern
in das Inland oder deren Weiterverbreitung aus einer Gegend des
Staatsgebietes in die andere zu verhindern, z. B. die Einrichtung
und der Betrieb von Quarantäneanstalten in den preussischen See¬
häfen nebst der etwa nötigen Herstellung von Verbindungen der
Quarantäneanstalten mit den Hafenämtern.“ (Begr. des Ges.-Ent¬
wurfs; Drucksache des Abg.-Hauses Nr. 25 für 1904 S. 53; dort
auch weitere Beispiele.)
b) die Kosten, welche durch die amtliche Beteiligung des
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 21
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beamteten Arztes bei der Ausführung des Reichsgesetzes, betreffend
die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, sowie bei der Aus¬
führung des preuss. Ausf.-Gesetzes entstehen, fallen ebenfalls der
Staatskasse zur Last. Das gleiche ist der Fall, wenn es sich um
die ärztliche Feststellung von Scharlach, Körnerkrankheit und Diph¬
therie handelt (§ 6 Abs. 4).
Diese Bestimmung geht erheblich weiter wie die des Entwurfes,
wie sich hauptsächlich darin zeigt, dass jetzt die Staatskasse auch
bei Scharlach, Körnerkrankheit und Diphtherie die Kosten der ärzt¬
lichen Feststellung tragen wird, während nach dem Entwürfe diese
drei Krankheiten den Fiskus nicht belasten sollten. Es muss hier¬
bei daran erinnert werden, dass nach § 6 Abs. 2 die Polizeibehörde
die ersten Fälle dieser drei Krankheiten nur hat feststellen zu
lassen, wenn sie nicht von einem Arzte angezeigt werden. In
Städten und volkreichen Gegenden, wo der Ärzte genug sind und
wo die Bevölkerung mehr gewohnt ist, sich der Ärzte in Krankheits¬
fällen rechtzeitig zu bedienen, wird die angenommene Bestimmung
keine wesentliche Belastung des Fiskus zur Folge haben, da dort
in der Regel eine besondere ärztliche Feststellung infolge der vom
Hausarzte rechtzeitig eingelaufenen Anzeige unterlassen werden
kann. Anders aber gestaltet es sich voraussichtlich in den östlichen
Provinzen, überhaupt in Gegenden mit dünnerer und ärmerer Be¬
völkerung. Dort ist nicht in jedem Orte oder Gutsbezirke ein Arzt
ansässig; der nächste Arzt wohnt vielleicht meilenweit entfernt. In
solchen Gegenden werden deshalb aus der Heranholung des nächsten
Arztes nicht unbedeutende Kosten für den Staat erwachsen und
man wird es erklärlich finden, wenn die Vertreter der Kgl. Staats¬
regierung sich hiergegen wehrten, zumal die Gefahr nicht ausge¬
schlossen erscheint, dass fortan Krankheiten als Diphtherie, Scharlach
und Körnerkrankheit zur Anzeige gelangen, die sich bei der Fest¬
stellung durch den hiermit beauftragten Arzt als erheblich geringere
und ungefährlichere Krankheiten heraussteilen. Da aber diese Ge¬
fahr nicht beseitigt würde, wenn die Gemeinden mit den Fest¬
stellungskosten belastet worden wären, da ferner die Feststellung
doch im Interesse des Staates erfolgt und da endlich schon jetzt
viele Gemeinden so mit Kommunallasten überhäuft sind, dass sie
weitere Lasten zu übernehmen ausserstande sind, so dürfte es ge¬
rechtfertigt erscheinen, wenn der Landtag die Übernahme aller
Feststellungskosten auf die Staatskasse zur condicio sine qua non
gemacht hat. Der Finanzminister hat sich, wenn auch schweren
Herzens, schliesslich der Bedingung unterworfen.
c) Bei allen übrigen Kosten, welche aus Anlass der Be¬
kämpfung von übertragbaren Krankheiten entstehen, ist zu unter¬
scheiden zwischen
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I. Kosten der eigentlichen Bekämpfung von übertragbaren
Krankheiten,
II. Kosten neuer Einrichtungen, unabhängig von dem schon
erfolgten Ausbruch übertragbarer Krankheiten; m. a. W. der pro¬
phylaktischen Einrichtungen.
Zu I. Bei der ersten Kategorie fallen die Kosten — voraus¬
gesetzt, dass es sich nicht um landespolizeiliche, stets der Staats¬
kasse zur Last fallende Massnahmen handelt (siehe oben die Aus¬
führung unter a) — entweder der von der Bekämpfungsmassnahme
betroffenen Privatperson oder der Gemeinde, welche die Kosten der
örtlichen Polizeiverwaltung zu tragen hat, zur Last.
Welche Alternative im Einzelfalle zutrifft, ist nicht ohne
weiteres aus den beiden in Frage kommenden Gesetzen zu erkennen.
Dieselben sind in diesem Punkte verhältnismässig sehr kompliziert
abgefasst und u. E. ohne Kommentar schwerlich zu verstehen, so
dass bei der praktischen Handhabung der Gesetze u. E. noch oft
Zweifel über das, was Rechtens ist, entstehen werden. Hier möge
die Bemerkung genügen, dass jene beiden Gesetze, allerdings an
verschiedenen Stellen, angeben, in welchen Fällen die Kosten aus
öffentlichen Mitteln bestritten werden müssen. Also wenn dies der
Fall ist — immer vorausgesetzt, dass es sich nicht um landespolizei¬
liche Massnahmen handelt, — hat die Gemeinde für die Unkosten
aufzukommen, in allen anderen Fällen der Betroffene 1 ).
Hinsichtlich der leistungsschwachen Gemeinden, welche aus
den nach Vorstehendem ihnen zur Last fallenden Kosten zu stark
in Anspruch genommen werden würden, ist es, um ihnen eine Ent¬
lastung zu ermöglichen, bei der schon im Gesetzentwürfe vorge¬
schlagenen, oben auf S. 302 unter b aa aufgeführten Bestimmung ver¬
blieben. Hinzugekommen ist die gewiss recht praktische Vorschrift,
dass Streitigkeiten zwischen den Gemeinden und Kreisen über die zu
erstattenden Beträge der Entscheidung im Verwaltungsstreitverfahren
unterliegen. Ausserdem ist den besonderen Verhältnissen der Guts¬
bezirke in angemessener Weise Rechnung getragen.
Zu II. Am längsten ist im Landtage gestritten worden über
die Regelung der Kosten neuer Einrichtungen (prophylaktischer
Massnahmen). Die Regierungsvertreter widerrieten bis zum Schluss
mit der möglichsten Kraftanstrengung einer Heranziehung des Staates
zu diesen Kosten. Gleichwohl hat der Landtag folgende Bestimmungen
beschlossen:
1) Wer näheren Aufschluss über diese Frage wünscht, findet solchen
in dem demnächst vom Verf. im Verlage der Aschendorffschen Buchhand¬
lung (Münster) erscheinenden Kommentar: „Die Gesetze betr. Bekämpfung
ansteckender Krankheiten*.
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§ 29. Die Gemeinden sind verpflichtet, diejenigen Einrichtungen,
welche zur Bekämpfung der übertragbaren (§ 1 Abs. 1) Krankheiten
notwendig sind, zu treffen und für deren ordnungsmässige Unter¬
haltung zu sorgen.
Die Kreise sind befugt, diese Einrichtungen an Stelle der Ge¬
meinden zu treffen und zu unterhalten.
§ 30. Die Anordnung zur Beschaffung der in § 29 bezeichneten
Einrichtungen erlässt die Kommunalaufsichtsbehörde.
Gegen die Anordnung findet innerhalb zwei Wochen die Be¬
schwerde und zwar bei Landgemeinden an den Kreisausschuss, in
den Hohenzollernschen Landen an den Amtsausschuss, bei Stadt¬
gemeinden an den Bezirksausschuss und mit Ausnahme der Hohen¬
zollernschen Lande in weiterer Instanz an den Provinzialrat statt.
Wird die Beschwerde auf die Behauptung mangelnder Leistungs¬
fähigkeit zur Ausführung der Anordnung gestützt, so ist auch über
die Höhe der von der Gemeinde zu gewährenden Leistung zu be-
sehliessen. Gegen die Entscheidung des Provinzialrats, in den Hohen¬
zollernschen Landen gegen die Entscheidung des Bezirksausschusses,
steht den Parteien die Klage im Verwaltungsstreitverfahren inner¬
halb derselben Frist beim Oberverwaltungsgericht zu. Auf diese
Klage findet die Vorschrift des § 127 Abs. 3 des Gesetzes über die
allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 entsprechende An¬
wendung. Sofern die Provinz an den Kosten teilzunehmen hat,
steht die Beschwerde bezw. Klage auch der Provinzialverwaltung zu.
§ 31. Reicht die im Beschlussverfahren festgesetzte Leistung
der Gemeinde nicht zur Ausführung der angeordneten Einrichtung
aus, so trägt, sofern die Kommunalaufsichtsbehörde ihre Anordnung
aufrecht hält, die Provinz die Mehrkosten. Die Hälfte derselben
ist vom Staate zu erstatten.
§ 32. Bei dringender Gefahr im Verzüge kann die Kommunal¬
aufsichtsbehörde nach Anhörung der Kommunalbehörde die An¬
ordnung zur Durchführung bringen, bevor das Verfahren nach § 30
eingeleitet oder zum Abschluss gebracht ist.
Die Kosten der Einrichtung trägt in diesem Falle der Staat,
sofern die Anordnung der Kommunalaufsichtsbehörde aufgehoben wird.
Reicht die im Beschlussverfahren festgesetzte Leistung zur
Deckung der Kosten nicht aus, so greift die Bestimmung des
§ 31 Platz.
Am bedenklichsten ist den Vertretern der Kgl. Staatsregierung,
vor allem dem Finanzminister, der Abs. 2 des § 32 erschienen.
Letzterer erblickte darin einen Bruch mit dem bisher regelmässig
festgehaltenen Prinzip unseres öffentlichen Rechts, wonach der Staat,
wenn er zum Schutze öffentlicher Interessen eintritt, also in Aus¬
übung seiner Landeshoheit öffentliche Interessen schützt, nicht
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kostenerstattungspflichtig wird lediglich darum, weil eine über¬
geordnete Instanz anderer Meinung ist als die untergeordnete.
Dieses Bedenken ist jedoch in dem Landtage überwunden worden
durch die Erwägung, dass es, wie wohl nicht zu verkennen ist,
eine grosse Härte für eine Gemeinde bedeuten würde, wenn sie zu
grossen Ausgaben für eine Einrichtung gezwungen wird, von der
hinterher im Streitverfahren festgestellt wird, dass sie ungerecht¬
fertigt, unnötig oder unzweckmässig war. Das letzte Wort in dieser
Streitfrage hat die Kgl. Staatsregierung noch nicht gesprochen, da
die Publikation des Gesetzes zur Zeit noch aussteht. Nach dem
ganzen Gange der Verhandlungen dürfte aber anzunebmen sein, dass
die Kgl. Staatsregierung ihren Widerspruch fallen lassen wird.
Hierzu dürfte sie um so mehr in der Lage sein, als sie es in der
Hand hat, durch entsprechende Verfügungen die ihr unterstellten
Organe anzuhalten, von der Befugnis des § 32 nur in Ausnahme¬
fällen Gebrauch zu machen. Tut sie dies, so wird freilich der
Hauptzweck des § 32, schon in seuchefreier Zeit das nötige Rüst¬
zeug zur wirksamen Bekämpfung etwa eintretender Seuchen zu be¬
schaffen, erheblich in Frage gestellt werden.
Um welche neuen Einrichtungen es sich im § 32 überhaupt
handelt, ist durch die Begründung des Gesetzentwurfes (Drucks, des
Abg.-Hauses Nr. 25 S. 56) eiuigerraassen klar gestellt, indem dort
als solche aufgeftibrt worden sind: „Beobachtungs- und Absonderungs¬
räume, Unterkunftsstätten für Kranke, Desinfektionsapparate, Be¬
förderungsmittel für Kranke und Verstorbene, Leichenräume u. dgl. u
Es gehören aber nicht dazu ganze Wasserleitungsanlagen und Ka¬
nalisationsanlagen. (Vgl. stenogr. Ber. des Herrenhauses v. 31. Mai
1905 S. 952.)
8. Damit das preussische Gesetz kein toter Buchstabe bleibe,
sind in den §§ 34—36 nach dem Vorbilde der §§ 44—46 des Reichs¬
seuchengesetzes Strafvorschriften gegeben, welche vorzugsweise die
schuldhafte Unterlassung der Anzeige sowie die Verletzung der auf
Grund des Gesetzes erlassenen Anordnungen unter Strafe stellen.
Endlich ist noch:
9. in den Schlussbestimmungen der §§ 37 und 38 des Gesetzes
insbesondere das Verhältnis desselben zu den zur Zeit sonst noch
bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über die Bekämpfung an¬
steckender Krankheiten geregelt und Anordnung über die Zeit des
Inkrafttretens des Gesetzes getroffen. Danach treten mit Ausnahme
des § 55 des Regulativs vom 8. August 1835, betr. Massnahmen bei
Ausbruch von Pocken, sowie der sonst bestehenden gesetzlichen Vor¬
schriften über Zwangsimpfung bei Ausbruch einer Pockenepidemie
und des § 10 Abs. 3 des Gesetzes betr. Dienststellung des Kreis¬
arztes etc. über die Belassung der Sanitätskommissionen in grösseren
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Städten alle sonstigen zur Zeit noch bestehenden gesetzlichen Be¬
stimmungen der vorhin bezeichneten Art ausser Kraft, so dass u. a.
fortan, wie bereits oben unter Nr. 1 mitgeteilt wurde, eine Anzeige¬
pflicht für die nicht im § 1 des neuen Gesetzes bezeichneten über¬
tragbaren Krankheiten nicht mehr bestehen wird.
Die Bestimmung des Inkrafttretens des Gesetzes endlich ist
mit der Massgabe einer Kgl. Verordnung Vorbehalten, dass die¬
jenigen Vorschriften, welche sich auf Genickstarre beziehen, mit
dem Tage der Verkündigung des Gesetzes in Kraft treten.
Die Kgl. Staatsregierung liess durch ihre Kommissare im
preussischen Landtage wiederholt den Wunsch nach möglichst
schleuniger Beratung und möglichst frühzeitiger Verabschiedung des
Gesetzes zum Ausdruck bringen; besonders geschah dieses, als im
vorigen Winter die Genickstarre eine bedenkliche Verbreitung zu
nehmen begann.
Um so mehr muss es befremdlich erscheinen, dass bis heute,
13. August 1905, die Veröffentlichung des Gesetzes noch nicht er¬
folgt ist.
Wir möchten nicht schliessen, ohne der bestimmten Hoffnung
Ausdruck zu geben, dass der Zeitpunkt nicht mehr fern ist, wo das
von allen interessierten Kreisen so lang ersehnte Gesetz endlich in
Kraft tritt, damit sichere Gelegenheit geboten wird, von ganzen Fa¬
milien, Gegenden und Kreisen das ihnen durch den Ausbruch über¬
tragbarer Krankheiten leicht entstehende Unheil fern zu halten.
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Zweiter Jahresbericht (1904) des Versorgungs-
hauses für Mütter und Säuglinge zu Solingen-
Haan.
(Leiter Dr. Paul Selter, Solingen.)
Zugleich ein Beitrag zur Hygiene des Keuchhustens
und des Ammenwesens
von
Dr. Walther Nebel, eheni. Assistenzarzt.
(Mit 2 Belegungsplänen.)
Vom 1. Januar 1904 bis 31. Dezember 1904 traten im Be¬
triebe der Anstalt keine wesentlichen Veränderungen ein. Es wurde
zwar ein Anschluss an die rheinische innere Mission angestrebt und
auch erreicht. Doch kam es in diesem Zeitraum noch nicht über
Vorverhandlungen formeller Art hinaus, die sich für das Prinzip
einer Angliederung an diese Organisation ausspraehen. Die wohl¬
tätigen Folgen dieser Verschmelzung werden hoffentlich in den ärzt¬
lichen Berichten der nächsten Jahre einen erfreulichen Ausdruck
finden.
Die Grundsätze der Verpflegung bot der erste Jahresbericht.
Diese blieben im wesentlichen dieselben. Gerne hätten wir auch
ihre Durchführung verbessert, aber der kümmerliche finanzielle
Unterbau liess nur im bescheidensten Masse die hierzu notwendigen
Gerätschaften und Einrichtungen beschaffen. Das Haus erwies sich
andauernd als zu klein. Zwar wurden 12 Betten mehr angeschafft.
Aber an den meisten Tagen waren wir gezwungen, mehrere Bettchen
mit zwei Säuglingen zu belegen; eine Massnahme, die zwar hygie¬
nisch bedenklich ist, die aber mit Rücksicht auf die Zustände, unter
denen die Kinder draussen leben müssen, als das geringere Übel
im Vergleich zu einer Aufnahmeverweigerung erscheint.
Wie der Mangel an Bettchen chronisch war, so macht sich auch
der Mangel an Pflegerinnen besonders drückend bemerkbar. Den
wenigen vorhandenen Pflegerinnen gebührt der Dank der Ärzte: sie
haben eine Riesenarbeit geleistet, zeitweise verpflegten 3—4 Pfleger-
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innen 54 Kinder; nebenher waren ständig 1—2 Wöchnerinnen zu
warten.
An Personal waren vorhanden:
ein Assistenzarzt,
eine Verwaltungsschwester,
drei Pflegeschwestern,
eine Schwester für die Milchküche,
eine Hülfspflegerin,
eine Elevin.
Das Personal von fünf Pflegerinnen ist insofern zu hoch angegeben.
als in einem guten Dritteile des Jahres eine von
holungsurlaub war.
ihnen auf Er-
In dem Berichtsjahre wurden 183 Personen verpflegt.
Mädchen: Bestand vom Vorjahre . .
18
aufgenommen.
55.
73
Davon wurden entbunden im Hause . .
38
ausserhalb. .
16.
Die übrigen waren also obdachlos oder zur Beobachtung eingewiesen.
Entlassen wurden:
Mädchen: 53. als Ammen ....
17
als Dienstmädchen . .
11
nach Hause ....
17
in andere Anstalten .
6
in Kliniken ....
2.
Von diesen waren eingewiesen:
von der Provinzialfürsorge.
13
von Armenverwaltungen.
12
von Privatleuten.
28.
Es blieben am 31. XII. 04 im Bestände 20. Es starb kein
Mädchen.
Von nennenswerten Erkrankungen seien angeführt:
Im Wochenbett: 1 mal leichte Parametritis,
1 mal gonorrhoische Arthritis (draussen ent¬
bunden),
1 mal schwere Parametritis mit schwerer,
eitriger, aufsteigender Cystitis.
Ausserdem kamen eine Anzahl Schrunden an Warzen mit leichter
Mastitis vor.
Von den im Hause geleiteten 38 Entbindungen verliefen 37
spontan, einmal wurde mit Zange entbunden; sämtliche Kinder
lebten, ein Kind starb nach 24 Stunden an Atelektase. Sämtliche
Niedergekommenen sowie sämtliche aufgenommenen Entbundenen
konnten ihre Kinder stillen.
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An Kindern waren von 1903 im Bestände 37,
aufgeuommen wurden 62 Pfleglinge,
11 Kra nke,
Gesamtzahl 110.
Entlassen wurden:
als gesund.42
als gebessert ..6
als ungeheilt.1
gestorben sind an Kranken . . . \ „
„ Pfleglingen . . 1
Gesamtzahl 65.
Es bleiben im Bestände am 31. XII. 05: 45.
Die Gesamtmortalität betrug 14,5 °/ 0 .
Todesursachen:
Akute und chronische Darmerkrankungeu . . 7
Darmtuberkulose.1
Sepsis (einschliesslich gonorrhoischer) ... 3
Lues.1
Nephritis.1
Pneumonie.1
Atelektase der Lungen.1
Otitis media mit Meningitis.1
16.
In dem verflossenen Berichtsjahre kamen u. a. zwei Beobach¬
tungen vor, die allgemeines Interesse verdienen und daher im folgen¬
den mitgeteilt werden.
I. Über Verbreitung und Einschränkung
einer Stickhustenepidemie.
Bevor ich auf die Epidemie selbst eingehe, muss ich die sani¬
tären Einrichtungen und Anordnungen schildern, wie sie zur Zeit
der Einschleppung in unserer Anstalt bestanden.
Jedes neu aufgenommene Kind hatte eine Quarantänezeit von
14 Tagen auf einem Isolierzimmer durchzumachen. Jedes Kind
hatte seine besondere Nummer. Jeden Morgen werden die Kinder
in dem Badezimmer, in welchem sich drei Wannen befinden, ge¬
badet. Die Wannen werden vor jedem Bade mit Bürste und Seife
gereinigt. Jedes Kind hat sein numeriertes Badezeug: ein grosses
Tuch und zwei Waschläppchen, von denen eins zum Waschen des
Körpers, das zweite zum Waschen des Gesichts und Kopfes aus
einem numerierten Waschnapf benutzt wird. Die drei Kinder, die
zu gleicher Zeit gebadet werden, werden jedes auf das eigene Bade¬
zeug auf einen grossen Tisch nebeneinander gelegt. Zuerst werden
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die gesunden Kinder, dann die kranken Kinder nnd zuletzt die
Quarantänekinder gebadet. Eine Sonderung beim Baden nach den
einzelnen Zimmern war sonst nicht vorgeschrieben.
Am 23. November 1904 kam ein neues Kind, Heinrich Riffeler r
geb. am 14. VII. 04, in die Anstalt. Es war ein kräftiger Knabe,
der ein etwas juchzendes Weinen hatte, bei dem ähnliche Töne
vorkamen wie bei der Reprise des Keuchhustens. Die Mutter, die
schwere Knochen- und Drüsen Tuberkulose als Kind durchgeroacht
hatte, leidet an ausserordentlich starker Haut- und Knochentuber¬
kulose. Der linke Arm erscheint verstümmelt wie bei der Lepra
mutilans. Ausserdem wurde später an der Haut eine reichliche Aus
saat von Tuberkuliden beobachtet. Sie hatte ihr Kind immer ge¬
stillt. Wir waren nun aber besonders mit Rücksicht auf die Mutter
gezwungen, das Kind zu entwöhnen Die Mutter, die gleich bei der
Aufnahme wegen des schluchzenden Weinens mit geringen Husten
und später öfters gefragt wurde, ob ihr Kind mit keuchhustenkranken
Kindern zusammen gewesen sei, leugnete diese Tatsache. Beim
Kind entwickelte sich ein Husten, der immer pertussisähnlicher wurde.
Die Diagnose wurde aber offen gelassen mit Rücksicht darauf, dass
bei Tuberkulose der Bronchialdrüsen ein ähnlicher Husten Vorkommen
kann, und das Kind monatelang von seiner hochgradig tuberkulösen
Mutter gestillt worden war.
Am 10. XII. 04 erkrankte ein zweites Kind, Haus Koch auf
einem anderen Zimmer an einem Husten, bei dem in Serien schnelle
Stösse hintereinander auftraten. Dabei kam dem Kinde reichlich
schleimiges Sekret aus Mund und Nase. Auch Erbrechen
trat nach zwei Tagen hinzu. Das Sputum wurde mikroskopisch an
Grampräparaten untersucht. Es fanden sich reichlich kleine, gram¬
feste Kokken, wie sie bei den meisten Befunden von Stickhusten
erhoben wurden. Dieser zweite Fall von Stickhusten befestigte
neben dem bakteriologischen Befund die Diagnose Pertussis im ersten
Falle. Es wurde der Mutter gegenüber bestimmt behauptet, ihr
Kind habe Stickhusten. Da gestand sie, dass in dem Hause, wo
ihr Kind früher in Pflege stand, stickhustenkranke Kinder waren;
sie hätte es aber geleugnet, weil sie Angst hatte, deshalb aus dem
Hause entfernt zu werden.
Es wurde nun nachgeforscht, wie das andere Kind erkrankt sein
könnte. Es war an zwei Wege zu denken:
1. ob die Ansteckung durch die Vernachlässigung des vor-
schriftsmässigen Händewaschens seitens des Pflegepersonals ge¬
kommen sei, oder
2. ob die Quarantänevorscbrift übertreten wurde, indem das
Kind im Badezimmer gebadet wurde, während noch andere Kinder
darin waren.
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313
Es fand sich, dass durch eine Nachlässigkeit einer Pflegerin
das Quarantänekind mit anderen Kindern zu gleicher Zeit gebadet
worden war.
Es hatte also im Badezimmer die Stickhustenepideraie höchst
wahrscheinlich ihre Verbreitung angetreten.
Ein Kind war erkrankt. Dass wahrscheinlich noch bei an-
deren Kindern Stickhusten aufreten würde, schien uns sicher. Aber
es war vor der Hand gar nicht festzustellen, wie weit und in
welchen Zimmern dies der Fall sein könnte. Es hiess also jetzt,
auf der Hut zu sein. Das Pflegepersonal hatte auf jeden Husten
zu achten und dem Arzte sofort davon Mitteilung zu machen. Die
hustenden Kinder sollten als keuchhustenverdächtig isoliert und die
Kinder, bei denen die Diagnose sicher zu stellen war, als keuchhusten¬
kranke wieder in einem besonderen Zimmer abgesondert werden.
Damit nach Möglichkeit keine neuen Zimmer infiziert wurden
— die infizierten konnte man wegen der etwa 11 tägigen Inkubations¬
zeit ja noch nicht kennen —, sollten zu gleicher Zeit immer nur
Kinder eines einzigen Zimmers gebadet werden. Die eines neuen
Zimmers sollten erst an die Reihe kommen, wenn das Personal sich
die Hände, die Wannen und Tische gereinigt hätte.
In der Zeit der Epidemie waren zwischen 42 bis 46 Kinder
im Hause.
Ich lasse jetzt eine Tabelle folgen und einen Lageplan (S. 314)
mit Namen der Kinder und Tagen der ersten Hustenanfälle. An der
Hand dieser beiden lässt sich Gang und Zeit der Verschleppung am
leichtesten veranschaulichen, besser als durch viele Worte.
Isoliert wegen Stickhusten
1 .
Riffeier, aufgenommen 23. XI. 04.
11. XII. 04.
2.
Koch.
19. XII. 04.
3.
Korsten.
23. XII. 04.
4.
Hansen.
26. XII. 04.
5.
Wassmann.
26. XII. 04.
6.
Münch.
29. XII. 04.
7.
Graf.
29. XII. 04.
8.
Kühl.
30. XII. 04.
9.
Büscher.
3. I. 05.
10.
Malkowski.
8. I. 05.
11.
Sackebier.
13. I. 05.
12.
Hochstein.
13. 1. 05.
13.
Speikamp ........
13. I. 05.
14.
Diergardt.
22. I. 05.
15.
Rutenbeck.
22. I. 05.
16.
Schuh .
7. II. 05.
17.
Himisch.
7. II. 05.
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Fall 14 ereignete sich in einem Zimmer der ersten Etage.
314
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Belegungsplan 1 der zweiten Etage. Belegungsplau II der zweiten Etage.
315
18.
Hildebrandt ....
Isoliert wegen Stickhusten
.... 7. II. 05.
19.
Bruckner.
.... 21. II.
05.
20.
Kraus.
.... 21. II.
05.
21.
Jansen.
.... 2. III. 05.
Fall 1 kam mit andern Kindern aus dem Pflegezimmer 2
im Badezimmer zusammen. Dort wurde in erster Linie Kind 2
infiziert. Ob nun auch Kind 3, 4, 5, 6 im Badezimmer von Fall
1 infiziert wurden, oder ob sie von Fall 2 angesteckt wurden, ist
nicht festzustellen. Bei Fall 2 bildete sich Stickhusten aus; es
wurde zunächst ein nicht charakteristischer Husten mit bronchi-
tischem Befunde konstatiert. Daher kam das Kind aufs Bronchitis¬
zimmer und wurde mit Bädern und Wickeln behandelt. Aber es
trat trotzdem eine verdächtige Verschlimmerung des Hustens ein.
Auf dem Bronchitiszimmer wurden von ihm nun Kind 7 und 8 an¬
gesteckt; dagegen blieb ein anderes Kind dauernd verschont. In¬
zwischen konnte die Diagnose Pertussis durch Verschlimmerung des
Hustens trotz entsprechender Therapie, seine sich immer mehr der
typischen Pertussis nähernde Beschaffenheit, den bakteriellen Nach¬
weis und das Auftreten weiterer, aber vorläufig uncharakteristi¬
scher Huster sichergestellt werden.
Auf dem Tuberkulosezimmer waren Kind 9 und 11 durch In¬
fektion ebenfalls auf dem Badezimmer infiziert. Aus dem Zimmer
2 wurden die nicht kranken Kinder herausgeuommen und auf ein an
deres Isolierzimmer gelegt. Die Betten dieser Kinder wurden im
Zimmer in Entfernungen von etwa 2 m aufgestellt. Wenn von
diesen Kindern eines an Husten erkrankte, wurde es weiter isoliert.
Von diesen Kindern erkrankten aber noch alle bis auf eines, das
dauernd verschont blieb.
Wie die Infektion in das Zimmer 3 kam, war nicht sicher
festzustellen. Bei Kind 15 wurden dort am 22. I. zuerst Husten-
stösse bemerkt. Dieses Zimmer beherbergte die grössten Kinder
von 1—2 Jahren. Sie spielten zusammen auf der Erde, und es wurde
von vornherein angenommen, dass sie alle bereits von Kind 15 in¬
fiziert seien, was sich auch in den nächsten Wochen bestätigte.
Auf dem Pflegezimmer I der 1. Etage erkrankte Kind 14.
Es wurde sofort isoliert und zeigte bald typischen Stickhusten.
Glücklicherweise wurde kein weiteres von den 8 Kindern dieses
Zimmers befallen.
Eine Episode verdient noch Beachtung. Fall 1 hatte nach
14 tägiger Quarantäne 2 Tage im sog. Enteritiszimmer mit noch zwei
anderen Kindern zusammen gelegen. Am zweiten Tage wurden
vom Arzte pertussisähnliche Hustenanfälle gehört das Kind daher
sofort aus dem Zimmer entfernt und die beiden Kinder auf diesem
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Zimmer in Isolation gelassen. Die beiden Kinder blieben merk¬
würdigerweise dauernd gesund.
Es erkrankten während der Epidemie die Belegschaften von
vier Pflegezimmern. Auf dem Zimmer, wo die grösseren Kinder
waren, die bereits auf dem Boden spielten und infolgedessen nicht
in ihren Bettchen isoliert waren, erkrankten sie sämtlich.
Auf dem Tuberkulosezimmer erkrankte ebenfalls die ganze
Belegschaft von zwei Kindern. Auf Zimmer 2 und dem Bronchitis¬
zimmer blieben je ein Kind verschont. Auf einem Zimmer der
ersten Etage blieb es bei einem einzigen sporadischen Falle und
auf dem Enteritiszimmer blieben die beiden Kinder, welche mit Fall
1 zwei Tage zusammen gelegen hatten, dauernd verschont.
Bei der Verbreitung der Pertussis könnte es sich
1. um Luftinfektion handeln, indem das Kontagium (bakte¬
rieller Art) vom Luftstrom getrieben und so ausgesäet wird;
2. könnte durch direkte oder indirekte Berührung von Per¬
sonen oder Gegenständen das Kontagium übergeimpft werden
(Schmier-Berührungsinfektion);
3. es wird durch die Hustenstösse ein Spray infizierter feuchter
Teilchen in die Luft geblasen, der eine Verbreitung der Krankheit
vermitteln kann.
Der sporadische Fall auf der ersten Etage in einem stark¬
belegten Zimmer, das Verschontbleiben von Kindern auf zwei infi¬
zierten Zimmern beweisen, dass die Luftinfektion bei grösseren
Zwischenräumen zwischen den Bettchen von etwa 1 1 / 8 bis 2 m
praktisch keine Rolle spielt.
Die Berührungsinfektion wird nach unseren Erfahrungen durch
sorgfältiges Waschen der Hände mit Wasser und Seife sicher ver¬
mieden. Im übrigen scheint sie bei der geringen Lebensfähigkeit
des Virus eine sehr geringe Rolle zu spielen. Die grösste Bedeutung
aber für die Verbreitung und Übertragung des Stickhustens scheint
der Hustenspray zu haben. Die ausgehusteten Schleim- und Wasser¬
teilchen, auf denen die Pertussiserreger gleichsam reiten, fallen
allmählich auf den Boden, verlieren dort die zum Weiterleben nötige
Wärme und Feuchtigkeit und sterben ab.
Befindet sich aber in diesem Hustenspray ein Mensch, so wird
durch die Inspiration eine Menge dieser infizierten Teilchen einge¬
atmet. Zu dem kommt, dass die Bakterien, die gerade durch den
Hustenstoss aus der feuchten Wärme eines Respirationsweges ver-
stossen sind, bald einen neuen Nährboden von gleicher Art und
Güte wieder gewonnen haben. Aus dieser Sachlage geht anschau¬
lich hervor, das die Art der Infektion schnell und sicher von statten
gehen muss, und welche Bedeutung gerade diese Umstände für die
Verbreitung haben müssen. Man denke an Volksfeste und Schulen:
dort hat ein Kind einen Stickhustenanfall. Während dessen stehen
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1 / 2 Dutzend anderer Kinder umher, wieder audere von verschiedener
Grösse passieren den Spray; bis der aber wie ein Mückenschwarm
sich zu Boden gesenkt haben kann, ist er von so und so viel
Kindern eingeatmet worden, und rächt sich durch sichere Infektion.
Es sei erlaubt, hier einzufügen, das wir im Haaner Säug¬
lingsheim in den beiden früheren Wintern viele Bronchitiden zu ver¬
zeichnen hatten. Es liegt aber nahe, in Anbetracht der nur ver¬
einzelten Bronchitiden im letzten Winter, anzunehmen, dass auch
bei der Verbreitung dieser Erkrankung das gegenseitige Anhusten
der Kinder auf dem Wickeltische im Badezimmer eine analoge Über¬
tragung durch Hustenspray stattfaud, und dass das Wenigerwerden
der Bronchitiden nur der einfachen Massregel zu danken war: den
Kindern nicht Gelegenheit zu geben, sich anhusten zu müssen.
Wesentlich bleibt, dass es uns gelang, in einem Säuglings¬
heime mit überlegten Zimmern, bei einem überlasteten Pflegepersonal
eine Stickhustenepidemie einzudämmen. Von 46 Kindern erkrankten
im ganzen 21. Die ganze Epidemie ist seit Mitte Mai 1905 völlig
erloschen. Die infizierten Zimmer desinfizierten wir anfangs durch
Waschen von Boden und Wänden mit schwacher Lysollösung.
Später unterliessen wir auch noch diese Lysoldesinfektion und be¬
gnügten uns mit einfachem Lüften und Abwischen der Zimmer und
ihrer Einrichtung.
II. Ammenwesen mit besonderer Berücksichtigung
der Syphilis.
Sind Mütter nicht in der Lage, ihr neugeborenes Kind zu
stillen oder genügend zu stillen, so haben sie im Interesse ihres Kindes
die Pflicht, sich nach Menschenmilch umzusehen; denn erfahrungs-
gemäss ist nur diese sicher im stände, falls das Kind überhaupt
einer Nahrungsaufnahme und -Verarbeitung fähig ist, es zum Gedeihen
und Blühen zu bringen.
Die künstliche Ernährung mit Kuhmilch, Ziegenmilch, Butter¬
milch, saurer Milch und anderen Präparaten ist in beschränktem Masse
hierzu geeignet und befähigt. Die Mütter finden zum Stillen ihres
Kindes eine bekannte Frau, die gegen oder ohne Vergütung dem
Kleinen ihre Brust mitreicht. In anderen Fällen greift man zur kom¬
binierten Ernährung, ersetzt also das Fehlende durch künstliche
Nahrung. Es ist aber nur ein darauf geschulter Arzt im stände,
durch kurze Versuche und Messungen die Art und Menge dieser
Beikost zu bestimmen.
In anderen Fällen, leider nur bei einigermassen Bemittelten,
nimmt man zu einer Amme die Zuflucht.
Die sich nun um eine Amme bewerben, haben die Pflicht,
sich zu vergewissern, ob sie selbst und ihr Kind (also die Eltern
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des zu stillenden Kindes) gesund und frei von Syphilis sind. Denn
hat das Kind Syphilis, so besteht die grosse, schwere Gefahr, dass
die zu mietende Amme syphilitisch wird und an Körper und Geist
auf Jahrzehnte hin sehr geschädigt wird. Das erste Stadium der
Syphilis, und meist auch das zweite, bringen zwar nur sehr geringe
Beschwerden. Die grössten Beschwerden sind eigentlich in der
Syphiliskur mit Quecksilber- und Jodpräparaten zu suchen.
In einigen schweren Fällen macht allerdings auch schon das
erste und zweite Stadium beträchtliche Beschwerden, besonders wenn
keine Kur eingeleitet wird.
Dann aber folgt in vielen, besonders in unbehandelten Fällen
das dritte Stadium. Kein Körperteil ist sicher vor Erkrankung,
ähnlich wie bei der Tuberkulose. Mit Vorliebe werden Gehirn,
Auge und Knochen befallen. Hat man auch ein ziemlich sicheres
Mittel zur Heilung in der Anwendung von Jodpräparaten, so bleibt
die Schädigung des Erkrankten jedenfalls bis zur Heilung bestehen,
zum andern bringt auch die Kur mancherlei Beschwerden, wie
heftigen Schnupfen und anderes, mit sich.
Als schlimmste Gefahr lauern aber die Späterkrankungen auf.
Wird auch nicht jeder Syphiliserkrankte, -Behandelte und -Ge¬
heilte von diesen Leiden befallen, so sind die Erkrankten desto
schlimmer daran. Auch kann kein Arzt jemanden die Versicherung
geben, er werde von diesen Leiden (Tabes dorsalis = Rückenmarks¬
schwindsucht und Progressive Paralyse = Gehirnerweichung) ver¬
schont bleiben.
Ist ein Kind syphilitisch, so könnte es natürlich eine syphili¬
tische Amme ruhig und mit Vorteil erhalten. Ist aber die Amme,
die gemietet wird, gesund, so darf sie ihre Milch nur abdrttcken
und dem Kinde aus einem Fläschchen schenken.
Wie sich die Amme im übrigen zum Kinde zu verhalten hat,
dass sie sich vor allen Dingen der Küsse und ähnlicher Zärtlich¬
keiten enthält, sich nach jeder Berührung die Finger wäscht, dar¬
über ist sie vom Arzte zu unterrichten.
Einen weiteren Punkt, den die Mieter von Ammen mit Rück¬
sichtnahme auf deren Kind zu beachten haben, ist, dass sie nicht
gleich nach dem Wochenbette, also eine möglichst frische Amme
mieten. Denn wie das zu stillende Kind, bedarf das Ammenkind
der Mutterbrust. Ja, es hat das Recht auf die Ernährung durch
die Mutter, und diese die Pflicht, vor allen Dingen ihr eigenes Kind
zu nähren. Die Ammenmieter beteiligen sich aber an einer Schä¬
digung des Ammenkindes, falls dieses die künstliche Ernährung, und
das dürfte in den meisten Fällen zutreffen, nicht verträgt. Es wer¬
den sich nur wenige Leute dazu verstehen, das Ammenkind mit
aufzunehmen. Teils ist das Gedankenlosigkeit, teils aber ist die
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Amme auch unfähig, mehr als ein Kind mit Milch zu versehen.
Sie wäre also vom sittlichen Standpunkte aus ungeeignet, als
Amme auszugehen.
Ist das Kind der Amme bei der Geburt oder später, etwa an
Lebensschwäcbe, gestorben, so würde nichts gegen den frühzeitigen
Ammendienst einzuwenden sein. Man muss jedenfalls verlangen,
dass das Kind der Amme gut gediehen ist und die künstliche Er¬
nährung verträgt, bevor man den Ammendienst unter Vernach¬
lässigung des eigenen Kindes gestatten kann. Dieses ist aber vor
Ablauf des zweiten Lebensmonates überhaupt kaum der Fall. Bis
dahin ist das Kind soweit gediehen und gekräftigt, dass man künst¬
liche Ernährung versuchen darf. In den meisten Fällen findet man
aber, wie leicht selbst in den Wintermonaten diese künstlich er¬
nährten Kinder zu Verdauungsstörungen neigen, die ihr Körper¬
gewicht zurückbringen oder ihr Gedeihen wenigstens stark auf¬
halten. Und das Körpergewicht ist der sicherste Massstab des Ge¬
deihens eines Säuglings und läuft diesem parallel.
Ferner haben die Ammenmieter bei einer etwa 14 Tage ent¬
bundenen Amme durchaus keine Garantie, ob sie ihre Milch behält.
Denn eine Amme muss erst gezogen und erzogen werden. Hat da¬
gegen eine Amme bereits zwei Monate gestillt und ein gut gedeihen¬
des Kind, so haben sie meist die Garantie, dass sie auf noch meh¬
rere Monate genügend Milch behält. Eine Amme aber zu ziehen,
dauert meist mehr als 14 Tage.
Zuerst müssen die Brustwarzen herausgesogen und abgehärtet
werden. An ihnen entstehen leicht Schrunden, die äusserst schmerz¬
haft sind, und diese Schrunden führen allzuleicht zu einer schweren
eitrigen Entzündung der Brustdrüsen. Eine Ammenbrust muss aber
und kann auch zur Produktion einer grösseren Milchmenge erzogen
werden, und dieses besorgt am besten ein gut saugendes Kind mit
lebhaftem Nahrungsbedürfnis. Diese Erziehung der Ammenwarze
und Ammenbrust während der zwei Monate, wo sie ihr Kind stillt,
ist ein ausserordentlicher Vorteil für die Ammenmieter, ganz ab¬
gesehen von dem Nutzen, den sie als wirkliche Mutter ihrem der
Mutterbrust bedürftigen Kind geleistet hat.
Ferner haben die Ammenmieter eine weit grössere Sicherheit
dafür, ob ihre Amme gesund, d. h. frei von Syphilis ist. Wir haben
den Fall erlebt, dass eine Mutter kein Zeichen von Syphilis an sich
zeigte, und dass ihr Kind scheinbar ganz gesund und kräftig war.
Nach etwa sieben Wochen bekommt das Kind syphilitischen Aus¬
schlag, syphilitische Knochen Verdickungen, Schrunden am Munde,
graues Aussehen, pergamentartige Handteller und Fusssohlen. Das
Kind ist also hochgradig syphilitisch. Die Mutter zeigt kein Zeichen
von Syphilis, wird aber nicht als Amme ausgeschickt und darf nur
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 22
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ihr Kind stillen. Das Kind ist später trotz scheinbar erfolgreicher
Kur an Gehirnsyphilis gestorben.
In einem anderen Falle wird uns ein sieben Wochen altes Kind
in das Heim gebracht. Es ist noch in ganz gutem Ernährungs¬
zustände. Man sieht aber, es ist bereits etwas abgemagert und bat
eine — offenkundige Syphilis. Die Mutter aber dient als Amme,
in einem Dienst, den sie gleich nach dem Wochenbette, von einer
Hebamme aus, angetreten hat. An der Mutter haben wir zwar nie
Syphiliszeichen gesehen, durften aber aus gesetzlichen Rücksichten
ihre Mieter nicht von der Syphilis des Kindes benachrichtigen.
Es ist zwar ärztlicherseits zuzugeben, dass eine Syphilis sich
auch noch später als nach zwei Monaten am Kinde zeigen kann,
zuzugeben ist aber auch, dass durch zweimonatliche Beobachtung
eine grössere Menge syphilitischer Fälle ermittelt und ausgeschaltet
wird. Wollte man absolute Sicherheit haben, müsste man auf den
Ammendienst verzichten, und das hiesse doch in anbetracht der
guten Erfolge, die von diesem Dienste geleistet sind und werden,
das Kind mit dem Bade ausschütten.
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321
Literaturbericht.
'Vogel, Die wehrpflichtige Jugend Bayerns. (München 1905. J. F.
Lehmanns Verlag.)
Aus den Aushebungsresultaten in Bayern in den Jahren 1896
und 1902 zieht Vogel den Schluss, dass ebensowenig aus der
„Industrialisierung“, wie aus der Städtevergrösserung und -Ver¬
mehrung eine Besorgnis für die Abnahme der Wehrfähigkeit sich
ergebe. Ebensowenig bestehe eine Gefahr, dass mit Abnahme
-der Landwirtschaft treibenden Bevölkerung die bei zunehmender
Gesamtbevölkerung geforderte höhere Zahl der Militärdiensttaug¬
lichen nicht mehr erreicht werden könne, da nicht die Land¬
wirtschaft, sondern das Landgewerbe die grössere Zahl von Taug¬
lichen stelle. Wohl aber liege für Bayern bezüglich Abnahme der
Wehrfähigkeit eine grosse Gefahr in der geringen Bevölkerungs¬
dichte, in dem geringen Geburtenüberschuss, in der hohen Kinder¬
sterblichkeit in den frühen Jugendjahren infolge zahlreicher In¬
fektionskrankheiten, besonders der Tuberkulose. Eine Erhöhung der
Wehrkraft und der Wehrfähigkeit verlange daher vor allem eine
energische Bekämpfung der Kindersterblickeit und der Tuberkulose.
Zur Erhöhung der Tüchtigkeit des Nachwuchses bedürfe es aber
dringend der Umgestaltung unserer körperlichen Jugenderziehung.
Ausführlich beweist Vogel die Vorteile des methodischen Turnens,
des Schulturnens gegenüber den Turnspielen. Auf das Durchturnen
des Körpers sei der Hauptwert zu legen; nur dieses bereite zum
Waffendienst vor; schon die einfachste Übung erfordere Selbst¬
beherrschung und Willenskraft. Vogel verlangt für jeden Tag der
Schulwoche eine Stunde körperliche Übungen und an den freien
Nachmittagen und am Sonntag Marschübungen. In scharfer Weise
spricht er sich gegen das Radfahren in jugendlichem Alter aus,
da es der Jugend die Vorteile der Marschübungen entziehe; ferner
führe, weil die Jugend ein Masshalten nicht kenne, die Übertreibung
dieses Sportes zu Schädigungen des Herzens.
Graessner (Cöln).
Abelsdorff, Die Wehrfähigkeit zweier Generationen mit Rücksicht
auf Herkunft und Beruf. (Berlin 1905. Georg Reimer.)
In Übereinstimmung mit Vogel kommt auch Abelsdorff, dessen
statistisches Material sich auf Norddeutschland und auf bestimmte
Berufsklassen bezieht, zu dem Urteil, dass die Tauglichkeit der
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landgeborenen Bevölkerung die der Grossstadt übertrifft. Ferner
weist er nach, dass bei industriellen Erwerbstätigen die Militär¬
tauglichkeit der Landgeborenen beträchtlich grösser als die der
Mittel- und Grossstadtgebürtigen ist. Er sieht in den nachteiligen
Wirkungen des Stadtlebens, vor allem in dem ständigen Aufenthalt
in der Grossstadt aber doch eine Gefahr für die Wehrkraft unserer
Industriebevölkerung und verlangt, dass Staat und Gemeinde ver¬
suchen müssen, dem unaufhaltsamen Zuzug in die Stadt Einhalt
zu gebieten. Er schlägt vor, dass die Industrie wieder auf daa
Land hinausgeschoben werde, so dass auch der gewerbliche Arbeiter
einige Tagesstunden in gesunder Luft verbringen könne. Da für
kleinere Gewerbe eine solche Verlegung vorläufig noch eine Existenz¬
gefährdung bedeuten könne, müssen die Grossbetriebe den Anfang
machen, wie dieses schon von der Firma Borsig (Verlegung von
Berlin nach Tegel) und anderen Werken geschehen sei.
Graessner (Cöln).
Rommel, Zur Leistungsfähigkeit der weiblichen Brustdrüse. (M.
M. W. 1905, Nr. 10.)
Die Statistik lehrt, dass grade in Bayern, Hand in Hand gehend
mit einer grossen Säuglingssterblichkeit, die Unfähigkeit der Mütter,
ihre Kinder selbst zu stillen, besonders gross ist. Dieser Zustand
wurde von mehreren Forschern auf eine vererbte Hypoplasie und
funktionelle Schwäche der Brustdrüse zurückgeführt. Verf. tritt
dieser Ansicht auf Grund seiner im Münchener Säuglingsheim
gesammelten Erfahrungen entgegen. Diesem werden Wöchnerinnen,
meist aus der Kgl. Frauenklinik zugewiesen, etwa zwischen dem
7. und 10. Tage des Wochenbettes und mit einer durchschnitt¬
lichen Milchmenge von nur 400 g pro die. Aus diesem doch
gewiss massigen Material gelang es Verf. in den meisten Fällen
hervorragende Ammen zu bilden, deren durchnittliche Milchproduk¬
tion über 1000 g pro die betrug, häufig aber auf zwei, drei ja
vier Liter pro Tag gesteigert wurde. Diese Leistungen wurden
erreicht durch methodisches Anlegen stark saugender Säuglinge,
durch Massage der Brüste und daneben noch durch Abdrücken
überschüssiger Milchmengen. Nach diesen Erfolgen erscheint es
zweifellos, dass die Unsitte des Nichtstillens nicht auf einer Un¬
fähigkeit hierzu beruht und erfolgreich bekämpft werden kann und
muss. Nur mit Hilfe der Ärzte, Hebammen und Wärterinnen ist
eine Besserung der Verhältnisse erreichbar. Leider ist aber die
Ausbildung grade in diesem so wichtigen Zweige der öffentlichen
Gesundheitspflege meist nur sehr oberflächlich. Eine Besserung
auf dieser Grundlage wird aber viele Jahre dauern. Bis dahin ist
es notwendig, besonders durch Aufklärung der Laienkreise für die
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Verbreitung der natürlichen Ernährung der Kinder an der Mutter¬
brust zu wirken. Dietrich (Cöln).
Kümmel, Die progressive Zahnkaries in Schule und Heer und die
zahnhygienischen Aufgaben der Sanitätsbehörden im Interesse
der Volkswirtschaft. (Leipzig 1904. Krüger & Co.)
Statistisch nachgewiesen hat die Zahnverderbnis in den letzten
30 Jahren erheblich zugenommen. Kümmel glaubt behaupten zu
können, dass durchschnittlich nur 10 °/ 0 der Gesamtbevölkerung
gesunde Gebisse haben. Es gilt ihm nachzuweisen, dass die Karies
eine Volkskrankheit ersten Ranges ist, und dass sie nicht nur die
nationale Wehrkraft, sondern die Leistungsfähigkeit eines Volkes
überhaupt beeinträchtigt. Ein wirksames Mittel, um der Karies
Einhalt zu gebieten, sieht er in der Belehrung und entsprechenden
Erziehung des einer gehörigen Zahnpflege ermangelnden Publikums.
Er verlangt die Anstellung von wissenschaftlich gebildeten Zahn¬
ärzten als kommunalamtliche Medizinalpersonen für Schulen, Waisen¬
häuser usw. Solange diese Forderung keine Berücksichtigung findet,
fordert er seine Kollegen auf unentgeltlich die Überwachung der
Zahnpflege in öffentlichen Anstalten zu übernehmen. Für das Heer
wünscht Kümmel die Heranziehung geschulter Spezialisten in aus¬
gedehnterem Masse wie bisher. Graessner (Cöln).
Runge, Der Krebs der Gebärmutter. Ein Mahn wort an die Frauen¬
welt. (Berlin 1905. J. Springer.)
Ein erfolgreicher Kampf gegen den Gebärmutterkrebs kann
nur durch rechtzeitige Operation geführt werden. Die frühzeitige
Operation ist das einzige Mittel, um diese sonst unrettbar zum
Tode führende Krankheit zu heilen. Um eine rechtzeitige Operation
zu ermöglichen, ist es notwendig, die Krankheit früh zu erkennen;
dieses ist meist nicht leicht, da die Frauen von dem entstehenden
bösartigen Leiden anfänglich wenig Beschwerden haben. Um
diesem Übelstande zu begegnen, haben nach dem Vorgänge von
^Professor Winter in Königsberg die Frauenärzte Deutschlands an
vielen Orten sich in Rundschreiben an Ärzte und Hebammen ge¬
wandt, mit der Bitte, ihr Augenmerk auf beginnende Krebs¬
erkrankungen zu lenken, um den erkrankten Frauen die Segnung
einer lebensrettenden Operation zuteil werden zu lassen. Auch
direkt an die Frauenwelt hat man sich auf dem Wege der Presse,
in Vorträgen und Broschüren gewandt. Zweifellos kann hierdurch
deicht eine Beunruhigung weiter Kreise, ja vereinzelt wohl gar eine
krankhafte Krebsfurcht herbeigeführt werden. Soll dieses vermieden
werden, so gehört zu solchem Hinabsteigen in die Öffentlichkeit
sehr viel natürlicher Takt und persönliches Geschick. Beides finden
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wir vereinigt in der vorliegenden Broschüre des berühmten Göttinger
Gynäkologen. Besonders glücklich erscheint die Fassung des jedem
Hefte in mehreren Exemplaren beigegebenen Merkblattes, das zur
Verbreitung in Bekanntenkreisen bestimmt ist und folgendermassen
lautet:
„Der Krebs der Gebärmutter beginnt ohne allen Schmerz und
ohne jedes Krankheitsgefühl.
Blutungen und Ausflüsse sind die ersten Zeichen des Gebär¬
mutter krebse«. Die Blutungen treten als verstärkte Periode auf,,
oder auch ausserhalb der Periode, ja auch, nachdem die Periode
schon jahrelang aufgehört hat. Der Gebärmutterkrebs führt, sieb
selbst überlassen, stets zum Tode. Durch eine Operation ist er
aber heilbar. Diese Operation muss in den ersten Anfängen der
Krebserkrankung ausgeführt werden. Ohne Operation ist eine
Heilung unmöglich« Wie kann eine Krebskranke gerettet werden?
Wenn die Erscheinungen von Blutungen und Ausfluss auftreten,
muss jede Frau ohne Zeitverlust sofort ärztlichen Rat aufsuchen,,
auch während der Blutung. Die vorgeschlagene Operation muss
unverzüglich ausgeführt werden. Jeder Tag erhöht die Gefahr für
die Frau. Wer also sein Leben liebt, gehe zum Arzt und nur zum
Arzt, wenn sich die genannten verdächtigen Erscheinungen zeigen,
und schiebe keine Stunde diesen Entschluss aufl u
Dietrich (Cöln).
A. Wolpert und H. Wolpert, Die Heizung. (Berlin C., W. & S. Löwen-
thal.)
Dieses Buch ist der für sich abgeschlossene vierte Band des reich¬
haltigen und ausführlichen Werkes „Theorie und Praxis der Ven¬
tilation und Heizung“, weiches vollständig neu bearbeitet von
Prof. Dr. A. Wolpert, früher in Nürnberg, jetzt in Charlottenburg,*
und Privatdozent Dr. H. Wolpert in Berlin herausgegeben wird^
Dasselbe teilt sich in zwei Hauptabschnitte, und zwar werden
im ersten die heizungstechnischen Grundlagen und im zweiten dte
Heizungsanlagen selbst behandelt.
Besonders hervorzuheben sind die hier aufgenommenen vielen
neuen Konstruktionen von Zimmeröfen und von Hauptbestandteilen,
der Zentralheizungen, wie Standrohr-Einrichtungen bei Niederdruck¬
dampfkesseln und dergl. Auch die neuesten Systeme von Gasöfen
und elektrischen Öfen, welch letztere wegen ihrer hohen Betriebs¬
kosten allerdings noch viel zu wenig zur Verwendung kommen,,
sind dargestellt und beschrieben.
Es ist erfreulich, dass das Wolpertsche Werk, welches wohL
eines der ersten war, das die Theorie und Praxis der Heizungs¬
einrichtungen behandelte, in der neuen Auflage in allen Punkten
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325
eine so grosse Bereicherung erfahren hat und in dieser alle Neue¬
rungen enthält, um welche sich die Heizungstechnik im Laufe der
Jahre bereichert hat.
Über alle Fragen, welche dieses Thema betreffen, kann man
hier ausgiebigen Bescheid finden, weshalb auch der vierte Band
zum Studium sowohl wie als Nachschlagebuch jedermann empfohlen
werden kann. Herbst (Cöln).
Heim, Der Reinheitszustand künstlicher und natürlicher Mineral¬
wässer. (Hygion. Rundschau 1905, S. 163.)
Verfasser berichtet über die Ergebnisse der auf seine An¬
regung von G. Schütz ausgeführten Untersuchung vieler natürlicher
Mineralwässer und künstlicher Selterwässer aus verschiedenen Orten
Deutschlands. Im ganzen wurden 157 Proben untersucht. In künst¬
lichen Selterwässern wurden Keimzahlen zwischen 0 (nur einmal
beobachtet) und nahezu 200000 gefunden, der Durchschnitt betrug
rund 14000 Keime im Kubikzentimeter. Die natürlichen Mineral¬
wässer enthielten im Durchschnitt sogar 35000 Keime, also doppelt
so viel als die künstlichen. Keimfrei war nur eine Probe (Levico);
die Höchstzahl von nahezu */* Million Bakterien wies eine faulig
riechende Probe von Karlsbader Mühlbrunnen auf.
Bei den künstlichen Mineralwässern können die Bakterien
auch aus dem verwendeten Wasser stammen, während die natür¬
lichen Quellwässer ursprünglich keimfrei sein müssen. In den
meisten Fällen wird die hohe Keimzahl auf mangelhafte Rein¬
lichkeit bei der Füllung, unreine Flaschen und Stopfen zurück¬
zuführen sein.
Der Preis der natürlichen Mineralwässer steht in keinem
richtigen Verhältnisse zur Ware, er ist in Anbetracht der leichten
Gewinnung horrend. Das mit vielem Aufwande hergestellte Bier
kostet in Flaschen weniger als die natürlichen Mineralwässer.
Wenn ein Fabrikant ein reinlich gewonnenes künstliches Selter¬
wasser mm sieben Pfg. an die Verbraucher abgeben kann, so muss
das die Verwaltung einer Quelle zu noch billigerem Preise tun
können, sofern sie gar keinen Zusatz zu machen hat, oder wenn z. B.
enteisent und Kohlensäure zugegeben wird, zu demselben Preise.
Wenn dem Volke die Quellen, von denen jahraus und jahrein
eine ungemessene Menge Wasser ungenützt fortläuft, durch Stellung
eines kleineren Preises bei gleichzeitiger Wahrung grösserer Rein¬
lichkeit zugänglich würden, so müsste der Alkoholgenuss dadurch
zweifellos eine entsprechende Einschränkung erfahren, ein gutes
Stück Nationalvermögen würde erspart, und die Brunnenverwaltungen
gewännen dabei durch Ausdehnung ihres Absatzes.
Grosse-Bohle (Cöln).
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326
Renk, Untersuchungen und Gutachten, betreffend den Einfluss der
Stadt Dresden auf die Beschaffenheit der Elbe. (Arbeiten aus den
Kgl. hygienischen Instituten zu Dresden. 1903.)
Gegen die Einleitung von Jauche in die Elbe durch die
Düngerexportgesellschaft waren verschiedene Beschwerden erhoben
worden. Verf. wies nach, dass die chemische Beschaffenheit des
Elbwassers sich durch den Einfluss der Jauche nicht nachweisbar
verändert, abgesehen von einer sehr geringen Erhöhung des Ammoniak¬
gehaltes und einer minimalen Abnahme des freien Sauerstoffes,
und dass die Keimzahlen ebenfalls nicht ansteigen. Ebenso hat
sich ein Einfluss der Schleusenwässer von Dresden nur schwer er¬
kennen lassen; die Keimzahlen waren unterhalb der Stadt sogar
niedriger als oberhalb. Die Stadt Dresden beabsichtigt, die Abort¬
anlagen an die Schleusen anzuschliessen. Nach Verwirklichung
dieses Planes würde die Menge der in ein Liter Elbwasser beim
Eintritte in die Stadt bereits vorhandenen Stoffe sich durch den
Hinzutritt der Schleusenwässer bei einem Wasserstande von 0 cm
Pegel um 2,8 mg, von —170 cm um 17,8 mg vermehren. Der
Zuwachs an Bestandteilen würde also auch bei niedrigstem Wasser¬
stande nur sehr gering sein. Die Zahlen verlieren noch weiter
an Bedeutung, wenn man die grosse selbstreinigende Kraft der
Elbe berücksichtigt, welche Schorler erwiesen hat und die haupt¬
sächlich auf dem reichen Gehalte des Stromes an .Algen und an¬
deren Wasserpflanzen beruht. Von den groben Schwimm- und
Sinkstoffen sollen jedoch die Abwässer befreit werden.
Grosse-Bohle (Cöln).
*
Koehsehmieder, Wärmetechnische Ausnutzung und Vergasung der
Abfallstoffe. (Technisches Gemeindeblatt 1905, Nr. 19.)
Der Wärmewert der Abfallstoffe ist um so grösser, je höher
der Betrag an organischen Verbindungen gegenüber Mineralstoffen
und Wasser ist. Besonders schädigend auf den Heizeffekt wirkt
das Wasser, da dieses einen grossen Teil der durch die Ver¬
brennung der organischen Stoffe entstehenden Wärme absorbiert,
um in Dampfform übergehen zu können. Frischer Klärschlamm
mit etwa 90 °/ 0 Wasser liefert infolgedessen bei der Verbrennung
überhaupt keinen Wärmeüberschuss. Erst wenn der Wassergehalt
auf 80 °I Q gebracht ist, erhält der Schlamm einen gewissen Heiz¬
wert, der sich mit der weiteren Abnahme des Wassers fortgesetzt
steigert. 10 kg. Trockensubstanz liefern bei einem Schlamme mit
80°/ 0 Wasser beispielsweise 14400, bei einem Schlamme mit 10°/®
Wasser 39296 Wärmeeinheiten. Die Klärrückstände sind wegen
ihres Wassergehaltes, aber auch wegen des bis zu 20 °/ 0 betragenden
Fettgehaltes als Feuerungsmaterial wenig geeignet. Vermengen
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327
•des Schlammes mit anderen Brennstoffen, wie Braunkohle, schwächt
die Übelstände ab, hebt sie aber nicht auf.
Wasser- und Fettgehalt behindern auch die Verwendung des
Schlammes zur Gaserzeugung: das verdampfende Wasser bindet
viel Wärme und die bei 300 Grad destilierenden Zersetzungs¬
produkte der Fette schlagen sich in den Apparaten zum Teil nieder.
Überdies ist das gewonnene Gas geringwertig. Durch Überleiten
des Wasserdampfes und der teerartigen Dämpfe über glühende
Kohle kann die verlorene Wärme wieder eingebracht und die Ab¬
scheidung fettiger und teerartiger Massen verhindert werden. Durch
glühende Kohle werden Wasser und Kohlensäure in Wasserstoff
und Kohlenoxyd umgesetzt. Nach dem Verfahren des Verfassers
wird das Gas vorteilhafter über ein erhitztes Gemenge von Kohle
und Metall, z. B. Eisen, geleitet. Eisen zersetzt nämlich Wasser
schon bei einer viel niedrigeren Temperatur als Kohle; das hierbei
gebildete Eisenhydroxyd wird im weiteren Verlaufe des Prozesses
wieder zu Metall reduziert. Der Klärschlamm muss bis auf 40°/ 0
Wassergehalt vorgetrocknet oder mit Steinkohlen gemischt vergast
werden. Grosse-Bohle (Cöln).
Renk, Die Verwendung schwefligsaurer Salze zur angeblichen
Konservierung von Fleisch. (Arbeiten aus den Kgl. hygienischen
Instituten zu Dresden. 1903.)
Verfasser veröffentlicht ein von ihm über diesen Gegenstand
früher erstattetes Gutachten. Die Verwendung schweflichsaurer
Salze bei Herstellung von Hackfleisch ist ein sehr bedauerliches
Verfahren, weil es den Konsumenten täuscht und in seiner Gesundheit
bedroht und den Schlächter verleitet, das Mass der Reinlichkeit in
seinem Betriebe herabzusetzen, möglicherweise auch bedenkliche
Fleischwaren zu Hackfleisch zu verarbeiten. (Die Verwendung
der schwefligen Säure und ihrer Salze zur Konservierung von
Fleischwaren ist nunmehr bekanntlich auf Grund des Fleisch¬
beschaugesetzes verboten. Ref.) Grosse-Bohle (Cöln).
Xirstein, Leitfaden für Desinfektoren in Frage und Antwort. 2. Aufl.
(Berlin 1905. J. Springer.)
ln kurz gefassten, leichtverständlichen Fragen und Antworten
erläutert Verfasser zunächst einige zur Sache gehörenden Grund¬
begriffe. Im Hauptteile werden alsdann in derselben Form die
gebräuchlichsten Desinfektionsmittel und ihre Anwendung bei den
— nach dem Vorgänge von Flügge in drei Gruppen geschiedenen —
ansteckenden Krankheiten besprochen. Für die Desinfektion von
Wohnräumen empfiehlt Verfasser ausschliesslich das sogenannte
Breslauer Verfahren. Dem Büchlein sind mehrere Anlagen bei-
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328
gegeben, worin die vom Desinfektor der Reihe nach auszuführenden
Verrichtungen und die mitzuführenden Gegenstände angegeben
werden. Grosse-Bohle (Cöln).
Vivaldi und Rodella, Die Austerninfektionen. (Hygien. Rundschau
1906, S. 174.)
In Padua wurden im Laufe der letzten Jahre nicht sehen
sehr schwere Infektionsfälle festgestellt, die von den behandelnden
Ärzten als Typhus erklärt und dem Genüsse von Weichtieren zu-
geschrieben wurden. Diese Fälle veranlassten die Verf., methodische
Untersuchungen über das Austernmaterial anzustellen, das von
Venedig und Chioggia nach Padua eingeführt wird. Typhusbazillen
fanden sie darin nie, dagegen fast immer B. coli und die gewöhn¬
lichen saprophytischen Arten. 10 von 20 Austernproben riefen
krankhafte Erscheinungen in den damit geimpften Versuchstieren
hervor. In vier Proben fand sich ein dem B. coli ähnlicher Bazillus,
der alle Charaktereigenschaften besitzt, um in die Gruppe der
Kapselbazillen eingereiht werden zu können. Dieser Bazillus ist
mit bedeutender Virulenz ausgestattet. Die Kulturen töteten bei
Einspritzung unter die Haut Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen
nach 1—2 Tagen; bei Einführung in die Verdauungswege töteten
sie ebenfalls die Mäuse und einen Teil der behandelten Kaninchen,,
während sie Meerschweinchen nicht schädigten. Die Autopsie der
getöteten Tiere ergab u. a. Milzanschwellung und starken Magen-
und Darmkatarrh.
Zur Verhütung von Austeminfektionen ist darauf zu dringen,
dass die Zuchtparke der Austern von jeder Verunreinigung bewahrt
bleiben und dass die Mollusken nur in frischestem Zustande zum
Verkaufe gelangen. Grosse-Bohle (Cöln).
Dörfler, Zur Verhütung des Puerperalfiebers. Eine Studie aus der
Praxis. (M. M. W. 1895, Nr. 9.)
Es ist ein trauriges Bild, das uns hier der Verfasser von der
Misswirtschaft der Hebammen aus den ländlichen Bezirken seiner
Praxis entwirft; traurig in Hinblick auf die viele vergebliche
Arbeit, die auf diesem Gebiete schon geleistet ist, trauriger in
Hinblick auf den grossen Verlust nationaler Gesundheit, der unter
den obwaltenden Verhältnissen unvermeidlich ist. Unerschrocken
deckt der Verfasser diesen wundesten Punkt unserer Volkshygiene
auf und macht seinerseits Vorschläge, wie dem Übel zu steuern
sei. Bei seinen Forderungen rechnet er mit dem vorhandenen
minderwertigen Hebammen-Material. Er will neben besserer Aus¬
bildung und Fortbildung, die Benutzung von Gummi-Handschuhen
obligatorisch machen, wodurch allein eine bessere Aseptik zu er-
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329
reichen ist. Dazu verlangt er eine staatliche Garantie der Ge-
bührenauszahlung in der Weise, dass der Standesbeamte bei der
Geburtsanmeldung gleichzeitig die Taxe für die Hebamme erhebt;
ausserdem Aussetzung von Prämien und Elinrichtung von Unter¬
stützungskassen für Invalidität, Krankheit und Sterbefall.
Dietrich (Cöln).
Schürer von Waldheim, Ignaz Philipp Semmelweis, sein Leben und
Wirken. Urteile der Mit- und Nachwelt. (Wien u. Leipzig 1905. A. Hart¬
leben.)
Die Fortschritte auf dem Gebiete der Naturwissenschaften und
der Medizin waren namentlich in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts so schnell aufeinander folgend, so bedeutend und
umwälzend, dass es schwierig ist, den historischen Überblick zu
behalten und eine gerechte Würdigung der Verdienste des ein¬
zelnen an dem Gesamtfortschritte zu gewinnen. Ein Markstein
in der praktischen Medizin ist die Erkennung des Wundflebers und
die damit verbundene Einführung der Antisepsis. Sie ist eng ver¬
knüpft mit dem Namen des englischen Arztes Li st er und des
französischen Forschers Pasteur. Dass ein Deutsch-Österreicher
eigentlich den Anspruch erheben darf, an erster Stelle genannt
zu werden, ist erst spät gewürdigt worden. Es war Semmel weis,
der im Jahre 1847 in Wien das Wochenbettsfieber als ein Wund¬
fieber erkannte, das durch Sauberkeit und Desinfektion vermieden
werden kann. Für die jüngere Generationen der Ärzte, die in den
Anschauungen der Anti- und Asepsis erzogen sind, ist es schwer
sich vorzustellen, dass eine so epochemachende, weittragende Ent¬
deckung wie die von Semmelweis über 20 Jahre kämpfen musste,
um allgemeine Anerkennung zu finden. Da ist ein Buch wie das
vorliegende sehr zu begrüssen, nicht nur um den Verdiensten des
lange verkannten Forschers gerecht zu werden — dieser Ehrenschuld
kam schon 1882 Hegar durch seine vorzügliche Semmelweis-
Biographie nach — sondern vor allem, um uns ein Spiegelbild der
damaligen Zeit zu geben, in der der Boden für ein Verständnis
so umwälzender Anschauungen wie der von Semmel weis eben
noch nicht vorhanden war. Darin erblickt Ref. den Hauptwert
des Buches, in dem mit grösstem Fleiss und viel Geschick alles
zusammengetragen ist, was für die Beurteilung der damaligen Zu¬
stände von Wert ist. Verf. hat es verstanden, die Jahre der Gärung
in der Frage der Herkunft des Wochenbettfiebers so plastisch zu
schildern, dass wir sie gleichsam miterleben. Wir verstehen jetzt,
wie ein Teil der Schuld seiner Verkennung in Semmelweis per¬
sönlichem Verhalten lag. Wie er es verschmähte, zeitig als Vor-
kämpfer für seine Lehre in Wort und Schrift aufzutreten; wie er
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330
'es unterliess, Irrtümer zu widerlegen und Angriffe abzuwehren.
So gewinnen wir auf dem Hintergründe der Zeitgeschichte ein Bild
seines Charakters, das uns sowohl Achtung als Mitgefühl einflösst.
Ein tragisches Geschick liess erst dem früh Verschiedenen die all¬
seitige Anerkennung werden, die es dem Lebenden versagt hatte.
Die Nachwelt schuldet einem Mann wie Semmelweis aber nicht nur
Anerkennung, sondern auch Dankbarkeit. Aus diesem Geiste heraus
hat Verf. sein Buch geschrieben, das nicht nur an Ausführlichkeit
allem was bisher über Semmelweis existierte überlegen ist,
sondern geradezu ein literarisches Denkmal bedeutet, das ihm ein
Einzelner im Sinne Vieler errichtete. Möge es recht . viel und
gründlich gelesen werden. Dietrich (Cöln).
Brennecke, Reform des Hebammenwesens oder Reform der ge-
burtshülflichen Ordnung? (Magdeburg 1905. Faber.)
Anlässlich des dem preussischen Landtage zugegangenen
(inzwischen erledigten) Gesetzentwurfes betreffend Neuregelung des
Hebammenwesens erhebt der auf dem Gebiete der Geburts- und
Wochenbetts-Hygiene rülnnlichst bekannte Verfasser nochmals seine
warnende Stimme gegen die Beschränkung der Reform rein auf
das Hebammenwesen. Seine Forderungen beziehen sich auf eine
umfassende Reform der ganzen geburtshilflichen Ordnung. Der
soziale Organismus der Geburts- und Wochenbettshygiene müsse
umfassen: Ärzte, Hebammen, Wochenpflegerinnen, Hauspflegerinnen,
Helferinnen und Frauenvereine und die Wechselbeziehungen dieser
einzelnen Organe sind zu einander in klarer Weise festzulegen.
Diesen Gedanken hat Verfasser ausführlich behandelt in zwei dem
Kultusministerium überreichten Denkschriften vom Juni 1901 und
vom Februar 1903, betitelt: „Zur Reform des Hebammenwesens“
und „Auf welche Gegenstände hat sich die Neubearbeitung des
preussischen Hebammenlehrbuchs in erster Linie zu erstrecken und
welche Gesichtspunkte sind hierbei zugrunde zu legen“. Im An¬
schluss an diese beiden Arbeiten wird in extenso der Vortrag
mitgeteilt, den Verfasser am 19. September 1898 in der gynäko¬
logischen Sektion der Naturforscher-Versammlung zu Düsseldorf
gehalten hat, über: „Die Stellung der geburtshilflichen Lehr¬
anstalten und der Wöchnerinnen-Asyle im Organismus der Geburts¬
und Wochenbetthygiene“, sowie das von ihm auf der XXI. Ver¬
sammlung des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
zu Kiel am 10. September 1896 erstattete Referat über „Das Ziel
der sozialen Entwicklung auf geburtshilflichem Gebiet: — Die
Errichtung von Heimstätten für Wöchnerinnen“. So fest der Ver¬
fasser auf die Durchführung der von ihm geplanten grosszügigen
Reform besteht und die isolierte Reform des Hebammenwesens nur
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331
als eine Abschlagszahlung betrachtet, so ist letztere für ihn auch
nur annehmbar, wenn sie die folgenden Kardinal-Forderungen
erfüllt:
1. Entwickeltere Intelligenz und bessere allgemeine Vorbildung
der zum Hebammenunterricht zuzulassenden Schülerinnen und
dementsprechende wesentliche Vertiefung des ganzen Hebammen-
Unterrichts;
2. Anstellung sämtlicher Hebammen als Bezirkshebammen
und grundsätzliche Beseitigung aller sogenannten freipraktizierenden
Hebammen;
3. genügende pekuniäre Sicherstellung der Bezirkshebammen
durch Garantierung eines dem Gehalt der Lehrerinnen gleich zu
bemessenden Mindesteinkommens, samt Alters- und Invaliditfits-
versorgung derselben. Dietrich (Cöln).
Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen
Bücher etc.
Brat, H., Über Erfolge der Sauerstofftherapie unter besonderer Berück¬
sichtigung der in den Gewerbebetrieben gewonnenen Erfahrungen
bei gewerblichen Vergiftungen. Jena 1905. Gustav Fischer. Preis 75 Pfg.
Caspari, Dr. W., Privatdozent an der kgl. landwirtschaftlichen Hochschule
Berlin, Physiologische Studien über Vegetarismus. Mit 2 Lichtdruck-
und 1 Kurventafel. 128 S. Bonn 1905. Martin Hager. Preis 3 Mk.
Elsaesser, Dr., Über die sog. Bergmannskrankheiten. Abzehrung und
Wurmkrankheit unter den Bergleuten, auch mit Rücksicht auf ihre
Gefahren für die Allgemeinheit. Arnsberg 1905. F. W. Becker. Preis
60 Pfg.
Frese, Dr., Die Prinzessin Luise von Sachsen-Coburg und Gotha geb.
Prinzessin von Belgien. Eine forensisch-psychiatrische Studie. Halle
1905. Carl Marhold. Preis 2 Mk.
Kamen, Dr. L., Die Infektionskrankheiten rücksichtlich ihrer Verbreitung,
Verhütung und Bekämpfung. Kurzgefasstes Lehrbuch für Militärärzte,
Sanitätsbeamte und Studierende der Medizin. Mit etwa 60 Abb. im
Text und 5 Taf. Lfg. 2/4. Wien 1905. Josef SafaL Preis k 1,50 Mk.
Kraft und Schönheit. Zeitschrift für vernünftige Leibeszucht. 5. Jahrg.,
Nr. 7.
Müller, P. Johs, Handbuch über Schulmöbel der Werkstätten für Schul¬
einrichtung. Charlottenburg 5.
Mutterschutz. Zeitschrift für Reform der sexuellen Ethik. I. Jahrg.,
1. Heft. Frankfurt a. M. J. D. Sauerländers Verlag. Preis 60 Pfg.
Plehn, Die Gewinnung und der Vertrieb hygienisch einwandfreier Milch.
Leipzig 1905. M. Heinsius Nachf. Preis 60 Pfg.
56. Bericht der Lese- undRedehalle der deutschen Studenten in Prag.
1904.
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332
Schanz, Dr. Fritz, Die Armen-Krankenpflege.
— Die Krankenfürsorge der Gemeinden.
-Die Stellung des Arztes an den öffentlichen Krankenanstalten.
Schlegtendal, Dr., Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im Re¬
gierungsbezirk Aachen. Jena 1905. Gustav Fischer. Preis 60 Pfg.
Schmidt, Dr., Über das im Kreise Ottweiler geübte Verfahren der Typhua-
bekämpfung mittelst Aufstellung fliegender Baracken im Typhus-
gebiete. Jena 1905. Gustav Fischer. Preis 80 Pfg.
Sen ft, Dr. E., Mikroskopische Untersuchung des Wassers mit Bezug auf
die in Abwässern und Schmutzwässern vorkommenden Mikroorganis¬
men und Verunreinigungen. Mit 180 Textfig. u. 10 Taf. Wien 1905.
Josef Safar. Preis 9,60 Mk.
Stransky, Dr. E., Über Sprachverwirrtheit. Beiträge zur Kenntnis der¬
selben bei Geisteskranken und Geistesgesunden. Halle 1905. Carl
Marhold. Preis 2,80 Mk.
Vorberg, Dr. G., Kurpfuscher! Eine zeitgemässe Betrachtung. Mit einem
Vorworte von Prof. Dr. H. Sahli. Leipzig 1905. Franz Deuticke. Preis
2,50 Mk.
Bericht des Wiener Stadtphysikates über seine Amtstätigkeit und
über die Gesundheitsverhältnisse der k. k. Reichshaupt- und Residenz¬
stadt Wien 1900—1902. Wien 1905. Gerlach & Wiedling.
NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt und Referate darüber, soweit der be
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titelß,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
Einsendern genügen. D ; e Verlagshandluilfl.
Soeben erschien:
Physiologische Studien
über
Vegetarismus
von
Dr. W. Caspari,
Privatdozent an der kgl. landwirtschaftlichen Hochschule Berlin.
Mit 2 Lichtdruck- und 1 Kurve, 'ifel.
128 S. - Preis 8,— Mk.
Verlag von Martin Hager in Bonn.
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Über den Umfang der Säuglingssterblichkeit
in der Stadt Dortmund.
(Studie aus dem städtischen Statistischen Amt.)
Von
Dr. August Busch.
(Mit 6 Abbildungen.)
Bei der ausserordentlichen Bedeutung, welche die Frage der
Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit besitzt, dürfte ein Beitrag
zur Statistik, welcher Beobachtungen aus einer grossen westlichen
Industriestadt enthält, von Wert sein.
Wie ja bei dem Studium einer grossen Zahl sozialer Probleme
das Auge des Beobachters sich vor allem der Grossstadt zuwendet,
geschieht dieses auch bei Untersuchungen über die Säuglingssterblich¬
keit. Einerseits ist hier das Beobachtungsmaterial verhältnismässig
leicht und auch vollständig erhältlich, andererseits bietet aber auch
die Grossstadt vor allem die Möglichkeit, diejenigen Vorschläge,
welche sich auf Massnahmen zur Bekämpfung des Übels beziehen,
zur Ausführung zu bringen und ihre Wirkung zu beobachten.
Die vorliegende Untersuchung ist rein statistischer Art und es
wurde somit vom wissenschaftlichen Standpunkte aus der Statistik
in erster Linie der Versuch, Gesetzmässigkeiten zu finden, zugewiesen.
Es ist bekannt, dass gerade Statistiken, welche sich auf das Arbeits¬
feld des Arztes erstrecken, für die Methodik der Behandlung
besondere Schwierigkeiten bieten, deren Beseitigung teils durch
eine peinlich exakte Bearbeitung zu erreichen ist, teils aber auch
durch Anordnungen in der staatlichen und kommunalen Verwaltung
unterstützt werden kann. Wenn beispielsweise für die Beschaffung
einer einigermassen einwandfreien Todesursachen-Statistik allgemein
die obligatorische Leichenschau als Grundbedingung angesehen wird,
so muss bezüglich der Beobachtung der Säuglingssterblichkeit dieser
Bedingung noch ein ganz besonderer Wert zugeschrieben werden.
Alle diejenigen Gründe, welche bei der Forderung einer vollständigen
Durchführung der obligatorischen Leichenschau angegeben werden,
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 23
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334
wie die Möglichkeit der Erkennung verbrecherischer Handlungen,
sowie die dauernde Überwachung sanitärer Verhältnisse treffen für
die Beobachtung der Kindersterblichkeit in verstärktem Masse zu.
In der Erkenntnis der verschiedensten allgemeinen Schwierig¬
keiten der Methodik dieser Statistik sollte daher nicht vergessen werden,
dass bei Anerkennung der Unhaltbarkeit der Zustände dennoch ent¬
sprechende Schlüsse aus den Zahlen der Statistik nur mit grösster
Vorsicht gezogen werden dürfen. Es sei daher gestattet, vor dem
Eintritt in die Darstellung der Verhältnisse in Dortmund selbst,
einige Betrachtungen allgemeiner, aber grundlegender Natur voraus¬
zuschicken.
Zur Schilderung des Umfanges der Säuglingssterblichkeit wird
diejenige Zahl von im 1. Lebensjahr gestorbenen Kindern, welche
auf 100 bezw. 1000 Lebendgeburten des betreffenden Jahres kommen,
berechnet. Nach dieser Rechnung treffen in Deutschland z. Zt.
jährlich auf 1000 Lebendgeburten rund 200 Sterbefälle von Kindern
im 1. Lebensjahre. Es wird nun weiter gefolgert, dass beim Ver¬
gleich mit anderen Ländern die Ziffer für Deutschland eine er¬
schreckende Höhe erreicht hat. Ohne hierbei das Vorhandensein
eines Übelstandes in Abrede zu stellen, ohne die Notwendigkeit
der Ergreifung entsprechender Massnahmen leugnen zu wollen, sollte
doch vom nationalökonomisch-statistischen Standpunkte aus eine
derartige Folgerung aus Zahlen nur in solchen Fällen gezogen werden,
in denen einigermassen der Grösse nach vergleichbare Zahlen ein¬
ander gegenüberetehen.
Wenn wir für die Gestaltung der Grösse der Kindersterblich¬
keit die Möglichkeit des Vorhandenseins von Gesetzmässigkeiten
nicht ohne weiteres bestreiten wollen, so muss die Verschiedenheit
der Bedeutung der Prozentziffer der Säuglingssterblichkeit in bezug
auf die Zahl der Lebendgeburten in verschiedenen Gebieten die ge¬
bührende Beachtung finden. Wenn wir anerkennen, dass die Höhe der
Geburtenziffer in einem Abhängigkeitsverhältnis zur wirtschaftlichen
Lage eines Landes, zur Ausdehnung der Industriealisierung desselben,
zu den Wohlhabenheits Verhältnissen der Bevölkerung und zum Alters¬
aufbau derselben steht, so müssen wir zum mindesten als möglich
anerkennen, dass auch eine gesetzliche Beziehung zwischen der
Säuglingssterblichkeit und der Geburtenziffer, sowie auch den diese
beeinflussenden Ursachen besteht. Es ist also nicht ausgeschlossen,
dass beim Vergleich von politisch und wirtschaftlich in sich ge¬
schlossenen Gebieten eine Gesetzmässigkeit bestehen kann, nach der
in Gebieten mit hoher Geburtenziffer und hohem Geburtenüberschuss
die Säuglingssterblichkeit nicht nur absolut, sondern auch relativ
grösser sein muss, als in anderen.
Es wird beispielsweise Frankreich im Gegensatz zu Deutschland
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angeführt, unter der Annahme besserer Verhältnisse daselbst, als in
Deutschland. Es dürfte aber gerade in diesem Falle einleucbten,
«lass selbst ein niedriger Prozentsatz der Sterbefälle von Säuglingen,
an der Zahl der Lebendgeburten, für Frankreich mit seinem dauernd
im Rückgang befindlichen Geburten-Überschuss von einer wesentlich
grösseren volkswirtschaftlichen Bedeutung ist, als ein etwas höherer
Prozentsatz für das Deutsche Reich.
Auf die Vergrösserung der Sterblichkeit in höheren Lebens¬
altern, sowie auch die geringere Leistungsfähigkeit künstlich er¬
haltener Individuen, worauf von manchen Seiten hingewiesen wird,
-einzageben, ist hier nicht die Stelle, es soll lediglich festgestellt
werden, dass es einer genauen Untersuchung über das Vor¬
handensein von Gesetzmässigkeiten bedarf, um unter¬
scheiden zu können zwischen denjenigen Einflüssen auf
die Kindersterblichkeit, welche wirksam bekämpft werden
können und solchen, welche, als natürlichen Gesetzen
folgend, wohl kaum zu verhindern sind.
Mit entsprechender Modifizierung wird natürlich die prozen¬
tual berechnete Säuglingssterblichkeit in ihrem Umfang bei kleineren
Gebieten zu beurteilen sein. Dem vorliegenden Beobachtungsmaterial
folgend seien zunächst die Verhältnisse im Königreich Preussen zur Dar¬
stellung gebracht.. Nach dem statistischen Jahrbuch für den preussischen
Staat 1 ) kamen jährlich durchschnittlich im 1. Lebensjahr verstorbene
Kinder auf 1000 Lebendgeburten: 206,0 in derZeitperiode 1875—1880,
sodann 207,6 in den Jahren 1881—1890 und 203,2 in den Jahren
1891—1900. Bei einer Unterscheidung von ehelichen und unehelichen
Geburten ergibt sich für die unehelichen Geburten, den allgemeinen
Beobachtungen entsprechend, ein wesentlich höherer Prozentsatz als
für die ersteren. Es kamen im 1. Lebensjahre Verstorbene auf
1000 Lebendgeburten jährlich in der Periode 1875—1880 bei den
ehelichen Geburten 194,0, bei den unehelichen Geburten 353,1, in
den Jahren 1881—1890 bei den ehelichen Geburten 194,8, bei den
unehelichen Geburten 354,7, in den Jahren 1891—1900 bei den
ehelichen Geburten 190,6, bei den unehelichen Geburten 355,8. Bei
der gegenseitigen Beurteilung der Zahlen für die ehelichen und un¬
ehelichen Geburten ist jedoch die eingangs gemachte Ausführung zu
berücksichtigen, dass solche Prozentsätze nur dann einander gegen¬
übergestellt werden dürfen, wenn sie sich auf einigermassen gleich
grosse Beobachtungszahlen beziehen.
Wenn man nun bedenkt, dass die Zahl der unehelichen Ge¬
burten in Preussen nach den Beobachtungen in den letzten Jahren
«twa 7 °/ 0 von der Gesamtzahl der Geburten ausmacht, so geht hieraus
1) Jahrg. II 1904 (1905) S. 18.
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bereits hervor, dass die ausserordentlich gross erscheinende Differenz,
zwischen den °/ 00 -Ziffem in der Sterblichkeit der ehelichen und un¬
ehelichen Säuglinge zu einer richtigen Beurteilung wesentlich reduziert
werden muss. Es ist bekanntlich ferner noch bei der Beurteilung
des Unterschiedes im Verhalten der unehelichen zu den ehelichea
Geburten die Zahl der späterhin legitimierten Kinder in, Rücksicht
zu ziehen und es sei hier noch ferner darauf aufmerksam gemacht,
dass wohl, in der Annahme aus der Höhe der unehelichen Geburtea
auf andere allgemeine Verhältnisse schliessen zu können, eigentlich
nicht nur die Zahl der unehelich geborenen, sondern auch die Zahl
der ausserehelich erzeugten Kinder in Rücksicht zu ziehen sein wtirde-
In Gegenden, wo das Schlafgängerwesen besonders stark ausgebildet
ist, herrschen oft Zustände, auf welche man für gewöhnlich aus der
Zahl der unehelichen Geburten schliessen zu dürfen glaubt, Ver¬
hältnisse, in denen die Lebenswahrscheinlichkeit der Kinder in ganz
besonderem Masse herabgesetzt wird. Betrachtet man nun die für
Preussen oben angegebenen Zahlen für die prozentuale Grösse der
Säuglingssterblichkeit, so könnte man daraus schliessen, dass die
Kindersterblichkeit in diesem Staat eine Tendenz zum Rückgang zeigt.
Mit Rücksicht aber auf die dauernd steigende Gesamt-Geburtenziffer
ist trotz des sinkenden oder wenigstens gleichbleibenden Prozent¬
satzes der Sterbefälle eine erhebliche Steigerung der absoluten
Sterblichkeit als vorhanden zu erkennen. Es scheint, als ob diese*
Frage doch einer eingehenderen Untersuchung bedürfe, unter Zu¬
grundelegung der Verhältnisse in verschieden grossen Verwaltungs¬
gebieten, um beurteilen zu können, bei welchen Zahlen-Verhältnissen
man von grösserer oder geringerer Säuglingssterblichkeit reden darf.
Das preussische statistische Jahrbuch gibt in seinen Aufstellungen
des weiteren die prozentuale Säuglingssterblichkeit für die einzelnen
Regierungsbezirke. In der beifolgenden Tabelle Nr. I (S. 338) sind die*
Zahlen als Mittelwerte aus der Periode 1891—1900 und der Pe¬
riode 1875—1880 einander gegenübergestellt unter Gruppierung
der Regierungsbezirke nach der Grössen-Ziffer in der erstgenannten
Periode. Ferner sind die hierdurch bestimmten Grössen der Säuglings¬
sterblichkeit in dem Kartogramm Fig. I durch verschiedene Ab¬
tönung zur Darstellung gebracht. Es möge nun angenommen werden,
dass die Grösse der Regierungsbezirke sowie die absoluten Ziffern
der Säuglingssterblichkeit sich in solchen Grenzen bewegen, dasa
sie noch miteinander vergleichbar sind. Wie aus den Zahlen er¬
sichtlich ist, schwankt die °/ 00 -Ziffer für die Säuglingssterblichkeit
zwischen rund 100 und annähernd 300 in den einzelnen Regierungs¬
bezirken und wie das Kartogramm lehrt, zeigen die östlichen Be¬
zirke eine weit grössere prozentuale Kindersterblichkeit als die
westlichen. Unter sämtlichen Regierungsbezirken treten Stettin,
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337
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Stat/iKttim Amt 4er Stadt Dortmund
338
Tabelle I.
Auf 1000 Lebendgeburten kamen im Durchschnitt jährlich
im 1. Lebensjahr Verstorbene.
In den
In den Zeit-
In den
In den Zeit-
Regierungs-
abschnitten
Regierungs- i
abschnitten
bezirken
1891/1900j 1875/80
bezirken
1891/1900
1875/80
Aurich.
102
115
Oppeln.
211
212
Osnabrück....
121
129
Königsberg . . .
215
217
Kassel.
135
164
Cöln.
218
202
Minden .
135
151
Bromberg.
223
215
Stade.
138
137
Merseburg ....
224
214
Wiesbaden .... 1
142
162
Marienwerder .
226
226
Arnsberg.
151
151
St. Berlin . . . .
230
304
Lüneburg.
157
150
Gumbinnen . .
230
219
Trier.
157
157
Stralsund.
230
19b
Hildesheim ....
159
161
Magdeburg... .
231
21 £
Koblenz.
161
179
Sigmaringen . .
233
317
Schleswig.
162
150
Frankfurt.
234
220
Münster. 1
164
150
Danzig.
243
23b
Hannover .
170
165
Potsdam.
256
254
Köslin.■.
172
166
Stettin.
259
221
Düsseldorf . ...
! 174
166
Breslau.
273
274
Erfurt. 1
! 175
186
Liegnitz.
273
| 289
Posen.
203
216
Im Königreich
Aachen.
210
193
Preussen .... ’
203
, 206
(Entnommen dem Statistischen Jahrbuch für den Preussischen Staat 1904.)
Potsdam, Liegnitz und Breslau ganz besonders hervor. Es erhellt
aber ferner aus der Zahlen-Aufstellung deutlich, dass zwischen der
Periode 1875—1880 und der Periode 1891—1900 nur geringe Ver¬
schiebungen in der Grössen-Gruppierung der Regierungsbezirke ein¬
getreten sind. Ein grosser Teil derselben zeigt einen Rückgang der
Promilleziffer, viele einen Stillstand und wie bereits erwähnt, ist
das Gesamt-Resultat in der letzten Zeitperiode ein Rückgang der
°/ 00 -Ziffer gegen die frühere Zeit für das gesamte Königreich, so
dass also das Kartogramm in seinem grossen Zuge als Darstellung*
der Verhältnisse seit den 70er Jahren gelten darf. Ohne auf die
verschiedenen wirtschaftlichen Einflüsse in östlichen und westlichen
Provinzen einzugehen, könnte vielleicht noch die Möglichkeit in Rück¬
sicht gezogen werden, dass auf diese Verteilung der Sterblichkeits¬
verhältnisse herbstliche Rückwanderungen der Bevölkerung (oszillie¬
rende Wanderungen) aus den westlichen Teilen des Königreich»
nach den östlichen Teilen in bedeutendem Masse mitwirken, so das»
also ein Teil der im Osten verstorbenen Säuglinge eigentlich auf
Rechnung der Sterblichkeitsursachen im Westen zu setzen wäre.
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339
Jedenfalls lässt sich aber trotzdem vom Standpunkte
der vorliegenden Arbeit als besonders interessant kon¬
statieren, dass die Säuglingssterblichkeit im Westen ver¬
hältnismässig geringer erscheint als im Osten. Noch etwas
prägnanter tritt diese Tatsache hervor, wenn man die Darstellung
auf grössere Gebiete, die Provinzen, erstreckt. In der Tabelle Nr. II
Tabelle II.
Die Geburtenziffer und die Säuglingssterblichkeit in den Preussischen
Provinzen in den Jahren 1882 und 1903.
In den preussischen
Provinzen:
1
betrug die Zahl der
Lebendgeborenen
1882 0 1903»)
starben E
1. Lebe
1882 0
Binder im
nsjahre
1903»)
Das si
1000 L
gebo
1882
nd auf
ebend-
rene
1903 1 2 3 )
Ostpreusseu.!
76 524
69 033
; 18 753
15 670
245
227
Westpreussen ....
61 495
64 305
15 078
14 597
245
227
Stadt Berlin.
44146
47 789
12 044
9 462
273
198
Brandenburg .
83 611
94 804
19 387
21 521
232
227
Pommern. 1
58 305
55 460
11 390
12 312
195
222
Posen.
72 460
79 293
16 675
16 414
230
207
Schlesien.
150 924
180 101
39 821
1 42 504
263
236
Sachsen.|
88 378
95 660
18 718
20 471
212
214
Schleswig-Holstein
36 551
44 483
' 5 289
6 895
145
155
Hannover .
68 947
82 332
1 9 912
12 103
144
147
Westfalen.1
79 158
136 8851
11700
20 530
1 148
150
Hessen-Nassau ...
52 280
60 3931, 8 228
8 395
157
139
Rheinland.Ij
153 544
222 548
27 590
38 501 1
1 180
173
Hohenzollern.i
2 623
2147
627
i 509 |
| 239
237
Königr. Preussen .
11 028 946
1235 213
I 215212
239 884 |
209
| 194 ~
sind die Verhältnisse in den Provinzen ziffernmässig dargestellt
nach den Notierungen aus dem Jahre 1882 und nach denen aus
dem Jahre 1903; ein umfassenderes Zahlenmaterial als für diese
beiden Jahre stand z. Zt. nicht zur Verfügung. Es ist aber auch
aus diesem interessant zu ersehen, welche Differenzen in dem ca.
20jährigen Zeitraum in der Zahl der Lebendgeburten eingetreten
sind und wie sich dem gegenüber die Säuglingssterblichkeit ver¬
hält. Die Zahlen sind auch genügend gross, um besondere Extreme
in einem der beiden Jahre in den Witterungs Verhältnissen oder der-
1) Preussische Statistik LXXV 1884. Die Kindersterblichkeit in
Preusseu 1882.
2) Statistisches Jahi-buch für den Preussischen Staat II 1904.
3) Berechnet aus der %o-Ziffer wegen Mangel an Material. Die
Fehlergrenze beträgt höchstens 1 °/ Q0 .
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340
gleichen, wenigstens für die allgemeine Beurteilung, verschwinden
zu lassen. Nimmt man also auch hier wieder die Zulässigkeit einer
Vergleichung der für die Provinzen gefundenen Zahlen an, so ergibt
sich folgendes:
Die Zahl der Lebendgeburten ist im Jahre 1903 kleiner,
als im Jahre 1882 in den Provinzen: Ostpreussen, Pommern und
Hohenzollern. Hierbei ist die Sterbeziffer der Säuglinge im
Jahre 1903 grösser in Pommern, und zwar absolut und relativ, da¬
gegen kleiner in Ostpreussen und Hohenzollern.
Die Zahl der Lebendgeburten ist dagegen im Jahre 1903
in allen übrigen Provinzen grösser.— Es finden sieh aber unter diesen
mehrere, in denen die Sterbeziffer der Säuglinge gesunken ist, in
einigen besteht sogar ein Unterschied zwischen dem Verhalten der
absoluten und der relativen Sterbeziffer.
Die absolute, wie auch die relative Sterbeziffer steigt
in Sachsen, Schleswig, Hannover, Westfalen (in den Provinzen
Sachsen und Westfalen ist die Promilleziffer nur wenig gestiegen).
Die absolute und die relative Ziffer sinkt in West-
preussen, Berlin und Posen.
Die absolute Ziffer steigt, bei gleichzeitigem Sinken der Pro-
milleziffer in Brandenburg, Schlesien, Hessen-Nassau und im Rheinland.
Wenn im früheren bezüglich eines Staates, als auch noch mehr
bezüglich kleiner Verwaltungsbezirke darauf hingewiesen werden
musste, dass der Vergleich der Sterbeziffern mit Vorsicht zu ge¬
schehen hat, so kommen diese Erwägungen noch weit mehr in Be¬
tracht bei der Beobachtung noch kleinerer Gebiete, wie beispiels¬
weise von Stadtgemeinden. Bei der Beobachtung derselben ist noch
viel mehr darauf zu achten, dass nur solche Städte mit einigermassen
gleich grossen Geburten- und Sterbeziffern einander gegentibergestellt
werden. Um indessen wenigstens einen allgemeinen Anhalt für den
Vergleich der Verhältnisse in Dortmund mit denjenigen in anderen
Grossstädten zu haben, seien hier die Ziffern für eine Anzahl Gross¬
städte aus dem Statistischen Jahrbuch für den preussischen Staat
für 1904 entnommen (s. S. 341).
Welcher Wert der °/ 00 -Ziffer für die unehelichen Geburten
beizulegen ist im Verhältnis zur °/ 00 -Ziffer der ehelichen Geburten
oder der Gesamtzahl ist bereits erörtert worden.
Die für die Stadt Dortmund festgestellten Zahlen sind
folgende: Es kamen auf 1000 Lebendgeburten im Durchschnitt der
Jahre 1876/80 1881/85 1886/90 1891/95 1896/1900 1901/04
185,8 173,1 179,7 178,7 191,8 174,7
Sterbefälle von Säuglingen Für die ausserehelicheu Geburten ergibt
sich in den Jahren 1897—1900 eine °/ 00 -Ziffer von 379,6, in den
Jahren 1901—1904 von 468,6.
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341
Zahl der jährlich (1891—1900) verstorbenen
Säuglinge auf 1000 Lebendgeburten:
Stadt
| über-
jl haupt
il t
bei den
Ehe¬
lichen
bei den
Unehe¬
lichen
Berlin.
I 1 1
1 230 1
205
381
Breslau.
* 268
245
380
Cöln.
247
232
368
Frankfurt a. M.. . .
159
138
314
Hannover.
191
170
302
Magdeburg.
260
238 •
434
Düsseldorf.
208
197
398
Stettin.
314
297
476
Königsberg i. Pr .
269
236
432
Altona.
1 207
183
399
Elberfeld.
1 163
152
397
Halle a. S.
f 222
207
320
Barmen.
158
149
421
Danzig.
275
! 255
412
Aachen .
i 256
245
465
Crefeld.
; 205
194
379
Zur Gewinnung eines Anhalts für die Beurteilung des bekannten
Fehlers in dieser Rechnung der aus der Verschiebung durch Wanderung
usw. entsteht, seien hier die Zahlen, welche für Dortmund in Be¬
tracht kommen, gegeben.
Im Jahre:
1896
1837 1898 | 1899 | 1900 ! 1901
1902 1903
1904
Versterben im 1. Le¬
bensjahre .
. 928
937 1131 1158 ! 1186
1194
1000 i 1091
1224
Davon waren in Dort¬
mund geboren ....
872 '
893 : 1064 1098 j 1100
1145 ,
935|1004
1110
Um die Bedeutung der Kindersterblichkeit für die Entwicklung
der Stadt Dortmund etwas genauer zu kennzeichnen, sind in der
folgenden Tabelle einige Ziffern über den gesamten natürlichen Be¬
völkerungswechsel in Dortmund in der Zeilperiode 1876—1904 ge¬
geben.
Der natürliche Bevölkerungswechsel in Dortmund.
(Jahresmittel aus fünfjährigen Perioden 1876—1904.)
Periode
Zahl der
1 Lebend-
J g e ’
j borenen
Davon
waren
unehe¬
lich
i Zahl der
1 Ge-
1 storbenen
(o. Totgeb.)
Davon im
1. Lebens¬
jahre ge¬
storben
D. s. auf
1000
Lebend¬
geborene
Geburten¬
über¬
schuss
1876/80
3134
105
1748
582
185,8
1386
1881/85
3345
118
1905
579
173,1
1440
1886/90
r 3558
131
2015
640
179,7
1543
1891/95
Ü 4132
140
2122
731
178,7
: 2010
1896/1900
5566
233
2783
1068
191,8
2783
1901/04
6447
288
3016
1127
174,7
3431
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342
Man erkennt hieraus, dass die Säuglingssterblichkeit anscheinend
eine Verbesserung in den letzten Jahren erfahren hat, indem einer¬
seits die °/ 00 -Ziffer eine Tendenz zum Sinken zeigt, andererseits auch
die absolute Grösse eine Besserung erkennen lässt.
Wie man sieht, beträgt die jährliche Zahl der Lebendgeburten
in den Jahren 1901/04 mehr als doppelt soviel, als in den Jahren
1876/80, während die Säuglingssterblichkeit sich nicht vollständig
verdoppelt hat. Immerhin ist doch wohl der Tatsache, dass jährlich
etwa 1 j 6 —Vs der lebendgeborenen Kinder sterben, die gebührende Be¬
achtung zu schenken. Wie ferner zu ersehen ist, betrug in den
Jahren 1876—80 die Säuglingssterblichkeit etwa Vs der gesamten
Sterblichkeit und sie beträgt in den letzten Jahren sogar noch mehr
als Vs- Auf diese Weise hat die Stadt Dortmund in den letzten
Jahren nur mit einem natürlichen Zuwachs von etwa 3000 Seelen
zu rechnen. In etwas eingehenderer Weise sind die Zahlen, welche
sich auf die Entwickelung der Stadt unter dem Einfluss des na¬
türlichen Bevölkerungswechsels beziehen, graphisch dargestellt. In
der Tafel Fig. II sind durch einzelne Stäbe für die Jahre 187a
bis 1904 die Gesamtzahlen der Lebendgeburten mit Unterscheidung
des Geschlechtes aufgetragen und man erkennt vor allem das starke
Ansteigen der Geburtenziffer in den 90 er Jahren. Nach unten ge¬
richtet sind in dem gleichen Diagramm die Zahlen der Sterbefälle
zur Darstellung gebracht; der Anteil der im 1. Lebensjahr verstorbenen
Kinder ist durch eine dunklere Abtönung hervorgehoben. Die Diffe¬
renz der von der O-Linie aus nach oben und unten gezeichneten Stäbe
gibt den Überschuss der Lebendgeburten über die Sterbefälle und
ist in einer besonderen Figur nochmals dargestellt. Es möge bei
dieser Gelegenheit noch erwähnt sein, dass bezüglich der Sexual¬
proportion bei den Lebendgeburten folgende Verhältnisse herrschen.
Auf je 100 lebendgeborene Knaben kamen im Mittel pro Jahr
in den Jahren 1876/80 1881/85 1 886/90 1891/95 1896/1900
Mädchengeburten 104,2 105,9 105,1 105,6 106,1.
Bei der Gesamt-Geburtenziffer kamen auf 100 Knaben
in den Jahren 1876/80 1881/85 188 6/90 18 91/95 1896/1900
Mädchengeburten 105,2 lüö,2 105,7 105,5 106,6.
Bezüglich der Säuglingssterbefälle ist aus den Jahren 1896—1904
zu berechnen, dass auf 100 im 1. Lebeusjahr verstorbene Mädchen
124,4 Knaben kommen. Eine weitere Unterscheidung der Säuglings¬
sterblichkeit bei den Mädchen und Knaben, sowie bei den unehelich
und ehelich Geborenen soll hier nicht durchgeführt werden, da ge¬
nügend anderweitige Forschungen vorhanden sind, welche allgemein
gültiges einwandfreies Material liefern und welche eben das bekannte
Bevölkerungsgesetz erkennen lassen, nach welchem in einem sich
günstig entwickelnden Volke ein Überschuss der Knabengeburten
Digitized by
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343
Der natürliche Bevölkernngswechsel in Dortmund.
^ CL*\\\
?oco
6000
5000
4 -OOO
5000
2000
10OO
1 000
2000
5000
-4-1
1 900
-U
1 90*.
Cvfy t>CT &Ylb/Otä&, O/tCWtA 1
-1-f-1-T -j—
Fig. II..
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344
über die Mädchengeburten vorhanden ist, so dass hierdurch der grösseren
Empfindlichkeit der Knaben im 1. Lebensjahre ein Äquivalent ge¬
boten ist. Es möge ferner noch konstatiert werden, dass
nach dem üblichen Rechnungsverfahren die Stadt Dort¬
mund bezüglich der Säuglingssterblichkeit unter den im
früheren aufgeftihrten Städten mit denjenigen, in welchen
die geringste Säuglingssterblichkeit herrscht, zusammen
geht.
Es möge nun eine Anzahl einzelner Untersuchungen folgen,
welche im grossen Zuge ihres Ergebnisses wohl zum Teil aus anderen
Beobachtungen bekannt, immerhin aber, soweit sie von diesen ab¬
weichen, interessant sind.
Von besonderem Interesse sind die Anteile verschiedener Alters¬
stufen an der Säuglingssterblichkeit, ferner die klimatischen Einflüsse
und endlich diejenigen wirtschaftlicher Natur. Für die Beobachtung,
wie die Säuglingssterblichkeit in einzelnen Altersstufen sich gestaltet,
liegen für Dortmund seit dem Jahre 1896 Beobachtungen vor und es
sind hier diejenigen Zahlen wiedergegebeu, welche sich auf die
Sterblichkeit am 1. Lebenstage, in der 1. Lebenswoche, im 1. Lebens¬
monat und endlich im 1. und 2. Lebenshalbjahr beziehen.
Der Anteil einiger Altersstufen an der Säuglingssterblichkeit
in den Jahren 1896—1904.
Es verstürben
1896
l|
1897
1898
1899
: 1900
; 1901
1
, 1902
! i
1903
j 1904
im 1. Lebensjahre....
1 1224
1091
1000
1 1194
1186
1158
1131 |
937
! 928
„ 1. Lebenshalbjahre
854
769
667
«53
777
| 787
732 j
671
, 627
n 2.
370
322
333 |
| 341
409
371
399 1
266
| 301
„ 1. Lebensmonat...
! 327
292
266
333
271 I
| 275
268 1
248
. 242
in der 1. Lebenswoche
1 187
CO
176
191
161 1
' 151
150 !
144 1
! 147
am 1. Lebenstage....
| 102
i
88
88
99
i
88j
95
88 |
93
90
Aus diesen Beobachtungen geht vor allem hervor, dass die
Sterbenswahrscheinlichkeit im 1. Lebenshalbjahr wesentlich grösser
ist, als im 2., indem die Zahl der im 1. Lebenshalbjahr gestorbenen
Kinder im Mittel der Beobachtungsjahre 68,8 °/ 0 derjenigen im 1.
vollen Lebensjahre ausmacht.
Die Zahl der im ersten Lebensmonat Gestorbenen beträgt
25,6 °/ 0 der Sterbefälle im Jahr, auf die erste Lebenswoche kommen
15 °/ 0 und endlich auf den ersten Lebenstag 8,4 °/ 0 .
Etwas anders gestalten sich diese gegenseitigen Zahlenverhält¬
nisse bei Betrachtung des Anteils der genannten Altersstufen in den
verschiedenen Jahreszeiten. Die Untersuchung ist hier bis zur Unter¬
scheidung der Kalendermonate durchgeführt und in der folgenden
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Tabelle sowie dem beigegebenen Diagramm Fig. III a ist das Ei
gebnis dargestellt.
Die Säuglingssterblichkeit in Dortmund.
(Mittelwert aus den Jahren 1896—1904 nach Monaten)
346
Der Anteil einiger Altersstufen an der Säuglingssterblichkeit
(Mittelwert 1896 — 1904).
Es
verstarben
Jan.
Febr.
März
Apr-1
Mai
Juni
Juli |
Au«r.
I
Sept.
| Okt.
Nov. Dez.
Zu¬
sammen
im 1. Lebens¬
jahre.
76,33
66,56
83,56
76,89!
82,00
79,89
142,33
165,11
103,44
77.11
65,44 75,56 1094,32
im 1. Lebens¬
halbjahr. .
54,78
44,33
54,33
49,33
53,67
52,67
96,44
108,57
74,78
55,22
1 !
49,33j55,ll
752,56
im 1. Lebens- |
monat
22,33
18.89
21,11
22,11
23,00
21,89
26.00
! 31,22
25,78
21,22
1 1
22,56 24,11 280,22
in der 1. Le- j
benswoche
13,33
1 13,00
13,67
13,11
14,11
13.44
13,11
14,56
13,78
1
13,89 13.67 14,77
164.44
am 1.Lebens¬
tage .
8,40
, 7,20
7,30 j
8,10
7,40
7,70
7,60
8,70
7,90
7,30
7,00 7,70
I I
92,30
Man erkennt die bekannte Schwankung in den absoluten Sterb-
lichkeitsziffern nach oben, in der heissen Jahreszeit, man ersieht
aber auch sofort, dass die Schwankungen in den einzelnen Alters¬
stufen verschiedener Natur sind und dass auch der verhältnismässige
Anteil der Altersstufen an der Sterbeziffer in einzelnen Monaten ver¬
schieden ist.
Der °/ 0 -Anteil einiger Altersstufen an der Säuglingssterblichkeit
(Mittelwert 1896—1904).
°/ 0 -Anteil
der Verstorbenen
Jan.
Febr. März
Apr. Mai
Juni
Juli
Aug.
Sept.
Okt. Nov.
|
Dez.
pro
Jahr
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100,0
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65,0
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65,9
67,8
65,8
72,3
71,6 75,4
Hi
68,8
„ 1.Lebensmonat
in der 1. Lebens¬
29,3
28.4
25,3
28,8 28,0
27,4
18,3
18,9
24,9
27,5 34,5
31,9
25.6
woche .
17,5
19,5
16,4
17,1 17,2
16,8
9,2
8,8
13,3
18,0 20,9
19,5
10,2
15,0
am 1. Lebenstage
11,0
10,8
1 8 ’ 7
10,5 9,0
9,6
5,3
5,3
7,6
9,5 10,7
8,4
Trägt man diese Verhältniszahlen der vorstehenden Tabelle
in ein Diagramm ein, so erhält man Kurven, wie die beigegebene
Fig. III b.
Als Mittelwert aus den Beobachtungen von 9 Jahren sind die
Ziffern der Sterblichkeit der Säuglinge im ersten Lebensmonat und
im ersten Lebenshalbjahr in Prozenten der Gesamtsterbeziffer der¬
selben aufgetragen und man erhält auf diese Weise Kurven, welche
die Sterbenswahrscheinlichkeit dieser Altersgruppen bezogen auf die
Gesamtsterbeziffer, unter Berücksichtigung der Sterbemonate, charak¬
terisieren, allerdings möge auch hier wiederum Berücksichtigung finden,
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347
dass die Prozentsätze in den verschiedenen Monaten von sehr ver¬
schieden grossen Zahlen gerechnet ;werden. Immerhin lehrt die
Darstellung, dass in den ersten Lebensmonaten die Kurve wesentlich
mit der Jahreszeit schwankt, während sie am Ende des ersten Lebens¬
halbjahres bereits eine gewisse Gleichförmigkeit erlangt hat.
Die Untersuchung
Der °/ 0 -Auteil der Altersstufen an der Säug¬
lingssterblichkeit.
(Nach Monaten-Mittel 1896—1904.)
Im 1. Lebensjahr verstorben
der Grundursachen
dieser Vorgänge muss
dem Arzt überlassen
werden, und es möge
auf andere Beobach¬
tungen verwiesen wer¬
den, nach welchen die
Säuglingssterblichkeit
von der Güte der Nah¬
rungsmittel, vor allem
aber davon abhängig
ist, ob die Kinder von
der Mutter selbst ge¬
stillt werden, oder mit
Kuhmilch oder sonsti¬
gen N ah rungsm i ttel n
genährt werden. Dass
während der heisseren
Jahreszeit die Nah¬
rungsmittel leichter
verderben, die Milch
beispielsweise beson -
ders leicht dem Sauer¬
werden ausgesetzt ist
und dass diese Ver¬
änderungen der Stoffe
einen schädlichen Ein¬
fluss auf den jungen
Organismus ausüben
müssen, ist ohne wei-
1 00f-
75
70
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Fiff. IIIb.
teresklar. Es erscheint
aber auch einleuchtend, dass die Bekämpfung der Säuglingssterb¬
lichkeit sich vor allem denjenigen Einflüssen zuzuwenden hat, welche
die in den gezeichneten Kurven hervortretenden Extreme erzeugen.
Einen wertvollen Beitrag zur Erforschung dieser bietet eine
Sonderung der Sterbefälle nach den Todesursachen. Auf die teil¬
weise Unzulänglichkeit unserer Todesursachenstatistik überhaupt ist
bereits hingewiesen worden und das Gesagte möge bei der Durch-
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348
sicht der hier folgenden Zusammenstellung beachtet werden. Für
die zwei Jahre 1901 und 1902 sind die Todesursachen ausgezählt
worden und zwar nach der Einteilung in grössere Gruppen.
Die Säuglingssterblichkeit nach Todesursachen.
1901.
Todesursache
Jan.
Febr.
März
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Juni
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Sept.
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Krämpfe.
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113
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mungsorgane . . .
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1
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Alle übrigen Krank- ,
heiten.
11
8
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19
15
14
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1902.
Todesursache
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
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Sept.
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Zu¬
sammen
Brechdurchfall und
Darmkrankheiten
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Krämpfe.
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15
17
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25
16
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11
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25
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Lebensschwäche . .
13
15
13
17
18
6
17
17
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15
14
14
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Erkrankung der At-1
mungsorgane . . .
11
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Infektionskrank¬
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140
| 76
| 67
! 701
j 1000
Wie man aus den Zahlenaufstellungen ersieht, nehmen Brech¬
durchfall und Darmkrankheiten, Krämpfe und allgemeine Lebens¬
schwäche den Hauptanteil an den Todesursachen und eine vor¬
kommende Änderung in der Grösse der Gesamtsäuglingssterblichkeit
scheint jeweils vorwiegend auf eine Änderung im Anteil dieser Todes¬
ursachen, besonders der beiden erstgenannten zurückzuführen sein.
In Verhältnisteilen ausgerechnet nehmen im Jahre 1901 die
Krankheitsgruppen: 1) Brechdurchfall und Darmkrankheiten, 2) Kräm¬
pfe, 3) Lebensschwäche, 4) Erkrankung der Atmungsorgane, 5) In¬
fektionskrankheiten, 6) alle übrigen Krankheiten zusammen folgende
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349
Prozentanteile eiu: 1) 33,7%, 2) 20,7°/ 0 , 3) 17,8%, 4) 10,5°/ o ,
5) 2,0 % und 6) 15,3 °/ 0 .
Im Jahre 1902 stellten sich die Prozentziffern wie folgt:
1) 26,5°/ 0 , 2) 22,7°/ 0 , 3) 17,9%, 4) 13,1 °/ 0 , 5) 4,7%, 6) 15,1%.
Ein aus den Notierungen der im Jahre 1897 bis 1904 berechneter
Mittelwert ergibt 30% für den Anteil der ersten Todesursache. Die
Gesamtzahlen der Sterbefälle sind 1194 und 1000, lassen sich also
miteinander vergleichen.
Wie man aus dieser Aufstellung sieht, sind vorwiegend Schwan¬
kungen in dem Anteil der unter 1) genannten Todesursachen vor¬
handen, während alle übrigen in den beiden Beobachtungsjahreu
ziemlich gleichblieben. Auch die monatlichen Schwankungen sind
bei der ersten Todesursache die stärksten, die übrigen zeigen nicht
die abnormen Steigerungen zu bestimmten Zeiten, indessen sind die
Zahlen zu klein, um aus ihnen noch weitergeheude Folgerungen ziehen
zu können.
Des weiteren kommen die Fehler in den Notierungen bei den
Meldungen der Todesursachen hinzu, so dass hier nicht weiter
auf diese Fragen eingegangen werden soll.
Wie bereits hervorgehoben wurde, wirken klimatische Ver¬
hältnisse indirekt auf die Grösse der Säuglingssterblichkeit, besonders
bei derjenigen infolge von Brechdurchfall und Darmkrankheiten, es
mögen daher einige Angaben über den Zusammenhang von Säuglings¬
sterblichkeit und Klima in Dortmund folgen.
Gegenüberstellung der Säuglingssterblichkeit und der mittleren Tages¬
temperatur in den einzelnen Kalendermonaten (Mittelwert 1898—1904).
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[113,9 82,3:66,4,75,7
In der Tabelle sind die Grösse der mittleren Tagestemperatur
und die Grösse der Säuglingssterblichkeit in den einzelnen Kalender¬
monaten einander gegentibergestellt und in einem Polardiagramm
eingetragen (Fig. IV). Die Beobachtungen stellen einen Mittelwert
aus den Notierungen von 7 Jahren dar.
Es ist aus den Aufzeichnungen zu ersehen, dass in Dortmund
im allgemeinen ein gemässigtes Klima herrscht, wobei für die Gegen¬
überstellung der Säuglingssterblichkeit mit der Temperaturkurve zu
beachten ist, dass extreme Temperaturen an einzelnen Tagen bereits
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 24
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351
imstande sind, die Kurve der Säuglingssterblichkeit erheblich zu be¬
einflussen.
Bezüglich der mittleren Temperaturkurve, an welche wir uns
bei einer generellen Beobachtung halten müssen, ist zu erkennen,
dass dieselbe eine Phasenverschiebung gegen die Sterblichkeitskurve
besitzt. Beispielsweise erreicht die Sterblichkeitskurve ihren Höhe¬
punkt im August, während die Temperaturkurve denselben bereits
im Juli erreicht hat, woraus gefolgert werden kann, dass schädliche
Einflüsse der hohen Temperaturen im Juli sich erst im August gel¬
tend macheu.
Um dieses zu studieren sind wiederum die Beobachtungen aus
den beiden Jahren 1901 und 1902, über welche schon oben einige
Mitteilungen gemacht wurden, berausgegriffen worden. Die Gesamt¬
sterbeziffer der Säuglinge betrug 1194 im Jahre 1901 und 1000 im
Jahre 1902.
Wie das beigegebene Diagramm Fig. V lehrt, konzentriert
sich der Mehrbetrag im Jahre 1901 vorwiegend auf die Monate
Juli, August und September und in diesen sind die Sterbefälle an
Brechdurchfall und Darmkrankheiten ausschlaggebend. In der Zeich¬
nung ist die Zahl der an diesen Krankheiten Verstorbenen durch be¬
sondere Schraffur hervorgehoben. Interessant ist das gegenseitige
Verhalten der Monate Juli bis September in den zwei Jahren. Im
Jahre 1901 fällt die Sterbeziffer vom Juli zum September ab, während
sie umgekehrt im Jahre 1902 an steigt, auch zeigt die Figur deutlich,
dass die Haüptursache hieran die verschieden grosse Sterblichkeit
an Brechdurchfall und Darmkrankheiten ist.
Zur Vervollständigung ist hier die Kurve der mittleren Tages¬
temperatur eingezeichnet. Man sieht, dass dieselbe im Jahre 1901
eine vollständig andere Form besitzt, als im Jahre 1902, vor allem
aber auch in der heissen Jahreszeit höhere Werte auf weist. Dies
würde nun wohl generell mit der grösseren Sterbeziffer im Jahre 1901
gut übereinstimmen, indessen ist der Temperaturunterschied im
Maximalpunkt der Kurve, im Juli 1901 mit 18,9° C. gegen 15,8° C.
im Juli 1902 nur 3,1° C.
Auch die Maximaltemperaturen, welche in den beiden Jahren
beobachtet wurden, sind nicht so bedeutend voneinander verschieden,
dass man eine genaue Abhängigkeit der Beobachtungen voneinander
feststellen könnte. Es betrug die Maximaltemperatur:
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Juli
August
September
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°C.
| am
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Die Säuglingssterblichkeit in den Jahren 1901 und 1902
nach Monaten.
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Fig. V.
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353
Es ist nun bereits von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen
worden, dass die Temperaturverhältnisse nicht allein bei der Be¬
urteilung des Einflusses klimatischer Verhältnisse betrachtet werden
dürfen, sondern dass auch Gewitter, ferner die Luftfeuchtigkeit mit
zu berücksichtigen sind. Es ist auch für Dortmund versucht worden,
solche Beziehungen aus den Beobachtungen direkt abzuleiten, in¬
dessen konnten genau erkennbare Gesetzmässigkeiten nicht gefunden
werden. Hier folgen die Zahlen (s. S. 354).
Eine ganz interessante Gegenüberstellung der Sterbemonate und
der Geburtsmonate gibt die folgende Tabelle, aus der jedoch ohne
eine erhebliche Vergrösseruug des Beobachtungsmaterials keine
Schlüsse gezogen werden dürfen. Die Tabelle ist den Notierungen
des Jahres 1900 entnommen, da diese, als im Anschluss an die
Volkszählung gewannen, zu den im späteren gegebenen Zusammen¬
stellungen benutzt werden sollten.
354
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in Rlicksieht ziehen würde. Es wäre dieses allerdings nur dann
möglich, wenn gelegentlich der grossen staatlichen Zählungen auch
auf solche Fragen mehr Rücksicht genommen würde.
Wir beschränken uns daher darauf, eine Anzahl Untersuchungen
vorzunehmen, welche sich auf das Gebiet der Stadt Dortmund beziehen
und lediglich dazu dienen sollen, die Verhältnisse, in denen die Kinder
zur Welt gekommen sind, zu schildern, ohne hierbei Schlüsse all¬
gemeinerer Natur ziehen zu wollen.
Es wäre zunächst zu untersuchen, wie sich bezüglich der
Säuglingssterblichkeit die verschiedenen Stadtgegenden verhalten und
es liegen ja auch bereits aus anderen Städten solche Untersuchungen
vor, welche allerdings gezeigt haben, dass die Verhältniszahlen in
der Säuglingssterblichkeit sehr bedeutende Unterschiede in den
einzelnen Stadtteilen aufweisen. Es möge indessen solchen Unter¬
suchungen nicht allzugrosser Wert beigelegt werden, da die Auswahl
der Grösse der einander gegentibergestellten Bezirke eine gewisse
Willkür in sich schliesst. Hält man sich aber an bestimmte Be-
zirkseinteilungen, wie sie zu sonstigen Verwaltungszweckeu benutzt
werden, so kann es leicht Vorkommen, dass extreme Fälle unbeachtet
bleiben. Es könnte beispielsweise, um einen äussersten Fall heraus¬
zunehmen, in einem Bezirk die Zahl der Lebendgeburten zwei be¬
tragen haben und es würde dann bei einem rein schematischen
Recbnungsverfahren, wenn ein Säugling gestorben wäre eine Sterb¬
lichkeit von 50°/ o angegeben werden. Um nun wenigstens derartige,
aus den Zahlenunterschieden herzuleitende Fehler auszuschliessen, ist
versucht worden, für Dortmund eine solche Bezirkseinteilung zu
wählen, welche in den untersuchten Gebieten nicht zu sehr vonein¬
ander verschiedene Zahlen der Lebendgeburten ergab.
Man erhält auf diese Weise ein Gebiet, welches die Altstadt
und einen um dieselbe sich ziehenden Häuserring in sich schliesst,
ferner die südliche Aussenstadt und einen westlichen Teil und einen
östlichen Teil der Nordstadt. — Die Zahlen beziehen sich auf das
Jahr 1904. Auf die Innenstadt entfallen 1108 Lebendgeburten, auf
die südliche Aussenstadt 1760, auf den Nord westen 1737 und auf den
Nordosten 2078, zusammen 6683, wozu noch 67 nach auswärts ge¬
hörige Kinder kommen, die hier nicht in Rechnung gesetzt werden
dürfen. — In den gleichen Gebieten betrug die Zahl der im 1. Lebens¬
jahr Verstorbenen bezw. 163, 251, 361,425. — Hiernach berechnet sich
eine Promilleziffer der Säuglingssterblichkeit für die Innenstadt
von 147, für die Aussenstadt von 143, für den Nordwesten von 208
und für den Nordosten von 205. Es ergibt sich also, dass die Innen¬
stadt und die Stidstadt unter dem für die Gesamtstadt zu berechnen¬
den Promillesatz von 183 bleiben, während die Nordstadt denselben
übersteigt und auch eben den hohen Promillesatz für die ganze Stadt
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356
bewirkt. Zergliedert man indessen die Innenstadt in die eigentliche
Altstadt und den ringförmigen Stadtteil, welcher sich um dieselbe
schliesst, so findet man, dass in diesen beiden Teilen noch eine
Unterschiedlichkeit besteht. Der °/ 00 -Satz beträgt für die Altstadt
153, für den Ring 144. Zur Kontrolle seien die Verhältnisse aus
dem Jahre 1900 herangezogen. Dort findet sich für die Gesamt¬
innenstadt eine Promilleziffer von 142, die eigentliche Altstadt zeigt
aber einen Satz von 202, während derselbe in dem sie umschliessenden
Ring nur 112 beträgt. Möglich ist nun, dass das Sinken derPro-
milleziffer (vom Jahre 1900 gegen das Jahr 1904) in der Altstadt
durch eine Anzahl grösserer Strassendurchbrüehe vorwiegend herbei¬
geführt wurde. Für gewöhnlich wird nun die Verschiedenheit der
relativen Säuglingssterblichkeit in den einzelnen Stadtteilen aus der
Verschiedenheit der wirtschaftlichen Lage der Bewohner abgeleitet. —
Dass diese für solche Verschiedenartigkeiten mitbestimmend sind,
wird niemand bestreiten, es würde aber doch zu weit gegangen sein,
wenn man sie allein als Ursache ansehen wollte. Ganz abgesehen
von der Verschiedenheit des Verantwortlichkeitsgefühls, welches zu
einer mehr oder weniger sorgfältigen Wartung der Kinder anhält,
wird auch noch eine grosse Zahl von äusseren Einflüssen zu be¬
rücksichtigen sein, wie beispielsweise die Dichtigkeit der Bebauuug,
die Belegung der Wohnungen, welche bekanntlich nicht allein von
der sozialen Stellung der Bewohner abhängen muss, sowie vor allem
auch klimatische Einflüsse und in Industriestädten beispielsweise
auch weiter noch die Lage der Wohnung in der Nähe von Fabriken
und dergleichen mehr. Die folgende Tabelle soll einen Überblick
geben, wie in den einzelnen Jahreszeiten die Säuglingssterblichkeit
in den oben angegebenen Bezirken schwankt und es ist leicht zu
erkennen, dass die Sterblichkeit in der Innenstadt einige Unter¬
schiede gegen diejenige der äusseren Stadtteile zeigt, die Schwankung
in den Jahreszeiten ist indessen ziemlich gleichartig.
in den Monaten
Zahl der verstorbenen 1
Säuglinge
iui Stadtteil
Januar
bis
März
April
bis
Juni
Juli
bis
September
Oktober
bis
Dezember
Innenstadt (Verwal- |
tungsbezirk 1 — 9)
[ »,
! ;
37
1
59
36
Südstadt (Verwal- |
tungsbezirk 10—15)
1
; 44
58
107
42
Nordwesten (Verwal- |
tungsbezirk 16—20)
!
74
73
159
55
Nordosten (Verwal¬
tungsbezirk 21—24) |
88
77
183
' TT
1
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857
Es sei hier noch an die Beobachtungen in anderen Städten
erinnert, nach welchen in kühl gelegenen Wohnungen die Sterblich¬
keit im Sommer geringer ist als iu anderen, selbst wenn sie der
Grösse nach nicht als völlig ausreichend angesehen werden können.
Derartige Untersuchungen müssen indessen der Enquete Vorbehalten
bleiben.
Einen weiteren Einblick in die Materie gibt die Untersuchung
<ler engeren Umgebung, in welcher die verstorbenen Säuglinge zur Welt
gekommen sind, die Zusammensetzung der Haushalte, die Grösse der
Belegung der Wohnung.
Es wurde daher eine Untersuchung vorgenommen, welche sich
auf das Jahr 1900 erstreckt, unter Benutzung der Ergebnisse der
mit der Volkszählung dieses Jahres verbundenen Wohnungszählung
und es wurde in der Weise vorgegangen, dass nach den standes¬
amtlichen Notierungen der Sterbefälle aus den Karten der Wohnungs¬
zählung die betreffende Wohnungskarte der Angehörigen des ver¬
storbenen Säuglings herausgesucht wurde. Bei denjenigen, bei welchen
die Wohnungsangabe auf der Sterbekarte nicht mit derjenigen auf
der Wohnungskarte tibereinstimmte, wurde auf dem Einwohnermelde¬
amt festgestellt, wo die betreffende Familie am 1. Dezember 1900
gewohnt hatte. Auf diese Weise ist ein ziemlich vollständiges Ma¬
terial zusammengekommen, welches für den hier gemachten Versuch
vollauf genügte. Die Untersuchung gibt allerdings für diejenigen
Familien, welche in der Zeit zwischen dem Tod des Säuglings und
dem Zähltermin umgezogen sind, nicht mehr genau das Bild der
Verhältnisse, in denen der Säugling hätte leben müssen, es soll aber
auch nur eine allgemeine Charakteristik gegeben werden. Um das
Bild möglichst klar zu bekommen, sind nur die Fälle, in denen die
Geburt eine eheliche war, herausgegriffen worden. Im ganzen sind
dies 1080 Geburten, bei 5 von diesen erfolgte die Geburt in der
Eisenbahn, auf einem Schiff etc., bei weiteren 117 Fällen konnten
die nötigen Erhebungen nicht erfolgen, weil die Familienhäuptcr
nicht der Meldepflicht genügt hatten. Es blieben also als Be¬
obachtungsmaterial 958 Fälle übrig. — Hiernach wurde nun zunächst
die Zusammensetzung der Haushalte und die Stärke der Familien
ausgezählt. — Es fanden sich 181 Familien, in denen der verstorbene
Säugling das einzi ge Kind war, ferner 649, in denen nur Kinder unter
14 Jahren vorhanden waren, 14, in denen ausser dem Säugling nur
Kinder über 14 Jahren und 114, in denen Kinder im Alter unter
undüber 14 Jahren waren. Die folgende Tabelle gibt das Resultat
der Auszählung.
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358
Im Alter , . desel. 1 unter und über
von (nur; unter 14 Jahren ! üb j 4 j i 14 Jahren 1
waren: 1 2 3 4| 5j 6^ 7
in: 182 196145 81 26,13! 3
i, 1 ; l , 1 l
8 lj 2 3 2
3 10| 2 2 4
, 1 1 II 1
3 1 4i 5 6
14 25 23 22
illl
7- 8' 1
21 5
Kinder
Familien.
Des weiteren interessiert die Zusammensetzung der Hausbalte»
Es fanden sich 716 Haushalte } in denen nur Angehörige des Haus¬
haltsvorstands lebten, in den übrigen 242 waren noch fremde Per¬
sonen vorhanden.
Die Stärke der Haushalte stellt sich wie folgt:
Zahl der Haushalte . * .
Zahl der Personen pro
i
11
125156157
1 !
153
i
126
STs'eajaT'ao 1
7 I 8| 910;
12j 9
Haushalt J ).
1
1 2, 3 4
1 I 1
i &
6
i
1112
11
mehr als 12»
Die Grösse der Wohnungen, in denen diese Haushalte unter¬
gebracht waren, ist aus der folgenden Aufstellung zu ersehen.
Zahl der Haushalte. ..129 |411323j 97 I 47 21 j IG | 14
Zimmerzahl p. Haushalt 1| 2 3 4*5 6 i 7 I mehr als 7
, 11,11 ! !
Dass gerade die kleineren Wohnungen in den Vordergrund
treten, ist nicht weiter bemerkenswert, da ja der grösste Teil der
Bevölkerung in den kleineren Wohnungen lebt. Ob indessen die
Wohnungen vom sanitären und auch moralischen Standtpunkte ge¬
nügten, ist eine Frage, welche durch die Kombination der beiden
vorigen Aufstellungen beleuchtet wird.
Die untersuchten Wohnungen nach Zimmer- und BewohnerzahL
Zahl der die
Wohnung
bewohnenden
Personen
Zimmerzahl der Wohnungen
1
2
3
4
5
•
7
mehr
als 7
1 in 11 Fällen
0
5
1
—
—
—
—
2 „ 125 ,
7
87
25
4
1
1
—
—
3 n 156 v
10
99
27
14
4
1
1
—
4 , 157 ,
4
89
50
9
4
1
—
—
5 , 153 ,
3
55
64
12
8
7
3
1
6 n 126 „
—
38
62
18
5
1
2
7, 78 , 1
—
22
38
6
7
2
2
1
8 . 63 „
—
9
! 28
12
4
3
5 1
1 2
9 , 37 ,
—
6
18
7 '
2
| -
2
1 2
10 , 20 .
—
4
5 '
4
2
3
—
i 2
üb.lOin 32 „
—
1
4
1 8
10
2
1
6
Zahl der Fälle
29
| 415
| 322
| 94
1 47
1 21
1 16
1 14
1) In diesen Zahlen ist der verstorbene Säugling nicht eingerechnet.
Das gleiche gilt für die späteren Aufstellungen.
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Diese Zusammenstellungen mögen nun als einfache Beobachtungs¬
resultate wiedergegeben werden, ohne aus ihnen weitergehende
Schlüsse zu ziehen. Vielleicht geben sie die Anregung zu anderen
ähnlichen Untersuchungen an anderen Orten, denn die reine Sta¬
tistik wird auch auf diesem Gebiet der Enquete, welche zur ein¬
gehenden Erforschung solcher sozialer Probleme unerlässlich ist, den
nötigen Anhalt geben, wo sie einzusetzen hat. Zur richtigen Wür¬
digung der erforschten Fälle müssten auch eigentlich weiter noch
diejenigen, in denen die Säuglinge am Leben geblieben sind, gegen¬
übergestellt werden.
Bezüglich der Bestrebungen und Einrichtungen, welche in der
Stadt Dortmund der Fürsorge für die Kinder in umfangreichem Mass
gewidmet sind, möge vorläufig auf die städtischen Verwaltungs-
bericbte und die gelegentlich der Tagung des deutschen Vereins für
Armenpflege und Wohltätigkeit in Mannheim im September 1905 ge¬
gebenen Veröffentlichungen verwiesen werden. Die Statistik wird
sich mit der Untersuchung ihrer Wirkung erst nach einem längeren
Zeitraum zu beschäftigen haben.
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Bericht über die 30. Versammlung des Deutschen
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege
in Mannheim vom 13. bis 10. September 1905.
Von
Dr. Pröbsting in Cüln.
Unter den grossen deutschen Städten ist Mannheim wohl die
jüngste, ihre Geschichte reicht nur 300 Jahre zurück. Aber wenn
der Stadt die grosse historische Vergangenheit fehlt, wenn die Pa¬
tina des Alters fast nirgends zu finden ist, so besitzt die Stadt doch
einen grossen Vorzug gegenüber den alten Städten, dass sie in ihrer
Bauart hygienischen Anforderungen in weitestem Masse entspricht.
Breite Strassen und weite Plätze bringen Licht und Luft allen Be¬
wohnern in reichster Fülle. Das ist vielleicht mit ein Grund, dass
Mannheim in manchen Bestrebungen der öffentlichen Gesundheits¬
pflege eine führende Stellung einnimmt.
Ein blühender Handel, eine grosse wachsende Industrie haben
die Stadt in den Stand gesetzt, vorzügliche hygienische Einrichtungen
zu treffen, und so ist es nicht zu verwundern, dass recht viele Mit¬
glieder des Vereins der Einladung nach Mannheim gefolgt waren;
über 400 Teilnehmer wohnten den Verhandlungen bei.
Nachdem am 12. September eine gesellige Vereinigung zur
Begrüssung im Friedrichspark stattgefunden hatte, begannen am
folgenden Tage die Verhandlungen im Musensaale des Rosengartens.
Der Vorsitzende, Geh. Hofrat Prof. Dr. Gärtner-Jena eröffnete
die Versammlung mit herzlichen Worten der Begrüssung. Namens
der badischeu Regierung hiess dann Landeskommissär Geh. Rat
Dr. Pfisterer die Versammlung willkommen, im Namen der Stadt
begrüsste Oberbürgermeister Beck die Erschienenen. Die Univer¬
sität Heidelberg liess durch Geh. Hofrath Prof. Dr. Knauff, die
technische Hochschule in Karlsruhe durch Oberbaurat Prof. Bau¬
meister ihren Willkommengruss entbieten.
Nachdem der Vorsitzende auf die freundliche Begrüssung ge¬
dankt hatte, erstattete der ständige Sekretär des Vereins, Dr. Pröb-
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361
sting-Cöln den Jahresbericht. Danach beträgt die Einnahme im
Jahre 1905 im ganzen Mk. 18 903,40, die Ausgaben stellten sich
auf Mk. 17 046,60, so dass am Schluss des Jahres ein Kassenbestand
von Mk. 1856,80 vorhanden war.
Der Verein zählt zur Zeit 1684 Mitglieder und hat im Laufe
des Jahres 31 Mitglieder durch den Tod verloren. Die Versammlung
ehrte das Andenken an die Verstorbenen durch Erheben von den
Sitzen.
Dann llberbrachte noch Ingenieur Dr. med. Imbeaux-Nancy
Griisse der Vereinigung französischer Hygieniker und lud zu der
ersten. Versammlung des Vereins in Paris ein.
Zum ersten Thema der Tagesordnung: Typhusbekämpfung
nahm als Referent Stabsarzt Dr. von Drigalski-Kassel das Wort.
Ausgehend von den Arbeiten der Typhuskommission, die seit
mehreren Jahren in den südwestlichen Teilen der Monarchie Unter¬
suchungen über die dort herrschende Typhus-Endemie anstellt, be¬
sprach Referent Entstehung, Wesen und Verbreitung des Typhus.
Der Erreger der Krankheit ist der Typhusbazillus, der am häufig¬
sten mit Wasser und Milch in den Menschen gelangt. Hier ruft er
nicht etwa nur eine lokale Darminfektion hervor, sondern der ganze
Körper wird durchseucht, so dass kaum ein Organ frei bleibt. Es
kann daher nicht überraschen, dass wir die Bazillen in allen Aus¬
scheidungen der Kranken wiederfinden, am häufigsten im Harn und
im Stuhlgang; in 546 Fällen wurden 38mal die Bazillen im Harn
und 348mal im Stuhlgang nachgewiesen. Dabei können Typhus¬
bazillen noch Wochen und Monate nach der Genesung ausgeschieden
werden. Der Referent hat einen Fall beobachtet, in dem dies noch
nach l 1 / 2 Jahren der Fall war. Das gibt uns auch einen Finger¬
zeig für die Erklärung der sog. Typhushäuser, Häuser, in denen
beständig Typhuserkrankungen ausbrechen. Sie sind nämlich von
solchen anscheinend völlig gesunden Bazillenträgern bewohnt, durch
welche eben immer wieder neue Infektionen zustande kommen.
Andererseits kommt nicht in jedem Falle bei einer Infektion das Bild
des sog. klinischen Typhus zustande, sondern die Erkrankung tritt
in den verschiedensten Formen auf, so dass wir unsere landläufigen
Anschauungen über den klinischen Typhus modifizieren müssen.
Der in gewaltigen Massen in der Erde abgelagerte Bazillus ist im
allgemeinen nicht zu fürchten. Infektionen, z. B. bei Kanal- oder
Erdarbeitern, die in hochgradig verseuchtem Boden arbeiteten, ge¬
hören zu den grössten Seltenheiten. Gefährlich wird der Bazillus
eben nur, wenn er in die Nahrungsmittel gerät. Praktisch sind aber
nur Milch und Wasser von Bedeutung. Als Bekämpfungsmassregel
vom bakteriologisch-wissenschaftlichen Standpunkte kommen in erster
Linie in Betracht: gründliche Desinfektion aller Ausscheidungen^
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362
während und nach der Krankheit, bis zum völligen Verschwinden
der Bazillen, weiterhin Absonderung der Kranken, wenn möglich in
Krankenhäusern, und endlich Sorge für einwandfreies Wasser und
Milch.
Der Korreferent, Regierungs- und Medizinalrat Dr. Spring¬
feld-Arnsberg behandelte das Thema vom Standpunkte des Ver-
waltungs- und Medizinalbeamten, dessen Aufgabe es ist, „das Gold
der bakteriologischen Wissenschaft in die Scheidemünze des ge¬
wöhnlichen Lebens umzusetzen“. Welche Bedeutung der Typhus
für Deutschland hat, geht daraus hervor, dass hier jährlich
40—50 000 Menschen an Typhus erkranken. Wie können wir
dieser Seuche Herr werden? Eine Ausrottung ist nur möglich
durch Verhütung der Masseninfektion und durch die Vernichtung
der Keime in der Nähe der Kontaktfälle. Jede Infektion muss
daher möglichst rasch zur Kenntnis der Medizinalbeamten ge¬
bracht werden. Der beamtete Arzt hat dann die Wege der In¬
fektion derart zu erforschen, dass er sämtliche Infektionen ermittelt.
Hierzu ist die bakteriologische Untersuchung vielfach notwendig, und
daher ist dem beamteten Arzt die Hülfe bakteriologischer Institute
zu sichern. Weiterhin ist ihm ein gehörig vorgebildetes Unter-
personal beizugeben. Die bisher übliche Zentralisation in der Kreis¬
instanz genügt nicht, es ist zum mindesten die Zentralisation in der
Bezirksinstanz zu fordern. Zur Verhütung von Massenaussaaten
durch Wasserleitungen sind diese Anlagen gesetzlich dem § 30 der
R.-G.-O. zu unterstellen. Ausserdem ist eine Brunnenordnung zu
erlassen, welche gewährleistet, dass Brunnen nur von sachverstän¬
digen Personen gebaut werden. So, lediglich durch die Handhabung
einer schlagfertigen Medizinalpolizei, kann der Typhus in Deutsch¬
land ausgerottet werden. Referent hat dieses Verfahren im Reg.-
Bez. Arnsberg mit dem Erfolge erprobt, dass seit dem Jahre 1900
die Sterblichkeitsziffer an Typbus von 2,53 auf 10 000 Einwohner
auf 0,7 herabgemindert worden ist. Der Redner schloss: „Sorgen
Sie für eine gute gesunde Wasserversorgung und eine tüchtige
Medizinalpolizei, dann wird der Typhus einer späteren Generation
nur eine düstere Sage sein.“
An diese beiden Vorträge schloss sich eine lebhafte Diskussion,
in der zuerst Privatdozent Dr. Wey 1-Charlottenburg das Wort nahm.
Er hat für eine lange Reihe von Jahren die Typhussterbliehkeit
graphisch dargestellt und gefunden, dass in den drei Städten Berlin,
München und Wien die Typhussterblichkeit fast in ganz gleicher
Weise verlaufen ist. Bis zum Jahre 1880 ein ständiges Ansteigen
der Seuche und nach diesem Jahre ein ständiger Abfall. Hygienische
Einrichtungen in diesen Städten hatten, wie es schien, keinerlei Ein¬
fluss auf die Sterblichkeitsziffer. Wir wissen somit noch nicht die
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363
Momente, welche hier in Frage kommen. Das darf lins aber keines*
wegs veranlassen, die Hände in den Schoss zu legen.
Prof. Dr. Jäger-Strassburg verbreitete sich eingehend über die
Technik der Brunnenkoustruktion und forderte Unterweisung der
Ärzte, besonders der beamteten Ärzte in dieser wichtigen Frage.
Prof. Dr. Fisch er-Kiel machte Angaben über die Typhus¬
bekämpfung in der Provinz Schleswig-Holstein. Er stimmte den Re¬
ferenten bei, dass Wasser und Milch die hauptsächlichsten Träger
•des Typhusgiftes seien. Allein in seiner Heimat habe er vielfach
verdorbenes Fleisch als Erreger des Typhusgiftes konstatieren können,
und diese Beobachtung sei ja auch schon früher gemacht worden,
wobei er an die bekannte Klotener Epidemie erinnerte. Redner
verwies noch auf die hohe Ansteckungsgefahr, die für das Pflege¬
personal besteht und empfahl für diese die Schutzimpfung, die ja
Auch bei unseren Schutztruppen in Stidwestafrika, wie es scheint
mit recht gutem Erfolge, ausgeführt worden ist.
Stadtphysikus San.-Rat Dr. Eberstaller-Graz berichtete über
einige Fälle von Masseninfektion, bei denen einmal die Milch und
das zweite Mal Flaschenbier als Träger fungiert haben. Die letz¬
teren Infektionen kamen dadurch zustande, dass ein typhuskranker
Hausknecht Bier in Flaschen abgefüllt und dadurch auf eine sehr
grosse Anzahl von Personen die Krankheit übertragen hatte.
Prof. Griesbach-Mühlhausen i. E. empfahl Massnahmen zur
Belehrung von Schülern und Lehrern über die Gefahren der Über¬
tragung. Hauptsächlich lenkte er die Aufmerksamkeit auf die ge¬
meinsamen Trinkbecher in den Schulen und auf die Aborte, die oft
ausserordentlich schmutzig seien.
Reg.- und Med.-Rat Demuth-Speyer war ebenfalls der Meinung,
dass man den Bazillenträgern die grösste Aufmerksamkeit schenken
müsste und berichtete über Fälle, in denen solche zweifellos In¬
fektionen verursacht haben.
Ingenieur Smreker-Mannheim glaubte nicht an die Gefährlich¬
keit der Robrbrticbe bei Wasserleitungen. Selbst der berühmte
Rohrbruch im Gelsenkirchener Typhusprozess habe keine Infektion
verursacht.
Stadtbezirksarzt Dr. Poetter-Chemnitz hat in einem Hause die
Beobachtung gemacht, dass die Übertragung des Typhus ganz zweifel¬
los durch Fliegen erfolgte. Bakteriologische Untersuchungen, die
daraufhin an der Universität Leipzig angestellt wurden, ergaben, dass
Tpphusbazillen sich 23 Tage lang virulent in Fliegen auf halten können.
Generalstabsarzt d. A. v. Bestelmeyer-München forderte mög¬
lichste Aufklärung der Bevölkerung über die Gefahr der Ansteckung
und der Übertragung durch unreines Wasser und schlechte Milch.
Die Erfahrung der Hygiene müsste viel mehr Allgemeingut werden.
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364
Direktor Dr. Czaplewski-Cöln machte auf die Desinfektion
der an Typhus Verstorbenen durch Formalin aufmerksam. Aborte
sollen überall mit Waschgelegenheiten ausgestattet sein, und Brunnen
dürfen nicht in direkter Nachbarschaft von Aborten, Dunggruben
usw. angelegt werden.
In einem kurzen Schlussworte bemerkte Stabsarzt Dr. von Dri-
galski, dass die heutige Debatte dieselben Resultate ergeben
hätten, wie die Lehren der Koch sehen Schule. Den Immunisierungs-
versuchen stehe er sehr skeptisch gegenüber. Gelänge es, Leute
immun zu machen gegen Bazillen, so könnten diese ahnungslos als
Typhusträger herumgehen und so eine grosse Gefahr darstellen.
Med.- und Reg.-Rat Springfeld möchte die Bedeutung der
Bazillenträger doch nicht überschätzen. Er glaubt mit Koch, dass
diese keine allzugrosse Rolle spielen.
Die Referenten hatten ihre Ausführung in folgenden Leitsätzen
zusammengefasst:
1. Die Typhusbekämpfung beruht auf den Ergebnissen der Typhus¬
forschung.
2. Der Typhus ist nicht eine mehr oder minder lokale Infektion,
etwa des Darmkanals beim „Darmtyphus 44 oder der Luftwege
beim „Pneumotyphus 44 , soudern eine Allgemeininfektion (Bakteri-
aemie).
3. Die Erreger können ausgesehieden werden durch alle möglichen
Se- und Exkrete, vor allem durch den Harn und Stuhl.
4. Im Stuhlgang werden die Erreger öfters schon in den ersten
Krankheitstagen, verhältnismässig reichlich und häufig aber in
der Periode der Genesung ausgeschieden.
5. Im Harn und im Stuhl längst Gesundeter können Typhusbazillen
jahrelang ausgeschieden werden. Die äussere Beschaffenheit
dieser Exkrete lässt keine Vermutung bezüglich ihrer Infek¬
tiosität zu.
6. Bakteriologisch ist festgestellt, dass die Typhusinfektion sehr
mannigfache Krankheitsbilder zeitigen kann, welche vollkommen
von dem des sog. „klinischen Typhus 44 abweichen; sie müssen
bakteriologisch geklärt werden.
7. Es liegt wenig Grund vor, den Typhusbazillus in der Aussen-
welt sehr zu fürchten — es sei denn, dass er in Wasser oder
Milch gerät.
8. Die Bekämpfungsmassregeln richten sich zunächst gegen den
endemischen Typhus:
a) Untersuchungen der Umgebung des Kranken zur Auf¬
findung der Infektionsquelle.
b) Isolierung der Kranken, wenn möglich Krankenhaus¬
behandlung.
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365
e) Desinfektionen während und nach der Krankheit;
d) Bakteriologische Überwachung der Genesenden bezw.
Genesenen.
9. Die allgemein hygienischen, insbesondere der Vorbeugung dienen¬
den Massnahmen richten sich gegen bestimmte Gefahren, welche
gesetzt werden
a) durch schlechte WohnungsVerhältnisse;
b) durch unzweckmässige Abfallbeseitung;
c) durch nicht einwandfreie Wasserversorgung;
d) durch infizierte Nahrungsmittel.
10. Der epidemische Typhus erfordert die gleichen Massnahmen
im breiteren Umfange, wobei zuweilen besondere Schwierig¬
keiten der Bekämpfung, z. B. durch Berufsinteressen zu über¬
winden sind. Die Mitwirkung von Behörden und gewerblichen
Körperschaften macht sich noch mehr notwendig als bei der
Bekämpfung des endemischen Typhus.
11. Der Unterleibstyphus ist in Deutschland endemisch verbreitet.
12. Die Epidemien kommen in der Regel nur zustande durch die
Wechselwirkung von gelegentlich eintretenden Massenaussaaten
von Bazillen über eine grössere Anzahl von Personen und
grössere Gebietsteile und von Einzelinfektionen in der Umgebung
der bei den Massenaussaaten primär Erkrankten (Koutaktfälle).
13. Die Masseninfektionen werden ohne Vermittelung des Bodens
durch Genuss verseuchten Wassers oder verseuchter Milch hervor-
gerufen. Andere Nahrungsmittel spielen dabei praktisch keine
Rolle.
14. Wasserepidemien sind Folgezustände von Strom Verseuchungen
oder von Verseuchungen der Wasserversorgungsanlagen.
Bei der Mehrzahl aller Stromepidemien waren die Abgänge
von Typhuskranken direkt und wiederholt in den Strom gelangt.
Die Verseuchung der Ströme durch die Laugen Wässer der ge*
düngten Äcker führt selten zu Stromepidemien, und die in¬
dustrielle Verschmutzung der Ströme hindert häufig Stromepi¬
demien.
15. Die Verseuchungen der Wasserleitungen sind bisher zustande
gekommen:
a) bei den Quellwasserleitungen durch Düngung des tributären
Gebietes mit Abgängen von Typhuskranken, Auslaugung
desselben und Undichtigkeiten der Förderungsanlage:
b) bei den Flusswasserleitungen:
a) durch Rohrbrüche oder Kreuzung undichter Kanäle
mit Zubringern des Wassers;
ß) durch Stromverseuchung und Benutzung des unfiltrierten
oder mangelhaft filtrierten Flusswassers.
Ccntralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 25
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366
Eine Verseuchung des Meteorgrundwasserstromes ist bisher
nicht beobachtet worden.
16. Brunnenepidemieu werden in der Regel hervorgerufen durch
direktes Hineinlaufen der Abgänge von Typhuskranken in die
Brunnen, seltener durch unterirdische offene Kommunikationen
von Dunggruben mit den Brunnen.
17. Massenaussaaten durch den Milchverkehr sind verhältnismässig
selten nachgewiesen.
Die Infektion der Milch wird bei den Molkereien und in
den Milchhandlungen in der Regel durch verseuchtes Wasser
hervorgerufen, seltener durch die Hände erkrankter oder mit
der Pflege von Typhuskranken beschäftigter Personen.
18. Die Kontaktfälle reihen sich an die ausgesäten Fälle entweder
sofort oder nach längeren Intervallen an. Die Frühkontakte
werden hervorgerufen durch Infektionen an Kranken oder ge¬
sunden Typhusbazillenträgern, die Spätkontakte durch Bazillen,
welche sich in der Umgebung der Erkrankten gehalten haben.
Die Mehrzahl der Fälle sind Frühkontakte.
19. Die Ausrottung der Typhusepidemien ist hiernach nur möglich
durch Verhütung und Bekämpfung der Massenaussaaten und
Vernichtung der Keime in der Nähe der Kontaktfälle.
20. Da die Typhusseuche durch den Personenverkehr und die Wasser-
und Milchbewegung einen pandemischen Charakter hat, ist für
ihre Bekämpfung eine möglichst weitgehende Zentralisation der
Beobachtung und Bekämpfung notwendig.
Die bisher übliche Zentralisation in der Kreisinstanz genügt
nicht, es ist zum mindesten die Zentralisation in der Bezirks¬
instanz zu fordern.
Die Errichtung besonderer, von den Polizeibehörden ver¬
schiedener Sanitätsbehörden zur Bekämpfung des Typhus ist
zum mindesten unnötig.
21. Jede Typhusinfektion muss so früh wie möglich den Medizinal¬
beamten zur Kenntnis kommen. Da die Anmeldungen der Ärzte
nie vollständig sein können, bleibt nichts anders übrig, als den
Rest der Fälle aufzusuchen. Dafür bilden die Standesamts¬
register, die Bücher der Krankenkassen und die Schul versäumnis¬
listen wertvolle Unterlagen. Es ist deshalb notwendig, dass
den beamteten Ärzten Abschriften dieser Listen allwöchentlich
zugefertigt werden.
22. Der beamtete Arzt hat bei seinen Feststellungen die Wege der
Infektiouen derart zu erforschen, dass er sämtliche Infektionen
ermittelt und die Einzelfälle als Kontaktfälle oder als Produkte
einer Massenaussaat einwandfrei zur Darstellung bringen kann.
23. Zur Feststellung der Infektionen ist die bakteriologische Unter-
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367
suchung vielfach notwendig. Da der Kreisarzt sie nicht aus¬
führen kann, ist ihm die Hülfe bakteriologischer Institute zu
sichern. Die hygienischen Institute der Universitäten reichen
bei gehörig organisierter Verbindung mit den beamteten Ärzten
hierzu aus, so dass die Errichtung besonderer Typhusstationen
von Regierungsinstituten erübrigt.
24. Zur Sicherung der Diagnose, ob Massenaussaat oder Kontakt¬
infektion vorliegt, ist eine sorgfältige Registrierung und stati¬
stische Verarbeitung der Eiuzelfälle in der Lokal- und Bezirks¬
instanz und der Besitz hygienisch-topographischen Materials für
alle Ortschaften dem beamteten Arzte unerlässlich.
25. Die Bekämpfung des Typhus ist dem beamteten Arzte ohne
ein gehörig vorgebildetes Unterpersonal unmöglich. Es ist
deshalb erforderlich, jedem beamteten Arzte der Lokalinstanz
eine gehörige Anzahl hygieuisch geprüfter Unterbeamten mit
festem Gehalt zu unterstellen.
26. Wo eine Isolierung des Typhuskranken in seiner Behausung
nicht möglich ist, oder die Gefahr vorliegt, dass seine Abgänge
zu Massenaussaateu von Typhusbazillen führen, ist der Erkrankte
dem Krankenhause zu überweisen.
27. Bleibt er in seiner Behausung, so ist eine fortlaufende Desinfektion
seiner Abgänge neben entsprechender Isolierung nicht nur an¬
zuordnen, sondern Fürsorge zu treffen, dass die Isolierung und
Desinfektion durch die Unterbeamteu des beamteten Arztes über¬
wacht wird.
28. Die Schlussdesinfektion der Effekten ist mittels strömenden
Wasserdampfes vorzunehmen, die der Räume mit Formalin, neben
mechanisch-chemischer Reinigung, die der Aborte etc. mittels
Kalkmilch. Die Desinfektion sogenannter Typhushäuser ist unter
Aufsicht der Kreisärzte zu bewirken.
29. Zur Verhütung von Massenaussaaten durch den Milchverkehr
ist der Erlass von Verordnungen erforderlich, welche eine ein¬
wandfreie Wasserversorgung der Molkereien und Milchhand¬
lungen, die Sauberkeit in der Milchbehandlung und die Entfernung
darmkranker Personeu aus den Geschäften gewährleisten.
4)0. Zur Verhütung von Massenaussaaten durch Wasserleitungen ist
ein Gesetz erforderlich, welches diese Anlagen dem § 30 d. R.-G.-O.
unterstellt, ausserdem der Erlass von Polizei-Verordnungen, welche
den Betrieb derart regeln, dass Typhusbazillen nicht in die Lei¬
tung gelangen können, endlich sind alle Wasserversorgungs*
anlagen der fortlaufenden Aufsicht der beamteten Ärzte zu unter¬
stellen.
31. Zur Verhütung von Massenaussaaten durch Brunnen ist eine
deutsche Bruunenordnung notwendig, welche gewährleistet, dass
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Brunnen nur von sachverständigen Personen gebaut werden,
dass das Eindringen von krankmachenden Bakterien unmöglich
ist, und welche eine dauernde Überwachung ihres Zustandes-
durch den beamteten Arzt bezw. seine Organe vorsieht.
Der vorgerückten Zeit wegen musste das zweite Thema: Die
Bedeutung öffentlicher Spiel- und Sportplätze für die
Volksgesundheit auf den folgenden Tag verschoben werden.
Als erster Referent behandelte dann San.-Rat Dr. Schmidt-
Bonn am zweiten Verhandlungstage diesen Gegenstand.
Ausgehend von der leider häufig konstatierten Tatsache, dass
eine sehr grosse Zahl unserer Schulkinder körperlich minderwertig
ist, forderte er umfassende Massregeln zur Besserung dieser traurigen
Verhältnisse. Wenn die üntersuchungen ergeben haben, dass 20
bis 50°/ 0 aller Schulkinder mit chronischen Leiden behaftet sind,
wenn oft nur ein Drittel oder ein Viertel der Schulkinder voll ent¬
wickelt ist, so muss man leider zugeben, dass in unseren grossen
Städten kein frisches, arbeitsfrohes und arbeitsfähiges Geschlecht
heranwächst. Es soll nicht verkannt werden, dass auch soziale
Missstände, wie schlechte Ernährung, ungesunde Wohnungen usw.
eine grosse Rolle spielen. Die grosse Zahl der skrophulösen und
rachitischen Kinder, die stetig wachsende Menge der blutarmen
Kinder beweist dies zur Genüge. Aber neben diesen Missständen
ist auch unser unzweckmässiges Schulsystem schuld an dem traurigen
Zustand unserer Schuljugend. Die Kinder müssen in dumpfen Schul¬
stuben stundenlang stillesitzen, sie haben zumeist viel zu wenig Ge¬
legenheit zur körperlichen Bewegung. Von den Strassen unserer
Grossstädte ist das junge Volk längst vertrieben, der steigende Ver¬
kehr, die gefahr- und toddrohenden Strassenbahnen haben die Kleinen
verscheucht. Himmelhoch ragen die Häuser empor, die engen Höfe
zwischen ihnen sind kein geeigneter Erholungsort für unser Licht
und Sonne verlangendes junges Volk. Zwischen diesen ungeheuren
Steinhaufen müssen wir freie Plätze schaffen, wo die Kinder nach
Herzenslust spielen und sich tummeln können. Diese Plätze müssen
besonders in den engen Vierteln liegen, wo die kleinen Leute mit
den zahlreichen Kindern hausen. Auch die Schulhöfe müssten viel
praktischer eingerichtet werden.
Aber nicht nur für die Schuljugend müssen wir sorgen. Auch
auf den Handlungslehrling und den jungen Fabrikarbeiter, der von
früh bis abends in schlechter Luft arbeitet, ohne jede Gelegenheit,
in frischer, guter Luft sich zu bewegen, muss sich unsere Sorge
erstrecken.
In unserer Jugend liegt die Zukunft unseres Volkes, diese ge¬
sund und kräftig zu erhalten ist daher unsere erste Pflicht. Ein
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vorzügliches Mittel hierzu ist aber Spiel und Sport. Diese pflegen
und diese fördern bedeutet Erhaltung und Wahrung unserer Volks¬
kraft und Volksgesundheit.
Der zweite Referent, Oberbaurat Klette-Dresden verbreitete
sich über die zweckmässige Einrichtung dieser Spiel- und Sport¬
plätze. Sie sollen in freier und gesunder Gegend liegen und den
Wohnungen der Spielbedürftigen leicht und bequem zugänglich sein.
Welchen Einfluss die Entfernung ausübt, das zeigt ein Beispiel in
Dresden: ein zu einer Volksschule günstig gelegener Platz wurde
von 6400 Schülern besucht, während ein entfernter gelegener nur
von 231 aufgesucht wurde.
Die Bedürfnisse der noch nicht schulpflichtigen Jugend sind
gering und leicht zu befriedigen. Für sie sind Plätze unter Bäumen
anzulegen; die zweckmässigste Grundform ist die des Kreises von
etwa 15—25 m Durchmesser. In der Mitte des Platzes soll ein
Sandhaufen liegen, der recht oft zu erneuern ist. Der Platz ist
durch eine dichte Vergitterung abzuschliessen, um die Kinder zu¬
sammenzuhalten. Solche Spielplätze sollen in reichlicher Anzahl in
allen öffentlichen Anlagen eingerichtet werden.
Anders liegen nun die Verhältnisse bei der schulpflichtigen
Jugend. Der jüngere Teil ist noch unselbständig und bedarf noch
des besonderen Schutzes, den ihm nur die Schule bieten kann. Da¬
her sollen für diese die Schulen und Schulhöfe geöffnet werden. Für
die grossen turnpflichtigen Schüler sind Spielplätze anzulegen, für
welche in erster Linie weite, freigelegene, ebene Anger in Frage
kommen. Sie müssen abseits vom Verkehr liegen, Wege dürfen sie
nicht durchschneiden oder ihnen entlang geführt werden. Bäume
und Anpflanzungen sind nur ausserhalb an den Rändern zulässig.
Die beste Oberflächenbefestigung bietet kurzgehaltener, dichter Rasen,
der jedoch bei lebhaftem Spielbetrieb sehr schwer zu erhalten ist.
Wie gross muss nun die Fläche sein zur Anlage ausreichend
geräumiger Spielplätze? Hier gehen nun vielfach die Forderungen
weit über das zulässige und notwendige Mass hinaus. Für die Be¬
messung der einzelnen Plätze soll als massgebend das Fussballspiel
angesehen werden, es erfordert bei 110 m Länge 75 m Breite. Alle
übrigen Spiele erfordern geringere Masse, können also auf den für
Fussball bemessenen Plätzen gespielt werden. Bei dieser Annahme
würde das Bedürfnis der spielenden Dresdener Schuljugend mit
20,625 ha zu befriedigen sein. Solche Plätze sind aber wohl zu
beschaffen.
Redner ermahnt zum Schluss Masshalten in den Forderungen
und der Entwicklung Zeit lassen! Klein anfangen, gross aufhören —
das sei die Losung.
Auch an diese Vorträge schloss sich eine lebhafte Besprechung.
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Stadtschulrat Dr. S i c k i n g er-Mannheim stimmte den Referenten
in ihren Forderungen vom Standpunkte des Schulmannes zu. Nicht
nur die geistige Erziehung, sondern auch die körperliche Ausbildung
sei Aufgabe der Schule, die als soziale Einrichtung alle Aufgaben
erfüllen müsse, welche die Familie nicht erfüllen könne.
Oberlehrer a. D. Hoffmann-Mannheim hielt Spielplätze für die
grossen Städte dringend geboten, nicht so notwendig seien sie für
kleine Städte. Es sei die erste Pflicht, die Jugend gesuud zu er¬
halten, dann brauche man nicht so zahlreiche Krankenhäuser, Lungen¬
anstalten usw. Die Referenten hätten von Wohnungselend gesprochen,
aber dieses sei nicht Schuld der Hausbesitzer, sondern der Bewohner.
Daher müssen wir eine Wohnungsaufsicht haben.
Prof. Dr. Griesbach-Mülhausen wandte sich gegen die Über¬
bürdung der Schüler, die mit dem Aufrücken der Schüler stetig zu¬
nehme. Nach der langen Sitzzeit kämen die häuslichen Arbeiten,
wo bleibe da die Zeit für das Spiel. Die Überbürdung sei keine
leere Phrase. Bemerkenswert sei der Rückgang der tauglichen
Wehrpflichtigen aus den höheren Gesellschaftsschichten. Die Nach¬
mittage müssten schulfrei sein und für das Spielen und Turnen be¬
nutzt werden.
Oberbaurat Prof. Baumeister-Karlsruhe fragte an, ob das
aus England importierte Fussballspiel wirklich ein so zweckmässiges
sei. Wir hätten so schöne deutsche Spiele, die nicht so grosse
Spielplätze verlangen. Die Gemeinden könnten solche Plätze dann
mit viel geringeren Kosten anlegen.
Dr. Werner-Leipzig möchte bei der Anlage von Spielplätzen
auf die körperlich Minderwertigen Rücksicht nehmen.
Oberbürgermeister Dr. Beutler-Dresden warnte vor Über¬
treibungen. Unsere heutige Jugend in den Städten werde nicht von
den Rasenplätzen vertrieben, das Gegenteil sei der Fall. Auch die
gänzliche Abschaffung des Nachmittagsunterrichts sei nicht angängig,
da dann das Unterrichtsziel nicht erreicht werden könne. Unser
deutsches Volk ist nicht allein ein gesundes Volk, es soll auch in
geistiger Beziehung an der Spitze bleiben, und das kann es nur,
wenn die geistige Ausbildung auf gleicher Höhe bleibt wie bisher.
Baumeister Stadtrat Hartwig-Dresden bestritt, dass der
Grossstädter entkräftet sei. Die Überbürdung der Kinder sei durch
die Eltern bedingt, die auch den unfähigen Jungen studieren lassen,
obwohl er sich viel besser zu einem Handwerk eignen würde.
In seinem Schlusswort nahm Dr. Schmidt das Fussballspiel
in Schutz, das mit dem verrufenen Sport-Fussballspiel nicht zu ver¬
gleichen sei. Aber auch unsere nationalen Ballspiele müssten geübt
und gepflegt werden.
Oberbaurat Klette regte an, die Militärverwaltung zu be-
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stimmen, ihre Exerzierplätze der Jugend zu Spielplätzen zur Ver¬
fügung zu stellen.
Die Referenten batten folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Reichliche und regelmässige Bewegung ist für die Jugend ein
unersetzliches Lebensbedürfnis zum vollen Wachstum des Körpers.
2. Neben der Ausbildung der Bewegungsorgane selbst ist vor allem
die Entwickelung eines kräftigen Herzens, einer atemtüchtigen
und widerstandsfähigen Lunge, sowie einer gesunden Blutfülle,
entsprechende Ernährung vorausgesetzt, gebunden an ein reich¬
liches Mass von Bewegung im Freien.
3 Die Pflege geeigneter Leibesbewegung und Leibestibung ist
grundlegend für die gesamte spätere Lebensfttlle und Arbeits¬
kraft des Individuums, und anderswie nicht ersetzbar.
4. Eiue Jagend, der das Austummeln im Freien, in frischer Luft
und Sonnenschein verwehrt oder verkümmert wird, wird blass,
welk, blutarm und sucht ihrem Erholungstrieb auf unhygienischen
und meist bedenklichen Wegen Genüge zu tun.
5. Das ungeheuerliche Wachstum der Städte, die Zunahme der
Bevölkeruugsdichtigkeit, die immer intensiver sich gestaltende
Ausnutzung der bebaubaren städtischen Bodenfläche, die Be¬
schlagnahme der öffentlichen Strassen und zum Teil auch der
Plätze für den Strasseubahnverkehr — alles das bedeutet für
die grossen Massen des Volkes die Verkümmerung eines ihrer
wichtigsten Daseins- und Erholungsbedürfnisse, nämlich der
unmittelbaren bequemen Gelegenheit zur Bewegung im Freien.
6. Es ist im Sinne der Volksgesundheitspflege eine unabweisbare
Pflicht der Gemeinden, in allen Stadtgebieten und ganz besonders
in den dichter bewohnten Arbeiter- und Geschäftsvierteln Plätze
frei zu halten, welche der bewegungsbedürftigen Jugend un¬
gehindert zur Benutzung stehen. Nach dieser Richtung hin
muss namentlich auch der Sucht mancher städtischen Bau¬
verwaltungen Einhalt geschehen, alle und jede freie Plätze mit
umgitterten Schmuckanlagen zu bedecken.
7. Neben diesen bescheidenen Plätzen für die Kleinsten und Kleineren
sind weiterhin, möglichst auf die Haupt-Stadtgebiete verteilt,
grössere Spiel- und Sportplätze anzulegen für die gesamte
Schuljugend sowie für die Leibesübungen und Spiele der mehr
herangewachsenen jungen Leute.
Am zweckmässigsten ist es, wenn diese Spielplätze sich in¬
mitten grösserer städtischer Anlagen oder Parks befinden.
8. Da, wo eine Stadtgemeinde ein grösseres Waldgebiet als „Stadt¬
wald“ u. dergl. eingerichtet hat, ist eine mit Wald umgebene
Fläche mit besonders weiten Abmessungen empfehlenswert, um
grössere Schul-, Jugend- oder Volksfeste im Freien abzuhalten.
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Es sollten in solchen grösseren öffentlichen Anlagen aber
alle Haupt-Rasenplätze so gehalten sein, dass sie unbedenklich
einem jeden aus dem Volke zur Erholung zugänglich sind.
9. Alle Spielplätze in Städten sollen so liegen, so angelegt, aus-
gestattet und unterhalten sein, dass sie viel und gern aufgesucht
und benutzt werden; sie müssen daher den Wohnungen der
Spielbedürftigen nahe in freier und gesunder Gegend liegen und
bequem zugängig sein.
10. Für noch nicht schulpflichtige Kinder sollen Spielplätze in reich¬
lichen und jedenfalls ausreichender Zahl tunlichst in allen öffent¬
lichen Anlagen vorgesehen und eingerichtet werden.
11. Für die schulpflichtige Jugend sollen — wenn nicht anderweit
grosse und bequem gelegene Tummelplätze zur Verfügung
stehen — die Schulhöfe für geleitete und beaufsichtigte Be¬
wegungsspiele zu bestimmten Zeiten geöffnet werden.
12. Für die nicht mehr schulpflichtige Jugend sollen möglichst
grosse Rasenflächen, wenn nicht in, so doch nahe der Stadt
angelegt bezw. eingerichtet werden. Diese sollen
an der Oberfläche frei, eben und möglichst horizontal liegen,
und so gehalten sein, dass jede Staubentwicklung, sowie alle
Schlamm- und Pfützenbildung ausgeschlossen bleibt,
für die Spielenden in unmittelbarer Nähe Unterkunftsräume
mit Gelegenheit zur Kleiderablage, Verrichtung der Notdurft,
Aufbewahrung der Spielgeräte, sowie zum Waschen und
Trinken und
für die Zuschauer freie Übersicht, Schatten und Sitzgelegen¬
heit bieten.
Plätze für Lawntennis, Radfahren, Rudern und Schwimmen etc.
brauchen nicht mit den Spielplätzen in unmittelbarer Verbindung
zu stehen.
Der zweite Gegenstand des zweiten Verhandlungstages lautete:
Schwimmbäder und Brausebäder. Auch hierfür waren zwei
Referenten bestellt: San.-Rat Dr. Kabierske-Breslau und Baurat
Beigeordneter Schnitze-Bonn.
In den letzten Jahren, so führte der erste Referent aus, ist in un¬
serem Vaterlande eine grosse Badefreudigkeit erwacht. Die Bewegung
zieht "unaufhaltsam durch die deutschen Lande und verspricht ein
Segen für das Vaterland zu werden. Zwei Bestrebungen gehen
nebeneinander her, die eine für die Verbreitung von Schwimmbädern,
die andere für die von Brausebädern, und beide sind nicht ohne
Gegensätze geblieben.
Geschichtlich ist das Brausebad schon sehr alt. Auf griechischen
Vasen aus dem 6. Jahrhundert vor Chr. sehen wir bereits Abbil-
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düngen aus einem Brausebad für Frauen. Aber die Sitte ging ver¬
loren, die Römer kannten sie nicht, und erst im 11. Jahrhundert wurde
die Brause von den Italienern neuerfunden, und für sie der Name
„doccia u Dusche geschaffen. Bei uns erhielten die Brausebäder
zuerst im Jahre 1878 als Kasernenbäder und dann 1883 als Volks¬
bäder weiteste Verbreitung. Seitdem bat diese Badform einen
Siegeszug durch die ganze zivilisierte Welt angetreten. Was nun
seine Wirkung angeht, so ist es zunächst als Reinigungsbad zu
betrachten, -indem es den Schmutz und die Ausscheidungen der Haut
von dem Körper fortschafft. Allein es ist nicht nur der Schmutz, den
wir entfernen, sondern in dem Schmutz leben Millionen von Mikro¬
organismen, die meist harmloser Natur, oft aber auch Feinde
unserer Gesundheit sind. Dazu kommt dann die mechanische Be¬
einflussung der Haut durch das Badewasser und die massierenden
und frottierenden Hände. Noch vielseitiger ist die Wirkung, wenn
kühles Brunnenwasser gebraucht wird; daun tritt die physiologische
Wirkung des kühlen Wassers hinzu. Ein weiterer Vorzug der
Brausebäder sind ferner die geringen Auslagen für Einrichtung und
Betrieb. Man berechnet die Kosten einer Dusche durchschnittlich
auf Mk 1000, der Betrieb ist billig, der Wasserverbrauch ausser¬
ordentlich gering, nur 30 bis 50 1 werden für ein Bad gerechnet,
während man für die Wanne 300 und für ein Schwimmbad 1500 1
rechnen muss. So lassen sich Bäder mit Handtüchern und Seife
wohl überall mit 10 Pfg. ohne Verlust abgeben. In den Brause¬
bädern haben wir somit eine Badeform gewonnen, die ausser¬
ordentlich wohlfeil und von unschätzbarem Wert für die Gesundheit
unsers Volkes geworden ist. Daher müssen wir fordern, dass jede
Kommune verpflichtet sein sollte, Brausebäder in genügender Anzahl
zu errichten.
Wo jedoch die Mittel vorhanden sind, da sollen wir unsere
Forderungen höher stellen und Schwimmbäder fordern, denn diese
Form des Badens dürfte nach allen Richtungen hin als die bessere
zu bezeichnen sein. Beim Gebrauche der Schwimmbäder liegt der
Nachdruck nicht auf der Reinigung, sondern auf der Entwickelung,
Kräftigung und Festigung unseres Körpers. Schwimmen ist Turnen
im Wasser, vielleicht die vollendetste aller Turnübungen, da es
alle Muskeln des Körpers in Anspruch nimmt. Und nicht allein
die Muskeln werden gekräftigt, auch das Atmen wird vertieft und
der Umfang der Atmung vergrössert, das Herz und das ganze
Gefässystem müssen sich der Atmung anpassen lernen und tüchtiger
arbeiten, damit steigert sich ihre elastische Kraft, und Reaktions¬
fähigkeit. Auf unsere Nerven wirkt das kühle Wasser erfrischend
und kräftigend ein, ein grosser Vorzug bei der reizbaren Nerven¬
schwäche vieler unserer Mitmenschen. Daneben wirkt aber auch
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das Schwimmen auf unseren Charakter, es stählt unsere Willenskraft
und Selbstbeherrschung, es befähigt uns, für andere das Leben zu
wagen, jeder Gefahr furchtlos gegenüber zu stehen und im Kampfe
unsere Pflicht zu tun.
Ganz besonders ist das Schwimmbad der weiblichen Jugend
zu empfehlen, da bei dieser körperliche Übungen so ausserordentlich
wenig gepflegt werden. Das Schwimmbad sollte der Tummelplatz
der Leibesübungen für die weibliche Jugend sein. So sind denn
die Hallenbäder keineswegs ein Luxuserzeugnis, sondern das Er¬
gebnis eines gesteigerten hygienischen Verständnisses und einer
klaren Erkenntnis der Wachstumsbedingung des Körpers.
Der zweite Referent besprach das Thema von der tech¬
nischen Seite.
Der Bauplatz soll, wenn möglich, mitten im Verkehrszentrum,
und wenn irgendwie angängig, in der Nähe von Bildungsanstalten
gelegen sein. Die Grösse ist natürlich von der Grösse der Anstalt
abhängig, für eine mittelgrosse Anstalt mit doppelten Schwimmbecken,
Wannen- und Schwitzbädern sind 2500 bis 3000 qm erforderlich.
Die Schwimmhalle selbst bestand anfangs nur aus dem Bassin
mit dem Umgang und den an den Aussenrändern des Raumes ge¬
legenen Auskleidezellen. Da man aber schon bald die Erfahrung
machte, dass durch den Gebrauch der Seife das Wasser in dem
Schwimmbecken stark verunreinigt wurde, so fügt man der Schwimm¬
halle einen Nebenraum an, der zur Vorreinigung des Körpers mittels
Abseifens bestimmt und mit Brausen ausgerüstet war.
Um die Auskleidezellen legte man später — zuerst bei dem
1875 eröffneten Bassinbad zu Badenweiler — einen besonderen
äusseren Umgang, um das Betreten der eigentlichen Baderäume mit
Schuhen zu vermeiden.
Das Schwimmbassin der Schwimmhalle selbst zeigt meist die
Form eines Rechtecks; ein Drittel der Länge, welches dem Reinigungs¬
raum zunächst liegt, ist für Nichtschwimmer, zwei Drittel für Schwimmer
bestimmt.
Was die Grösse des deutschen Schwimmbassins anlangt, so
schwankt diese zwischen Längen von 30 bis 14 m und Breiten von
15 bis 7 m, somit zwischen Wasseroberflächen von 400 bis 100 qm
und Wassermengen von 6U0 bis 150 cbm. Für ein Männerschwimm¬
bad dürfte das zweckmässige Mittelmass 20m Länge, 10m Breite,
somit 200 qm Oberfläche mit 300 cbm Füllung betragen. Wenn
irgend möglich, so soll ein städtisches Schwimmbad mit zwei
Schwimmbecken gesondert für Männer und Frauen ausgerüstet sein.
In einigen grossen Städten, so zuerst in Köln, sind Schwimmbäder
mit drei Schwimmbecken erbaut worden, das dritte Becken wurde
dann als Volksbad eingerichtet.
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Die Auskleidezellen werden am besten an den beiden Lang¬
seiten des Beckens anzulegen sein, die Zellen sollen auch bei den sog.
Volksschwimmbädern geschlossen sein. Dem Brauseraum hat man
neuerdings in einigen Schwimmbädern ein kleines auf etwa 30° C.
temperiertes Warmluftbad angefügt, um schwächlichen, anämischen
Personen vor und nach dem Bade Gelegenheit zur Erwärmung des
Körpers zu geben. Auch Schwitzbäder hat man mehrfach unmittel¬
bar mit der Schwimmhalle verbunden, um den Gebrauch des Schwimm¬
bades im Anschluss an das Schwitzbad zu ermöglichen.
Ausserordentliche Schwierigkeiten haben die Deckenkonstruk¬
tionen der Schwimmhallen bereitet. Neuerdings haben wir in den
Betongewölben mit Eiseneinlagen ein vortreffliches Material gefunden,
welches eine technisch vollkommene dabei künstlerische und wohlfeile
Deckenherstellung gestattet.
Was nun die künstlerische Ausstattung der Baderäume angeht,
so ist hier Masshalten dringend geboten, um solche Anlagen nicht
übermässig zu verteuern; in erster Linie soll das gesundheitlich
Zweckmässige das Bestimmende sein.
Die meisten deutschen Schwimmhallen sind auch diesem Grund¬
sätze gefolgt, um nicht durch künstlerische Übertreibungen die
Mittel, die für gesundheitliche Zwecke zur Verfügung gestellt waren,
allzusehr zu schmälern.
In bezug auf die Rentabilität muss auch noch heute, wie bei
der Anlage des vor 50 Jahren eröffneten ersten deutschen Schwimm¬
bades der Gesichtspunkt gelten: Keine vorwiegende Rücksicht
auf Rentabilität. Hebung der Reinlichkeit in den unbemittelten
Volksklassen.
Nach den neuesten Zusammenstellungen haben wir jetzt in
Deutschland 155 Schwimmhallen zumeist in West- und Mitteldeutsch¬
land. Zahlreiche Bauten sind projektiert oder schon in der Aus¬
führung, so dass wir eine gedeihliche Fortentwicklung auf diesem
Gebiet konstatieren können.
In der anschliessenden Besprechung forderte Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Lassar-Berlin die Errichtung vieler kleiner, einfacher
Bäder. Die heutigen Einrichtungen seien für das vorhandene Bade¬
bedürfnis bei weitem nicht ausreichend, denn im ganzen deutschen
Reich seien nur etwa 150 Schwimmhallen und etwa 7000 Brause¬
zellen vorhanden. Die Furcht von einer event. Ansteckung, vor
Übertragung von Krankheiten durch Schwimmbäder sei durchaus
unbegründet, noch niemals sei eine solche Übertragung sicher nach¬
gewiesen worden.
Stadtrat und Baurat H erzberg -Berlin schloss sich diesen
Forderungen an, und wünschte namentlich, dass sehr viel mehr
öffentliche Waschgelegenheiten geschaffen würden. Durch gesetz-
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liehe Vorschriften die Gemeinden zur Errichtung öffentlicher Bade¬
einrichtungen zu zwingen, hielt er für recht bedenklich.
Dir. Dr. Czaplewski-Köln bezeichnete das Baden im offenen
Fluss für nicht ganz unbedenklich. Noch vor kurzem konnte er
«achweisen, dass ein Typhus durch ein solches aus selbstmörderischer
Absicht genommenes Bad entstanden war.
Baurat Hartwig-Dresden glaubte, dass auch die Wannenbäder
gelegentlich Ansteckungen, z. B. von Typhus, vermitteln könnten.
Oberbürgermeister Fuss-Kiel, stellte folgende Resolution:
„Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege sieht
in der Schaffung von Volksbrausebädern eine Mindestforderung,
die im hygienischen Interesse an alle deutsche Städte gestellt
werden muss. Er empfiehlt jedoch dringend, daneben auch auf
die Schaffung von Schwimmhallenbädern hinzuwirken und hält
die gegen sie hier und da erhobenen hygienischen Bedenken bei
einigermassen vorsichtiger Einrichtung ihrer Anlage und ihres
Betriebes nicht für begründet.“
Nachdem sich mehrere Redner für und gegen diese Resolution
ausgesprochen hatten, wurde dieselbe mit grosser Majorität ange¬
nommen.
Den Ausführungen der Referenten lagen folgende Leitsätze
zugrunde:
1. Die Brausebäder sind künstliche Duschbäder mit verschieden
zu temperierendem Wasser, die unabhängig von jeder Witterung
genommen werden können. Sie bezwecken und erreichen in
richtiger Anordnung und Gebrauchsweise eine möglichst voll¬
kommene Reinigung des Körpers in schneller und einfacher
Weise und müssen daher für Schulen, Kasernen, Fabrikations¬
betriebe, öffentliche Verkehrsanstalten, kurz überall, wo das
engere Zusammenleben der Menschen und deren Arbeitstätigkeit
die Einwirkung, Entstehung und Verbreitung gesundheitsschäd¬
licher Stoffe leichter möglich macht, als Abwehrmittel gegen
Krankheit und Schwächung des Körpere aufs nachdrücklichste
empfohlen werden.
2 . Eine sinngemässe Anwendung kalter Brausebäder steigert bei
regelmässigem Gebrauche die Reaktionskraft der Haut und
macht sie wetterfester und widerstandsfähiger gegen Erkältungs-
einfltisse.
3. Da die Herstellung von Brausebädern, wie ihr Betrieb ver¬
hältnismässig billig und wassersparsam ist, können sie gegen
geringe Vergütung verabfolgt werden, und sind somit für kleinere
und ärmere Gemeinden und für wasserarme Gegenden heute
das empfehlenswerteste Bademittel.
4. Soweit genügende Badeeinrichtungen fehlen, sollten die Ge-
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meinden im Interesse der öffentlichen Gesundheit durch gesetz¬
liche Vorschrift gezwungen werden, Brausebäder in genügender
Anzahl zu errichten.
5. Die Schwimmbäder verfolgen andere Zwecke. Bei ihrem Ge¬
brauche liegt der Hauptnacbdruck nicht auf der Reinigung des
Körpers, sondern auf seiner Entwicklung, Kräftigung und
Festigung. Nicht warmes Wasser und Seife spielen hier die
Hauptrolle, sondern kaltes Wasser und turnerische Arbeit durch
Schwimmen, Tauchen und Springen. Das Turnen im Wasser
ist eine der besten Leibesübungen, welche, Jahr aus Jahr ein
regelmässig betrieben, den Körper in seiner ganzen Struktur
kräftig, ihn gegen Erkältungseinflüsse abhärtet, die Menschen
beherzter und mutiger macht, sie gegen die Gefahr des Er¬
trinkens sichert und zu beherzter Lebensrettung unserer Mit¬
menschen aus Wassersgefahr befähigt. Auch wird ein Stück
nationaler Wehrkraft damit erworben, was nicht zu unterschätzen
ist, da seit Einführung der zweijährigen Dienstzeit die Aus¬
bildung unserer Armee im Schwimmen in bedauerlichem Rück¬
gänge ist.
6. Einen ganz hervorragenden Wert hat das Schwimmen für die
heran wachsende Jugend. Die Kräftigung der Atmung, Blut-
bewegung und Nerventätigkeit, die vortreffliche Ausbildung
des Brustkorbes, der Widerstandskraft gegen Erkrankung der
Luftwege lassen in ihm eines der besten prophylaktischen Mittel
gegen Schwindsucht erkennen. Die weibliche Jugend ist be¬
sonders auf den Wert des Schwimmens hinzu weisen, da sich
bei ihr die Gelegenheiten zu einer kräftigen Ausbildung des
Körpers weniger bieten, und die Eltern ihre Kinder ohne Sorge
einer Körperübung überlassen können, die sie nächst dem
Turnen am besten für ihre späteren schweren Körperaufgaben
vorbereitet und bildet.
7. Die modernen Hallenbäder sind als grössten Fortschritt der
heutigen Badebewegung zu begrüssen, die machtvoll wie zu
keiner anderen Zeit die ganzen deutschen Lande durchzieht.
Sie ermöglichen, unabhängig von Wind und Wetter und zu
jeder Tages- und Jahreszeit das Schwimmen zu üben und
schliessen auch die Vorteile der Brausebäder in sich ein; denn,
als Grundsatz gilt bei ihnen: ohne Brausebad kein Schwimmbad.
Für die Bewohner grosser Städte, die zumeist auf den
gesunden Aufenthalt im Freien und die Bewegung in Sonne
und staubfreier Luft verzichten müssen, ist das Hallenbad ein
Segen geworden, eine neue Quelle der Freude und Kraft; vor
allem für unsere Frauenwelt, welche nicht wie Männer ihre
Kräfte in sportlicher und turnerischer Arbeit stählen kann.
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Für die Frauen ist das Hallenbad der beste Tummel¬
platz ihrer körperlichen Übungen geworden.
Hinsichtlich der Hallenbäder und deren Bau durch die
Kommunen ist eine gesetzliche Verpflichtung heute nicht zu
verlangen. Es kann den städtischen Vertretern aller Kommunen
über lOOOO Einwohner nur eindringlichst empfohlen werden,
eine solche Quelle der Kraft und Gesundheit für ihre Mitbürger
zu gewinnen und je nach den Mitteln der Stadt unterstützend
oder selbsttätig einem der besten Fortschritte unserer Zeit zu
folgen.
8. Zur Erreichung des gesundheitlichen Nutzens der Bäder ist die
Verwendung öffentlicher Mittel für den Bau und Betrieb gemein¬
nütziger Badeanstalten sowohl solcher mit Brausebädern wie
mit Schwimmbädern berechtigt und notwendig. Insbesondere
soll die Forderung der von vornherein gesicherten Rentabilität
der Anstalten nicht die Vorbedingung ihrer Herstellung sein.
Die Versorgung mit Brausebädern ist jeder Stadtgemeinde
finanziell möglich. Durch zahlreiche Beispiele ist nachgewiesen,
dass die Errichtung und der Betrieb öffentlicher Schwimm¬
hallen nicht nur für grössere, sondern auch für kleine Städte
möglich ist und keine unerschwingliche Belastung der Gemeinden
darstellt.
9. Für den Bau von Badeanstalten aus öffentlichen Mitteln soll
der Grundsatz, dass sie in gemeinnütziger Weise der öffentlichen
Gesundheitspflege zu dienen haben, stets der in erster Linie
massgebende sein. Zu diesem Zwecke sind die Bauwerke auf
Grund der besten Erfahrungen zweckmässig und wirtschaftlich
herzustellen. Die zu weit gehende Verfolgung nebensächlicher
Zwecke, z. B. das Streben nach künstlerischen Wirkungen unter
dem Aufwande erheblicher Mittel hierfür, schädigt den Haupt¬
zweck.
10. Massnahmen, welche eine Scheiduug der öffentlichen Bäder in
besondere Anstalten für Bemittelte und für Unbemittelte be¬
zwecken oder das Ziel verfolgen, aus öffentlichen Mitteln nur
für Unbemittelte Bäder zu errichten, können nicht als zweck¬
mässig empfohlen werden. Öffentliche Badeanstalten sollen
den gemeinsamen Bedürfnissen der ganzen städtischen Bürger¬
schaft dienen. Im einzelnen können sie den Ansprüchen der
Ortsteile und Bevölkerungsklassen, für deren Gebrauch sie
bestimmt sind, wohl besonders angepasst werden. Unbemittelten
ist ihre Benutzung vorzugsweise zu den ihnen bequemsten
Besuchszeiten bei einem ihren Einkommensverhältnissen an¬
gemessenen Eintrittsgelde zu gestatten.
11. Es erscheint nicht zweckmässig, in Schwimmbädern eine ver-
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schiedenartige Behandlung der Besucher insofern durchzuftthren,
dass man den Unbemittelten gemeinsame offene Auskleideplätze
anweist; es empfiehlt sich vielmehr, für alle erwachsenen Be¬
sucher gesonderte Auskleidezellen einzurichten.
12. Es wird angeregt, auch die Brausebäder so herzustellen, dass
bei gesonderten Anskleidezellen das Bad gemeinschaftlich im
offenen Raume, wie es in den Reinigungsräumen der Schwimm¬
hallen geschieht, genommen wird. Dies würde eine bequeme
Überwachung der Badenden, dadurch grössere Gewähr für die
Erreichung des Zwecks der Körperreinigung sowie Verhütung
von Wasservergeudung und anderen Ungekörigkeiten, endlich
Zeitersparnis beim Badegeschäft ermöglichen. Die Badeanstalten
für Brausebäder würden billiger, besser beleuchtet und über¬
sichtlicher hergestellt werden können. Dadureh würde auch
die weitere Ausbreitung des Brausebades auf dem Lande ge¬
fördert werden können.
Am dritten Verhandlungstage wurde als erstes Thema Müll-
b e8 ei t i g u n g und M tt 11 v e r w e rt u n g behandelt; Berichterstatter
war Dr. Thiesing-Berlin.
Die Müllbescitigung ist für alle grösseren Gemeindewesen
Gegenstand grösster Sorge. Während die Beseitigung der flüssigen
Abfallstoffe glücklich gelöst ist, hat die Frage der Beseitigung des
Mülls, also der festen Abfallstoffe, lange Zeit allen Lösungsversuchen
getrotzt. Die Anforderung nun, welche die Gesundheitspflege an
die ordnuugsmässige Müllbeseitigung stellt, laufen darauf hinaus,
dass verhütet werde, dass durch das Müll Krankheiten entstehen
oder verbreitet werden. Pathogene Keime können ja gewiss durch
das Hausmüll verschleppt werden, aber noch niemals konnte eine
Infektion mit Sicherheit auf das Hausmüll zurückgeführt werden.
Die theoretische Gefährlichkeit des Mülls ist praktisch durchaus
nicht vou der Bedeutung, die man ihm in der Literatur beimisst,
das bestätigen auch die Erfahrungen, die man mit den Berliner
Rieselfeldern gemacht hat, wo jeder auftretende Typhusfall sorg-
faltigst beobachtet wird. Im Jahre 1903 kamen aber auf einer
Rieselfläche von rund 14 000 ha bei einer Bevölkerung von etwa
50 000 Seelen nur fünf Typhusfälle vor, die alle mit Genesung
endeten. In keinem dieser Fälle konnte der Rieselbetrieb als Ent
ßtehungsursache nachgewiesen werden. Wenn freilich die Unter¬
suchung oder Erfahrung ergeben würde, dass das Müll wirklich so
infektionsgefährlich ist, dann müsste seine sorgfältigste Vernichtung
gefordert werden. Solange aber der Beweis nicht erbracht ist,
erfordert die Rücksichtnahme auf die Finanzen der Kommunen,
dass auch einfachere Methoden, sofern sie den elementaren An-
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forderungen der Gesundheitspflege entsprechen, als zulässig be¬
zeichnet werden.
Das Müll setzt sich aus drei Hauptbestandteilen zusammen:
erstens Asche und Kehricht, zweitens animalische und vegetabilische
Abfälle, drittens gewerblich verwertbare Abfälle, wie Eisen, Lum¬
pen usw. Von diesen Bestandteilen sind die animalischen und ve¬
getabilischen Abfälle wegen ihrer grossen Zersetzungsfähigkeit im¬
stande Gesundheitsstörungen hervorzurufen. Durch eine rasche
Abfuhr ist daher zu sorgen, dass die Abfälle aus der Nähe der
Menschen fortgeschafft werden, ehe die Zersetzung beginnt. Die
Abfuhr ist daher von den beiden Phasen der Müllbeseitigung: Ab¬
fuhr und endgültige Vernichtung die wichtigere und in gesundheit¬
licher Beziehung bedeutsamere. Sie soll möglichst staub- und ge¬
ruchfrei geschehen, ob durch die Kommune selbst oder durch Unter¬
nehmer, ob bei Tag oder Nacht, das wird von örtlichen Verhält¬
nissen abhängen. Die Mängel liegen zumeist mehr auf ästhetischem
als auf hygienischem Gebiete, und daher sind auch einfache Ver¬
fahren, wenn sie den Vorschriften entsprechen, zuzulassen. Gegen
das Aufstapeln des Mülls ist nichts einzuwenden, sofern es auf einem
Platz geschieht, der von menschlichen Wohnungen genügend weit
entfernt liegt und der Bebauung voraussichtlich dauernd oder doch
noch längere Zeit entzogen bleibt. Wird die gelagerte Müllmasse
noch mit Vegetation besiedelt, so dürfte eine Gefahr wohl gänzlich
ausgeschlossen sein, wie z. B. der bekannte Scherbelberg in Leipzig
zeigt. Neben der Hygiene ist aber auch die Volkswirtschaft an der
Mtillbeseitigung interessiert, die eine rationelle Verwertung des Mülls
fordert.
Hier kommt in erster Linie die landwirtschaftliche Ausnutzung
des Mülls als Dünger zur Verbesserung der Bodenbeschaffenheit in
Frage. Der Umstand freilich, dass das Müll nur zu bestimmten
Jahreszeiten gebraucht werden kann, erschwert ausserordentlich die
Verwendung. Eine weitere Methode, die Sortierung des Mülls, ist
neuerdings mehrfach in Anwendung gekommen, so in Puchheim bei
München und zuletzt und in ausgedehntem Masse in Charlottenburg.
Hierbei ist freilich das Separations- oder Dreiteilungs-Verfahren
notwendig; es besteht darin, dass die einzelnen Gruppen von
Bestandteilen: Asche, animalische und vegetabilische Abfälle und
drittens gewerblich verwendbare Abfälle, von Anfang an getrennt
gehalten werden. Diese Abfälle müssen in 3 Behältern gesammelt
werden, im ersten Asche und Kehricht, die als Dünger Verwendung
finden, im zweiten die Speisereste, die als Schweinefutter gebraucht
werden, und im dritten die gewerblich verwendbaren Bestandteile,
die sortiert und zur weiteren Verarbeitung an Fabriken zu verkaufen
sind. Dazu ist freilich die Mitwirkung der Bevölkerung notwendig,
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aber diese verhält sich nicht so ablehnend gegen derartige Be¬
strebungen, wie man wohl annehmen könnte, und so hat sich dieses
System in einer Anzahl von Städten durchaus bewährt. Das dritte
Verfahren ist die Verbrennung, welche eine rasche und sichere
Umwandlung des Mülls in eine ästhetisch und hygienisch völlig in¬
differente Masse ermöglicht. Diese Methode geht von England
aus, wo nahezu 200 kleinere und grössere Städte das Müll auf
diese Weise beseitigen. In Deutschland stellten sich dieser Methode
zunächst grosse Schwierigkeiten entgegen, da das Müll nicht ohne
erheblichen Kohlenzusatz brennen wollte.
Im Müll zahlreicher deutscher Städte fehlen nämlich un¬
verbrannte Kohlenstttckchen fast gänzlich, namentlich dort, wo
Briketts gebrannt werden. Die taube Asche macht überdies die
Verbrennung fast ganz unmöglich, weil sie die wenigen brennbaren
Bestandteile mit einer selbst für das Feuer undurchdringlichen
Hülle umgibt. Dort, wo gute Steinkohle gebraucht wird, ist
jedoch die Müllverbrennung leicht durchzuführen. Technische Ver¬
besserungen der letzten Zeit haben es jedoch ermöglicht, auch das
Müll anderer Städte in einwandfreier Weise zu verbrennen, so dass
sich für diese Art der Müll Verwertung eine günstige Perspektive
eröffnet. Aber neben der Brennbarkeit des Mülls ist die rationelle
Durchführbarkeit der Verbrennung auch noch von der Möglichkeit
die Produkte der Verbrennung: Wärme und Rückstände dauernd
nutzbringend zu verwerten, abhängig. Die Rückstände, 35—50°/ 0
sind zu Beton und Mörtelbereitung vorzüglich geeignet. Die beste
Art die Wärme auszunutzen, ist die Umwandlung in Elektrizität,
die wohl in den meisten Fällen möglich sein dürfte. So sehen wir,
dass zahlreiche Methoden für die Müllverwertung möglich sind.
Wir müssen den Verwertungsgedanken in jeder zulässigen Form
unterstützen, damit das Wort zur Wahrheit werde: Müll ist kein
wertloser Abfall, sondern Materie am Unrechten Ort.
Die Debatte wurde eingeleitet von Dozent Dr. Weyl-Char¬
lottenburg, der auf den Beschluss der Versammlung vom Jahre 1894
aufmerksam machte:
Indem der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege
sich den von den Herren Referenten (Medizinalrat 0. Reineke
und Oberingenieur Andr. Meyer, Hamburg) aufgestellten Leit¬
sätzen anschliesst, richtet er an die Stadtgemeinden die Bitte, dieser
Angelegenheit nach den Vorgängen von Berlin und Hamburg die
grösste Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Leitsätze:
1. Gegen die landwirtschaftliche Verwertung des Kehrichts be¬
stehen keine hygienischen Bedenken, wenn derselbe gleich
untergepfltigt oder bei seiner provisorischen Lagerung so ver-
Centralblatt f. allg. Gesundtaeitspflese. XXIV. Jahrs. 26
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arbeitet oder mit Erde bedeckt wird, dass ein Verwehen oder
Verstäuben seiner Bestandteile ausgeschlossen ist. Eine längere
Lagerung des Kehrichts ohne landwirtschaftliche Verwendung
und insbesondere eine Anhäufung derselben auf Plätzen, welche
früher oder später zur städtischen Verbauung herangezogen
werden könnten, ist unstatthaft. Auch muss sicher verhindert
werden, dass Lumpensammler Teile derselben in die Stadt und
in den Verkehr zurückbringen.
2. Wo diese Bedingungen nicht erfüllt werden können, wo die
Landwirtschaft nicht imstande ist, die Mengen des städtischen
Kehrichts zu bewältigen, wo die landwirtschaftliche Verwertung
für die Städte zu kostspielig wird, oder wo Gefahr besteht,
dass zu Epidemiezeiten die Abnahme des Kehrichts auf
Schwierigkeiten stösst, da empfiehlt sich die Verbrennung nach
englischem Muster.
Dieser Beschluss sei auch heute noch ebenso richtig wie im
Jahre 1894, die Verbrennung sei die beste und sicherste Methode,
um alle etwa im Müll vorhandenen Schädlichkeiten zu beseitigen.
Die Landwirtschaft könne das Müll nicht verwerten, da sie' es
im Winter nicht abnehmen könne. Er empfahl jedoch abzuwarten,
bis die in Wiesbaden und Frankfurt eingeleiteten Verbrennungs¬
versuche abgeschlossen seien.
Bauinspektor Caspersohn bezeichnete nach den guten Er¬
fahrungen in Hamburg die Verbrennung als die hygienisch ein¬
wandfreiste Methode der Müllbeseitigung.
Fluck, Chef des Abfuhrweseiis der Stadt Zürich, berichtete
eingehend über die Resultate der Müllverbrennung in Zürich.
Durchschnittlich wurden in 24 Stunden 7,2 Tonnen pro Zelle im
Horsfallofen verbrannt. 1 kg Müll verwandelte 0,63 kg Wasser von
0° in Dampf von 100° C., an Kraft wurde pro Zelle 11,4 Kilowatt
gewonnen, oder eine Tonne Müll leistete durchschnittlich 32,6 Kilo¬
wattstunden. Die Verbrennungskosten stellten sich auf 4 Mark pro
Tonne Müll.
Direktor der Wirtschaftsgenossenschaft Berliner Grundbesitzer
Callenbach-Berlin erklärte das vom Referenten empfohlene
Separationsverfahren als einen Rückschritt in hygienischer und
ästhetischer Beziehung.
Stadtbaurat Frobenius-Wiesbaden machte Mitteilungen über
die Müllverbrennung in Wiesbaden. Er sprach sich ebenfalls gegen
das Separationsverfahren aus, da hierdurch die Fortschaffung des
Mülls verzögert werde, was eine Gesundheitsgefährdung zur Folge
haben könne.
Prof. Dr. Eris mann-Zürich verlangte auch eine schleunige
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Beseitigung des Mülls, und zwar aus Gründen der Reinlichkeit, die
-für die Gesundheitspflege die Hauptsache sei.
In seinem Schlussworte bemerkte der Referent, dass er die
Vorzüge der Verbrennung durchaus nicht bestritten habe, er habe
nur hervorheben wollen, dass auch andere Beseitigungsmethoden
nach örtlichen Verhältnissen in Frage kommen könnten. Wenn in
Hamburg das Müll sich landwirtschaftlich nicht verwerten liess, so
hindere das nicht, dass anderswo eine solche Verwertung möglich
sei. Mannheim habe nicht wie Leipzig einen Scherbelberg, sondern
ein Scherbelloch, das sogenannte Schneckenloch, in das man Jahre
lang den Abfall hineinschütte. Die Beschlüsse der Gesellschaft im
Jahre 1894 seien sehr gut gewesen, es war aber doch erforderlich,
die Frage nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft und den
seither gemachten praktischen Erfahrungen zu behandeln.
Der Referent hatte folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Bei der Beseitigung des Hausmülls müssen in erster Linie die
Forderungen der Gesundheitspflege erfüllt werden. Alle Ver¬
fahren, auch die einfachsten, wie Aufstapeln des Mülls oder
Versenken desselben ins Meer, sind als zulässig für die Mtill-
beseitigung anzusehen, wenn sie diesen Forderungen genügen.
2 . Bei einer in jeder Beziehung vollkommenen Müllbeseitigung
sind aber auch ästhetische und wirtschaftliche Momente zu be¬
rücksichtigen, und deshalb verdienen namentlich diejenigen Ver¬
fahren Beachtung, welche eine hygienisch nnd ästhetisch völlig
einwandfreie Beseitigung des Mülls gewährleisten und gleich¬
zeitig eine möglichst hohe Verwertung desselben gestatten.
3 . Als solche Verfahren kommen in Betracht:
a) Die Aufbringung des Mülls auf Ödländereien, welche der
Bebauung voraussichtlich noch längere Zeit entzogen bleiben.
Sie ist die einfachste Art der Müllbeseitigung und dann un¬
bedenklich, wenn das Müll gleich untergepflügt oder so ge¬
lagert wird, dass die Aufstapelung keine Missstände (Staub¬
verwehungen, Gerüche, Insekten- und Ungezieferplage)
herbeiführt.
b) Die Sortierung des Mülls behufs Verwertung seiner einzelnen
Bestandteile. Die Verwertbarkeit derselben wird durch die
schon im Hause beginnende Trennung (Separation) in
a) Asche und Kehricht, b) Speisereste und c) gewerbliche
Abfälle wesentlich erhöht. In den Verkehr zurückgelangende
Bestandteile müssen vorher einer Behandlung unterzogen
werden, welche die Übertragung etwa vorhandener Krankheits-
keime sicher verhütet.
c) Die Verbrennung des Mülls. Ihre Durchführbarkeit hängt
davon ab, dass das Müll ohne erhebliche Zuschläge (Kohlen)
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brennt und dass dauernder Absatz der Verbrennungsprodukte-
(Wärme und Rückstände) gewährleistet ist.
4. Eine universelle Bedeutung kommt keinem dieser Verfahren
zu, vielmehr muss von Fall zu Fall entschieden werden,
welches von ihnen unter den vorliegenden Verhältnissen dem
Vorzug verdient, und ob nicht etwa eins der einfacheren Ver¬
fahren, wie Aufstapeln des Mülls oder Versenken ins Meer, in
Betracht kommt.
Der letzte Verhandlungsgegenstand lautete: Selbstverwaltung
und Hygiene, worüber Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr.
Roth-Potsdam referierte.
Der weitangelegte und interessante Vortrag beleuchtete in
fesselnder Weise die zahlreichen Aufgaben der Kommunen auf dem
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege. In folgenden 60 Leit¬
sätzen hatte der Vortragende seine Gedanken und Forderungen
niedergelegt*
1. Den weiteren Kommunal verbänden (Provinzen p. p.),
denen die Fürsorge für die hilfsbedürftigen Geisteskranken,
die Idioten, Epileptischen, Blinden und Taubstummen übertragen
ist, liegt es ob. entsprechend der Zunahme der Bevölkerung
für Bereitstellung ausreichender Unterkunftsräume rechtzeitig
Sorge zu tragen.
2. Die Abgabe hilfsbedürftiger Geisteskranker an solche Anstalten,
in denen eine psychiatrische Leitung fehlt, liegt nicht im
Interesse dieser Kranken.
3. Bei Gefahr im Verzüge darf die Aufnahme in die nächste
Anstalt nicht durch die Aufnahmeverhandlungen (Ermittelung
des verpflichteten Armenverbandes u. a.) verzögert werden.
4. Die Entlastung der Provinzialanstalten wird durch Ausdehnung
der familiären Irrenpflege, wie durch Schaffung besonderer
Trinkerheilanstalten zu erstreben sein.
5. Die Mitwirkung der Kreise (Bezirksämter, Amtshauptmann¬
schaften u. s. w.) ist bei der Regelung der geschlossenem
Krankenpflege, insbesondere bei der Schaffung von Unterkunfts¬
räumen für ansteckende Kranke wie bei der Regelung des
Desinfektionswesens nicht zu entbehren.
6. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist die Bereitstellung eines
entsprechend ausgebildeten Pflegepersonals, namentlich auch
soweit Gemeindepflegerinnen, Haus- und Wochenpflegerinnen
in Frage kommen.
7. ln allen grösseren Ortschaften sind Gemeindepflegestationen
einzurichten, die in dünn bevölkerten Gegenden mit den not¬
wendigsten Krankenpflegegerätschaften auszurüsten sind.
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8. Auf die Bereitstellung von Armenärzten in einem der Ein¬
wohnerzahl und den örtlichen Verhältnissen entsprechenden
Umfang ist seitens der Kreise und entsprechenden Verbände
hinzuwirken.
9. Auf dem Gebiet der geschlossenen Armen- und Siechenpflege
ist die ergänzende Mitwirkung der Kreise und der weiteren
Komm anal verbände gegenüber leistungsunfähigen Gemeinden
nicht zu entbehren.
10. Eine einheitliche Regelung der Nahrungsmittelkontrolle in den
Kreisen und entsprechenden Verbänden, die sich auf Ver¬
einbarungen mit den Untersuchungsanstalten, Art und Zahl der
Probeentnahmen, wie unter Umständen auf die Errichtung von
L ntersuchungsanstalten zu erstrecken hat, empfiehlt sich aus
wirtschaftlichen und gesundheitlichen Gründen.
11. Auf die Schaffung ausreichender und einwandsfreier Wasser¬
versorgungsanlagen ist überall hinzuwirken; dabei werden
leistungsschwache Gemeinden nicht bloss durch Bereithaltung
geeigneter Sachverständiger, sondern auch durch Gewährung
entsprechender Beihilfen seitens der Kreise wie auch der
weiteren Kommunalverbände zu unterstützen sein. Durch Erlass
entsprechender Brunneuordnungen sind die wichtigsten an die
Brunnenanlagen zu stellenden gesundheitlichen Forderungen sicher
zu stellen.
12. Bei der Herstellung und Unterhaltung der öffentlichen Ver¬
kehrsstrassen wird mit Rücksicht auf den zunehmenden
Verkehr den auf die möglichste Verhütung der Staubgefahr
gerichteten Bestrebungen erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden
sein.
13. Dankbar zu begrüssen und im gesundheitlichen Interesse ge¬
legen ist auch jede Anregung und Betätigung auf dem Gebiet
des ländlichen Arbeiterwohnungswesens seitens der Kreise wie
der weiteren Kommunalverbände.
14. Zu den Aufgaben der Gemeindeverwaltung gehört es, die¬
jenigen Einrichtungen, die ganz oder hauptsächlich den Strassen-
körper, den Öffentlichen Verkehr und die öffentliche Gesundheits¬
pflege betreffen, in eigener Verwaltung herzustellen und zu
betreiben.
Io. Grundlegend für die Kommunal-Hygiene ist die rechtzeitige
Feststellung zweckentsprechender, den gesundheitlichen For¬
derungen Rechnung tragender Bebauungspläne.
16. Neben einer zweckentsprechenden Abstufung der Bauordnung,
der Unterscheidung von Wohn- und Verkehrsstrassen, der Fern¬
haltung belästigender Betriebe von den Wohnstrassen ist die
Anlage von freien Plätzen, von Volksparks, Promenaden und
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namentlich von Spiel- und Erholungsplätzen von erheblichster
Bedeutung für Gesundheit und Wohlbefinden der Bewohner,
deren gesundheitliche Bedeutung mit der Grösse der Ort¬
schaften und der Dichtigkeit des Zusammenwohnens zunimmt.
17. Auf dem Gebiet der Wohnungsfürsorge bleibt neben den Mass¬
nahmen zur Verbilligung des Wohnungsbaues das wichtigste
eine regelmässige Wohnungszählung und eine fortlaufende
Wohnungskontrolle, sei es durch amtliche oder ehrenamtliche
Organe. Die an Räume zum Wohnen und Schlafen zu stellen¬
den Mindestforderungen sind durch Gesetz oder in dessen Er¬
mangelung durch Polizeiverordnung festzusetzen.
18. Soweit besondere Wohnungsämter nicht errichtet werden, sind
Wohnungskommissionen (Deputationen) unter Zuziehung von
bautechnischen und ärztlichen Sachverständigen für die Zwecke
der Wohnungsfürsorge nutzbar zu machen. Zu demselben
Zweck sind auch die Gesundheitskommissionen heranzuziehen.
19. Vom gesundheitlichen Standpunkt ist diejenige Strassen-
befestigung die beste, die sich am wenigsten abnutzt und den
geringsten Staub erzeugt, die ferner am wenigsten Geräusch
verursacht und sich am schnellsten und gründlichsten reinigen
lässt.
20. Die kommunalen Verkehrsmittel müssen neben den sozialen
auch den hygienischen Forderungen Rechnung tragen.
21. Eine den gesundheitlichen Forderungen entsprechende Strassen-
reinigung hat die Übernahme durch die Gemeinde zur Voraus¬
setzung, und das gleiche gilt von der Strassenbesprengung.
22. Alle Bestrebungen und Massnahmen, die auf die Verhütung
der Staubentwicklung, die Reinhaltung der Luft von Rauch
und Russ, von Verbrennungsgasen u. 8. w. abzielen, verdienen
die tatkräftigste Unterstützung und Förderung seitens der
Gemeinden.
23. Für die Herstellung ordnungsmässiger Entwässerungsanlagen ist
die Bereitstellung von Höhenlageplänen eine unentbehrliche
Voraussetzung.
24. Die Beseitigung der festen und flüssigen Abfallstoffe hat so
zu erfolgen, dass Verunreinigungen des Untergrunds, der
Brunnen und der Wasserläufe sowie der Luft ausgeschlossen
sind.
25. Gemeinden mit dichter Bebauung haben auf die Herstellung
einheitlicher unterirdischer Entwässerungsanlagen für die Haus¬
und Wirtschaftswässer, denen in der Regel auch die Fäkalien,
zuzuftihren sind, Bedacht zu nehmen. Welches System der
Reinigung bezw. Klärung gewählt werden soll, richtet sieb
nach den besonderen örtlichen Verhältnissen. Soweit irgend
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möglich, empfiehlt sich die Aufnahme der Fabrikabwässer in
die gemeinsame Entwässerungsanlage, erforderlichenfalls nach
vorangegangener Vorklärung.
26. Unter besonderen Voraussetzungen (einheitliche Regelung, Kon¬
trolle seitens der Gemeindeverwaltung u. s. w.) kann das
Grubensystem zugelassen, das Tonnensystem als gesundheitlich
einwandsfrei erachtet werden.
27. Wie die Strassenreinigung und die Beseitigung des Strassen-
kehrichts durch die Gemeinde, trägt auch die Beseitigung des
Hausmtills durch die Gemeinde den gesundheitlichen For¬
derungen am vollkommensten Rechnung. Soweit eine als¬
baldige landwirtschaftliche Verwertung oder eine Vernichtung
des Mülls durch Verbrennen nicht erreichbar ist, muss jede
Gemeinde im Besitz eines geeignet gelegenen Abladeplatzes für
Haus- und Strassenkehricht sein, dessen Betrieb den gesundheit¬
lichen Forderungen entsprechend zu regeln ist.
28. Aus gesundheitlichen Rücksichten empfiehlt sich die Zwei-
bezw. Dreiteilung des Mülls.
29. In jeder Gemeinde muss eine der Einwohnerzahl und der
räumlichen Ausdehnung entsprechende Anzahl ein wandsfreier
öffentlicher Wasserentnahmestellen vorgesehen sein.
30. Bei der ausserordentlichen Verantwortung, die mit der Er¬
richtung zentraler Wasserversorgungsanlagen verbunden ist, ist
zu fordern, dass diese Anlagen von den Gemeinden oder
Gemeindeverbänden betrieben werden, da sie nur so ihren
Zweck voll und ganz erfüllen können. Der Betrieb ist auf
Grund eingehender Betriebsvorschriften zu regeln. Ein
möglichst bequemer und billiger Bezug des Trink- und Brauch¬
wassers liegt im allgemeinen gesundheitlichen Interesse, wie
auch namentlich im Interesse der Bewohner von Klein¬
wohnungen.
31. Der direkte Anschluss der Klosetts, Badewannen, Wasch- und
Spülbecken u. s. w. an die Wasserleitung schliesst ebenso wie
die Verbindung der Leer- und Überläufe der Wasserwerke
mit Abwässerleitungen und verdächtigem Oberflächenwasser
die Gefahr des Rücksaugens oder Rückfliessens unreiner
Flüssigkeiten in die Reinwasserleitung in sich. Durch Anordnung
geeigneter Zwischenschaltungen, Unterbrechungen u. a. ist
dieser Gefahr zu begegnen.
32. Diejenigen Einrichtungen und Massnahmen, welche die Bereit¬
stellung ausreichender und einwandsfreier Nahrungs- und
Genussmittel bezwecken, sind auf alle Weise seitens der Ge¬
meinden zu fördern.
33. Im Interesse der Säuglingsernährung ist zu fordern, dass eine
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38 *
sauber gewonnene lind sauber transportierte Milch von gesunden
Kühen jederzeit zu einem Preise zur Verfügung steht, der für
die Angehörigen der ärmeren Volksklassen nicht unerschwinglich
ist. In grösseren Städten sind Abgabestellen für Säuglings¬
milch und weiterhin Fürsorgestellen für Säuglingspflege, die
ärztlicher Leitung zu unterstellen sind, einzurichten. Diese
Massnahmen der Säuglingsfürsorge müssen in Grossstädten ihre
Ergänzung in der Einrichtung von Säuglingsheimen und Säug-
lingskraukenhäusern finden.
34. Eine gesundheitlich einwandsfreie Gestaltung des Fleisch¬
verkehrs hat die Zentralisierung des Schlachthausbetriebes,
die Errichtung öffentlicher Schlachthäuser seitens der Gemeinden
zur Voraussetzung, da nur so alle Garantien gegeben sind,
dass die Untersuchungen mit der erforderlichen Gründlichkeit
und Sorgfalt ausgeführt werden. Für vorschriftsmässige Be¬
handlung des bedingt zulässigen wie des beanstandeten Fleisches
muss gesorgt sein.
35. Die Förderung von Volks- und Krankenküchen, deren Er¬
richtung in erster Linie den privaten und Vereins-Wohlfahrts¬
bestrebungen zu überlassen ist, liegt im Interesse der Gemeinden
wie auch namentlich der Krankenkassen.
36. Die Armenverwaltungen haben ein ausserordentlich grosses,
zablenmässig nachweisbares Interesse daran, die Trunksucht,
als eine der häufigsten Ursachen der Verarmuug durch Unter¬
stützung aller hierauf gerichteten Massnahmen nach Möglichkeit
eindämmen zu helfen
37. Unter den Mitteln, die auf eine Hebung der Volksgesundheit
abzielen, nimmt die regelmässige Bäderbenutzung eine der
ersten Stellen ein. Deshalb verdienen alle auf die Errichtung
von Volksbädern gerichteten Bestrebungen die tatkräftigste
Förderung und Unterstützung der Gemeinden. Art und Um¬
fang der Badeeinrichtung richtet sich nach den örtlichen Ver¬
hältnissen. Die Preise der Bäder sind so zu bemessen, dass
sie nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Familien
der weniger bemittelten Volksklassen erschwinglich sind und
von der Benutzung der Bäder nicht zurückhalten.
38. Noch wichtiger wie für die Erwachsenen ist die Bereitstellung
von Badegelegenheiten für die Schuljugend. Bei jedem Schul¬
neubau ist die Frage der Errichtung eines Schulbrausebades
reiflich zu erwägen.
39 Die Bereitstellung geeigneter und ausreichender Krauken-
unterkunftsräume im Sinne des Reichsgesetzes über den Unter¬
stützungswohnsitz, des Reichsgesetzes betr. die Bekämpfung
gemeingefährlicher Krankheiten und der einschlägigen Landes-
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gesetze liegt in erster Linie den Gemeinden und in Ergänzung
den weiteren Kommunalverbänden ob.
40. Die ärztliche Leitung in den Krankenanstalten, die Aufsicht
über daB Warte- und Pflegepersonal wie über die hygienischen
Einrichtungen muss eine einheitliche sein. Die leitenden Ärzte
sind auf eine Dienstanweisung zu verpflichten, wie eine solche
auch für das Pflegepersonal zu erlassen ist.
41. Die Verpflegung ist auf Grund besonderer. Kostformen zu
regeln, bei deren Aufstellung und Kontrolle in den Kranken¬
anstalten wie in den sonstigen Gemeindeanstalten (Waisen¬
häuser, Siechenhäuser u. a.) eine ärztliche Mitwirkung nicht
zu entbehren ist.
42. Die Wartung und Pflege in den Krankenanstalten hat durch
ein sachgemäss ausgebildetes Pflegepersonal zu erfolgen.
43. Zwecks Vernichtung der Ansteckungsstoffe während der
Dauer der Krankheit wie nach Ablauf derselben müssen Des¬
infektionseinrichtungen, Desinfektionsmittel und amtliche Des¬
infektoren zur Verfügung stehen.
44. In den grösseren Krankenanstalten sind Untersuchungsstellen
einzurichten, die bei Verdacht einer ansteckenden Krankheit
namentlich von Tuberkulose, Diphtherie, Typhus, Gonorrhoe
u. a. die Ergänzung der klinischen durch die mikroskopische^
bezw. bakteriologische Diagnose ermöglichen. Diese Unter¬
suchungsstellen können für die besonderen Tuberkulose-Fttr-
sorgestellen nutzbar gemacht werden.
45. Das Krankentransport- und Rettungswesen ist der Grösse der
Gemeinde entsprechend zu regeln.
46. Zum Zwecke der Entlastung der Krankenanstalten wird auf
die gesonderte Unterbringung der Siechen einerseits und der
Rekonvaleszenten andererseits Bedacht zu nehmen sein. Eine
erfolgreiche Genesendenfürsorge hat die Bereitstellung von
Erholungsheimen zur Voraussetzung, an deren Errichtung neben
den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Krankenkassen,
Landesversicherungsanstalten und für Personen, welche durch
Unfall beschädigt sind, die Berufsgeuossenschaften zu beteiligen
sind. Ergänzend tritt die Privat- und Vereinswohltätigkeit
hinzu.
47. Die Fürsorge für bedürftige Wöchnerinnen muss in höherem
Masse als bisher Gegenstand fürsorgerischer Tätigkeit sein, an
der sich die öffentliche Armenpflege und freie Liebestätigkeit
zu beteiligen hat. Für bedürftige Wöchnerinnen ist neben der
eigentlichen Geburtshülfe sachkundige Pflege durch Haus- und
Wochenpflegerinnen sicher zu stellen. An der wichtigen Auf¬
gabe der Bereitstellung eines zuverlässigen Pflegepersonals,
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das den minderbemittelten und unbemittelten Volksklassen zu
entsprechend ermässigten Preisen oder unentgeltlich zur Ver¬
fügung stehen muss, haben sich neben den Stadt- und Land¬
kreisen die Gemeinden, und weiterhin die kirchliche Vereins¬
und Privatwohltätigkeit zu beteiligen.
48. Das Bedürfnis der Errichtung von Stadtasylen für Geistes¬
kranke, mit der Aufgabe, die Aufnahme von Geisteskranke»
zu erleichtern und zu beschleunigen, muss für grössere Städte
anerkannt werden. Diese Asyle müssen mit psychiatrisch vor¬
gebildeten Ärzten und entsprechend ausgebildetem Pflege¬
personal ausgestattet sein.
49. Hinsichtlich der Armenhäuser ist zu fordern, dass sie bezüglich
der baulichen und gesundheitlichen Einrichtungen den nach
dieser Richtung zu stellenden Mindestforderungen entsprechen.
50. In den Herbergen und Asylen ist die Beobachtung der Rein¬
lichkeitsmassnahmen wie die Absonderung krankheitsverdächtiger
Personen von besonderer Wichtigkeit. Den Bade- nnd Des¬
infektionseinrichtungen ist deshalb besondere Aufmerksamkeit
zuzuwenden.
51. Auf die Anstellung entsprechend vorgebildeter Schulärzte ist
namentlich in den Städten und den grösseren ländlichen Ge¬
meinden hinzuwirken. In dem schulärztlichen Programm muss
die Tuberkulosebekämpfung eine stärkere Berücksichtigung
finden als bisher. Den Gefahren des Schulstaubs ist wirksam
zu begegnen; dazu gehört auch, dass die Schulräume, soweit
irgend möglich, anderen als Schulzwecken nicht dienstbar
gemacht werden.
52. Die auf die Speisung und Kleidung armer Schulkinder gerichteten
Bestrebungen, die am besten der charitativen Vereinstätigkeit
überlassen bleiben, bedürfen nachhaltiger Förderung wie des¬
gleichen die auf Überweisung der Schulkinder in Ferienkolonien,
Kinderheilstätten, Seehospizen usw. gerichteten Bestrebungen.
53. In den grösseren Gemeinden ist auf die Anstellung besonderer
Gemeinde-(Stadt-)Ärzte Bedacht zu nehmen, während in de»
kleineren Gemeinden einer der Armenärzte mit den Funktionen
des Kommunalarztes als sachverständigen Beirats der Gemeinde¬
verwaltung auf allen Gebieten der kommunalen Gesundheits¬
pflege zu betrauen ist.
54. In den Grossstädten sind besondere Gesundheitsämter für alle
Zweige der kommunalen Hygiene mit Einschluss der Statistik
einzurichten.
55. Auf die Einrichtung gesundheitlicher Kommissionen (Deputationen)
nach Analogie der in Preussen durch das Gesetz, betr. die Dienst¬
stellung des Kreisarztes usw. vom 16. Sept. 1899 ins Leben
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gerufenen Gesundheitskommissionen ist in allen Bundesstaaten,
wo eine derartige Einrichtung bisher nicht besteht, innerhalb
der Gemeindeverfassung hinzuwirken. Ihre Errichtung ist be¬
sonders dringend in den Städten und den grösseren ländlichen
Gemeinden, namentlich auch in allen Sommerfrischen, Kur- und
Badeorten wie in den Industriebezirken und den Vororten der
Grossstädte. Neben dem Gemeinde- und Armenarzt, dem Tech¬
niker und Chemiker bezw. Apotheker und Tierarzt sollten diesen
Kommissionen Vertreter derjenigen Kommissionen (Deputationen)
angehören, die auf dem Gebiet der kommunalen und sozialen
Hygiene tätig sind, insbesondere Vertreter der Bau- und Wohnungs¬
deputation, der Armen-, Krankenhaus- usw. Deputation, der
Innungen und Innungsverbände, der Handwerkskammern und
sonstigen Berufs verbände, namentlich auch der Krankenkassen,
ferner Vertreter der Schulen und der grösseren gewerblichen
Untersuchungen. In den ländlichen Gesundheitskommissionen
wird auf die Anteilnahme von Vertretern der landwirtschaft¬
lichen Vereine und der wirtschaftlichen Genossenschaften be¬
sonderer Wert zu legen sein.
56. Die Mitwirkung der Krankenkassen und Land es Ver¬
sicherungsanstalten ist besonders erwünscht bei der Be¬
kämpfung der Volksseuchen, insbesondere der Tuberkulose und
Geschlechtskrankheiten wie bei der Bekämpfung des Alkoholis¬
mus. Hinsichtlich der Krankenhausfürsorge ist von der im § 7
des Krankenkassengesetzes gegebenen Befugnis in ausgedehnterem
Masse Gebrauch zu machen. Auch liegt eine weitere Aus¬
gestaltung der Genesendenfürsorge im wohlverstandenen Interesse
der Krankenkassen und Landesversicherungsanstalten.
57. Mit Rücksicht darauf, dass ein besonderes Selbstverwaltungs¬
recht bisher nur einem kleinen Teil der Krankenkassen zusteht,
sowie mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung der Krank-
heitsverhütung für die Wohlfahrt, würde die einheitliche Gestaltung
der Arbeiterversicherung durch Schaffung örtlicher Wohlfahrts¬
ämter und die dabei vorzusehende weitere Ausdehnung der
Krankenversicherung einen erheblichen Fortschritt in hygienischer
Hinsicht bedeuten.
58. Von sonstigen Organisationen mit Selbstverwaltung sind die
Innungen und Handwerkskammern zu einer Mitbetätigung
auf dem Gebiet der Hygiene in den handwerksmässigen Be¬
trieben nicht bloss befugt, sondern auch an sich geeignet; zu
diesem Zweck würden die Beauftragten der Innungen und Hand¬
werkskammern ihre Kontrolle auf die Hygiene der Arbeitsstätte
und der heranwachsenden Handwerkerjugend auszudehnen haben.
59. Die Arbeitervertretungen (Arbeiterausschüsse) sind ein
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geeignetes Organ, die Arbeiter zur Mit- und Selbstkontrolle bei
Durchführung der Massnahmen des Arbeiterschutzes, der Krank-
heits- und Unfallverhütung heranzuziehen,
tiu. Auch die privaten Organisationen der Wirtschafts- und Bau¬
genossenschaften sind ebenso wie die zahlreichen Vereine
und Verbände, welche die Förderung der Gesundbeits- und
Wohlfahrtspflege in ihr Programm aufgenominen haben, wertvolle
Bundesgenossen in der Ausbreitung hygienischer und sozialer
Erkenntnis wie bei der Durchführung hygienischer Massnahmen.
In der anschliessenden Diskussion ging Stadtverordneter Lulay-
Sehöneberg auf die Milchfrage näher ein. Er verlangte, dass die
Regierung der grossen Kindersterblichkeit in Deutschland, die jähr¬
lich etwa 150 000 Kinder dahinraffe, grössere Aufmerksamkeit
schenke. Das Reichsgesundheitsamt müsse feststellen, ob schlechte
Milch oder andere Ursachen schuld an dieser grossen Sterblichkeit
seien. Weiter forderte er einheitliche Grundsätze für den Milchverkehr,
die aber nicht bloss für die Städte, sondern auch für das Land, der
Produktionsstätte der Milch gelten müssen, ausserdem strenge
Strafen für Verfälschungen dieses wichtigen Nahrungsmittels.
Prof. Dr. Griesbach-Mülhausen verbreitete sich über die
grosse Bedeutung der Mitwirkung des Arztes am Schulwesen und
über die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Schulärzte auch für
die höheren Schulen.
Oberbürgermeister Fuss-Kiel hätte gern vom Referenten noch
etwas mehr Belehrung gewünscht in bezug auf das Verhältnis der
Hygiene zur Selbstverwaltung. Er stimmte mit dem Referenten
darin überein, dass für die Selbstverwaltung die Aufgaben der Hy¬
giene in den Vordergrund zu stellen seien. Die Gemeinden dürften
keineswegs in den sozialpolitischen Aufgaben aufgehen. Die Ge¬
schichte habe gezeigt, dass die Selbstverwaltung befähigt war, die
Hygiene auf den Standpunkt zu bringen, den sie nach den Postu-
laten unseres nationalen Lebens einnehmen muss. Fast in allen
Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege waren die Städte bahn¬
brechend und es wäre nicht wünschenswert, wenn der Staat künftig
durch bestimmte Normen den Städten auf diesem Gebiete Vor¬
schriften machen wolle. Wohl aber kann der Staat aus den ver¬
schiedenen Erfahrungen der Städte abstrahierend bestimmte For¬
derungen stellen und fördernd und warnend in die Selbstverwaltung
eingreifen. Wenn wir auch aus der Wissenschaft unsere Anregungen
beziehen, so kann praktische Hygiene doch nur die Selbstverwaltung
treiben.
In seinem Schlussworte bestätigte der Referent, dass die Städte
ihre Schuldigkeit auf hygienischem Gebiet im allgemeinen getan hätten.
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393
Die fortschreitende Erkenntnis würde auch die kleinste Gemeinde
überzeugen, dass das wertvollste Kapital die Gesundheit des Ge¬
meindeorganismus sei, von dessen Gesunderhaltung und Kräftigung
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Wohlfahrt des ein¬
zelnen abhängt.
Das Programm der Tagung war damit erledigt. — Eine Ab¬
stimmung über die aufgestellten Leitsätze fand bei keinem Refe¬
rate statt.
Mit Dankesworten an die Referenten und Diskussionsredner,
an die Behörden und besonders an die gastfreie Stadt Mannheim
schloss der Vorsitzende die Versammlung. Oberbürgermeister Dr.
Wilms-Posen stattete dem Vorsitzenden den Dank der Versammlung
für die vorzügliche Leitung der Verhandlungen ab.
Der Ausschuss des Vereins setzt sich für das Geschäftsjahr
1905/1906 folgendermassen zusammen: Oberbürgermeister Beck-
Mannheim, Präsident des Landesmedizinalkollegiums Geh. Med.-Rat
Dr. Buschbeck-Dresden, Geh. San.-Rat Prof. Dr. Lent-Cöln,
Oberbürgermeister Lentze-Barmen, Baurat Prof. Genzmer-Danzig,
Oberbaurat Schmick-Darmstadt. Zum Vorsitzenden wurde Prof.
Genzmer gewählt.
Von seiten der Stadt fand ausser einer Rheinfahrt in den
grossartigen Hafenanlagen noch eine Bewirtung in den herrlichen
Räumen des Rosengartens statt.
Allen Teilnehmern an dem Kongress wird noch lange die Er¬
innerung lebendig bleiben an das „freundliche Mannheim, das leicht
und heiter gebaut ist“, wie es unser Dichterfürst Goethe in „Herr¬
mann und Dorothea“ verewigt hat.
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394
Kleine Mitteilungen.
Die Walderholungsstätte der Stadt M.-Gladbach.
Mit 2 Abbildungen.
Am 1. Juli d. J. wurde in dem westlich der Stadt M.-Glad-
baeh gelegenen grossen Kiefernwalde eine neue Walderholungs¬
stätte feierlich eingeweiht. Sie ist im allgemeinen ähnlich den an¬
deren Erholungsstätten eingerichtet, unterscheidet sich jedoch da¬
durch von diesen, dass sie keine eigene Küche führt, sondern ihre
Speisen von der benachbarten Lungenheilstätte Luise Gueury-
Stiftung mittels Speisewagen zugeführt erhält. Hierdurch wird so¬
wohl den Besuchern der Erholungsstätte ein ganz vorzügliches
Essen geliefert, als auch der Betrieb wesentlich vereinfacht. Im
übrigen ist Erholungs- und Heilstätte vollständig getrennt: jede
Anstalt hat ihre eigenen Essgeräte, Handtücher etc.
Die Besucher der Erholungsstätte fahren morgens mit der
Strassenbahn aus M.-Gladbach und werden abends auf dieselbe
Weise wieder zurückbefördert. Die Mahlzeiten bestehen aus
2. Frühstück (belegtes Butterbrot mit Milch oder Fleischbrühe),
Mittagessen (Suppe, Fleisch, Gemüse, Kartoffeln), Vesper (Kaffee,
Milch, Butter, Brot). Ausser der gelieferten Milch (etwa s / 4 Liter)
wird selbige jederzeit zu billigstem Preise abgegeben. Erstes
Frühstück und Abendbrot werden zu Hause eingenommen. Der
Verpflegungssatz beträgt täglich 80 Pf. für Mitglieder des Kranken¬
kassen verbände?: für andere Personen 1 M. Die Fahrt mit der
Strassenbahn ist darin eingeschlossen. Die Mittel zum Bau der
Erholungsstätte wurden zum grössten Teile von dem Kuratorium
der Luise Gueury-Stiftung (Vorsitzender: Oberbürgermeister Piecq)
bereitwilligst zur Verfügung gestellt, 5000 M. schenkte in hoch¬
herziger Weise das Zentralkomitee der Gesellschaft vom Roten
Kreuz, Berlin. Die ganze Anlage war in etwa 6 Wochen voll¬
endet. Dank der verhältnismässig reichen Mittel konnte eine Ein¬
richtung geschaffen werden, die an Vornehmheit und Geschmack
wohl die meisten ihrer Art übertrifft, andererseits aber überaus
praktisch ist und im Prinzip als Vorbild genommen werden könnte.
Etwa in der Mitte des 22 Morgen grossen umfriedigten Wald¬
geländes befindet sich auf einem freien Platze ein fast quadratisches
Gebäude, dessen Seiten nach den Himmelsrichtungen liegen. Durch,
•eine von Osten nach Westen laufende Mauer ist das Innere des
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395
Hauses in 2 Hälften geteilt. Die Mauer setzt sich nach aussen
hin beiderseits bis zur Umzäunung fort, so dass 2 vollständig ge¬
trennte Abteilungen entstehen, eine für Männer, eine für Frauen.
Ost-, Nord- und Südseite haben überdachte Vorhallen, bei schlechtem
Wetter als Liegehallen benutzbar. Das Innere des Gebäudes besteht
eigentlich nur aus 2 grossen Sälen. Auf der Nordseite ist ausser¬
dem eine kleine Anrichte eingebaut mit Gaskochherd und Spül¬
einrichtung, im Notfälle als Küche benutzbar. Durch je ein
Schalter mit Schiebefenster werden von hier aus die Speisen, die
in der Anrichte abgesetzt werden, in die Säle gereicht. Beider¬
seits von dieser Anrichte befindet sich noch je ein Raum mit
Brause- und Wascheinrichtung.
Die Wände des Hauses sind aus Zementplatten hergestellt,
das Holzgerüst des Daches ist mit Roburoit, einer Art Asphalt¬
pappe, gedeckt; der Fussboden betoniert, mit Holzdielen belegt.
Für Zutritt von Luft und Licht ist durch grosse Fenster reichlichst
gesorgt. Diese wie die Schachtöffnungen in dem dem Dache auf¬
sitzenden Türmchen sorgen für die Entlüftung. Wasser und Gas,
sowohl zur Beleuchtung als auch zum Kochen und Heizen, liefern
die städtischen Leitungen. Die Wände sind in Kalkfarbe ge¬
strichen, der Sockel in Öl.
An und für sich ist ja der Bau mit seinen glatten Wänden
recht einfach, jedoch hat man auch hier wie in der nahen Heil¬
stätte durch Farben Wirkung Überraschendes erzielt: Das Balken¬
werk der Decke ist in Nussbraun gehalten und in bunten Farben
.abgesetzt, die Wände mit reizenden bunten Friesen geschmückt,
Landschaften von Gladbach und Umgebung darstellend. Zur be¬
sonderen Zierde gereicht den Sälen noch ein hoher Kamin nach
holländischer Art aus bunten Ziegeln, für Gasheizung eingerichtet.
An Mobiliar befinden sich in den Sälen Tische, Stühle und ein
-Gestell mit Büchern und Spielen zur Unterhaltung.
Die ganze Einrichtung ist wieder ein Beweis dafür, dass
.auch hygienischen Zwecken dienende Bauten trotz ihrer Einfach¬
heit überaus hübsch und wohnlich eingerichtet werden können,
was jedenfalls auch auf die Kranken einen wohltuenderen Einfluss
.ausübt als die kahlen, toten Wände, die man gewöhnlich in Kranken¬
häusern sieht.
Damit in möglichst bequemer Stellung die reine Waldluft
eingeatmet werden kann, hat jeder Besucher der Erholungsstätte
einen Triumphstuhl zur Verfügung. Bei kühlem Wetter erhält er
noch eine Wolldecke. Der Aufenthalt in den Sälen ist nur bei
schlechtestem Wetter gestattet. Für Unterhaltung und Bewegung
im Freien ist auf der Frauenseite durch Krocket, Rundlauf usw.
gesorgt; auf der Männerseite durch Turngeräte, Luftkegelbahn;
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dazu ist für letztere noch ein grösseres Terrain für Luft- und
Sonnenbäder abgegrenzt.
Jede Abteilung hat ihre eigenen Aborte etwas abseits im
Walde.
Die ganze Anlage ist für etwa 200 Personen eingerichtet.
Oentralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 27
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Vorgeschrittene Lungenkranke sind von dem Besuch der Erholungs¬
stätte ausgeschlossen.
Die Beaufsichtigung liegt in den Händen der Heilstättenärzte,
die täglich die Erholungsstätte besuchen; die ärztliche Behandlung
bleibt jedoch den betreffenden Haus- bezw. Kassenärzten.
Der Besuch der Erholungsstätte war bereits im ersten Monat
ein recht reger, im ganzen 106 Personen, 38 täglich im Durch¬
schnitt. Allerseits hörte man nur ein Lob über die gute Ein¬
richtung von seiten der Besucher, und dass die kräftige Waldluft
und das vorzügliche Essen schon nach kurzer Zeit ihre Wirkung
taten, konnte man an den frischen fröhlichen Gesichtern und der
guten Gewichtszunahme bemerken.
So hat die Stadt M.-Gladbach ihren mustergültigen sozial¬
hygienischen Einrichtungen eine neue hinzugefügt, auf die sie
stolz sein kann und ist damit vielen grösseren Städten mit gutem
Beispiel voran gegangen. Möge dieselbe, die sich ja mit verhältnis¬
mässig geringen Mitteln hersteilen lässt und die sich dort, wo sie
besteht, als so segensreich für die minderbemittelten Erholungs¬
bedürftigen und Rekonvaleszenten erwiesen hat, nicht nur bei den
grossen, sondern auch bei den kleineren Städten baldigst Nach¬
ahmung finden. Schaefer.
Zur Müllbeseitigung.
Mit Abbildung.
Im „Deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege“ sprach
Herr Dr. Thiesing-Berlin über Müllbeseitigung und Müllver¬
wertung mit Bezugnahme auf das in Charlotten bürg in Prüfung
stehende Trennungssystem.
Unstreitig ist die Trennung der den Müll bildenden Wirtschafts¬
abfälle am Entstehungsort, also im Hause das einzig erfolgreiche
Mittel einer rationellen Müllbearbeitung aber das in Charlottenburg
geprobte Verfahren besitzt den Kardinalfehler, dass es eine Arbeits¬
vermehrung im Hauswirtschaftsbetriebe verursacht. Bei den heutigen
Wohnungs- und Dienstboten Verhältnissen wird aber dann die not¬
wendige exakte Durchführung des Verfahrens in den meisten Fällen
an der Überlastung oder dem Übelwollen der damit Betrauten
scheitern. Glücklicherweise sind wir nicht allein auf diese Methode
angewiesen, und jeder Menschenkenner weiss, dass da, wo oft der
Zwang versagt, wie im Haushalt, durch geschickte Ausnützung
menschlicher Schwächen dennoch vieles zu erreichen ist. Wird
z. B. den Hausfrauen und Dienstboten das Herumstehen der
Kehrichteimer mit den bekannten Begleiterscheinungen, als starken
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399
Düften, Ungeziefer usw., das für die vielen
kranken und schwächlichen Frauen bedenkliche
Treppabschleppen der Eimer und namentlich die
höchst unangenehme Staubentwicklung beim
Umfüllen der Aschekasten erspart, dann wird
nuch die widerwilligste derselben geeignete
Abführungseinrichtungen, wie dies der pat.
Asche- und Kehricht-Schlucker mit seinem
Fallschlot ist, gern vorschriftsgemäss benützen.
Wird nun im unteren Teil dieses Fallschlots
-ein schräg liegender Hohlrost angebracht, so
werden die oben im Asche- und Kehricht-
Schlucker ein geschütteten Stoffe unten ohne
weiteres Zutun in klare Stoffe, die durch die
Roststäbe hindurchfallen, und gröbere, die
über den Rost nach vorn rutschen, geschieden.
In dieser automatischen Scheidung liegt der
grosse Vorteil für die Müllverwertung, denn
der bedeutende Wert der den sogenannten
Abfällen eines modernen, grossen Hauses inne¬
wohnt, wird dadurch voll erhalten, weil die
Abfälle nicht in Asche und Müll eingebettet
und eben dadurch entwertet werden. Durch
Ausnutzung der unverbrannten Holz- und
Kohlenteile zu Heizzwecken, der anderen Be¬
standteile durch Verkauf, wird nicht nur die
Abfuhr vermindert, die Kosten derselben ge¬
deckt, sondern auch der Hausmann oder sonst
zuverlässige Personen für die Überwachung
interessiert. Speziell der Hausbesitzer zieht
sus der Einrichtung grosse Vorteile, seine
rn?
Wohnungen werden wegen ihrer Bequemlichkeit und leichten Rein¬
haltung bevorzugt und die Kosten für Abfuhr des Mülls, für Rein¬
haltung des Hauses, für Reparatur beschädigter Wände und ver¬
stopfter Klosetts werden stark vermindert.
Poppe (Kirchberg i. Sachsen).
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400
Literaturbericht.
Weyl, Zur Geschichte der sozialen Hygiene. (Handb. d. Hyg., 1904,*
4. Suppl.-Bd.)
Verf. selbst bezeichnet in der Einleitung seine Arbeit als¬
einen Versuch, „einige der wichtigsten Abschnitte der sozialen
Hygiene in ihrer historischen Entwicklung darzustellen“. Dieser
Versuch muss als ein höchst gelungener bezeichnet werden. Auf
Grund eines sehr umfangreichen und eingehenden Quellenstudiums¬
lässt Weyl die Bestrebungen vergangener Jahrhunderte — bis
weit in die vorchristliche Zeit hinein — auf dem Gebiet der öffentr
liehen Gesundheitspflege an dem Blick des Lesers vorüberziehn
Der Gediegenheit des Inhalts passt sich die Form der Darstellung
würdig an. Letztere erhält dadurch einen besonderen Reiz, dass-
zahlreiche Literaturquellen im Urtext abgedruckt sind.
Folgende Kapitel der sozialen Hygiene sind in der Weylschen
Arbeit behandelt: Wasserversorgung, Strassenhygiene, Wohnungs-
hygiene, Bäder, Abwehr der ansteckenden Krankheiten (Aussatz,
Pest), Krankenhäuser, Geschlechtsbeziehungen und Geschlechts¬
krankheiten.
Es ist selbstverständlich nicht möglich, im Rahmen eines Refe¬
rats eine auch nur einigermassen eingehende Schilderung dea
Inhalts der annähernd 300 Druckseiten starken Arbeit zu geben-
Ich beschränke mich deshalb darauf, aus einem der interessan¬
testen Kapitel — Krankenhäuser — einzelne bemerkenswerte^
Angaben zu zitieren.
Nach Einführung des Christentums übernahm dieses die Für¬
sorge für Kranke, und zwar waren es besonders die Klöster, welche
sich diese Aufgabe angelegen sein Hessen, indem sie Klöster¬
krankenhäuser errichteten, die zunächst allerdings nur für Kleriker-
und ihre Gäste bestimmt waren, bald aber auch den Umwohnern
und andern Hilfsbedürftigen zugängUch wurden. Allerdings war*
die von den Mönchsärzten angewandte Therapie infolge ihrer
mangelhaften Ausbildung eine wenig erfolgreiche. An die Stelle¬
wirklicher Heilerfolge mussten allerlei Wunderkuren treten, welche*
„an die blühendsten Leistungen moderner Kurpfuscher erinnern“.
Dieses änderte sich zwar später, als die ärztliche Kunst an den.
Universitäten gelehrt wurde (12.—14. Jahrhundert), dafür machten
sich aber mit der zunehmenden moralischen Verwahrlosung der*
Geistlichkeit andere erhebliche Missstände in der Verwaltung der-
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401
ausschliesslich von Geistlichen geleiteten Krankenhäuser geltend.
So wird von dem berühmten Hötel-Dieu in Paris aus dem Anfang
des 16. Jahrhunderts berichtet, dass die Krankenpfleger die Patienten
dn grober Weisse vernachlässigten, mit den Schwestern geschlecht¬
lichen Verkehr unterhielten und anderes mehr. Unterschleife und
Betrügereien waren an der Tagesordnung. Wie es dabei den
Kranken erging, erhellt aus einem Aktenstück vom Jahre 1525,
wonach mitunter 12—15 Kranke in einem gemeinsamen Bett liegen
mussten, und zwar Pest* und Pockenkranke mit anderen Patienten
zusammen.
Nach einem durch die Reformation gezeitigten kurzen Auf¬
blühen des Krankenhauswesens erfolgte während und nach dem
•dreissigjährigen Kriege ein starker Rückschlag, so dass noch im
18. Jahrhundert von der Berliner Charite Zustände geschildert
werden, die nahezu unglaublich klingen. So wird erzählt, dass
im Hause sehr grosse Unsauberkeit geherrscht habe; Läuse, Flöhe
und Wanzen wären so verbreitet gewesen, dass viele Personen
nur durch Ausräuchern davon befreit werden konnten, u. s. w.
Das vortreffliche Buch Weyls bietet nicht allein ein speziell
medizinisches, sondern auch ein erhebliches allgemein-historisches
Interesse, so dass jeder, der an dem Leben und Streben unserer
Vorfahren Anteil nimmt, es mit hohem Genüsse lesen wird.
Herbst (Barmen).
IVeyl, Assanierung. (Handb. d. Hyg. 1904, 4. Suppl.-Bd.)
In dem ersten Teil seiner Arbeit bespricht der Verf. in acht
kurzen Abschnitten diejenigen hygienischen Massnahmen, welche
man unter der Bezeichnung „Städteassanierung a zu verstehen
pflegt. Die Überschriften der einzelnen Abschnitte kennzeichnen
ihren Inhalt: 1. Wasserversorgung. 2. Reinhaltung der Luft.
3. Beseitigung der Meteorwässer. 4. Beseitigung der Fäkalien.
5. Beseitigung der festen Abfälle. 6. Strassenhygiene. 7. Be¬
seitigung der Menschenleichen. 8. Beseitigung der Tierleichen.
Der zweite, weitaus wichtigere und interessantere Teil handelt
“von den Erfolgen der Assanierung. Letztere, so führt Weyl aus,
würden sich am sichersten durch die Abnahme der Krankheits¬
und Todesfälle an Infektionskrankheiten in einer assanierten Stadt
messen lassen. Dem stehen aber sehr grosse Schwierigkeiten ent¬
gegen; denn vollständige Krankheitsstatistiken lassen sich über¬
haupt nicht herstellen, und brauchbare, lückenlose, über einen
-grösseren Zeitraum sich erstreckende Statistiken von Todesfällen
besitzen nur wenige Städte. Dazu kommt, wie die Arbeiten von
Ollendorff, Altschul und Gottstein dargetan haben, dass es
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402
sogenannte säkuläre Schwankungen der Sterblichkeit gibt, und dass
wir z. Z. in einer Periode niederer Sterblichkeit uns befinden.
Unter diesen Verhältnissen kann man nur dann von einem
Erfolg der Assanierung sprechen, wenn unmittelbar an diese ein
auffallendes Absinken der Sterblichkeit sich anschliesst, wenn
ferner ein ähnlicher Abfall in nicht assanierten Städten zur gleichen
Zeit nicht eintrat, und wenn drittens durch zahlreiche Einzel-Be¬
obachtungen bewiesen wurde, dass nach gleichartigen Assanierungs¬
arbeiten jedesmal ein Abfall der Sterblichkeit erfolgt ist.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sucht Verf. an den
Beispielen der Städte Berlin, München, Wien, Zürich den Nach¬
weis zu führen, dass tatsächlich die Assanierung einen Einfluss
auf die Sterblichkeit hat. Er hat das in der Weise gemacht, dass
er eine grössere Anzahl von anschaulichen Tafeln und Tabellen
aufgestellt hat, in denen er graphisch und zahlenmässig die ein¬
schlägigen Verhältnisse in den betreffenden Städten vor und nach
der Einführung gewisser Assanierungsmassnahmen — es kommen
vornehmlich Kanalisation und Wasserversorgung in Frage — dar¬
stellt und dazu einen kurzen erläuternden Text geschrieben hat.
Verf. hat auf diese Weise mit grossem Fleiss und Sachkenntnis
ein umfangreiches Material kritisch verarbeitet und in instruktiver
Form dem Leser zugänglich gemacht.
Es würde zu weit führen, an dieser Stelle auf Einzelheiten
einzugehen. Das Ergebnis der Arbeit lässt sich dahin zusammen¬
fassen: Die Assanierung, insonderheit die Einführung der Kanali¬
sation und die Versorgung mit einwandfreiem Wasser, hat eine er¬
hebliche Herabsetzung der Sterblichkeit zur Folge, insofern, als
die genannten Massnahmen die Erkrankungen und Todesfälle an
Infektionskrankheiten, besonders Typhus, und an Krankheiten des
ersten Lebensjahres vermindert haben. Der in den letzten De¬
zennien konstatierte Rückgang der Tuberkulose ist weniger auf die
Assanierung zurückzuführen; vielmehr ist er als eine erfreuliche
Wirkung der sozialpolitischen Gesetzgebung anzusehen.
Nach dem Gesagten erübrigt es sich, die Weylsche Arbeit
noch besonders zu empfehlen. Jeder, der für das behandelte
Thema Interesse hat, wird sie sicher mit Vorteil lesen.
Herbst (Barmen).
Schmedding, Die Gesetze betreffend Bekämpfung ansteckender
Krankheiten, und zwar: 1. Reichsgesetz betr. die Bekämpfung gemein¬
gefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900; 2. Preussisches Gesetz betr.
die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905, nebst
Ausführungsbestimmungen, erläutert für Preussen. (Münster i/W. 1905.
Aschendorfsche Buchhdlg.)
Der Verf., Landesrat und Mitglied des Abgeordnetenhauses^
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hat mit der Gründlichkeit des erfahrenen Verwaltungsbeamten und
mit der Sachkenntnis, welche ihm als Referenten im preussischen
Landtage zur Seite stehen musste, jene beiden Gesetze erläutert,
die für Deutschland und Preussen einen Markstein in der Geschichte
der öffentlichen Gesundheitspflege bilden. Die Arbeit ist um so ver¬
dienstlicher, als es keineswegs leicht ist, sich in beiden Gesetzen,
welche sich einerseits ergänzen, andrerseits die eng zusammen¬
gehörigen Gebiete der sog. gemeingefährlichen und der sog.
übertragbaren Krankheiten doch sehr verschieden behandeln,
zurechtzufinden. Durch die klare Hervorhebung der Verschieden¬
heiten, z. B. in der Anzeigepflicht bei den verschiedenen Krank¬
heiten, in dem Ermittelungsverfahren usw. wird das Verständnis
und, was wichtig genug ist, das Behalten der Bestimmungen sehr
erleichtert. Fix r die Staats- und Kommunalbehörden sind die Er¬
läuterungen zu den sehr verwickelten Bestimmungen über die
Kostendeckung besonders wertvoll. Auch die medizinischen Ge¬
sichtspunkte kommen in der Darstellung nicht zu kurz, und zahl¬
reiche kritische Bemerkungen zeigen, dass der Verf. sich mit Liebe
in die Fragen der Seuchenbekämpfung vertieft hat.
Nicht nur die Behörden und die beamteten Ärzte, auch die
praktischen Arzte haben durch die genannten neuen Gesetze eine
Aufgabe erhalten, deren Erfüllung ihnen durch die Benutzung des
Büchleins erleichtert werden wird. Sch.
Weyl, Die Abwehr gemeingefährlicher Krankheiten. (Handb. der
Hyg. 1904, 4. Suppl.-Bd.)
Anschliessend an die „Assanierung“ hat Weyl eine Arbeit
veröffentlicht „die Abwehr der gemeingefährlichen Krankheiten“,
welche aus zwei Teilen, einem allgemeinen und einem speziellen
besteht, ln dem ersten will er, wie er selbst sagt, an der Hand
der in Deutschland gültigen Gesetze, namentlich des Reichsgesetzes
vom 30. Juni 1900 betreffend die „Bekämpfung der gemeingefähr¬
lichen Krankheiten**, alle die Massnahmen besprechen, durch welche
die Bekämpfung derselben erfolgt. Anscheinend hat Verf. ausser¬
dem die Bestimmungen des neuen Gesetzes ,,Bekämpfung über¬
tragbarer Krankheiten**, die ihm wohl bekannt waren, obgleich das
Gesetz auch jetzt noch nicht in Kraft ist 1 ), seiner Arbeit zugrunde
gelegt; wenigstens werden unter dieser Annahme die folgenden
Ausführungen verständlicher.
Leider sind diese z. T. etwas zu summarisch ausgefallen, in
einigen Punkten entsprechen sie nicht völlig den tatsächlichen
1) Das Gesetz ist inzwischen am 20. Oktober er. in Kraft getreten.
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Verhältnissen, so dass ein mit diesen nicht Vertrauter aus der
Wey Ischen Darstellung kein ganz richtiges Bild erhält.
Schon die Bezeichnung „gemeingefährliche Krankheiten“ kann
in dem Sinne, wie der Verf. sie versteht, irre führen. Während
das zitierte Reichsgesetz unter ,,gemeingefährlichen Krankheiten“
nur Aussatz (Lepra), Cholera, Fleckfieber (Flecktyphus), Gelbfieber,
Pest (orientalische Beulenpest) und Pocken aufführt und die anderen
Infektionskrankheiten im Gegensatz dazu als übertragbare bezeichnet
— auch das neue Gesetz wählt diesen Ausdruck —, behandelt We yl
unter dem ersten Titel beide Gruppen. Dagegen wäre ja vom rein
medizinischen Standpunkt nicht viel zu sagen; wenn er sich aber
ausdrücklich auf das Reichsgesetz bezieht, so hätte er die dort
durchgeführte Trennung wenigstens erwähnen müssen.
In dem speziellen Teil hat der Verf. die Tuberkulose, Pocken
und Geschlechtskrankheiten ausführlich behandelt. Bei den beiden
ersteren hat er wieder eine Anzahl von instruktiven statistischen
Tabellen und kartographischen Aufzeichnungen über die Verbreitung,
bei den Pocken speziell über die Ausbreitung vor und nach Ein¬
führung der Schutzimpfung, zur Illustration seiner Ausführungen
hinzugefügt. Im Anschluss an die Tuberkulose hat ausserdem
das vom kaiserlichen Gesundheitsamt herausgegebene „Tuberkulose-
merkblatt“, bei den Pocken das deutsche Impfgesetz Erwähnung
gefunden.
Sehr lesenswert sind die im Zusammenhang mit den Ge¬
schlechtskrankheiten befindlichen Bemerkungen über die Prostitution.
Weyl spricht sich hier für Reglementierung der Dirnen, Ver¬
besserung der ärztlichen Kontrolle, Absonderung der Anfängerinnen
von älteren Prostituierten, um zu vermeiden, dass Mädchen, welche
sich vielleicht nur einmal aus Not vergangen haben, nicht sofort
der kaum mehr zu verwischende Stempel der Prostitution auf¬
geprägt wird, ferner für Beaufsichtigung der Wohnungen, um zu
verhindern, dass Personen beiderlei Geschlechts zu eng nebenein¬
ander wohnen, wodurch ihnen, namentlich den Kindern, das Gefühl
für Scham und Schicklichkeit abhanden kommen muss, und für
Zwangserziehung von Kindern aus Verbrecher- und Säuferehen aus.
Herbst (Barmen.)
Nussbaum, Auf welche Weise lässt sich rasche Austrocknung und
dauernde Trockenerhaltung der Gebäude erzielen? (Hygienische
Rundschau 1905, Nr. 10.)
Der Verf. hat über den Gegenstand seit 20 Jahren Unter-
suahungen und Beobachtungen angestellt. Er fand, dass bei Ziegel¬
mauerwerk die Ziegel das Wasser rasch wieder abgeben, dass aber
die Trocknung der Mörtelbänder wesentlich langsamer erfolgt.
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Rasches Austrocknen wird nun durch sandreiche Mörtelgemenge
sehr gefördert, besonders ist für diesen Zweck, um dem Binde¬
mittel eine rasche und vollkommene Erhärtung zu geben, die Ver¬
wendung von reinem Portlandzement zu empfehlen. Eine Beschleu¬
nigung der Austrocknung von Gebäuden erreicht man durch künst¬
lich durchlässig gemachte Steine, rheinische Schwemmsteine. Die
Mehrzahl der Natursteine mit Ausnahme der Kalktuffe eignet sich
zur Wandbildung in hygienischer Beziehung weit weniger gut als
Ziegel, am wenigsten undurchlässige Steine, bei denen Schwitz¬
wasserbildung stattfindet. Bei mässig durchlässigen Steinen (Sand-,
Kalksteine und Dolomit) gelingt es nach den im grossen und kleinen
gemachten Versuchen des Verf. durch Verwendung von Milch-
kalkmörtel das Haus wohnlich zu machen. Dieser aus Ätzkalk¬
brei, Sand und Magermilch, Buttermilch, entrahmter saurer Milch
oder Milchgerinnsel hergestellte Mörtel besitzt die Eigenschaft der
Abweisung von Flüssigkeiten und der Undurchlässigkeit für Aus¬
witterungen und andere Salze, hindert aber nicht die Austrock¬
nung. Dieser Mörtel gewährt hinreichenden Schutz gegen die Neu¬
baufeuchtigkeit, gestattet rasches Hochführen und Inbenutzung-
nähme der Bauten ohne technischen oder gesundheitlichen Nachteil
und hat besondere Vorzüge mit Bezug auf Festigkeit, Zähigkeit
und Eignung für Malgrund.
Die weiter aufgeführten Schutzmittel gegen aufsteigende
Feuchtigkeit und gegen Schlagregen sind bereits in einer beson¬
deren Besprechung Seite 139 dieses Jahrgangs erwähnt worden.
Von Bedeutung für die Trockenheit und Dauerhaftigkeit der
Gebäude ist die Jahreszeit, in der ihre Herstellung und lnbe-
nutzungnahme erfolgt. Schädlich ist das „Überwintern“ der Roh¬
bauten, grössere Gebäude sollten im Spätherbst mit Sicherheit unter
Dach gebracht werden. Die Inbenutzungnahme der Gebäude erfolgt
besser im Herbst als im Frühling. Für wasserreiches, kaltes Mauer¬
werk vermag ausschliesslich strahlende Wärme eine belangreiche
Austrocknung zu bewirken, daher ist die Verwendung von Koks¬
körben für diesen Zweck sehr nützlich. Schultze (Bonn).
Krüss, Beleuchtungsmesser. (Joum. für Gasbeleuchtung und Wasser¬
versorgung, 1904, Nr, 41.)
Der angegebene Apparat stellt eine Modifikation des Wingen-
schen Beleuchtungsmessers dar. Eine weisse Messfläche, welche
auf die zu messende Stelle eines Arbeitsplatzes gestellt wird, soll
mit einer durch eine feststehende Benzinlampe beleuchteten, dreh¬
baren Fläche verglichen werden. Die beiden zu vergleichenden
Flächen nehmen je einen Teil eines Gesichtsfeldes ein. Durch
eine Zeigervorrichtung können die durch die verschiedenen Neigungen
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hervorgerufenen Helligkeiten der Vergleichsfläche in Meterkerzen
von 10—50 abgelesen werden. Um den Messbereich des Apparates
zu erhöhen, können graue Absorptionsgläser vor die Messplatte
geschoben werden, die von dem Licht der Messplatte nur J / 2 , V 5
bezw. *l 10 hindurchlassen, so dass bis zu 500 Meterkerzen gemessen
werden kann. Der kleine und leicht zu handhabende Apparat
leistet bei der Lichtmessung gute Dienste ; die durch ihn gefundenen
Resultate sind, wenn auch nicht so sicher wie die des Weber sehen
Photometers, doch für die Praxis vollkommen ausreichend. Seine
Anwendung kann vor allem in Schulen nur empfohlen werden.
Selter (Bonn).
Schneider, Zur Schulbankfrage. (Zeitschr. f. Med.-Beamte, 1904, Nr. 22.)
Die Schulbank frage kann trotz der grossen Fortschritte der
Technik auf diesem Gebiete noch lange nicht als gelöst betrachtet
werden. Die erste Forderung bei dieser Frage ist, dass die Bank¬
grössen den Körpergrössen der Kinder entsprechen. In jedem
Schulhalbjahr müssen deshalb die Schulkinder gemessen und hier¬
nach auf die Bänke verteilt werden. Für abnorm grosse und ab¬
norm kleine Kinder müssen Reservebänke in jeder Klasse bereit¬
gestellt werden. Für abnorm gestaltete, z. B. rhachitische Kinder
sollen Bänke mit verstellbaren Teilen angeschafft werden. Eine
Vergleichung der verschiedenen in letzter Zeit konstruierten Schul¬
bänke lässt dem Verf. keine einzige als zur Anschaffung empfehlens¬
wert erscheinen. Bei dem Hochstand unserer Technik glaubt er
aber, wenn auch nicht auf eine endgültige Lösung, so doch auf
weitere Fortschritte der Schulbankfrage rechnen zu können.
Selter (Bonn).
Seiffert, Säuglingssterblichkeit, Volkskonstitution und National¬
vermögen. (Klin. Jahrb. 1905, Bd. 14.)
Seiffert fordert nach Biederts Vorgang die Schaffung einer
staatlichen „Versuchs- und Prüfungsanstalt für Kindermilchversorgung
und zur Bekämpfung der Kindersterblichkeit“, die auf Grund ihrer
Organisation und Dotation in der Lage ist, die neuesten und besten
Verfahren zur Milchversorgung zu prüfen und zu finden. Von der
ethischen Seite des Problems ganz abstrahierend, zeigt er uns in
deutlich sprechenden Zahlen an der Hand graphischer Darstellungen,
dass die Säuglingssterblichkeit in Deutschland die von Irland und
Norwegen, wo das Selbststillen noch die Regel ist, um das Doppelte
bis fast das Dreifache übersteigt; jedoch kommt er zu dem Schluss,
dass die Säuglingssterblichkeit für sich allein einen kausalen Ein¬
fluss auf die allgemeine Sterblichkeit nicht äussert. Er wendet sich
mit überzeugenden Gründen gegen diejenigen, die in dem Absterben
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der Säuglinge eine natürliche Auslese sehen, welche die Volks¬
gesundheit heben soll, erkennt vielmehr die hohe Todesziffer als
die Folge eines sich mit „grauenhafter Monotonie wiederholenden
mechanischen Vernichtungsprozesses . u
Bei Durchsicht der Aushebungslisten findet er, dass der Pro¬
zentsatz der zur Ersatzreserve Überwiesenen im Steigen begriffen
ist. Er führt die Unfähigkeit zum aktiven Dienst auf Erkrankungen
wie Rachitis, Anämie, Skrofulöse zurück, die als Folge einer ver¬
fehlten Säuglingsernährung zu betrachten sind. Infolge der für die
Mutter in der Schwangerschaft, bei der Entbindung und im Wochen¬
bett aufgewandten Kosten, infolge der entstandenen Einbusse an
Arbeitsleistung der Mutter während dieses Zeitraums, stellt jeder
Neugeborene einen gewissen Wert im Nationalvermögen dar, den
Seiffert mit 100 Mk. eher zu niedrig als zu hoch angibt. Im
Jahre 1900 gingen 383836 künstlich ernährte Säuglinge zugrunde
(Statistik des k. Gesundheitsamts), das bedeutet einen Verlust von
38^3 Mill. Nationalvermögen, die dem oft unvermeidlichen Experi¬
ment der künstlichen Ernährung zur Last fallen.
Die Arbeit eignet sich wegen der nicht sehr klaren Dar-
stellungs- und Schreibweise nicht zur Propaganda für die Be¬
kämpfung der Säuglingssterblichkeit, wozu sie dem Inhalt nach
sehr geeignet wäre. Spiegel (Solingen-Haan).
v. Ohlen, Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit durch öffent¬
liche Organe und private Wohltätigkeit mittels Beschaffung
einwandfreier Kindermilch unter spezieller Berücksichtigung
Hamburger Verhältnisse. (Zeitschr. f. Hyg. u. Inf., 49. Bd., 2. Heft,
S. 199—282.)
Verf. zieht aus seinen umfangreichen Zusammenstellungen
ungefähr folgende Schlussfolgerungen:
Durch Darreichung einer einwandfrei gewonnenen, sorgfältig
behandelten und schliesslich keimfrei gemachten Kuhmilch ist eine
Abnahme der Säuglingsmortalität zu erzielen; wenn auch als sicher
feststeht, dass keine Kost die Muttermilch zu ersetzen vermag.
Am besten ist, wenn die fertig bereitete Milch aus solchen In¬
stituten stammt, welche unter ärztlicher Aufsicht stehend ihre Milch
selbst sterilisieren und ihren Diätvorschriften einen ziemlich weiten
Spielraum lassen und dadurch individualisieren.
Mastbaum (Cöln).
Seligmann, Das Verhalten der Kuhmilch zu fuchsinschwefliger
Säure und ein Nachweis des Formalins in der Milch. (Zeitschr.
f. Hyg. u. Inf., 49. Bd., 2. Heft, S. 324—328.)
Eine vielgeübte Methode des Formalinnachweises in Milch
ist die folgende: Man destilliert ca. 100 ccm Milch über und setzt
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408
•dem Destillat eine Fuchsinlösung zu, die durch schweflige Säure
entfärbt ist. Bei Gegenwart von Formalin wird die Lösung vio¬
lett-rot.
Bei der Prüfung der Reaktion stellte S. fest, dass die Eiweiss¬
körper die „Fuchsinschwefligsäurereaktion a der Milch bedingen.
Sie werden schon durch geringen Zusatz von Säuren oder konzen¬
trierter Natronlauge dahin modifiziert, dass sie die Reaktion nicht
mehr geben.
Es ist also möglich, die Reaktion auch an roher Milch an¬
zustellen, wenn vorher ein kleiner Säurezusatz gemacht wird. Da¬
durch ist die Probe sehr vereinfacht. Mastbaum (Cöln).
Beerwald u. Brauer, Das Turnen im Hause. (München, R. Oldenbourg.)
Eine Sammlung von Übungen aktiver Gymnastik für Gesunde
und mit gewissen körperlichen Schwächen Belastete (Hämorrhoiden,
Lungenschrumpfungen, rheumatischen Schmerzen etc.). Von grosser
Abweclisefung und Vielseitigkeit, die ohne Turngeräte ausgeführt
werden. Der Nutzen für das körperliche Wohlbefinden, resp. die
Elastizität und Leistungsfähigkeit des Körpers ist ohne weiteres
augenfällig. Cramer (Cöln).
Hermann, Handbuch der Bewegungsspiele für Mädchen.
Der Zentralausschuss zur Förderung von Volks- und Jugend¬
spielen in Deutschland hat bisher drei derartige kleine Schriften
herausgegeben. Der dritte vorliegende Band gibt ausführliche
Regeln der mannigfachsten Spiele. Betont wird der Wert der
frischen Luft im Freien bei derartiger körperlicher Arbeit. Ein
Eltern und Pädagogen sehr zu empfehlendes kleines Werk; beson¬
ders in unserer Zeit, wo die heranwachsenden Mädchen, sowohl
die der ärmeren als auch der wohlhabenderen Klassen — die
ersteren nicht selten mit Fabrikarbeit, die letzteren mit Handarbeit,
übermässiger geistiger Dressur, Klavierspielen etc. — gequält werden.
Cramer (Cöln).
Maroinowski, Im Kampf um gesunde Nerven. (Berlin 1905. 0. Salle.)
Ein fiott, angenehm und gut geschriebenes Buch, das einen
nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Zwar ist der Stil nicht immer
auch für Laien leicht fassbar und stellenweise nur für die engeren
Fachgenossen prima vista verständlich, doch wird dieser Fehler
dadurch wieder ausgeglichen, dass dem Laien niemals verwirrende
oder gar falsche Begriffe vorgetragen werden, und dass es keinen
Schaden bringt, wenn er die ihm etwas dunklen Stellen über¬
schlägt. Auch in allgemein gesundheitlicher Beziehung ist das
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409
Buch von wesentlicher Bedeutung; M. wendet sich, da die Ner¬
vosität immer mehr zunimmt, zunächst an die Kranken selbst und
in zweiter Linie an deren Angehörige und Freunde, die, da sie
von jenen stets dieselben Klagen hören, mit der Zeit sicher gegen
die aus der Nervosität erwachsende Gefahr abgestumpft werden.
Er will durch Unterricht und Erziehung die Patienten über ihr
Leiden aufklären, indem er den Zusammenhang aller nervösen Er¬
scheinungen und ihre Abhängigkeit von cerebralen Reguliervor¬
richtungen klar zu machen versucht.
Der Gesamtinhalt des Buches ist so umfangreich, dass er am
besten mit den eigenen Worten des Verfassers wiedergegeben
wird; M. sagt:
„Ich habe zeigen wollen, dass die Nervosität auf einer
Schwächung des Gehirns und des gesamten Nervensystems beruht,
welche dadurch zustande kommt, dass uns wichtige Reizwellen für
das Zentralorgan fehlen (Hautreize, Muskelarbeit), welches dadurch
in seiner Ernährung und in seiner Entwicklung, in seinem ana¬
tomischen Aufbau und in seiner Leistungsfähigkeit leidet, d. h.
verkümmert.
Ich habe ferner gezeigt, dass dieser Schwächung auf der
einen Seite eine übermässige Anforderung auf der anderen gegen¬
übersteht und den Schaden verdoppelt; die reizbare Schwäche
wächst sich so zu Erschöpfungszuständen aus. Das Übermass der
Nahrungsmenge, die zu starke, zu konzentrierte Kraftnahrung und
die Reizmittel schädigen eben die Nervenzentren der Verdauungs¬
organe, nicht bloss die Organe selber. Dauernde und ungelöste
Erregungszustände erschöpfen die seelische Spannkraft, und das
Übermass der Eindrücke züchtet eine mangelnde Tiefe, die Ober¬
flächlichkeit unseres Gehirnlebens. Das waren die körperlichen und
seelischen Grundlagen der Nervosität.
Die reine Erschöpfung bedarf nach dem Zuviel nur der Ruhe,
die irre geleitete Energie dagegen der Ablenkung ins rechte Fahr¬
wasser, sei es für einzelne Vorstellungen, sei es für die ganze
Breite des Seelenlebens. Das Ziel ist eine starke, in sich ge¬
fertigte Persönlichkeit, die voll innerer Freiheit und äusserer Un¬
abhängigkeit über ihr Geschick erhaben ist. Dass wir das meist
selbst in der Hand haben, wird wohl jedem klar geworden sein.
Wir sind nicht bloss das unweigerliche Produkt unserer Um¬
gebung, sondern die Reaktion des Individuellen auf dieses Milieu.
Alles Reagieren ist aber kein von aussen aufgezwungenes. Ge¬
schehen, sondern die persönliche Tat des Individuums selbst. 4
Von einzelnen Teilen des Buches sind besonders beachtens¬
wert die Kapitel „Die mangelnden Hautreize“, Regulationsstörungen
durch die Art der Nahrung“, „Die Rolle des Alkohols und der nar-
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410
kotischen Gifte“, „Die falsche Blutverteilung der Nervösen“,
„Schulsünden“.
Die „Skizzen aus dem Berufsleben und der Geselligkeit“
enthalten eine bittere Kritik der Torheiten, wie sie heutzutage be¬
liebt sind und zugleich Leitpunkte für die Einrichtung des täg*
liehen Lebens.
Der erste Teil behandelt die Frage: „Warum sind wir ner¬
vös?“, der zweite gibt den Weg an: „Wie werden wir gesund?“
In diesem letzteren sind in der Tat die beherzigenswertesten Aus¬
führungen, Belehrungen und Nachweise zusammengestellt, die
sämtlich ein eingehendes Studium verlangen, die aber unmöglich
hier alle angeführt werden können. Hingewiesen sei jedoch auf
„Die Erschöpfungszustände“, den „Umgang mit Nervösen“, „Psy¬
chogene Störungen“, die „Ablenkung“, allwo sich die köstlichen
Worte finden: „Die beste Psychotherapie ist eben die, von der
der Behandelte gar nicht merkt, dass er überhaupt behandelt
wird.“ Sehr wichtig für Arzt und besonders für Laien ist die
Aufforderung: „Aber noch einmal warne ich vor dem schwersten
aller Fehler, die Symptome und Klagen der Nervenleidenden nicht
ernst zu nehmen. Sie sind qualvoller als alle körperlichen Leiden
und trotz aller seelischen Bedingtheit niemals Einbildungen.“
Interessant sind auch M.’s Ansichten über die Suggestion;
die sog. Autosuggestion verwirft er vollständig, was in uns zur
Geltung kommen soll, muss von selbst, d. h. unwillkürlich ge¬
schehen. Das Verhältnis des Arztes zum Neurastheniker ist von
ganz besonderer Wichtigkeit; ersterer hüte sich vor allem vor zu
grosser Intimität und bleibe stets über dem letzteren stehen.
Einen charakteristischen Einblick in die erziehende Behandlung,
die M. zur Beseitigung der vermeintlichen Willensschwäche aus¬
übt, gibt die Aufstellung von fünf Punkten, die zur Erreichung
des genannten Zieles unerlässlich sind: 1. Der Kranke soll einen
gewissen Frieden mit seinem Kranksein schliessen, also eine „aktive
Resignation“ zu erlangen versuchen. 2. Die falschen Richtungen
•des Wollens sind zu beseitigen. 3. Die Gedankenlosigkeit und
Zerstreutheit müssen bekämpft werden. 4. Das Selbstvertrauen
muss dem Kranken wiedergegeben und in ihm 5. echter, sittlicher*
Ernst und eine ebensolche Weltanschauung erweckt werden.
Grade die beiden ersten Punkte, die hohe Beachtung ver¬
dienen, sind in einem Stil abgehandelt, der für Laien etwas sehr
schwer verständlich ist.
Die Anforderungen, die M. überhaupt an den Arzt und
speziell den Nervenarzt stellt, sind durchaus nicht niedrig be¬
messen. Nur derjenige kann eine ganze Heilung erstreben, der
seinen Kranken mit der Vorstellung zu erfüllen imstande ist, dass
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411
das Ziel der Behandlung in der Erlangung einer starken, in sich
gefestigten Persönlichkeit besteht, die voll hoher Ziele, reiner
Ideale und sittlichen Ernstes ist. Eine solche Vorstellung vermag
aber anderen Menschen für die Dauer nur der einzuflössen, wer
selbst den „inneren Frieden“ besitzt.
Ais Schluss des Werkes folgt ein Anhang über die Lebens¬
weise der Nervösen, welcher Heilmittel aus dem Gebiete der Hy¬
giene, der physikalischen Therapie und der Diätetik enthält. Be¬
züglich der Einzelheiten sei auf die Angaben an Ort und Stelle
hingewiesen.
Zweifellos wird man das Werk von M. nicht nur mit steigen¬
dem Interesse lesen, sondern auch stets gern aufs neue wieder
einmal zur Hand nehmen. Bei den zu erwartenden Resultaten
der empfohlenen Behandlung wird man sich allerdings vor Augen
halten müssen, dass die Therapie des Verfassers in einem Sana¬
torium ganz andere und bessere Chancen hat, als wenn der Spezia¬
list auf eine ambulante Behandlung beschränkt ist.
Schliesslich sei der Verfasser auf einige Ausdrücke aufmerk¬
sam gemacht, die nicht gerade dem klassischen Stil zueigen sind
und bei einer neuen Auflage wohl vermieden werden könnten; so
finden sich die Bezeichnungen: „höllisch gesund“ (pg. 101),
„Schlappier u (pg. 103) und „Schlappheit“. Dies sind aber auch
die einzigen Aussetzungen, die ich an dem vorzüglichen Buche
zu machen wüsste. Die buchhändlerische Ausstattung ist tadellos.
Küh lwetter.
Schale, Über die Frage des Heiratens von früher Geisteskranken.
(Berlin, G. Reimer.)
Die vorliegende Schrift soll eine Anleitung geben zur metho¬
dischen Erforschung der Erblichkeitsgesetze der Geisteskrankheiten,
besonders mit Rücksicht auf die Frage des Heiratens von Geistes¬
kranken und Belasteten.
Verf. legt zunächst einen umfangreichen, mehrere Tabellen um¬
fassenden Fragebogen vor, dessen Hauptinhalt etwa folgender ist:
I. In der Haupttabelle soll bei der Aufnahme jedes Geistes¬
kranken der diagnostische Befund eingetragen werden in bezug
auf klinische Form der Geisteskrankheit, die mutmassliche Ursache
derselben, der Gesundheitszustand bei der Entlassung des Kran¬
ken — ob geheilt, gebessert, ungeheilt — sowie endlich die even¬
tuell vorhandene erbliche Belastung.
II. In Nebentabellen sollen dann die Fragen beantwortet
werden,
1. ob Geisteskrankheit bei den Geschwistern und in den Seiten¬
linien vorhanden waren;
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412
2. ferner bei in der Ehe Erkrankten
a) ob Erblichkeit auch bei dem andern Ehegatten vorhanden
und in welcher Form,
b) ob der Erkrankte schon vor der Ehe geisteskrank war
sowie
c) ob ursächliche Momente für die Erkrankung in den
äusseren ehelichen Verhältnissen liegen.
3. Eine letzte Tabelle würde sich dann mit dem Geisteszustand
der Nachkommen zu beschäftigen haben.
An die Darstellung dieses Schemas schliesst Verf. dann eine
Reihe erläuternder Bemerkungen, die die einzelnen vorgeschlagenen
Fragen näher begründen sollen.
Die vorgeschlagenen Bezeichnungen der klinischen Form der
Geistesstörung sind von ihm nur gewählt in praktischer Rücksicht
auf die Vererbungsfrage. Verf. hält in der Beziehung eine mög¬
lichste klinische Individualisierung für notwendig, wie sie sein Ein¬
teilungsprinzip gestattet, ein Eingehen auf die Einzelheiten und
speziellen Symptomenzüge des vorliegenden Falles. Denn in diesen
Einzelheiten spiegelt sich nach Ansicht des Verf. der anthropologi¬
sche Charakter des Falles und — sofern er nicht erworben wurde —
die Schwere der hereditären Belastung. „Wir wollen Einzelschick¬
sale kennen lernen in Form von konkreten Anfangsbildem, kon¬
kreten Verläufen und Endzuständen, so kann uns auch nur streng¬
stes Individualisieren frommen, ein Trennen, soweit nur immer
möglich.“
Das Endziel unserer ganzen Bestrebungen bleibt allerdings
immer, für jeden Einzelfall in möglichst eindeutiger statistischer
Form festzustellen,
a) ob es sich um eine leichte Erkrankung handelt oder um
einen zu progressivem Zerfall sich neigenden Prozess;
b) ferner welche ätiologischen Momente den Endausgang des
Einzelfalles bestimmen, ob wesentlich die klinischen Symptome
oder mehr die Familienanlage für den Endausgang verantwort¬
lich waren;
c) sowie endlich, ob die Krankheit voraussichtlich mit dem
Individualleben des Betroffenen abschliesst oder sich auf seine
Nachkommen vererbt.
Durch die zusammenfassende Betrachtung einer grossen Zahl
so behandelter Einzelfälle können wir dann hoffen, allmählich zur
Beantwortung der Hauptfragen zu kommen, die darin gipfeln:
a) lassen sich die psychopathischen Zustandsformen erkennen
als möglicherweise bezw. wahrscheinlich vererb bar;
b) gibt die Psychosenform an sich diesen Indikator ab oder
erst unter Rückbeziehung auf die unterliegende Konstitution;
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c) gibt es endlich Zustandsbilder, welche mali ominis sind,
m. a. W.: solche, die nur zustande kommen auf Grund einer
schlimmen Konstitution.
Verf. behandelt dann eine Reihe von Fragen, die seiner An¬
sicht nach die nächste Aufgabe für unsere statistischen Bestrebungen
sein sollen und geht dann zu der Frage über, was vererbt wird.
Resümierend bemerkt er dazu:
Veranlagt zur Vererbung sind a) Keimerkrankungen als kon¬
stitutionelle Psychopathien, sowie Intoxikationen, welche zu tiefen
und dauernden neuro- und psychopathischen Folgen geführt haben:
Alkoholepilepsie, luetische Cerebropathien, eingewurzelte alkoholi-
stische Charakteranlagen;
b) handelt es sich um Kandidaten, welche bereits Psychosen
überstanden haben, so bleibt die Beurteilung in erster Linie von den
unter a aufgeführten Faktoren abhängig, im speziellen entscheidet
aber dann weiter die Verlaufstendenz und der klinische Charakter
der durchgemachten Psychose. Bei einmaligen und ersten Er¬
krankungen, die lange Zeit geheilt sind, hält Verf. ein direktes
Abraten von der Heirat nicht für geboten, der Arzt soll aber auch
nie Zuraten. Je mehr Anfälle dagegen schon vorhergegangen,
desto weniger ist die Verheiratung ratsam.
Mit Rücksicht auf die Nachkommenschaft kommt dann ferner
noch in Betracht der Einfluss des andern Ehegatten, der nach den¬
selben Grundsätzen zu beurteilen ist, doch muss hier beachtet
werden, dass wir noch in keiner Weise über die Vorgänge orien¬
tiert sind, in welcher Weise der Einfluss der Eltern auf das Kind
sich gestaltet, ob und event. welcher Einfluss — väterlicher oder
mütterlicher — der vorherrschende ist, und ob bestimmte Gesetz¬
mässigkeiten dabei bestehen.
Aber trotz all dieser noch der Lösung harrender Fragen ist
eine Vererbbarkeit der Geisteskrankheiten sicher, und wir müssen
daher jetzt schon auf Mittel und Wege sinnen, wie den schädlichen
Wirkungen vorgebeugt werden kann. Nach Verf. Ansicht ist die
Beihülfe des Staates dabei nicht zu entbehren, die Aufklärung
allein über die Gefahr, die ja gewiss in immer weitere Kreise ge¬
tragen werden muss, ist nicht genügend.
Verf. empfiehlt als gesetzliche Massnahmen a) die möglichste
Verhütung der jugendlichen Heiraten durch Heraufrücken der
untersten Grenze des Heiratsalters bei Männern auf 23—25 Jahre,
bei Mädchen auf 18 Jahre;
b) die Berechtigung des Ehepartners, ein Gesundheitszeugnis
des andern Teiles zu verlangen, das von einem staatlich ein¬
gesetzten und in seinen Befugnissen geschützten Gesundheitsrate
auszustellen wäre.
Centralblatt f. allg. Gesundheitspflege. XXIV. Jahrg. 28
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Beigegeben sind der Schrift noch die genealogischen Stamm¬
bäume von 20 periodischen resp. zirkulären Psychosen mit den
aus denselben vorläufig abzuleitenden Gesetzen. Fuchs iCöln).
Stier, Die Bedeutung der Nerven- und Geisteskrankheiten in der
Armee im Lichte der Sanitätsstatistik. (Deutsche militärärztliche
Ztschr. 1905, Heft 8/9.)
Wie die alljährlich erscheinenden Sanitätsberichte über die
preußische Armee zeigen, geht die Zahl der Kranken in erfreu¬
licher Weise von Jahr zu Jahr zurück. Nur die Erkrankungen
des Nervensystems, besonders aber die Geisteskrankheiten, Neura¬
sthenie und Hysterie zeigen eine deutliche und dauernde Ver¬
mehrung. Stier weist in seiner Arbeit nach, dass es sich nur um
eine scheinbare Zunahme handelt, dass dieselbe vor allem auf einer
besseren Erkennung dieser Krankheiten beruht. Er - glaubt, dass
die Zahl dieser Fälle, welche eine genaue Kenntnis der Neurologie
und Psychiatrie vom Militärarzt verlangen, noch grösser ist. Dass
die Heeresverwaltung bemüht ist, die psychiatrische Ausbildung
der Sanitätsoffiziere zu fördern und damit ein frühes Erkennen der
Geisteskrankheiten zu ermöglichen, beweist die Tatsache einer wei¬
teren Ausdehnung der Kommandierungen jüngerer Sanitätsoffiziere
an psychiatrische Kliniken, ferner der Aufnahme der Psychiatrie
als Lehrgegenstand in die Fortbildungskurse. Graessner (Cöln).
Grotjahn, Der Alkoholismus. (Handb. d. Hyg. 1904, 4. Suppl.-Bd.)
Der Verf. bringt zunächst einige statistische Angaben über
Produktion und Konsum von alkoholhaltigen Getränken in Deutsch¬
land und geht dann zur Besprechung des akuten und chronischen
Alkoholismus sowie dessen Beziehungen zur Kriminalität, Selbst
mord und Geisteskrankheiten über. Er tritt hier den Über¬
treibungen fanatischer Abstinenzler entgegen, welche bei jedem
trunksüchtigen Verbrecher, Selbstmörder, Geisteskranken den Al¬
koholismus als Ursache für seine Neigung zum Verbrechen etc.
ansehen, während in Wirklichkeit bei vielen derartigen Personen
die Trunksucht als begleitende Erscheinung aufzufassen ist, welche
auf der nämlichen psychopathischen Anlage beruht, durch die das
betreffende Individuum zum Verbrecher etc. wurde.
Höher veranschlagt Grotjahn den schädigenden Einfluss des
Alkohols auf Leben und Gesundheit der Trinker selbst sowie auf
deren Nachkommen, und zwar legt er in dieser Hinsicht das
Hauptgewicht nicht auf die Trunksucht im engeren Sinne, sondern
auf den gewohnheitsmässigen Genuss alkolischer Getränke.
In einem weiteren Abschnitt „Die Bekämpfung der Trink¬
sitten“ bespricht er die Bestrebungen der Enthaltsamkeits- und
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Mässigkeitsbewegung, wobei er sich selbst zu der letzteren be¬
kennt. Die praktische Konsequenz seines Standpunktes ist die,
dass er 1 1 Bier oder J / 2 1 Landwein für einen gesunden er¬
wachsenen Mann als das Höchstmass des Zulässigen bezeichnet.
Zu den wesentlichsten Ursachen der Trinkunsitten bei den
unteren Ständen — für die wohlhabenden Bevölkerungsschichten
erkennt er überhaupt keine mildernde Umstände an — rechnet
Verf. eine Reihe von sozialen Misständen (schlechte Ernährung,
Kälte, Ermüdung, Mangel an sonstigen Freudenquellen etc.), deren
Beseitigung das erstrebenswerte Ziel der Sozialpolitik sein muss.
Bevor dieses erreicht ist, kann die Mässigkeitspropaganda nicht
auf dauernden Erfolg rechnen. Unter den gesetzgeberischen und
polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung des Alkoholismus er¬
wartet er von der Besteuerung gewisser Getränke (Schnaps) und
von einer Verminderung der Verkaufsstellen bezw. Verleihung der
Konzessionen an gemeinnützige Gesellschaften (Gothenburger Aus-
•schanksystem) Erspriessliches. Für ganz zwecklos dagegen hält er
strafgesetzliche Bestimmungen.
Zum Schlüsse gibt Grotjahn eine statistische Übersicht der
Alkohol frage in den einzelnen europäischen Ländern.
Die Arbeit kann, obwohl sie nichts besonderes Neues bringt,
•doch als ein lesenswerter Beitrag zur Alkoholfrage bezeichnet
werden, da sie mit deutlichen Worten den Standpunkt einer ge¬
sunden Mässigkeitsbewegung kennzeichnet, die Schwierigkeiten,
welche den diesbezüglichen Bestrebungen entgegenstehen, klar be¬
leuchtet und den exzessiven Forderungen und Übertreibungen fa¬
natischer Alkoholgegner gegenüber die Dinge so darstellt, wie sie
in Wirklichkeit liegen. Herbst (Barmen).
v. Schnitzer, Beitrage zur Zahnfrage in der Armee. (Deutsche mi-
litäriirztliche Ztschr. 1905, Heft 7.)
Verf. hat an den Heerespflichtigen in einem Musterungsbezirk
W 7 estpreussens und an Kranken im Lazarett Danzig Untersuchungen
über die Häufigkeit des Auftretens der Zahnkaries angestellt. Die
Ergebnisse aus dem Musterungsbezirk zeigen, dass dieser bezüg¬
lich gesunder Zähne zu den allerbesten des ganzen Landes gehört,
bieten sonst nichts Besonderes. Interessant ist aber an den Unter¬
suchungen der Lazarettkranken, dass von sämtlichen an akutem
Bronchialkatarrh Erkrankten beinahe 2 / s , von den an Mandel¬
entzündung Erkrankten beinahe 7 / 9 und von den an' Gelenk¬
rheumatismus Leidenden 5 / 7 schadhafte Zähne aufwiesen. Bei
Mittelohrerkrankungen fand Verf. die schon von anderer Seite er¬
wähnten Beziehungen zwischen diesen Erkrankungen und Zahn¬
karies bestätigt. Übrigens ist er der Ansicht, dass der Zahnfrage
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in gewissen Fachkreisen eine übergrosse Bedeutung bezüglich des
Militärdienstes beigelegt wird. Graessner (Cöln),
Engels, Einige Versuche zur Wohnungsdesinfektion für statio¬
nären und transportabeln Gebrauch. (Zeitschr. f. Med.-Beamte, 1905,
Nr. 7.)
Verf. empfiehlt einen von Roepke, Chefarzt der Heilstätte
Stadtwald zu Melsungen bei Kassel, konstruierten Formalindesinfek-
tionsapparat, der vor anderen den Vorzug der Billigkeit haben soll.
Ein weiterer Vorzug besteht darin, dass der Formalinapparat und
Ammoniakentwickler in einer über die Schulter tragbaren Segeltuch*
tasche untergebracht werden können, und die übrigen erforderlichen
Sachen, Spirituslampe, Chemikalien usw. in einer HandtrommeU
Segeltuchtasche und Handtrommel lassen sich bequem von einem
Mann transportieren und handhaben. Der Apparat kostet komplett
109 Mk. und ist vom Medizinischen Warenhaus in Berlin zu be¬
ziehen. Desinfektionsversuche mit Typhusbazillen, Choleravibrionen.
Staphylokokken Diphtheriebazillen, sporenhaltigen Heubazillen usw.
ergaben bezüglich der Desinfektionskraft dieselben Resultate wie
der Flüggesche und Schneidersche Apparat. Selter (Bonn).
Prinzing, Die Verbreitung der Tuberkulose in den europ&iscben
Staaten. (Zeitschr. f. Hyg. u. Inf., 46. Bd., 3. Heft, S. 517—546.)
Ein grosser Wert kommt der Kenntnis der Verbreitung der
Tuberkulose zu, denn diese gibt viele Fingerzeige dafür, unter
welchen äusseren Verhältnissen sich die Krankheit mit Vorliebe
entwickelt.
Verf. gibt eine genaue Statistik der folgenden Staaten r
Deutschland, Österreich-Ungarn, Schweiz, Italien, Spanien, Frank¬
reich, Belgien, Holland, Grossbritannien, Russland, Rumänien.
Die Zusammenfassung der Resultate ergibt, dass die Tuber¬
kulosesterblichkeit Europas ganz eigentümliche Verhältnisse zeigt.
Wir sehen zwei grosse Gebiete mit niederen Zahlen. Das eine um¬
fasst den Norden Deutschlands, Dänemark, die Niederlande und
England, das andere die apenninische Halbinsel. Nördlich vom
erstgenannten Gebiet nimmt die Zahl der Todesfälle zu, in Irland,
Schottland, Norwegen und Schweden. Sehr häufig ist die Tuber¬
kulose in Spanien und Frankreich, von mittlerer Höhe sind die
Ziffern in Westdeutschland, in der Schweiz, in den österreichischen
Alpenländern; die Hauptherde der Tuberkulose sind das Gross¬
herzogtum Hessen, Bayern, ganz besonders aber Nieder- und Ober¬
österreich, Böhmen, Mähren und Schlesien, in welch letzteren
Landesteilen die Tuberkulosesterbeziffern die grösste Höhe in
Europa erreichen. Im ganzen Osten Europas, in Ungarn, Galizien,
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Rumänien, Russland fordert die Tuberkulose viel mehr Opfer als
in Deutschland. Mast bäum (Cöln).
Brault, Gontribution ä l’Etude de la Tuberculose chez les Indi-
gönes, Musulmans d’Algörie. (Annales d’Hygiene Publique et de
Medecine legale Mai 1905.)
Entgegen der vielverbreiteten Anschauung ist die Tuberkulose
in den nördlichen Gebieten Nordafrikas sehr verbreitet. Trotz des
günstigen Klimas stellen die Eingeborenen infolge vieler ungünstig
wirkender Ursachen (mangelhafte Hygiene, Alkohol, Krankheiten)
ein grosses Kontingent zur Tuberkulosemortalität. Das Klima, dass
torpiden Tuberkulosen günstig, wirkt ausserordentlich nachteilig
auf die massenhaft vorkommenden akuten und subakuten Tuber¬
kulosen der Eingeborenen, welche verhältnismässig von derselben
Krankheit viel stärker dahingerafft werden, wie die Europäer. Alle
nur denkbaren Formen der Tuberkulose werden bei den Ein¬
geborenen beobachtet und sehr oft vergesellschaftet mit der enorm
verbreiteten Syphilis. Weischer (Rosbach-Sieg).
Thorn, Betrachtungen und Beiträge zur Frage der Tuberkulose¬
ansteckung unter Eheleuten. (Zeitschr. f. Tub. u. Heilst., Bd. VII.
Heft 1. 1906.)
Die allgemein ärztlichen Erfahrungen lehren, dass bei der
Tuberkulose trotz der grossen Infektionsgelegenheit die Gefahr der
Ansteckung und Erkrankung eine recht minimale ist, und dass da¬
her die seit Bekanntwerden der Infektionsgefahr sich geltend
machende Phthiseophobie vollständig unbegründet ist. Dies gilt
auch für die Infektionsgefahr in der Ehe, die naturgemäss je nach
der klinischen Form bezw. dem Stadium der Erkrankung, der Dis¬
position der Individuen und den durch die Ehe geschaffenen ver¬
änderten Verhältnissen verschieden sein muss. Die Gefahr der
Übertragung durch Kuss und geschlechtlichen Verkehr ist gering;
die gewöhnlichen Infektionsgelegenheiten (Sputum etc.) kommen in
der Ehe auch in Betracht und spielen wahrscheinlich die Haupt¬
rolle, Der bestimmte Nachweis der Infektion ist sehr schwer;
bestenfalls kann nur die Wahrscheinlichkeit derselben bewiesen
werden.
Unter 402 Fällen der Heilstätte Hohenhonnef ist nur in 7 =
1,7 °/ 0 eine Übertragung der Tuberkulose vom kranken auf den bis¬
her gesunden Ehepartner wahrscheinlich. Die Frau erscheint auch
nach dieser Statistik gefährdeter wie der Mann (7 :4).
Aus allen bisher gemachten Erhebungen folgt also, dass eine
sicher zu eruierende Ansteckung eines Ehegatten durch den andern
nur sehr selten vorkommt, und dass „trotz vorgeschrittener und
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jahrelanger Erkrankung eines Ehepartners und trotz ständigen in¬
timen Zusammenseins und aufreibender Pflege im Gegensatz zu der
landläufigen Ansicht und Vermutung ein Ausbleiben der Infektion
die Kegel ist“. Weischer (Rosbach/Sieg).
Boeg, Über erbliche Disposition zur Lungenphthisis. (Zeitschr. f.
Hyg. u. Inf., 49. Bd., 2. Heft, S. 161—196.)
Nachdem durch Entdeckung des Tuberkelbazillus der Beweis-
für die bazilläre Natur der Phthise durch Koch geliefert war,
wurden die Reihen derer gelichtet, die die Anschauung festhielten r
dass die Lungenphthisis eine gewissen Geschlechtern anhaftende
Konstitutionsanomalie sei. Trotzdem hat die Hypothese der erb¬
lichen Disposition auch unter denen, die die Infektiosität der Krank¬
heit einräumen, immer noch ihre Anhänger, und die meisten Ärzte
halten sie noch für eine Tatsache.
Schon vor der Entdeckung des Kochschen Bazillus w*ar die
Behauptung aufgestellt worden, dass die Ursache zur grösseren
Häufigkeit der Lungenphthise in gewissen Familien nicht, wie
früher angenommen, erbliche Disposition sei, sondern die reich¬
lichere Gelegenheit zur Infektion. Wer jetzt noch bei der Hypo¬
these bestehen bleibt, dass die in einigen Familien häufigere
Lungenphthisis durch erbliche Disposition verursacht sei, muss den
Beweis auf klinisch-epidemiologischem Wege führen. Dieser Nach¬
weis lässt sich aber nur in dünnbevölkerten, abseits vom Verkehr
liegenden Bezirken erbringen, und das stellte sich der Verf. ala
Amtsarzt der Faroerinseln zur Aufgabe. Dort ist die Lungen¬
phthisis eine verbreitete Krankheit. Auf Grund seiner umfang¬
reichen Untersuchungen zieht Verf. den Schluss, dass die Hypo¬
these der erblichen Disposition zur Lungenphthise nicht haltbar ist.
Mastbaum (Göln).
Huss, Die desinfektorische Wirkung des Formalins auf tuberkel¬
bazillenhaltigen Lungenauswurf. [Versuche mit dem Roepkeschen
Apparat zur Wohnungsdesinfektion.] (Zeitschr. f. Med.-Beamte, 1905 r
Nr. 7.)
Leinwandläppchen, die in mässig dicker Schicht mit frischem
tuberkelbazillenhaltigem Sputum bestrichen und in einem Kranken¬
zimmer in verschiedener Höhe aufgehängt waren, wurden nach
östtindiger Formalineinwirkung mittels des Roepkeschen Appa¬
rates steril befunden. Bei Desinfektionsversuchen in Zimmern mit
verschiedenem Rauminhalt Hessen sich bei 50 ebm Rauminhalt und
4,5 g Formalinverbrauch pro cbm in 100 °/ 0 der Untersuchungen
eine volle desinfektorische Wirkung nachweisen.
Selter (Bonn).
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Lembke, Eine Typhusepidemie im Kreise Kreuznach. (Zeitschr. f.
Med.-Beamte, 1905, Nr. 8.)
Im September und Oktober 1904 konnte Verf. in den Dörfern
Sobernheim und Argenschwang eine Paratyphusepidemie beobachten,
bei welcher innerhalb eines Zeitraumes von vier Wochen vier
Erkrankungsfälle zur Behandlung kamen. Bei diesen Fällen liess
sich vorderhand keine Verbindung untereinander nachweisen. Die
Diagnose wurde durch die Agglutinationsprobe sichergestellt.
Durch letztere gelang es auch noch neun weitere Erkrankungen
festzustellen, welche schon in Heilung tibergegangen waren. Betreffs
der Frage des Ursprungs dieser Epidemien teilt Verf. nicht den
Standpunkt Trautmanns, dass eine Paratyphusepidemie sich zu¬
nächst unter dem Bilde einer Fleischvergiftung abspiele, aus welcher
die subakute Form der Krankheit hervorgehe. Durch Nachfragen
konnte er feststellen, dass die ersten Kranken teils überhaupt kein
Rindfleisch gegessen hatten, oder Fleisch von verschiedenen Metzgern
geholt hatten. Bei den Fällen in Argenschwang konnte man
Kontaktinfektion annehmen, da die Erkrankten alle zu einer Familie
gehörten. Nach Sobernheim müsste dagegen der Infektionsstoff
von aussen hineingetragen worden sein. Für die weitere Verbreitung
hier werden die mangelhafte Durchspülung der Strassen gossen, in
welche sämtliche Haus-, Küchen- und Schmutzwässer von den Höfen
geleitet werden, verantwortlich gemacht. Man muss sich nur wundern,
dass trotz dieser unhygienischen Verhältnisse die Epidemie keine
weitere Verbreitung genommen hat. Selter (Bonn).
Richter, Etwas über „Typhushäuser* und „Typhushöfe*. (Zeitschr.
f. Med.-Beamte, 1904, Nr. 24.)
Verf. hält noch an der, man sollte meinen nach dem Gelsen-
kirchener Wasserwerksprozess endlich überwundenen, Ansicht fest,
dass dem Boden bei der Typhusübertragung eine Hauptrolle zu¬
komme. Die Typhusbazillen sollen von den Erkrankten in den
Boden gelangen, sich dort Jahre und Jahrzehnte lebend und
virulent erhalten und beim Aufgraben der Erde oder durch Auf-
und Absteigen der Bodenluft mit den Menschen in Berührung
kommen. Richter stützt sich einmal auf die Untersuchungen von
Ru 11 mann, der feststellte, dass die Typhusbazillen sich unter
günstigen Umständen im Boden vermehren und bis zu 16 Monaten
lebensfähig bleiben können, ferner auf die Beobachtungen Renks*
dass mit der aufsteigenden Grundluft Staub und hiermit lebende
Bakterien in die Wohnung dringen können. Eine Bestätigung
seiner Ansicht glaubt er in einem von R. Koch 1903 gehaltenen
Vortrag finden zu können, nach unserer Meinung aber mit Unrecht.
Denn Koch sagt gerade in diesem Vortrag, dass die meisten Typhus-
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420
erkrankungen direkte Kontaktinfektionen seien, dass allerdings
auch der Boden bei der Uebertragung der Typhuskeime eine ge¬
wisse Rolle spielen könne, aber nur insoweit, als die Kinder, die
ja bekanntlich an leichten, oft nicht diagnostizierten Typhus¬
erkrankungen leiden können und gerade auf den Dörfern mit Vor¬
liebe ihre Fäkalien im Freien absetzen, den Infektionsstoff mit
ihren Schuhen und Händen in die Wohnungen tragen. Ob über¬
haupt den sogenannten Typhushäusern und Typhushöfen eine so
grosse Wichtigkeit bei den Typhuserkrankungen beizumessen ist, muss
doch nach den neueren Untersuchungen dahingestellt bleiben. Aller¬
dings muss man zugeben, dass es oft ausserordentlich schwer ist,
die Ätiologie einer vereinzelt auftretenden Erkrankung festzustellen.
Auch werden wir zweifellos den Typhus ausrotten können, wenn
es uns gelingt, durch Befolgung der genauesten Desinfektions-
Vorschriften den Infektionsstoff unschädlich zu machen.
Selter (Bonn).
Friedei, Typhushäuser. (Zeitschr. f. Med.-Beamte, 1905, Nr. 2.)
Der vorerwähnten Ansicht Richters tritt Verf. entgegen.
Dass „Typhushäuser“, in denen fast alle zuziehenden Personen, vor
allem die Dienstboten an Typhus erkranken, Vorkommen, gibt er
zu; jedoch sind für diese Erkrankungen nicht die von früheren
Fällen im Boden aufbewahrten Typhusbazillen verantwortlich zu
machen; hierfür kommen fast stets die sogenannten Bazillenträger,
welche nach überstandenem Typhus noch lange Zeit die Typhus¬
bazillen im Stuhl und Urin beherbergen können, in Frage. In
einem der „Typhushäuser“, in dem der Knecht eines Bauern er¬
krankte, konnte Friedei bei der Frau des Bauern noch 6 Monate
nach einem überstandenen Typhus Typhusbazillen in Reinkultur
im Stuhl nachweisen. In anderen Fällen gelang es ihm, Typhus¬
bazillen im Stuhl zu finden, bei denen die Erkrankung 4—16
Monate zurücklag. Selter (Bonn).
\
Richter, Erwiderung. (Zeitschr. f. Med.-Beamte, 1905, Nr. 2.)
Verf. bestreitet nicht das Vorkommen genesener Bazillen¬
träger, doch hält er die von diesen ausgeschiedenen Bazillen für
nicht so infektiös und geeignet, neue Erkrankungen hervorzurufen,
wie die auf der Höhe der Erkrankung abgesonderten Typhus¬
bazillen. Diese Infektiosität dürfte nach den neueren Unter¬
suchungen von Lentz als bewiesen gelten. Richter sieht die
versteckten Krankheitskeime und die undesinfiziert vergrabenen
Typhusstühle als Ursache späterer Erkrankungen an und ist der
Meinung, dass „im Freien abgelegte Stühle sehr bald ihre an-
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421
steckende Wirksamkeit verlieren, indem die in ihnen haftenden
Bazillen durch die Sonnenstrahlen unbedingt vernichtet werden“
und „der Urin, der einzeln im Freien abgesetzt wird, durch Fäulnis
und eventuelle Einwirkung der Sonnenstrahlen seine Infektiosität
verliert. 44 Im allgemeinen werden aber Stuhl und Urin nicht
immer an den von der Sonne zumeist beschienenen Orten abgesetzt,
und könnten doch die Typhusbazillen vielleicht länger lebend
bleiben, als der Verf. glaubt. Und dann, unterliegen die ein¬
gegrabenen Typhusstühle etwa keiner Fäulnis ?
Selter (Bonn).
Dührssen, Influenza und Handkuss. (Deutsche med. Woch., 1905, Nr. 8.)
Dührssen ist der Ansicht, dass die Gesellschaftssitte des
Handkusses eine hygienische Unsitte sei, da sie mit Leichtigkeit
Krankheitserreger zu übertragen vermag. Es braucht nur ein an
Influenza Erkrankter oder von ihr eben Genesener der Hausfrau
die Hand geküsst zu haben, um alle spätem Gäste, die der Haus¬
frau die gleiche Höflichkeit bezeugen, in die grösste Ansteckungs¬
gefahr hineinzubringen. Die Gefahr besteht auch gegenüber andern
Infektionskrankheiten, zumal gegenüber der Tuberkulose. Die Ge¬
fahr ist für jeden Einsichtigen so einleuchtend, dass positive Ex¬
perimente gar nicht nötig sind, zumal im Hinblick auf die Unter¬
suchungen von Roepke und Huss, welche die Möglichkeit der
Übertragung von Krankheitserregern durch den gemeinsamen Abend¬
mahlkelch dargetan haben. An der Hand haften gewiss Krankheits¬
keime viel eher, als an dem glatten Metall.
Möge demnach Dührssen mit seiner Annahme recht be¬
halten, dass gewiss jeder vernünftige Mensch eine ganz überflüssige
Höflichkeitsbezeugung unterlassen wird, wenn er weiss, dass er
durch diese sich und anderen Personen unter Umständen lebens¬
gefährliche Krankheiten bringen kann. Krautwig (Cöln).
Georgii, Über die vermeidbaren Impfschäden. (Zeitschr. f. Med.-Be¬
amte, 1905, Nr. 9.)
Veranlasst durch ein Buch des Tübinger Zoologen Bloch¬
mann „Ist die Schutzpockenimpfung mit allen notwendigen Kau-
telen umgeben?“ erörtert Verf. die Frage, welche Impfschäden als
vermeidbar anzusehen sind und wie sie vermieden werden können«
Alle Impfunfälle, die irgendwie durch eine Schuld des Arztes
zustande kommen, sind vermeidbar, wie Nichtbeachtung der Regeln
der Anti- und Asepsis, Übertragung der Lymphe von der Impfstelle
auf andere Körperstellen usw. Hierfür müssen jedoch verschiedene
Forderungen erfüllt sein. Der impfende Arzt muss ein geeignetes
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422
Impf lokal mit dem nötigen Material, Tisch zum Aufstellen des*
Spiritusbrenners sowie des Impfmesserträgers, Waschbecken mit
reinem Wasser, gute Seife und mindestens zwei Handtücher haben.
Zur Schreibhilfe würde am besten ein Lehrer mit besonderer Be¬
soldung zugezogen, welcher auch die erforderlichen Assistenz¬
leistungen ausführen könnte. Die Massenprivatimpfungen sind mög¬
lichst einzuschränken, da in dem Sprechzimmer vielbeschäftigter
Land- und Kassenärzte die beste Gelegenheit zur Entstehung von.
Impfschäden gegeben ist. Die Impfärzte sollen vor Beginn der ein¬
zelnen Impftermine die den Müttern auszuhändigenden Verhaltungs¬
vorschriften durchsprechen und erläutern. Der Arzt hat seine Hände
möglichst rein zu halten und dieselben im Laufe des Termins mehr¬
mals gründlich mit Wasser und Seife zu reinigen. Von einer Des¬
infektion im streng chirurgischen Sinne kann abgesehen werden. Un¬
rein zum Impftermin kommende Kinder sind abzuweisen. Als Impf-
instrumente sind die Platiniridiumlanzetten am empfehlenswertesten.
In jedem Impftermine von etwa 2ständiger Dauer sollen nicht mehr
als 60 Kinder geimpft werden, da sonst eine exakte Ausführung des
Impfgeschäftes, verbunden mit der Prüfung des Gesundheitszustandes
des Impflings, nicht gewährleistet ist. Letztere Untersuchung müsste
eine recht gründliche sein und sich nicht nur auf Betrachtung des
Gesichtes und der Arme beschränken. Bei der Nachschau ist ausser
der Impfstelle und der Zahl der Pusteln auch der ganze Gesundheits¬
zustand des Kindes zu berücksichtigen, wobei die Mütter nochmals
auf etwaige Abweichungen vom normalen Impfverlauf aufmerksam,
zu machen sind. Selter (Bonn).
Hermanides, Bekämpfung der ansteckenden Geschlechtskranke
heiten als Volksseuche. (Jena. G. Fischer.)
Die Ausführungen des Verf. gipfeln in dem Satze „die Mo¬
ralität ist die Mutter der Hygiene“, und er sieht deshalb in einer
Besserung der Moral das Hauptmittel für die Bekämpfung der Ge¬
schlechtskrankheiten. Von diesem theoretisch gewiss nicht un¬
richtigen Standpunkte aus empfiehlt er, nachdem er die Unzulänglich¬
keit der bestehenden Reglementierungs- und Untersuchungsmethoden
dargetan hat, vor allem die Bekämpfung der Prostitution. Als
Hauptwaffe in diesem Kampfe möchte er sich der Gesetzgebung
bedienen, und gerade das scheint der schwächste Punkt seiner
VerbesserungsVorschläge zu sein. Aus den von ihm empfohlenen
Massregeln hebe ich hervor: Verbot der öffentlichen Prostitution.
Verbot der clandestinen Prostitution durch Bestrafung der Besitzer
von Caf^-chantants und anderen Lokalitäten, wo Musikaufführungen
stattfinden und Trinkgelage gehalten werden, wenn diese Etablisse¬
ments die öffentliche Ordnung, den öffentlichen Anstand oder die-
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423
allgemeine Gesundheit gefährden. Strafbarkeit des Besuchs von
Häusern, in denen, im Widerspruch mit den Bestimmungen dieses
Gesetzes, Gelegenheit zu unzüchtigen Handlungen gegeben wird,
mit der zutage liegenden Absicht, von dieser Gelegenheit Ge¬
brauch zu machen. Strengere Anwendung der bestehenden straf¬
gesetzlichen Bestimmungen über das Ausstellen und Verkaufen von
pornographischen Abbildungen. Verbot unsittlicher Lektüre. Ver¬
bot unsittlicher Theaterstücke und der unsittlichen Ballette. Neben
diesen wohl ziemlich aussichtslosen Verboten steht eine Anzahl
guter, aber nicht neuer Vorschläge wie: Verbesserung des Unter¬
richts in den venerischen Krankheiten, unentgeltliche Behandlung,
Belehrung der Jugend usw. Zinsser (Cöln).
Bettmann, Die ärztliche Überwachung der Prostituierten. (Jena r
G. Fischer.)
Eine sehr gründliche und gewissenhafte Arbeit über das
schwierige Thema, die besonders allen mit der Untersuchung, Be¬
handlung und Überwachung der Prostituierten beschäftigten Ärzten
und Beamten und auch den sich für die Frage interessierenden
Laien zum Studium angelegentlich empfohlen werden kann.
Der grösste Teil des Werkes gibt referierend einen Überblick über
den Stand der Überwachungsfrage in den verschiedenen Ländern,
über die Krankheiten der Prostituierten und über die Technik der
Kontrolle und der ärztlichen Untersuchung. Die letzten Kapitel
behandeln die Inskription, die Wohnungsfrage, die Ergebnisse der
Reglementierung und Ersatzmittel der Reglementierung und schliess¬
lich die Prostituierten selbst. Dass das Resultat der kritischen
Besprechung aller für und wider die Zwangsuntersuchung, die
Reglementierung und die Kasernierung der Prostituierten an¬
geführten Gründe insofern kein besonders erfreuliches ist, als Verf-
auch keinen rechten Weg zur Besserung der Verhältnisse sicht,,
liegt leider in der Natur der Sache. Gerade der gutunterrichtete
Beurteiler, der frei von Sentimentalität und Voreingenommenheit
auf der einen und von blindem Optimismus auf der anderen Seite
an die Aufgabe herangeht, muss zu dem traurigen und entmutigen¬
den Resultat kommen, dass wir bei der Prostitutionsfrage schier
unüberwindlichen Schwierigkeiten gegentiberstehen.
Zinsser (Cöln).
Grosse, Schutzmittel gegen Geschlechtskrankheiten. (Münch. Med.
Woch„ 1905, Nr. 21.)
Empfehlung eines neuen Prophylacticums „Selbstschutz 44 ,
welches in einem 1 pro mille Hydrang. oxycyanat. enthaltenden
Gelatine-Glyceringelee und in einer Tube Lanolin-Vaselin besteht.
Zinsser (Cöln).
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424
Kirchner, Die Verbreitung der Lepra in Deutschland und den
deutschen Schutzgebieten. (Klin. Jahrb., 14. Bd. Jena 1905. G. Fi¬
scher.)
Das Auftreten eines Lepraherdes Mitte der 80er Jahre des
vorigen Jahrhunderts in dem preussischen Kreise Memel gab der
preussischen Regierung Veranlassung, die grösste Aufmerksamkeit
auf dieses Vorkommen zu richten und auf Mittel und Wege zu
sinnen, der weiteren Ausbreitung dieser Erkrankung, die im Mittel-
alter so grosse Verheerungen anrichtete, Einhalt zu tun. Um die
Bekämpfung der Krankheit und die Feststellung des Herdes haben
sich neben Kirchner besonders Schmidtmann, Koch, Kubier
und Kreisphysikus Urbanowicz grosse Verdienste erworben. Ne¬
ben dem Herde im Kreise Memel (68 Fälle seit dem Jahre 1848)
haben sich vereinzelte Leprakranke vorübergehend in verschiedenen
Teilen Deutschlands gezeigt.
Nach Mitteilungen des Kaiserl. Gesundheitsamtes waren im
Deutschen Reiche im ganzen an Leprakranken vorhanden:
Ende 1900: 32, davon in Preussen 20, Mecklenburg-Schwerin 1,
Hamburg 11;
1901: 37, davon in Preussen 25, Bayern 2, Mecklenburg-
Schwerin 1, Elsass-Lothringen 1, Hamburg 8;
1902: 32, davon in Preussen 21, Bayern 2, Mecklenburg-
Schwerin 1, Elsass-Lothringen 1, Hamburg 7;
1903: 25, davon in Preussen 20, Mecklenburg*Schwerin 1.
Elsass-Lothringen 1, Hamburg 3.
Besonders wertvoll für die Bekämpfung der Lepra ist das
nach den Plänen von Kirchner erbaute Lepraheim in der Plan¬
tage bei Memel, welches im Pavillonstil erbaut ist und für 16 Kranke
Aufnahme gewähren kann. Der Arzt der Anstalt ist Kreisarzt
Medizinalrat Dr. Urbanowicz. Das Personal besteht aus zwei
Diakonissen, einer Magd, einem Hausdiener und einem Pförtner.
Zum Schlüsse der Abhandlung werden dann noch kurze Mit¬
teilungen über die Verbreitung der Lepra in den deutschen Schutz¬
gebieten, soweit man über dieselbe unterrichtet ist, gemacht.
Bleibtreu (Cöln).
Dieminger, Beiträge zur Bekämpfung der Ankylostomiasis. (Klin.
Jahrb., 12. Bd. Jena 1904. G. Fischer.)
Aus den Mitteilungen von Dieminger seien hier zwei Be¬
obachtungen hervorgehoben. Einmal, dass übermässiger Genuss
von Alkohol die Zahl der Eier in den Entleerungen herabmindert.
Die an Montagen oder an dem nach einem Feiertag folgenden Unter¬
suchungstage ausgeführten Untersuchungen der Stuhlgänge zeigten
eine auffallend geringe Anzahl positiver Resultate. Von 17 Montags
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425
negativ befundenen Leuten ergaben die an anderen Wochentagen
nochmals vorgenommene Untersuchung 11 mit reichlicher Abson¬
derung von Ankylostomaeiern.
Ferner beobachtete D., dass von 941 Personen, die mit wurm¬
behafteten Bergleuten in inniger Berührung wohnen (Frauen, Kin¬
der, Tagesarbeiter), die aber selbst niemals die Grube betreten
haben, nur ein Junge von neun Jahren mit Ankylostomaeiern be¬
haftet war. Es geht daraus hervor, dass eine Ansteckung ausser¬
halb der Grube zwar möglich ist, jedoch nur in so vereinzelten
Fällen vorzukommen scheint, dass hieraus eine allgemeine Gefahr
nicht abgeleitet werden dürfte. Bleib treu (Cöln).
Schaudinn, Über die Einwanderung der Ankylostomalarven von
der Haut aus. (Deutsche med. Woch. 1901, Nr. 37, S. 1338.)
Durch Versuche an Affen konnte Schaudinn eine Be¬
stätigung der Looss sehen Anschauung erbringen, dass nämlich
eingekapselte Ankylostomalarven durch die unverletzte Haut dringen,
auf dem Blut- oder Lymphwege zum Darm wandern und hier sich
weiter entwickeln können. Zwei Affen der Gattung Inuus brachte
er eine grosse Anzahl menschlicher Ankylostomalarven auf die
Rückenhaut, wo er die Flüssigkeit eintrocknen liess. Nach 14
Tagen starb der eine Affe unter Krämpfen, im ersten Drittel des
Dünndarms fanden sich 36 lebende junge Ankylostomen im so¬
genannten „dritten Larvenstadium noch mit provisorischer Mund¬
kapsel“. Der zweite Affe, der mehrfach infiziert war und 20 Tage
nach der ersten Infektion getötet wurde, zeigte im Dünndarm nur
2 Würmer, die ebenfalls nicht über das Stadium mit der provi¬
sorischen Mundkapsel hinausgekommen waren. Im Coecum fanden
sich 12 abgestorbene und angedaute Würmer des gleichen Stadiums.
Schaudinn hat ausserdem noch im Herzblut und in der Lunge des
Affen Ankylostomalarven auffinden können.
Durch anderweitige Versuche an Menschen ist die Loosssche
Behauptung, dass die Ankylostomiasis auch durch die Ein¬
wanderung der Larven in die unverletzte Haut zustande kommen
könne, vollinhaltlich inzwischen bestätigt.
Bruns (Gelsenkirchen).
Thorn, Vorschläge zur Besserung der Frühdiagnose des Krebses
im Regierungsbezirk Magdeburg. (M. M. W. Nr. 15. 1905.)
Die auch für weitere Kreise beachtenswerten Vorschläge des
Verf., mit allen angängigen Mitteln in intensiverer Weise gegen
den Krebs vorzugehen durch die Ermöglichung der frühesten Er¬
kenntnis der Krankheit, gipfeln dann, das Publikum durch popu¬
lär gehaltene Artikel über die Krebsfrage, speziell die operativ
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426
heilbaren Formen auffcuklären, auf den verderblichen Einfluss der
Kurpfuscherei gerade auf diesem Gebiet nachdrücklichst hinzu¬
weisen, eine Sammlung dieser Aufsätze dem gesamten niederen
Heilpersonal (Hebammen usw.) zuzusenden; dem praktischen Arzte
eine Anweisung über die Hülfsmittel zur Frühdiagnose, speziell
über die Gewinnung zur mikroskopischen Untersuchung geeigneter
Partikel zu geben, die Behörden auf die Notwendigkeit und Dring¬
lichkeit der Schaffung eines pathologisch-anatomischen und bakte¬
riologischen Instituts aufmerksam zu machen und im Anschluss an
die Fortbildungskurse kurze unentgeltliche Kurse zur Erlernung
aller für die Frühdiagnose des Krebses nötigen Encheiresen ein¬
zurichten. We i s che r (Rosbach/Sieg).
Verzeichnis der bei der Redaktion eingegangenen neuen
Bücher etc.
Baur, Dr. Alfred, Das Samariterbtichlein. Ein schneller Ratgeber bei
Hilfeleistung in Unglücksfällen. Für jedermann insbesondere für Mit¬
glieder freiwilliger Sanitätskolonnen. Mit 33 Abbild. 11.-12. Aufl.
Stuttgart 1905. Muth. Preis 40 Pfg.
Bircher-Benner, Dr. M., Grundzüge der Ernährungs-Therapie auf
Grund der Energie-Spannung der Nahrung. 2. Aufl. Berlin 1906.
Otto Salle. Preis 3 Mk.
Bonne, Dr. Georg, Über die Notwendigkeit einer internationalen Regelung
zum Schutze der Gewässer gegen Verunreinigung. Referat zum inter¬
national. Fischereikongress in Wien 1905. Hamburg, Gebr. Lüdeking.
Preis 30 Pfg.
Dietz, Ludwig, Ingenieur, Über Heizung und Lüftung der Schulräume,
Mit 7 Abbild. Charlottenburg 1905. Müller & Co. Preis 50 Pfg.
Elsaesser, Dr.,Über die sogenannten Bergmanns-Krankheiten. Abzehrung
und Wurmkrankheit unter den Bergleuten auch mit Rücksicht auf ihre
Gefahren für die Allgemeinheit. Arnsberg 1905. F. W. Becker. Preis
60 Pfg.
Emmel, Dr. Eduard, Das Wasserheilverfahren. Hydrotherapeutische
Mitteilungen [zum Studium des Wasserheilverfahrens für Ärzte und
Gebildete. Leipzig 1905. C. F. W. Fest. Preis 2 Mk.
Grube, Dr. H., Der vordere Scheidenleibschnitt, seine Technik und
Indikation mit inter operationem aufgenommenen Siiuationsbildern.
Mit lllustrat. im Text u. 11 Tafeln. Halle 1905. Karl Marhold. Preis
3 Mk.
Franze, Dr. Paul C.. Technik, Wirkungen und Indikationen der Hydro-
Elektrotherapie bei Anomalien des Kreislaufs. München, Verlag der
Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). Preis 1,60 Mk.
Heepke, Wilhelm, Die Kadaver-Vernichtungsanlagen. Mit 55 Abbild, im
Text und 3 Tafeln. Halle 1905. Carl Marhold. Preis 3 Mk.
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427
Hinterberger, Dr. Alexander, Ist unser Gymnasium eine zweckmässige
Institution zu nennen? Wien 1905. W. Braumüller. Preis 1,50 Mk.
Hölscher, Dr., Die otogenen Erkrankungen der Hirnhäute. II. Die Er.
krankungen im Subduralraum und die eitrige Entzündung der weichen
Hirnhäute. Mit einer Tabelle. Halle 1905. Carl Marhold. Preis 3 Mk.
iKlinger, H. J., Oberingenieur, Kalender für Heizungs-, Lüftungs- u. Bade¬
techniker. 11. Jahrg. 1906. Halle, Carl Marhold. Preis 3,20 Mk.
Klose, Bernh., Starke Nerven, Frischer Geist, Überströmende Lebens¬
freude durch Willensübungen. Magdeburg, R. Zacharias. Preis 1 Mk.
v. Körösy, Dr. Joseph, Die Sterblichkeit der Haupt- und Residenzstadt
Budapest in den Jahren 1901—1903 und deren Ursachen. II. Ta¬
bellarischer Teil. 3. Heft 1003. Budapest 1905. Karl Grill. Preis 1 Mk.
»Kühner, Dr. A., Bluterneuerungskuren durch natürliche Mittel. Mit einer
Einleitung von Prof. Dr. E. Schweninger. Leipzig 1905. Krüger & Co.
Preis 1,50 Mk.
Lauterborn, Prof. Dr. R., Die Ergebnisse einer biologischen Probe¬
untersuchung des Rheins. Berlin, Julius Springer.
Lischnewska, Maria, Die geschlechtliche Belehrung der Kinder. Zur
Geschichte und Methodik des Gedankens. Frankfurt 1905. J. D. Sauer-
lftnders Verlag. Preis 50 Pfg.
Lussingrande, Lussinpiccolo. Lussin und die Inseln des Quarnero. Ein
Wegweiser für Kurgäste und Ferienreisende. Mit 50 Abbild, u. 3 Karten.
Wien, A. Hartlebens Verlag. Preis 1,80 Mk.
Maack, Dr. Ferdinand, Polarchemiatrie. Ein Beitrag zur Einigung alter
und neuer Heilkunst. Mit Figuren. Leipzig 1905. Max Altmann. Preis
1,20 Mk.
Maennel, Dr. B., Vom Hilfsschulwesen. Sechs Vorträge. Leipzig 1905.
B. G. Teubner. Preis 1 Mk.
Mittel hä us er, Dr. E. Unfall und Nervenerkrankung. Eine sozial-medi¬
zinische Studie. Halle 1905. Carl Marhold. Preis 1,50 Mk.
Munk, Dr. Maxim., Die Hygiene des Schulgebäudes. Mit 16 Illustrationen.
Brünn 1905. Karafiat &. Sohn. Preis 2,15 Mk.
Rambousek, Dr. Josef, Lehrbuch der Gewerbehygiene. Mit 64 Abb. und
3 Tafeln. 8 Bogen gr. 8°. Wien, A. Hartleben. Preis 5 Mk.
Schmedding, A., Die Gesetze, betreffend Bekämpfung ansteckender
Krankheiten, und zwar 1. Reichsgesetz, betreffend die Bekämpfung
gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 1900. 2. Preussisches Ge¬
setz, betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom
28. August 1905 nebst Ausführungsbestimmungen erläutert für Preussen.
Münster i. W. 1905. Aschendorl'fsche Buchhdlg. Preis gebd. 2,60 Mk.
Stadel mann, Dr. Heinrich, Geisteskrankheit und Naturwissenschaft.
Geisteskrankheit und Sitte. Geisteskrankheit und Genialität. Geistes¬
krankheit und Schicksal. München 1905. Ärztliche Rundschau (Otto
Gmelin). Preis 1 Mk.
-Das Wesen der Psychose auf Grundlage moderner naturwissen¬
schaftlicher Anschauung. Heft V. Die Paranoia. Heft VI. Die Epi¬
lepsie. München 1905. Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin).
Preis 3,50 Mk.
Steckei, Dr. W., Wie beuge ich einer Blinddarmentzündung vor? Wien
1906. Paul Knepler. Preis 1 Mk.
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428
Verhandlungen des internationalen Vereines zur Reinhaltung der
Flüsse, des Bodens und der Luft auf der 27. Generalversammlung am
17. u. 18. Juni 1905 in Frankfurt a. M. Hamburg, Gebr. Lüdeking. Preis
1,20 Mk.
Weber, Dr. Hugo, Die Heilung der Lungenschwindsucht durch Be¬
förderung der Kohlensäurebildung im Körper. Halle 1906. Carl Mar-
hold. Preis 1. Mk.
NB. Die für die Leser des „Centralblattes für allgemeine Gesundheits¬
pflege“ interessanten Bücher werden seitens der Redaktion zur Besprechung
an die Herren Mitarbeiter versandt und Referate darüber, soweit der be¬
schränkte Raum dieser Zeitschrift es gestattet, zum Abdruck gebracht. Eine
Verpflichtung zur Besprechung oder Rücksendung nicht besprochener Werke
wird in keinem Falle übernommen; es muss in Fällen, wo aus besonderen
Gründen keine Besprechung erfolgt, die Aufnahme des ausführlichen Titels,
Angabe des Umfanges, Verlegers und Preises an dieser Stelle den Herren
Einsendern genügen. Dje VerlaflShandlung.
In meinem Verlage erschien:
Mitteilungen ans Dr. Schmidts Laboratorium
fnr Krebsforschung.
I. Heft. Dr. O. Schmidt: Über das Vorkommen eines proto¬
zoonartigen Parasiten in den malignen Tumoren und seine
Kultur ausserhalb des Tierkörpers. Weitere Resultate einer
spezifischen Therapie des Karzinoms. 73 Seiten. Mit drei Tafeln.
Preis Mk. 4.—.
II. Heft. Dr. O. Schmidt: Einige Dauerresultate nach Behandlung
Krebskranker mit Kankroidin Schmidt. —
Dr. O. Prof6: Übertragbare Neubildungen bei weissen Mäusen
nach Impfung mit Reinkulturen des Schmidtsehen Parasiten. —
Vorläufige Mitteilung über Immunisierungsversuche bei Mäusen,
welche durch Tumor-Transplantation infiziert wurden. — Über
das Vorkommen eines Mikrokokken in Tumoren. 36 Seiten.
Mit 1 Doppeltafel und 3 Textfiguren. Preis Mk. 2.—.
Martin Hager, Verlagsbuchhandlung, Bonn a. Rh.
Verlag von Martin Hager, Bonn.
In meinem Verlage erschien:
Der Alkohol als Nahrungsstoff.
Nach einem Vortrag in der VIII. Jahresversammlung des Vereins
abstinenter Ärzte des deutschen Sprachgebietes auf der 75. Ver¬
sammlung deutscherNaturforscher u. Ärzte in Kassel am 25.Sept. 1903
von
Professor Dr. Rudolf Rosemann,
Privatdozent und Assistent am physiologischen Institut in Bonn,
gr. 8°. 21 S. Preis 80 Pfg.
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Naohwelsung über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 47 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Januar 1905.
eitsformen der Aufgenommei
Münster
Bielefeld . .
Minden
Herford . .
Dortmund.
Hagen i. W. .
Witten .
Hamm . . .
Iserlohn
Siegen . . .
Gelsenkirchen
Altena . . .
Schwelm .
Düsseldorf
Essen a. d. Ruhr
Elberfeld . . .
T» ...
Barmen . . .
Crefeld . . .
Remscheid . .
M.-Gladbach . .
Solingen
Viersen
Rheydt....
Meiderich .
Neuss ....
Mülheim-Styrum
Ruhrort . . .
Odenkiruheu .
Aachen . . .
Aachen-Burtscheid
Düren ....
Eschweiler . .
Eüpen ....
Stolberg . . .
Cöln ....
Cöln-Deutz . .
Oöln-Ehrenfeld .
Mülheim a. Rh. .
Kalk ....
Trier ....
Saarbrücken . .
Koblenz . . .
Kreuznach . .
Neuwied . . .
Wiesbaden . .
Kassel ....
Fulda ....
Eschwege . . .
Rinteln . . .
Schmalkalden .
Clemenshosp. u. Johannisstift 285 862 £
städt. Krankenhaus .... 144 134 I
städtisches Krankenhaus . . 43 65
Friedrich Wilhelm-Hospital . 63 62
Luisenhospital. 384 391 4
städtisches Hospital.111 132 1
Diakonissenhaus u.Marienhosp 399 472 4
städtisches Krankenhaus . . 66 88 1
Bethanien-Krankenhaus . . 89 103 1
städt. Hospital.71 95 1
Marienhosp. u. ev. Krankenh. 478 536 (
Johanniter- u. kath. Krankenh. 47 49
städtisches Krankenhaus . . 55 54
evangelisches Krankenhaus . 199 209 1
Marienhospital. 314 846 2
Huyssenstift und Krupp’sches
Krankenhaus. 471 526 8
St. Josephshospital . . .184 202 1
städtisches Krankenhaus . 350 433 4
* * • . 263 313 3
„ „ . .225 280 2
„ . . . 92 102 1
Bethesda u.Mariahilf-Kranken-
haus.
städtisches Krankenhaus .
Elisabeth- und Kais. Wilh.-
Krankenhaus .
städtisches Krankenhaus .
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Hanielstiftung.
Kaiser Wilhelm-Krankenhaus
Mariahilf-Krankenhaii8 .
St Marienhospital . . . .
städtisches Hospital .
St. Antoniushospital .
St. Nikolaus-Krankenhaus .
Bethlehemhospital . . . .
Bürger- u. Augustahospital
städtisches Hospital ....
St. Franziskushospital .
städt. u. Dreikönigenhospital .
St. Josephshospital .
städt. Hospital u. Stadtlazarett
Bürgerhospital.
städtisches Krankenhaus
Landkrankenhaus
208|260 2
126 140 1
81 72
74 78
161 171 1
78 82
76 102
62 63
10 13
349 410 4
142 149 l
1051112 1
95' 93
41 43
103 96
850 900
129 135 1
141 181 1
256 265 2
155 169 1
129 129
53 107 1
173 193 2
541 54
98|127 1
297 344 4
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i) Hier unter 23 muaenza.
1
Bterbliohkeita-Statbitik von 53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau
pro Monat Januar 1905.
Mouat
Januar
1905
Münster
Bielefeld . . .
Paderborn .
Minden
Dortmund .
Gelsenkirchen
Bochum . . .
Hagen ....
Witten ....
Hamm ....
Iserlohn
Siegen ....
Schwelm .
Lippstadt .
Altena ....
Düsseldorf. . .
Essen a. d. Ruhr
Elberfeld . . .
Bannen. . . .
Crefeld
Duisburg . . .
Mülheim a. d. R.
Remscheid.
M.-Gladbach .
Oberhausen .
Solingen
Meiderich . .
Rheydt ....
Ruhrort. . . .
Neuss . . . .
Viersen ....
Wesel . . . \
Wermelskirchen .
Ronsdorf . . .
Lennep . . . .
Aachen. . . .
Düren .
Esch weiler.
Eupen . . .
Stolberg
Cöln.
Bonn 1 .
Mülheim a. Rh. .
Kalk.
Trier . . . .
Malstatt-Burbach
Saarbrücken .
St. Johann .
Koblenz
Kreuznach.
Neuwied . .
Wiesbaden
Kassel . . . .
Todesursachen
Infektions-Krankheiten
Gewaltsamer
Tod durch
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36646
29089
24766
18449
13876
13187
242833
223621
169606
153400
111590
110550
91375
68021
62020
53143
49307
41713
38407
37810
30941
26169
22749
16917 I
13750
9704
147282
29568
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14297
14249
420347
80978
53367
24211
öl,»
174 26,5 I
94 42,4
45 20,6
584 40,0
646 49,4
444 42,6
228 34,4
114 36,3
114 36,6
79 32,0
66 31,4
52 33,3
45 38,2
37 33,0
702 34,0
707 37,2
420 29,2
386 29,6
233 24,6
400 42,6
349 45,0
194 33,6
187 35,5
205 45.4
131 31,3
143 40,4
129 39,6
147 45,8
109 41,5
96 43,2
52 26,9
41 28,5
32 27,4
23 27,9
393 31,4
84 33,4
69 34,3
32 26,4
45 37,2
1319 36,9
264 38,4
151 33,3
77 37,4
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77 17 11,7
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51 16 23,3
>62 86 18,0
>06 60 15,8
171 45 16,4
108 31 16,3
73 13 23,3
68 22 21,8
53 9 21,5
55 16 26,2
21 5 13,4
20 5 17,0
23 6 20,5
361 115 17,5
294 81 15,5
46696 114 28,7
36584 146 47,0
27648 74 31,5
24484 55 28,4
53484 107 23,6
22736 46 23,8
16679 47 33,2
96304 208 25,4
120554 281 27,3
93
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55
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41
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3 1
1) Bonn: darunter 5,2°/oo Geburten, 5.5'»/oo Sterbefftlle Auswärtiger in Anstalten.
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8) Influenza.
Google
NaohweUung über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 47 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Februar 1905.
Städte
Krankenhäuser
Bestand
am
Schlüsse
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1
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Dortmund.
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132 133
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städt. Hospital.
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Gelsenkirchen .
Marienhosp. u. ev. Krankenh.
536 480
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1
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1
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Marienhospital.
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Huyssenstift und Krupp sches
Krankenhaus .
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Elberfeld .
St. Josephhospital ....
202 178
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städtisches Krankenhaus .
433 393
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280 254
182
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1
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.. 1 1
M.Gladbach . .
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kenhaus
260 273
199
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9
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städtisches Krankenhaus .
140 124
108
2
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1
2
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72 75
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1
Rheydt
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1
Krankenhaus .
171 145
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1 .. 1 3
2
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städtisches Krankenhaus .
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Ruhrort
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Aachen
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410 434
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2
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St. Marienhospital ....
149 142
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1
Düren ....
städtisches Hospital ....
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St. Antoniushospital ....
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Stolberg . . .
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135 113
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181 161
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Mülheim a. Rh..
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1
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St. Josephhospital ....
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Saarbrücken .
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Bürgerhospital.
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Bürgerhospital.
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1
1) Darunter 19 Influenzafälle.
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Sterbliohkeita-Statiatik von 53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassa
nro Monat Februar 1905.
4
1) Bonn: darunter <>,6 p /oo Geburten und 6,9°/oo 9terbefälle Auswärtiger in Anstalten.
Digitized by
Google
Nachweisung 1 über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 47 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat März 1905.
I Be am nd I -1 Krankheitaformen der Aufgenommenen
Städte
Krankenhäuser
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Münster . . . Clemenshosp. u. Johannisstift 331 294 305
Bielefeld . . . städt. Krankenhaus .... 132 99 94
Minden . . . städtisches Krankenhaus . 59 55 53
Herford . . . Friedrich-Wilhelm-Hospital . 60 55 45
Dortmund . . . Luisenhospital. 410 369 231
Hagen i. W. . . städtisches Hospital. . . . 133 118 118
Witten. . . . Diakonissenhaus u.Marienhosp. 456 424 379
Hamm .... städtisches Krankenhaus . . 89 77 85
Iserlohn . . . Bethanien-Krankenhaus . . 96 94 78
Siegen .... städt. Hospital. 91 85 97
Gelsenkirch eil . Marienhosp. u. ev. Krankenh. 480 430 497
Altena. . . . Johanniter-u. kath. Krankenh. 53 58 42
Schwelm . . . städtisches Krankenhaus . . 58 51 35
Düsseldorf . . evangelisches Krankenhaus . 228 220 180
» • • Marienhospital..325 285 241
Essen a. d. Ruhr Huyssenstift und Kruppsches
Krankenhaus. 530 516 798
Elberfeld ... St. Josephhospital .... 178 184 197
„ » ... städtisches Krankenhaus . . 393 334 307
.. 2 2
Elberfeld .
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Crefeld
Remscheid
M.-Gladbach
Solingen .
Viersen
Rheydt
Meiderich .
Neuss . . . .
Mülheim-Styrum
Ruhrort . . .
Odenkirchen . . 1
| Bethesda- und Mariahilf-Kr
kenhaus .
städtisches Krankenhaus .
Elisabeth- und Kais. Wilh.-
Krankenhaus .
städtisches Krankenhaus . .
Hanielstiftung. 62 46
Kaiser Wilhelm-Krankenhaus 12 10
Mariahilf-Krankenhaus ... 434 398
530 516 798
178 184 197
3931334 307
299 255 272
254 289 249
111 91 85
273, 252 206
124 133 118
75 82 40
75 60 50
145 169 161
70 73 40
83 76 76
62 46 44
12 10 6
Aachen-Burtscheid St. Marienhospital
Düren .... städtisches Hospital . .
Eschweiler . . St. Antoniushospital . .
Eupen .... St. Nikolaus-Krankenhaus
Stolberg . . . Bethlehemhospital . .
Cöln . . .
!Cöln-Deutz .
^Cöln-Ehrenfeld
Mülheim a. Rh.. I städt. u. Dreikönigeuhospital
Trier . .
Saarbrücken
Koblenz .
Kreuznach
Neuwied .
Wiesbaden
Kassel . .
Fulda . .
Esehwege.
Rinteln . .
Schmalkalden
Bürger- u. Augustahospital
städtisches Hospital. . .
St. Franziskushospital . .
St. Josephhospital
städt. Hospital .
Bürgerhospital ,
Bürgerhospital
städtisches Krankenhaus
Landkrankenhaus . .
. 434 398 425 .. ..
. 142 173 127 . .
. 109 115 100 .. ..
. 82 84 49 .. ..
. 54 32 17 .. ..
. 861 68 19 .. ..
, 862(836 914 .. : ..
113 99 101 ..
161 177 103 .. ..
232 216 206 .. I
166:146 109 .. ..
141 1 156 62 .. ..
99 107 123 .. ..
182 182 210 ..
65 57 61 .. ..
131 136 141 .. .. !
319 316 390 .. .
324 327 336 ..
227 190 181 .
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5
Sterbliohkeits-Statistik von 53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau
pro Monat März 1905.
Todesursachen
Infektions-Krankheiten
Gewaltsamer
Tod durch
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Münster . . •
Bielefeld . . .
Paderborn
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Düsseldorf
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Duisburg .
Mülheim a. d. R.
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Meiderich . . .
Rheydt....
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Wermelskirchen
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Stolberg . . .
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Bonn 1 ....
Mülheim a. Rh. .
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Saarbrücken . .
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Kreuznach . .
Neuwied . . .
Wiesbaden . .
Kassel ....
78000 222 33,5
169
77337 208 31,7
85
20089 94 42,4
37
25766 53 24,2
27
171608 595 40.8
247
160813 687 50,3
180
122674 438 42,0
213
77973 232 35,0
95
36921 109 34,8
71
36779 112 35,9
42
29089 83 33,6
34
24766 72 34,2
31
18449 61 38.9
34
13876 53 45,0
28
13187 34 30,4
15
242833 760 36,8
349
223621 738 38,9
248
173127 449 30,5
241
153700 452 34.6
181
111590 269 28,4
161
115117 389 39,8
153
92406 359 45.7
129
68021 215 37,2
65
62020 219 41,6
103
53143 217 48,1
86
49307 126 30,1
63
41413 162 46,1
62
38507 124 37,9
45
37810 148 46,1
43
30941 115 43,7
53
26169 82 36,9
62
22749 55 28,5
33
16917 50 34,8
12
13750 29 24,8
12
9704 28 34,0
10
147378 394 31,5
249
29568 76 30,3
61
23670 76 37,8
52
14297 29 23,9
21
14249 47 38,8
24
422411 m 37,3
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80978 262 38,1
184
53367 141 31.1
63
24211 85 41,3
39
46696 128 32,3
71
36584 185 59,5
56
27648 76 32,4
41
24484 71 34,1
32
53484 115 25,3
70
22736 56 29,0
43
16679 48 33,9
37
96304 224 27,4
154
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6 l) Bonn: darunter 5,5%o Geburten und 6,8°/oo Sterbefälle Auswärtiger in Anstalten.
Digitized by
Google
Naohweüuwg aber Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 47 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat April 1905.
Städte
Krankenhäuser
Bestand
am
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städtisches Krankenhaus
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städtisches Krankenhaus . .
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1
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städtisches Krankenhaus .
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Stolberg . . .
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Cöln-Ehrenfeld .
St. Franziskushospital . .
177
157
86
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Mülheim a. Rh. .
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Kalk . . . .
St. Josephshospital . . .
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Saarbrücken .
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städtisches Krankenhaus . .
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318
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Sterblichkeits-Statistik von 53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nass
pro Monat April 1905.
Münster . .
Bielefeld . .
Paderborn. .
Minden . .
Dortmund . .
Gelsenkirchen
Bochum . .
Hagen . . .
Witten . . .
Hamm . . .
Iserlohn . .
Siegen . . .
Schwelm . .
Lippstadt . .
Altena . . .
Düsseldorf. .
Essen a. d. Ru
Elberfeld . .
Barmen. . .
Crefeld . .
Duisburg . .
Mülheim a. d.
Remscheid. .
M.-Gladbach .
Oberhausen .
Solingen . .
Meiderich . .
Rheydt . . .
Ruhrort. . .
Neu9s . . .
Viersen. . .
Wesel . . .
Wermelskirche;
Ronsdorf . .
Lennep. . .
Aachen. . .
Düren . . .
Esch weil er.
Eupen . . .
Stolberg . .
Cöln ....
Bonn 2 . .
Mülheim a. Rh
Kalk. . . .
Trier . . .
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Saarbrücken .
St. Johann. .
Koblenz . .
Kreuznach. .
Neuwied • .
Wiesbaden
Kassel . . .
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13750
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147438 330 27.2 254
29583 90 37,0 48
24163 87 43,8 47
14297 24 20,4 27
14249 48 41,0 18
423190 1221 35,1 555
80978 268 40,2 123
53367 142 32,4 65
25217 76 36,7 30
46696 98 25,5 64
38088 141 45,0 47
28879 75 31,6 48
25382 58 27,8 34
53484 111 25,2 70
23131 70 36,8 35
16679 50 36,5 28
97093 194 24,3 141
120554 264 26,6 157
30,9 127
27.8 78
45.8 36
23.7 28
38.7 236
49.2 188
42.9 164
37.4 90
34,0 52
59.5 45
32.9 39
31.9 30
32.3 30
43.8 25
39.7 20
46.3 313
38.9 229
31.8 207
30.9 177
26.9 134
42.4 149
39.5 130
30,2 76
31.4 93
43.7 72
28.1 70
38.2 57
37.8 49
49.3 32
34.6 39
31.6 38
33.6 27
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Todesursachen
Infektions-
Krankheitei
Pocken
Masern und
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Scharlach
Diphtheritis
und Croup
Stickhusten
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Gewaltsamer
Tod durch
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N&ohweisong Ober Krankenaufnahme und
der Provinzen Westfalen, Rheinland
Bestand in den Krankenhäusern aus 47 Städten
und Hessen-Nassau pro Monat Mai 1905.
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Ruhrort
Odenkirchen
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Cöln-Deutz
Oöln-Ehrenfeld
Mülheim a. Rh.
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Saarbrücken
Koblenz
Kreuznach
Neuwied .
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Kassel . .
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städtisches Krankenhaus .
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städt. Hospital.
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Johanniter- u. kath. Krankenh.
städtisches Krankenhaus
evangelisches Krankenhaus
Marienhospital ....
Huysseustift und Krupp’sches
Krankenhaus . . .
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städtisches Krankenhaus
Bethesda u.Mariahilf-Krank
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städtisches Krankenhaus
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Krankenhaus
städtisches Krankenhaus
Hanielstiftung
Kaiser Wilhelm-Krankenhaus
Mariahilf-Krankenhaus
St. Marienhospital
städtisches Hospital
St. Antoniushospital
St. Nikolaushospital
Bethlehemhospital
Bürger- u. Augustahospital
städtisches Hospital.
St. Franziskushospital
städt. u. Dreikünigenhospital
St. Josephshospital
städt. Hospital
Bürgerhospital.
städtisches Krankenhaus
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pro Monat Mai 1905.
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städtisches Hospital. . . .
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\) Bonn: darunter 5, Ti«/«, Geburten und 4,80%* Slerbfcfftlls Auswärtiger tu Anstalten.
Nachweisung über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 47 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Juli 1905.
Sterbllohkelta-Statistik von 53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau
pro Monat Juli 1905
Monat
Juli
1905
Einwohner-Zahl
Zahl der Lebend-
geborenen
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borenen auf 1000 Einw.
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14,5
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26171
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33
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Düsseldorf. . .
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228900
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177
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12,0
Barmen. . . .
154700
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28,6
193
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Crefeld . . .
111590
179
18,9
96
27
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Duisburg . . .
115117
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263
164
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Mülheim a. d. R.
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282
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Remscheid. . .
68021
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92
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Gewaltsamer
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1) Bonn: darunter 4,94°/,«, Geburten, 5,23 ft ow> Sterbefälle Auswärtiger in Anstalten. 2) Hinrichtung.
Naohweümng Ober Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 47 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat August 1905.
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pro Monat August 1905.
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77973 217
37871 95
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18884 45
14701 38
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154400 373
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271 126
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298 184
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143 89
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112 74
112 83
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68 27,1
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152 33,5
85 40,6
352 200
72 40
47 23
16 6
37 12
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126 71
93 62
100 44
95 57
53 28
50 25
47103 112 28,0
38088 150 46,4
28879 83 33,9
25382 62 28,7
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24000 56 27,5
16679 38 26,8 23 9
97093 224 27,1 178 70
120554 271 26,5 160 63
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1« i) Bonn: darunter 2,62o/oo Geburten und 5^2 0/«, Sterbefttlle Auswärtiger ii| z 4j»fttj»lt|ejpQ
N&ohweisunff Ober Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 48 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat September 1905.
I Krankheitsformeii der Aufge
Städte
Münster
Bielefeld . .
Minden . .
Herford . .
Dortmund.
Hagen i. W. .
Witten . . .
Hamm . . .
Iserlohn
Siegen .
Gelsenkirchen
Altena . . .
Schwelm . .
Düsseldorf
Essen a. d. Ruhr
Elberfeld .
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Barmen . . .
Crefeld . . .
Remscheid . .
M.-Gladbach .
Solingen .
Viersen . . .
Rheydt. . . .
Meid eri ch . .
Neuss ....
Mülheim-Styrum
Ruhrort . . .
Odenkirchen . .
Atrop. Kr. Mürs
Aachen . .
Aachen-Burtscheid
Düren ....
Eschweiler . .
Eupen ....
Stolberg . . .
Cöln ....
Cöln-Deutz . .
Cöln-Ehrenfeld .
Mülheim a. Kh. .
Kalk ....
Trier ....
Saarbrücken .
Koblenz . . .
Kreuznach . .
Neuwied . . .
Wiesbaden . .
Kassel ....
Fulda ....
Eschwege . . .
Rinteln . . .
Schmalkalden
Kranke n h äuser
Clemenshosp. u. Johannisstift *220 20b L
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Luisenhospital.
städtisches Hospital .
Diakonissenhaus u.Marienhosj
städtisches Krankenhaus .
Bethanien-Krankenhaus
städt. Hospital ....
Marienhosp. u. ev. Krankenh
Johanniter- u. kath. Krankenh
städtisches Krankenhaus .
evangelisches Krankenhaus
Marienhospital.
Huysseustift und Krupp’sches
Krankenhaus ....
8t. Josephshospital .
städtisches Krankenhaus
Bethesda u.Mariahilf-Kranken
haus.
städtisches Krankenhaus .
Elisabeth- und Kais. Willi.-
Krankenhaus .
städtisches Krankenhaus . .
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Hanielstiftung.
Kaiser Wilhelm-Krankenhaus
Friedr. Kruppsches Krkhs.
Elisabeth- u. Mariahilf-Krkhs.
8t. Marienhospital .
städtisches Hospital . .
St. Antoniushospital . . . .
St. Nikolaushospital . . . .
Bethlehemhospital . . . .
Bürger- u. Augustahospital .
städtisches Hospital ....
St. Franziskushospital .
städt. u. Dreikonigenhospital .
8t. Josephshospital . . . .
städt. Hospital.
Bürgerhospital.
städtisches Krankenhaus
Landkrankenhaus . .
307 337 4;
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Sterbliohkeita-St&tistik von 53 Städten dar Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassao
pro Monat September 1905.
Todesursachen
| Gewaltsamer
; Infektions
Krankheiten
Tod
durch
Pocken
Masern und
Röteln
Scharlach
Diphtlieritis
und Croup
Stickhusten
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Monat
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1905
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Zahl der Lebend-
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Zahl der Sterbefälle
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Münster . . .
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17,0
Bielefeld . . .
77337
133
20,9
76
31
12,0
Paderborn
2G801
88
39,9
46
15
20,9
Minden . . .
2G171
48
22.3
16
4
7,4
Dortmund
171608
563
40,0
238
125
16,9
Gelsenkirchen
1G0S43
595
45,0
231
109
17,5
Bochum . . .
122G74
427
42,3
141
54
14,0
Hagen ....
77973
231
36,0
92
45
14,4
Witten ....
37871
93
30,0
40
7
12,8
Hamm ....
37352
116
37,8
43
22
14,0
Iserlohn
29598
76
31,2
35
11
14,4
Siegen ....
2476G
53
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16
5
7,9
Schwelin
18884
44
28,3
17
10
10,9
Lippstadt. . . .
11701
47
38,9
21
9
17,4
Altena ....
13187
22
20,3
11
5
10,1
Düsseldorf
248292
380
33,3
364
178
17,8
Essen a. d. Ruhr
2460GI
837
41,4
250
129
12,4
Elberfold . . .
173124
379
26,6
198
73
13,9
Barmen
154700
343
27,0
169
67
13,3
Crefeld . . .
111590
224
24,4
115
42
12,5
Duisburg .
115117
369
39,0
135
65
14,3
Mülheim a. d. R.
93621
288
37,4
117
62
15,2
Remscheid
G8021
132
23,6
66
28
11,8
M.-Gladbach . .
62020
196
38,4
100
47
19,6
Oberhausen . .
53143
225
51,5
90
55
20,6
Solingen . . .
49307
109
26,9
62
16
15,3
Meiderich .
41413
159
46,7
48
26
14,1
Rheydt. . . .
38948
127
30,7
66
36
20,6
Ruhrort . . .
39191
168
52,1
79
38
24,5
Neuss ....
31630
74
28,5
52
31
20,0
Viersen . . .
26562
66
30,2
50
31
22,9
Wesel ....
22806
43
22.9
20
3
10,7
W ermelskirchen
17321
34
23,9
12
4
8,4
Ronsdorf . . .
13750
30
26,5
7
4
6,2
Lennep . . .
9704
22
27,6
8
3
10,0
Aachen . . .
147284
340
28,1
203
87
16,8
Düren ....
29583
64
26,3
55
23
22,6
Eschweiler . .
24163
72
36,3
35
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17,6
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Stolberg . . .
14249
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Saarbrücken . .
28879
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St. Johann . .
25382
57
27,3
25
10
12,0
Koblenz . . .
53484
108
24,6
74
21
16,8
Kreuznach . .
23600
50
25,8
32
12
16,5
Neuwied . . .
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32
23,3
19
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13,9
Wiesbaden . .
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Kassel ....
120554
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24,3
148
36
14,9
1) Bonn
darunter 6,61 %o Geburten und 8.7t;»/oo Sterbefälle Auswärtiger in Anstalten.
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Naohweisung über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 48 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Oktober 1905.
Städte
Krankenhäuser
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Münster
Bielefeld .
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Cöln-Deutz . .
Cöln-Ehrenfeld .
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Saarbrücken .
Koblenz
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Neuwied . . .
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städtisches Krankenhaus .
Bethanien-Krankenhaus
städt. Hospital.
Marienhosp. u. ev. Krankenh.
Johanniter- u. kath. Krankenh.
städtisches Krankenhaus .
evangelisches Krankenhaus
Marienhospital.
lluyssenstift und Krupp’sches
Krankenhaus .
St. Josephhospital . . . .
städtisches Krankenhaus .
Bethesda- und Mariahilf-Kran
kenhaus .
städtisches Krankenhaus .
Elisabeth- und Kais. Willi
Krankenhaus ....
städtisches Krankenhaus .
Hanielstiftung.
Kaiser Wilhelm-Krankenhaus
Friedr. Kruppsches Krkhs. .
Elisabeth- u. Mariahilf-Krkhs.
St. Marienhospital .
städtisches Hospital . . . .
St. Antoniushospital . . . .
St. Nikolaus-Krankenhaus. .
Bethlehemhospital . . . .
Bürger- u. Augustahospital .
städtisches Hospital.
St. Franziskushospital . . .
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St. .Josephhospital . . . .
städt. Hospital
Bürgerhospital
Bürgerhospital
städtisches Krankenhaus
Landkrankenhaus . .
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53 51 20
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190 184 159
289 312 229
475 497 754
140 155 140
283 318 290
210 220 251
219 232 190
86 94 102
186 199 192
123 144 97
67 69 27
38 57 52
136 119 117
70 72 42
49 70 61
47 47 30
15 16 32
371 411 426
157 153 113
102 99 98
78 84 38
34 47 26
86 90 27
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127 110 95
144 143 101
205 237 223
117 141 151
143 147 73
97 126 126
159 166 186
44 53 54
99 115 119
302 309 261
137 156 125
43 44 42
10 5 8
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Sterbliohkelta-Statistlk von 53 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau
pro Monat Oktober 1905.
Bochum
Hagen . . .
Witten .
Hamm .
Iseilohn . .
Siegen . . .
Schwelm . .
Lippstadt . .
Altena . . .
Düsseldorf. .
Essen a. d. Ru
Elberfeld . .
Barmen. . .
Crefeld . .
Duisburg 1
Mülheim a. d.
Remscheid. .
M. Gladbach .
Oberhausen .
Solingen .
Rheydt . . .
Neuss . . .
Viersen . . .
Wesel . . .
Wermelskirchei
Ronsdorf . .
Lennep. . .
Aachen .
Diiren . . .
Eschweiler. .
Eu pen .
Stolberg . .
Cöln ....
Bonn 3 . . .
Mülheim a. Rh
Kalk. . . .
Trier . . .
Malstatt-Bur ba<
Saa rbrücken .
St. Johann .
Koblenz . .
Kreuznach. .
Neuwied . .
Wiesbaden
Kassel . . .
173124
154700
111590
189651
93709
68021
62020
53143
49307
•39743
31630
26562
22806
17321
13750
9704
148069
29583
24163
14297
14249
427815
80978
53367
25217
Todesursachen
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Andere Infek-
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Gewaltsamer
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1) Die Stadt*
i>uibi)urK
-') durch Ert:
; Beek) sind vorq^l. Oktober 1905 ab in die
“'ÖidBöiStbyi^'/o.i Sterbfeßlle Auswärtig
Naohweisung Ober Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 48 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat November 1905.
Münster .
Bielefeld .
Minden
Herford
Dortmund.
Hagen i. W.
Witten. .
Hamm . .
Iserlohn .
Siegen . .
Geisenkirchei
Altena .
Schwelm .
Düsseldorf
Essen a. d. Ruhr
Elberfeld . . .
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Barmen
Crefeld . . .
Remscheid
M.-Gladbach . .
Solingen .
Viersen . . .
Rheydt . . .
Duisburg-Meide-
[rich
Neuss ....
Mülheim-Styrum
Ruhrort . . .
Odenkirchen .
Atrop, Kr. Mörs
Aachen . . .
Aachen-Burtscheid
Düren ....
Eschweiler
Eupen ....
Stolberg . . .
Cöln ....
Cöln-Deutz
Cöln-Ehrenfeld .
Mülheim a. Rh..
Kalk ....
Trier ....
Saarbrücken .
Koblenz
K reuznach . .
Neuwied . . .
Wiesbaden . .
Kassel ....
Fulda ....
Eschwege .
Kinteln . . .
Schmalkalden
Kranke nhäuser
Clemenshosp. u. .Johannisstift
städt. Krankenhaus . . .
städtisches Krankenhaus .
Friedrich-Wilhelm-Hospital
Luisenhospital.
städtisches Hospital
Diakonissenhaus u.Marienhosp
städtisches Krankenhaus .
Bethanien-Krankenhaus
städt. Hospital.
Marienhosp. u. ev. Krankenh
Johaniter- u. kath. Krankenh
städtisches Krankenhaus .
evangelisches Krankenhaus .
Marienhospital.
Huyssenstift und Krupp’sches
Krankenhaus .
St. Josephhospital .
städtisches Krankenhaus .
Bethesda- und Mariahilf-Kran
kenhaus .
städtisches Krankenhaus .
Elisabeth- und Kais. Willi,
Krankenhaus ....
städtisches Krankenhaus .
Hanielstiftung.
Kaiser Wilhelm-Krankenhaus
Friedr. Kruppsches Krkhs. .
Elisabeth- u. Mariahilf-Krkhs.
St. Marienhospital .
städtisches Hospital . . . .
St. Antoniushospital. . . .
St. Nikolaus-Krankenhaus .
Bethlehemhospital . . . .
Bürger- u. Augustahospital .
städtisches Hospital.
St. Franziskushospital . .
städt. u. Dreikönigenhospital .
St. Josephhospital . . . .
städt. Hospital.
Neues Krankenhaus . . .
Bürgerhospital.
städtisches Krankenhaus
Landkrankenhaus . .
226 258 214
95 107 89
57 52 46
51 42 26
356 352 415
96 119 1*19
347 341 278
71 85 86
91 95 75
83 87 78
458 463 407
51 53 33
51 52 35
183 216 217
312 351 261
497 524 760
155 169 161
318 302 289
220 236 21 1
232 224 172
94 UMi 111
199,203 185
144 145 111
69, 71 1
57 85
119 154 1
411 411 3
150j 145 1
99 107
84 90 .
471 48
90 88 :
Krankheitsformen der Aufgenommenen
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141 133 1
147 136
126 116 1
166 203 2
53: 53
115 106 112
257 285 311
309 321 294
156 168 156
44 53 39
5 11 21
37, 52 35
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21
Sterblichkeits-Statistik von 51 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau
pro Monat November 1905.
Monat
November
1905
Einwohner-Zahl
Zahl der Lebend-
geborenen
Verhältn.-Zahl der Ge¬
borenen auf iooo Einw.
und auf 1 Jahr
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Münster
177
27,3
104
22
16,0
Bielefeld . •
77337
183
28,8
60
16
9,4
Paderborn .
mm
89
40,4
28
7
1-2,7
Minden
2G1T1
49
22,8
32
6
14,9
Dortmund .
171608
570
40,4
199
64
14,1
Gelsenkirchen
160843
585
44,2
182
65
13,8
Bochum
122674
420
41,7
193
55
19,1
Hagen .
77943
251
39,1
109
35
17,0
Witten .
37871
98
31,5
48
li
15,4
Hamm .
38341
130
41,2
41
10
13,0
Iserlohn
29598
73
30,0
40
3
16,4
Siegen . . .
24766
67
32,9
24
3
11,8
Schwelm
18884
41
26,4
21
4
13,5
Lippstadt .
15987
27
20,5
22
8
16,7
Altena . .
13187
34
31,4
10
4
9,2
Düsseldorf.
252630
679
32,7
284
78
13,7
Essen a. d. liuhr
229270
766
42,6
260
84
13,8
Elberfeld . .
162752
343
25,6
177
50
13,2
Barmen. . .
155974
370
28,8
193
34
15,1
Crefeld . .
110410
200
22,0
120
23
13,2
Duisburg
191551
650
41,3
211
68
13,4
Mülheim a. d.
K.
94079
308
39,8
108
30
14,0
Remscheid. .
68021
133
23,8
72
15
12,9
M. Gladbach .
60313
187
37,7
101
28
20,4
Oberhausen .
52035
208
48.6
74
34
17.3
Solingen
49307
90
22,2
46
11,3
Rheydt .
39964
111
33,8
50
15,2
Neuss
30749
78
30,9
60
23,7
Viersen . . .
27589
73
32,2
28
12,3
Wesel .
22806
57
30,4
31
3
16,5
Wermelskirche
n .
17321
20
14,0
11
1
7,7
Ronsdorf .
13750
23
20,4
8
7,1
Lennep .
9704
17
21,3
12
15,0
Aachen .
148-214
349
28,6
191
53
15,7
Düren . . .
30303
80
32,1
36
7
14,5
Esch weil er. .
23624
67
34,5
27
9
13,9
Enpen . . .
14297
28
23,8
12
3
10,2
Stolberg
14249
35
29,9
17
3
14,5
€öln ....
425944
1277
36,5
567
180
16,2
Bonn 1 .
81906
222
33,0
125
36
18,5
Mülheim a. Rh
50738
153
36,7
59
19
14,1
Kalk. . . .
25553
100
47,6
28
7
13,3
Trier . . .
47103
119
30,7
74
9
19,1
Malstatt- B urbach
38445
132
41,8
44
13,9
Saarbrücken .
,
26824
74
33,6
30
13,6
St. Johann . .
24300
74
37.0
22
11,0
Koblenz
53484
124
28,2
54
12,3
Kreuznach 2 .
23131
50
26,3
29 2
15,3
Neuwied
18173
36
24,1
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2
20,8
Wiesbaden
97093
195
21,4
109
13
13,6
Kassel . . .
120554
255
25,7
125
28
12,6
Todesursachen
Gewaltsamer
Tod durch
Infektions - Krankheiten
Pocken
Masern und
Röteln
Scharlach
Diphtheritis
und Croup
Stickhusten
Unterleibstyphus,
gastr. Fieber
Ruhr
Kindbettfieber
Andere Infek-
tionskrankh.
Darmkatarrh
Brechdurchfall
VerunglUckung
oder nicht näher
konstatierte Ein¬
wirkung
Selbstmord
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1
1
1) Bonn: darunter 4.90°/or» Geburten, 5,94°/oo Sterbefälle Auswärtiger in Anstalten.
2) Kreuznach: darunter 3 Auswärtige in Krankenhäusern Gestorbene.
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Naohwelsung Ober Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 48 Städten
der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat Dezember 1905.
Städte
Krankenhäuser
Bestand
am
Schlüsse
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Clemenshosp. u. Johannisstift
258
297
254
Bielefeld . . .
städt. Krankenhaus ....
107
114
97
Minden . .
städtisches Krankenhaus .
52
43
37
Herford . . .
Friedrich Wilhelm-Hospital .
42
1 50
33
Dortmund.
Luisenhospital.
352 340
410
Hagen i. W. .
städtisches Hospital ....
119,106
91
Witten ....
Diakonissenhaus u.Marienhosp.
341
365
29S
Hamm ....
städtisches Krankenhaus .
85
79
72
Iserlohn . . .
Bethanien-Krankenhaus
95
95
67
Siegen ....
städt. Hospital.
87
74
73
Gelsenkirchen .
Marienhosp. u. ev. Krankenh.
463
394
344
Altena ....
Johanniter- u. kath. Krankenh.
53
51
27
Schwelm . . .
städtisches Krankenhaus . .
52
60
48
Düsseldorf . .
evangelisches Krankenhaus .
216
216
ISO
V
Marienhospital .
351
350
247
Essen a. d. Ruhr
Huy88eustift und Kruppsches
Krankenhaus .
524
497
764
Elberfeld . . .
St. Josephshospital ....
169
190
171
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städtisches Krankenhaus . .
302
323
318
Barmen . . .
236
211
233
Crefeld . . .
224
206
191
Remscheid . .
10«
92
105
M.-Gladbach .
Bethesda u.Mariahilf-Kranken-
haus .
208
224
185
Solingen . .
städtisches Krankenhaus . .
145
135
88
Viersen . . .
w n •
71
69
38
Rheydt. . . .
85
73
60
Duisburg-Meide-
rich
Elisabeth- und Kais. Wilh.-
Krankenhaus .
154
146
141
Neuss ....
städtisches Krankenhaus . .
73
89
49
Mülheim-Styrum
V V •
65
64
74
Ruhrort . . .
Hanielstiftung .
47
50
45
Odenkirchen . .
Kaiser Wilhelm-Krankenhaus
18
15
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Atrop, Kr. Mürs
Friedr. Kruppsches Krkhs.
16
14
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Aachen . . .
Elisabeth- u. Mariahilf-Krkhs.
411
372
379
Aachen-Burtscheid
St. Marienhospital ....
145
163
126
Düren ....
städtisches Hospital ....
107
96
90
Eschweiler . .
St. Antoniushospital ....
90
96
57
Eupen ....
St. Nikolaushospital ....
48
43
22
Stolberg . . .
Bethlehemhospital ....
88
96
32
Cöln ....
Bürger- u. Augustahospital .
913
920
1037
Cöln-Deutz . .
städtisches Hospital ....
119
131
103
Oöln-Ehrenfeld .
St. Franziskushospital . . .
140
174
101
Mülheim a. Rh. .
städt. u. Dreikönigenhospital .
242
258
216
Kalk ....
St. Josephshospital ....
133
125
111
Trier ....
städt. Hospital .
136
125
36
Saarbrücken . .
Neues Krankenhaus . . .
116
139
149
Koblenz . . .
Bürgerhospital .
203
186
198
Kreuznach . .
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53
61
58
Neuwied . . .
r .
106
104
129
Wiesbaden . .
städtisches Krankenhaus . .
285 1
269
287
Kassel ....
Landkrankenhaus ....
321
297
262
Fulda ....
n ....
1681
145
146
Eschwege . . .
n ....
53
39
46
Rinteln . . .
11
23
29
Schmalkalden
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52
44
22
Krankheitsformen der Aufgenommenen
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über 20 bis 40 Jahre
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Münster
79000
2349
29,7
52
1539
19.4
459
177
101(189 225
388
Bielefeld . .
72000
2005
27,8
55
836
11,6
243
77
53| 91 162
210
Paderborn .
26801
1070
39,9
29
421
15,6
90
22
28 72 82
127
Minden ....
26171
579
22,1
17
347
13.2
79
33
38 33 65
109
Dortmund .
175000
3948
39,7
123
3115
17,8
1279
287
180 385 4641
420
Gelsenkirehen
160848
7548
48,9
195
2545
15,8
1117
443
185 245 294
261
Bochum
122674
41,3
14 v
2292
18,6
767
343
174 370 357
281
Hagen ....
77973
2803
35,9
70
1220
15,6
454
131
89 161 173
212
Witten ....
37871
1188
31,3
47
679
17,9
156
69
54 111 140
147
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Hamm ....
3823-2
1407
36,8
40
584
15,2
200
50
85 75 92
132
Iserlohn
29398
28,8
22
412
13,9
94
51
18 56 62
131
Siegen ....
25199
31,4
20
376
15,7
85
46
80 50 70
95
Schwelm
18884
601
31,8
24
267
14,1
70
28
20 35 36
78
Lippstadt .
15788
563
35,6
19
257
16.2
94
35
18 24 29
57
Altena ....
13187
390
29,5
13
164
12,4
46
17
3j 25 27
46
Düsseldorf. . .
252630
8901
35,2
233
1203
16,6
1661
485
206 494 604
754
2
Essen a. d. Ruhr
230000
8844
38,4
22 s
3401
14,8
1329
518
185 402 461
506
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Elberfeld . . .
163040
4967
30,5
174
2568
15,8
799
270
155 274 428
642
Barmen....
154500
4893
30,4
126
2314
15,0
674
277
154 249 352
608
Krefeld ....
111590
2736
24,5
85
1540
13,8
373
130
HO 161 290
506
Duisburg 1 .
189651
8318
43.3
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3383
18,8
1546
515
219,407 399
497
Mülheim a. d. K.
93793
3768
40,1
72
1445
15,4
610
138
98 151 192
256
Remscheid.
68621
30,2
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976
14,3
279
121
76 129 150
221
M.-Gladbach .
60313
2191
36,3
53
1197
19,8
453
179
62 114 152
230
7
Oberhausen . .
52035
2505
48,1
49
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19,3
529
91
68 99 111
107
Solingen . . .
49307
1411
28,6
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775
15,7
191
82
61 117 132
192
Rheydt ....
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35,5
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Viersen ....
27589
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23200
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148296
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13600
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14965
532
35,5
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18,9
97
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68
Cöln.
125000
15198
35,7
432
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3270;
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Bonn- ....
81906
2952
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1908
23,2
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135
71 255 341
456
1
Mülheim a. Rh. .
50807
1759
34,6
50
876
17,2
340
133
49 85 120
148
1
Kalk.
25477
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37,5
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21,7
248
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33 58 72
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Trier ....
46703
1259
27,0
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49 117 163
251
Malstatt-Burbach
38445
1743
45,3
40
671
17,4
286
109
47 63 65
101
Saarbrücken .
26824
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31.1
30
475
17,7
122
10
35 87 89
102
St. Johann . .
24300
782
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16,8
136
48
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Coblenz. . . .
53885
1429
26,5
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819
15,2
262
67
49 106 147
188
Kreuznach.
23131
681
29.4
22
420
18,1
92
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39 47 65
117
Neuwied .
18177
484
26,6
13
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17,5
78
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105
Wiesbaden . .
100955
2431
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16,8
382
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93 218 321
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Kassel ....
120554
3193
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101
1832
15,1
429
178
120 258 328
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1) Duisburg mit Ruhrort und Meiderich für das ganze Jahr 1905.
2) Bonn: darunter 5,4of» Geburten und 5,6®/oo 8terbefälle Auswärtiger in Anstalten.
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falen, Rheinland und Hessen-Nassau während des Jahres 1905.
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357
47
67
6
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17
37
236
28
29
3
15
5
3
164
17
44
15
20
20
m
128
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61
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932 613
3712
244
272
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11
162
83
1058
87
84
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22
68
96
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52
35
24
19
59
51
237
um
93
14
38
7
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26
470
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75
27
19
46
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316
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3
22
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28
32
204
44
1
23
33
274
109
114
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38
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382
53
48
; 15
47
13
6
203
30
33
17
35
7
5
177
119 141 2
83 ,21 10
15510»
7,1 3
6 1
2
2
1036
1070
21
28
Ha oh Weisung Über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 48
Städte
Krankenhäuser
Bestand
am
Schlüsse
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Keuchhusten
Unterleibstyphus ||
Münster . .
Clemenshosp. u. Johannisstift
285
297
2974
6
72
42
3
9
Bielefeld . . .
städtisches Krankenhaus .
144
114
1101
4
19
13
6
Minden . . •
43
43
560
1
10
15
21
Herford
Friedrich-Wilhelm-Hospital .
63
50
469
1
8
9
18
Dortmund. . .
Louisenhospital.
384
340
5117
5
21
35
62
12
26
Hagen i. W. . .
städtisches Hospital ....
111
106
1284
2
10
12
6
Witten ....
Diakonissenhaus u. Marienhosp.
399
365
3905
7
48
84
4
36
Hannn ....
städtisches Krankenhaus .
36
79
945
2 ..
4
13
33
Iserlohn
Bethanien- „
89
95
871
1
1
14
3
1
Siegen ....
städtisches Hospital ....
71
74
1091
2
28
22
2
Gelsenkirehen .
Marienhosp. u. ev. Krankenh.
478
394
5748
1
2
130
56
9
5£>
Altena ....
Johanniter- u. kath. Krankenh.
47
51
345
3
1
4
Schwelm . . .
städtisches Krankenhaus .
00
60
436
9
6
8
Düsseldorf . .
evangelisches Krankenhaus .
199
216
2076
18
50
89
4
8
V
Marienhospital.
314
350
2749
14
95
85
5
27
Essen a. d. Ruhr
Huyssenstift und Kruppsches
Krankenhaus .
471
497
9179
.. 1 3
8
32
202
4
44
Elberfeld . . .
St. Josephhospital ....
184
190
1847
4
12
7
* ^ # #
städtisches Krankenhaus . .
350
323
3838
3
26
67
89
28
24
Barmen
203
211
3156
18
32
44
12
52
Krefeld . . .
*>25
206
2391
6
21
25
Remscheid
92
92
1153
6
7
19
a
M.-Gladbach . .
Bethesda- und Mariahilf-Kran-
kenhaus .
208
224
2397
12
28
38
3
12
Solingen . .
städtisches Krankenhaus .
126
135
1306
2
6
16
6
18
Viersen . . .
* n . .
81
69
408
8
6
1
4
Rheydt. . . .
v n
74
73
631
1
1
10
. .
5
Duisb.-Meiderich
Elisab.- u. Kaiser Wilh -Krkbs.
161
146
1577
3
13
54
8
Neuss ....
städtisches Krankenhaus . .
78
89
537
5
3
11
3
4
Mülheim-Styrum
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76
64
758
2
10
22
7
Ruhrort . . .
Hanielstiftung.
62
50
544
7
14
1
15
Odenkirchen . .
Kaiser Wilhelm-Krankenhaus
10
15
107
2
2
Atrop, Kr. Moers 1
Friedr. Kruppsches Krankenh.
14
14
288
Aachen. . . .
Elisabeth- u. Mariahilf-Krkhs.
349
372
4846
.. 3
93
74
62
124
75
Aachen-Burtscheid
St. Marienhospital ....
142
163
1402
; i
1
1
8
Düren ....
städtisches Hospital ....
105
96
1121
1 19
14
10
2
17
Eschweiler . .
St. Antoniushospital ....
95
| 96
483
2
2
17
5
Eupen ....
St. Nicolaushospital ....
41
43
240
1 3
5
Stolberg . . .
Bethlehemhospital ....
103
j 96
435
7
4
Köln ....
Bürger- u. Augustahospital .
850
920
11569
7
177
299
423
100
50
Köln-Deutz . .
städtisches Hospital ....
129
131
1110
1
4
14
3
Köln-Ehrenfeld .
St. Franziskushospital .
141
174
1215
29
6
Mülheim a. Rh. .
städt. u. Dreikönigenhospital .
256
258
2525
14
38
48
8
Kalk ....
St. Josephhospital ....
155
125
1575
19
11
35
3
1
Trier ....
städtisches Hospital ....
129
125
626
31
5
5
7
24
Saarbrücken . .
Neues Krankenhaus ....
53
139
1428
2
11
12
1
55
Coblenz . . .
Bürgerhospital.
173
186
2544
15
14
38
5
15
Kreuznach . .
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54
61
666
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1
3
Neuwied . . .
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98
104
1508
4
21
CM
CO
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8
12
Wiesbaden . .
städtisches Krankenhaus . .
297
'269
3917
39
127
10
2
43
Kassel ....
Landkrankenhaus ....
319
1297
3499
11
191
97
54
Fulda ....
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191
145
1949
1
4
18
9
Eschwege. . .
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L.
9
Rinteln . . .
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4
12
Schmalkalden
n • • • •
46
44
377
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5
11
1) Umfasst den Zeitraum Mai bis Dezember.
26
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Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau während des Jahres 1905
formen
der
Aufgenommenen
Zahl der
Gestorbenen
Epidemische
Genickstarre
Ruhr
Brechdurchfall
Kindbettfieber
Wechselfieber
Rose
Syphilis
einschliesslich
Gonorrhöe
Lungen- und
Brustfell-
Entzündung
Akuter
Bronchial- Katarrh
Lungen¬
schwindsucht
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S-gs
<3 «ö jjj
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Akuter Darm¬
katarrh
Gehirn-
Schlagfluss
Säuferwahnsinn
und chron.
Alkoholismus
Akuter Gelenk¬
rheumatismus
Andere
rheumatische
Krankheiten
Verletzungen
Alle übrigen
Krankheiten
7 5
21
42
62
49
66
157
631 12
40
21
142
474
1681
303
1
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11
22
41
36
34
34
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1
13
23
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123
658
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17
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134
147
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72
1
72 25 21
46
105
182
167
104
130
127
13
76
116
188
14372681
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1
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17
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80
240
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32
54
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22
14
5
35
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11 2
20
122
104
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244
293
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418
221
133 13
31
177
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9
14
12
54
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98
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435
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1
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1 3
4
15
48
52
57
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4
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17
46
226
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10
201 1
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2
17
42
64
312
41
3
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5
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132
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1
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18
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4
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8
9
4
19
20
7
3
7
10
9
57
204
26
8) Aachen hierunter 58 Influenza.
3) Ehrenfeld hierunter 83 Influenza.
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Sterbliohkeits-St&tiatlk von 51 Stfidten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau
pro Monat Dezember 1905.
Monat
Dezember
1905
Einwohner-Zahl
Zahl der Lebend¬
geborenen
Verhältn.-Zahl der Ge¬
borenen auf 1000 Einw.
und auf 1 Jahr
Zahl der Sterhefälle j
ansschl. Totgeborenen
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Verhältn.-Zahl der Ge¬
storbenen auf 1000 Ein-!
wohner u. auf 1 Jahr
fodesursachen
Gewaltsamer
Tod durch
Infektions
• Krankheiten
Pocken
Masern und
Röteln
Scharlach
Diphtheritis
und Croup
Stickhusten
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tionskrankh.
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oder nicht nkher
konstatierte Ein¬
wirkung
Selbstmord
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183
27 3
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46
18,2
1
8
. . | . .
5
9
1
79000
159
26,0
69
‘>4
11,3
! O
2
1 1
1
1
1
26801
82
36,0
28
3
12,3
1
20171
54
24,3
20
0
9,0
! 1
1
2
Dortmund
175221
594
89,9
273
100
18,3
. . 1
1
7
8
1 5
6
12
2
Gelsenkirch (ui .
160843
620
45,4
180
67
13,2
. . 2
3
8
12
7
..
. .
122674
4>2
40,5
193
61
18,5
. .1 9
1
4
1
6
2
1
77973
234
35,3
106
40
16,0
1 ^
1
1
1
5
Witten ....
37871
104
32^3
62
9
19,3
2
1
1
1
1
1
# #
# #
38232
122
37,6
50
13
15,4
1
1
2
3
Iserlohn
29598
62
24,7
28
7
n,i
1
1
1
# #
# #
Siegen ....
25199
61
28,5
27
7
12,6
1
..
• •
18884
50
31,2
04
7
15,0
1
Lippstadt . . .
15788
43
32^1
22
7
16,4
2
1
..
. .
Altena ....
13187
26
23,2
13
5
11,8
1
• •
Düsseldorf
252630
754
35,1
323
91
15,1
. .1 10
5
4
4
..11
25
9
4
, ,
Essen «. d. Ruhr
230050
800
40,9
2 48
84
12,7
. .1 3
1
7
4
. . . 8
7
9
Elberfeld . . .
163040
413
29^8
214
55
15,5
.. 6
1
6
2
2
4
7
3
* #
Barmen . . .
156148
403
30,4
195
50
14,7
.. 12
1
2
3
I
.. 5
5
4
1
, .
111590
253
26,7
135
21
14,2
. . 1
1
1
2
1
Duisburg . .
189651
713
44,3
301
87
18,7
.. 8
0
12
3
2
1 1
15
15
1
Mülheim a. d. R.
93793
318
39,9
108
37
13,6
1
9
2
1
. .1 1
4
1
2
i
Remscheid
68021
172
29,8
89
29
15,4
•• 1
6
2
2
6
1
1
M.-Gladbach .
60313
170
33,2
107
32
20,9
1
3
4
Oberhausen
52035
207
4(5,8
66
25
14,9
. 2
2
9
4
• •
1
5
m
,,
Solingen . . .
49307
130
31,0
63
10
15,0
3
1
1
..
..
Rheydt....
40015
93
•27,4
58
19
17.1
.. 1
3
1
..
Neuss ....
30749
85
32,5
68
15
26,0
• 1 ^
• •
6
1
1
..
..
Viersen
27589
85
36,3
36
10
15,4
3
.,
..
Wesel ....
23200
45
22,8
32
l
16,2
2 1
1
1
W ermelskirchen
17321
35
23,8
12
3
8,2
2
1
Ronsdorf . .
13750
30
25,7
9
1
7,7
1
Lennep . . .
9704
31
37,6
21
4
25,5
■
. •
. •
Aachen . . .
148296
322
25,6
186
42
14,8
.. 4
1
, 1
4
1 . .
4
4
4
,.
Dürep ....
29770
90
35,6
52
12
20,6
1 1
1
2
2
Eschweilor
23630
70
34,9
41
10
20,4
1
2 !
1
5
Eupeu ....
13600
22
19,0
20
4
17*3
1
2
..
Stolberg . . .
14965
47
36,8
16
5
12,5
I
• •
Cöln ....
429200
1510
36,3
700
217
19,2
. . 25
12
14
41
1
3 15
39
9
2
..
Bonn 1 .
81906
234
33,6
151
30
21,7
.. 3
1
2
3
2
,,
Mülheim a. Rh. .
50807
162
37,5
63
19
14,6
2 1
3
5
i
Kalk 2 ....
25477
77
35,6
39
11
18,0 2
1
1
1
2
Trier ....
46703
107
27,0
52
6
13,1
1
1
1
1
1
1
Malstatt-Burbach
38445
145
44,4
63
10
19,3
5
3
1
# #
.,
Saarbrücken .
26824
61
26,8
43
7
18,9
.. 2 1
2
2
3
2
2
St. Johann .
24300
67
32,5
27
8
13,1
■ •
1
. .
3
2
Koblenz
53885
133
29,1
68
18
14,9
1
1
1
4
3
Kreuznach
23131
58
29,5
29
10
14,8
4
Neuwied .
18177
26
16,8
28
6
18,1
.. ..
1
Wiesbaden
100955
194
22,6
113
23
13,2
1
9
1 . .
1
5
Kassel ....
120554
276
27,0
154
35
15,0
.. ..
1 I
1
.
5
1
1
6
3
1
• -
1) Bonn: darunter 5,03%o Geburten und 4,45°/oo Sterbefälle Auswärtiger in Anstalten.
2) Kalk: darunter 6,«4 u /oi, Sterbefälle Auswärtiger in den hiesigen Krankenhäusern.
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